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Beschreibung

Ganzheitliche Methoden sind im Religionsunterricht wichtiger denn je. So werden religiöse Erfahrungen ermöglicht und kreative Potenziale geweckt. Deshalb hat Ludwig Rendle das erfolgreiche Lehrerhandbuch »Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht« von Grund auf neu konzipiert, um zahlreiche aktuelle Themen erweitert und dazu neue erfahrene Autorinnen und Autoren gewonnen.

Viele konkrete Praxisbeispiele und Unterrichtsvorschläge ermutigen Lehrerinnen und Lehrer, auf körperlichen Ausdruck, Bewegung, Tanz und Musik, auf Spiel und Fantasie zu setzen. Kreatives Schreiben und Gestalten, kleine Rituale und meditative Übungen, aber auch Exkursionen, Kirchenraumbegehungen, Wallfahrten und Sozialprojekte mchen Religion mit allen Sinnen erlebbar.

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Seitenzahl: 529

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Inhaltsverzeichnis
 
Vorwort
Warum ganzheitliche Methoden im Unterricht?
 
Methodische Zugänge
Kapitel 1. - Anwege zu neuen Erfahrungen
1. Ausgleichen
2. Verweilen
3. Einspielen (Zeichen, Rituale, Vereinbarungen)
Voraussetzungen und Hinweise
Kapitel 2. - Stille-Übungen als Rituale zum Stundenbeginn
Die strukturierende Funktion von Ritualen
Der Stundenbeginn
 
Copyright
Vorwort
Haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht auch schon einmal davon geträumt, ein Buch, ein Verzeichnis oder besser noch eine abrufbare Datei zu besitzen, die treffsichere Methoden für jeden unterrichtlichen Schritt im Angebot hat, etwa im Sinne einer Rezeptur »man nehme...«?
Leider - oder besser: Gott sei Dank - gibt es solche Methoden als Selbstläufer nicht. Denn wir haben es im Unterricht mit jungen lebendigen Menschen zu tun, die wir als Subjekte ihrer Lernprozesse ernst nehmen wollen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass nicht alles plan- und machbar ist.
Damit sind wir beim Anliegen dieses Praxisbuches: »Ganzheitliche Methoden« wollen Lernprozesse initiieren bei Schülerinnen und Schülern, wollen diese nicht einfach nur belehren, sondern ihnen Appetit machen, sich einzulassen auf das, was im Religionsunterricht verhandelt wird. Weil christlicher Glaube den Menschen »mit Kopf, Hand und Herz« im Blick hat, muss auch das Angebot umfassend, ganzheitlich sein.
Diese Neuausgabe knüpft an den Band »Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht« an, der 1996 von dem Autorenteam Ludwig Rendle, Lothar Kuld, Ursula Heinemann, Beatrix Moos und Alois Müller herausgegeben worden ist. Dieses Werk hat eine so positive Resonanz gefunden, dass es in den vergangenen zehn Jahren in fünf Auflagen erscheinen konnte. Die große Nachfrage hat den Kösel-Verlag veranlasst, eine Neuausgabe zu initiieren, welche die methodische und religionspädagogische Diskussion der letzten Jahre aufnimmt.
Im Unterschied zur ersten Ausgabe wurde der Umfang der einzelnen methodischen Bereiche wesentlich erweitert, zahlreiche neue ganzheitliche Methoden kamen hinzu. Beibehalten wurde die Grundkonzeption der ersten Ausgabe: Sie zielt darauf ab, nicht nur Methoden oder methodische Arrangements im Sinne eines Rezeptbuches anzubieten, sondern die Lehrerinnen und Lehrer zu einem bewussten und kritischen Umgang mit den einzelnen Methoden zu befähigen. Die Lehrenden sollen in der Lage sein, reflektiert und im Blick auf die Zielgruppe die adäquaten Methoden auszuwählen und einzusetzen.
Diese Arbeit kann einer Lehrerin oder einem Lehrer kein Methodenbuch abnehmen, andererseits kann ein solches Buch aber den Blick weiten auf bisher unbekannte Möglichkeiten und es kann eine wichtige Hilfe bei der Entscheidungsfindung sein: Warum setze ich bei diesem Thema und in dieser Lerngruppe diese oder jene Methode ein? Welche Prozesse kann und will ich damit auslösen, welche nicht? Aus diesem Grunde enthält jeder methodische Bereich eine grundsätzliche Einführung, die diesen reflektierten Umgang unterstützen soll.
Geblieben ist indessen das Dilemma: Eigentlich müssen ganzheitliche Methoden von den Lehrenden selbst erfahren und erprobt werden können, bevor sie eingesetzt werden. Eine Vermittlung »auf dem Papier« bleibt deshalb ein Notbehelf, wenn auch ein notwendiger. Es ist ein erster Schritt, der Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, ermutigen soll zum Ausprobieren und zum Variieren, bis es für Sie und Ihre Klasse passt, bis es zu Ihrer eigenen ganzheitlichen Methode wird.
Danken möchte ich dem Kösel-Verlag, vor allem dem Verlagsleiter Winfried Nonhoff für den Anstoß zu dieser Neuausgabe sowie Margarete Stenger für die kompetente und engagierte Betreuung, ebenso den Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge, die mit ihrer jeweiligen Fachkompetenz wesentlich zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben. Mein Dank gilt auch meiner Sekretärin, Petra Mayr, die sich über ihren Dienst hinaus bei der Erstellung des Buches engagiert hat.
Ich hoffe und wünsche, dass dieses Praxisbuch hilft, den Religionsunterricht lebendiger werden zu lassen, sodass Schülerinnen und Schüler wie Lehrerinnen und Lehrer mit Freude und Gewinn diesen - ganzheitlichen - Religionsunterricht erleben können.
 
Im Advent 2006Ludwig Rendle
Warum ganzheitliche Methoden im Unterricht?
Methoden sind Wege, die zu einem bestimmten Ziel führen sollen. Auf manchen verfehlt man es, auf anderen landet man dort, wohin man unter keinen Umständen hinwollte. »Methoden können nur dann sinnvoll als kleine ›Anregungsvariable‹ (W. Schulz) eingesetzt werden, wenn sie genau auf die Voraussetzungen, Intentionen und Inhalte des geplanten Lernprozesses abgestimmt sind« (Grom, 12).
Im Religionsunterricht besteht ein besonderes methodisches Dilemma darin, dass sich Fragen des Glaubens grundsätzlich dem planenden Zugriff entziehen und demnach angewiesen sind auf methodische Arrangements, welche die Entscheidungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler achten. Weder die Annahme, dass es sich im Religionsunterricht um planbare Prozesse handle und man durch immer genauere Beherrschung der Methoden jedes Scheitern religiöser Erziehung verhindern könne, noch eine Methodenverachtung, die allein auf den Gott der Gnade baut, sind dem Auftrag des Religionsunterrichtes angemessen. Stimmig für die Anbahnung von Glaubensprozessen scheint mir eine Didaktik, die die Schülerinnen und Schüler als glaubende, suchende, fragende oder zweifelnde junge Menschen erst nimmt und sie inspiriert, originelle Zugänge zu finden.
Dies verlangt Methoden im Unterricht, die nicht nur eine Ja-/Nein-Stellungnahme abfordern oder offene Fragen mit endgültigen Aussagen oder Formeln beantworten - und damit zudecken und einen beginnenden Glaubensprozess nicht anstoßen oder anregen, sondern eher blockieren.

Mit Kopf, Herz und Hand

Wenn der christliche Glaube das menschliche Leben in seiner Vielfalt und Buntheit insgesamt prägt, muss sich dies auch im Angebot und in der Aneignung dieses Glaubens widerspiegeln. Dies kann sich deshalb nicht auf die kognitive Dimension allein beschränken, sondern muss den ganzen Menschen mit seinem Körper und seinem Geist, mit seinen Sinnen und seiner Fantasie ernst nehmen und einbeziehen.
Als Kronzeuge einer ganzheitlich orientierten Pädagogik gilt Pestalozzi mit seiner berühmten Trias des Lernens mit Kopf, Hand und Herz. Schon in dieser Dreiheit wird deutlich, dass sich nicht »Herz und Hand« gegen »Kopf« setzen und ausspielen lassen, wie es manchmal versucht wird. Ganzheitliche Methoden sind auch mehr als Aktionismus und Methodenwechsel. Sie nehmen sowohl die Inhalte des Religionsunterrichtes in ihrer Vielfältigkeit (Das Was bestimmt das Wie!) wie auch die Schülerinnen und Schüler als lernende Subjekte ernst. Unter methodischem Gesichtspunkt meint Ganzheitlichkeit die Berücksichtigung möglichst vieler Wahrnehmungsmöglichkeiten bei den Schülerinnen und Schülern. Ein Unterricht ist dann ganzheitlich, wenn er nicht nur die kognitive Rezeptivität anspricht, sondern die Schülerinnen und Schüler auch im Blick auf visuelle, akustische und andere Wahrnehmungsformen fordert, verbunden mit der Einbeziehung der emotionalen und der sozialen Dimension menschlichen Lebens.
Es ist mir bewusst, mit »Ganzheitlichkeit« einen sog. Containerbegriff zu verwenden, der nach einer differenzierten und differenzierenden Abgrenzung verlangt, um falschen Zuordnungen und Assoziationen vorzubeugen. Ohne Zweifel führt der Begriff »Ganzheitlichkeit« ein hohes Maß an »Verheißungspotenzial« (Wächter, 3-5) mit sich, das ihn in eine verdächtige Nähe zu esoterischen Angeboten rücken kann. Mit »ganzheitlich« wird hier weder der Anspruch erhoben, letztlich zu wissen, was die Ganzheit eines Menschen ausmache, noch wird behauptet, diese durch geschickte - eben ganzheitliche - methodische Arrangements erreichen zu können. Entgegen möglicher mit dem Begriff »Ganzheitlichkeit« gegebenen Implikationen im Sinne eines Totalitätsanspruchs darf eine ganzheitliche Pädagogik nicht über Erfahrungen und Einsichten der Schüler bestimmen, denn »jeder Schüler hat das Recht auf Schutz gegen die Zudringlichkeit einer Pädagogik, die seine ganze Individualität formen will« (Tenoth, 170).

Die Schülerinnen und Schüler als Subjekte ernst nehmen

»Setz dich ruhig hin!«, »Spiel nicht herum!«, »Träum nicht so vor dich hin!« Wie oft fühlen wir uns als Lehrerin oder Lehrer gezwungen, die Schülerinnen und Schüler mit diesen Ermahnungen auf eine »ordentliche« Arbeitshaltung hinzuweisen. Für die Schülerinnen und Schüler gehören derartige Hinweise zu ihrem Alltag, die ihnen vermitteln, was im Unterricht nicht gefragt ist, was als störend empfunden wird. Sie wissen, sie können Gedanken bewegen, aber nicht den Körper; sie sollen fantasievoll sein, aber nur beim Aufsatz oder beim Zeichenunterricht; sie können den Körper gebrauchen, aber bitte nur beim Sportunterricht.
Wer Schülerinnen und Schüler als Subjekte ernst nimmt, wird nicht ihre vorhandenen Bedürfnisse unterdrücken, sondern diese produktiv und positiv in die Lernprozesse einbinden - in Körpererfahrungen, in Fantasiereisen, in Interaktionsübungen oder in erfahrendem Spiel. Die Methoden dieses Buches wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, anregen, die oft mit viel Mühe unterdrückten und verdrängten Ressourcen unserer Schülerinnen und Schüler fruchtbar werden zu lassen.
Ganzheitlich unterrichten setzt die »Umkehr zum Schüler« voraus, eine pädagogische Konversion gleichsam: Vom »Stoff« zu seiner Handhabung und Aneignung durch die Schülerinnen und Schüler. Unterrichtsvorbereitung besteht vor allem darin, dass wir uns unsere Schülerinnen und Schüler mit ihren Problemen, ihren Wünschen und ihrer Vitalität vorstellen und dann fragen: Wie kann ich das, was im Lehrplan steht, meinen Schülerinnen und Schülern so übersetzen, dass sie sich wiederfinden können mit ihren Fragen, Erlebnissen und Erfahrungen? Ein solcher Unterricht, der von seinem Selbstverständnis her das Ganze des Lebens zur Sprache bringen will, bezieht auch die Biografie der Schülerinnen und Schüler notwendigerweise mit ein. Er achtet, was ihnen heilig ist: Musik, Turnschuhe, ein Kreuz, ein Brief, eine Freundschaft. Er setzt an diesen Objekten, Orten und Zeiten an, die für Kinder und Jugendlichen bedeutsam sind. Er lässt Zeit, hat Geduld und gibt Raum für eigene Erfahrungen.
Das Ernstnehmen der Schülerinnen und Schüler als Subjekte ergibt sich auch aus den religionspädagogischen und didaktischen Forschungen der letzten Jahre. Die strukturgenetische Forschung legt uns nahe, Kinder und Jugendliche als Konstrukteure und Subjekte ihrer Lebens- und Sinnentwürfe zu betrachten. Religiöses Lernen ist somit als ein Prozess der Aneignung zu verstehen, der von Kindern und Jugendlichen selbst gesteuert und vorangebracht wird, wenn die entsprechenden Lernanlässe gegeben sind. Die Wirksamkeit religiöser Lernprozesse ist abhängig von den Zugangsweisen und Verstehensgrundlagen der Schülerinnen und Schüler. Aus diesem Grund haben aufgedrängte Inhalte und Bedeutungen keine emotionale Tiefenwirkung.

Vertrautmachen mit Formen gelebten Glaubens

Ganzheitlichen Methoden eröffnet sich unter dem Aspekt des postmodernen Traditionsabbruchs eine neue Dimension: Sie beziehen ihre Bedeutung vom einerseits fehlenden, aber andererseits notwendigen Erfahrungsraum von Formen gelebten Glaubens: »Ein Religionsunterricht, der Schülerinnen und Schülern einen verstehenden Zugang zum Glauben eröffnen will, kann sich nicht mit der Vermittlung von Glaubenswissen begnügen. Er wird vielmehr die Schülerinnen und Schüler auch mit Formen gelebten Glaubens bekannt machen und ihnen eigene Erfahrungen mit Glauben und Kirche ermöglichen. Ohne ein zumindest ansatzweises Vertrautmachen mit Vollzugsformen des Glaubens wird eine unterrichtliche Einführung in die Wissensformen des Glaubens ohne nachhaltige Wirkung bleiben« (Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, 24). Diese von den deutschen Bischöfen geforderte stärkere Erfahrungsorientierung religiösen Lernens verlangt einen Religionsunterricht, dessen Lernwege im Wesentlichen ganzheitlich angelegt sein dürften. Vor dem Hintergrund der beschriebenen veränderten Ausgangslage eines modernen Religionsunterrichts bietet das Konzept eines »performativen Religionsunterrichts« einen Rahmen für die neuen Herausforderungen. Ganzheitliche Methoden werden sicher in einem solchen performativen Religionsunterricht verortet sein, doch sind ihre Einsatzmöglichkeiten bei allen Affinitäten wesentlich umfassender.
In der Diskussion über die veränderte Profilierung religiösen Lernens wird zugleich eine Bestätigung des Ansatzes der »Ganzheitlichen Methoden« deutlich. Die entfaltenden Themen und Bereiche ganzheitlichen Lernens zielen auf Verfahren, die Schülerinnen und Schülern zu neuen Erfahrungen motivieren und befähigen. Das, was früher die Schülerinnen und Schüler häufig als religiöse Erfahrung von Elternhaus und Gemeinde mitbrachten, muss jetzt neu im Religionsunterricht selber inszeniert werden: »Religion wird durch Verkörperungen von Lebens- und Glaubenshaltung leiblich. Dabei kommt es sowohl auf Veräußerlichungen an als auch auf Verinnerlichungen, auf Einstellungen, Haltungen und Positionen im leibräumlichen Sinne. In der Szenerie des Unterrichts machen Inszenierungen möglich, religiöse Situationen, Grenzgänge in probeweisen Rollenübernahmen und Positionen zu verkörpern. Die Frage nach Glauben begibt sich damit auf einen pädagogischen Weg, Einsicht und Überzeugungen und Einüben in religiöses Ver-Halten kritisch zu beziehen und leiblich zu re-flektieren« (Leonhard, 191).
Die konkrete Ausgestaltung, wie das Vertrautmachen mit Formen gelebten Glaubens geschehen kann, wird in der Religionspädagogik der nächsten Jahre eine wichtige Aufgabe sein (vgl. Rendle 2006). Konsens besteht im Abschied von einem ausschließlich kognitiven Reflexionsmodell von Religionsunterricht, da es eine religiöse Sozialisation voraussetzt, mit der Schülerinnen und Schüler zumindest ansatzweise über Erfahrungen mit religiösen und kirchlichen Vollzügen verfügten.
Diese nun vorgeschlagene Inszenierung von religiösen Erfahrungen und Angeboten zur Anbahnung von Glaubenserfahrungen wird nicht ohne ganzheitliche Formen möglich sein. Auf diese Weise erhalten ganzheitliche Methoden angesichts der gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussion eine neue Aktualität und Legitimation. Sie bleiben nicht länger eine Vorliebe einiger »ganzheitlich-bewegter« Religionslehrerinnen und -lehrer, sondern konstituieren einen notwendig erfahrungsbezogenen Religionsunterricht.
 
 
 
Literatur
Die deutschen Bischöfe, Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn 2005.
Grom, Bernhard, Methoden für Religionsunterricht, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, Düsseldorf 1976.
Leonhard, Silke, »Bei Leibe: Religion zu Wort kommen lassen«, in: Silke Leonhard/Thomas Klie (Hrsg.), Schauplatz Religion. Grundzüge einer performativen Religionspädagogik, Leipzig 2003.
Rendle, Ludwig (Hrsg.), »Mehr als reden über Religion...«. 1. Arbeitsforum für Religionspädagogik, Donauwörth 2006.
Tenoth, Heinz Elmar, »Alles zu lehren«, Darmstadt 1994.
Wächter, Jörg Dieter, Das Ganze ist das Totale. Kritische Anmerkungen zu »Ganzheitlichen Konzepten«, in: Religion unterrichten. Informationen für Religionslehrerinnen und -lehrer im Bistum Hildesheim, 2005.
Sieben Grundregeln für den Umgang mit ganzheitlichen Methoden
1. Ganzheitlichkeit ist mehr als Aktionismus und Methodenwechsel - das »Was« bedingt das »Wie«, das heißt: Welche Methode ist dem Inhalt angemessen?
2. Ganzheitliche Methoden lassen sich nicht mit Druck gegen den Willen einer Klasse durchsetzen - üben Sie deshalb keinen Zwang aus, und haben Sie Geduld, bis die Schülerinnen und Schüler sich freiwillig auf Ihr Angebot einlassen.
3. Ganzheitliche Methoden dürfen nicht als gelegentlicher Gag oder als Belohnung bemüht werden zusätzlich zum ansonsten kognitiv verlaufenden Unterricht. Sie sind durchgängiges Unterrichtsprinzip und müssen behutsam und schrittweise eingeübt werden.
4. Ganzheitliche Methoden brauchen Zeit - sie sind einer »Hochgeschwindigkeitsdidaktik« entgegengesetzt und verlangen nach einer Verlangsamung der Lernprozesse.
5. In einem ganzheitlichen Religionsunterricht sind die Schülerinnen und Schüler Subjekte - stellen Sie keine Normen auf, welche »Ergebnisse« jeweils erzielt werden müssen, d. h. welche Gefühle Schülerinnen und Schüler zum Beispiel bei einer bestimmten Übung haben sollen usw.
6. Ganzheitliche Methoden müssen selber erfahren worden sein - machen Sie deshalb keine Übungen, die Sie selbst vorher nicht ausprobiert und erfahren haben. Nur auf diese Weise können Sie mögliche Wirkungen und Gefahren entsprechend einschätzen. Dies gilt vor allem dort, wo die Bewusstseinskontrolle reduziert ist, wie z. B. bei Fantasieübungen. Fragen Sie sich deshalb immer, wie gut Sie Ihre Schülerinnen und Schüler kennen, was Ihnen vertraut ist und wie weit Ihre Kompetenz reicht. Ganzheitliche Formen, die mehr Übung voraussetzen, sind in diesem Buch jeweils eigens beschrieben. Beachten Sie die Hinweise bei den einzelnen Kapiteln!
7. Ganzheitliche Methoden können als heilvoll erfahren werden und die Schüler zur Selbsterfahrung heranführen - sie sind keine therapeutische Selbsterfahrung. Hüten Sie sich deshalb vor allem »therapeutelnden« Tun, respektieren Sie Ihre Grenzen, und gehen Sie behutsam und achtsam damit um!
Methodische Zugänge
1.
Anwege zu neuen Erfahrungen
Beatrix Moos
 
 
Sie kennen das: Ohne Übergang von einer Arbeit in die andere stolpern, von Klasse zu Klasse hetzen, von Gespräch zu Gespräch, von Mensch zu Mensch. Da gelingt es kaum, »ganz bei der Sache« zu sein. Ganz bei der Sache, das meint im Hier sein und nicht woanders, das meint im Jetzt sein und nicht beim Vorher oder Nachher, das meint bei sich sein und nicht außer sich.
Vielleicht aber haben Sie sich - wenigstens ansatzweise - einen zuträglicheren Lebens- und Arbeitsstil angewöhnt: Sie beenden eine Tätigkeit bewusst, räumen auf, reagieren sich ab - vielleicht lautstark und auch körperlich -, schalten eine Verschnaufpause dazwischen und machen sich bereit für eine neue Aufgabe, der Sie sich äußerlich und innerlich zuwenden. Unser Körper ist deutlich darauf angelegt, dass er immer einen Übergang schafft: zwischen Gehen und Sitzen das Stehenbleiben und Sich-Niederlassen, zwischen Schlafen und Aufstehen das Strecken, Dehnen, Gähnen usw. Und für einen guten Schlaf ist es zuträglich, nicht bis zum Zubettgehen zu arbeiten, sondern ein »Dazwischen« einzuschieben, einen Spaziergang, ein Zusammensitzen, eine entspannende Lektüre oder Ähnliches. Möglicherweise haben Sie sich bestimmte Formen angeeignet, wie Sie etwas abschließen, etwas anderes beginnen - und wie Sie das »Dazwischen« gestalten, also Rituale, die Ihnen helfen, aufmerksam und gesammelt im Hier und Jetzt zu sein.
Kindern und Jugendlichen geht es nicht anders. Sie brauchen Zeit, Raum und Hilfen für diesen Übergang, damit sie ankommen können am Ort neuer Begegnungen, Lerninhalte und Erfahrungen. Die methodischen Anregungen dieses Kapitels wollen die Schülerinnen und Schüler dort abholen, wo sie in aktueller Situation gerade sind. Sie wollen eine Brücke bauen von dem, was hinter ihnen liegt, zu dem, worauf sie möglicherweise zugehen können, eine Brücke, die ein Innehalten, Aus- und Aufatmen, Kraftschöpfen, Verweilen ermöglicht - und dies ohne von außen kommende Disziplinierung. Selbst in oder gerade vor Stunden, in denen es vorwiegend um Wissensvermittlung geht, kann eine solche Übung die Klasse wacher und bereiter machen.
 
Für Sie persönlich:
• Erinnern Sie sich daran, wie Sie gewöhnlich dieses »Dazwischen« konkretisieren. Was tut Ihnen gut? Was hat sich für Sie bewährt? Was möchten Sie eigentlich in dieser Hinsicht viel öfter »dazwischen«-schalten?
• Erinnern Sie sich daran, was die Klassen, die Sie derzeit unterrichten, beim Stundenwechsel tun oder tun wollen. Inwieweit werden die gezeigten oder geäußerten Bedürfnisse der Klasse - bei allen individuellen Unterschieden - vom vorausgehenden Unterricht beeinflusst: nach Konzentration das Bedürfnis nach Bewegung, nach Einzelarbeit das Bedürfnis nach Austausch, nach einem Störfall das Bedürfnis nach Abreaktion, nach Anspannung das Bedürfnis nach Entspannung... Wo und wie wird den Schülerinnen und Schülern wenigstens ansatzweise Raum für dieses »Dazwischen« gegeben? Oder wird es übersprungen durch die Leistungsanforderungen der nächsten Unterrichtsstunde? Verärgerung und Unbehagen auf beiden Seiten können ein Signal dafür sein, dass dieses »Dazwischen« unter den Tisch fiel. Vielleicht erinnern Sie sich an solche für alle Beteiligten unliebsamen Störungen, die, wenn sie in ihren Ursachen und Wirkungen erkannt und teilnehmend benannt werden, zum produktiven Energiefeld werden können. Eine bis drei Minuten, für dieses »Dazwischen« investiert, verbessern die Interaktion und das Lernklima spürbar.
Wo immer ein bewusstes Beenden, Verweilen, Sich-neu-Orientieren gepflegt wird, werden geglückte Methoden gern wiederholt. So bilden sich allmählich Rituale aus, die keiner Erklärung und Überlegung mehr bedürfen, die entlasten und das Wir-Gefühl stärken. Wenn Sie sich solche Übergänge in Erinnerung rufen, entdecken Sie vielleicht Formen, die Sie bereits praktiziert haben. Im Folgenden seien einige erprobte Beispiele genannt:
1. Übungen, die punktuell eingesetzt werden können, die situationsbedingt sind und die schwerpunktmäßig darauf abzielen, einen Ausgleich zu bewirken.
2. Übungen, die der kontinuierlichen Einübung dienen, und zwar der Fähigkeit zum Verweilen, Innehalten und Stillwerden.
3. Beispiele für Rituale, Zeichen, Vereinbarungen.
Die Einteilung der Beispiele ist nicht starr zu verstehen, die Übergänge zwischen Nr. 1, 2 und 3 sind fließend, Kombinationen bieten sich an. Ehe Sie allerdings irgendeine der folgenden Anregungen einsetzen, sollten Sie unbedingt die Voraussetzungen und Hinweise S. 34 lesen.

1. Ausgleichen

Grundsätzlich gilt: Vor jeder Übung muss das verbale Signal gegeben werden, dass die Lehrkraft die Befindlichkeit der Klasse bejahend und bestätigend wahrgenommen hat. Andeutungen einer solchen emotionalen Kontaktaufnahme finden sich jeweils beim »Einladungssatz«, der je nach Situation variiert werden kann und die Schülerinnen und Schüler direkt ansprechen soll.

Atempause

Einladungssatz: »Heute habt ihr schon vier Stunden am Stück arbeiten und euch konzentrieren müssen. Jetzt habt ihr eine Verschnaufpause verdient.«
 
Bei dieser Übung Fenster öffnen. In beliebiger Haltung wiederholt hörbar und möglichst ganz ausatmen. »Nimm in dieses Ausatmen alles mit, was du jetzt loswerden möchtest, was du gerade nicht mehr brauchen kannst: Müdesein, Anspannung, persönlicher Ärger, Gedanken, die dich plagen, Gefühle, die dich beeinträchtigen.
Lass so viel frische Luft wieder ein, wie Platz hat - ohne zu pressen und zu pumpen! Je mehr Altes du ausatmest, desto mehr Neues hat Platz.«
 
Mögliche Fortführung und Variation:
»Nach dem Ausatmen entsteht eine kleine Pause, bevor der neue Atem kommt. Spüre diesen Augenblick der Ruhe in dir! Vielleicht kannst du dich darin für einen winzigen Augenblick niederlassen, gleichsam hineinsetzen.
Wenn keine Atemluft mehr in dir ist, geschieht das Einatmen ganz von selbst. Schau deinem Atem aufmerksam zu!«

Sich ausschütteln

Einladungssatz: »Manches wollen wir loswerden: was uns belastet, was lästig ist, was uns im Nacken sitzt, was auf unseren Schultern lastet. All das wollen wir jetzt wegschütteln.«
 
Im Stehen zuerst die Hände ausschütteln, dann die Arme, Schultern, Beine usw., allmählich den ganzen Körper einbeziehen. Atmen dabei nicht vergessen! Das Ausatmen kann sich hörbar an den Schüttelbewegungen beteiligen. Jede/r bewegt sich so, wie es der eigene Körper will - langsam oder schnell - rhythmisch oder mit Intervallen - stehend oder hüpfend oder wie auch immer. Trommelmusik kann das Schütteln unterstützen. Die Übung nicht abrupt, sondern allmählich ausklingen lassen im Durchatmen und Nachspüren und Sich-wieder-Setzen.

Bei sich anklopfen

Einladungssatz: »Alle Glieder, die müde, lahm und schwer geworden sind vom Schreiben, Hören, Sitzen, Denken wollen wir wachklopfen.«
 
Aus lockerem Handgelenk heraus leicht auf die Körperteile klopfen, die geweckt und belebt werden sollen: Arme, Schultern, Nacken, Brustraum, Beine. Dazwischen die Hände immer wieder lockern und ausruhen lassen. Sich nicht »schlagen«, sondern liebevoll, aber bestimmt, aus Müdigkeit und Schlaffheit wecken.

Kurzschlaf

Einladungssatz: »Wenn man so angestrengt gearbeitet hat, wenn der Kopf so viel denken, die Hände so viel schreiben mussten, dann hat man einen kleinen Schlaf verdient.«
 
Die Kinder legen Arme und Kopf auf ihren Tischplatz und ruhen sich aus. Sie »schlafen«, bis sie »geweckt« werden. Dieses Wecken ist jedes Mal eine Überraschung, die neugierig erwartet wird: Musik, eine gesummte Melodie, ein Klang auf einem Instrument, ein auffallendes Geräusch (Wecker, aufgedrehter Wasserhahn, hüpfender Ball...) usw.
Das »Aufwachen« kann jedes Kind selbst gestalten (strecken, dehnen, laut gähnen, hörbar ausatmen...). Ein freundlicher Aufwachgruß leitet über zu neuem Tun.

Augenkur

Einladungssatz: »Ihr müsst den ganzen Vormittag viel und genau schauen; Tabellen, Kurven, Vokabeln, Noten... Eure Augen brauchen dazwischen eine Regeneration.«
 
Nach dem Absetzen der Brillen die Handinnenflächen aneinanderreiben, bis sie ganz warm und durchblutet sind, sie dann wie eine gewölbte Schale über die Augen legen, ohne sie zu berühren. In dieser warmen Höhle können die Augen ausruhen, abwechselnd geschlossen und geöffnet. Die Lebendigkeit der Hände strömt auf die Augen über. Nach der Ruhepause werden die Finger ganz langsam gespreizt. Immer mehr Licht fällt auf die Augen. Die Hände verabschieden sich. Die Augenlider gehen einige Male rasch auf und zu. Achte darauf, wie deine Augen sich jetzt umschauen mögen!

Ausruhen wie ein Droschkenkutscher

Einladungssatz: »Immerzu sitzen ist anstrengend. Schulmöbel sind nicht gerade ideale Sitzgelegenheiten. Abwechslung im Sitzen tut not. Die berühmte gute Haltung kann auch schädlich sein.«
 
Im Sitzen die Füße fest und möglichst breit auf den Boden stellen. Ellbogen und Unterarme stützen sich auf die Oberschenkel. Der Oberkörper beugt sich dabei weit vor. Der Kopf darf hängen, wie er will, und mit ihm Wangen, Lippen, Nase, Stirne... Nach der Ruhepause richtet sich der Rücken aus der Kraft der Wirbelsäule ganz langsam wieder auf, Wirbel für Wirbel. Zuletzt hebt sich der Kopf. Kopf und Schultern bewegen sich, wie sie wollen.
Ich schaue mich um. Ich bin da - auf meinem Platz.
 
Variation: Hochkommen durch den Einsatz der Arme und Hände.

Abstreifen

Einladungssatz: »Manchmal möchten wir am liebsten aus der Haut fahren, uns wie eine Schlange die alte Haut abstreifen.«
 
Im Stehen die Hände rasch fest aneinanderreiben. In den warmen Händen das Gesicht bergen oder baden. Vom Gesicht aus streifen die Hände kraftvoll am Körper von oben nach unten, wie Wasser einer warmen Dusche. Die Hände ausschütteln und den Vorgang beliebig oft wiederholen.

Das Gesicht ausstreichen

Einladungssatz: »Immer wieder müssen wir gute Miene zum bösen Spiel machen, freundlich schauen, obwohl wir lieber zornig wären. Jetzt tun wir unserem Gesicht etwas Gutes und spüren, was es gerne mag.«
 
Mit den Händen die Stirne nach beiden Seiten hin ausstreichen - möglichst bei geschlossenen Augen. Diese Bewegung mehrmals wiederholen, kräftig, leicht, nur mit den Fingerspitzen, mit den Fingernägeln usw. Spüren, was der Stirn wohltut, zwischendurch die Hände ausschütteln. Auf gleiche Weise jeweils zur Seite hin ausstreichen:
• Nasenbein, Augendeckel, Jochbein
• Nasenrücken, Mundwinkel, Oberkiefer
• Unterlippe, Kinn, Unterkiefer
Die Augen noch kurze Zeit geschlossen halten und spüren, wie sich das Gesicht jetzt anfühlt.

Progressive Muskelentspannung (nach Jacobson)

Einladungssatz: »›Entspannt euch!‹ - das ist leicht gesagt, aber häufig will es uns gar nicht gelingen. Oft sind wir angespannt oder gar verkrampft, vor allem im Schulterbereich. Die folgende Übung kann euch helfen, durch eine rasche Folge von extremer Anspannung und mehrmaligem Loslassen das Gefühl der Wohlspannung kennenzulernen.«
 
Schließe beide Hände fest zur Faust. Beuge deine Arme und straffe deine Hand- und Armmuskeln, so fest du kannst. Halte diese Spannung ca. 5-7 Sekunden. Atme aus und lass dabei deine Arme und Hände auf die Oberschenkel fallen. Bei den nächsten Atemzügen lass im Ausatmen deine Hände und Arme noch weiter sinken. Achte darauf, wie du Arme und Hände jetzt spüren kannst.
Zieh deine Schultern hoch, bis du die Muskelspannung deutlich spürst. Halte sie 5-7 Sekunden aus. Atme aus und lass dabei deine Schultern los - bei den folgenden Atemzügen noch weiter...
Diese Übung kann abwechselnd an verschiedenen Muskelgruppen durchgeführt werden: Mundpartie, Schulterblätter, Bauchmuskeln, Ober- und Unterschenkel, Gesäß, Füße.

Alle viere gerade sein lassen

Einladungssatz: »Man kann nicht immer Haltung bewahren, nicht immer so sitzen, wie man in der Öffentlichkeit sitzt. Zu Hause sitzen wir meist ganz anders. Und auch hier dürfen wir es jetzt einmal.«
 
Sich auf den Stuhl »flegeln«, d. h. sich so hinsetzen, wie es gerade guttut. Das kann heißen: die Beine ausstrecken, die Arme baumeln, den Kopf sinken lassen... Dem Körper mehr trauen als den Befehlen. Der Körper weiß, was er jetzt braucht. Kräftig und hörbar ausatmen. Abwechselnd können einmal besonders die Hände wahrgenommen werden, einmal die Arme, die Schultern, der Rücken, die Beine... Zum Schluss sich dehnen, durchstrecken, gähnen, sich aufrichten, hinstellen und wieder hinsetzen, die Füße fest auf den Boden stellen, die Augen öffnen, da sein.

Energie aus dem Boden holen

Einladungssatz: »Vielleicht schlafen euch manchmal vor lauter Sitzen die Füße ein. Ihr wollt auch mal auftreten und merken, dass ihr nicht nur Sitzfleisch, sondern auch Stehvermögen habt.«
 
Zuerst im Stehen die Festigkeit des Bodens mit den Füßen erspüren, dann - wenn es die Raumverhältnisse zulassen - immer fester auftreten, wippen, hüpfen, stampfen und dabei erfahren: Der Boden hält mich aus. Ich kann mich auf ihm in vielerlei Weise bewegen. Ich kann mich von ihm abstoßen, mir aus dem Boden neue Energie holen.
Leopold Sedar Senghor sagte einmal: »Wir sind die Menschen des Tanzes, deren Füße Kraft bekommen, wenn sie am Boden stampfen.«
 
Erweitern Sie das Repertoire solcher Ausgleichsübungen mithilfe von Ideen aus Ihren Klassen.

2. Verweilen

Für Sie persönlich:

Was machen Sie, wenn Sie zur Ruhe kommen wollen? Erinnern Sie sich ganz konkret an Orte, die Sie aufsuchen, Körperhaltungen, die Sie bevorzugen, Gegenstände, die Sie zu Hilfe nehmen, Aktivitäten, die Sie beruhigen. Es ist möglich, dass Sie gerade dann die innere Unruhe spüren, wenn Sie sich zur Ruhe zwingen. Vielleicht finden Sie eher zu sich selbst und zur Stille, wenn Sie sich bewegen oder in irgendeiner Weise aktiv sind, etwa musizieren, gehen, tanzen, stricken, spielen...
 
Wie werden Klassen üblicherweise zur Ruhe gebracht? »Psst!« - »Ruhe!« -»Seid doch endlich einmal still!« - Händeklatschen? Der Erfolg solcher Disziplinierung lässt meist zu wünschen übrig. Stille - oder besser gesagt »Verweilen« - ist eine unabdingbare Voraussetzung für jede neue Begegnung und Erfahrung. Die Fähigkeit zum Verweilen kann aber weder vorausgesetzt noch eingefordert werden. Sie muss erlernt, geübt werden in ganz kleinen Schritten.
Übungen des Hörens
Für den Anfang bieten sich vor allem Übungen des Hörens an. Hören kann ich nur, wenn ich selbst still, das heißt nicht mit anderem beschäftigt bin. Hören konzentriert die Aufmerksamkeit aller auf das Gleiche. Hören geschieht umso intensiver, je mehr die anderen Sinne, vor allem die Augen, unbeteiligt sind.

Einem Klang nachlauschen

Die Schülerinnen und Schüler schließen oder senken die Augen. Sie stellen sich auf den Ton ein, den sie jetzt hören werden. Auf einer Triangel, einer Klangschale, einem Gong o.Ä. wird ein Ton angeschlagen. Alle lauschen dem Klang nach, solange sie ihn wahrnehmen können. Erst wenn sie gar nichts mehr hören, blicken sie auf. Ganz von selbst bleibt die Stille noch längere Zeit erhalten.
Diese Übung eignet sich für Erstversuche auf diesem Gebiet. Spontane Reaktionen einer neu übernommenen, sehr unruhigen 5. Klasse: »So still ist es hier noch nie gewesen.« - »Die Ruhe tut mal richtig gut.« - »Das sollten wir öfter machen.«

Leise Geräusche erraten

Alle schließen die Augen. Jemand beginnt mit einem leisen Geräusch, z. B. Hände reiben, mit den Fingern schnippen, mit den Füßen scharren o.Ä. Wer hören kann, um welches Geräusch es sich handelt, macht die gleiche Bewegung mit und öffnet zur eigenen Kontrolle die Augen. Dieses spielerische Tun kann beliebig oft wiederholt werden.

Variationen:

Jemand geht leise durch den Raum. Die anderen wenden den Kopf dorthin, wo sie die Bewegung wahrnehmen, oder zeigen in diese Richtung.
Für jüngere Kinder, denen das Schließen der Augen Mühe macht, wird das Geräusch verdeckt hinter einem Vorhang, einem Regal oder einer Schranktüre aufgeführt. Wer es benennen kann, darf seinerseits ein Geräusch machen und es erraten lassen.

Auf den eigenen Namen lauschen

Schließt oder verdeckt eure Augen. Versucht, so ruhig zu werden, dass ihr das Ticken der Wanduhr, das Summen der Neonröhren usw. hören könnt!
Ich werde jetzt an eine/n von euch denken. Wenn du ganz aufmerksam in die Stille horchst, wirst du merken, dass ich dich meine. Zum Zeichen, dass du mich verstanden hast, schau zu mir her! Nacheinander - mit Pausen - werden die Namen der Einzelnen geflüstert, u.U. auch wiederholt, bis das Kind wirklich aufschaut. Wichtig ist der ganz persönliche Blickkontakt, der Zuwendung und Bejahung ausdrückt. Selbstverständlich darf niemand vergessen werden. Die Reihenfolge sollte von Mal zu Mal wechseln.
Was bei dieser Übung an Beziehung geschieht, braucht zwar nicht kommentiert zu werden, aber Kinder möchten meist erzählen, was sie dabei erlebt haben. Für viele biblische Themen (z. B. Berufungsgeschichten) wird dieses Erleben die Erfahrungsgrundlage sein.

Variation: Flüsterkette (riskantere Übung)

Wer seinen Namen vernommen hat, flüstert nun seinerseits den Namen eines anderen Kindes, und so weiter, bis alle genannt sind. Kinder, die leicht vergessen werden, sollten am Anfang von der/dem Anleitenden genannt werden.

Auf Empfang einstellen

Diese Übung ist besonders geeignet vor einer Darbietung, um die Konzentration und Aufmerksamkeit zu schärfen: Setzt euch auf eurem Platz zurecht, nehmt eine Haltung ein, in der ihr drei Minuten bleiben könnt. Stellt die Füße fest auf den Boden. Schließt oder senkt eure Augen. Spürt, wie ihr eure Hände und Arme halten oder legen wollt. Atmet ein paarmal ganz tief aus und ein. Lasst dann den Atem gehen und kommen, wie er will. Spürt zu euren Ohren hin. Lasst sie groß und weit werden. Sie warten auf das, was sie jetzt zu hören bekommen. Wie zwei Antennen sind sie ganz auf Empfang eingestellt.

Mit den Ohren sehen

In der Mitte steht eine große Schale mit Wasser. Jeweils ein Kind bewegt das Wasser (z. B. plätschern, gießen, tropfen...). Die anderen hören mit geschlossenen oder verdeckten Augen auf diese Wassergeräusche und lassen Bilder, Erinnerungen, Assoziationen in sich aufsteigen, die sie einander mitteilen, z. B. ich höre Regentropfen, schmelzendes Eis usw.

Variationen:

Auch unterschiedliche Geräusche mit Körnern, Kastanien, Blättern, Steinen usw. wecken Bilder.
Übungen des Sehens
Übungen des Sehens scheinen vordergründig einfacher zu sein als solche des Hörens, verlangen aber mehr an Konzentrationsfähigkeit. Die rasch wechselnde Bilderflut, der wir pausenlos ausgesetzt sind, bewirkt flüchtiges, ungenaues, oberflächliches Sehen, ein selektives Sehen, das interessengesteuert ist und vor allem auf starke Reize reagiert. Unscheinbares, Alltägliches, Selbstverständliches wird oft ausgeblendet.
Schauen will gelernt sein: das Verweilen des Blicks, das Eingrenzen des Vielen auf das Wenige, das Entdecken von Übersehenem, das Durchdringen der Oberfläche zum Geheimnis der Dinge hin, das Sehen mit »neuen« Augen, mit den »inneren« Augen.

Kleine Veränderungen entdecken

Verschiedene Gegenstände oder Naturdinge, die in einer Schale liegen, werden von den Schülerinnen und Schülern einige Minuten genau betrachtet, dann zugedeckt oder weggestellt. Nun wird - verdeckt - ein einziger Gegenstand weggenommen oder ausgetauscht, dazugelegt oder anders platziert. Wer entdeckt die Veränderung?

Variationen:

1. Zwei bis vier Kinder sitzen oder stehen so, dass sie von den anderen gut gesehen werden können. Nach ca. einer Minute drehen sich die Beobachtenden um, und jede/r der Beobachteten verändert in diesem Augenblick eine einzige Kleinigkeit an sich, etwa einen Knopf schließen oder öffnen, die Haare aus dem Gesicht streichen, sich zurücklehnen, das Halstuch anders falten. Diese kleinen Veränderungen gilt es zu entdecken.
2. Veränderungen im Klassenzimmer entdecken: z. B. ein anderes Bild, einen zusätzlichen Gegenstand, der möglicherweise mit dem Unterrichtsthema zu tun hat.

Wunder entdecken

»Wer Wunder entdecken will, kann überall damit anfangen« (Henri Matisse). - Der erste Schnee des Jahres fiel, und die Aufmerksamkeit einer 4. Klasse war dahin. Warum nicht das Thema aufgreifen, das sich uns geradezu aufdrängte? Wir gingen an die Fenster, öffneten sie, schauten dem Tanz der Flocken zu, ließen sie auf der Haut schmelzen, betrachteten ihre Formen auf dunkler Kleidung. Großes Erstaunen: Jede Flocke weist die Kristallstruktur auf, jede bildet ein Sechseck-Mandala, und doch gleicht keine der anderen. Dieses Wunder bildeten die Schülerinnen und Schüler in von ihnen selbst gezeichneten und gemalten Schneeflocken-Mandalas nach.
Angeregt durch dieses Erlebnis entdeckten unsere Augen immer wieder neue Wunder: Wolkengebilde, Tanz der vom Wind bewegten Bäume, Regentropfen an den Fensterscheiben, Eisblumen, ein Stückchen Wiese, das Wachsen und Blühen einer Zimmerpflanze.

Mit Bildern sprechen

Aus ausgelegten Kalenderbildern oder Fotos wählen sich die Schülerinnen und Schüler eines aus, das sie besonders anspricht. Je nach Unterrichtsthematik kann auch unter einem bestimmten Gesichtspunkt gewählt werden.
Leg dein Bild vor dich hin und schau es an! Die Bilder der anderen sind jetzt noch nicht wichtig für dich. Sei ganz bei deinem Bild! (Stille oder leise Musik.)
Vor mir liegt ein Bild - mein Bild. Meine Augen wandern auf ihm. Ich lasse sie irgendwo auf meinem Bild zu Ruhe kommen. Ich muss nichts Bestimmtes sehen, denken, beschreiben, analysieren - nur schauen. Ich bin ganz bei meinem Bild. Ich bin mitten in meinem Bild. Ich schaue es an. Es schaut mich an. Es beginnt für mich zu leben. Es beginnt für mich zu reden. Vielleicht rede auch ich mit meinem Bild.

Sich erinnern, was du sehen lässt

Im Kreis sitzend legt jede/r einen Gegenstand vor sich hin, und zwar einen, den man bei sich trägt oder in der Tasche hat, ein Stück der Kleidung oder des Schmuckes. Wenn alle diese Dinge eingehend anschauen konnten, nimmt jede/r den eigenen Gegenstand wieder zu sich. Die Schülerinnen und Schüler versuchen, sich zu erinnern, was vor den Einzelnen gelegen hat. Zum Vergleich können die Gegenstände noch einmal gezeigt werden.

Mit geschlossenen Augen sehen

Ein Gegenstand oder ein Bild wird eingehend und intensiv angeschaut.
Schließ jetzt deine Augen! Lass das, was du vor dir gesehen hast, als Bild in dir entstehen! Was draußen war, ist jetzt drinnen, in deiner Vorstellung. Nach einiger Zeit wirst du das Drinnen mit dem Draußen vergleichen. Es kommt aber nicht darauf an, dass du wie bei einer Fotografie alle Einzelheiten in deinem Gedächtnis abgelichtet hast. Was für dich wichtig und bedeutsam ist, kannst du sicher mit deinem inneren Auge wahrnehmen, vielleicht so, wie ein Maler es ausdrücken würde.
Auf ähnliche Weise können auch Situationen, Erlebnisse, Geschichten, Stimmungen, Menschen er-inner-t werden: Bilder aufsteigen lassen, Empfindungen und Berührungen, Geräusche und Gerüche, Gefühle und Gedanken.
Kinder haben Gedanken und Gespräche mit ihren Bildern aufgeschrieben:
Bergsee
Du stilles Wasser treibst einsam an dein Ufer, so wie es dir gefällt. Deine Bäume ruhen nahe bei dir. Die Berge sind hoch über dir, die Wiesen vor dir sind saftig und grün. Wie die Sträucher wachsen, so wächst der See. Sonderschüler, 11 Jahre
 
 
Schiff auf dem Wasser
Du kleiner Kahn segelst über das stille Wasser und betrachtest dein Spiegelbild. Du kleiner Kahn, du fährst dem glühenden Abendrot entgegen. Grundschülerin, 9 Jahre
 
 
Rehe im Wald (zu einem Bild von Franz Marc)
Auf einer Lichtung im Wald knien Rehe im Gras und warten Sie knien und warten still auf den Tod der Sonne auf der Sonne blutrotes Versinken im Nichts und auf des Silbermondes lautlose Geburt Sie warten geduldig auf ihre Zeit Ihre Ohren sind gespitzt die Lichter aufgerissen die Beine gespannt alles lauscht Auf einer Lichtung im Wald knien Rehe im Gras und warten Gymnasiastin, 12 Jahre
Übungen des Spürens
Die Übungen des Fühlens und Spürens helfen in besonderer Weise, zu sich selbst und damit zur Ruhe zu kommen, zumal sie tunlichst mit geschlossenen Augen durchgeführt werden. Bei diesen Übungen ist es besonders wichtig, keine einengenden Impulse zu geben, die auf ein bestimmtes Gefühl abzielen. Es sollten immer mehrere Möglichkeiten genannt werden, auch die, dass jemand einmal gar nichts spürt. Für den Anfang wählt man am besten Übungen, bei denen etwas Greifbares zu spüren ist, zuerst im Kontakt mit den Dingen, dann auch mit anderen Menschen und mit dem eigenen Körper.

Wahrnehmen mit geschlossenen Augen

Es werden kleine Gruppen zu vier bis fünf Personen gebildet, die im Kreis sitzen. Sie schließen die Augen. Die Lehrkraft gibt nach und nach jeder/m irgendeinen Gegenstand unterschiedlicher Art.
Halte deine Hände auf! Ich werde dir jetzt einen Gegenstand geben. Wenn du ihn nicht direkt in die Hände bekommen möchtest, dann zeige mit deiner Hand, wo ich ihn hinlegen soll. (Menschen, die schlechte Erfahrungen mit dem gemacht haben, mit dem, was sie von den Eltern bekommen haben, können sonst leicht in einen Panik-Zustand geraten.) Lass dich überraschen! Schau den Gegenstand nicht an. Lerne ihn mit den Händen kennen - von allen Seiten. Erfühle sein Gewicht, seine Oberfläche, seine Temperatur, seine Form, seine Beschaffenheit. Nimm ihn auch mit deinen anderen Sinnen wahr (hören, riechen) - nur nicht mit den Augen. (Viel Zeit lassen!)
Nimm Abschied von deinem Gegenstand. Stelle dich darauf ein, dass du ihn nach rechts weitergeben wirst.
Nun hast du etwas anderes in deiner Hand. Du merkst Unterschiede. Lerne das Neue kennen - mit den Händen - mit den Ohren - mit der Nase. Lass dir Zeit dazu. Die Farbe kannst du nicht erfühlen. Vielleicht aber stellst du sie dir vor. Probiere aus, was du mit dem Gegenstand noch tun kannst. Gib ihn nach rechts weiter, und zwar auf eine Weise, wie sie deinen Vorstellungen von dem Gegenstand entspricht!
Wenn alle Gegenstände im Kreis reihum gereicht worden sind, können die Augen überprüfen, was die anderen Sinne wahrgenommen haben. Was bleibt zu ergänzen? Was können die Augen nicht wahrnehmen? Die Nachbarinnen und Nachbarn verständigen sich anschließend darüber, wie sie das Geben und Empfangen empfunden haben.

Variation:

Die Gegenstände werden unter einem in der Mitte ausgebreiteten Tuch weitergegeben. Alle schreiben der Reihe nach auf, was sie in der Hand gehabt haben. Weitere Anregungen zum Erspüren von Dingen finden sich im Kapitel »Meditatives Umgehen mit alltäglichen Dingen - Gegenstandsmeditationen«, S. 50.

Boden unter den Füßen

Im Sitzen oder Stehen - möglichst ohne Schuhe - den Kontakt der Füße mit dem Boden wahrnehmen, an den Zehen, den Ballen, den Fersen, an den Außen- und Innenkanten, mit den ganzen Fußsohlen, mit den Fußspitzen, im Fußgelenk - den Druck verändern - die Füße auf verschiedene Weise am Boden hin- und herbewegen.

Fortführende Variante:

Mit geschlossenen Augen über unterschiedliche Böden gehen (Teppich, Holz, Stein usw.) - sich von den Füßen, nicht von den Augen leiten lassen.

Sonne und Wind spüren

Eine Übung im Freien: Die Schülerinnen und Schüler drehen sich mit geschlossenen Augen ganz langsam - in Zeitlupe - um die eigene Achse. Sie wenden dabei ihre Aufmerksamkeit der Körperseite zu, die dem Wind bzw. der Sonne ausgesetzt wird.

Die »Flügel« breiten

Spüre deine Achselhöhlen. Lass sie weit werden. Lass zwischen Oberarm und Rumpf immer mehr Luft einströmen. Stelle dir deine Arme als erweiterte Lungenflügel vor, mit dem Flügelpunkt zwischen den Schulterblättern. Lass den Atem kommen, hole ihn nicht her, hilf ihm nicht nach. Lass ihn gehen und warte, bis er neu kommt. Mit dem Atem hebe langsam die Arme, wie Flügel, die durch die Luft aufgepumpt werden. Sie dürfen einige Augenblicke wie auf einem Luftkissen »ruhen«. Dann führe sie noch weiter empor über den Kopf. Vielleicht magst du mit den Händen abwechselnd zur Decke hinaufgreifen. Halte die Dehnung aus, solange du willst.
Führe dann die Arme langsam wieder abwärts - die Handflächen zeigen nach unten -, wie wenn die Hände und Arme gegen Wasser drücken würden, damit dein Körper daraus auftauchen kann.

Hände voll Energie

Von unseren Händen kann Energie und Kraft ausstrahlen, die wir durch einfache Übungen entdecken können:
Reibe deine Hände fest und lege dann die Handflächen zusammen. Spüre die einzelnen Finger und Handpartien aneinander. Ziehe jetzt die Hände ganz langsam auseinander, sodass sich die Innenseiten nicht mehr berühren, ihr Energiefeld aber noch spürbar ist - wie unsichtbare Gummibänder. Wenn der Abstand zu groß wird, bringe deine Hände wieder so weit zusammen, bis du ihre Nähe erfühlen kannst!

Weiterführung:

1. Spüre die Luft zwischen den beiden Handtellern - drücke sie in deiner Vorstellung zusammen - ziehe sie wieder auseinander - forme sie wie einen Watteball - bewege deine Hände so, dass die Handflächen zueinanderschauen, dass du ihr Energiefeld spüren kannst.
2. Drehe deine Handflächen nach außen in Richtung der Hände derer, die neben dir sitzen oder stehen - ohne Berührung -, aber so nahe, dass du vielleicht etwas von der Hand der anderen spüren kannst.

Variationen:

1. Reibe deine Hände warm. Lass sie ineinander ruhen, damit sie spürbar werden in ihrer Wärme, in ihrer Lebendigkeit. Umschließe dann mit beiden Händen einen Teil deines Körpers, den du »behandeln« willst - der es vielleicht besonders braucht, z. B. ein Knie, ein Fußgelenk, den Hals, den Kopf oder was du möchtest. Spüre von einer Handinnenseite zur anderen - lass durch den umschlossenen Körperteil hindurch die Energie deiner Hände strömen.
2. Lege deine beiden Hände offen in deinen Schoß - rechts auf links, wie zu einer Schale. Erfühle deine rechte Hand. Von dort aus lenke deine Wahrnehmung ganz langsam weiter zum rechten Handgelenk - zum Unterarm - Ellenbogen - Oberarm - zur Schulter - und weiter über das rechte Schlüsselbein zum Brustbein und zum linken Schlüsselbein - zur linken Schulter - Oberarm - Ellenbogen - Unterarm - Handgelenk - linke Hand. Der Kreis schließt sich. Behalte möglichst alle Körperteile, die du durchwandert hast, im Spüren. Vielleicht kannst du wahrnehmen, wie dieser Kreis durchströmt wird von Wärme oder Energie, von Kraft oder Ruhe, von Lebendigkeit oder was immer du spürst.

Lebendiger Kreis

Es wird angekündigt, worum es bei dieser Übung geht, damit die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden können, ob und wie sie mitmachen wollen. Es ist durchaus denkbar, dass jemand die Augen nicht schließen oder nicht berührt werden möchte. Diese Entscheidungen brauchen nicht begründet zu werden. Sie dürfen auch in keiner Weise kommentiert oder infrage gestellt werden.
Die Schülerinnen und Schüler sitzen oder stehen im Kreis:
Reibe deine Hände, bis du sie gut spüren kannst - ihre Wärme oder Kälte - die Haut - die Muskeln - die Beweglichkeit - die Lebendigkeit. Schließe deine Augen. Stelle dich darauf ein, dass du denen, die neben dir stehen oder sitzen, nun deine Hände geben wirst und dass die beiden dir ihre Hand reichen werden. Wenn es für dich dazu Zeit ist, dann strecke deine Hände den beiden entgegen. Fasst euch bei den Händen. Spüre die Hand der anderen in deinen Händen, die Temperatur, die Oberfläche, den Kontakt, wie leicht oder fest er sich anfühlt. Über unsere Hände strömt Wärme, Energie, Leben durch den Kreis - vielleicht sogar spürbare Bewegung.
Löst ganz aufmerksam die Hände und spürt nach, was vom Handkontakt, vom Leben im Kreis, noch zurückbleibt.

Das Leben in mir spüren

Setze oder lege dich so hin, dass du möglichst ungestört bist. Wähle die Haltung, die jetzt für dich annehmbar ist! Schließe deine Augen - du hast jetzt Zeit für dich, du musst nichts Bestimmtes denken, sagen, erreichen. Lass geschehen, was jetzt geschieht. Vielleicht löst sich ein Muskel, vielleicht wird eine Hand warm - was auch immer. Lass ruhen, was ruhen möchte! Schaue deinem Atem zu - ohne ihn zu verändern.
Ich bin umgeben von Luft. Ich spüre, wie sie durch meine Nasenflügel streicht. Sie strömt in meinen Mund- und Rachenraum, in meinen Brust- und Bauchraum. Und ich atme sie wieder aus. Jeder Atemzug erfüllt mich mit neuem Leben. Einatmen - ausatmen - der Rhythmus meines Lebens - seit meiner Geburt - bis zu meinem letzten Atemzug.
Ich spüre, wie mein Puls geht - wie mein Herz schlägt - ohne mein Zutun - ohne meine Anstrengung - ohne mein Wollen. Das Leben durchpulst mich. Das Leben atmet mich. Ich bin lebendig - ich bin da. (Stille oder leise Musik.) Lass die Bewegung des Lebens in dir drinnen allmählich auch nach außen kommen, ohne die Augen zu öffnen: Bewege, was sich bewegen will. Dehne, was gedehnt sein möchte. Strecke, was sich weiten mag. Spüre, was sich spüren lässt.

3. Einspielen (Zeichen, Rituale, Vereinbarungen)

Eine 4. Klasse legte großen Wert darauf, dass der Schultag mit einer »Besinnung« begann, etwa mit einer der oben genannten Übungen des Verweilens, einer »Gegenstandsmeditation«, einer Bildbetrachtung, einer meditativen Körpererfahrung o.Ä. Zu dieser Besinnung musste ich auf Wunsch der Kinder immer eine große Kerze anzünden oder anzünden lassen. Der Hintergrund für diese Symbolhandlung waren Meditationen wie »Im Dunkel ein Licht erwarten und erleben« - »Nur in der Dunkelheit wirkt das Licht« - »Licht wird mehr, wenn man es teilt«. Bald wurde ganz von selbst das Anzünden der Kerze zum Zeichen für den Beginn der Morgenmeditation. Es bedurfte keines Aufrufs, keiner Einladung, keiner Mahnung zur Stille. Die Kinder machten sich gegenseitig darauf aufmerksam, dass die Kerze brennt, setzten sich still auf ihren Platz, bereit für das, was jetzt kommen würde. Durch Gewöhnung hat sich das Ritual »Kerze brennt« entwickelt, von niemand angeordnet, von allen als das ihre betrachtet, als selbst geschaffene Regel, auf deren Einhaltung alle bestanden.
Solche Rituale erwachsen aus der Wiederholung beliebter Übungen oder aus Vereinbarungen, die auf Vorschlägen der Schülerinnen und Schüler basieren: einen Ton oder eine bestimmte Musik als Erkennungsmelodie erklingen lassen, ein immer gleiches Bild, ein Wort, einen Spruch, ein Symbol für alle sichtbar aufstellen, den Tischplatz aufräumen, bis er ganz leer ist usw. Vertraute, immer gleiche Formen erübrigen Erklärungen, Einleitungen, Motivation. Die für jegliche Begegnung und Erfahrung notwendige Stille und Aufmerksamkeit stellt sich in kurzer Zeit ein - wie eine gute Gewohnheit; eine Gewohnheit freilich, die nicht automatisch entsteht, sondern die sich bildet aus bewusstem und reflektiertem meditativen Tun. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:

Ritual »Stuhlkreis bilden«

Die sonst übliche Sitzordnung im Klassenzimmer (in Reihen, Hufeisenform, Tischgruppen) wird aufmerksam wahrgenommen: Wie sitze ich gewöhnlich? Wie halte ich meine Hände, Arme, Füße, Beine, meinen Oberkörper? Wohin geht meine Blickrichtung? Wen von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern kann ich sehen? Von vorn, von der Seite, von hinten? Wen sehe ich nur, wenn ich mich umdrehe? Was befindet sich in meiner Nähe? Worauf richtet mich diese Sitzordnung aus?
Jetzt nehme ich den Stuhl auf, der mich an diesen Platz bindet. Sonst trägt er mich, jetzt trage ich ihn. Ich kann mit ihm weggehen von meinem Platz, umhergehen, kann Richtung, Tempo, einen neuen Platz wählen, sodass ein Kreis entsteht.
Wenn alle ihren Platz im Kreis gefunden haben, wird die veränderte Sitzordnung auf ähnliche Weise wahrgenommen wie die sonst übliche. Im anschließenden Rundgespräch tauschen die Schülerinnen und Schüler ihre Beobachtungen aus.

Ritual »In den Meditationsraum gehen«

Der Weg vom Klassenzimmer zu einem eigenen Raum wird ganz bewusst gegangen, die einzelnen Phasen des Weges werden meditativ wahrgenommen: Ich gehe »weg« von meinem Arbeitsplatz, lasse vieles zurück, Bücher, Hefte, Taschenrechner, Lineal... Ich nehme gar nichts mit, nur mich selber, denn jetzt bin ich selbst Thema der kommenden Viertelstunde. Weil ich jetzt wichtig bin und nicht dieses oder jenes, darum rede ich auf diesem Wege nicht mit den anderen, sondern ich achte auf mich, auf den Boden unter meinen Füßen, auf die Schritte, die ich gehe in meinem Tempo, in meiner Schrittlänge, in meiner Körperhaltung. Am Ziel meines Weges angekommen, ziehe ich meine Schuhe aus. Jetzt spüre ich meine Füße deutlicher am Boden, die Zehen, Ballen, Fersen... »Ziehe deine Schuhe aus, denn wo du stehst, ist der Boden heilig!«, hat Gott einst zu Mose gesagt (Ex 3,5). Der Boden hier im Raum lädt mich dazu ein, mich auf ihm niederzulassen, ganz da zu sein im Hier und Jetzt, ganz bei mir selbst.

Ritual »Den persönlichen Meditationsgegenstand spüren«

Die Schülerinnen und Schüler haben im meditativen Umgang mit alltäglichen Dingen (s. S. 50ff.) Erfahrungen mit verschiedenen Gegenständen gemacht: Stein, Muschel, Feder, Murmel, Kastanie, Rinde, Wurzel o.a. Mit der Zeit gewinnt jede/r einen besonderen Bezug zu einem dieser Gegenstände. Dieser ist nun entweder immer zur Hand oder wird zu Beginn der Stunde hergeholt. Alle nehmen ihren Gegenstand zu sich, schließen die Augen, spüren ihn in den Händen und spüren im Kontakt mit ihm ihre Hände, ihre Finger, ihre Haut, ihren Atem, ihren Pulsschlag: Ein Ritual, das den Schülerinnen und Schülern helfen kann, zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen.

Ritual »Am eigenen Mandala weitermalen«

Eine 9. Klasse Sonderschule hat mehrfach mit Begeisterung Mandalas betrachtet, in der Natur aufgespürt, gelegt, gemalt, mit dem Zirkel konstruiert. Aus dem wiederholten Wunsch der Klasse nach Mandala-Malen entwickelte sich folgendes Ritual: Aus verschiedenen Mandala-Vorlagen sucht sich jede/r eine aus und legt sie in eine mit dem eigenen Namen gekennzeichnete Mappe. Zu Beginn des Unterrichts werden diese Mappen ausgeteilt und alle dürfen an ihrem Mandala malen. Bei dieser Bewegung um eine Mitte werden die Schülerinnen und Schüler von selbst ruhiger, gesammelter, konzentrierter. Nach fünf bis zehn Minuten werden die Mappen mit den Mandalas wieder eingesammelt bis zur nächsten Religionsstunde. Wer sein Mandala fertig gemalt hat, darf es mitnehmen und sich eine neue Vorlage auswählen.

Voraussetzungen und Hinweise

1. Alle diese Angebote sind keine Mittel zur Disziplinierung. Eine solche wesensfremde Verzweckung wäre hinterlistiger Betrug, den die Schülerinnen und Schüler sehr bald bemerken und den sie auf ihre Weise quittieren würden. Stille und Ruhe lassen sich nicht verordnen. Es geht bei all diesen Angeboten nicht um vorgegebene Ziele und Zwecke, sondern um die Schülerinnen und Schüler selbst, um das, was sie brauchen in jeweils spezifischen Situationen und persönlichen Befindlichkeiten. Die Angebote dürfen auch nicht eingesetzt werden, um Störungen im Beziehungsgeschehen zu überspielen oder ihnen auszuweichen. Sie setzen im Gegenteil voraus, dass die Beziehung zwischen Lehrkraft und Klasse von gegenseitigem Vertrauen und von Ehrlichkeit geprägt ist. Das meint nicht, dass es keine Konflikte geben dürfe. Aber diese müssen bearbeitet werden, und zwar so, dass keine Seite als Sieger oder als Verlierer daraus hervorgeht.
 
2. Geübte Aufmerksamkeit für die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit ist unverzichtbare Voraussetzung für jede Arbeit mit dem Körper. Nur was am eigenen Leibe erfahren wurde, kann vermittelt werden. Ehe Sie eine dieser Anregungen in der Klasse einsetzen, probieren Sie sie unbedingt mehrmals selbst aus. Womit Sie nichts anfangen können, das dürfen Sie auch nicht weitergeben. Erst der persönliche Bezug zeigt Ihnen, ob und wie Sie eine Übung durchführen können, in welcher Klasse, bei welcher Gelegenheit, mit welchen Formulierungen und Abänderungen, und auch, mit welchen Schwierigkeiten Sie rechnen müssen.
Es kann durchaus vorkommen, dass eine lang erprobte, gut geplante Übung dann doch nicht eingesetzt werden kann, einfach deshalb, weil Sie sich in der aktuellen Situation gehemmt oder blockiert fühlen. Unlustgefühle, die eigenen wie die der Klasse, sind ernst zu nehmen, selbst wenn sie rational unbegründet erscheinen.
 
3. All diese Angebote vertragen keinen noch so sublimen Zwang. Vor allem bei Pubertierenden muss die Freiwilligkeit gewahrt werden. Es wird nicht verlangt, dass alle mitmachen, wohl aber, dass niemand die anderen bei ihrem Tun stört. Erfahrungsgemäß kann kaum jemand über längere Zeit dem Reiz des Neuen widerstehen, der Einladung, etwas auszuprobieren, zu entdecken, mitzumachen. Ein mehr spielerischer Umgang mit diesen Angeboten lässt Freiräume für eigene Ideen, alternative Gestaltung, Abwandlung von Vorgaben, Kreativität und auch Heiterkeit. Alle Anweisungen und Impulse sollten den Klang einer Einladung haben, eine Atmosphäre der Freiheit verbreiten und niemand in seinen Gefühlen, Empfindungen und Wahrnehmungen einengen oder infrage stellen: Ich muss meinen Sitz nicht bequem finden, mein Stehen nicht entspannt, mein Atmen nicht gelöst, meine Aufmerksamkeit nicht wach... Was immer die/der Einzelne wahrnimmt, spürt, assoziiert, gilt, wird bestätigt, nicht hinterfragt oder gar beurteilt.
4. Alle oben genannten Beispiele sind aus dem lebendigen Wechselspiel zwischen Lehrkraft und Klasse erwachsen. In diesem Buch sind sie gleichsam erstarrt, zur Konserve geronnen. Um wieder zum Leben erweckt zu werden, dürfen sie auf keinen Fall eins zu eins kopiert oder gar wörtlich abgelesen werden, vielmehr brauchen sie die lebendige Interaktion zwischen Klasse und Lehrerpersönlichkeit, das heißt, auch Ihre persönliche Handschrift, Ihre eigenen Gedanken, Ihre eigene Sprache, aus dem eigenen Erleben gewachsen.
Deshalb werden hier keine Modelle zum »Durchziehen« geboten, sondern Anregungen, die je nach Lehrerpersönlichkeit, Klassensituation und Entwicklungsphase variiert werden müssen. Auch auf eine Zuordnung zu bestimmten Altersstufen, Schultypen und Themenstellungen wird bewusst verzichtet. Klassen sind Individuen und keine Serienware. Wovon die eine 7. Klasse begeistert ist, findet die andere albern. Wenn ein Angebot von den Schülerinnen und Schülern nicht angenommen wird, wenn ein Versuch scheitert, dann passt es eben nicht für diese Klasse oder in die akute Situation. Dann sind weder Schuldzuweisungen noch Gekränktsein angebracht, sondern flexibles Umdisponieren. Mitunter fällt die Reaktion der Klasse ganz anders aus als erwartet oder einzelne Schritte werden spontan verändert. Korrektur wäre hier fehl am Platz. Vielmehr sind solch eigenständige Abwandlungen wichtige Hinweise für die weitere Gestaltung. Die besten Übungen erwachsen aus einem Zusammenspiel zwischen anleitender Person und Gruppe. Besonders wertvoll sind Vorschläge, die von den Schülerinnen und Schülern selbst kommen. Die sollten auf jeden Fall aufgegriffen und zumindest versucht werden.
 
5. Der Reiz all dieser Übungen liegt in der Wiederholung. Häufig wird diese Wiederholung von den Klassen selbst verlangt, wenn sie eine Übung als wohltuend erfahren haben. Zu viel Neues verwirrt mehr, als dass es zu Ruhe und Sammlung führt. Weniger ist auch hier mehr. Das Einüben von Bekanntem, Vertrautem stärkt das Gefühl von Verlässlichkeit und Geborgenheit und setzt das gewünschte Gegengewicht gegen den allgegenwärtigen Dauerkonsum. Verschiedene Akzentuierungen, kleine Variationen, unterschiedliche Kombinationen bewirken, dass die Wiederholung eines Angebots nicht eintönig sein muss, sondern immer wieder andere, neue Wahrnehmungen und Empfindungen auslösen kann.
 
6. Auf die Notwendigkeit eigener Formulierungen der Angebote in persönlicher Färbung wurde schon hingewiesen. Trotzdem dürften einige Hinweise zu den Impulsen hilfreich sein. Je weniger gesprochen wird, umso eher finden die Schülerinnen und Schüler zu sich selbst und zur Ruhe. Manchmal genügt eine Geste. Vormachen ist besser als erklären. Einfache Formulierungen, kurze Sätze, ruhiger Tonfall, langsames Sprechen und immer wieder Pausen ermöglichen Verweilen, Sammlung, Stille.
Offene Impulse vermeiden Suggestion und Einengung, lassen immer mehrere Möglichkeiten zu: »Ja, so kannst du es auch machen!« Wahrnehmungen und Empfindungen sollen bestätigt, nicht bewertet werden: »Das wirkt bei den Einzelnen verschieden. Vielleicht bist du wacher geworden oder müder, ruhiger oder unruhiger. Beides ist möglich. Nimm wahr, wie es bei dir ist. Du brauchst nicht so zu sein und so zu empfinden wie andere.« Dieses Ernstnehmen der eigenen Wahrnehmung ist wichtiger als eine bestimmte Leistung, als ein bestimmtes Feeling.
Ähnliches gilt für den gerade von Kindern unversehens ins Spiel gebrachten Wetteifer. Nicht: »Wer hört den Klang am längsten?«, sondern: »Lausche dem Klang nach, solange du ihn hören kannst!« Nicht: »Wer ist als Erster ganz ruhig?«, sondern, in Betonung des Gemeinschaftsaspektes: »Es wird immer ruhiger bei uns. Bald werden wir das Licht summen hören.«
Das Schließen der Augen wird bei Kindern oft zu einem verkrampften Zukneifen. Alternative Impulse helfen hier weiter, etwa: »Du kannst besser hören/spüren, wenn deine Augen nicht mitmachen. Lass sie schlafen oder deck sie mit deinen Händen oder Armen zu!« Manchmal genügt es schon, wenn der Blick gesenkt wird oder die Augenlider halb zugehen.
2.
Stille-Übungen als Rituale zum Stundenbeginn
Ludwig Rendle

Die strukturierende Funktion von Ritualen

In vielfacher Weise und in unterschiedlichen Lebensbereichen wurde in den letzten Jahren die Bedeutung von Ritualen wieder entdeckt. In einer zunehmend komplexer und unüberschaubarer werdenden Welt können Rituale Struktur und Ordnung schaffen. Sie werden deshalb als wohltuend und geradezu heilsam erfahren. Unter einem Ritual versteht man ein gleichbleibendes Vorgehen in bestimmten Situationen und Abläufen. Viele Menschen haben oft unbewusst ihren Alltag mit Ritualen strukturiert. Wenn beispielsweise der Tagesbeginn schon nach einer bestimmten Ordnung verläuft, entsteht weniger Chaos und Hektik. Analog zur Gestaltung des Alltags spielen Rituale im Jahreslauf eine wichtige Rolle, v. a. in den christlichen Ritualen und Riten des Kirchenjahres.
Das Wort Ritual leitet sich ab vom lateinischen ritus - »heiliger, feierlicher Brauch« und entsprechend ritualis - »den religiösen Brauch, die Zeremonien betreffend«. Daraus wird ersichtlich, dass Rituale ursprünglich im religiösen Bereich wurzeln (vgl. Gabriel, 10f.), sie prägen aber auch in säkularisierter Form das Leben der Menschen.
Auch Schule kann als gestalteter Lebensraum auf Rituale nicht verzichten. Eine bewusste Ritualpraxis kann die Schule davor bewahren, zu einer reinen Lernanstalt zu werden. Die Erfahrung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler bereit sind, sich auf sinnvolle Rituale einzulassen, oder von sich aus darauf achten, dass sie eingehalten werden. Es gehört zur entlastenden Funktion von Ritualen, dass sie nicht jedes Mal neu diskutiert und ausgehandelt werden müssen, sondern für einen längeren Zeitraum Gültigkeit besitzen. Allerdings können sie nicht gegen den Willen einer Klasse einfach verordnet werden. Deshalb ist von Zeit zu Zeit immer wieder eine neue Vergewisserung notwendig, ob und wie weit sie noch akzeptiert werden oder ob eine Veränderung gewünscht wird.

Der Stundenbeginn

Der Beginn einer Unterrichtsstunde ist ein besonders sensibler Bereich. Dies gilt besonders auch für eine Religionsstunde, da eine innere Gestimmtheit der Schülerinnen und Schüler angestrebt wird.
Ob der Religionsunterricht am Unterrichtsbeginn liegt oder während oder am Ende eines Unterrichtsvormittags oder -nachmittags, die Schülerinnen und Schüler müssen erst darauf eingestimmt werden, da sie häufig noch unter dem Eindruck dessen stehen, was sie vorher erlebt haben. Es geht um die Herstellung eines gemeinsamen Erfahrungs- und Lernraumes, in dem die religionsunterrichtlichen Lernprozesse stattfinden können: »Wird dieses Fundament nicht geschaffen, dann kommt es im späteren Unterricht aufgrund der nicht erledigten Aufgaben des Anfangs immer wieder zu Störungen und Konflikten, mag sein Verlauf noch so minuziös durchdacht und geplant sein« (Schmid, 21f.).
Neben äußeren Faktoren wie einer sauberen Tafel und einem aufgeräumten Arbeitsplatz der Schülerinnen und Schüler gehören zum Schaffen eines solchen Fundaments im Religionsunterricht auch eine innere Disposition der Schülerinnen und Schüler. Eine einfache Form hat sich seit Jahrzehnten bewährt, wenn sie nicht im Sinne eines quasi militärischen Appells eingesetzt wird: Die Schülerinnen und Schüler stehen auf, werden ruhig, Lehrkraft und Klasse begrüßen sich, die Schülerinnen und Schüler setzen sich wieder hin. Eine Atemübung bei offenem Fenster, ein Lied oder ein Gebet können das Ritual der stehenden Begrüßung inhaltlich anreichern.
Im Kapitel 1 dieses Buches »Anwege zu neuen Erfahrungen« (S. 16) werden zahlreiche Vorschläge zu Ritualen des Unterrichtsbeginns angeboten. Als eine von zahlreichen Möglichkeiten einer Gestaltung des Stundenbeginns sind meditative StilleÜbungen zu nennen, für die ich aufgrund eigener Erfahrung nicht ohne Leidenschaft plädiere. Wie das Wort »Stille-Übung« schon sagt, bedürfen sie der ständigen Übung. Sie sollen nicht nur als gelegentliche »Gags« oder als Besonderheit bemüht werden, sondern im Sinne eines Rituals den Stundenbeginn bzw. den Unterricht prägen.
Damit signalisieren sie der Klasse, dass sie sich innerlich auf Religion einstellen kann. Wiederholungen einer Übung müssen daher nicht stereotyp sein, bei gleichbleibendem Grundgerüst können verschiedene inhaltliche Akzentuierungen erfolgen.
Neuausgabe 2007
 
 
 
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eISBN : 978-3-641-03711-4
 
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Leseprobe
 

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