Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Fürstenkrone Classic In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. Von Freude war bei Andreas Ankunft auf dem Ulmenhof wenig zu merken. Oberst von Britten hat das nervöse Mädchen an seinen Bestimmungsort gefahren und beim Aussteigen mitleidig den kleinen Handkoffer betrachtet, in dem die gesamte Habe der kleinen Waise enthalten war. Das Herz tat ihm weh, wenn er dabei an Gräfin Julias forschenden Blick dachte. Ihr Urteil über die Menschen hing sehr viel von Äußerlichkeiten ab. »Kopf hoch, Fräulein Andrea! Ich lasse mich bald einmal hier sehen!« Das junge bezaubernde Mädchen dankt ihm bewegt für alle Fürsorge und lächelt ihm mit blassen Lippen zu, als müsse es ihn noch trösten. Tapferes Kerlchen, denkt Thomas gerührt und kann gut verstehen, daß die beiden Freundinnen bedrückt und stumm im Wagen sitzen, als er zurückkommt. Das Schicksal hat die erste aus ihrer Mitte genommen. Nun ist die Trennung wirklich wahr geworden. Andrea schaut sich währenddessen in der großen getäfelten Halle, in die man sie geführt hat, scheu um. Endlich erscheint ein alter grauhaariger Diener und führt sie in den dritten Stock. Das Zimmer, in das sie nun eintritt, ist klein und äußerst sparsam möbliert. Aber dafür ist die Aussicht prächtig. Entzückt öffnet Andrea, nachdem man sie allein gelassen, eine schmale Tür, und tritt auf einen winzigen Balkon hinaus. Herrlich dieser Ausblick in den Park und auf das ferne Gebirge. Hier wird sie nun abends, wenn man ihre Dienste im Schloß nicht mehr benötigt, sitzen und träumen können. Träumen? Andrea lächelt ein wenig müde. Das Leben hält nicht viele bunte Bilder für sie bereit!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 129
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Von Freude war bei Andreas Ankunft auf dem Ulmenhof wenig zu merken. Oberst von Britten hat das nervöse Mädchen an seinen Bestimmungsort gefahren und beim Aussteigen mitleidig den kleinen Handkoffer betrachtet, in dem die gesamte Habe der kleinen Waise enthalten war. Das Herz tat ihm weh, wenn er dabei an Gräfin Julias forschenden Blick dachte. Ihr Urteil über die Menschen hing sehr viel von Äußerlichkeiten ab.
»Kopf hoch, Fräulein Andrea! Ich lasse mich bald einmal hier sehen!«
Das junge bezaubernde Mädchen dankt ihm bewegt für alle Fürsorge und lächelt ihm mit blassen Lippen zu, als müsse es ihn noch trösten.
Tapferes Kerlchen, denkt Thomas gerührt und kann gut verstehen, daß die beiden Freundinnen bedrückt und stumm im Wagen sitzen, als er zurückkommt.
Das Schicksal hat die erste aus ihrer Mitte genommen. Nun ist die Trennung wirklich wahr geworden.
Andrea schaut sich währenddessen in der großen getäfelten Halle, in die man sie geführt hat, scheu um. Endlich erscheint ein alter grauhaariger Diener und führt sie in den dritten Stock. Das Zimmer, in das sie nun eintritt, ist klein und äußerst sparsam möbliert. Aber dafür ist die Aussicht prächtig.
Entzückt öffnet Andrea, nachdem man sie allein gelassen, eine schmale Tür, und tritt auf einen winzigen Balkon hinaus. Herrlich dieser Ausblick in den Park und auf das ferne Gebirge. Hier wird sie nun abends, wenn man ihre Dienste im Schloß nicht mehr benötigt, sitzen und träumen können.
Träumen? Andrea lächelt ein wenig müde. Das Leben hält nicht viele bunte Bilder für sie bereit!
Sorgsam packt sie ihre wenigen Habseligkeiten aus. Der Wandschrank ist viel zu groß für ihre spärliche Garderobe. Ganz verloren hängen die paar Kleider darin.
Der Diener sagte ihr, daß Graf Ulmen erst in einer Stunde zu sprechen sei. Schnell also einmal einen kleinen Erkundungsgang angetreten. Leichtfüßig eilt Andrea die vielen Treppen hinab. Niemand begegnet ihr auf den stillen langen Gängen. Wirklich ein verwunschenes Schloß.
Eine kleine Seitentür weist ihr schließlich den Weg ins Freie.
Herrlich, dieser Park mit seinen uralten Bäumen und den gepflegten Wegen. Wenn doch jetzt die Freundinnen bei ihr sein könnten. Wie wäre es zusammen so schön hier.
Tapfer setzt Andrea ihren Weg fort. Immer tiefer führt er in den Park hinein. Das einfache bunte Sommerkleid, in dem sie entzückend aussieht, bauscht sich bei jedem der weit ausholenden Schritte um die wohlgeformten, langen Beine.
Endlich bleibt sie stehen. Der Wald ist zu Ende, und vor ihr dehnt sich eine kleine Lichtung. An ihrem Rande steht ein stämmiges Blockhaus.
Von der Wiese herüber kommt ein kleines Mädchen gelaufen. Nein, es ist schon mehr ein Torkeln. Der kleine unförmige Körper mit dem viel zu großen Kopf vermag sich kaum auf den dünnen Beinen zu halten. Alles an dem Kind ist abstoßend häßlich, alles, bis auf seine wunderbar dunklen Augen.
Jetzt hat die Kleine Andrea entdeckt. Sie will etwas sagen, aber was über die Lippen kommt, ist nur unverständliches Lallen.
Andrea ist über das unglückliche Wesen so erschüttert, daß sie wie gelähmt auf ihrem Platz verharrt. Aus dem Laufen des Kindes wird ein Stolpern, und dann fällt der kleine Körper auf den Kiesweg.
Alle Erstarrung weicht von Andrea. Hilfsbereit und voller Mitleid eilt sie zu dem Mädchen.
Da ertönt hinter ihr eine herrische Stimme: »Geben Sie nächstens auf das Ihnen anvertraute Kind acht!«
Erschrocken fährt Andrea herum. Sie blickt in ein Paar zornige, herrische Augen, die zu einem schlanken eleganten Mann gehören. Mit finsterer, hochmütiger Miene sieht er auf sie hinab. Allem Anschein nach kam er aus dem Blockhaus, wo auch die Kleine herüberlief.
»Ich dachte, ich…«, stottert Andrea und versteht nichts mehr.
»Kümmern Sie sich jetzt endlich um das Kind, und machen Sie, daß Sie hier wegkommen, verstanden? Hier ist kein Spielplatz!«
Erschrocken preßt Andrea das Kind an sich und eilt den Weg zurück. Endlich ist sie in der Nähe des Schlosses angelangt. Keuchend setzt sie das viel zu schwere Kind ab.
»Fräulein Wester?« fragt da eine angenehme Stimme neben ihr.
»Ja?« Schwer atmend sieht Andrea sich um und schaut in das gütige Gesicht eines weißhaarigen gebückten Herrn.
»Ich bin Graf Ulmen. Wie kommen Sie zu dem Kind?«
»Verzeihen Sie bitte, Herr Graf, wenn ich nicht pünktlich zur Stelle war. Ich wollte mich ein wenig im Park umsehen, fand statt dessen aber die arme Kleine hier und…«
»Therese ist mein Enkelkind«, entgegnet der alte Herr gelassen und streicht dem unglücklichen Geschöpf über den Kopf.
»Verzeihung«, sagt Andrea und beißt sich auf die Lippen. Sie wollte nicht taktlos sein.
Der Graf beachtet ihren Einwurf nicht. »Im Hause herrscht schon große Aufregung. Die Kleine ist davongelaufen, ohne daß jemand etwas bemerkte.« Er winkt dem Diener. »Führen Sie Therese zu der Pflegerin. Nächstens soll man besser auf das Kind achten.«
»Jawohl, Herr Graf!«
Aber so leicht ist dem Wunsch nicht nachzukommen. Therese reißt sich mit aller Kraft von der Hand des alten Dieners los und klammert sich an Andrea. Wieder kommt über ihre Lippen das unverständliche Lallen.
Ein heißes Erbarmen befällt Andrea. In plötzlicher Aufwallung zieht sie das häßliche kleine Körperchen an sich.
Armes Kind, wieviel Lieblosigkeiten mochte es schon in den wenigen Jahren seines kurzen Lebens zu spüren bekommen haben.
Der Graf betrachtet sie mit warmen Blicken. »Wenn Sie Therese nicht abstößt, wollen wir sie mit hinaufnehmen. Sie kann sehr eigensinnig sein. Ich fürchte, wenn wir sie jetzt mit Gewalt zwingen, wird sie wieder Krämpfe bekommen.«
»Ich mag Kinder«, sagt Andrea schlicht und legt schützend den Arm um das mißgestaltete Körperchen.
»Ich bitte zu entschuldigen, Herr Graf«, setzt Andrea die Unterhaltung fort, »wenn ich zu einer ungelegenen Zeit komme. Herr Oberst von Britten erzählte mir von dem schweren Leid, das Sie betroffen. Darf ich Ihnen mein herzlichstes Beileid aussprechen?«
Stumm dankt der Graf durch ein kurzes Senken des Kopfes.
»Herr von Britten meinte, der Zeitpunkt meiner Ankunft sei sehr ungünstig, und ich solle für ein paar Tage auf sein Gut kommen. Ich wollte Sie aber darüber vorher befragen.« Unbefangen sehen ihn die herrlichen Blauaugen an.
Der Graf hat ihr aufmerksam zugehört. »Soso, der kluge Thomas meint, Sie kämen ungelegen? Er ist mal wieder allzu klug, will mir scheinen! Keine Sorge, Fräulein Wester. Sie kommen mir im Gegenteil gelegen. So«, er stößt eine hohe Flügeltür auf. »Hier ist ihr neuer Wirkungskreis, die Bibliothek.«
Andrea erblickt einen großen behaglichen Raum, dessen vier Wände mit hohen Bücherregalen bedeckt sind. Weiche Polstergarnituren laden zu geruhsamem Verweilen ein.
»Und hier«, Graf Ulmen durchschreitet den langgestreckten Raum und öffnet eine schmale Tapetentür, »befindet sich Ihr ganz persönlicher Arbeitsplatz.«
»Oh, wie schön!« Begeistert tritt Andrea näher. Ein helles elegantes Zimmer mit einem barocken Damensekretär aus poliertem Kirschbaumholz. Dazu ein behaglicher Sessel. Eine Einrichtung, die ganz und gar von dem bescheidenen Zimmer abweicht, das man ihr zum Schlafen angewiesen hat.
»Ich hoffe, Sie werden hier ein gutes Schaffen haben!«
Andreas Augen werden feucht. »Sie sind sehr gütig, Herr Graf. Auf so viel freundliches Entgegenkommen war ich nicht gefaßt.«
Der alte Herr lächelt. »Nun, kleines Fräulein, wer wie Sie schon so früh auf eigene Beine gestellt wird, verdient es, ein wenig verwöhnt zu werden.«
Er tut, als bemerke er Andreas Rührung nicht, und öffnet eines der hohen Fenster, durch das der Duft der blühenden Linden hereinströmt.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mir diese Stelle gegeben haben, Herr Graf«, kommt es leise von Andreas Lippen.
»Wir werden schon gut auskommen, Fräulein Wester! Ihre Lehrerinnen sagen nur das Beste über Sie aus. Besonders, daß Sie ein pflichtbewußtes Mädchen seien. Ihr Vormund schrieb mir das, bevor ich mich entschloß.«
»Fräulein Dr. Ammer hatte uns alle sehr gern.« Andreas Lippen zittern ein wenig. Das Internat war fast eine Heimat für sie geworden.
»So, das wäre genug für heute!« Der Graf geht wieder in die Bibliothek zurück. »Morgen fangen wir mit der Arbeit an. Jetzt wollen wir erst einmal sehen, was es zu essen gibt. Und du, mein Kind«, er beugt sich liebevoll zu der kleinen Therese, die keine Sekunde von Andreas Seite gewichen ist, hinab und nimmt ihr Händchen in seine große behutsame Hand. »Du läßt dich jetzt ganz brav auf dein Zimmer bringen.«
Wieder geht Andrea durch die langen Korridore des Schlosses bis zum Zimmer der Kleinen, die sich nun auch willenlos der Pflegerin übergeben läßt.
Die ganze Zeit über versucht Andrea, sich die Schwiegertochter des Grafen vorzustellen, die Mutter, der ein Kind wie Therese gehört.
Warum kümmert sie sich nicht um die Kleine?
Der Graf geleitet sie in ein behagliches Kaminzimmer zu ebener Erde, in dem man die Speisen einnimmt, wenn keine Gäste da sind.
Das erste, was Andrea beim Betreten dieses Raumes wahrnimmt, ist eine Frau von so außerordentlicher Schönheit, daß sie – entgegen ihrer sonstigen guten Erziehung – wie gebannt in das Madonnengesicht schaut, aus dem die gleichen dunklen Augensterne, wie Therese sie besitzt, leuchten.
»Liebe Julia«, hört Andrea den Grafen sagen, »das ist Fräulein Wester, meine neue Sekretärin und Bibliothekarin.« Freundlich wendet er sich Andrea zu. »Julia Gräfin von Ulmen ist die Gattin meines verstorbenen Sohnes.«
Scheu wartet Andrea vergebens, daß sich ihr die Hand der schönen Frau entgegenstreckt. Statt dessen trifft sie ein so eiskalter Blick, daß sie erschrocken zusammenzuckt. Eine klare spöttische Stimme fragt: »Seit wann speisen die Domnestiken mit uns bei Tisch?«
Andrea muß sich an der Stuhllehne festhalten, so trifft sie dieser unerwartete Schlag. Sie ist leichenblaß geworden. Für diese hochmütige Frau ist sie also nur ein Dienstbote, den man nicht beachtet.
Ein harter Ausdruck hat das eben noch so gütige Gesicht des alten Herrn vollkommen verändert. Mit schneidender Stimme befiehlt er jetzt: »Fräulein Wester ist mein Gast und wird entsprechend respektiert!« Ein befehlender Wink zu dem Diener. »Johann, Sie können auftragen!« Dann fordern eine Handbewegung und ein fester Blick die zaudernde blasse Andrea auf, Platz zu nehmen.
»Entschuldige, lieber Vater, aber mir ist der Appetit vergangen!« Nach dieser höhnenden Antwort verkündet das Zuschlagen der Tür, daß Julia das Zimmer verlassen hat. Die beiden Menschen bleiben in der Stille zurück.
»Herr Graf, bitte«, Andrea sieht ihn flehend unter Tränen an, »lassen Sie es meinetwegen nicht zu einem Streit kommen. Ich esse genauso gerne auf meinem Zimmer.«
Aber der alte Herr schüttelt den Kopf. »Hier geht es nicht so sehr um Sie, liebes Kind, als um andere Dinge. Das verstehen Sie jetzt noch nicht, vielleicht später einmal! Auf Schloß Ulmen wird getan, was ich wünsche. Beißen Sie die Zähne zusammen, wenn Ihnen in den nächsten Tagen noch ähnliche Zwischenfälle begegnen. Mit der Zeit wird sich Julias Zorn schon mildern. Zumindest wird sie erkennen, daß nicht alles nach ihrem Willen verläuft.«
*
Ein wunderschöner Junimorgen zieht über dem Ulmenhof auf. Wie an jedem Tag ist Andrea auch heute mit Feuereifer bei der Arbeit. Sie hat gestern begonnen, die Bücher der gräflichen Bibliothek zu katalogisieren.
Da sich seit Jahren niemand darum gekümmert hat, wartet eine Menge Arbeit auf sie. Aber die Beschäftigung macht ihr Spaß, und Graf Ulmen ist ein gütiger, väterlicher Freund, mit dem sie ausgezeichnet zurechtkommt. Ach, es könnte so schön hier sein, wenn… Ja, wenn Gräfin Julia nicht wäre.
Drei Wochen ist Andrea nun schon im Schloß. Aber während dieser ganzen Zeit hat die Gräfin von Ulmen es vorgezogen, auf ihren Zimmern zu speisen. Sie fühlte sich nicht wohl, ließ sie dem Grafen melden. Aber Andrea weiß es besser! Der Gräfin fehlt durchaus nichts. Sie sieht sie auf ihren einsamen Spaziergängen oft vorübergaloppieren, und stets in Begleitung desselben Mannes. Dann lacht sie und ist bester Laune. Nichts erinnert bei ihr an eine Frau, die erst vor kurzem ihren Mann verlor.
Das Öffnen einer Tür reißt Andrea aus ihrem trüben Sinnen. Sie erhebt sich, um den alten Herrn in der Bibliothek zu begrüßen. Aber an der Tür erkennt sie zu spät, daß der Graf nicht allein ist. In seiner Begleitung befindet sich jener elegante Fremde, der sie am Tag ihrer Ankunft vor der Blockhütte mit schroffen Worten fortschickte. Andrea erkennt ihn sofort wieder, besonders die dunklen hochmütigen Augen, die durch sie hindurchzusehen scheinen.
Schnell will sie sich wieder in ihr Zimmer zurückziehen. Aber der Graf hat sie schon gesehen und sagt freudig erregt: »Bleiben Sie nur, Fräulein Wester. Das ist mein Sohn Nikolaus, auf den ich schon so lange gewartet habe. Gottlob, heute ist er endlich angekommen!«
Betreten schweigt Andrea. Das ist Nikolaus von Ulmen? Dieser hochmütige Mensch, von dem Thomas von Britten und der alte Graf ihr Wunderdinge erzählt haben, wie freundlich und gut er sei? Wie konnte das möglich sein? Und dann soll er heute erst angekommen sein? Nein, sie hat den Fremden auf Anhieb wiedererkannt.
Warum wohnt der Sohn des Grafen unerkannt wochenlang in der Nähe des Schlosses, wenn ihn sein Vater mit Sehnsucht erwartet? Welche Rätsel gab dieser fremde junge Mann auf?
»Und du, lieber Nikolaus«, fährt Graf Ulmen fort, »siehst in Fräulein Andrea Wester meine neue Bibliothekarin und Sekretärin.«
Wieder sehen die dunklen Augen des jungen Mannes durch Andrea hindurch. Ein kurzes hochmütiges Nicken des stolzen Hauptes, das ist die ganze Begrüßung.
Noch einer, denkt Andrea, der es für unwürdig hält, eine Bedienstete mit Handschlag zu begrüßen.
Sie wird blaß. Mit ein paar leisen Entschuldigungsworten zieht sie sich schnell in ihr Zimmer zurück. Ihr Herz klopft schmerzhaft. War es denn so schändlich, sich sein Brot mit ehrlicher Arbeit zu verdienen? Warum sehen diese Leute auf sie herab?
»Nimm Platz, mein Junge!« hört sie nebenan den Grafen sagen. Man kann durch die dünne Tapetentür jedes Wort verstehen, das in der Bibliothek gesprochen wird.
»Ich bin so froh, Nikolaus, dich endlich wiederzuhaben. Es war schlimm, daß du nicht rechtzeitig zu Randolphs Beisetzung zurückkehren konntest. Überhaupt, die ganze Zeit war recht schwer für mich.«
Nach diesen Worten ist es eine Weile still. Dann sagt eine wohltönende Stimme: »Du versprichst dir zuviel von meiner sogenannten Heimkehr, Vater. Ich will es dir gleich zu Beginn sagen, um späteren Enttäuschungen vorzubeugen, hierbleiben kann ich nicht!«
»Nikolaus!« Andrea erkennt am Rücken des Stuhles, daß der alte Herr aufgesprungen ist. Jetzt eilt er wohl erregt auf und ab durch das große Zimmer.
»Das kann dein Ernst nicht sein, mein Junge! Du bist jetzt der künftige Herr des Ulmenhofes. Niemand ist mehr da, der dir diese Verpflichtung abnimmt.«
»Ihr könnt einen Verwalter einstellen!«
»Niemals! Es geht auch um Verpflichtungen gesellschaftlicher Art! Schließlich haben wir Ulmens einen jahrhundertealten Namen zu vertreten. Bedeutet dir das denn gar nichts?«
»Quäle mich nicht, Vater! Ich kann nicht bleiben, und du weißt, warum!«
»Nein.« Hart und bestimmt kommt das Wort dem alten Herrn über die Lippen. »Es gibt keinen einzigen Grund und noch viel weniger eine Entschuldigung dafür, wenn der Sohn und Erbe das väterliche Schloß Fremden überlassen will.«
»Es soll ja nicht für immer sein! Später, wenn die Zeit meine Wunden geheilt hat, will ich gerne bleiben.«
»Später, immer später! Ich habe keine Zeit mehr zum Warten, mein Sohn! Denke an mein hohes Alter! Soll ich in der Zwischenzeit all die Lasten und Verpflichtungen tragen, die dir zugedacht sind? Jetzt braucht Schloß Ulmen einen Herrn, Nikolaus, hörst du? Du wirst doch nicht vor der dir gestellten Aufgabe davonlaufen, du, ein Graf Ulmen!«
Eindringlich und beschwörend klingt seine Stimme.
»O Vater, glaube mir doch, ich kann nicht. Es geht über meine Kräfte.« Stöhnend bricht es aus dem jungen Grafen heraus.
»Ist es denn immer noch das gleiche mit dir?« Müde und traurig klang Graf Ulmens Stimme. »Bist du denn umsonst vier Jahre in der Welt herumgezogen?«
»Es hat mir nichts geholfen, Vater! Ich kann einfach nicht in ihrer Nähe bleiben.«