Geheimnisvolles Rendezvous - Armin A. Alexander - E-Book

Geheimnisvolles Rendezvous E-Book

Armin A. Alexander

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Beschreibung

Man stelle sich vor: Eines Morgens liegt im Briefkasten ein Umschlag mit einem erotischen Aquarell, dem Selbstportrait einer faszinierend schönen Frau und einer begnadeten Künstlerin, die ihren Körper verführerisch darstellt, aber ihr Gesicht verdeckt. Und es bleibt nicht bei diesem einen Aquarell, sondern es werden ein Dutzend. Auf keinem gibt sie ihre Identität preis, dafür alles andere. Genau das und noch etwas mehr widerfährt dem Helden dieser Erzählung. Ferner enthalten sind die Erzählungen: Chambre d'Amour, Ein Bewunderer, Die Villa nebenan

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Man stelle sich vor: Eines Morgens liegt im Briefkasten ein Umschlag mit einem erotischen Aquarell, dem Selbstportrait einer faszinierend schönen Frau und einer begnadeten Künstlerin, die ihren Körper verführerisch darstellt, aber ihr Gesicht verdeckt. Und es bleibt nicht bei diesem einen Aquarell, sondern es werden ein Dutzend. Auf keinem gibt sie ihre Identität preis, dafür alles andere. Genau das und noch etwas mehr widerfährt dem Helden dieser Erzählung.

Armin A. Alexander

GeheimnisvollesRendezvous

Erzählungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 Armin A. Alexander

Überarbeitete und erweiterte 2. Auflage Juni 2019

Umschlag, Umschlagfoto und Satz:

Armin A. Alexander

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783749402151

http://blog.arminaugustalexander.de

GeheimnisvollesRendezvous

1.

Erst als er den großen grauen rückseitig mit Karton verstärkten Umschlag mit der übrigen Post auf den Schreibtisch legte, sah er, daß er nicht mit der regulären Post gekommen sein konnte, da nur sein Name in einer ihm unbekannten Handschrift darauf stand, was verständlicherweise seine Neugierde weckte. Er schnitt ihn auf. Er enthielt lediglich ein Blatt rauhes Aquarellpapier.

Es war ausgezeichnet und mit viel Liebe zum Detail gearbeitet. Es zeigte eine große Frau mit einem ausgeprägt femininen Körper und taillenlangen, dichten, dunklen Haaren. Sie stand leicht nach links gewandt im Kontrapost. Sie hielt ein großes, beiges, flauschiges Handtuch vor den Bauch, den Blick halb nach unten gerichtet, das Gesicht von den Haaren verdeckt. Im Gegensatz zur Detailverliebtheit, mit der sie dargestellt war, war der sie umgebende von warmem Licht durchflutete Raum lediglich mit wenigen Strichen angedeutet, die aber genügten, um ein Bad erkennen zu lassen.

Er wendete das Blatt mehrmals, doch es war nicht die Spur einer Signatur vorhanden.

Er setzte sich an den Schreibtisch und nahm es mithilfe einer Lupe näher in Augenschein.

Die Arbeit strahlte eine besondere Erotik aus. Es war offenkundig ein Selbstportrait. Diese Liebe zum Detail war Eigenliebe im positiven Sinn. Sie hatte nichts an sich beschönigt. Der auf den ersten Blick perfekte Körper hatte seine kleinen, angenehmen Fehler. Ihre Brüste beispielsweise – sie fielen schon deshalb ins Auge, weil sie das Handtuch mit der Rechten unmittelbar unter ihnen festhielt – waren keine gleichmäßigen Halbkugeln, sondern gaben unübersehbar der Schwerkraft nach, doch ohne den Eindruck des Hängens zu vermitteln. Die linke zierte außen ein kleines ovales Muttermal. Der Warzenvorhof war relativ groß und dunkel. Die Finger waren schlank und unberingt, mit halblangen, in einem blassen Rot lackierten Nägeln, was mehr der Aquarelltechnik geschuldet zu sein schien, als einer Vorliebe für derartige Rottöne. Mit der Linken hielt sie das Handtuch knapp über dem Schoß fest. Es fiel in weiche Falten zwischen ihren muskulösen Schenkeln hinunter. Die Waden waren angenehm gerundet und die Fesseln schmal. Die Füße kamen dem klassisch-griechischen Ideal nahe, die Nägel im selben Farbton wie die ihrer Finger lackiert. Obwohl sie sich auf den ersten Blick nach dem Baden oder Duschen selbstverliebt abtrocknete, posierte sie unübersehbar für einen bestimmten Betrachter.

Er stellte das Blatt vor den Monitor seines Computers und lehnte sich zurück.

Wer mochte ihm dieses kleine Meisterwerk geschickt haben?

Zuerst dachte er an einen seiner Künstlerfreunde und -kollegen. Was er schnell verwarf.

Zuerst fielen alle Männer heraus. Selbst wenn es kein Selbstportrait wäre, würde kein Mann einen Frauenakt so darstellen, auch wenn man unterstellte, das es keine typisch geschlechtliche Sicht auf den menschlichen Körper gibt. Zum anderen ließ es sich stilistisch niemandem zuordnen – wenn es auch die meisten von der technischen Seite mühelos hinbekämen, das einzig wirklich nicht unumstößliche Argument. Drittens müßten seiner Intuition nach Urheberin und Abgebildete identisch sein. Womit alle ihm bekannten Künstlerinnen gleichfalls ausschieden. Keine besaß taillenlanges dunkles Haar. Die einzige, die langes hatte, war blond und zierlicher als die Abgebildete. Figürlich kamen allenfalls zwei infrage, wenn er auch keine von ihnen bisher nackt gesehen hatte und sie ihr Haar deutlich kürzer trugen. So angestrengt er auch überlegte, ihm fiel niemand ein, die mit der abgebildeten Schönen auch nur einigermaßen Ähnlichkeit besaß.

Es war das Selbstbildnis einer unbekannten Verehrerin, was einerseits seiner Eitelkeit schmeichelte, ihn andererseits beunruhigte, da er keine Vorstellung bezüglich der weiteren Entwicklung besaß.

Er sah sich erneut den Umschlag an. Vielleicht hatte er etwas übersehen. Er stellte ihn auf den Kopf, schüttelte ihn, aber es kam nichts mehr zum Vorschein.

Obwohl er das Blatt bereits mehr als aufmerksam angesehen hatte, untersuchte er es erneut mit der Lupe, mit demselben Ergebnis.

Zu guter Letzt befestigte er das Blatt von einem tiefen Seufzer der Kapitulation begleitet an der Magnetleiste über dem Ruhesofa. Vielleicht würde seine fortwährende Gegenwart ihm eine Eingebung bringen. Diesen Gefallen tat es ihm selbstverständlich nicht.

Mehrmals verirrte sich sein Blick zum Aquarell, die Faszination stieg mit der Ratlosigkeit.

Zwei Tage danach erhielt er einen weiteren Umschlag. Es überraschte ihn nicht. Er hatte damit gerechnet. Die übrige Post warf er achtlos auf den Schreibtisch und öffnete den Umschlag mit leicht fahrigen Fingern.

Er enthielt erneut ein Blatt des gleichen Aquarellpapiers.

Diesmal saß sie im selben Licht auf dem Rand einer Wanne und cremte sich ein. Sie wandte dem Betrachter stärker als auf dem ersten Blatt das Profil zu. Das rechte Bein war leicht angewinkelt, das linke gestreckt. In der Linken hielt sie einen milchig blauschimmernden fast vollen Flakon, mit der Rechten verteilte sie die Lotion übers rechte Bein. Ihr Bauch warf sich in nicht unschöne leichte, reizvolle Falten. Wieder verdeckte ihr Haar das Gesicht.

Das Blatt war so schön und betörend wie das erste, er meinte sogar eine leichte Steigerung festzustellen. Er betrachtete es ebenso aufmerksam wie das erste, entdeckte aber ebensowenig einen Hinweis auf die Urheberin.

Er befestigte das Blatt neben dem ersten, betrachtete sie zusammen und blieb ratlos. Sicher war nur, daß weitere folgen würden und er lediglich spekulieren konnte, was sie zeigen könnten.

Am nächsten Morgen und über etwas mehr als eine Woche hinweg war täglich in seinem Briefkasten ein Umschlag mit einem Aquarell, manchmal auch mit zweien darin. Am Ende blickten ihm zwölf Aquarelle in zwei Reihen von der Wand entgegen. Auf keinem war der kleinste Hinweis auf die Urheberin zu entdecken.

Aus der Badezimmerszene wurde beim dritten Blatt eine Ankleideszene, begleitet von einem Wechsel des Raumes bei vergleichbarer Lichtstimmung, die wesentlich zu der besonderen Atmosphäre beitrug, die allen Blättern gemeinsam war. Auf diesem hüllte sie den Körper in ein leichtes, kurzes tailliertes Gewand aus bläulichem Organza, unter dem der dunkle Warzenvorhof ihrer Brüste mehr als nur angedeutet sichtbar wurde. Dieses Gewand trug sie auf den weiteren Blättern, wohl wissend, daß ein geschickt mit einem Hauch von Stoff bekleideter Körper verführerischer als ein nackter wirkt.

Aus der Ankleideszene wurde eine Ruheszene auf einem breiten, wiederum nur mit wenigen Strichen angedeutetem Bett. Sie saß, ans Kopfteil gelehnt, ein Kissen im Rücken, das linke Bein ausgestreckt, das rechte angewinkelt, den Blick vom Betrachter abgewandt. Sie schien in Erwartung versunken zu sein. Die Haltung der Finger ihrer Rechten ließ vermuten, daß sie sich zuvor entweder selbst gestreichelt hatte und jetzt innehielt oder jeden Augenblick damit beginnen würde. Die Linke ruhte auf vergleichbare Weise zwischen ihren Brüsten, zu denen sich sein Blick immer wieder hingezogen fühlte, dabei gab es vieles an ihr, das die gleiche Aufmerksamkeit verdiente.

Das folgende Blatt unterschied sich lediglich in Details vom vorhergehenden. Ihre Körperhaltung hatte sich so verändert, daß kein Zweifel mehr daran bestand, daß sie onaniert hatte. Die Intimität steigerte sich.

Auf dem nächsten Blatt, an jenem Tag waren zum ersten Mal zwei im Umschlag, war sie nicht mehr allein. Sie ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der Mann war wie die Umgebung lediglich angedeutet, wenn auch nicht ganz so sparsam. Ausgearbeitet waren lediglich die Partien, die für die jeweilige Szene, in denen sie ohne Ausnahme den aktiven Teil übernahm, wichtig waren. Die Blätter zeigten verschiedene Liebesstellungen in einer Deutlichkeit, die nicht einmal die Fotografie erreichen kann. Doch waren sie in keiner Weise obszön im gewöhnlichen Sinn. Der Betrachter konnte ihre Lust, ihr gegenseitiges Begehren füreinander, sogar ihren Orgasmus nachempfinden. Es gelang ihr das eigentlich Unmögliche; Empfindungen, Leidenschaften zu visualisieren, so daß ein Dritter sie nachvollziehen konnte, als wären es seine eigenen.

Trotz ihres Naturalismus war allen Blättern etwas Traumhaftes gemein.

Es war folgerichtig, daß die dargestellten Szenen ihn bis in die Träume hinein verfolgten. In ihnen sah er sich abwechselnd als Zuschauer und als Beteiligter, letzteres immer häufiger. So oft er es versuchte, es gelang ihm nie, ihr die Haare vom Gesicht zu entfernen. Über die Enttäuschung dieser vergeblichen Versuche erwachte er jedesmal in reichlich konfuser und leicht gedrückter Stimmung. An sich waren es keine Alpträume. Mehr als einmal hatte er dabei das Gefühl, kurz vor einem herrlichen Orgasmus zu stehen, ausgelöst von einer wundervollen und begehrenswerten Frau. Ohne diese Schöne jemals gesehen zu haben, begehrte er sie längst derart, daß es ihm nur noch unzureichend gelang, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Zugleich wurde er ratloser. Was sollte eine Verführung, wenn der zu Verführende nicht wußte, wer ihn verführte und ob das Ziel eine Realisierung des Gezeigten war. Irgendwie mußte es weitergehen. Es mußte eine Auflösung geben!

Daran klammerte er sich, umso mehr, weil von einem Tag auf den anderen keine weiteren Blätter mehr kamen.

2.

Seit drei Tagen lag im Briefkasten weder ein Umschlag mit einem neuen Aquarell noch ein Brief, der Aufklärung hätte bringen können, was ihn nicht wenig beunruhigte, schließlich war er überzeugt, daß sie erst der Anfang gewesen waren. Derweil erging er sich in Spekulationen, was diese Unterbrechung verursacht haben könnte, unabhängig vom Grad ihrer Wahrscheinlichkeit, was ihn natürlich keinesfalls beruhigte, da ihm im Gegenzug mindestens ebenso viele Argumente einfielen, weshalb das bislang letzte Aquarell, das tatsächlich letzte sei, was er von der unbekannten Künstlerin hören würde, wobei ihm bewußt war, daß niemand einen derartigen Aufwand betrieb, ohne sich auf irgendeine Weise zu erklären. Mit fruchtlosem Grübeln verbrachte er den dritten Tag ohne Nachricht bis zum frühen Nachmittag. Zum Glück hatte er zurzeit keinen Auftrag, dessen Abgabe kurz bevorstand.

Als es an seiner Tür klingelte, fuhr er zusammen. Leicht aufgeregt öffnete er.

»Ach, du bist es«, entfuhr es ihm erleichtert und enttäuscht zugleich.

Er wußte nicht, mit wem oder was er gerechnet hatte. Er war derart in seine Szenarien vertieft, daß er die reale Außenwelt aus seiner Wahrnehmung weitgehend verbannt hatte. Für einen Augenblick hatte er tatsächlich angenommen, es könnte die Urheberin der Aquarelle sein oder zumindest eine Nachricht von ihr.

»Danke für die charmante Begrüßung«, meinte Marlies leicht pikiert. »Wenn das so ist, kann ich ja wieder gehen.«

Sie wollte wahrhaftig auf dem Absatz kehrt machen, was er durch eine mehr als herzliche Umarmung verhinderte, die im Gegensatz zu seiner ersten Reaktion auf ihr Erscheinen stand. Er zog sie richtiggehend in die Wohnung, was sie erst recht mißtrauisch werden ließ.

Sie löste sich sanft aber bestimmt aus seinen Armen und ging ins Wohnzimmer, wo sie ihre große schwarzlederne und schon leicht abgestoßene Umhängetasche neben die Couch stellte. Sie setzte sich, die Beine mit der ihr eigenen Mischung aus Koketterie und Damenhaftigkeit übereinanderschlagend.

»Ich dachte, ich besuche dich mal wieder, nachdem du länger nichts von dir hast hören lassen.« Der Vorwurf war unüberhörbar.

Er setzte sich leicht verkrampft und leicht schuldbewußt ihr gegenüber auf die Lehne des Sessels.

So gerne er sich am Anblick ihrer schönen langen Beinen mit den muskulösen Schenkeln und den schmalen Fesseln erfreute, im Augenblick stand ihm nicht der Sinn danach. Daher fiel ihm auch nicht auf, daß ihr burgunderfarbener knielanger Lederrock neu war, der sich um ihre, für ihren sportlich schlanken Wuchs etwas zu breiten Hüften, die sie mochte, betörend schmiegte. Ebensowenig achtete er auf ihre zarten schwarzen Nylons – sie war eine der wenigen Frauen, die er kannte, die ausschließlich Strümpfe trug – ihre gleichfalls neuen und farblich zum Rock passenden High-Heels und ihr wie gewöhnlich enganliegendes, dekolletiertes Oberteil, das ihren mütterlichen Busen auf exhibitionistische Weise betonte. Dabei teilte er ihr Faible für enge Lederröcke, Nylons und High-Heels, daher entging ihr seine derzeitige ›Ignoranz‹ nicht, zumal er für sie ein offenes Buch war.

Sie strich sich eine ihrer schulterlangen schwarzen Locken aus der Stirn und musterte ihn nachdenklich.

Noch bevor sie etwas zu seiner ungewohnten Unaufmerksamkeit ihren weiblichen Reizen gegenüber sagen konnte, erzählte er bereits von den Aquarellen, die er bisher niemandem gezeigt hatte, sie waren ihm zu persönlich. Er erzählte ihr nicht nur davon, weil er ihr Urteil in Kunstdingen schätzte, sondern sie für ihn auch ein ›Beichtvater‹ war. Eine Position, die sie wechselseitig einander gegenüber einnahmen. Schon nach dem ersten Satz seiner etwas umständlichen Einleitung verzieh sie ihm seine vermeintliche Unaufmerksamkeit.

»Geil«, rief sie beim Anblick der in zwei Reihen an den Magnetleisten hängenden Aquarelle aus und betrachtete sie aufmerksam, während er hinter ihr stand und mit gemischten Gefühlen auf ihr Urteil wartete.

Er fühlte sich wie jemand, der zum ersten Mal seine Werke, in die er viel Arbeit gesteckt hatte, einem fachlich versierten Publikum zeigte und selbst nicht so recht wußte, wo er sich einordnen konnte und sollte.

Sie ließ sich mit dem Anschauen Zeit, was seine innere Unruhe nicht gerade minderte.

Wäre er ausgeglichener gewesen, wäre ihm nicht entgangen, daß sie die Blätter nicht allein mit den Augen der Kunstkennerin betrachtete, sondern mehr mit denen der Voyeurin, der Genießerin erotischer Frauendarstellungen. Er dachte nicht einen Augenblick daran, daß die dargestellte Schöne weitgehend dem Frauentyp entsprach, den sie bevorzugte.

»Die sind wirklich ausgezeichnet«, war sie vorbehaltlos begeistert und sah ihn mit glänzenden Augen an. »Die Künstlerin versteht etwas von ihrer Arbeit.«

»Wieso kommst du darauf, daß sie von einer Frau sind?« fragte er etwas erstaunt, obwohl er keinen Moment an dieser Tatsache zweifelte und sicher war, daß jeder dieselben Schlüsse ziehen mußte.

»Weil nur eine Frau diese spezielle Sicht hat, auch wenn das vielleicht etwas altfeministisch klingen mag. Fraglos steht die dargestellte Schöne im Mittelpunkt. Für mich sind es unzweifelhaft selbstverliebte Selbstportraits. Sie ist mit ihrem Körper in Einklang, weil sie weiß, welche Lust, welch schöne Gefühle er ihr bereiten kann. Das ist gut an der Haltung auf dem ersten Blatt zu sehen, wie sie sich eincremt auf dem zweiten, wie sie sich anzieht, wie sie onaniert, wie sie diesen Mann vögelt, der unzweifelhaft Beiwerk ist. Was sich daran zeigt, daß er nur grob skizziert ist. Wenn sie in ihm auch kein reines Objekt, keinen lebenden Dildo sieht. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß sie dich darstellt«, fügte sie mit einem schelmischen Augenzwinkern hinzu.

»Zu dem Schluß bin ich auch schon gekommen.«

»Was? Daß er du bist?« verstand sie ihn absichtlich miß.

»Das meinte ich damit nicht«, sagte er ungewollt streng und verzog etwas säuerlich das Gesicht.

Er war gegenwärtig nicht in der Stimmung für ihre üblichen kleinen Neckereien.

»Warum fragst du mich dann?« entgegnete sie etwas kühl und warf den Kopf leicht affektiert zurück.

»Weil ich deine unabhängige fachliche Meinung hören wollte. Weil ich dein Urteil schätze, nicht nur in Kunstfragen«, sagte er eine Spur zu versöhnlich. Er stritt sich ungern mit ihr und schon gar nicht über Kleinigkeiten. Trotz aller Abgeklärtheit, die sie gerne zur Schau trug, war sie sensibel und verstand leicht etwas miß. Wenigstens hielten diese gelegentlichen Verstimmungen nie länger als einige Augenblicke an.

»Schleimer«, meinte sie mit einem breiten Grinsen und einem koketten Augenaufschlag, der ihre Aussage relativierte, denn sie mochte seine Komplimente, die oft platt klangen, aber ehrlich gemeint waren.

»Sie sind unübersehbar nach der Natur gearbeitet«, nahm sie den Faden ihrer Argumentation wieder auf. »Sie beherrscht die Technik des Aquarells wie nur wenige. Man glaubt, einen alten Meister vor sich zu haben.«

»Denkst du an einen bestimmten?« An eine solche Parallele hatte er nicht einen Augenblick gedacht.

»Nein, an niemand Bestimmtes. Es ist die Perfektion, die mich darauf bringt. Sie sind nicht für eine Öffentlichkeit gedacht, sondern für eine bestimmte Person. Diese Blätter sollen nur zwei Leute sehen; die, die sie gemacht hat und die, für die sie bestimmt sind. Zumindest die eine ist mir bestens bekannt: DU!« Sie bohrte ihm dabei spielerisch den Zeigefinger in die Brust.

»Das ist mir klar.« Er hielt ihre Hand fest, denn es tat durchaus weh.

»Wenn dir das alles klar ist, warum zeigst du mir die Blätter dann?« Sie tat, als verstehe sie ihn nicht und entzog ihm die Hand aus seinem nicht allzu festen Griff.

»Weil ich, wie schon gesagt, dein fachliches Urteil hören wollte«, wiederholte er leicht ungehalten, womit sie sich aber nicht zufriedengab.

»Wenn es dir darum geht, hättest du auch Francesca oder Marietta fragen können.«

»Marietta auf keinen Fall, das weißt du genau«, war seine Reaktion ungewollt heftig.

»Weil sie scharf auf dich ist?«

»Weil sie nervig und launisch bis zum Exzeß ist.«

»Für eine Zeitlang hatte ich den Eindruck, daß ihr auf dem besten Weg ward, daß sich etwas zwischen euch entwickelt.«

»Hattest nicht nur du. Aber wenn du Marietta näher kennenlernst, so gut wie ich sie kennengelernt habe, möchtest du sie nur noch von weitem sehen.«

»Sicher, sie ist eine etwas temperamentvolle Frau«, meinte sie beschwichtigend, obwohl sie seine heftige Ablehnung immer noch nicht nachvollziehen konnte. Vielleicht würde er ihr ein anderes Mal seinen ›Leidensweg‹ mit Marietta ›beichten‹. »Vor allem sie ist eine dieser schönen stattlichen Frauen, deren erotische Ausstrahlung körperlich spürbar ist und deren Gegenwart einen heiß durchläuft, da sie keinen Zweifel daran lassen, daß sie bei der Liebe gerade das Außergewöhnliche zu genießen verstehen und auch einfordern. Die wenigen Male, die wir Gelegenheit hatten, miteinander zu sprechen, sind mir jetzt nicht wirklich unangenehm in Erinnerung geblieben. – Ihr habt tatsächlich noch nie miteinander gefickt?« Sie bevorzugte bezüglich des Sexuellen eine lautmalerische deftige Sprache, die ihr derart selbstverständlich über die Lippen kam, daß sich nur selten jemand daran störte.

»Schön, daß du stets an die höheren Dinge im Leben denkst.« Kaum hatte er es gesagt, tat es ihm bereits leid, physisch war er Marietta gegenüber ja in keiner Weise abgeneigt, im Gegenteil. Versöhnlich fuhr daher er fort: »Wir waren zweimal kurz davor, unsere Beziehung zu vertiefen. Aber jedesmal bekam sie offensichtlich Angst und verhielt sich alles andere als – fair – sagen wir es mal so. Gut, ich war zuvor wohl etwas zu zögerlich und sie vielleicht allzu ungeduldig gewesen. Sobald bei ihr auf Anhieb etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt, läßt sie ihrer Enttäuschung bisweilen reichlich barsch freien Lauf. Letztlich bin ich froh, gezögert zu haben. So erotisch reizvoll sie in ihrer wundervollen Üppigkeit auch sein mag, das Verhalten, das sie mitunter an den Tag legt, kühlt die Leidenschaft für sie deutlicher ab, als es ein Kübel Eiswasser je könnte, der über einen geschüttet wird.«

»Ich dachte immer, Frauen mit starker Persönlichkeit würden dich besonders reizen«, meinte sie spöttisch, aber sie schien ihn zu verstehen. »Ich vermute, daß sie jemanden sucht, der ihr zeigt, wo’s lang geht. Wundern würde mich das bei ihrer provokativen Art nicht. Es gibt Frauen, die wünschen sich eine starke männliche Hand, die bei Bedarf schon einmal ausrutschen darf und auch sollte. Sie lieben den Machtkampf, sie brauchen Reibungsfläche. Das sind selten Frauen, die ihr Leben scheinbar nicht im Griff haben. Leider bist du dafür der falsche. Du bist oftmals zu höflich und rücksichtsvoll. Es wundert mich nur, daß sie das nicht sofort erkannt hat. Aber wenn die Hormone die Führung übernehmen, hat der Verstand meist das Nachsehen. Frauen sind da nicht anders als Männer. Ich habe ohnehin den Eindruck, daß Frauen diesbezüglich mit Enttäuschungen schlecht umgehen können. Du bist ein unverbesserlicher Romantiker, der am liebsten der geliebten Frau jeden Wunsch von den Augen abliest und seine Erfüllung darin findet, sie nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen, sie sozusagen auf Händen zu tragen, sich aber auch nicht scheut, sie richtig durchzuficken, wenn es ihr guttut. Es gibt kaum eine Frau, die zu ihrem Sexualtrieb steht, die sich nicht hin und wieder von einem Mann wünscht, so richtig schön durchgefickt zu werden. Du brauchst letztlich eine Frau, die es genießt, wenn ein Mann ihr bereitwillig zu Füßen liegt, und der seine eigene – sexuelle – Erfüllung darin findet, sie nach allen Regeln der Kunst, besonders im Sexuellen zu verwöhnen.«

Er enthielt sich einer Antwort. Sie mochte mit ihrer Einschätzung weitgehend richtig liegen, doch hatte er wenig Lust, mit ihr das Thema Marietta zu vertiefen, da er spürte, daß er, ohne es bewußt gewollt zu haben, alles andere als unschuldig an der Entwicklung zwischen Marietta und ihm war.

»Und warum nicht Francesca?« insistierte Marlies nach einer kurzen Pause, während sie zwei der Aquarelle, auf denen die unbekannte Schöne mit dem Mann Sex hatte, näher angesehen hatte.

»Weil ich mit Francesca nicht so gut befreundet bin wie mit dir und darum nicht glaube, derart private Dinge mit ihr besprechen zu können.«

»Dein Vertrauen ehrt mich«, war sie mit dieser Antwort ebensowenig zufrieden. »Bisher dachte ich, zwischen dir und Francesca wäre etwas, wenn auch nur gelegentlich.«

»Wie kommst du jetzt darauf?« Er war leicht genervt, weil sie ihm offenbar unterstellte, daß er mit jeder Frau, deren Gesellschaft ihm angenehm war, etwas haben müßte, selbst wenn er es sich in seinem tiefen Inneren manchmal wünschte.

»Zum einen stehst du auf atemberaubend schöne Südeuropäerinnen mit mütterlichem Busen. An feuriger Leidenschaft übertrifft sie selbst Marietta, da sollten deine Hormone eigentlich Purzelbäume schlagen vor Begeisterung … aber gut – und zum anderen baggerst du ziemlich heftig an ihr herum, wenn ihr euch begegnet. Zudem scheint sie dich auch nicht gerade als Heimsuchung zu empfinden.«

»Danke für die Blumen«, meinte er trocken.

Nicht daß es ihm unangenehm gewesen wäre. Aber trotz aller Sympathie, die zwischen Francesca und ihm zweifelsohne vorhanden war, aber sie besaß einige Eigenheiten, die für sich genommen unerheblich waren und über die leicht hinweggesehen werden konnte, für ihn aber in einer so unglücklichen Kombination bei ihr auftraten, daß es ihm unmöglich schien, sich intimer mit ihr einzulassen. Ihm war bewußt, daß andere und besonders Marlies verständnislos den Kopf darüber schütteln würden, würde er ihnen von seinen Vorbehalten erzählen. Manchmal konnte er selbst nicht fassen, wie sehr ihn diese störten und sie eigentlich nicht der Rede wert waren, aber sie hatten sich zu sehr bei ihm eingenistet, als daß er noch in der Lage war, sie zu ignorieren. Nur eine oder zwei dieser Eigenschaften weniger und ihm wäre nichts lieber, als mit ihr zusammenzusein, sexuell fühlte er sich ebenso stark von ihr angezogen wie von Marietta. Zum Glück erkundigte Marlies sich nicht nach seinen Vorbehalten. Sie war mit ihren Gedanken bereits woanders.

»Ich frage mich gerade, ob es nicht Francesca sein könnte, von der Figur könnte es hinkommen.«

»Francescas Haare sind erheblich kürzer und lockiger. Außerdem ist sie kleiner.«

»Das sind keine Fotos! Wenn die Proportionen stimmen und keine Bezugsgröße vorhanden ist, kann man sich sehr leicht verschätzen, wenn die Person nicht gerade außergewöhnlich klein oder groß ist. Soviel ich weiß, stimmen sie bei Francesca auf geradezu ideale Weise.«

»Das mag sein. Doch sind wir nicht übereingekommen, daß es sich um eine weitgehend realistische Darstellungen handelt?«

»Ich glaube auch nicht ernstlich, daß die Aquarelle Francesca darstellen und von ihr sind. Sie passen nicht zu ihr. Dafür ist sie trotz aller Leidenschaftlichkeit irgendwo zu nüchtern.«

»Das sagt nicht unbedingt etwas aus.« Er sah sich aus einem unerfindlichen Grund genötigt, Francesca in Schutz zu nehmen, da seine Abneigung ihr gegenüber so weit nun doch nicht ging. »Sobald es das Erotische betrifft, steckt in den meisten von uns ein Mr. Hyde – in diesem Fall wohl eher eine Mrs. Hyde.«

»›Es wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust‹«, deklamierte Marlies übertrieben pathetisch. »Schon möglich. Wenn auch Stevensons Romanfigur eher für das Düstere im Menschen und nicht für die sinnliche Leidenschaft, fürs Genießen, für die Lust steht.«

»Noch zu Stevensons Zeit gehörte die sexuelle Leidenschaft zu den düsteren Seiten im Menschen«, korrigierte er sie leicht schulmeisterlich. »Bei nicht wenigen auch heute noch.«

Sie ging nonchalant darüber hinweg, vielleicht hatte sie auch nicht darauf geachtet.

»Mein Einwand bezüglich des Nüchternen bezog sich in keiner Weise auf ihre Erotik. Niemand, der sie etwas kennt, würde so etwas zu behaupten wagen, sondern darauf, daß sie dir ihre Absichten prosaischer mitteilen würde. Davon abgesehen geschähe es auch etwas spät, immerhin kennt ihr euch schon einige Zeit. Zudem bezweifle ich, daß sie derart gut aquarellieren kann. Sie mag vieles sein und können, aber sicherlich keine begnadete Künstlerin. Zumindest habe ich noch nicht gehört, daß sie über derartige Talente verfügt.«

Da konnte er ihr nicht widersprechen. Könnte sie so gut aquarellieren, hätte es sich längst herumgesprochen. Diese Möglichkeit schied auf jeden Fall aus.

»Du hast wirklich keine Idee, wem du sie aus stilistischen Gründen zuordnen könntest?« Er klang hilflos.

»Nicht die geringste. Und dir fällt auch keine Künstlerin aus deinem Bekannten- und Freundeskreis ein, von der die Arbeiten sein könnten?«

»Keine, die ich kenne, kaum vom Stil und schon gar nicht vom Äußeren her. Die einzige mit langen Haaren ist blond und zierlicher, außerdem würde sie ihre erotischen Avancen an meine Adresse anders formulieren, wenn sie es überhaupt täte.«

»Warum würde sie es nicht tun?« Sie fragte unverschämt wißbegierig.

»Wie gut, daß du nicht neugierig bist.« Er seufzte ironisch.

»Finde ich auch«, sagte sie entwaffnend.

Er unterdrückte einen weiteren Seufzer und sagte, da sie andernfalls von diesem Thema nicht ablassen würde: »Weil sie glücklich verheiratet ist und eine Tochter hat.«

»Vielleicht ein Grund, aber sicherlich kein Hindernis. Es ist nun wirklich nichts Neues, daß nicht wenige Ehen allein auf dem Papier bestehen, aus den unterschiedlichsten Gründen und sei es nur, bis die Kinder aus dem Haus sind. Man hat sich arrangiert. Jeder pflegt seine Beziehungen, oft ohne daß der andere davon weiß oder, was ich in der Regel als wahrscheinlicher betrachte, nichts wissen will. Ich unterstelle damit nicht, daß es bei jener Frau der Fall sein könnte. Davon abgesehen gibt es genug Paare, die eine sogenannte offene Beziehung führen, oder gleich polyamorös leben.«

Er ging nicht weiter darauf ein. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie ihn in bestimmten Dingen nicht sonderlich Ernst nahm. Schließlich wußte sie, daß er wenig Lust hatte, eine Beziehung mit einer verheirateten Frau einzugehen. Das eine Mal vor einigen Jahren, zu dem er sich hatte hinreißen lassen, genügte ihm. Man war und blieb das fünfte Rad am Wagen, so leidenschaftlich die Beteuerungen der Gegenseite auch ausfielen, war seine Überzeugung. Polyamorie hielt er an sich für eine gute Idee, aber in der Praxis als nur schwer realisierbar, was der Anlaß zu teils heftigen Diskussionen mit Marlies gegeben hatte, die darin eine konstruktivere Auffassung vertrat, und Polyamorie auch relativ erfolgreich lebte.