Die Staatsanwältin - Armin A. Alexander - E-Book

Die Staatsanwältin E-Book

Armin A. Alexander

0,0

Beschreibung

In ihrer Wohnung findet die »Schöne Staatsanwältin«, die federführend in einem der größten regionalen Immobilienskandale der letzten Jahrzehnte ermittelt, die Leiche eines jungen Mannes, den sie mit nach Hause nahm. Sie kann sich nur noch daran erinnern, daß sie Sekt tranken, den er mitbrachte, bevor sie auf der Couch plötzlich einschlief. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um einen gescheiterten Versuch handelt, belastendes Material über ihre nicht alltäglichen Neigungen zu konstruieren, um sie öffentlich bloßzustellen. Oder versucht sie mit dieser Version vielleicht nur eine aus dem Ruder gelaufene Session zu verschleiern?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 512

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



In ihrer Wohnung findet die ›Schöne Staatsanwältin‹, die federführend in einem der größten regionalen Immobilienskandale der letzten Jahrzehnte ermittelt, die Leiche eines jungen Mannes, den sie mit nach Hause nahm. Sie kann sich nur noch daran erinnern, daß sie Sekt tranken, den er mitbrachte, bevor sie auf der Couch plötzlich einschlief. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um einen gescheiterten Versuch handelt, belastendes Material über ihre nicht alltäglichen Neigungen zu konstruieren, um sie öffentlich bloßzustellen. Oder versucht sie mit dieser Version vielleicht nur eine aus dem Ruder gelaufene Session zu verschleiern?

Armin A. Alexander

DieStaatsanwältin

Roman

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 Armin A. Alexander

1. Auflage September 2019

Umschlag, Umschlagfoto und Satz:

Armin A. Alexander

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783749476381

http://blog.arminaugustalexander.de

1.

Unverständliches Raunen drang wie durch dichten Nebel gedämpft zu ihr. Es war ihr unmöglich zu erkennen, ob es männliche oder weibliche Stimmen waren. Ihre Gedanken liefen träge ab. Sie wußte lediglich, daß sie nicht träumte. Sie verspürte leichte Übelkeit, begleitet von einem eigenartigen Druck auf den Kopf. Ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie besaß keine Erinnerung, wie sie in diesen Zustand geraten war. Nach einiger Zeit verstummten die Stimmen, um unbestimmbare Zeit später erbittert streitend erneut zu ertönen. Sie fühlte jemanden in ihrer unmittelbaren Nähe, hörte leises Klirren von Glas. Allmählich beruhigten sich die Stimmen. Dann verstummten sie wieder. Kurz darauf wußte sie, daß sie allein war.

Langsam gewann sie die Kontrolle über ihren Körper zurück, dabei verstärkten sich Übelkeit und Kopfschmerzen. Die bunten Nebel, die bisher vor ihren Augen flimmerten, wurden durchsichtiger. Reflexartig berührte sie mit der Rechten die Stirn, die sich feucht und kühl anfühlte. Sie blieb liegen, die Augen geschlossen. Sie fühlte sich noch nicht in der Lage, sie zu öffnen, noch weniger sich aufzurichten. Ein pelziger Geschmack auf der Zunge und leichtes Herzrasen begleiteten Übelkeit und Kopfschmerzen.

Sie öffnete die Augen. Sie mußte blinzeln, obwohl das Licht im Raum gedämpft war. Noch erkannte sie ihre Umgebung lediglich schemenhaft. Sie richtete sich mühsam auf, wodurch sich die Übelkeit verstärkte. Sie hatte das Gefühl, auf einem schwankenden Untergrund zu sein. Für kurz stellte sich ein Brechreiz ein, den sie aber niederkämpfte, außer Magensäure würde ohnehin nichts herauskommen, das spürte sie. Sie lehnte sich zurück und schloß erneut die Augen. Als das Schwanken und die Übelkeit etwas nachließen, der pelzige Geschmack und die Kopfschmerzen verringerten sich nur unwesentlich, öffnete sie erneut die Augen. Nun sah sie ihre Umgebung klarer. Sie war in ihrer Wohnung auf der breiten bequemen beigen Designer-Ledercouch sitzend.

Allmählich kehrte die Erinnerung an die vergangenen Stunden zurück.

Sie hatte sich von Martin überreden lassen, den Abend nicht im Club zu verbringen, sondern ihn mit zu ihr zu nehmen. Er hatte eine Flasche Sekt mitgebracht. Sie konnte sich noch erinnern, wie sie Gläser aus dem Schrank holte und er die Flasche öffnete. Während er die Gläser füllte, setzte sie sich ihm betont verführerisch gegenüber auf die Couch, die langen Beine lasziv übereinandergeschlagen, die oberen Knöpfe der Bluse bis zum Taillenkorsett geöffnet, ihm ihr üppiges Dekolleté präsentierend. Sie konnte sich täuschen, aber im Nachhinein hatte sie den Eindruck, daß er auf ihre exhibitionistische Einladung mehr pflichtschuldig reagierte. Sie trank ihr Glas schnell aus. Er schenkte ihr sofort nach. Sie plauderten über Belangloses. Er unternahm alles, um den entscheidenden Moment hinauszuzögern. Seine sanfte Stimme wirkte einschläfernd auf sie. Mehrmals wollte sie ihn schon unwirsch auffordern, das Reden zu lassen und sie endlich zu ficken, wofür sie schließlich bei ihr waren, aber sie konnte ihre zunehmende Schläfrigkeit nicht mehr überwinden. Seine Stimme wurde immer undeutlicher. Die Lider wurden ihr schwer. Sie sank zur Seite. Er mußte ihr das noch halbvolle Glas aus der Hand genommen haben oder sie hatte es in einem Reflex auf den Couchtisch zurückgestellt. Dann war eine Lücke in ihrer Erinnerung, bis diese Stimmen, die sie nicht identifizieren konnte, wie durch dichten Nebel zu ihr drangen.

Die Erkenntnis durchfuhr sie, daß nicht Müdigkeit sie übermannt hatte, sondern irgend etwas im Sekt gewesen sein mußte.

Martin schien nicht mehr dazusein, zumindest nicht in diesem Zimmer. Im Augenblick dachte sie nicht weiter darüber nach. Es fiel ihr noch zu schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Sektflasche und die beiden Gläser standen geleert und offenbar sorgfältig gespült auf der schweren Glasplatte des Couchtischs. Nicht einmal die Spuren ihres wie gewohnt üppig aufgetragenen Lippenstifts waren mehr vorhanden. Auch darüber machte sie sich – vorerst – ebensowenig Gedanken.

Kopfschmerzen, Übelkeit und der pelzige Geschmack ließen nur wenig nach. Sie wischte sich erneut über die Stirn. Ihr Schweiß fühlte sich kalt und ölig an. Ihre Hände zitterten leicht.

Schwerfällig und leicht schwankend erhob sie sich. Sie benötigte etwas, bis ihr Kreislauf sich an den Stellungswechsel ihres Körpers gewöhnte. Leicht unsicher tastete sie sich auf Strümpfen den Flur mit halb geschlossenen Augen zum Bad am anderen Ende ihrer großen Wohnung entlang.

Dort drehte sie das kalte Wasser auf und ließ ein Zahnputzglas halb vollaufen. Sie öffnete den kleinen Schrank neben dem Spiegel, in dem sich ihre Hausapotheke befand, nahm ein Aspirin heraus und riß mit zitternden Fingern die Schutzhülle auf. Während sich die Brausetablette im Zahnputzglas auflöste, stützte sie sich auf den Rand des Waschbeckens und hielt den Blick gesenkt. Erneut mußte sie einen Brechreiz unterdrücken. Ihre Bauchmuskeln schmerzten dabei. Das Sprudeln des sich auflösenden Aspirins erschien ihr unnatürlich laut und nicht nur, weil es so still in der Wohnung war. Sie fühlte sich, als hätte sie eine wild durchzechte Nacht hinter sich, dabei sprach sie seit vielen Jahren dem Alkohol nur noch mäßig zu. Sie atmete mehrmals tief durch. Ihr Herz schlug nicht mehr ganz so schnell, doch in ihren Adern kribbelte es noch immer unangenehm.

Das Aspirin hatte sich aufgelöst. Sie leerte das Glas in einem Zug. Jetzt hieß es abwarten, bis sich die Wirkung einstellte. Derweil ließ sie kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Langsam beruhigte sich ihr Kreislauf, auch die Kopfschmerzen ließen spürbar nach, lediglich der pelzige Geschmack auf der Zunge blieb. Sie trank noch einen Becher Wasser und stellte es ab, da es sie nun fröstelte, und trocknete die Hände ab, die noch immer leicht zitterten. Erst beim zweiten Anlauf gelang es ihr, das Handtuch wieder aufzuhängen. Sie öffnete den Deckel vom WC, schob den Rock hoch, einen Slip trug sie nur selten, und ließ sich fast schwerfällig auf den Sitz fallen.

Während ihr Urin mit einem kräftigen Strahl in die Porzellanschüssel prasselte, versuchte sie erneut zu rekapitulieren, wie der Abend verlaufen war, seit sie mit Martin ihre Wohnung betreten hatte, was ihr weiterhin nur unzureichend gelang. Sie konnte weder sagen, ob die Stimmen nicht nur Teil eines bizarren Traums waren, und noch weniger, aus welchem Grund Martin den Sekt mit etwas versetzt hatte, das sie betäubt hatte.

Sie betätigte die Spülung. Noch immer leicht unsicher auf den Beinen verließ sie das Bad, das ihrem ›Spielzimmer‹ gegenüber lag. Es war ihr Stolz. Sie hatte es mit viel Liebe zum Detail und ohne Rücksicht auf die Kosten eingerichtet. Selbst das edelste Dominastudio der Stadt wirkte dem gegenüber bescheiden. Prunkstück war ein moderner Untersuchungsstuhl, wie ihn nicht einmal ihre Gynäkologin besaß, die an ihrer Praxisausstattung gleichfalls nicht sparte. Die Spielgeräte waren von einem erfahrenen Schreiner und einem ebensolchen Metallbauer nach ihren Entwürfen gefertigt worden. Die Bezüge der Polsterungen bestanden aus feinem weinroten Lammnappaleder. Der Boden war mit dunkel lasierten Parkettdielen belegt, wie überall in der Wohnung, nur der Boden des Bads und des WCs mit der schmalen Dusche war gefliest. In einem Regal aus Stahl und Glas lagen verschiedene SM-›Toys‹ und links neben der Tür hingen säuberlich aufgereiht an der Wand Gerten, handgeflochtene Peitschen und andere Schlaginstrumente.

Sie stand einige Augenblicke in der Badezimmertür, sich an der Zarge abstützend, bis sie begriff, was sie sah.

Vor dem in der Nähe der Tür rechts stehenden Strafbock lag auf dem Boden nackt und in gekrümmter Haltung, ihr den, mit tiefroten Striemen übersäten Rücken zugewandt, die Hände mit Handschellen aus ihrer Sammlung gefesselt und mit einem Ballknebel im Mund, der ihm im Nacken ungewöhnlich fest fixiert worden war, Martin bewegungslos.

Mit zitternden Knien, diesmal keine Folge ihrer Übelkeit, betrat sie das ›Spielzimmer‹. Unbewußt hatte sie bereits erfaßt, was sie jetzt näher in Augenschein nahm, in der schwachen Hoffnung, sich aufgrund der derzeitigen Trägheit ihres Verstandes zu täuschen. Sie beugte sich über ihn, wobei sie fast das Gleichgewicht verlor. Sie sah, daß etwas vom Erbrochenem am Knebel vorbei aus seinem Mundwinkel gelaufen war. Seine Augen schauten seelenlos ins Leere. Es war nicht der erste Tote, den sie in ihrem Leben sah, dennoch fühlte sie zum ersten Mal das Aufkommen eines Schocks darüber. Es flimmerte ihr vor den Augen. Sie hatte das Gefühl, daß ihr Kreislauf gleich schlapp machte. Sie wankte zur Tür, taste sich an der Wand entlang zum Arbeitszimmer, wo die Basisstation mit dem Handgerät stand. Sie atmete tief durch und wählte fahrig zuerst die Nummer des Rettungsdienstes und anschließend die der Kripo.

2.

Vor dem architektonisch als gelungen zu bezeichnenden viergeschossigen Haus, das zu den größeren in diesem von Einfamilienhäusern der gehobenen Klasse und weitläufigen luxuriösen Wohnanlagen geprägten Viertels gehörte, standen bereits ein RTW, der Wagen des Notarztes und ein Streifenwagen.

Andreas Feldhoff parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter einer alten Kastanie und stellte den Motor ab. Er erinnerte sich noch gut an den schönen Frühsommertag, als er ihr vor sieben Jahren, wenige Tage nachdem die Scheidung ausgesprochen wurde, die Hausschlüssel brachte und somit der Schlußstrich unter zwei bewegten Jahren Ehe gezogen wurde. Zuerst wollte er sie in den Briefkasten werfen, dann hatte er sie ihr doch persönlich ausgehändigt. Sie hatten sich wie Fremde gegenüber gestanden. Sie wußte nicht, ob sie ihn hereinlassen sollte, was er aber auch abgelehnt hätte. Sie spürten, daß sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Gesagt hatten sie sich in den Wochen und Monaten zuvor ohnehin viel zuviel, insbesondere was man einem anderen Menschen nicht sagt, schon gar nicht einem Ehepartner. Eine Zeitlang hatte er sich gefragt, was sie eigentlich veranlaßt hatte zu heiraten, war aber zu keinem Ergebnis gelangt, mit dem er sich versöhnen konnte. Irgendwann hatte er aufgehört, sich damit zu quälen und versucht, es als eine der vielen Entscheidungen im Leben zu sehen, die aus dem Bauch heraus geschahen, und einem nicht guttaten, was man aber noch rechtzeitig erkannte. Andererseits gab es ja auch die vielen guten Tage, gegen die die schlechten in der Erinnerung wie gewöhnlich mit der Zeit verblaßten. Mittlerweile fragte er sich, ob er überhaupt jemals wirklich verärgert über sie gewesen war und ob sie einfach nicht zusammen paßten, was aber beide lange nicht einsehen wollten, aber doch noch rechtzeitig genug, um sich in Freundschaft zu trennen, was ihnen bemerkenswert nüchtern gelang. Sie war keine gewöhnliche Frau und konnte auch nicht mit herkömmlichen Maßstäben beurteilt werden, das hatte er von Anfang an gewußt und hätte ihm Warnung genug sein müssen. Schon das eine Jahr Beziehung zuvor, ohne gemeinsamen Hausstand war nicht leicht gewesen, wenngleich sie sich nie wirklich gestritten hatten.

Er gab sich einen Ruck, verscheuchte die aufsteigenden Erinnerungen und stieg aus.

Er betrat das aus Glas und Stahl bestehende weitläufig angelegte erleuchtete Treppenhaus, das auf den ersten Blick wie angesetzt wirkte, ihn immer an ein Aquarium erinnert hatte und sich vielleicht deshalb harmonisch ins Ganze einfügte, seit sieben Jahren zum ersten Mal wieder. Im Aufzug drückte er auf den Knopf für die oberste Etage, wo es nur eine Wohnung gab, während auf den übrigen Etagen jeweils zwei sehr geräumige lagen.

Die Aufzugtüren öffneten sich fast lautlos. Er stieg aus.

Vor der zweiflügeligen Tür aus dunklem Holz standen ein uniformierter Beamter mittleren Alters und seine junge Kollegin, sie kannten einander vom Sehen.

»Guten Abend, Herr Feldhoff«, grüßte der Mann fast militärisch und die Frau nickte freundlich.

Feldhoff erwiderte freundlich, aber auch leicht zerstreut ihren Gruß.

Während er den weitläufigen Vorraum betrat, der fast nahtlos in ein großes Wohn- und Eßzimmer überging, an das wiederum die halb offene Küche grenzte, hörte er den Mann seiner jungen Kollegin zuraunen, daß er der Exmann der Staatsanwältin sei. Feldhoff unterdrückte einen Seufzer, es machte ihm erneut bewußt, daß dies kein gewöhnlicher Einsatz sein würde. Er sah sich um, wie jemand, der nach einer längeren Reise wieder in seine Wohnung zurückkehrte. Auf den ersten Blick schien sich nichts an der stilvollen, weder überladenen noch spartanischen und durchaus heimeligen Einrichtung verändert zu haben, wenn sie auch auf den ersten Blick wie aus ›Schöner Wohnen‹ entnommen wirkte. Lediglich das Gemälde eines zeitgenössischen Künstlers über der niedrigen Kommode im Vorraum neben der Tür hing vor sieben Jahren noch nicht dort.

Aus dem, rechter Hand angrenzenden, l-förmigen Flur hörte er eine ärgerlich wirkende männliche Stimme, die aber leise genug war, daß er den Wortlaut nicht verstand.

Daphne, im Gespräch mit dem Notarzt vertieft, stand mit dem Rücken zu Feldhoff, was ihm ermöglichte, sie zu betrachten, ehe seine Anwesenheit wahrgenommen wurde.

Von hinten wirkte sie so jung, wie er sie bei ihrer letzten Begegnung in Erinnerung hatte. Das braune schwere lange Haar war nachlässig im Nacken zusammen gebunden, der enge schwarze, leicht speckige Lederrock, saß so eng, daß die Nähte sichtlich spannten, die teuren Nahtnylons, die High-Heels aus feinem schwarzen Leder, die leicht zerknitterte Bluse aus weißer Seide und das maßgefertigte Taillenkorsett aus schwarzem Leder ließen längst vergessen geglaubte Erinnerung in ihm aufsteigen; wie oft hatten sie miteinander gevögelt, war sie vergleichbar gekleidet, weil sie gerne beim Sex bekleidet war. Der gemeinsame Sex würde für ihn unvergeßlich bleiben und war vielleicht das einzige, was er an ihrer Ehe vermißte, oder glaube, daß es das einzige sei. Selbst unter diesen Umständen meinte er, ihre starke erotische Ausstrahlung körperlich zu spüren. Ihre ausgeprägte Libido hatte ihn zuweilen irritiert, obwohl es ihm gefallen hatte. Er verscheuchte diese Gedanken, die nicht hierher und zu einer Zeit gehörten, die längst hinter ihm lag und konzentrierte sich wieder auf den Grund seiner Anwesenheit.

»Todesursache ist unzweifelhaft Ersticken am eigenen Erbrochenen, als Folge von Übelkeit aufgrund starker Schmerzen in den Nieren, was nicht verwundert, bei den Verletzungen, die ihm zugefügt wurden. Vermutlich sind sogar innere vorhanden, aber das wird bei der Obduktion festgestellt werden.« Der Vorwurf des Notarztes war nicht zu überhören.

»Das ist anzunehmen«, erwiderte sie ruhig, als würde sie die Ermittlung leiten.

Der Notarzt entdeckte Feldhoff. Noch bevor er etwas sagen konnte, wandte sie sich um. Im indirekten Flurlicht schien sie sichtlich gealtert, mit Ringen unter den Augen, die aber auch von einem verschmierten Kajalstift stammen konnten, die Wangen schienen schlaffer, die Falten um die Augen tiefer geworden, vereinzelte graue Strähnen zeigten sich im Haar, sie schien älter, als sie war, was er gegen seinen Willen bedauerte, sie wurde erst im kommenden Jahr fünfzig. Trotzdem tat es ihr Schönheit keinen wirklich Abbruch.

»Sie haben dich geschickt?« Es klang wie eine nüchterne Feststellung, doch war unübersehbar, daß sie nicht mit der Möglichkeit gerechnet hatte.

»Zufall, ich habe gerade Dienst«, erwiderte er lapidar und versuchte die Situation zu betrachten, als befände er sich auf einem beliebigen Einsatz, ohne jede persönliche Beziehung zu den Betroffenen, was ihm nur bedingt gelingen konnte.

»Vielleicht ist es auch ganz gut so«, meinte sie mehr zu sich selbst.

Feldhoff stellte sich dem Notarzt vor, um die Regeln der Höflichkeit zu wahren, der beiseite trat, damit er einen Blick in den Raum und auf den Toten werfen konnte.

Das hatte sie also aus diesem Zimmer gemacht. Er war nicht sonderlich überrascht. Sie hatte gelegentlich davon gesprochen, sich irgendwann ein ›Spielzimmer‹ einzurichten. Sie wußte nur nicht, welchen Raum sie dafür verwenden würde. Ursprünglich war es ein Gästezimmer, das sie ihm als Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Während der letzten beiden Monate ihrer Ehe schlief er immer häufiger hier. Irgendwann ertrug er nachts ihre physische Nähe nicht mehr, dabei gab es eine Zeit, in der konnte er ihrem Körper nicht nahe genug sein. Er sah sich nur flüchtig um und wandte sich dann dem Toten zu.

Der Notarzt füllte ein Formular aus, während der Rettungsassistent den Notfallkoffer schloß, sein Begleiter saß bereits wieder im RTW.

Feldhoff hatte in seinen über dreißig Dienstjahren schon viele Leichen gesehen, darunter einige bereits in Verwesung übergegangene von Selbstmördern, mit Messerstichen übel zugerichtete und mit abgetrennten Gliedmaßen. Abgesehen von den ersten als junger Polizist, gelang es ihm heute, sie mit ausschließlich beruflichem Interesse zu betrachten, doch diesmal fühlte er sich durch die besonderen Umstände eigenartig persönlich berührt, als wäre es innerhalb der eigenen Familie geschehen.

Der gesamte Rücken und das Gesäß des attraktiven jungen Mannes, der im Leben viel Wert auf sein Aussehen gelegt hatte, als sei es wichtig für seinen Beruf, waren mit schmalen, blutroten, teilweise aufgeplatzten Striemen übersät, die aufgrund des kurz darauf eingetretenen Todes, kaum geblutet hatten. Die Hände wurden ihm erst nach den Schlägen mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Auf seinen Unterarmen waren keinerlei Striemen und unter ihnen waren sie nicht unterbrochen. Auch auf den Innen- und Außenseiten der Oberschenkel waren auch keine zu sehen. Die Haltung war die eines Menschen, der sich unter Übelkeit und Schmerzen gekrümmt hatte. Am Ballknebel vorbei war ihm ein Teil Erbrochenes aus dem Mund gelaufen und hatte eine kleine Lache auf dem Parkett gebildet, die bereits trocknete. Im Raum roch es nach teurem Leder und Holz und leicht säuerlich nach Erbrochenem.

Wer immer dafür verantwortlich war, hatte offensichtlich wahllos auf den Jungen eingeschlagen, weil er nichts vom richtigen Schlagen wußte, soviel hatte er während seiner Ehe mit einer erfahrenen BDSMerin gelernt. Es schien ihm, anders als dem Notarzt, somit wenig wahrscheinlich, daß Daphne die Urheberin dieser Spuren war.

Er sah wieder auf. Der Notarzt und sein Assistent verabschiedeten sich mit einem flüchtigen Gruß, der ihm gegenüber spürbar freundlicher ausfiel. Sie hatten ihre Arbeit getan und der Arzt sein Urteil gefällt.

»Kannst du mir das erklären, Daphne?« Feldhoff fragte mit ungewollt fürsorglichem Unterton und wandte dem Toten den Rücken zu. Selbst wenn er eine Leiche mit beruflicher Gelassenheit betrachten konnte, so mußte es auch nicht länger als unbedingt erforderlich sein.

»Ich weiß es nicht, Andreas!« Sie zuckte hilflos mit den Achseln und sah von ihm zur Leiche des jungen Mannes und wieder zurück, die Beherrschung gegenüber dem Notarzt war vornehmlich Fassade gewesen. Sie verhielt sich nun, wie die meisten Menschen in einer solchen Situation.

»Erzähle mir, was sich ereignet hat«, forderte er sie betont nüchtern auf und holte Notizbuch und Kugelschreiber aus der Jackentasche.

Dieser Wechsel von Fürsorge zum trockenen Beamten irritierte sie leicht.

»Glaubst du …«, sie konnte den Satz nicht beenden.

»Nein, das glaube ich nicht. Dafür kenne ich dich nun doch zu gut und hast du mir zuviel über BDSM und das richtige Schlagen erzählt, außerdem konnte ich mich auch von anderer Seite darüber informieren. Also, auch wenn ich dich nicht kennen würde, aber wüßte, eine SMerin vor mir zu haben, würde es den Verdacht eher von ihr nehmen, als ihn zu verstärken«, versuchte er ihr gegenüber eine neutrale Haltung einzunehmen.

Er fing ihren dankbaren Blick auf, der nur kurz dauerte, aber die Entfernung der vergangen Jahre zwischen ihnen mit einem Schlag spürbar überbrückte.

»Ich war heute abend, wie oft am Samstagabend im ›Club de Sade‹.« Sie ging also noch immer dorthin. »Dort traf ich Martin, den Verstorbenen. Auf seinen Vorschlag nahm ich ihn mit zu mir. Er hatte eine Flasche Sekt dabei, von dem wir zur Einstimmung tranken, bevor wir mit der Session beginnen wollten – na ja«, lächelte sie verlegen, »eigentlich sind wir zu mir gefahren, um zu ficken. Ihn störte am Club, daß es dort keine Séparées gibt. Er war ein klassischer Anfänger, der es nicht allzu hart mochte.« Er sah von seinem Notizblock auf, das war für ihn ein Indiz mehr, daß sie es nicht war, einen Anfänger hätte sie nicht einmal im Ansatz derartig heftig geschlagen. »Nach dem ersten Glas verspürte ich eine starke Müdigkeit. Mir war relativ schnell klar, daß etwas im Sekt war, aber da war es schon zu spät. Mir fällt erst jetzt auf, daß Martin an seinem Glas nur kurz nippte. Als nächstes hörte ich unverständliche Stimmen wie durch Nebel hindurch. Nach einer Pause, zu deren Länge ich nichts sagen kann, hörte ich sie heftig miteinander streiten. Dann verstummten sie endgültig. Irgendwann erwachte ich aus meinem Dämmerzustand. Ich ging noch stark benommen ins Bad. Nachdem ich ein Aspirin genommen hatte, entdeckte ich Martin im ›Spielzimmer‹ auf dem Boden liegend, wie er noch liegt. Mir war sofort klar, daß er tot ist.« Je länger sie berichtete, desto sachlicher und ruhiger wurde ihre Stimme. Es hatte Zeiten gegeben, da konnte er ihrem warmen Alt nicht oft genug lauschen, insbesondere, wenn sie lasziv mit vermeintlich vulgären Worten über Sexuelles redete.

»Kanntet ihr euch schon länger?«

»Nein, vielleicht vier Wochen. Er kam eines Tages ins ›de Sade‹. Wir kamen schnell ins Gespräch, dann spielten wir das erste Mal miteinander. Die Woche darauf war er wieder dort. Auch da hatten wir eine Session miteinander, allerdings mehr DS als SM. Auf mich machte er von Anfang an den Eindruck, daß er das erste Mal an einem Ort wie dem ›de Sade‹ war und mit mir seine erste Session hatte, was er mir auf Nachfrage auch bestätigte.«

»Aber erst heute nahmst du ihn mit zu dir.«

»Er überredete mich auf seine Weise«, sie lächelte verlegen, als sei es ihr peinlich, sich von einem Mann, der rein nach Jahren schon ihr Sohn sein konnte, zu etwas überredet zu haben. »Grundsätzlich spiele ich nur mit ausgewählten Personen zu Hause.«

»Er gehörte demnach nicht dazu?«

»Normalerweise hätte er auch nicht dazugehört, dafür war er mir zu wenig belastbar. Aber er besaß diesen besonderen Charme, dem man als Frau nur schwer widerstehen kann und ich hatte auch Lust, ihn zu ficken. Seit einigen Jahren reizen junge Männer mich sexuell stärker«, fügte sie mit leicht verlegenem Lächeln hinzu, was nicht so recht ihr passen wollte. Auf den Gedanken, daß er der Grund dafür war, kam er nicht. Seine Anwesenheit verunsicherte sie mehr als sie wahrhaben wollte. »Nicht nur Männer um fünfzig fühlen sich von jungen Frauen sexuell angezogen, auch Frauen in dem Alter von jungen Männer.« Es klang nach Rechtfertigung.

Er konnte es nachvollziehen, auch er hatte den Eindruck, daß junge Frauen ihn mehr als früher ansprachen, allerdings verspürte er nicht das Bedürfnis, etwas mit einer zu beginnen, da hätte er sich zu sehr als ›alter‹ Mann gefühlt, der sich unbedingt etwas ›beweisen‹ mußte. Frauen in ihrem Alter stand er dagegen junge Männer zu, sie verdienten es, nachdem über Generationen hinweg Frauen um fünfzig und älter als asexuell betrachtet worden waren.

»Kannst du mir seine Personalien geben? Soweit sie dir bekannt sind, versteht sich.«

»Das ist es eben, außer seinem Vornamen, weiß ich nichts über ihn!«

»Du hast also nicht einmal seine Nummer? Wie konntet ihr euch dann im ›de Sade‹ verabreden?«

»Wir haben uns nicht verabredet. Wie ich schon sagte, gehe ich samstags oft dorthin, da der Abend dominanten Frauen vorbehalten ist. Das habe ich ihm am ersten Abend auch gesagt. Er wußte also, daß er mich dort fast immer antraf.«

»In seinen Sachen wird wohl sein Ausweis sein. Wo sind die?« Er fragte sich, weshalb sie nicht schon selbst nachgesehen hatte, bei ihrem Beruf erschien ihm das unverständlich. Sie war doch sonst so gewissenhaft.

»Ich weiß es nicht. Ich habe bereits in der ganzen Wohnung nachgesehen, während ich auf den Notarzt und deine Kollegen wartete«, sagte sie mit einer Geste der Hilflosigkeit.

Bevor er etwas darauf sagen konnte, betraten zwei Kriminaltechniker, ein Mann und eine Frau, mit denen er gelegentlich zu tun hatte, die Wohnung. Die Frau hatte eine recht klobige Kamera mit aufgestecktem Blitz umgehangen, der Mann einen großen Aluminiumkoffer dabei. Sie trugen die üblichen weißen Einwegschutzanzüge – Ganzkörperkondome, wie sie auch bezeichnet wurden. Sie grüßten ihn freundlich und Daphne respektvoll. Feldhoff vermutete, daß sie schon mit ihr vor Gericht zu tun hatten, als sie noch keine Wirtschaftsvergehen zur Anklage gebracht hatte, und nicht gut bei ihr weggekommen waren. Dabei ging es ihr in erster Linie darum, vor der Verteidigung keine Blöße zu zeigen. Als sie das Zimmer sahen, blickten sie überrascht, fast schon schockiert und es lag nicht am Toten, da hatten sie schon schlimmeres gesehen, wie er wußte. Feldhoff hatte längst vergessen, daß auf die meisten Vanillas die Konfrontation mit BDSM in irgendeiner Form stark irritierend wirkte, so sehr war er durch seine Beziehung mit Daphne daran gewöhnt, wenngleich er selbst ein lupenreiner Vanilla war, wie sie ihm, durchaus mit liebevoller Nachsicht attestiert hatte und daß er allenfalls über fetischistische Neigungen verfüge, wie die meisten Menschen, auch wenn sie sich dessen nicht bewußt seien. Er hatte nie widersprochen. Es hatte vieles gegeben, an dem ihre Ehe letztlich gescheitert war, an ihren unterschiedlichen Neigungen hatte es in keiner Weise gelegen. Um ihre dominant-sadistischen Neigungen auszuleben, mußte sie mit einem submissiv-masochistischen Mann keinen Sex haben, wollte sie meist auch nicht und dieser ebenso. Daher hatte er nicht einmal im Ansatz so etwas wie Eifersucht empfunden, war sie auf einer SM-Party, wie im ›de Sade‹ oder traf sich mit einem Spielpartner. Sexuell hatte er bei ihr nie etwas vermißt, sie war grundsätzlich gegenüber jeder sexuellen Spielart aufgeschlossen.

»Der Gerichtsmediziner war noch nicht da. Macht daher erst einmal Fotos«, wandte er sich geschäftsmäßig an sie, als sei es ein x-beliebiger Tatort.

Sie nickten. Der Mann trat ins Zimmer, die Frau schaltete die Kamera und den Blitz ein und machte zuerst Fotos vom Toten.

»Hast du eine Vermutung, wer seine Sachen entfernt haben könnte? Daß er dir nicht von sich aus etwas in den Sekt getan hat, kann angenommen werden.«

Bevor sie darauf antworten konnte, hörte er Lore Michalsky die Wohnung lautstark betreten. Er legte den Kugelschreiber in das Notizbuch, schloß es und steckte es wieder ein. Er würde die Befragung später fortsetzen.

»Warum können Leichen nicht zu den üblichen Bürozeiten gefunden werden«, echauffierte sich Lore halb gespielt, »anstatt am Samstagabend, wenn man anderes im Sinn hat. Zum Glück war ich mit Ficken fertig, als der Anruf kam.«

Ihre meist schnoddrig-männliche Art ließ eine matronenhafte Frau jenseits der sechzig vermuten und keine bildhübsche zierliche Blondine Anfang vierzig. Die verwaschene, am rechten Knie verschlissene Jeans, der leicht schmuddelige Pullover, das nachlässig im Nacken zusammengebundene blonde Haar und Reste von Make-up gaben ihrer Aussage Glaubwürdigkeit, daß sie schnell das nächste Erreichbare angezogen und keine Zeit mehr hatte, ihr Make-up auch nur leicht aufzufrischen. Als sie an ihnen vorbeiging, glaubte Feldhoff, daß sie noch nach Bett und kürzlich genossenem Sex roch. Sie war eine der wenigen Frauen, die er kannte, deren Libido in ihrer Intensität mit Daphnes vergleichbar war. Während Daphne etwas Sexuelles nur erwähnte, wenn es in den augenblicklichen Kontext paßte, war es unmöglich mit Lore eine längere Unterhaltung zu führen, ohne daß sie irgendeine, meist derbe sexuelle Anspielung machte, dabei scherte sie sich wenig darum, mit wem sie gerade zu tun hatte. Wäre sie ein Mann, hätte sie sicherlich schon mehrere Abmahnungen wegen sexueller Belästigung erhalten. Aber auch wenn sich ein Mann von ihren Worten peinlich berührt fühlte, so empfand er es letztlich als Kompliment, von einer schönen Frau sexuell ›belästigt‹ zu werden, was es in Feldhoffs Augen nicht besser machte. Frauen konnten sich noch immer Dinge erlauben, bei denen Männer längst mit empfindlichen Strafen zu rechnen hatten, weil sie trotz der Fortschritte in der Gleichberechtigung in bestimmten Dingen noch immer nicht für voll genommen wurden. Aus beruflicher Erfahrung wußte er nur zu gut, daß Frauen kaum weniger grausam und entschlossen sein konnten, ihre Ziele durchzusetzen wie Männer. Der gerissenste und grausamste Täter, den er jemals hatte stellen müssen, war eine Frau gewesen, die auch noch dem weitverbreiteten Klischee der ›schwachen‹ Frau wie kaum eine entsprochen hatte.

»Hallo Andi«, lächelte Lore ihn an, als wäre sie soeben nach langem und ausgiebigem Sex aus seinem Bett gekommen, was sie gerne würde, aber er hatte sich ihren Avancen bisher entzogen. Es gab etwas an ihr, das ihn allzu sehr störte, obwohl er sich erotisch durchaus von ihr angezogen fühlte.

Daphne war darüber nicht überrascht. Feldhoff war schließlich ein gut aussehender Mittfünfziger, wenn auch meist zu nachlässig gekleidet, aber gerade das hatte ihr an ihm gefallen, abgesehen von den vielen anderen Dingen, die ihr an ihm gefallen hatten, einschließlich seiner Fähigkeiten als Liebhaber.

»Schade um den schönen Jungen«, bedauerte Lore ehrlich, als sie den Toten sah. »Da war jemand gründlich oder eben nicht, je nachdem, wie man es betrachtet. Sind Sie mit den Fotos fertig«, wandte sie sich an die Frau, die daraufhin nickte.

Lore stellte ihre Tasche ab, nahm Einweghandschuhe aus Latex heraus und zog sie an, bevor sie den Toten untersuchte. Für eine Frau ihrer Statur besaß sie recht große, aber schöne, unberingte Hände, die mehr kurzen als langen Nägeln in einem so dunklen Rot lackiert, das es je nach Licht fast wie Schwarz wirkte.

»Auf den ersten Blick würde ich sagen, Tod durch Ersticken nach Eintritt von Erbrochenem in die Lunge, aufgrund von Übelkeit wegen starker Schmerzen in den Nieren, als Folge heftiger Schläge darauf.« Sie benutzte Fachsprache und Umgangssprache munter durcheinander, weil sie wußte, so auch von Laien weitgehend verstanden zu werden und nicht immer auf Nachfragen antworten zu müssen, die ihr lästig waren.

Sie kniete sich neben den Toten und tastete ihn ab, was sie stets auf eine Weise tat, als liebkoste sie diesen.

Feldhoff wandte sich ab. Ihn berührte es unangenehm. Ihre Nekrophilie war ein offenes Geheimnis. Selbst ging sie damit zwar nicht hausieren, versteckte sie aber auch nicht schamhaft. Wegen dieser verschrieb sie sich bereits früh der Rechtsmedizin, so konnte sie sich legal mit Leichen beschäftigen, die auf sie nicht nur eine erotische Faszination ausübten. Schnell erwarb sie sich einen ausgezeichneten Ruf als Rechtsmedizinerin, da sie durch ihren speziellen Bezug zu Leichen schnell auf Dinge aufmerksam wurde, die anderen entweder leicht entgingen oder sie erst nach langer systematischer Untersuchung entdeckten. Ihr gelang es, mit den Händen mehr zu ertasten als anderen. Insbesondere ihre Nekrophilie machte es Feldhoff unmöglich, eine Beziehung mit ihr zu beginnen, oder wenigstens Sex mit ihr zu haben, auf Beziehungen war sie nicht so sehr aus, sie liebte ihre Unabhängigkeit. Er hätte immer das Gefühl, den modrigen Geruch von alten Gräbern und den widerlichen Gestank verwesender Leichen an ihr zu riechen und, es mochte absurd klingen, das Gefühl mit einer lebenden Toten sexuell zu verkehren, dabei rochen nur wenige Frauen, die er kannte, so frisch wie Lore. Ihm war die Unsinnigkeit seiner Aversion bekannt, aber er konnte nichts dagegen machen.

Daphne dagegen sah ihr weitgehend ungerührt zu. Feldhoff sah zu den beiden Kriminaltechnikern hinüber, die abwartend im hinteren Teil des Zimmers standen und Lore halb interessiert zuhörten. Auch wenn er nicht hinsah, so konnte er die Bilder nicht verdrängen, wie sie den Körper offensichtlich zärtlich betastete, während sie jeden Zentimeter an ihm untersuchte, wie ihre Finger in den dünnen Latexhandschuhen leicht die leblose Haut eindrückten.

»Es scheint, als ob die Nieren nur geprellt und nicht so stark verletzt wurden, daß innere Blutungen eingetreten sind. Aber das werde ich erst nach der Obduktion zweifelsfrei wissen.« Nach einer Pause, während der sie einen anderen Bereich des Körpers in Augenschein nahm, fuhr sie fort: »Die Hoden waren eindeutig nicht Ziel von Schlägen.« Sie schien fast erleichtert. »Jedenfalls ist er gut ausgestattet«, ein leichter Seufzer des Bedauerns entfuhr ihr.

Feldhoff durchlief ein peinliches Gefühl. Als er ahnungslos das erste Mal gesehen hatte, wie sie eine männliche Leiche untersuchte, hatte es ihn schockiert, weil sie die Genitalien berührte, als wollte sie ihm eine Erektion verschaffen und ihn zur Ejakulation bringen.

»Die Genitalien einer weiblichen Leiche untersucht sie auf die gleiche Weise, sie schiebt die Finger in die Vagina so, als wollte sie ihr Lust verschaffen«, hatte ihm Mattausch, sein Freund und Vorgesetzter mit einer gewissen Gleichgültigkeit erzählt, als er ihm gegenüber sein Befremden über die Art, wie sie eine Leiche untersuchte, geschildert hatte. »Es mag auf den ersten Blick pietätlos erscheinen, eine Leiche so zu berühren. Aber es ist viel Zärtlichkeit in ihren Berührungen, eine Art letzte Ehrung. Leichen sind für sie keine toten Zellhaufen, die kurz davor sind, in Verwesung überzugehen, oder es bereits sind, je nachdem in welchem Zustand sie aufgefunden werden. Auch wenn sie die Leichen zwecks Obduktion öffnet, tut sie das mit Würde und Zartheit. Die Fotos, die sie von den Toten vor der Obduktion auf dem Seziertisch macht, besitzen ihre eigene Ästhetik, vorausgesetzt, der Eintritt des Todes geschah erst vor kurzem. Im ersten Moment meint man, sie würden noch leben. Das Befremden, daß sie in uns auslöst, sollte uns zu denken geben. Unsere Gesellschaft hat den Tod aus dem Alltag weitgehend entfernt, als wäre er eine Ausnahmeerscheinung, etwas, was kaum einen wirklich betrifft, dabei wird er unausweichlich früher oder später jeden ereilen.«

Selten war er mit seinem Chef uneins, aber diesmal konnte er seine Sichtweise nicht teilen. Lore Michalskys Welt war sehr weit von seiner entfernt, was er ihm auch sagte.

»Was willst du, Andreas? Es gibt mehr nekrophile Menschen als man gemeinhin annimmt und nur sehr wenige töten zur Befriedigung ihres Triebes, wie du weißt, im Gegenteil dürften die meisten von ihnen Menschen, die nicht durch Fremdverschulden gestorben sind, den Vorzug geben. Die meisten dürften ihre Neigungen mangels Gelegenheit ohnehin nur in der Fantasie ausleben.«

»Das mag alles sein, aber es bleibt trotzdem befremdlich.«

Mattausch hatte versucht, ihn in einen Diskurs über Leben, Tod und Eros zu verwickeln, daß der Tod, das Sterben für die Menschen früher viel alltäglicher war als heute, wo Erkrankungen, die vor kaum einhundert Jahren noch absolut tödlich waren, heute fast schon als Lappalien empfunden werden, oder durch Impfungen ausgerottet wurden, was ihm nur begrenzt gelang. Feldhoff würde Lore nie anders als mit Beklemmung begegnen können.

»Womit wurden ihm wohl diese Spuren zugeführt. Es muß ein schmaler, harter Gegenstand sein«, meinte Lore mehr zu sich selbst und riß ihn damit aus seinen Gedanken.

Sie stand vor den aufgehängten Schlaginstrumenten, Gerten und Peitschen. Sie nahm einen dünnen Stab von etwa einem halben Meter Länge mit einem Griff aus kunstvoll gedrehtem und schwarz eloxiertem Aluminium. Sie versuchte ihn auf Elastizität zu überprüfen, was ihr aber nur begrenzt gelang.

»Metallkern, fünf Millimeter im Durchmesser mit Kunststoff ummantelt. Der gibt kaum nach. Selbst schwache Schläge damit sind sehr schmerzhaft, aber auf eine besondere Weise. Es ist nicht jedermanns Sache. Man sollte damit umgehen können. Ich benutze ihn daher nur, wenn einer wirklich darauf steht«, erklärte Daphne nüchtern.

»Reichlich übel das Teil. Käme sonst noch etwas infrage?«

»Nicht in der Form. Einige Gerten besitzen zwar einen Kern aus Fiberglas, sind aber elastischer und hinterlassen somit auch andere Spuren und Rohrstöcke scheiden gleich aus.«

»Ich denke auch, daß dieses Teil benutzt wurde. Es paßt am besten zu den Verletzungen. Sichert das mal«, wandte sie sich an die beiden Kriminaltechniker, die dem Dialog mit leichtem Erstaunen gefolgt waren. Es war offensichtlich, daß es ihre Vorstellung überstieg, daß Menschen sich absichtlich und mit Genuß schlagen ließen bis sichtbare Spuren entstehen. »Wenngleich ich davon ausgehe, daß lediglich Hautpartikel des Toten daran zu finden sind. Wer immer die benutzt hat, wird seine Spuren vom Griff entfernt haben, als er sah, was passiert war.«

Ihm stillen dankte Feldhoff ihr, daß auch sie Daphne als Verursacherin weitgehend ausschloß.

Die Leute, die die Leiche in die Gerichtsmedizin bringen sollten, warteten bereits im Flur. Lore packte ihre Utensilien zusammen, streifte die Latexhandschuhe ab und warf sie in ihre Tasche.

»Ihr könnt ihn mitnehmen«, wandte sie sich an sie, wobei sie ein Gähnen unterdrückte. »Ich gehe wieder ins Bett. Ich werde langsam alt, früher hätte mich dreimal hintereinander nicht derart ermüdet.«

Es gab eine Zeit, da waren Daphne und ihm dreimal hintereinander eindeutig zu wenig.

Obwohl der Flur relativ breit war, wurde es nun doch eng. Daphne ging in den geräumigen Vorraum voran, Feldhoff und Lore folgten ihr.

»Ich gebe Bescheid, wenn ich ihn obduziert habe«, verabschiedete Lore sich und bedachte Feldhoff mit einem mehr verführerischen als freundlichen Lächeln, das keinen Zweifel an ihren Absichten ließ. »Wir sollten mal wieder einen Kaffee zusammen trinken, Andi.«

3.

Martins Leiche wurde zur Gerichtsmedizin transportiert und die Kriminaltechniker waren mit ihrer Arbeit fertig, sie hatten auch die übrigen Schlagwerkzeuge, die vergleichbare Striemen erzeugen konnten, sichergestellt, so wie die Sektflasche und die beiden Gläser. Feldhoff hegte keine große Hoffnung, daß noch irgend etwas Nachweisbares vorhanden war, so sorgfältig wie alles ausgespült worden war. Der Korken, sowie der Draht zu seiner Fixierung und die Folie der Umhüllung blieben dagegen unauffindbar, was wiederum ein Indiz für Daphnes Version war, zumal er aus Erfahrung wußte, daß sie eine schlechte Lügnerin war. Als letztes entband er die Kollegen der Schutzpolizei von ihrem Posten. Es war deutlich nach vier Uhr am Morgen. Durch die leicht geöffnete große Schiebetür zur Terrasse drangen erste morgendliche Vogelstimmen und kühle Luft herein. Er war nun mit ihr allein.

»Einen Kaffee, Andreas.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Er nickte nur.

Die Kaffeemaschine war eine von jenen, die den Kaffee für jede Tasse frisch mahlte und mindestens einen vierstelligen Betrag kostete. Er konnte sich nicht erinnern, jemals mehr als fünfzig Euro für eine ausgegeben zu haben. Letztlich brauchte sie nur Wasser zu erhitzen und langsam in einen Filter mit Kaffee tropfen zu lassen, unter der eine Kanne stand. Auch diese diente einzig der Bequemlichkeit. Man konnte auch gut das heiße Wasser selbst nachschütten. Seine Großmutter hatte es so gemacht und seit der Erfindung des Kaffeefilters Millionen Menschen auch. Also, weshalb einen vierstelligen Betrag dafür ausgeben, wenn es dreißig oder vierzig Euro auch taten, die standen wenigstens in einer vernünftigen Relation zu dem, was diese Maschine zu tun hatte. Wieviel guter Kaffee ließ sich für den Differenzbetrag kaufen, denn mäßiger Kaffee schmeckte auch nicht besser, wurde er mir einer teuren Maschine aufgebrüht, während eine preiswerte dem guten nichts von seiner Qualität nahm. Wollte man unbedingt frisch gemahlenen, konnte man auf ebenso preisgünstige Mühlen zurückgreifen.

Er sah ihr zu, wie sie ihm den Rücken zugewandt, den dafür vorgesehenen Behälter mit frischem Wasser füllte. Ihm schien, als zitterten ihre Hände noch immer leicht. Von hinten wirkte sie wieder jünger. Die Erinnerung konnte ihm einen Streich spielen, aber sie schien um die Hüften breiter geworden zu sein, was aber auch am Korsett liegen konnte, das ihre Taille sichtbar reduzierte, allerdings meinte er, daß die Nähte des Lederrocks früher nicht so angespannt waren. Jedenfalls besaß sie für ihn immer noch einen schönen Körper. Großen Frauen mit Rundungen an den richtigen Stellen hatte er Zeit seines Lebens den Vorzug gegeben.

Sie schob den Wassertank in das dafür vorgesehene Fach und überzeugte sich, ob noch ausreichend Kaffeebohnen im entsprechenden waren. Während sie aus dem Hängeschrank über der Maschine zwei Kaffeebecher holte, versuchte er sich darüber klarzuwerden, ob er sich von ihr physisch noch immer angezogen fühlte, oder ob es nur ein vorübergehendes Aufflammen war, weil die Wohnung für mehr als zwei Jahre auch sein Zuhause gewesen war, kam aber zu keinem, für ihn befriedigenden Ergebnis.

Das einsetzende Mahlwerk der Kaffeemaschine riß ihn aus seinen Gedanken. Es hatte einen Toten gegeben, ob es ein tragischer Unfall war, oder das Ergebnis fahrlässigen Handelns war seine Aufgabe festzustellen, und nicht, ob er sich von seiner schönen Exfrau physisch noch angezogen fühlte.

Sie tat, nachdem der Kaffee durchgelaufen war, ohne zu überlegen Milch und zwei Teelöffel Zucker in eine Tasse und reichte sie ihm. Sie hatte offenbar nicht vergessen, wie er seinen trank. Dagegen brauchte er einen Augenblick, um sich zu erinnern, daß sie ihren meist schwarz trank.

»Setzen wir uns auf die Couch. Mir ist immer noch etwas flau. Es muß schon etwas Heftiges im Sekt gewesen sein, so schnell, wie ich umgekippt war. Vielleicht hätte ich mit Lore darüber sprechen sollen, sie ist schließlich nicht nur eine ausgezeichnete Rechtsmedizinerin, sondern auch eine gute Ärztin.«

Er nickte fürsorglich. Auch auf ihn wirkte sie noch mitgenommen.

»Würdest du die Schnürung des Korsetts lösen? Normalerweise schaffe ich das allein, wie du weißt, aber im Augenblick spielt mir meine Feinmotorik noch immer einen Streich.«

Er tat es bereitwillig. Er hatte es stets gerne gemacht, es ihr nicht nur auf-, sondern auch geschnürt. Er hatte schnell gelernt, ein Korsett richtig zu schnüren und hatte sie gerne in einem gesehen. Aber er fühlte im Augenblick nicht das alte Prickeln, es war kaum anderes, als einer beliebigen Frau aus Höflichkeit aus dem Mantel zu helfen. Kaum hatte er die Schnürung weit genug gelöst, hakte sie das Taillienkorsett vorne auf. Sie setzte sich mit einer leicht fahrigen Bewegung auf die Couch und legte es neben sich. Unwillkürlich fragte er sich, ob es wirklich nur an den Nachwirkungen des Betäubungsmittels lag, oder ob der Tod des jungen Mannes ihr doch stärker zusetzte, als sie eingestehen wollte. Sie war empfindsamer, als sie anderen gegenüber bereit war zuzugeben.

Halb auf der Kante sitzend, die schönen langen Beine mit den schmalen Fesseln, den angenehm geschwungenen Waden und den muskulösen Oberschenkeln züchtig nebeneinandergestellt, den Oberkörper leicht vorgebeugt, hielt sie ihre Tasse in beiden Händen, als wollte sie sich an ihr wärmen. Erst jetzt fielen ihm die Schweißflecke unter ihren Achseln auf und daß ihre Bluse dort, wo sie vom Korsett bedeckt war, ebenfalls naßgeschwitzt war. Ihr enger Rock war soweit hochgerutscht, daß ein schmaler Streifen der Säume ihrer Nylons zu sehen war, was ihn innerlich leicht seufzen ließ, wie sehr hatte er diesen Anblick früher genossen.

Er setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel. Während er sein Notizbuch erneut aus der Jackentasche holte, aufschlug und den Kugelschreiber herausnahm, stieg in ihm die Erinnerung auf, wie sie oft auf der Couch gevögelt hatten. Sie hatten überall in der Wohnung Sex gehabt, am wenigstens aber im Schlafzimmer. Allerdings schien ihm schwer vorstellbar, daß sie jemals wieder so intim miteinander wurden. Er verscheuchte auch diesen Gedanken.

Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, was seinen Blick auf ihre schönen schlanken unberingten Hände mit den halblangen, noch immer im selben warmen Erdton, wie er ihn kannte, lackierten Nägeln. Er hatte sie nie mit unlackierten Nägeln und ungeschminkt erlebt. Ihren Ehering hatte sie nie getragen. Sie konnte kein Metall an den Händen vertragen, wie sie ihm versicherte. Vielleicht war es auch mehr als das und bezeichnend für ihre Ehe. Er verdrängte dabei, daß er seinen aus ähnlichen Gründen auch so gut wie nie getragen hatte. Von ihren Händen hatte er sich gerne berühren lassen. Sie hatte es verstanden, seinen Schwanz auf eine Weise zu massieren, wie er sich zuvor nicht vorstellen konnte, hatte ihn zu Höhepunkten gebracht, auch wenn er glaubte, nicht mehr zu können, die ihm wirklich den Atem geraubt hatten. Auch den Reiz einer Prostatamassage hatte sie ihm nahegebracht.

Sie stellte die Tasse mit einem leichten Klirren auf der Glasplatte des Couchtischs ab. Er nahm einen Schluck von seinem und stellte die Tasse wieder ab. Der Kaffee war noch immer so gut wie früher, aber bei ihr gab es ohnehin nichts, was nicht gut war.

Er wußte nicht mehr, wo er ihre Vernehmung abgebrochen hatte, und überflog seine Notizen. Er stenographierte wie aus dem Lehrbuch, weshalb seine Notizen für jeden lesbar waren, nicht wie bei den meisten Kollegen.

»Hast du eine Vermutung, wo seine Sachen hingekommen sein könnten«, wiederholte er seine letzte Frage im leicht veränderten Wortlaut.

»Wahrscheinlich nahmen diejenigen sie mit, die an seinem Tod schuld sind, Gläser und Sektflasche haben sie ja auch ausgespült.«

»Vielleicht solltest du dich doch von einem Arzt untersuchen lassen«, unterbrach er seine Befragung nicht nur aus Mitgefühl, sondern in der Absicht, daß sie sich dabei überzeugen ließ, sich eine Blutprobe abnehmen zu lassen. Manchmal bauten sich solche Mittel sehr langsam ab und es war noch etwas nachweisbar.

Sie schüttelte den Kopf, obwohl sie wußte, daß sich ihre Aussage dadurch möglicherweise zweifelsfrei bestätigen ließ. Es war ein beruflich bedingter Reflex, solange man sie nicht offiziell verdächtigte, würde sie diesen schweren Eingriff in ihre Persönlichkeit ablehnen.

»Ich fühle mich schon deutlich besser. Ich weiß nicht, ob es vom Schock, Martin tot aufgefunden zu haben, oder die Nachwirkungen von dem sind, was im Sekt war, was mir so zusetzt, wahrscheinlich beides. Aber ich bin hart im Nehmen, wie du weißt, so schnell wirft mich nichts um«, trotz ihres freundlichen Lächelns, war die Ablehnung eindeutig.

Es wunderte ihn nicht, er würde erst einen Arzt rufen können, lag sie ohnmächtig und mit flachen Puls vor ihm. Frauen waren oft härter als Männer, das hatte er mehr als einmal erfahren müssen. Er brauchte nur an Lore zu denken. Vor zwei Jahren hatte er erlebt, wie gelassen sie gegenüber einer aus dem Rhein geborgenen, nicht nur bereits stark verwesten, sondern auch noch zwischen den Schrauben eines Frachters geratenen Leiche blieb. Nicht nur ihm war sogleich übel geworden. Sie hatte sich nicht anders verhalten, als hätte sie jemand vor sich, der soeben sanft entschlafen war.

»Ich habe überall nachgeschaut, während ich auf den Notarzt und deine Kollegen wartete, aber ich habe nichts gefunden. Du kannst dich gerne selbst überzeugen.«

Sie wußte, daß er es nicht würde. Er hatte auch kein Recht dazu. Sie stand nicht unter Verdacht. Das Fehlen seiner Sachen würde die Identifizierung allenfalls verzögern, aber nicht unmöglich machen. Das mußten auch diejenigen wissen, die sie mitnahmen, somit war es wahrscheinlich, daß sie dadurch lediglich Zeit gewinnen wollten. Auch aus einem anderen Grund würde er ihre Wohnung nicht durchsuchen; weil es ihn unweigerlich mit ihren persönlichen Sachen konfrontierte, was er am allerwenigsten wollte. Also wandte er sich weiteren Fragen zu.

»Erzähle mir von deiner ersten Begegnung mit Martin. Wann war die?«

»Vor vier Wochen. Ich bin, wie bereits gesagt, fast regelmäßig samstags im ›de Sade‹. Meist schlage ich dort gegen 21 Uhr auf, um 20 Uhr öffnet es. Erfahrungsgemäß lohnt es nicht, früher dort zu sein. An jenem Abend war auch um 21 Uhr noch nicht viel los, dennoch fiel er mir nicht sogleich auf, als ich mich an die Bar setzte. Er saß ziemlich in der Ecke und versuchte so unauffällig wie möglich zu wirken, was durch das eher schummrige Licht begünstigt wird, man besitzt von dort aber einen guten Überblick über die übrigen Gäste. Er trug unübersehbar neue Shorts aus Wetlook und Ledersandalen im römischen Stil. Ihm war anzusehen, daß er zum ersten Mal an einem solchen Ort war. Erst als ich meinen Kaffee bekam, nahm ich ihn bewußt wahr. Er lächelte mich freundlich an. Er war der attraktivste und jüngste Mann nicht nur an diesem Abend. Wir kamen ins Gespräch. Meine Vermutung bestätigte sich, er war zum ersten Mal hier. Er schaffte es, daß ich mit ihm ›spielte‹. Normalerweise gebe ich mich schon lange nicht mehr mit Neulingen ab. Aber sein Charme gefiel mir und er mir auch sonst. Bei unserer Session hatte ich aber den Eindruck, daß er die Schläge mehr aushielt als genoß. Mehr war an dem Abend nicht zwischen uns.«

Aus seiner Sicht war es einiges für einen ersten Abend, aber wahrscheinlich wollte sie damit sagen, daß es keinen Sex zwischen ihnen gab.

»Wann habt ihr euch das nächste Mal getroffen?«

»Am Samstag darauf. Ich erwähnte ihm gegenüber ja, daß ich so gut wie jeden Samstag im ›de Sade‹ bin. Er war wieder vor mir da. Diesmal kam er gleich auf mich zu und entschuldigte sich wortreich, weil sein Masochismus wohl nicht meinen Erwartungen entsprochen hätte, er würde sich einer Frau auch lieber unterwerfen, als sich von ihr schlagen zu lassen. Ich sagte, daß ich ihn auch eher für devot und für kaum masochistisch hielt. Wenn er allerdings wisse, daß DS mehr seinen Neigungen entspräche, weshalb habe er es letzte Woche nicht gesagt, dann hätte ich unser Spiel anders aufgebaut. Er meinte, daß er in jenem Moment durchaus das Bedürfnis hatte, sich von mir schlagen zu lassen, denn in seinen Tagträumen stelle er sich oft vor, von einer strengen, schönen Herrin – wobei er mir einen schmachtenden Blick zuwarf, der mir etwas aufgesetzt schien, aber nicht unüblich in solchen Situationen ist – gedemütigt und gezüchtigt zu werden. Wenn ich zurückdenke, erscheinen mir im Nachhinein viele seiner Aussagen einstudiert. Weil es aber reizvoll ist, einen attraktiven jungen Mann zu Füßen zu haben, und auch an diesem Abend keine bessere Alternative vor Ort war, spielte ich wieder mit ihm, ließ ihn vor mir knien, mir die Füße massieren, was er zu meiner angenehmen Überraschung sehr gut machte.«

Feldhoff lächelte in sich hinein. Auch er hatte ihre schönen Füße gerne und ausgiebig massiert. Für ihn war es selbstverständlich, einem Menschen, den man gerne hat, etwas Gutes zu tun. Sie mochte sich dabei vorgestellt haben, daß er ihr ›Diener‹ sei, aber das vermutete er nur, gesagt hatte sie diesbezüglich nie etwas.

»Wie ging es weiter? Hatte keiner von euch das Bedürfnis, sich auch außerhalb des Clubs zu treffen?«

»Er offensichtlich nicht. Er fragte nicht einmal nach meiner Telefonnummer. Ihm genügte es, mich im Club zu treffen.«

»Und bei dir?«

»Er war charmant, sah gut aus, aber das sind für mich keine Gründe, mich auch außerhalb des Clubs mit jemanden zu treffen, da muß noch einiges mehr hinzukommen. Es kommt oft vor, daß ich zwei, dreimal in einem Club mit einem Mann ›spiele‹, aber mehr auch nicht. Was seine Neigungen betraf, waren sie für mich nicht ausgeprägt genug. Mir fehlt derzeit die Lust, Anfänger ›auszubilden‹, auch wenn sie jung und gutaussehend sind, man kommt nur bedingt auf seine Kosten. Mein Interesse gilt den erfahrenen Subs, wo ich mich auch verausgaben kann. Auch bei ihm ging ich daher davon aus, daß es nur von kurzer Dauer sein würde.«

Was es ja auch wurde, durchfuhr ihn der zynische Gedanke.

»Aber du hast deine Meinung geändert und ihn mit zu dir genommen. Was war der Grund?« Er konnte nicht verhindern, daß er auch ein persönliches Interesse an der Antwort besaß.

»Ich hatte mich an seinen Charme gewöhnt. Er war mir ja nicht lästig, weil er sich spieltechnisch nicht auf meinem Niveau bewegte. Außerdem«, hier lächelte sie leicht verlegen aber auch vertraulich, »hatte ich sexuelle Lust auf ihn bekommen. Die meisten Männer, die ich über den Club und so kennenlerne, wollen jemanden zum Spielen, nicht zum Vögeln, wie ich auch, und nicht nur, weil laut Klischee eine Herrin mit ihrem Sub keinen Sex hat. Nicht wenige befinden sich in einer Vanilla-Beziehung, manchmal wissen ihre Partnerinnen, daß sie eine Domse haben, und solange diese keinen Sex mit ihnen hat, ist ihnen das egal, wobei für sie Sex gleichbedeutend mit Geschlechtsverkehr ist, daß ihre Herrinnen ihnen auch schon mal einen ’runterholen, bedeutet ihnen nichts, das ist für sie offenkundig so, als würde er ohne ihr Wissen onanieren. Sie können sich, wie so viele offensichtlich nicht vorstellen, daß Sex weitaus mehr als nur den reinen Geschlechtsverkehr umfaßt. Aber das ist ein anderes Thema. Also ergriff ich die Gelegenheit, die sich mir zum Sex mit einem zwanzig Jahre jüngeren Mann bot. Es mag manchen vielleicht schockieren, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, habe ich in Swinger-Clubs auch Sex mit Acht- bis Neunzehnjährigen.« Sie wußte nicht, weshalb sie es ihm sagte.

Er nahm es gleichgültig zur Kenntnis, weshalb auch sollte sie solche Gelegenheiten nicht nutzen? Sie war ungebunden. Sie konnte, wann, wo, mit wem und sooft Sex haben, wie sie wollte. Und für die betreffenden jungen Männer war es sicherlich eine schöne Erfahrung.

Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.

»Ich hätte ihn auch schon längst gevögelt. Bereits am Samstag zuvor ließ er keinen Zweifel daran, daß er es auch wollte. Auf meinen Vorschlag, es im Club im Rahmen eines kleinen Spiels zu tun, erklärte er, daß es ihm unangenehm sei, wenn andere ihm dabei zusehen. Ich wollte es nicht gelten lassen, aber er blieb dabei. Im Club gibt es keine wirklichen Séparées, wo man ungestört ist. Mir ist es egal, wenn mir jemand beim Vögeln zusieht, wie du weißt.« Er nickte, er verdrängte sofort die aufkommende Erinnerung an gelegentliche gemeinsame Swinger-Club-Besuche. Ihm hatte es ebenfalls gefallen, wenn ihnen andere zugesehen hatten. »Mittlerweile bin ich sicher, daß er mich nur hinhalten wollte und somit meine Lust auf ihn erst recht angestachelt hatte. Hätte er nämlich mit mir im Club gevögelt, wäre es das für mich auch gewesen. Berechnendes Hinhalten funktioniert auch bei Frauen sehr gut. Heute abend entschuldigte er sich als erstes blumenreich für sein Verhalten von letzter Woche und schlug mir vor, während er auf becircende auf Weise mich einredete, zu mir zu gehen. In der zurückliegenden Woche hatten leider meine Hormone die Kontrolle übernommen. Ich kam überhaupt nicht auf den Gedanken, ihm stattdessen vorzuschlagen, zu ihm zu gehen, wunderte mich auch nicht, daß er es nicht selbst vorschlug. Den Rest kennst du ja.«

Er nickte.

»Wann seid ihr aus dem Club weg?«

Sie überlegte einen Moment, während sie von ihrem Kaffee trank, und blickte nachdenklichen an ihm vorbei.

»Ich war etwas vor 21 Uhr im Club. Wir blieben vielleicht eine Stunde dort. Die Fahrt vom Club zu mir dauert je nach Verkehr etwas mehr als eine halbe Stunde. Wir müssen irgendwann zwischen halb und viertel vor elf hier angekommen sein. Dann tranken wir den Sekt, von dem ich schnell betäubt war. Wie lange ich betäubt war, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Als ich wieder zu mir kam, ging ich ins Bad oder habe mich besser gesagt, dorthin geschleppt. Mir war unglaublich übel. Ich habe ein Aspirin genommen und mir die Arme eine Zeitlang unter kaltes Wasser gehalten, bis es mir etwas besser ging. Anschließend habe ich gepinkelt. Erst als ich das Bad verlassen wollte, habe ich ihn im ›Spielzimmer‹ auf dem Boden liegen gesehen. Unbewußt habe ich sofort bemerkt, daß er tot ist, aber bis ich es auch bewußt wahrnahm, dauerte es etwas, vielleicht eine Minute. Dann rief ich sofort den Notarzt an und anschließend euch.«

»Ich bekam die Meldung um 1 Uhr 27 und um kurz vor zwei war ich hier.« Er verschwieg, daß er mehrere Minuten im Wagen gesessen hatte, bevor er heraufgekommen war. »Demnach warst du wahrscheinlich zwischen eineinhalb und zwei Stunden bewußtlos.«

»Das kann sein. Ich weiß nicht, wie lange wir redeten, bis ich weggesackt bin, ob es nur eine viertel Stunde oder eine halbe war, auch weiß ich nicht, wie lange ich im Bad war, nachdem ich wieder zu mir gekommen war. Daß ich wirklich bewußtlos war, kann man eigentlich nicht sagen, schließlich konnte ich die Stimmen hören und war mir meiner Bewegungsunfähigkeit bewußt.«

»Auf jeden Fall warst du handlungsunfähig, darauf kommt es doch an«, hatte er keine Lust auf eine Grundsatzdiskussion mit ihr, wie bewußtlos korrekt zu definieren war. Sie konnte in so etwas sehr hartnäckig sein, wenn sie wollte.

Sie nickte nur und nahm einen weiteren Schluck von ihrem mittlerweile lauwarmen Kaffee.

»Wir werden morgen deine Nachbarn befragen, ob sie bemerkten, wie mindestens zwei Leute zur fraglichen Zeit das Haus betraten. Martin muß sie herein und in deine Wohnung gelassen haben.«

»Es ist nicht schön zu wissen, auf eine solche Weise aufs Kreuz gelegt worden zu sein und daß man als Frau in meinem Alter genauso leicht auf ein hübsches junges Gesicht reinfällt wie ein Mann.«

Er zuckte kaum merklich die Achseln, was sollte er dazu schon sagen? Wie hätte sie auch vermuten sollen, daß ein attraktiver junger Mann nicht um ihrerselbst willen mit ihr angebandelt hatte. Es gab schließlich genug junge Männer, die sich sexuell von schönen Frauen ihres Alters angezogen fühlten und ihre Achtzehn- bis Neunzehnjährigen im Swinger-Club mußte sie auch kaum zum Sex mit ihr ›zwingen‹.

Wenn sich alles so abspielte, woran er nicht zweifelte, wußte jemand sehr genau über sie und ihre Gewohnheiten Bescheid.

»Hast du eine Vorstellung, wem du derart gegen das Schienbein getreten hast, daß er sich an dir rächen will?«

»Nein, ich habe zwar etliche Fälle zur Anklage gebracht, aber nichts wirklich Spektakuläres.«

»Seit drei oder vier Jahren ermittelst du bei Wirtschaftskriminalität. Wie sieht es da aus?«

»Seit drei Jahren erst. Das hielt sich bisher auch eher im Rahmen.«

»Aber du leitest doch jetzt die Ermittlungen bezüglich Ungereimtheiten bei verschiedenen Großprojekten mit überwiegend öffentlicher Beteiligung der letzten Jahre.«

»Ungereimtheiten ist gut«, lachte sie höhnisch auf. »Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts! Ich weiß, das ist nicht von dir, die örtliche Presse spielt das so runter, weil es unter ihnen einige gibt, die die Projekte hochgeschrieben haben. Da ist vorne und hinten alles faul, da wurde die Stadt massiv über den Tisch gezogen, daran wurde sich dreist bereichert. Ein Teil der Verantwortlichen bei der Stadt hat nicht nur zugesehen, sondern derart fleißig mitgemischt, daß es gar nicht mehr anderes ging, als daß Ermittlungen aufgenommen werden. Es ist nur verwunderlich, daß das nicht schon viel früher aufflog.«

Die ehrliche Wut und der Ärger ließen sie wieder frischer und jünger aussehen. So nüchtern sie auch vor Gericht wirken mochte, kam es darauf an, so leidenschaftlich und impulsiv war sie in Wirklichkeit. Eine bei Anspannung juckende, mit fünf Stichen genähte Narbe oberhalb der rechten Schläfe war ihm als Beleg dafür geblieben. Offiziell hatte er sich unglücklich gestoßen, was ihm der Arzt in der Notaufnahme trotz seiner und ihrer Beteuerung nicht wirklich glauben wollte. Sie hatte es anschließend ehrlich bedauert, aber es hatte bei ihm nie mehr das Vertrauen zu ihr herstellen können, das er vorher besaß.

»Es gibt keine Zweifel mehr darüber, wer bestechlich war und in welchem Umfang, aber ich will auch die tatsächlichen Urheber, nur ist nicht so leicht an sie heranzukommen. Es gibt da ein Geflecht von Firmen, das wir seit über einem halben Jahr zu entwirren versuchen. Wir haben noch zu wenige stichhaltige Beweise, um die Hintermänner anklagen zu können. Im Augenblick wäre es noch ein leichtes, für deren beschissene Rechtsverdreher alles in der Luft zu zerreißen.«

Es konnte sie kaum etwas so sehr in Rage versetzen, wie politisch und gesellschaftlich forcierte sozio-ökonomische Ungleichheit, weil sie längerfristig den sozialen Frieden und die Demokratie nachhaltig bedrohte. Obwohl sie aus einer der reichsten und ältesten Familien der Region stammte, kannte Feldhoff nur wenige, die politisch so weit Links standen wie sie. Ginge es nach ihr, gehörte Immobilienbesitz ab einer bestimmten Größe vergesellschaftet, ebenso Unternehmen. Grund- und Boden sollte grundsätzlich im Allgemeinbesitz sein und ließ sich nur pachten, um Bodenspekulationen unmöglich zu machen. Einzelpersonen sollte es unmöglich sein, mehr als einen kleinen zweistelligen Millionenbetrag zu erwirtschaften. Für eine Juristin verstand sie erstaunlich viel von Makroökonomie. Ihre Ausführungen waren keine sozial-romantische Schwärmerei einer höheren Tochter, sondern sie konnte es an empirischen Beispielen belegen. Schließlich war es nicht unüblich, daß Revolutionäre aus den oberen Gesellschaftsschichten kamen. Das war auch etwas, was ihn an ihr fasziniert hatte. Innerhalb der Familie galt sie als ›Schwarzes Schaf‹ und wurde ihr reserviert begegnet. Es hätte ihn gewundert, hätte sie sich nicht auch deshalb wie ein Pitbull in diese Affäre verbissen.

»Entschuldige, daß ich dich damit belästige, aber seit Wochen kommen wir kaum weiter und das macht mich wütend. Wir haben noch nicht einmal wirklich überzeugende Beweise, sondern nur mögliche Querverbindungen und schon attackieren uns deren Arschlöcher von Winkeladvokaten mit allen möglichen Schriftsätzen. Da steht meist nur Müll drin, auf den wir aber reagieren müssen, und dessen einziger Sinn ist, unsere personell unterbesetzte Behörde an ihrer eigentlichen Arbeit zu hindern. Ich bräuchte mindestens drei bis vier in diesen Dingen erfahrene Juristen, aber daran ist nicht zu denken, weil kein Geld dafür vorhanden ist, obwohl sie bei zu erwartendem Erfolg ein vielfaches ihres Gehalts erwirtschaften würden.«

»Ich verfolge das nur sporadisch in der Presse, aber es soll um mehrere hundert Millionen gehen.«

»Mehrere hundert Millionen, die den Bürgern mit großer krimineller Energie aus der Tasche gezogen wurden. Die Mietverträge für den riesigen Verwaltungstrakt sind um nahezu dreißig Prozent zu hoch angesetzt und mit Klauseln, bei denen man sich fragt, wie das einem halbwegs brauchbaren Juristen durchrutschen konnte, um nur ein Beispiel zu nennen.«

»Wenn ihr erfolgreich seid, würden einige Leute also eine dreistellige Millionensumme zurückgeben müssen.«

»Nicht ganz, aber fast dreistellig wäre sie auf jeden Fall und es würde einige Karrieren vernichten und nicht nur in der Stadtverwaltung. Eventuell sind auch Freiheitsstrafen drin.«

»Das wäre durchaus ein Grund, denjenigen zu diskreditieren, der die Ermittlungen leitet.«

»Wenn ich ausfalle, würde ein anderer nachrücken.«