Geistiges und künstlerisches Schaffen - Omraam Mikhaël Aïvanhov - E-Book

Geistiges und künstlerisches Schaffen E-Book

Omraam Mikhaël Aïvanhov

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Beschreibung

'Der Begriff Schöpfung ist das Wesentliche in unserer Lehre', sagt Omraam Mikhael Aivanhov. 'Jeder Mensch hat das Bedürfnis zu schaffen, das wahre Schaffen braucht aber Elemente geistiger Natur. Der Künstler, der etwas erschaffen will, sollte sich selbst übertreffen und durch Gebet, Meditation und Kontemplation Elemente aus höheren Ebenen aufnehmen.' So entdeckt man, dass die Gesetze des wirklich künsterlischen Schaffens keine anderen sind als die des geistigen Schaffens. Wenn der Künstler sein Werk erschafft, unternimmt er eine Arbeit der inneren Regeneration gleich der des Spiritualisten. Umgekehrt führt der Spiritualist in seiner Bemühung nach Vollkommenheit eine schöpferische Arbeit an sich selbst aus, die der des Künstlers entspricht.

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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Über den Autor

Omraam Mikhaël Aïvanhov war ein großer spiritueller Meister, ein lebendiges Vorbild, ein »Überbringer des Lichts« und ein warmherziger, humorvoller Lehrer, der durch sein selbstloses, zugängliches und brüderliches Verhalten überzeugte.

Er strebte an, alle Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten – so wie ein Bergführer seine Kameraden sicher bis auf den höchsten Gipfel führt.

Das Gedankengut, das Omraam Mikhaël Aïvanhov verbreitet hat, bietet zahlreiche Methoden und einen klaren, begehbaren Weg zu größerer Vollkommenheit und mehr Lebensglück.

In wohltuend einfacher Sprache erklärt er alle wichtigen Zusammenhänge des Lebens und ist gerade bei den Fragen unserer heutigen Zeit wegweisend. Ob es um die Bewältigung des Alltags geht, um das Thema der Liebe und Sexualität oder um tiefgründige philosophische Themen – stets sind seine Antworten überraschend klar und hilfreich.

Kurzbeschreibung

»Der Begriff Schöpfung ist das Wesentliche in unserer Lehre«, sagt Omraam Mikhaël Aïvanhov. »Jeder Mensch hat das Bedürfnis zu schaffen, das wahre Schaffen braucht aber Elemente geistiger Natur. Der Künstler, der etwas erschaffen will, sollte sich selbst übertreffen und durch Gebet, Meditation und Kontemplation Elemente aus höheren Ebenen aufnehmen.« So entdeckt man, dass die Gesetze des wirklich künstlerischen Schaffens keine anderen sind als die des geistigen Schaffens. Wenn der Künstler sein Werk erschafft, unternimmt er eine Arbeit der inneren Regeneration gleich der des Spiritualisten. Umgekehrt führt der Spiritualist in seiner Bemühung nach Vollkommenheit eine schöpferische Arbeit an sich selbst aus, die der des Künstlers entspricht.

Da Omraam Mikhaël Aïvanhov seine Lehre ausschließlich mündlich überlieferte, wurden seine Bücher aus stenographischen Mitschriften, Tonband- und Videoaufnahmen seiner frei gehaltenen Vorträge erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Kurzbeschreibung

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Kunst, Wissenschaft und Religion

Kapitel 2: Die göttlichen Quellen der Inspiration

Kapitel 3: Die Aufgabe der Fantasie

Kapitel 4: Dichtung und Prosa

Kapitel 5: Die Stimme

Kapitel 6: Chorgesang

Kapitel 7: Die beste Weise, Musik zu hören

Kapitel 8: Magie der Gestik

Kapitel 9: Die Schönheit

Kapitel 10: Idealisieren als Mittel zum Erschaffen

Kapitel 11: Das lebendige Meisterwerk

Kapitel 12: Der Aufbau des Tempels

Nachwort

Vom selben Autor – Reihe Gesamtwerke

Vom selben Autor – Reihe Izvor

Vom selben Autor – Reihe Broschüren

Copyright

Kapitel 1: Kunst, Wissenschaft und Religion

Um die Kunstproblematik möglichst anschaulich darzulegen, ist es notwendig, von der menschlichen Struktur auszugehen.

Der Mensch kann als eine Dreiheit definiert werden: Er denkt durch seinen Intellekt, fühlt durch sein Herz und wirkt durch seinen Willen. Der Gegenstand des Intellekts ist die Wissenschaft, der Bereich des Herzens die Religion, die Moral. Der Wille muss handeln, gestalten, kreieren. Deswegen kann man sagen, die Kunst gehöre zum Bereich des Willens. Musik, Tanz, Bildhauerei und Dichtkunst, Architektur, Malerei usw. sind unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten, die der Mensch gefunden hat, um das, was seinen Kopf und sein Herz erfüllt, in die äußere Welt zu übertragen. Kunst steht also in enger Verbindung mit Wissenschaft und Religion.

Wissenschaft strebt nach Licht, Religion nach Wärme und Kunst nach Kreativität. Leider haben sich die Menschen angewöhnt, jede für sich zu sehen, sie sogar gegeneinander zu stellen. Wie oft wurden schon Wissenschaft und Kunst von der Religion abgelehnt; wie oft hat die Wissenschaft die Religion verhöhnt, die Kunst als unbedeutsam erklärt, während die Kunst sich über die auf sie bezüglichen Meinungen der Wissenschaft und Religion mokiert. Jedoch im Leben, in der Natur, im Menschen selbst zeigt es sich, dass die drei zusammengehören, gemeinsam wirken. Nie haben die Eingeweihten diese drei Bereiche getrennt. Jetzt, da die Trennung vollbracht ist, ist die Religion nicht mehr im Stande, die Wissenschaftler festzuhalten, die sie verwerfen. Diese Ablehnung kommt aber in Wirklichkeit daher, dass ihnen die wahre Wissenschaft verschlossen bleibt; ihre Wissenschaft ist lediglich auf die physische, grobstoffliche Ebene ausgerichtet. Von der wahren Wissenschaft haben sie keine Ahnung; die wissenschaftliche Erkenntnis der »drei Welten«, auf denen doch alle Religionen beruhen, bleibt ihnen unzugänglich. Die Kunst ist zwischen beiden ins Schwanken geraten: Entweder sie widersetzt sich der Moral und der Religion oder sie steht im Widerspruch zur Wissenschaft.

Ich wiederhole es nochmals: In der Natur bilden Religion, Wissenschaft und Kunst ein Ganzes. Nur im Kopf der Menschen sind sie voneinander getrennt. Solange diese Trennung besteht, wird das wahre Verständnis fehlen. Wissenschaft, Religion und Kunst bilden eine Einheit. Aus dieser Einheit heraus kann alles erklärt, alles begriffen werden. Man sollte die Aktivitäten des Herzens, des Intellekts und des Willens niemals trennen. Alle drei sollten fest miteinander verbunden und vereint dieselbe Richtung einschlagen. Das Herz sollte das, was der Intellekt gebilligt hat, mit eigener Kraft, Liebe und Begeisterung unterstützen und der Wille sollte es durch Handlungen bestätigen. Wenn der Intellekt mit dem, was das Herz spürt, nicht in Einklang steht und sich widersetzt oder wenn der völlig haltlose Wille nur eingesetzt wird, um den Intellekt oder das Herz zufrieden zu stellen, gerät der Mensch in Gefahr. Die Wissenschaft ist ein Bedürfnis des Intellekts, die Religion ein Bedürfnis des Herzens und die Kunst ein Bedürfnis des Willens, etwas zu kreieren, zu gestalten. Diese drei Bedürfnisse sind miteinander verbunden. Denn was ihr denkt, wird zuerst empfunden, dann geliebt und schließlich ausgeführt.

Wie geht es im gewöhnlichen Leben? Zuerst schmiedet der Mensch Pläne. Dann wünscht er, sie auf der materiellen Ebene konkretisiert zu sehen. Schließlich macht er sich an die Arbeit, um diese Pläne auszuführen. Da haben wir es ja: Gedanke, Gefühl, Handlung. Immer sollte der Gedanke der Handlung vorangehen. Sicher tun es einige oft umgekehrt: Sie handeln, ohne auf die Frage gründlich einzugehen. Daraus ergeben sich selbstverständlich Fehlschlüsse, Leid und Bedauern. Darf man ohne sachliche Überlegung handeln? Ja, aber vorausgesetzt, dass der Mensch völlig geläutert und so hoch entwickelt ist, dass ihm jede Anregung zum Handeln von der Gottheit selbst übertragen wird. Gewiss gibt es – aber selten genug – außergewöhnliche Wesen, die sich mit der Gottheit durchaus identifiziert haben. Sollten solche Wesen vor jeder Handlung nachdenken, dann würden sie ein rein menschliches Element in sich aufnehmen, das für die göttlichen Strömungen, denen sie sich ganz und gar anpassen, eine Störung bedeuten würde. Nach der Handlung schauen diese Wesen sich an, was sie getan haben, und stellen fest, dass alles gut ist. Sie handeln wie Gott selbst. Merkt euch einmal, wie die Genesis die sechs Tage der Schöpfung darstellt: Jeden »Tag« sprach Gott ein paar Worte. So sind die unterschiedlichen Elemente des Universums zutage getreten. Am Ende jedes einzelnen Tages hat Gott festgestellt, »es sei gut«. Will man handeln wie Gott, so muss man Ihm ähnlich sein. Solche Ähnlichkeit anzustreben, kommt für uns einem anhaltenden Arbeitsaufwand von Äonen gleich!

Im Laufe der Jahrhunderte – je nach der Entwicklungsstufe der jeweiligen Zivilisation – haben Wissenschaft, Religion und Kunst um den Vorrang gestritten. Im Abendland ist die Religion lange Zeit vorherrschend gewesen. Dadurch wurde die Entfaltung von Kunst und Wissenschaft gehemmt. Dann setzte eine Periode ein, in der die Kraft der Religion nachließ. Endlich gewann die Wissenschaft die Oberhand. Heutzutage sieht es so aus, als verfügten die Künstler über die Zukunft. Sie werden immer mehr geliebt und gefeiert, als wolle sich der Himmel derzeit durch die Künstler, Musiker, Dichter, Maler und Bildhauer offenbaren. Aus welchem Grunde?

Nichts ist für die Menschen wesentlicher als die Kunst. Das geht auf die Kindheit der Menschheit zurück. Welches sind übrigens die ersten Ausdrucksmöglichkeiten eines Kindes? Philosophie, Wissenschaft und Moral sind für das Kind noch keine Begriffe. Dagegen ist es schon ein Künstler. Es gestikuliert, schreit, hat ein lebhaftes Mienenspiel. Boshafte Zungen behaupten, dass es weine. Aber nein! Ich will es richtig stellen und sage also, dass es sich eben im Singen versucht, wenigstens übt es tüchtig, bis Kehlkopf und Lunge sich vollends entwickelt haben. Schaut euch doch an, wie es tanzt – auch wenn es kaum stehen kann – und wie es zeichnet und malt, bevor es Lesen und Schreiben gelernt hat. Stellt ihm Würfel oder Sand zur Verfügung, da ragen schon Häuser und Burgen empor. Das Kind ist Architekt geworden!

Die Kunst hat als Erste die Geschichte der Menschheit geprägt. Dann hat die Religion eine überwiegende Rolle gespielt. Später ist es der Wissenschaft gelungen sich durchzusetzen. In der Zukunft – ich betone es nochmals – wird die Kunst wieder die Oberhand gewinnen. Warum die Kunst, und nicht die Religion oder die Wissenschaft?

Seit Jahrhunderten ist die Religion – oder eher die Vertreter der Religion – ihrer Aufgabe nicht wirklich gewachsen. Die geistigen Ziele wurden aufgegeben und durch materielle Zwecke ersetzt: Autorität, Prestige, Macht und Geld. Statt die Menschen im wahren Glauben zu unterweisen, haben sie ihnen den Fanatismus beigebracht. Statt die Menschen zu befreien, haben sie des Öfteren lediglich nach Unterwerfung und Ausbeutung gestrebt. Jesus pflegte den Pharisäern und Schriftgelehrten zu sagen: »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen« (Mt 23,13). Solch ein Vorwurf ist für die meisten Kleriker aller Religionen gültig. Deswegen verlassen die Menschen in immer größerer Anzahl die Kirchen und Tempel. Was nun die Wissenschaft anbelangt, so wird sie zu solchen Spitzenleistungen herausgefordert, dass sie letzten Endes eine Angelegenheit von Spezialisten geworden ist. Auch wenn die Menschen wohl die Vorteile sehen, die die Forschungsergebnisse mit sich bringen, gehen diese doch weit über ihr Begriffsvermögen hinaus und können folglich wenig Interesse wecken.

Gegenwärtig vermag die Kunst allein die Menschen innerlich zu bewegen. Sie kann uns für das wirkliche Leben aufnahmebereit machen. Damit soll nicht gesagt werden, dass keine Kritik angebracht wäre, was die aktuellen Formen der Kunst betrifft, im Gegenteil. Man könnte sogar behaupten, die Kunst sei weit entfernt von dem, was die Eingeweihten unter dem Wort »Kunst« verstehen, d. h. eine Tätigkeit, die die wirkliche Wissenschaft und die wirkliche Religion mit einbezieht. Die Kunst ist es, die die Welt erlösen wird, aber nur eine Kunst, die zielbewusst und durch die Wahrheiten der Weisheit und der Liebe verklärt ist. In Zukunft wird den Künstlern der Vorrang gebühren, denn der wahre Künstler ist Priester, Philosoph und Wissenschaftler zugleich. Die Aufgabe des Künstlers besteht eben darin, das auf der materiellen Ebene zu verwirklichen, was die Intelligenz als wahr konzipiert und das Herz als gut spürt, damit die höhere Welt, die Welt des Geistes herabzukommen und sich in der Materie zu verkörpern vermöge.

Kapitel 2: Die göttlichen Quellen der Inspiration

Auf Erden kann der Mensch überhaupt nichts verbessern, solange er nicht fähig ist, sich durch seine Gedanken zu erheben, um andere Bilder, andere Daseinsformen zu betrachten, die über ihm stehen und ihm als Vorbilder oder Ratgeber dienen können.

Jesus sagte: »Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden« (Mt 6, 9-13). Hätte Er selbst nicht den Himmel gesehen, so wäre Er nicht imstande gewesen, einen solchen Wunsch zu äußern. Im Himmel herrscht eine derartige Pracht und Vollkommenheit, dass man sich nur wünschen kann, die Erde werde eines Tages zu seinem Spiegelbild. Als notwendige, grundlegende Voraussetzung dafür sollte aber der Mensch fähig sein, sich den irdischen, so mittelmäßigen, faden und chaotischen Verhältnissen zu entziehen, um zuerst die himmlischen Sphären anschauen zu können, dann wieder auf die materielle Ebene hinabzusteigen, wo er die Dinge genau nach den wahrgenommenen Vorbildern richtig stellen und organisieren könnte. Darin besteht eben die Aufgabe der Eingeweihten: In ihrer Meditation, in ihrer Versenkung vermögen sie der himmlischen Vollkommenheit gewahr zu werden, sie zu sich herabzuholen; sie bemühen sich dann, ihr einen Ausdruck hier auf Erden zu geben. Solches Verfahren ist in den esoterischen Schulen üblich. Aber die Menschen, die diese Methode nicht kennen, sind nicht daran gewöhnt, die materielle Ebene zu verlassen und eine höhere Welt wahrzunehmen; darum haben sie letzten Endes etwas Abscheuliches aus dem irdischen Bereich gemacht.

Das Ziel der Meditation, der Versenkung ist kein anderes, als dem Menschen die nötigen Mittel zu verschaffen, damit er sich zu einem höheren Bewusstseinszustand entwickeln kann, was sich dann auf seinen Geschmack, sein Verhalten, sein Urteilsvermögen auswirkt. Das Wesentliche ist aber zu wissen, wie man sich dabei anstellen soll, welches Thema aufzugreifen ist. Viele meditieren, aber ihre Themen sind höchst prosaisch: die Erledigung ihrer eigenen Angelegenheiten, finanzielle Gewinne, die beste Weise, eine Frau zu küssen usw. »Was machst du? – Ich meditiere!« Worüber er meditiert, weiß der liebe Gott allein! Auch die Katze meditiert, sie meditiert über die beste Art und Weise, eine Maus zu fangen. Es gibt unterschiedliche Stufen im Bereich der Meditation. Trotz ihrer Meditationen waten die Menschen immer noch in denselben Schwächen, denselben Lastern, denselben Grobheiten. Da haben wir den Beweis, dass sie mit dem geheimnisvollen Verfahren der Meditation noch nicht vertraut sind.

In der wirklichen Meditation schwingt sich der Mensch bis zu einer Welt hinauf, die seine eigene Welt übertrifft. Er wird in Entzückung versetzt und von dem Wunsch beseelt, diese Entzückung widerzuspiegeln. Sitzt ihr nach einer Meditation abgestumpft und matt da, spürt ihr keinen innerlichen Schwung, dann ist eure Meditation nutzlos gewesen. Eine Meditation sollte wenigstens eine Veränderung bewirken, in eurem Blick, in eurem Lächeln, in euren Gesten, in eurem Gang. Sie sollte all dem etwas Neues, Subtileres hinzufügen, ein Teilchen wenigstens, das mit der göttlichen Welt in Einklang steht. Das sind die Kriterien, die uns ermöglichen, unsere Meditation richtig zu beurteilen.

In der ersten Phase der Meditation steht der Intellekt im Vordergrund; er greift ein erhabenes Thema heraus, auf welches ihr euch konzentriert. Nach einer Weile sollte aber die Konzentration nachlassen und in die kontemplative Phase übergehen: Überlasst euch dann der Betrachtung dieser Pracht und Herrlichkeit, denn es ist euch gelungen, eine Verbindung herzustellen. Lasst euch von dieser Pracht durchfluten; und – wenn möglich – versucht, euch mit ihr zu identifizieren. Die erste Phase besteht also aus der Meditation und der Konzentration; dann setzt die Kontemplation ein: Fixiert euch auf ein Idealbild. Lasst euch durchfluten, labt euch, und ihr werdet glücklich sein. Versucht, euch mit diesem Idealbild zu identifizieren, bis ihr in einem Gefühl der Vollendung schwebt. Sind das nicht verwertbare, segensreiche Methoden? Sie können, wenn ihr mit ihnen vertraut seid, zu erheblichen Ergebnissen führen. Andernfalls wird euer ganzes Leben sinnlos vorübergehen. Ihr werdet euch nur einbilden, ihr hättet schon etwas geleistet, während ihr in Wirklichkeit überhaupt nichts getan habt.

Alle anerkannten Genies der Vergangenheit – Maler, Bildhauer, Musiker oder Dichter – haben nach solchen Methoden gearbeitet. Auf diese Weise sind die Meisterwerke der Menschheit entstanden.

Bevor sie die Arbeit begannen, sammelten sich die Künstler, meditierten und baten um göttlichen Segen; denn das Licht, das die Fantasie erleuchtet, wird nur vom Himmel verliehen. Es enthüllte sich dann die wirkliche Schönheit vor ihren geistigen Augen, und es wurde ihnen möglich, diese Schönheit zum Ausdruck zu bringen, sie zu übertragen. Gelingt es dem Menschen, diese höhere Verbindung herzustellen, dann wird er imstande sein, Meisterwerke zu schaffen. Wie kommt das? Eben dadurch, dass alles, was sich in ihm abspielt, mit dem spirituellen Licht, das ihn durchflutet, in Einklang steht. Nichts Unsterbliches kann außerhalb des Geistes entstehen.

Ihr könnt euch sicher an zahlreiche Gedichte aus dem Altertum erinnern: Am Anfang stand immer eine Beschwörung der Götter oder der Musen, die als Anweisung für den Künstler gelten sollte. Bevor er zu schaffen begann, wandte er sich den höheren Wesen zu mit der Bitte, sie mögen ihn bei seiner Arbeit unterstützen. Seele und Geist des Menschen sind mit Antennen versehen, die die Vereinigung mit der Gottheit ermöglichen. Gott hat den Menschen nach Seinem Ebenbild erschaffen. Folglich hat Er ihn fähig gemacht, prachtvolle Dinge an den Tag zu bringen. Diese potenzielle Begabung sollte er nicht vernachlässigen, wie es die meisten Menschen heutzutage tun, sondern sie pflegen und entwickeln.

Wo sind denn die Künstler, die beten und meditieren, bevor sie zu schaffen beginnen? Alle sind Genies, das leuchtet jedem ein! Wozu denn eine Hilfe vom Himmel? Sie brauchen keine Inspiration. Dieses Element von oben, das den Werken der Vergangenheit derartigen Wert verleiht, wird folglich nicht mehr in ihren Leistungen mit einbezogen sein, sondern durch die Widerspiegelung von dem höllischen Element des Unterbewusstseins ersetzt. Die Künstler, die solche Werke schaffen, führen die Menschheit in den Abgrund. Genauso steht es mit den Denkern und den Schriftstellern, die weder meditieren noch Ekstasen erleben, die sich nie zu den himmlischen Sphären hinaufgearbeitet haben, um die Struktur des Universums wahrzunehmen. Sie schreiben Bücher, die ihre Leser völlig zersetzen, Zweifel, Aufstand und Lust zur Unordnung und Anarchie erwecken. Viele Werke werden heutzutage von Schriftstellern produziert, die sich nie bemüht haben, sich bis zu den höheren Sphären des Geistes zu erheben. Ihr wundert euch, woher ich das weiß? Einfach durch den inneren Zustand, den diese Werke in uns hervorrufen. Gelingt es einem Schriftsteller nicht, die höhere Natur in uns zutage zu fördern, dann ist es ein Beweis, dass er den Himmel nie aufgesucht hat.

Wenn ihr euch die Meisterwerke eines mit dem Himmel eng verbundenen Künstlers anschaut, kommt ihr selbst in Verbindung mit Wesen, die euch überflügeln; ihr fangt an, mit den Erlebnissen ihres Schöpfers selbst vertraut zu werden; ohne euer Zutun fühlt ihr euch fast dazu gezwungen, auch den von ihm begangenen Weg einzuschlagen. Der Künstler reißt euch mit in die Bereiche, die er selbst wahrgenommen und ausgekostet hat. Da liegt die Zweckmäßigkeit der Kunst, ihre didaktische Seite. Erhebt sich der Mensch zu den höheren Regionen, dann vermag er sich Teilchen herauszuholen, die in ihm weiterarbeiten und deren Schwingungen so beschaffen sind, dass sie sogar Wandlungen auf der ganzen Welt bewirken. Darin besteht das Ideal eines wirklichen Künstlers, eines Eingeweihten.

Eingeweihte, Mystiker und Künstler haben das gemeinsam, dass sie sich auf die Menschheit günstig auswirken: die Künstler durch ihre Meisterwerke, die Mystiker durch ihre spirituellen Erlebnisse, ihre Tugenden; die Eingeweihten und die großen Meister durch ihre Tätigkeit, das Licht zu verbreiten. Die Meister stelle ich noch höher als die Vorigen, weil sie mit dem Himmel eine fast unmittelbare Verbindung herstellen können. Die Künstler machen sich an die Arbeit, um Formen hervorzubringen, die dem idealen Schönheitsbegriff möglichst entsprechen. Die Mystiker, die Geistlichen arbeiten an der Veredelung des psychischen und moralischen Lebens, also an dem Inhalt; die Eingeweihten, die großen Meister wirken im Bereich des Sinnes, also in der Welt der Ideen, der Prinzipien. Diese drei Kategorien von Menschen verbinden sich in dem gemeinsamen Wunsch, die Menschheit unentwegt zur Vervollkommnung zu bringen. Ihr unterschiedliches Verfahren entspricht aber ihren Fähigkeiten und Veranlagungen: Die ersten haben mit den Formen zu tun, die zweiten mit dem Inhalt, die dritten mit dem Sinn. Jeder Kategorie (Künstler, Mystiker, Eingeweihte) werden unterschiedliche Möglichkeiten und Ausdrucksweisen verliehen; jede hat ihre eigene Bestimmung. Es geht um dieselbe Realität, dieselbe Quintessenz; in der Ausdrucksweise liegt aber die Differenzierung.

Diese drei Kategorien entsprechen den drei Grundprinzipien, auf denen die menschliche Beschaffenheit beruht: Geist, Seele und Körper – Intellekt, Herz und Wille – Gedanke, Gefühl und Handlung. In Wirklichkeit sind diese drei Prinzipien notwendig, aber die Intelligenz, der Verstand rückt in den Vordergrund; dann kommt die Moral, der mystische Sinn, ein weites empfängliches Herz; zuletzt die Handlung, das Wirken, um die ganze Welt umzuwandeln. Wer fähig ist, diese »drei Welten« der Philosophie, der Religion (die auch die Moral mit einbezieht) und der Kunst zu umfassen, gilt als vollkommener Mensch.

Das Gebet Jesu durchzuführen, ist das erste Anliegen eines Eingeweihten. »Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden«. Die gesamte esoterische Philosophie, das Gesamtprogramm des Schülers, des wirklichen Christen ist darin inbegriffen. Damit ist nicht gemeint, man solle sich lediglich mit dem Aussprechen der Formel zufrieden stellen und den Herrn nur darum bitten, Er möge andere (als uns selbst) beauftragen, dieses Gebet in die Tat umzusetzen; nein, uns obliegt die Verwirklichung. Unsere Pflicht ist es, uns mit dieser Aufgabe zu befassen, damit die Erde dem Himmel ähnlich werde.