Geld oder Leben - Alexander Poraj - E-Book

Geld oder Leben E-Book

Alexander Poraj

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Beschreibung

Sein statt Haben

Geld, Partnerschaft, Erfolg, Glück – viele jagen wie fremdbestimmt diesen vermeintlichen Sicherheiten hinterher. Doch einmal erlangt, erweisen sie sich häufig als ausgesprochen flüchtig. Und vor allem taugen sie nicht als Rückhalt, um hoffnungsvoll sein zu können angesichts unserer in vieler Hinsicht unsicheren Zukunft. Verlässliche spirituelle Nachhaltigkeit entsteht, wenn Ängste statt mit Pseudosicherheiten mit unmittelbaren Erlebnissen und tatsächlichen Begegnungen bewältigt werden. Diese Erlebnisse festigen das Vertrauen, verbunden zu sein mit anderen, mit der Erde und vor allem mit sich selbst. Ein Mut machendes Buch, das den Weg zu einer zeitgemäßen Nachhaltigkeit aufzeigt.

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Seitenzahl: 196

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Das Buch

»Also was machen wir mit dem Geld? Wir sammeln es, weil es uns das Gefühl des Werts an sich vermittelt. Haben wir Geld, dann haben wir Wert und sind etwas wert und zufrieden. Leider verpufft die Zufriedenheit schneller als gedacht. Wenn wir diesen Moment der Stille und Leere mutig und geduldig zulassen, hören wir den Klang eines Weckers und wir erwachen in den offenen und frischen Raum unseres Daseins hinein, in dem wir unmittelbar realisieren, wie wunder- und geheimnisvoll das Leben ist und in welch unermesslichen Fülle es sich gerade jetzt ereignet.«

Ein Buch, das durch bedrängend existenzielle Situationen begleitet und ermutigt, nicht aufzugeben und so das Glück zu finden.

Der Autor

DR. ALEXANDERPORAJ, geboren 1964, Theologe, war in einem Großkonzern, einer Unternehmensberatung und als Geschäftsführer einer Klinikgruppe tätig. Seit vielen Jahren gehört er zur spirituellen Leitung des Benediktushofes in Holzkirchen, einem Zentrum für Meditation, Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung. Er ist Zen-Meister der Zen-Linie Leere Wolke und von Willigis Jäger ernannter Kontemplationslehrer.

ALEXANDERPORAJ

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Was uns wirklich glücklich macht

Kösel

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Copyright © 2021 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Zero Media GmbH, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-25552-7V001

www.koesel.de

Inhalt

Hände hoch: Geld oder Leben?

Wer hält eigentlich die Pistole?

Ich zähle bis zehn und fange mit dem Suchen nach dir an

Das Ich: eine Baustelle. Eltern haften für ihre Kinder

Ich bin ich oder die Kunst der Selbstbehauptung

Der Revolverheld lädt ständig nach

Die (Un-)Möglichkeit einer Paarbeziehung

Ich habe Lust oder die Lust hat mich?

Heiraten?

Ich liebe dich! Ich hasse dich!

Eifersucht

Verliebt sein

Liebe

Trennung und Scheidung

Geld oder Leben

Geld, oder was habe ich eigentlich im Portemonnaie?

Besitz und Vermögen

Die Kostbarkeit und die Widerwärtigkeit

Der Preis und das Preisen

Ein Schritt zurück und zwei nach vorn

»Was willst du werden?« – »Reich!«

Der Banküberfall

Gut oder böse ist doch richtig oder etwa falsch?

Die Gutenacht-Geschichten

Der wunschgerechte Glaube

Der Apfelgroßhandel am Baum der Erkenntnis

Das ruhige Gewissen

Sterben und Tod

Sterben lernen

Den Tod verweigern

Ewiges Leben

Sechs Mal klingelt der Wecker

Hände-Hoch oder wessen Idee war diese Szene eigentlich?

Ich bin – oder der Duft der leeren Patronenhülse

Gemeinsam nach dem Weckerläuten

Es ist genug da für alle

Vollkommen

Erwachen

Textnachweis

Literaturempfehlungen

Hände hoch: Geld oder Leben?

»Mensch, stürbest du nicht gern, so willst du nicht dein Leben; Das Leben wird dir nicht als durch den Tod gegeben.«

Angelus Silesius

Erfreulicherweise leben wir weder in einem Land noch zu einer Zeit, in welcher es zum Alltag gehört, dass uns jemand wirklich mit einer Pistole oder einem Messer bedroht. Diese Feststellung ist ein Fakt, und wenn Sie es trotzdem nicht glauben, dann überprüfen Sie bitte die entsprechende Statistik. Eine andere Tatsache aber, die statistisch weniger überprüfbar und dennoch gefühlt täglich sichtbar ist, zeigt sich in unserer körperlich-geistigen Haltung, die beim genaueren Hinschauen alle Anzeichen einer Situation vereint, als ob doch jemand mit der Pistole auf uns zielen würde.

Den Hinweis auf unsere Haltung der erhobenen Hände meine ich ernst, schon alleine der Anstrengung wegen, die sie auf Dauer mit sich bringt. Was sich alles hinter der Pistole verstecken kann, ist eine ganz andere, aber durchaus wichtige Frage, denn eine reale Pistole, wie wir sie uns alle denken können, spielt dabei die geringste Rolle, was ich trotzdem gleich zu Beginn klargestellt haben möchte. Erstaunlicherweise – und das werden Sie hoffentlich gleich mitbekommen – hat diese Tatsache kaum Einfluss auf unsere Haltung. Überhaupt kann ich Sie jetzt schon beruhigen, denn Tatsachen und Fakten interessieren uns generell weniger als deren Interpretationen. Und dass wir das eine mit dem anderen gerne gleichstellen oder verwechseln, wird wiederum mit dem Recht auf den Ausdruck eigener Gefühle gleichgesetzt, mit Meinungsfreiheit untermauert und als kreative Äußerung eines tieferen Selbst von den meisten von uns hochgeschätzt.

Hände hoch! – sollten wir also jemals wirklich diese Aufforderung hören, dann würden wir erstarren und mit größter Wahrscheinlichkeit brav unsere Hände hochheben. Wie im Film eben, denn nur von dort kennen wir diesen Verhaltenskodex. Nun aber leben wir nicht im Film – was eigentlich noch zu beweisen wäre –, und auf den allermeisten Straßen unserer Städte werden die Bürgersteige so schnell hochgeklappt, dass sie nicht einmal für eine solche Filmkulisse zu gebrauchen wären. Wie kommt es also dazu, dass unser Lebensgefühl eine ganze Reihe von Aspekten einer Haltung beinhaltet, die gerade dieser Szene so nahekommt? Hier spricht einiges dafür, dass wir nicht nur so – mir nichts, dir nichts – gezwungen werden, in diesem Film mitzuspielen. Nein, das wäre zu einfach. Es sieht eher danach aus, dass wir nicht nur diese Szene, sondern ein ganzes Filmgenre selber inszenieren, mit Drehbuch, Regie, plus Besetzung der Haupt- und Nebenrollen, halb bewusst, halb unbewusst, in der Regel mit mäßigem Erfolg, dafür aber mit umso größerem Einsatz. Der Einsatz ist deswegen so groß, weil wir zu spät bemerken, dass die Produktionskosten auf Pump laufen, wir sie also mit Zinseszins zurückzahlen müssen und das auch dann, wenn der Film kaum etwas eingespielt hat. So ist das Leben eben.

Und jetzt wird es richtig interessant: Die Hauptrolle wird immer von uns persönlich besetzt und zwar nicht nur die des edlen Opfers oder tatkräftigen Helden, sondern sogar die des Ganoven und, je nachdem ob die Umstände wirklich vielversprechend sind, auch die der Pistole oder des Messers.

Und wenn Sie jetzt ein Buch über eine multiple Persönlichkeitsstruktur erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen oder erleichtern. Ich glaube nämlich nicht daran, dass wir so viele Persönlichkeiten in einem Ich sind. Was ich aber glaube, ist, dass wir vieles tun, ja glauben, tun und sein zu müssen, um ein Gefühl von Dauer dieser einen flüchtigen Persönlichkeit genannt Ich zu erzeugen. Koste es, was es wolle. Und ja, es kostet viel und endet trotzdem in jedem Fall mit einer persönlichen Insolvenz, die wir aus der heutigen Sicht als den Tod bezeichnen und sie deswegen, so lang wie eben möglich, verzögern wollen. Also ganz so wie im richtigen Leben.

Die Situation ist im besten Falle tragikomisch, unsere Haltung natürlich miteingeschlossen. Trotzdem lacht keiner. Wie denn auch, denn Humor ist in solch einer Situation eher dünn gesät, guter Rat bekanntlich teuer, Verzweiflung an der Tagesordnung, und zusammengebissene Zähne erlauben im besten Fall – und anatomisch gesehen – eine Art von Grinsen, das den ganzen Körper, der sonst beim herzhaften Lachen immer gerne dabei ist, außer Acht lässt, um sich auf eine Gesichtsgrimasse beschränken zu können.

Was also tun? Nichts. Wirklich? Ja, wirklich, oder doch nicht ganz, denn: bevor Sie das Nichtstun tun können, benötigen Sie dazu in aller Regel eine fundierte Anleitung, so eine Art unkomplizierter Gebrauchsanweisung, so wie für das Waschen eines Baumwollhemdes. Man weiß es eigentlich, schaut aber dennoch sicherheitshalber auf die Waschhinweise, die mittlerweile auch in mehreren Sprachen nichts wirklich Neues hinzufügen. Aber man fühlt sich einfach sicherer. Und genau darauf kommt es uns an. Sicherheit.

Nur der König zählt

Nun liegt Ihnen solch eine Gebrauchsanweisung in Form dieses Buches vor. Ob Ihnen sein Inhalt ganz neue Erkenntnisse bringen wird, sei dahingestellt. Es könnte aber sein, und das ist nun meine Motivation, dass Sie so manch eine Erkenntnis und Erfahrung in einem anderen Zusammenhang zu sehen bekommen, als Sie es bislang gewohnt waren, und das bedeutet nichts Geringeres, als dass wir die Karten mal wieder neu mischen und verteilen. Es sind, wie beim Poker, zwar immer wieder die gleichen Karten, es kommt aber bekanntlich auf ihre Zusammensetzung an. Drei Zweier sind demnach immer noch wirkungsvoller als zwei Damen oder gar zwei Könige, eine Tatsache, die wir nur äußerst ungern bereit sind zu akzeptieren, denn Damen und Könige sehen nach weit mehr aus als eine oder mehrere lausige Zweier oder Dreier. Und wenn alle Stricke reißen, können Sie das Buch auch noch als Alibi für die bereits in Ihnen vorhandenen Einsichten und Erfahrungen nutzen, so Sie bislang nicht selbst den Mut dazu hatten, öfters genau dem Handlungsimpuls zu folgen, welchen die jeweilige Lebenssituation mit sich brachte. Und wenn Sie es bereits tun, dann hoffe ich, dass Sie sich beim Wiedererkennen amüsieren können, womit endlich mal Humor die Bühne betritt und damit der sonst vernachlässigte Körper, der jetzt, auf dem Sofa oder Sessel bequem sitzend, doch noch auf seine Kosten kommen könnte.

Einmal bequem Platz genommen, können Sie gerne das Buch in beliebiger Reihenfolge der Kapitel lesen. Sie sind fast selbstständig aufgebaut und damit autark. Aber eben nur fast. Ich empfehle Ihnen deswegen, mit dem zweiten Kapitel zu beginnen, denn die Frage nach dem »Ich« scheint mir fundamental zu sein und zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch hindurch. Zugegeben, es ist auch das schwierigste Kapitel. Aber einmal hindurch geht es nur noch bergab durch schöne Landschaften. Lesen Sie bitte das letzte Kapitel auf jeden Fall zuletzt. Es trägt keine Nummer, was einer kleinen Besonderheit geschuldet ist, nämlich: Ich habe die Anzahl der Kapitel in der Anlehnung an den alten Colt, der bekanntlich über sechs Schüsse verfügt, gewählt. Natürlich tat ich es im vollen Bewusstsein darüber, dass die Pazifistinnen und Pazifisten unter uns, wenn sie denn überhaupt dieses Buch zur Hand genommen haben, es spätestens jetzt wegzulegen gedenken. Nun aber langsam, bitte. Halten Sie schön die Hände hoch, setzen sich bitte wieder hin und lesen einfach weiter. Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, dann wissen Sie bereits, dass Feuerwaffen seltener im Gebrauch sind, als allgemein vermutet, und dass die meisten Schüsse, die wir abfeuern oder die uns selber treffen, ganz anderer Natur sind, weswegen es sich vielleicht doch lohnen könnte, die Szene etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Und um die Bemerkung über das letzte Kapitel abzuschließen, sei nur noch hinzugefügt, dass es deswegen keine Nummer mehr trägt, weil es diese, im Sinne eines Schusses schlichtweg nicht mehr braucht. Wieso? Das lesen Sie dann bitte selbst und zum Schluss, also nach dem letzten Schuss. Sie werden sehen, dass im letzten Kapitel anstatt der Schüsse ein ganz anderer Ton und Klang herrschen wird, der auf eine besondere Art und Weise alle vorher abgegebenen Schüsse wortwörtlich und der Reihe nach ins Leere führen wird. Wo kein Schuss also, dort auch kein Ziel, und wo keine Pistole, dort auch kein Schuss, wo keine Lösung, da auch kein Problem …

So, das reicht jetzt. Nehmen Sie bitte langsam die Hände runter, aber nur um die Buchseite umzublättern …

Wer hält eigentlich die Pistole?

»Mensch, all’s verwandelt sich; wie kannst denn du allein Ohn einge Besserung der alte Fleischklotz sein!«

Angelus Silesius

Wer bin ich? Ich halte diese Frage immer noch für die Frage aller Fragen. Denn selbst dann, wenn wir sie an die zweite, dritte oder letzte Stelle in unserer Hitliste der wichtigsten Lebensfragen platzieren würden, sind wir es, die diese Platzierung vornehmen. Wir sind also schon auf der Bühne des Lebens im Kostüm der Selbstverständlichkeit gekleidet, bevor das Stück »Wer bin ich« losgeht. Noch deutlicher formuliert: Ob es Ihnen oder mir passt oder auch nicht, ob wir alle diese Frage für sehr wichtig oder für ganz unwichtig halten, immer haben wir uns bereits als vorhandene und real existierende Ichs vorausgesetzt, die dann großzügig zu entscheiden haben, ob die Frage nach uns selbst wichtig sei oder nicht. Das ist mehr als kurios und zeigt die eigentliche Schwierigkeit, mit der wir es nicht nur hier in diesem kurzen Kapitel zu tun haben werden, sondern vor allem im täglichen Leben, in dem wir alle so tun, als wüssten wir bereits die Antwort. Und die Antwort ist natürlich bejahend und lautet: Ja, es gibt mich. Ich bin!

Das mit der Antwort ist ungefähr so, als würde man eine vermögende Person danach fragen, was denn das Geld an sich sei, und als Antwort zuckt sie desinteressiert mit der Schulter und sagt, sie habe genügend Geld und wüsste nicht, um was es uns eigentlich ginge. Wichtig sei eben, es zu haben, und dafür hätte sie bereits hart gearbeitet und tue das auch weiter, was sie uns und allen anderen dringlichst empfehlen würde, anstatt ihr mit blöden Fragen die kostbare Zeit zu stehlen, die bekanntlich Geld kostet.

Der Unterschied zwischen Sein und Haben sollte spätestens seit Erich Fromms berühmtem gleichnamigen Essay gut bekannt sein, ist er aber nicht. Die »Gretchenfragen« sind meines Wissens, was einen weltweiten gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Antworten angeht, alle weitestgehend offengeblieben. Selbst das wäre noch nicht das Schlimmste. Als wirklich beunruhigend, ja verantwortungslos halte ich eher die Tatsache, dass wir uns weltweit noch nicht einmal darüber im Klaren sind, dass wir es wirklich nicht wissen. Der in diesem Zusammenhang häufig benutzte Satz »Wir wissen es noch nicht wirklich« baut mit dem geschickt eingebauten Adverb »noch« eine zeitliche Schiene ein, deren Ende in die Gewissheit münden solle, aber eben noch nicht jetzt, und wer – da haben wir den geheimnisvollen Jemand schon wieder – weiß wirklich, ob und wann es so weit sein wird?

Derweilen finden wir alle den Umstand nicht schlimm, und er hindert uns nicht im Geringsten daran, zielsicher die tollsten Bauten und Projekte anzugehen, die sich aber, sollte sich herausstellen, dass ihr Hauptakteur, also das Ich, nicht ganz anwesend ist, als Luftschlösser entpuppen können, weil sie alle von uns für andere errichtet und gebaut werden, also immer schon in der felsenfesten Annahme, dass es uns genauso gibt, wie wir es gerne glauben, dass es uns geben sollte. Wackelt also die erste fundamentale Wahrheit, die da heißt: »Ich bin, du bist, wir sind«, dann wackeln alle anderen »Wahrheiten« auch, weil sie alle durchwegs auf ihr aufgebaut sind. Und glauben Sie mir bitte, es sind viele Bauten, die auf diesem einen unsichtbaren Fundament ihr Dasein fristen und deswegen für sehr viel Aufregung sorgen.

Wissen wir also nicht mit Sicherheit, wer und was wir sind, wie können wir uns dann so sicher sein, dass gerade unsere Ziele, Aufgaben und Werte so wichtig sind? Und wenn ja, dann ist es wer schon wieder, der das behauptet? Und für wen sollen sie so gut und richtig sein? Ich habe die Personalpronomen einfach mal fett gesetzt, damit sie uns in ihrem kontinuierlichen Auftreten überhaupt mal bewusst werden. Wie Sie also sehen können, dreht sich alles, aber auch wirklich alles nur um ich, du, mein, dein, wir oder uns. Das Zentrum jeglicher Erfahrung und Betrachtung müssen immer schon wir sein. Aber wer ist dieses verdammte, besondere oder wunderbare Wir? Genau dieser Frage müssen wir als Erstes nachgehen, denn keiner, und das meine ich hier wörtlich, kann sie uns abnehmen. Und selbst dann, wenn sich doch jemand finden würde, der es könnte, dann müssten wir ihn als Erstes fragen dürfen: Wer bist du? Und er müsste darauf antworten können. Kennen Sie zufällig jemanden, der genau das könnte? Ich nicht, und es hat bisher keiner meinen Lebensweg gekreuzt, der mich diesbezüglich mit seiner Antwort überzeugen konnte. Mehr noch, die meisten meiner Gesprächspartner ignorierten tunlichst die Frage.

Nun also: Auf wen wird geschossen und von wem? Wer hat die Pistole gebaut und wer geladen? Wer hat sie überhaupt erfunden? Und wer hält seine Hände hoch und ist dieser »wer« dabei sicher, dass es wirklich seine Hände sind?

Alle diese Fragen setzen einen anwesenden Jemand voraus. Dieser Jemand aber scheint beim genaueren Hinschauen gar nicht so da zu sein, wie wir es uns wünschen würden. Aber dann frage ich Sie nochmals: Wer ist es, der sich ein Ich wünscht? Etwa ich? Wenn ja, dann müsste es mich bereits vor mir selber gegeben haben, damit ich »ja« zu mir sagen kann. Damit setzt auch der berühmte therapeutische Satz »Sagen Sie ja zu sich« voraus, dass Sie, wenn Sie nicht schon vor Ihrer eignen Existenz zufällig da waren, spätestens beim Nachsprechen des Satzes neben sich stehen oder liegen müssten, damit Sie sich annehmen oder ablehnen können. So gesehen müssten wir alle daneben sein, und zwar neben uns selbst, was eine ernst zu nehmende Pathologie wäre, und wer weiß, vielleicht auch tatsächlich eine ist. So gesehen leiden wir alle an uns selbst. Auf solche grammatikalischen Spiele kommen wir noch zu sprechen. Hier sei schon mal darauf hingewiesen, dass nicht alles, und das meine ich wirklich und wörtlich, was sprachlich und grammatikalisch formulierbar ist, auch tatsächlich, und das bedeutet in diesem Zusammenhang, außerhalb der Sprache existiert. Das meiste eben, was in unseren Köpfen existiert, existiert nur dort und nirgendwo sonst. Das sollte uns schon mal an dieser Stelle beruhigen.

Wir benutzen also seit längerer Zeit die Personalpronomen, was an sich sehr interessant ist und viele organisatorische Bauten ermöglicht. Man kann z. B. einem Ich oder einem Du eine Menge anderer Worte zuordnen, um die beiden voneinander zu unterscheiden oder aber um sie gleichzusetzten. Sprachlich ist fast alles möglich aber eines eben nicht: Es ist nicht zwingend notwendig anzunehmen, dass es mich, dich und die anderen auch noch außerhalb der Sprachwelt gibt. Das ist alles.

Verlustangst?

Ich ahne, dass es manchen von Ihnen bereits etwas schwindlig wird und Sie fürchten – übrigens ganz zu Recht – um den Erhalt Ihrer gewohnten Welt, mit Ihrem Ich in seiner Mitte. Keine Angst, ich nehme sie Ihnen nicht. Ich wollte nur mal eben präzisieren, dass »diese« Welt mehr Ihre Welt ist, und außerhalb Ihrer Welt existiert nun mal »meine Welt«. Und »meine Welt« ist hundertprozentig nicht mit »Ihrer Welt« identisch und ganz sicher von »meiner Welt« unterschieden. Daneben gibt es natürlich eine ganze Menge »anderer Welten«. Erstaunt und verunsichert Sie das? Warten Sie bitte ab. Das ist erst der Anfang. Jedenfalls höre ich Sie erstaunt fragen, wo denn die normale alltägliche Welt wäre, in der wir doch alle gemeinsam leben? Tja, lassen wir mal diese Frage etwas offen. Sie ist nämlich in meiner Hitliste der Gretchenfragen die Nummer zwei. Im nächsten Kapitel werde ich noch auf sie zu sprechen kommen. Auf jeden Fall spricht bereits jetzt schon einiges dafür, dass die gesamte Szene mit der Pistole, dem Händehochhalten und allem, was dazu gehört – und das ist nicht gerade wenig –, vermutlich nicht »die Welt« ist, sondern nur in Ihnen oder in mir passiert und eben nur dort. Ist das nicht eine gute Nachricht?

Irgendwie habe ich den Eindruck, Sie noch nicht ganz überzeugt zu haben. Ist ja auch nicht schlimm. Ein Großteil des Buches liegt noch vor uns.

Kehren wir erst einmal zu der Ausgangsfrage zurück: Wer oder was ist das Ich? Denn auf jeden Fall beansprucht in jeder Welt das Ich die zentrale Position, ganz gleich wie sie aussieht und wo sie sich befinden sollte. Die Suche beginnt. Die Zeit läuft. Werden wir uns finden?

Ich zähle bis zehn und fange mit dem Suchen nach dir an

»Mensch, wo du noch was bist, was weiß, was liebst, was hast, So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.«

Angelus Silesius

Ich habe Sie bereits lange auf die Folterbank gespannt, und nun steht Ihnen eine klare Antwort auf die Ich-Frage zu.

Die klare Frage lautet: Gibt es ein Ich oder nicht?

Die klare Antwort lautet: Ja und nein.

Bitte protestieren Sie nicht sofort. Ich habe Ihnen eine klare und nicht eine eindeutige Antwort versprochen. Angesichts dessen, um was es sich hier handelt, ist meiner Meinung nach eine eindeutige Antwort nicht angebracht. Warum? Lassen Sie es mich erklären.

Entweder – oder

Als Erstes sollten wir uns bewusst werden, dass unser Denken nichts lieber tut, als Gegensätze zu kreieren. Beachten Sie bitte wirklich genau das soeben Gesagte. Ich habe gesagt, dass wir gerne in Gegensätzen denken würden, und nicht, dass es solche gibt. Merken Sie den Unterschied? Lassen Sie ihn bitte auf sich etwas länger einwirken.

Diese Art des Denkens folgt einer Tradition und ist damit alles andere als gottgegeben, von Natur aus richtig oder etwa genetisch angelegt. Allen voran war es Aristoteles, der das Denken unbedingt dahin disziplinieren wollte, damit es ausschließlich widerspruchfreies Wissen hervorbringt. Diese Art des Wissens nennen wir seitdem Wissenschaft und die Disziplinierung des Denkens Logik. Die am weitesten verbreitete Logik ist die bipolare, die in Gegensätzen denkt und sich in der Regel für eine der Seiten zu entscheiden hat. Demnach ist Wahrheit gut und Lüge schlecht. Es kann nämlich nicht sein, dass Wahrheit schlecht wäre und die Lüge gut. Das mündet zu 100 Prozent in der Perspektive: entweder – oder. Weil wir diese Logik bereits mit der Muttermilch aufgesaugt haben und sie deshalb für allgemeingültig und objektiv halten, fällt manchen von uns die Akzeptanz meiner Antwort schwer. Wir könnten aber auch andere Regeln gelten lassen, wie z. B. die Sowohl-als-auch- oder die Weder-noch-Regel, nur dann wären unsere Kriterien für die Beurteilung der Ereignisse um ein Vielfaches komplexer, und vermutlich genau das wollten Herr Aristoteles und die ihm nachfolgenden Wissenschaftler vermeiden. Sicher ist sicher, und an sich schon ein sicheres Argument. Wären wir uns der Komplexität der Wirklichkeit bewusst, dann wäre es um ein Vielfaches schwieriger, sagen zu können, was wirklich richtig oder falsch ist. Das wiederum könnte unseren Herrschaftsdrang um einiges verlangsamen, wenn nicht umlenken, was ja bis heute kaum jemand möchte.

Ja und nein