Generation Fake - Patrick Burow - E-Book

Generation Fake E-Book

Patrick Burow

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Beschreibung

Schonungslos ehrlich! Ein Richter gegen Fake-News

Der Richter Dr. Patrick Burow hat sich in über zwanzig Jahren Abertausende Lügen anhören müssen. Dadurch ist er ungewollt zum Experten in Sachen Lügen geworden. Im Gerichtssaal als Spiegelbild des Lebens ist eine deutliche Zunahme des Lügens zu beobachten. Außerhalb des Gerichts hat die Lüge bereits einen wahren Siegeszug angetreten. Egal ob in der Partnerschaft, dem Beruf, den Medien, der Politik, dem Alltag, dem Internet oder der Werbung, überall wird hemmungslos gelogen.

Es ist in den letzten 25 Jahren ein Wertewandel zu beobachten. Wir leben längst in einer postfaktischen Gesellschaft, in der Wahrheit und Ehrlichkeit vom Aussterben bedroht sind. Es wächst eine Generation nach, für die es normal ist, unehrlich zu sein. Selbstverständlich lügt sie nicht, sie bedient sich nur »alternativer Fakten«. Was soll aus unserer Gesellschaft werden, mit einer Generation von Menschen, die nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit differenziert? Dies vielleicht auch nicht mehr kann. Die Generation Fake ist ein auflagenstarkes Gesellschaftsthema!

Parallel dazu wird eine Gegenbewegung erkennbar: Ehrlichkeit ist ein gesellschaftlicher Wert.

Das Buch zeigt, wie man Lügen durchschauen und die Wahrheit herausfinden kann. Es schließt mit einem kraftvollen Plädoyer für mehr Wahrheit.

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Der Richter Dr. Patrick Burow hat sich in über zwanzig Jahren Abertausende Lügen anhören müssen. Dadurch ist er ungewollt zum Experten in Sachen Lügen geworden. Im Gerichtssaal als Spiegelbild des Lebens ist eine deutliche Zunahme des Lügens zu beobachten. Außerhalb des Gerichts hat die Lüge bereits einen wahren Siegeszug angetreten. Egal ob in der Partnerschaft, dem Beruf, den Medien, der Politik, dem Alltag, dem Internet oder der Werbung, überall wird hemmungslos gelogen.

Es ist in den letzten 25 Jahren ein Wertewandel zu beobachten. Wir leben längst in einer postfaktischen Gesellschaft, in der Wahrheit und Ehrlichkeit vom Aussterben bedroht sind. Es wächst eine Generation nach, für die es normal ist, unehrlich zu sein. Selbstverständlich lügt sie nicht, sie bedient sich nur »alternativer Fakten«. Was soll aus unserer Gesellschaft werden, mit einer Generation von Menschen, die nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit differenziert? Dies vielleicht auch nicht mehr kann.

Parallel dazu wird eine Gegenbewegung erkennbar: Ehrlichkeit ist ein gesellschaftlicher Wert.

Das Buch zeigt, wie man Lügen durchschauen und die Wahrheit herausfinden kann. Es schließt mit einem kraftvollen Plädoyer für mehr Wahrheit.

Patrick Burow

Generation

Fake

Ein Richter

plädiert

für mehr

Ehrlichkeit

Kösel

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Copyright © 2020 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagfoto: © Kathy Hennig

Satz: dtp im Verlag

E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-26330-0V002

www.koesel.de

Inhalt

Einleitung

1. Ehrlichkeit geht mir am Arsch vorbei – Die postfaktische Generation Fake

2. Lügen haben kurze Beine – und was sonst noch?

3. Die Wahrheit kommt mir nicht ins Haus! – Private Lügen

4. Schummeln im digitalen Zeitalter

5. Traumjob Influencer, Superstar oder Topmodel

6. Beruf – Von der frisierten Bewerbung bis zum Hochstapeln

7. Krumme Geschäfte von Konzernen

8. Lügende Politiker und Fake News

9. Nirgends wird so viel gelogen wie vor Gericht

10. Folgen der Wahrheitskrise

11. Niemand mag beschissen werden – Die große Sehnsucht nach Ehrlichkeit

12. Wächst die Nase wirklich mit jeder Lüge? Die große Kunst, Schwindler zu enttarnen

13. Ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Einleitung

Die Anklage lautete auf Meineid, und der Angeklagte war ein Jurastudent. Er hatte zuvor in einem Prozess gegen seinen Vater ausgesagt. Dieser war an einer Tankstelle mit dem Fahrer eines Tankwagens in Streit geraten. Der Vater wollte mit seinem Auto an das Druckluftgerät, um seine Reifen aufzupumpen. Genau diesen Bereich hatte der Tanklastwagenfahrer mit Pylonen abgesperrt, weil er gerade die Tankstelle mit Benzin belieferte. Er bat den Autofahrer, ein paar Minuten zu warten. Hierüber kam es zu einem Streit. Schließlich versetzte der Vater dem Tanklastwagenfahrer einen Faustschlag ins Gesicht. Er wurde wegen Körperverletzung angeklagt.

Der Jurastudent sagte als Zeuge aus. Er sei bei dem Streit zwischen seinem Vater und dem Tanklastwagenfahrer zufällig dazugekommen. Der Tanklastwagenfahrer habe seinen Vater zwei- bis dreimal geschlagen, während sein Vater gegenüber dem Tanklastwagenfahrer nicht tätlich geworden sei. Sein Vater sei das Opfer, nicht der Täter. Er wurde auf seine Aussage vereidigt. Das Gericht glaubte dem Tanklastwagenwagen und nicht dem Sohn. Es verurteilte den Vater wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe.

Auf meinem Tisch landete dann die Anklage gegen den Sohn wegen Meineids. In dem Folgeprozess vernahm ich vier weitere auf der Tankstelle anwesende Zeugen. Diese sagten übereinstimmend aus, der Autofahrer habe den Tanklastwagenfahrer geschlagen, nicht umgekehrt. Und der Sohn hätte sich während der Auseinandersetzung gar nicht an der Tankstelle befunden, sondern sei erst gekommen, als sein Vater die Tankstelle bereits verlassen hatte. Der Sohn hatte also unter Eid bewusst die Unwahrheit gesagt, um seinen Vater vom Vorwurf einer Körperverletzung zu entlasten. Er wurde wegen Meineides zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

Aus diesem alltäglichen Fall in meinem Gerichtssaal entstand die Idee zu diesem Buch. Denn dieser Meineid war kein Einzelfall. Immer mehr Menschen lügen dreist im Gerichtssaal. Und noch etwas war mir aufgefallen. Früher kannten alle den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Dem Jurastudenten schien der Unterschied nicht mehr bewusst zu sein. Er log völlig unbekümmert und ließ sich im Ausgangsprozess auch durch massive Vorhalte des Richters nicht davon abbringen. Wenn den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge selbst ein Jurastudent nicht mehr kennt, wie steht es dann generell mit der Wahrheitsliebe seiner Generation?, fragte ich mich besorgt.

In meinen vierundzwanzig Jahren als Richter habe ich mir Abertausende Lügen anhören müssen. Dadurch bin ich ungewollt zum Experten in Sachen Lügen geworden. Im Gerichtssaal als Spiegelbild des Lebens ist eine deutliche Zunahme des Lügens zu beobachten. Außerhalb des Gerichts hat die Lüge bereits einen wahren Siegeszug angetreten. Egal ob in der Partnerschaft, dem Beruf, den Medien, der Politik, dem Alltag, dem Internet oder der Werbung, überall wird hemmungslos gelogen. Die Unehrlichkeit geht um in Deutschland. Und eine ganz bestimmte Generation ist davon betroffen. Fake ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Fake News, alternative Fakten und die postfaktische Gesellschaft sind omnipräsent. Das Zeitalter der Lüge ist angebrochen.

Es ist in den letzten 25 Jahren ein Wertewandel zu beobachten. Wir leben längst in einer postfaktischen Gesellschaft, in der Wahrheit und Ehrlichkeit vom Aussterben bedroht sind. Es wächst eine Generation nach, für die es normal ist, unehrlich zu sein. Selbstverständlich lügen sie nicht, sie bedienen sich nur »alternativer Fakten«. Was soll aus unserer Gesellschaft werden, mit einer Generation von Menschen, die nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit differenzieren? Dies vielleicht auch nicht mehr können?

Dabei besteht eine große Sehnsucht nach Ehrlichkeit. Es ist klar, dass das Lügen verletzend, schädlich und oft kriminell ist. Die Menschen möchten vertrauen können. Eine Gegenbewegung zum postfaktischen Zeitalter setzt ein.

Das Buch zeigt, wie man Lügen durchschauen und die Wahrheit herausfinden kann. Es schließt mit einem Plädoyer für mehr Wahrheit und einer Anleitung für ein ehrliches Leben.

1. Ehrlichkeit geht mir am Arsch vorbei – Die postfaktische Generation Fake

Die Generation Fake kennt den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr. Der Wertewandel hat zur postfaktischen Gesellschaft geführt. In Zeiten von alternativen Fakten und Fake News wächst eine Generation heran, für die Ehrlichkeit keine Bedeutung mehr hat.

Die Tugend der Ehrlichkeit teilt das Schicksal der Titanic

Die Stoßstange des Opel Astra bohrt sich in die Beifahrertür des VW Golf. Ein lauter Knall schallt über die Kreuzung. Airbags explodieren, der Opel macht eine Notbremsung, der VW wird weggeschleudert. Beide Autos kommen zum Stehen. Aus der zerstörten Front des Opel zischt Dampf, und Öl tropft auf den Asphalt. Die Beifahrertür des VW ist eingedrückt und das Fenster zersplittert. Die Kreuzung ist übersät mit Fahrzeugteilen. Der Verkehr kommt hupend zum Erliegen. Die beiden Unfallfahrer sind dank Gurtstraffer und Airbags unverletzt geblieben.

Zwei Autos sind mitten auf der Kreuzung kollidiert. Ein alltäglicher Vorfall. Die Polizei hat im Jahr 2018 rund 2,6 Millionen Unfälle registriert1.

Beide Fahrer geben zu Protokoll, sie hätten jeweils Grün gehabt. Wortreich und gestikulierend versuchen beide, jeweils die Polizei von der eigenen Unschuld und der Schuld des anderen zu überzeugen. Die Beamten kontrollieren kurz die Ampel, die tadellos funktioniert. Ihnen drängt sich auf, dass einer der beiden Fahrer lügen muss. Später verklagen beide sich wechselseitig auf Schadensersatz.

Ehrlichkeit beschreibt die Eigenschaft, stets die Wahrheit zu sagen, also in möglichst keiner Form die Unwahrheit von sich zu geben. Im Begriff Ehrlichkeit steckt das Wort »Ehre«. Im Sinne von tugendhaftem Verhalten bedeutet Ehrlichkeit, andere nicht bewusst anzulügen. Schon im achten Gebot heißt es sinngemäß »Du sollst nicht lügen«. Ehrlichkeit ist die Basis eines vertrauensvollen gemeinsamen Miteinanders. Sie ist der Schlüssel für glückliche Beziehungen, für eine gut funktionierende Gesellschaft, eine problemlösende Politik und florierende Wirtschaft. Ehrlichkeit galt einmal als eine der wichtigsten und grundlegendsten Tugenden überhaupt. Das war damals, als im Fernsehen Bonanza lief, die Leute noch sonntags zur Kirche gingen und Pril-Blumen überall klebten.

Als Richter bin ich von Berufs wegen auf die Ehrlichkeit angewiesen. Im Zivilprozess etwa gilt das Parteiprinzip, nach dem ich nur das berücksichtigen darf, was die Parteien vorgetragen haben. Auf den Vortrag der Parteien konnte ich mich früher im Wesentlichen verlassen, denn sie haben die prozessuale Wahrheitspflicht beachtet, nach der die Parteien nichts wider besseres Wissen unrichtig vortragen oder bestreiten dürfen. Heute ist ein bewusst unwahrer Sachvortrag häufig und gefährlich, denn er kann zu Fehlurteilen führen. Gehe ich von einem falschen Sachverhalt aus, führt das zwangsläufig zu einem falschen Urteil. Lügen Angeklagte und Zeugen im Strafprozess, kann ein Schuldiger freigesprochen oder ein Unschuldiger verurteilt werden. Eine Falschaussage kann einen Unschuldigen für Jahre hinter Gitter bringen, in anderen Staaten ihn sogar das Leben kosten.

Im obigen Fall gibt es keine Zeugen, die Fahrer saßen jeweils allein in ihren Autos. Der Beklagte behauptet eine Fehlfunktion der Ampel. Ein Unfallrekonstruktionsgutachten ergibt, dass die Ampel korrekt funktionierte und einer der beiden Fahrer das Rotlicht missachtet haben muss. Der Beklagte passt seinen Vortrag schnell an. Ja, es könne nicht auszuschließen sein, dass er noch bei »Spätgelb« über die Ampel gehuscht sei, aber er habe nicht mehr rechtzeitig anhalten können. Der Sachverständige widerlegt dies mit einer Berechnung des Anhalteweges. Der Beklagte bessert seinen Vortrag wiederum nach. Der Kläger sei mit einem »fliegenden Start« in die Kreuzung eingefahren und habe den Unfall dadurch allein verschuldet. Der Sachverständige kann einen Kavalierstart weder bestätigen noch widerlegen. Ich will eine Schadensteilung vornehmen, weil ich den Unfall für unaufklärbar halte. Denn keiner der beiden Fahrer kann seine Behauptung, er habe Grün gehabt, beweisen. Plötzlich behauptet der Kläger, seine Ehefrau habe auf dem Beifahrersitz gesessen und könne bezeugen, dass er Grün und der Beklagte Rot hatte. Seltsam, denke ich, denn weder in der Verkehrsunfallanzeige noch der gesamten Akte tauchte die Ehefrau bisher auf. In Verkehrsunfallsachen wird regelmäßig gelogen, und zwar von allen Unfallbeteiligten. Ich habe als Richter über 2000 Verkehrsunfälle verhandelt und noch nie erlebt, dass jemand einen Fahrfehler zugegeben hat. Stets ist der jeweils andere alleine an dem Unfall schuld. Mich erstaunt regelmäßig, wie viele verschiedene Versionen es von ein und demselben Unfall geben kann und wie beliebig diese ausgetauscht werden. Schäden an des Deutschen liebsten Kind lassen die Tugend der Ehrlichkeit sofort vergessen.

Im Jurastudium habe ich den Begriff »ehrbarer Kaufmann« kennen gelernt. Der Kaufmann hatte sich an Tugenden wie Redlichkeit, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit zu orientieren. Nach meinem Eindruck in den 80er Jahren hielten sich die meisten Firmen daran. Heute wird der Begriff »ehrbarer Kaufmann« als antiquiert angesehen und ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Daran dachte ich, als kürzlich ein Fall der VW-Dieselaffäre auf meinem Schreibtisch landete. Der Kläger hatte einen als besonders sauber beworbenen »Clean-Diesel« gekauft, der die Grenzwerte aber nur mittels manipulierter Software einhielt. Diese erkennt, ob ein Auto auf dem Prüfstand steht, und regelt dann den Motor herunter. Nur dadurch hält er die Abgasgrenzwerte ein, im Straßenverkehr ist der Schadstoffausstoß um ein Vielfaches höher. Die Volkswagen AG hatte jahrelang und systematisch Millionen ihrer Kunden betrogen, um die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte für Autoabgase vorzutäuschen. Der Kläger wollte Schadensersatz für den Wertverlust seines »Clean-Diesel«, der in Wahrheit eine Dreckschleuder ist. Eigentlich ein klarer Fall. Doch VW schickte eine 50seitige Klageerwiderung, in der man einfach alles abstritt. So als hätte sich der Kläger die VW-Dieselaffäre nur ausgedacht, um unberechtigt zu Geld zu kommen. Wahrheitswidrig alles abzustreiten hat VW natürlich in diesem Fall, wie in Tausenden anderen auch, nichts genützt, und VW musste Schadensersatz zahlen. Der Fall zeigt, dass selbst ein Weltkonzern wie VW den Begriff »ehrbarer Kaufmann« nicht mehr kennt. Aus der Generation Golf ist die Generation Fake geworden. Ein redlicher Autohersteller hätte keine Manipulationssoftware verwendet. Und wenn die Sache dann aufgeflogen war, hätte ein »ehrbarer Kaufmann« den Betrug zugegeben und die Betrogenen entschädigt. Das wäre auch hilfreich, um das zerstörte Vertrauen wiederherzustellen. Doch VW findet, es sei eine gute Strategie, sich stattdessen lieber bundesweit tausendfach verklagen zu lassen. Rund 400.000 VW-Kunden gehen mit einer Musterfeststellungsklage gegen den Volkswagen-Konzern vor2. Über 60.000 Einzelklagen sind gegen VW anhängig3. Er versucht, mit dem Betrug durch weitere Lügen davonzukommen.

War das mit der Tugend der Ehrlichkeit früher anders? Ja, und zwar in zweifacher Hinsicht. Nach meiner Erfahrung von vierundzwanzig Jahren im Gerichtssaal waren die Menschen früher ehrlicher als heute. Wer die Alleinschuld an einem Unfall hatte, ist deswegen nicht vor Gericht gezogen. Ein beim Betrug ertappter Weltkonzern hätte sich nicht hunderttausendfach verklagen lassen, sondern seine geprellten Kunden entschädigt. Und den Bürgern war bewusst, dass Ehrlichkeit tugendhaft und Lügen schlecht ist. Schlimmer noch, früher kannten alle den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Der Generation Fake scheint der Unterschied oft nicht mehr bewusst zu sein.

Es gibt keinen statistischen Beweis, aber ich bin überzeugt, die Leute lügen heute mehr als früher. Nach einer repräsentativen Umfrage lügen 73 Prozent der 18-29 Jahre alten Menschen täglich, aber nur 45 Prozent der 60-69 Jahre alten4. Als junger Richter habe ich manchmal eine Akte wegen Falschaussagen oder Prozessbetrug an die Staatsanwaltschaft geschickt. Aber das waren Einzelfälle. Heute müsste ich streng genommen jede vierte Akte mit der Bitte um Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft schicken.

Ehrlichkeit geht mir am Arsch vorbei, für diesen zunehmenden Trend der Generation Fake lassen sich auch außerhalb des Gerichtssaals zahlreiche Beispiele finden. Ein Test hat ergeben, dass nur 50 Prozent der absichtlich verlorenen Geldbörsen vom Finder zurückgegeben werden5. Die Hälfte der Finder war unehrlich und hat sie behalten. Betrug ist zum Volkssport geworden, der meist unentdeckt und damit straflos bleibt. Es wird wie selbstverständlich Steuern hinterzogen oder schwarzgefahren. Der Nebenjob wird natürlich nicht dem Jobcenter gemeldet. Der neue Fernseher oder das neue Smartphone soll durch einen fingierten Schaden von der Versicherung bezahlt werden. Die Hemmschwelle, sich ein paar Euro zu erschwindeln, sinkt zunehmend. Ein banales Beispiel: Kürzlich machte ich Urlaub in der Türkei. Auf dem Hinflug waren die Passagiere ganz normal gekleidet, auf dem Rückflug glich der Airbus einer Pariser Modenschau. Alle hatten sich auf dem Basar mit gefälschter Markenkleidung eingedeckt. An den Handgelenken der Männer glitzerten Fake-Rolex, die Frauen trugen Fake-Gucci-Handtaschen. Die Fälschungen bekannter Luxusmarken sind in der Türkei zu einem Bruchteil des originalen Preises erhältlich. Hässliche Worte wie Markenrechtsverletzung und Produktpiraterie, dazu noch in 200 Fällen, fielen mir dazu ein. Selbstverständlich nahmen bei der Ankunft in Deutschland alle den grünen Ausgang beim Zoll. Niemand war so ehrlich, die Einfuhr von Markenfälschungen anzumelden.

Früher konnte man sich auf den Wahrheitsgehalt von Nachrichten verlassen. Die Meldungen, die Karl-Heinz Köpcke jeden Abend mit sonorer Stimme in der Tagesschau verlas, entsprachen den Tatsachen. Skandale wie die vom Stern 1983 veröffentlichten Hitler-Tagebücher waren die absolute Ausnahme. Heute leben wir im Zeitalter der Fake News. Um Auflage oder Quote zu steigern, werden immer öfter Nachrichten übertrieben oder frei erfunden. Selbst beim angesehenen SPIEGEL hat ein Reporter jahrelang in großem Umfang Geschichten erdichtet. Es fällt immer schwerer zu unterscheiden, welche Meldungen wahr und welche Fake sind.In der Generation Fake scheint es gar keine Wirklichkeit mehr zu geben.

Immer mehr Politiker sind der Auffassung, dass Fakten nichts bringen. Die Wahrheit ist tot. Eine wahrheitsunabhängige Politik verspricht mehr Erfolg. Folgerichtig sitzt der »König der Lügner« nicht im Gefängnis, sondern im Weißen Haus. Präsident Trump hat es seit Amtsantritt auf über 15.000 Falschbehauptungen gebracht6. Früher haben Politiker überwiegend nur im Wahlkampf geschwindelt, heute ist es normal, dass Politiker routinemäßig jeden Tag lügen.

Der Wertewandel führt zur postfaktischen Gesellschaft

Wir Älteren sind mit dem Glauben aufgewachsen, dass wir unseren Freunden, Lehrern, Zeitungen, Unternehmen und Politikern vertrauen können. Das ist nicht mehr der Fall. Wir leben in einer Zeit des Wertewandels, der zur postfaktischen Gesellschaft führt. Herkömmliche Werte, wie Ehrlichkeit, Fairness, Gerechtigkeit, Respekt sowie Anstand verlieren zunehmend an Bedeutung. Sie gelten als antiquiert. Die Generation Fake will ihre Bedürfnisse maximal befriedigen und möglichst viel Spaß haben. Ehrlichkeit stört dabei nur. Der moralische Kompass der Generation Fake kennt nur eine Richtung, und die heißt »ICH«. Die Sitten sind rauer geworden, und die Moral ist gesunken. Weil Lügen und Betrügen so allgegenwärtig geworden sind, uns von Politikern und Prominenten täglich vorgelebt werden, ist auch das Unrechtsbewusstsein gesunken. Die Generation Fake ist sich keiner Schuld bewusst, wenn sie sich lügend und betrügend durchs Leben trickst. Die sinkende Moral und das abnehmende Unrechtsbewusstsein sind die Hauptgründe für den Siegeszug der Lüge.

»Es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten«, sagte Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede7. »Post« ist das lateinische Wort für »danach« und »hinter«. Es beschreibt vor allem Aussagen, die auf Gefühlen und nicht auf Tatsachen beruhen. Postfaktisch steht für ein Zeitalter, das die Tatsachen hinter sich gelassen hat. Gefühlte Wahrheiten reichen aus, sie müssen nicht wirklich wahr sein. Die Generation Fake lebt in einer Zeit nach der Wahrheit. Der Begriff postfaktisch wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zum Wort des Jahres 2016 gekürt8.

Populär geworden ist auch der Begriff »alternative Fakten«, das Unwort des Jahres 20179. Für Donald Trump gab es nach seiner Wahl zum US-Präsidenten kaum ein wichtigeres Thema, als wie viele Menschen zu seiner Amtseinführung gekommen waren. Anderthalb Millionen Menschen habe er bei seinem Amtseid gesehen. Seinen Pressesprecher Spicer ließ er verkünden: »Das war die größte Zuschauerzahl, die jemals einer Amtseinführung beigewohnt hat«10. Die Medien widersprachen dieser Aussage. Es hätten deutlich weniger Teilnehmer Trumps Amtseinführung besucht als im Vergleich dazu die von Barack Obama im Jahr 2009. Sie belegten dies mit Fahrgastzahlen der Metro und mit Satellitenfotos. Sie zeigten freie Flächen, auf denen bei der Amtseinführung von Obama Zuschauer gestanden hatten. Trumps Beraterin Kellyanne Conway wurde im Fernsehen gefragt, warum das Weiße Haus trotzdem noch immer von einem Besucherrekord spreche. »Wir präsentieren lediglich alternative Fakten«, sagte Conway11. Damit war der Begriff geboren.

In Wirklichkeit gibt es keine »alternativen Fakten«. Eine Ampel war Rot oder nicht, der Angeklagte war am Tatort oder nicht, die Frau war schwanger oder nicht. Tatsächlich sind »alternative Fakten« unwahre Aussagen und damit ein Euphemismus für Lügen. Es gibt kein Recht auf eigene Fakten. Zunächst war der Begriff ein Zeichen für eine zunehmend wahrheitsunabhängige Politik, nunmehr halten »alternative Fakten« als wahrheitsunabhängiger Vortrag auch Einzug ins Gericht. Blitzt ein Prozessbeteiligter mit einer Version vor Gericht ab, wird sofort eine neue Version nachgeschoben. Das Auswechseln von Tatsachenbehauptungen sei auch kein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht, denn es würde sich um »alternative Fakten« handeln.

Die Folge von »alternativen Fakten« in einer »postfaktischen Gesellschaft« ist, dass niemand mehr genau weiß, was wahr und was unwahr ist. Und schlimmer noch, wir bekommen den Eindruck vermittelt, dass es auf die Wahrheit auch gar nicht mehr ankommt. Die Einführung dieser Begriffe zeigt eine Routinisierung der Unehrlichkeit. Lügen ist so verbreitet und gesellschaftsfähig geworden, dass es dafür schon beschönigende Fremdwörter gibt. »Alternative Fakten« und »postfaktisch« klingen gleich viel besser als »Lügen«. Für die Generation Fake ist es legitim geworden, die Lüge als Waffe im Kampf um eigene Vorteile einzusetzen. Wer heute erfolgreich sein will, muss ein Serienlügner wie Donald Trump sein.

Es wächst eine Generation Fake heran

Blondes Haar, schwarzes Sakko, Tom-Cruise-Grinsen – Jason, 21 Jahre, ist ein Gewinnertyp. Nur passt sein strahlendes Lächeln nicht so richtig zur Situation, denn er sitzt wegen gewerbsmäßigen Betruges in 120 Fällen auf der Anklagebank. Er war Verkäufer in einem Handyshop. Dort soll er fiktive Verträge angelegt, die Smartphones mit nach Hause genommen und anschließend bei Ebay versteigert haben. Der Gesamtschaden beläuft sich auf 80.000 Euro.

Jason hat eigentlich einen Hauptschulabschluss und anschließend eine Lehre zum Lageristen gemacht. Bei der Bewerbung als Mobilfunkverkäufer hat er dagegen einen Realschulabschluss und eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann angegeben. Für diesen Betrug brauchte er nicht mal Zeugnisse zu fälschen, denn es reichte aus, im Online-Bewerbungsformular entsprechende Angaben zu machen. Auch später wollte die Firma keine Zeugnisse sehen.

Auf seinem Facebook-Profil steht er vor einem tiefergelegten Sportwagen. Weitere Fotos belegen Reisen nach Dubai, Thailand und in die Dominikanische Republik. Man ahnt, wo die 80.000 Euro geblieben sind. Als Beruf gibt er Selfmade Online Unternehmer an. Er hätte eine bahnbrechende neue App entwickelt. Von der lässt sich im Internet allerdings keine Spur finden.

Den gewerbsmäßigen Betrug bestreitet er. Mit dem auffälligen Handyschwund habe er nichts zu tun. Das können nur die anderen Mitarbeiter gewesen sein. Seine neue App sei ein derartiger Megaseller, dass er es gar nicht nötig habe, Handys für ein paar Peanuts auf Ebay zu verticken. Das Leugnen macht eine mühselige Beweisaufnahme erforderlich. Handy-Verträge, Ebay-Verkaufsunterlagen und Kontoauszüge werden verlesen, die Buchungsdateien des Handyshops ausgewertet und Dutzende Zeugen vernommen. Das ergibt nach drei Verhandlungstagen eine lückenlose Beweiskette. Die fiktiven Verträge wurden immer dann angelegt, wenn Jason alleine im Shop war, und die hochpreisigen Handys wurden anschließend über sein Ebay-Konto verkauft. Die Verkaufserlöse landeten auf seinem Bankkonto, wovon er seinen neuen Sportwagen und die Fernreisen bezahlte. Es gibt nicht den Hauch eines Anhaltspunktes dafür, dass die anderen Shop-Mitarbeiter irgendetwas mit der Sache zu tun gehabt haben könnten.

Jason lächelt auch noch, als ich sein Strafregister verlese. Er genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Sechs Voreintragungen, sämtlich wegen Betruges. Zudem ist noch eine Bewährung offen. »Alles Fehlurteile«, sagt Jason grinsend. Für ihn scheint die Verhandlung ein großer Spaß zu sein. In seiner Parallelwelt ist alles in Ordnung.

Langsam dämmert es zumindest Jasons Pflichtverteidiger, dass es jetzt eng wird. Sein Mandant verdiene eine letzte Chance, denn seine Lebensverhältnisse hätten sich entscheidend stabilisiert. Er sei jetzt verlobt, der Anwalt zeigt auf ein Mädchen im Zuschauerraum, das eifrig nickt. Das Häufchen Elend hat schwarz gefärbte Haare und viele Piercings im Gesicht. Ich frage nicht nach, denn ich kenne das schon. Regelmäßig kurz vor dem Verhandlungstermin mutiert die aktuelle Bettgefährtin zur Verlobten. Außerdem habe der Angeklagte einen neuen Arbeitsvertrag, sagt der Verteidiger und schiebt eine Kopie rüber. Das Gericht dürfe dem Angeklagten seine Lebensperspektiven nicht kaputtmachen und ihn ins Gefängnis stecken. Ich werfe einen kurzen Blick darauf, wieder mal ein Zeitarbeitsvertrag. Sie sind offensichtlich leicht zu bekommen, werden regelmäßig kurz vor einem Verhandlungstermin vorgelegt, aber nie angetreten.

Die Staatsanwältin will Jason für mindestens zwei Jahre hinter Gittern sehen. Der Anwalt beantragt eine milde Bewährungsstrafe. Jason hat das letzte Wort. Er hofft auf einen Freispruch. Seine neidischen Kollegen hätten ihn reingelegt.

Am Schluss wird Jason zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Für einen kurzen Moment erstirbt sein Gewinnerlächeln. Es flackert aber sofort wieder auf, als die Protokollantin ihm die Rechtsmittelbelehrung rüberschiebt.

Jason ist ein typischer Vertreter der Generation Fake, denn er hat sein Leben auf Lügen und Betrügen aufgebaut. Für ihn und seine Altersgenossen hat die Wahrheit keine Bedeutung mehr.

Das Wort Fake kommt aus dem Englischen und bedeutet Fälschung12. Es hat sich seit Mitte der 2000er Jahre im deutschen Sprachgebrauch etabliert. Es ist bereits im Duden eingetragen, wonach Fake für Fälschung, Betrug und Schwindel steht13. Oft wird es als Vorsilbe gebraucht, wie etwa Fake-News, Fake-TV oder Fake-Rolex. Unter Generation Fake ist eine Altersstufe mit unehrlichem Charakter, für die Lügen und Betrügen fest zum Lebenskonzept gehören, zu verstehen.

Die Generation Fake umfasst die heute Fünfzehn- bis Vierzigjährigen. Sie sind in einer Zeit nach dem Werteverfall und mit der Verbreitung des Internets aufgewachsen. Für sie ist die Lüge ein legitimes Mittel der Durchsetzung ihrer Interessen.

Eine Hauptursache für das Entstehen der Generation Fake ist mangelnde Bildung. Klassische Tugenden, wie die Ehrlichkeit, werden Kindern und Jugendlichen heute weder von den Eltern noch von den Schulen ausreichend beigebracht. In den Lehrplänen ist Wertevermittlung nur in homöopathischen Dosen vorgesehen. Eltern und Lehrer werden für die Erziehung auch immer bedeutungsloser, denn die jungen Menschen verbringen deutlich mehr Zeit mit TV, Handy und Konsole als mit ihren Erziehungsberechtigten. Dies führt zu Realitätsverlust und falschen Wertvorstellungen. Jedes Kind hat schon vor der ersten Stunde Ethikunterricht einige hundert »Doku-Soaps« gesehen, in denen unter dem Anschein der Echtheit ein völlig falsches Weltbild vermittelt wird. »Proll und lüg dich durchs Leben« ist deren Botschaft.

Die Generation Fake ist im Zeitalter der Lüge aufgewachsen. Sie hat es nicht gelernt, zwischen Wahrheit und Unwahrheit trennscharf zu unterscheiden. Ihre Vorbilder aus Politik, Sport und Medien leben ihnen täglich vor, dass es darauf auch nicht ankommt. Unehrlichkeit ist für sie allgegenwärtig und für den Erfolg im Leben offenbar sogar notwendig. Die Wahrheit nervt dagegen, denn sie muss erstmal herausgefunden werden und ist dann oft auch noch unbequem. Die Generation Fake empfindet es als sinnlos, sich in einer postfaktischen Welt mit Fakten zu beschäftigen. Darüber ist sie schon hinaus.

Auch unter den über Vierzigjährigen gibt es unehrliche Menschen, mögen Sie vielleicht einwenden. Die Älteren kennen allerdings den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge noch, während der Generation Fake dieser oft nicht mehr bewusst ist.

Täuschung und Lügen sind die Waffen der Generation Fake. Sie lügt routinemäßig in jeder Lebenssituation, sofern es ihr einen Vorteil bringt. Das fängt schon im Kindesalter durch Cheats bei Computerspielen an. Mit ein paar Tricks ist der nächste Level schnell geschafft, und die Mitspieler werden überrundet. Teenager optimieren ihre Instagram-Fotos, auf denen alle wie Topmodels aussehen. Nur Loser stellen noch unbearbeitete Fotos ein. In der Fake-Welt der sozialen Medien ist jeder reich, schön und berühmt. Hat jemand mehr als hundert Follower, wähnt er sich schon als erfolgreicher Influencer. Schüler haben keine Skrupel mehr, Hausaufgaben und Referate im Internet herunterzuladen, statt sie selbst zu schreiben. Selbst Dissertationen lassen sich ohne großen Aufwand durch »Copy and Paste« zusammenstückeln. Weil das so häufig gemacht wird, gibt es dafür sogar schon ein eigenes Verb: »guttenbergen«. Später wird die Bewerbung frisiert. Dass machen schließlich alle, und am Computer lässt sich ein Notenupgrade schnell faken. Kaum ein Arbeitgeber überprüft die Zeugniskopien. Die Generation Fake muss sich für keinen Erfolg mehr anstrengen, denn sie hat gelernt, wie man ihn vortäuschen kann. »Fake it till you make it« ist ihr Lebensmotto. Etwas vorzutäuschen, was man nicht kann oder nicht ist, nannte man früher Hochstapelei. Heute ist das Vortäuschen von »Kompetenz« eine akzeptierte Form der Selbstverwirklichung. Die Generation Fake hat auch keine Angst vor der Entdeckung ihrer Schummeleien, denn sie wird sich dann schon irgendwie herausreden können. Sie lebt in der Scheinwelt ihrer Lebenslügen, in der für echte Tatsachen kein Platz ist.

Wahre Liebe sucht auch niemand mehr. Ein getuntes Profil auf einer Dating-App, und blitzschnell ist ein One-Night-Stand organisiert. Mit etwas Glück bemerkt der Kurzzeitpartner die Profillügen erst am nächsten Morgen. Wer liiert ist und fremdgehen will, kann sich sein Sexabenteuer im Internet organisieren. »Das Leben ist kurz. Gönn’ dir eine Affäre« wirbt die Seitensprungagentur AshleyMadison.com. Außerdem kann er eine dieser Alibi-Agenturen im Internet mit der Tarnung des Seitensprungs beauftragen.

Die Generation Fake braucht Fakten weder zu kennen, noch zu lernen. Früher eignete man sich noch Allgemeinbildung aus Lehrbüchern und Lexika an. Die älteren Leser werden noch wissen, dass Brockhaus gar keine Steakhauskette ist. Heute reicht das gefühlte Wissen aus dem Internet vollkommen aus. Wozu sich noch etwas merken, wenn die Erkenntnisse der Wikipedia-Forschung auf dem Smartphone jederzeit abrufbar sind? Es stört sie auch nicht, von Politikern, den Medien und der Werbung ständig getäuscht zu werden. Denn sie ist im Zeitalter nach Abschaffung der Wahrheit aufgewachsen.

Für die Generation Fake ist es normal geworden, ständig zu lügen oder belogen zu werden. Ein moralisches Problem hat sie damit nicht, denn heute lügt ja keiner mehr. Das sind nur alternative Fakten in einer postfaktischen Gesellschaft. Die Grenze zwischen Wahrheit und Unwahrheit verschwimmt zunehmend. Was soll aus unserer Gesellschaft werden, mit einer Generation von Menschen, die nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit differenzieren, dies auch gar nicht mehr können? Jedenfalls nicht Gutes.

2. Lügen haben kurze Beine – und was sonst noch?

Die Generation Fake lügt gewohnheitsmäßig täglich x-mal. Dabei ist Lüge nicht gleich Lüge. Es gibt weiße und schwarze Lügen. Und selbst durch Schweigen und Halbwahrheit kann man lügen.

Die Generation Fake lügt unerträglich oft

Nach einer repräsentativen Umfrage lügen 58 Prozent der Deutschen täglich14. Nach der Rechtspsychologin Revital Ludewig lügt jeder durchschnittlich 25 Mal am Tag15. Andere Quellen gehen von täglich bis zu 80 Lügen aus. Im Internet wird am häufigsten eine Studie genannt, nach denen jeder Mensch bis zu 200 Mal am Tag lügt16. Als Quelle wird ein US-amerikanischer Psychologe namens John Frazier genannt. Doch seine angebliche Studie lässt sich nicht verifizieren. Sie ist in keiner wissenschaftlichen Datenbank auffindbar und auch weder als Buch noch im Internet veröffentlicht. Gut möglich, dass die Lügenzahl von 200 selbst ein Fake ist. Ich vermute, die Anzahl der täglichen Lügen lässt sich durch eine Umfrage nicht wahrheitsgemäß feststellen, denn die Befragten werden im Zweifel eine niedrigere Zahl von Lügen als die tatsächliche angeben. Die reinrassigen Vertreter der Generation Fake werden null Lügen angeben, weil sie den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr verstehen. Auf die genaue Anzahl der Häufigkeit von Lügen kommt es aber gar nicht an. Es geht darum aufzuzeigen, dass die Menschen gewohnheitsmäßig täglich lügen.

Definition von Wahrheit und Lüge

Bernd Weinbrenner saß wegen eines Umsatzsteuerbetrugs im großen Stil auf der Anklagebank. Er hatte dem Vorsteher des Finanzamts angegeben, er sei ein vermögender Filmproduzent und wolle in Dessau ein Filmstudio gründen. Millionen würde er dafür investieren. Dem Vorsteher gefiel die Idee »Hollywood in Dessau«, denn er versprach sich Steuermehreinnahmen. In der Planungsphase machte er natürlich keine Umsätze, führte Weinbrenner weiter aus, hatte aber Unkosten. Er reichte Rechnungen über sie beim Finanzamt ein und ließ sich die Umsatzsteuer auszahlen, insgesamt 300.000 Euro. Doch das Filmstudio wurde nie gebaut, und Weinbrenner tauchte mit dem Geld unter. War er ein Lügner?