Gesammelte Romane und Erzählungen: Die letzten Tage von Pompeji + Das Geschlecht der Zukunft + Das Haus des schwarzen Magiers + Die Pilger des Rheins + Paul Clifford und mehr - Edward Bulwer-Lytton - E-Book
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Gesammelte Romane und Erzählungen: Die letzten Tage von Pompeji + Das Geschlecht der Zukunft + Das Haus des schwarzen Magiers + Die Pilger des Rheins + Paul Clifford und mehr E-Book

Edward Bulwer Lytton

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Beschreibung

Dieses eBook: "Gesammelte Romane und Erzählungen: Die letzten Tage von Pompeji + Das Geschlecht der Zukunft + Das Haus des schwarzen Magiers + Die Pilger des Rheins + Paul Clifford und mehr" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Edward George Bulwer-Lytton (1803-1873) war ein englischer Romanautor und Politiker des 19. Jahrhunderts. Bekannt ist Bulwer-Lytton hauptsächlich für seinen Roman Die letzten Tage von Pompeji. Darüber hinaus kennt man auch sein Spätwerk Das Geschlecht der Zukunft. In diesem beschreibt er eine unterirdisch lebende Gesellschaft, die eine geheime Kraft beherrscht. Der Roman gilt heute als eine der ersten Science Fiction-Geschichten. Mit okkulten Inhalten sind noch andere Werke versehen, so sein Roman Zanoni, in dem es um die Geschichte eines erhabenen Rosenkreuzers geht. Falsch sind jedoch die immer wieder hervorgebrachten Behauptungen, er sei Mitglied einer esoterischen Vereinigung gewesen. Tatsächlich existieren keinerlei historische Belege für eine solche Mitgliedschaft. So wurde er beispielsweise ohne sein Wissen, und sogar gegen seinen Willen, zum Grand Patron der britischen Societas Rosicruciana in Anglia ernannt. Inhalt: Romane: Falkland (1827) Paul Clifford: Band 1 bis 7 (1830) Eugen Aram (1832) Godolphin oder der Schwur (1833) Die letzten Tage von Pompeji (1834) Die Pilger des Rheins (1834) Das Geschlecht der Zukunft (1871) Kenelm Chillingly: Band 1 bis 3 (1873) Erzählungen: Asmodeus aller Orten (1840) Tomlinsoniana Das Haus des schwarzen Magiers

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Edward Bulwer-Lytton

Gesammelte Romane und Erzählungen: Die letzten Tage von Pompeji + Das Geschlecht der Zukunft + Das Haus des schwarzen Magiers + Die Pilger des Rheins + Paul Clifford und mehr

Falkland + Eugen Aram + Godolphin + Kenelm Chillingly + Asmodeus aller Orten + Tomlinsoniana

Übersetzer: Georg Nikolaus Bärmann, Wilhelm Cremer, Friedrich Notter, Louis Lax, Emil Lehmann, Gustav Pfizer

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-1585-3

Inhaltsverzeichnis

Romane:

Falkland (1827)
Paul Clifford: Band 1 bis 7 (1830)
Eugen Aram (1832)
Godolphin oder der Schwur (1833)
Die letzten Tage von Pompeji (1834)
Die Pilger des Rheins (1834)
Das Geschlecht der Zukunft (1871)
Kenelm Chillingly: Band 1 bis 3 (1873)

Erzählungen:

Asmodeus aller Orten (1840)
Tomlinsoniana
Das Haus des schwarzen Magiers

Falkland (1827)

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Vorrede.
Falkland. Erstes Buch.
Falkland. Zweites Buch.
Falkland. Drittes Buch.
Falkland. Viertes Buch.

R. Vous comptes sur peu d'limitateurs. H. Vel duo vel nemo! Preface de la nouvelle Heloise.

Vorrede.

Inhaltsverzeichnis

Wenn ich den Titel »Roman« für dieses Buch ablehne, so geschieht es in dem Vertrauen, man werde nicht dafürhalten, daß ich denselben geringschätze. Ich bin mir im Gegentheile bewußt, daß Falkland von den meisten Lesern unter den Roman gestellt werden wird, und darf mir kaum damit schmeicheln, daß einige wenige ihn für etwas mehr halten wollen. Für eine Klasse wird mein Buch zu leichtfertig, für eine andere zu langweilig seyn. Kalte Menschen wird es unzufrieden machen, und zugleich die Erwartung der leicht Erregbaren täuschen; die ersten durch Gefühlsschilderungen, welche sie nicht als wahr anzuerkennen vermögen; die andern durch Betrachtungen über das Leben, welche die von ihnen angenommene Philosophie bestreiten. Welcher Beweggrund mich immer zur Herausgabe vermogt hat, Erwartung günstigen Erfolges bestimmte mich gewiß nicht dazu; es wäre möglich, daß noch Niemand der einen ähnlichen Versuch machte, so aufrichtig als ich das Verdienst der Gleichgültigkeit in Betreff des Erfolges, für sich in Anspruch genommen hat.

Vielleicht gründet die erste Anlage zu dieser Geschichte sich auf Thatsachen, wie sehr dieselben auch für den Druck abgeändert seyn mögen, vielleicht finden sich unter den Briefen, welche der Welt in der Hoffnung bekannt gemacht werden, daß sie »eine Moral zeichnen« einige die ursprünglich nicht geschrieben wurden, um »eine Erzählung zu schmücken;« gleichwohl ist dieser Umstand eine für mich nutzlose Betheurung, und die Nachforschungen Anderer müßten unbefriedigt bleiben. Auch solche Personen welche die Karaktere unnatürlich, die Gefühle überspannt finden, würde meine Versicherung, daß die Karaktere lebten, daß die Gefühle empfunden sind, nicht genügen; in einem gesellschaftlichen Zustande in welchem Alles erkünstelt ist, erscheint nichts verfälschter als das eigentliche Wahre.

Ich besorge einigermaßen, daß Leser welche über das Ganze nur nach dessen einzelnen Theilen abzusprechen pflegen, das Buches Ende tadeln mögen, weil sie es mißverstanden. Ich besorge außerdem noch, daß gelegentliche Schilderungen in zu lebendigen Farben vorgetragen, und daß skizirte Gefühle zu treu gezeichnet erscheinen; möge man aber, bevor man mich verurtheilt bedenken, daß kein Mißgriff in der Moral größer (wieweil auch allgemeiner) ist, als der, ein Strafurtheil zu sprechen, ohne vorher das Vergeben herauszuheben; und habe ich im Darstellen der Bestrafung die Wahrheit nachgeschildert, so war es ebenfalls nothwendig, dieses nämliche Vorbild zu erforschen, um der Leidenschaften Fortgang zu beschreiben. Wiewohl ich eingestehe, nach Ähnlichkeit gestrebt zu haben, vermied ich doch eben so sorgfältig jede Ausschmückung; im Abmalen der Schuld habe ich nicht ein einzigesmal den Versuch gemacht deren Elend zu übertünchen, oder deren Schande zu verschleiern. Ward meine Geschichte auf Irrungen des Herzens begründet, so geschah das, weil die nützlichsten aller Sittenlehren aus den Folgerungen gezogen werden können, welche jene herbeiführen.

In Falklands Karakter habe ich zu zeigen gewünscht, daß alle Tugend schwach, und daß alle Weisheit da unzureichend sey, wo nicht ein vorherrschender, feststehender Grundsatz Criterion jedes neuen Wechsels in unserem Betragen und zugleich auch Bürgschaft dafür ist, daß wir das einmal Erwählte verfolgen wollen. Nicht nur in der allgemeinen Anlage der Geschichte, sondern auch in den eingestreuten Betrachtungen habe ich zu verwirklichen versucht, was der große Zweck aller menschlichen Geisteswerke seyn müßte.

Wird diesem Buche das gute Glück Leser zu finden, deren Leidenschaften zu Lehrern ihres Nachdenkens werden, denen Beobachtung über Menschennatur, wenn auch in sich irrig, dennoch stets der Wahrheit zuträglich erschien, und die der Meinung sind, daß oft mehr Kenntnis des geheimsten Herzens in einen einzelnen Gedanken zusammengefaßt, als über tausend Ereignisse verbreitet werden mag; wird diesem Buche das Glück, solche Leser zu finden, so vertraue ich es ihnen furchtlos an, – freilich nicht um ihre Billigung für dessen Abfasser zu erlangen, aber mindestens doch um über dessen gute Absicht gerechtfertigt zu werden.

Jetzt bleibt mir nur noch hinzuzusetzen, daß ich bei dem Antreten einer Laufbahn, ohne meiner Mitbewerber Beweggründe, noch ihren Ehrgeiz zu theilen voller Vertrauen erwarte, daß man mich nicht der Anmaßung bezüchtigen wird, wenn ich so wenig die Sprache der Hoffnung als die der Besorgnis reden kann, welche Anderen so gewöhnlich sind; Menschen die aus Erfahrung, nicht aus Genius Anspruch machen, sind im Berühren der Gränze ihrer Verdienstlichkeit dem Irrthume nicht zu leicht unterworfen und auch nicht besonders empfänglich für die allgemeine Meinung über den Umfang derselben. Habe ich als Schriftsteller irrthümliche Betrachtungen angestellt, so rührt das daher, weil Ereignisse mich dazu leiteten mehr meine eigenen Folgerungen, als die Schlüsse Anderer zusammenzufassen; habe ich durch meine Schilderung die Gefühle verletzt, so war es, weil keinem Muster nachbildete, sondern nur der eigenen Erinnerung, und vermag ich jetzt über den Erfolg meines Versuches nicht sehr eifrige Betheiligung zu empfinden, so ist's weil ich aus meiner Menschkenntnis mir ein Reich gebildet habe, das menschliches Lob nicht zu erweitern, menschlichen Tadel nicht zu zerstören im Stande ist.

London, 7. März 1827.

Falkland. Erstes Buch.

Inhaltsverzeichnis

Erasmus Falkland Esq. an den ehrenwerthen Friedrich Monkton.

L– – May – 1822.

Du irrst, lieber Monkton, deine Beschreibung von den Freuden »der Saison,« reizt mich nicht. Du sprichst von Vergnügungen; und ich kenne keine Arbeit die ermüdender wäre: du verbreitest dich über der Ergötzlichkeiten Wechsel; und mir scheint kein Einerlei eintöniger. Spare dein Bedauern also für solche, die es bedürfen. Von der Höhe meiner Philosophie herab, bemitleide ich dich. Niemand ist so eitel wie ein Abgezogener von der Welt; deine Spottreden über mein Einsiedlerleben und meine Einsamkeit, vermögen die Falten meiner Selberschätzung nicht zu durchdringen; – bei deinen Abendessen in D– Hause beneide ich dich so wenig, als bei deinen Walzern mit Leonore –.

Was ich bewohne, ist mehr eine Trümmer, als ein Haus. Seit meiner Rückkehr von Reisen, war ich nicht in L– – gewesen, und in den letzten Jahren ist es sichtlich verfallen; vielleicht gefällt es mir eben deshalb mehr; wie der Herr, so das Haus.

Von allen meinen Besitzungen hat L– – den geringsten Grund-Werth, auch zieht es mich gar nicht durch Erinnerungen an, die mit meinen Kinderjahren verknüpft wären, denn diese verbrachte ich hier nicht. Gleichwohl habe ich es zu meiner jetzigen Zurückgezogenheit mir ausersehen, weil ich nur hier nicht persönlich gekannt bin, und deshalb nicht so leicht gestört zu werden fürchte. Wahrlich, mich verlangt nicht nach jenen Unterbrechungen die man uns als Höflichkeitsbeweise anrechnet; mir gefällt es mehr die Karten die mich mit der Welt verbinden, Glied nach Glied abzulösen und um mich hier zu sammeln; in meinen eigenen Gedanken suche ich die Wechsel und die Beschäftigung, welche dir nur dein Umgang mit Andern gewährt, und gleich der Weltkarte der Chinesen, besteht die meinige aus einem Kreise im Viereck; – der Kreis ist mein eigenes Reich der Gedanken und des Ich; in die unbedeutenden Winkel die er ausschließt, verbannte ich alles was dem übrigen Menschengeschlechte angehört.

Etwa eine Meile von L– – liegt Herrn Mandeville reizende Villa, E..., mitten in Anlagen welche einen entzückenden Gegensatz zu der wilden unbebauten Landschaft der Umgegend bilden. Da das Haus jetzt ganz unbewohnt steht, habe ich vom Gärtner freien Zutritt in die Anlagen erhalten; dort verbringe ich ganze Stunden und überlasse mich gleich dem Helden vom »Chorpult« »einem heiligen Müßiggange;« da horche ich dem murmelnden Bache zu, und gestatte meinen Gedanken, fast eben so bestimmungslos und müßig umherzuflattern, als die Vögel auf den Bäumen die mich umstehen. Freilich wünschte ich, daß dieses Gleichnis in allen Beziehungen richtig wäre – daß meine Gedanken, wenn sie so frei, auch dabei eben so glücklich wären, als die Gegenstände meiner Vergleichung; und daß auch sie gleich diesen, auch dem Umherflattern des Tages, Abends zum Ruheplatze zurückkehren und still seyn können. Wir sind die Bethörten und die Opfer unserer Empfindungen; während wir sie gebrauchen um aus äußeren Dingen Schätze einzusammeln die wir in uns aufbewahren, vermögen wir die Pein nicht vorherzusehen, die wir selber uns bereiten; nicht die Erinnerungen, die uns täuschen, nicht Leidenschaften die uns Entzücken versprechen und nur Verzweiflung zum Lohne lassen, noch auch Gedanken, die, wenn unseres Gemüthes gesunde Thätigkeit in ihnen besteht, uns zugleich auch fieberhaft aufregen. Welcher Kranke hätte nicht in seinem Wahnfieber alles geträumt, was unsere Philosophen jemals gesagt haben?1 Aber ich falle zurück in meine alte Gewohnheit grübelnder Betrachtung, und es ist Zeit, daß ich schließe. Ich dachte dir einen Brief zu schreiben, ganz so leicht gehalten wie der deinige ist; gelang mir das nicht, so ist es kein Wunder. »Unser Herz ist ein unvollkommenes Instrument, – eine Leyer der Saiten mangeln; deshalb sind wir genöthigt Freudenausdrücke in eben dem Tone zu geben, der für Seufzer gestimmt war.« –

Der Nämliche an den Nämlichen.

Du verlangst von mir einen Abriß meines Lebens, eine Schilderung der schönen Welt, die mir so früh schon Überdruß erregte. Menschen weisen selten eine Veranlassung zurück um von sich selber zu sprechen; ich bin bereit das Vergangene von neuem zu prüfen, es mit der Gegenwart in Beziehung zu stellen und aus den Betrachtungen über das eine, wie über die andere, die Hoffnungen und Erwartungen aufzulesen die mir für die Zukunft blieben.

Meine Auseinandersetzung wird aber mehr Gedanken als Handlungen enthalten: die Meisten derer, mit denen ich in Beziehungen stand, leben noch; und selber gegen dich mögte ich das schweigende Vertrauen nicht brechen, welches viele Umstände in meiner Geschichte erheischen. Im Ganzen wirst du nichts dabei verlieren. Die Handlungen eines Andern mögen anziehender seyn; – zum größten Theile sind es aber nur seine Betrachtungen die uns eigentlich ergreifen; denn nur wenige Menschen handelten, fast Alle haben überlegt.

Auch meine Eitelkeit würde sich nur ungern über Dinge verbreiten, deren Ursprung Thorheit oder Irrthum war. Freilich endeten jene Thorheiten und Irrthümer, aber ihre Wirkungen dauern fort. Mit den Jahren vermindern sich unsere Fehler, aber unsere Laster nehmen zu.

Du weißt, meine Mutter war eine Spanierin und mein Vater einer aus jenen alten Geschlechtern, von welchen jetzt nur wenige Sprößlinge noch übrig geblieben sind, die in entlegenen Grafschaften lebend, von den Wechseln der Mode wenig betheiligt wurden, und die stolz auf ihre alten Namen, mit Verachtung die neuern Auszeichnungen eines pilzähnlich aufgeschossenen Adels anblicken, dessen Glanz die Einfachheit einer würdevolleren, gegründeteren Ehrenhaftigkeit verdunkelt und entkräftet. In seiner Jugend hatte mein Vater im Heere gedient. Viel hatte er die Menschen, mehr noch die Bücher gekannt; anstatt aber seine Vorurtheile auszurotten, hatten seine Kenntnisse sie nur noch tiefer eingewurzelt. Er war einer aus der Klasse (und dies sage ich mit gewöhnlicher Verehrung, wenn gleich mit Bedauern im Allgemeinen) die mit den besten Absichten dennoch die schlechtesten Bürger aufgestellt hat, und dieses für ihre Pflicht hält, alles Schädliche fortzupflanzen, weil ihr gelehrt wurde es als etwas Geheiligtes zu betrachten. Er war ein großer Landedelmann, ein großer Jagdliebhaber, und ein großer Tory, vielleicht die drei schädlichsten Feinde, die ein Land haben mag. Wiewohl mildthätig gegen Arme, empfing er die Reichen kalt; denn er war zu verfeinert um mit Geringeren sich gleich zu stellen, und zu stolz um den Wetteifer seiner Ebenbürtigen zu ertragen. Ein Ball und zwei große Malzeiten bildeten für de Abschnitt eines ganzen Jahres den aristokratischen Antheil unserer Gastfreiheit, und im zwölften Jahre waren meine edelsten und jüngsten Gefährten ein großer Dänischer Hund, und ein wilder Gebirgsklepper, eben so unabgerichtet und unbändig, als ich selber. Nur in späten Jahren vermögen wir die unberechenbare Wichtigkeit der ersten Auftritte und Umstände zu erkennen von denen wir umgeben wurden. In der Einsamkeit meiner uneingeschränkten Wanderungen wurzelte meine frühe Vorliebe für eigenes Nachdenken. In der Stille der Natur – wo immer sie ihren Hof halten mogte – begann meines Geistes Erziehung; und selber in jenem zarten Alter erfreute mich – (wie den wilden Hirsch den der Griechische Dichter beschrieben hat2 die schweigende Ruhe der großen Wälder, und die von menschlichen Fußtritten nicht unterbrochene Einsamkeit.«

Der erste Wechsel meines Lebens geschah unter traurigen Aussichten; plötzlich erkrankte mein Vater und starb, meine Mutter, deren Daseyn nur allein an sein Leben geknüpft schien folgte ihm drei Monate später. Ich entsinne mich, daß sie wenige Stunden vor ihrem Tode mich zu sich rief, mich daran erinnerte, daß ich durch sie, Spanischer Abkunft sey, daß ich in ihrem Lande geboren worden und daß ungeachtet der jetzigen Erniedrigung und Noth desselben, ich später doch in den verwandtschaftlichen Banden, die mich demselben verknüpften ein wertvolles Andenken, vielleicht sogar Pflichten finde mögte, die ich zu erfüllen hätte. Es wäre unnöthig ausführlicher von ihrer mir in jener Stunde bewiesenen Zärtlichkeiten, oder von dem Eindrucke zu reden den sie in meinem Gemüthe zurückließ; noch auch von dem nagenden, dauernden Schmerze den ich Monate nach ihrem Tode noch empfand.

Mein Oheim ward mein Vormund. Er ist, wie du weißt, Parlamentsmitglied von einigem Rufe; sehr gescheut und sehr langweilig; sehr geachtet bei den Männern, durchaus verhaßt bei den Frauen; allen Kindern, welchen Geschlechts diese seyn mögen, flößt er den nämlichen unnachlassenden Widerwillen ein, den er selbst gegen sie empfand.

Unter seiner unmittelbaren Vorsorge blieb ich nicht lange, sondern ward zur Schule geschickt; zu dieser vorbereitenden Welt, in welcher die ersten großen Grundsätze menschlicher Natur, nämlich Anmaßung des Stärkeren und Niederträchtigkeit des Schwächern, die erste, frühste, wichtige Lehre ausmachen die uns eingeprägt wird; und wo die erzwungenen Anfangsgründe zu minder allgemeinen Kenntnissen die der Menge, welche sie im spätern Leben vernachlässigt unnütz sind, den Wenigen aber welche sie auszubilden bitter erscheinen, die ersten Beweggründe sind, welche unsere Gemüther der Furcht zugänglich und unsere Herzen mit Thränen vertraut machen.

Meine kühne, entschlossene Denkweise, bahnte sich bald eine Art von Fortschritt unter meinen Gefährten, mein Haß gegen alle Unterdrückung, mein hochfahrender, unachgebender Karakter, machte mich zugleicher Zeit zum gefürchteten und mit Widerwillen betrachteten Gegenstande für die Höhern und Vornehmern der Schule, während auf der anderen Seite meine Gewandheit in allen Knabenspielen, mein immer bereiter Beistand oder Schutz für jeden der dessen bedürftig war, mich bei der demüthigenden Menge untergeordneter Klassen verhältnismäßig beliebter und von ihr gesucht machte. Mich umgaben unaufhörlich die halsstarrigsten und boshaftesten Buben, welche die Schule ausweisen konnte; alle zeigten sich voll Eifers meine Befehle zu vernehmen und sie unbedingt auszuführen.

Ich war der würdige Roland einer solchen Rotte; wiewohl ich in den gewöhnlichen Schulerzöglichkeiten Alle übertraf, machte ich mir aus diesen nur wenig; lieber waren mir umherschweifende Ausflüge die gegen unsere gesetzliche Beschränkung stritten, und ich brüstete mich eben so sehr mit meinen verwegenen Anschlägen zu unsern Unternehmungen, als mir meiner Geschicklichkeit dem Entdecktwerden derselben auszuweichen. Aber genau in dem Verhältnisse in welchem unsere Schulzeit mich mit solchen verband, die meines Alters waren, machten unsere Ferien mich unfähig für irgend eine andere vertrauliche Genossenschaft als die, welche ich bereits in mir selber zu entdecken begann.

So kehrte ich zweimal im Jahre zurück zu meiner Heimath, zu jenen romantisch wilden Gegenden, in welchen Ich meine erste Kindheit verlebt hatte. Ganz allein und ohne Aussicht gelassen, war ich dort durchaus auf meine einsamen Hülfsquellen beschränkt. Am Tage durchwanderte ich die rauhen Gefilde die mich umgaben, und forschte Abends mit unnachlassendem Entzücken in den alten Legenden, welche eben diesen Gegenden in meiner Einbildung ihr Geheiligtes verliehen. Stufenweise ward ich immer nachdenklicher, immer mehr von Traumbildern befangen. Meine Sinnesart nahm den Romantismus meiner Studien an, und mogte ich im Winter am ungethümlichen Kamin unserer großen Halle sitzen, aber in der ganzen nachlässigen Wohllust des Sommers ausgestreckt liegen am fortrauschenden Strome, der jener Umgegend ihre eigenthümlichste vorherrschende Bezeichnung gab, so verbrachte ich meine Stunden in den nämlichen düstern, schwelgenden Träumereien, die vielleicht das Urwesen einer Poesie bildeten, welche zu verkörpern mir der Genius mangelte. Diese abwechselnde rastlose Thätigkeit und müßige Betrachtung, in welche meine Jugendjahre sich theilten gaben meiner Denkweise ihr eigenstes Gepräge: nämlich jene Aufwallungen des Gemüthes, jene Vorliebe für alles Äußerste die mich durch das Leben begleitet haben. Daher kommt es, daß alle Zwischenzustände der Rührung mir nicht nur lau erscheinen, sondern daß auch die aller überspannteste Erregung mir weder Neuheit noch Reiz zu bringen vermag. Es ist, als hätte ich mich von Leidenschaften genährt, als hätte ich das zu meiner täglichen Speise gemacht, was in seiner Kraft und in seinem Übermaß Anderen Gift gewesen wäre; ich habe mein Gemisch unfähig gemacht die gewohnte Nahrung der Natur in sich aufzunehmen, und durch zu frühzeitige Hingebung habe ich meine Hülfsquellen so wie meine Kräfte vergeudet bis meinem Herzen kein Heilmittel, keine Hoffnung mehr gegen ein Siechthum geblieben ist, das dessen eigene Unmäßigkeit erzeugte.

Der Nämliche an den Nämlichen.

Als ich den Dr. .... verließ, wurde ich zu einem Privaterzieher in D– –e geschickt. Hier blieb ich zwei Jahre. Während dieser Zeit war es, daß – doch was damals mit mir vorging, ist für kein menschliches Ohr. Die Züge dieser Geschichte sind mit Flammenschrift meinem Herzen eingegraben, aber in einer Sprache, welche zu lesen niemand ermächtigt ist als nur ich allein. Für den Zweck meiner Bekenntnisse ist es hinreichend zu sagen, daß die Ereignisse jenes Zeitpunktes mit dem ersten Erwachen der gewaltigsten unter den menschlichen Leidenschaften verknüpft waren, und daß, wie immer ihr Anfang gewesen, sie in Verzweiflung endeten! Und sie – der Gegenstand dieser Liebe, das einzige Wesen in dieser Welt, dem jemals das Geheimnis und Zauberwort meiner Natur erschlossen ward; – ihr Leben war die Bitterkeit und das Fieber eines zerstörten Herzens – ihre Ruhe ist das Grab. –

Non la connobe il mondo mendre l'ebbe Cum ibill' io, ch'a pianger qui rimasi.

Diese Liebe war nicht so sehr ein vereinzeltes Ereignis, als das erste Glied einer langen Kette die sich um mein Herz wand. Es würde, wenn es mir auch gestattet wäre, doch eine ermüdende, eine peinliche Geschichte seyn, dir alle die Sünden und Unglücksfälle aufzuzählen, mit denen diese Liebe im späteren Leben begleitet war. Nur allein von der verborgenen, aber doch allgemeinen Wirkung will ich reden, welche sie auf mein Gemüth hervorbrachte; wiewohl von Natur zu schweigsamer, schwermüthiger Philosophie geneigt, ist es doch mehr als wahrscheinlich, dieses hätte ohne jenes Ereignis keinen Stoff zu Erregung gefunden. Früh unter Menschen gerathen, hätte ich auch die Wirkung der Gewohnheit ihnen gleich werden sollen. Dann würde ich diese eine, unvergängliche Erinnerung nicht in mir bewahrt haben, die mich, gleich den Faust lehren sollte, daß in den Wissenschaften nichts zu finden ist als deren Nutzlosigkeit, und auch in der Hoffnung nichts als ihr Täuschendes; dann müßte ich nicht wie er, bei allen Segnungen der Jugend, bei allen Lockungen der Lust, den Fluch und die Gegenwart eines bösen Feindes erdulden.

Der Nämliche an den Nämlichen.

Nach dem ersten überwältigenden Kummer, den eine Reihefolge von Umständen herbeiführte, welche ich nothwendig nur so dunkel andeuten darf, beschäftigte ich mich zuerst ernstlich mit Büchern. Tag und Nacht widmete ich mich unaufhörlichen Studieren, und von dieser Aufwallung ward ich nur durch eine von ihr erzeugte, langwierige, gefährliche Krankheit geheilt! Ach! es giebt keinen größren Thoren, als den, der nach Wissenschaften dürstet. Nur allein durch Leiden erlernen wir Nachdenken; den Honig irdischer Weisheit sammeln wir nicht aus Blumen ein, sondern aus Dornen!

»Eine unglückliche Leidenschaft ist ein großes Hülfsmittel zur Weisheit.« Von dem Augenblicke in welchem die Lebendigkeit meines Geistes zuerst durch wirkliche Angst gebrochen ward, heilten des Verstandes Erfahrungen auch des Herzens Schrecken. Gleich jenem Melmoth ging ich mit einemmale von der Jugend zum Alter über. Was galten mir nun länger die gewohnten Berufsgeschäfte meiner Zeitgenossen? Jahre hatte ich in Augenblicken erschöpft, hatte gleich der Morgenländischen Königin mein reichstes Juwel in einem Tranke verschlürft. Ich hörte auf zu hoffen, zu fühlen, zu handeln, zu glühen; denn solche Eindrücke gehören der Jugend an! Ich lernte zweifeln, vernünfteln, zergliedern: diese sind des Alters Gewohnheiten. Von da an habe ich die Vergnügungen des Lebens nicht vermieden, habe sie auch nicht genossen.. – Weiber, Wein, fröhliche Gesellschaften, Umgang mit Weisen, einsame Forschung nach Kenntnissen, verwegene Bilder des Ehrgeizes, alles das hat mich nacheinander beschäftigt und Alles mich in gleicher Weise getäuscht; aber gleich der Witwe in Voltaires Erzählung habe ich zuletzt »der tröstenden Zeit« einen Tempel erbaut; mit den Jahren bin ich ruhig und schmerzlos geworden; und wenn ich mich jetzt auch von Menschen zurückziehe habe ich mindestens aus der Einsamkeit, welche Trübsinn mir anfänglich zur Gewohnheit machte, den Vortheil gewonnen, daß ich bei zunehmendem Wohlwollen für Andere, zugleich lernte mein Glück nur in mir selber aufzusuchen.

Nur die allein sind vom Glücke unabhängig, die sich ein von der Welt abgesondertes Daseyn schafften.

Vom Nämlichen an den Nämlichen.

Zur Universität ging ich mit großer Belesenheit und mit der Gewohnheit anhaltenden Fleißes. Mein Oheim, der selber keine Kinder hatte, setzte seinen Ehrgeiz in mich, und hegte große Erwartungen von meiner Laufbahn in Oxford. Drei Jahre verweilte ich dort, und that nichts. Mein hoher Preis ward von mir gewonnen; ich versuchte nicht einmal mehr zu erringen, als den allergewöhnlichsten Stufengrad. Die Sache ist, daß mir gar nichts einer Mühe oder Anstrengung werth schien. Ich sprach mit solchen, die den höchsten Akademischen Ruf erstrebt hatten, und belächelte in dem Bewußtseyn meiner Überlegenheit, ihre gränzenlose Eitelkeit, und die Beschränktheit Ihrer Ansichten. Die Gränzen der von ihnen erlangten Auszeichnung schienen ihnen so weit als der aller ausgedehnteste Ruhm, und in den geringen Kenntnissen welche ihre Jugend sich erworben hatte, sehen sie nur Entschuldigungen für die Unwissenheit und Trägheit reiferer Jahre. Sollte ich arbeiten um diesen zu gleichen? – Ich empfand ja, daß ich sie bereits übertraf! Sollte ich ihre gute Meinung mir zu erwerben suchen, oder was noch schlimmer war, die, ihrer Bewunderer? Ach! zu lange hatte ich gelernt mir selber zu leben, um irgend eine Glückseligkeit in den Ehrenbeweisen von Müßiggängern zu finden die ich verachtete.

Im ein und zwanzigsten Jahre verließ ich Oxford. Ich trat den Besitz der mir zugefallenen großen Erbgüter an, und empfand die der Jugend ganz natürliche Eitelkeit zum erstenmale, als ich nach London ging um die Vergnügungen dieser Hauptstadt zu genießen, und zu zeigen, ich besitze das Vermögen, in allen diesen Vergnügungen zu schwelgen. Die Gesellschaft fand ich einem Judentempel gleich; jeder wird über die Schwelle hineingelassen, doch kein Anderer in das Heiligste als nur die Häupter der Satzungen.

Jung, reich, von altem berühmtem Stamme suchte ich das Vergnügen mehr als eine nothwendige Reizung auf, denn als gelegentliche Beschäftigung, und ich ward meinen Genossen die ich im Kreise um mich her versammelte, angenehmer, weil mein Aufwand ihr Vergnügen, und meine Laune ihre Unterhaltung vermehrten; deshalb schmeichelten mir Viele und niemand wich mir aus. Bald erkannte ich, daß jegliche Höflichkeit nur Larve versteckter Absicht ist. Ich lächelte über die Freundlichkeit von Männern, die auf meinen Beistand bei ihren praktischen Zwecken rechneten, weil sie hörten, daß ich Fähigkeiten besitze und reich sey. In den Einladungen zum Unterbringen ihrer Töchter, und ihre Wertschätzung meiner Landbesitze; in der Vertraulichkeit junger Leute die Pferde zu verkaufen und Rouge et Noir-Schulden zu zahlen hatten, entdeckte ich die gründliche Verehrung meines Geldes, welche ihnen zugleich Verachtung für den Besitzer desselben einflößte. Von Natur beobachtend und durch Unglück sarkastisch, betrachtete ich die verschiedenen gesellschaftlichen Färbungen mit forschendem, philosophischem Blicke; ich entwirrte die verschlungenen Fäden die Knechtsinn mit Stolz, Niederträchtigkeit mit Schauprunk verknüpften, und spürte bis in die Quelle der überallverbreiteten Gemeinheit des innern Sinnes und der äußern Sitte nach, welche mir die einzige unabändliche Eigenthümlichkeit unserer Landsleute scheint. Ganz im Verhältnis zur Zunahme meiner Kenntnis Anderer, beschränkte ich mich mit diesem Verdrusse und Unwillen immer mehr auf meine eigenen Hülfsquellen. Der einzige Augenblick wahren Glücks den ich in der Dauer eines ganzen Jahres empfand war der, als ich im Begriff stand unter andern Himmelsstrichen jene ausgedehnte Bekanntschaft meiner Mitmenschen zu suchen, die mich entweder näher mit ihnen verknüpfen, oder mich mindestens doch mit den schon bestehenden Banden aussöhnen sollte.

Ich verbreite mich nicht über meine Begegnisse im Auslande; in einer Erzählung die für uns selber nichts Anziehendes hat, weilt wenig Anziehendes für Andere. Ich suchte Weisheit und fand nur Kenntnis. Mich dürstete nach Wahrheit und nach der Liebe Zärtlichkeit, ich fand aber nur ihr Fieberhaftes und ihre Täuschungen. Gleich Spenser's beiden Florimels, verwechselte ich in meinem Fieberwahne, die betrügliche Schöpfung der Sinne, mit der gänzlichen Wirklichkeit des Herzens; und erwachte aus meiner Täuschung erst als das von mir vergötterte Wahnbild zerschmolz. Was ich immer vornehmen mogte, betheiligte die lebendige Thatkraft aber auch die wechselnde Aufwallung meines Gemüthes; heute mengte ich mich in das Geräusch großer Städte, morgen überließ ich mich allein mit meinem Herzen der Einsamkeit unbewohnter Natur; jetzt schwelgte ich in wildestem Übermaße, und gleich darauf erforschte ich mit peinlicher, unermüdlicher Anstrengung die Irrgänge der Wissenschaft; abwechselnd beherrschte ich Andere, und ward von der Tyrannei unterjocht die meine eigenen Sinne übten; – ich bestand die Prüfung ohne zu wanken, aber nicht ohne verletzt zu werden. »Erziehung des Lebens« sagte Frau von Staël – »vervollkommt das denkende Gemüth, verderbt aber das Leichtsinnige.« Ich frage nicht Monkton, welcher dieser Klasse ich angehöre, aber ich empfinde nur zu wohl, daß wenn gleich mein Gemüth nicht verworfen wurde, es doch keine andere Vervollkommnung fand als im Unglück, und daß wie groß auch die Aneignungen späterer Jahre seyn mögen, diese doch nichts enthalten was uns für den Verlust unserer Jugend entschädigen könnte.

Vom Nämlichen an den Nämlichen.

Ich kehrte nach England zurück. Noch einmal betrat ich den Schauplatz dieser Welt; aber ich betheiligte mich jetzt viel mehr an deren großen Bestrebungen. Ich richtete mein Augenmerk mehr auf die Menschen als auf die Hebel der Menschheit; während ich Widerwillen empfand vor den Wenigen die ich kannte, entbrannte ich in Philantropie für den großen Haufen den ich nicht kannte.

Wir werden wohlwollend, wenn wir die Menschen aus der Ferne beobachten. Mischen wir uns unter sie, so leiden wir durch die Berührung, und werden wenn gleich durch die Verletzung nicht boshaft, mindestens doch selbstsüchtig aus der Vorsicht, welche unsere Sicherheit uns aufnöthigt. Sind wir aber bei dem Gefühle unserer Verwandschaftlichkeit, vom Bande selber nicht schmerzlich berührt, wirkt weder Eifersucht, noch Neid, noch Rache aufgeregt, so ist gar nichts vorhanden, was jene wohlgefälligen freundlichen Gefühle stören könnte, die unserm Herzen durch die ersten Eindrücke der Natur wurden. Haß mag uns antreiben Menschen zu vermeiden die uns verletzt haben, aber mit der Ursache endet auch ihr falsches Gefühl; freiwillig wird Niemand bitteren Gedanken lange nachhängen wollen. Daher kommt es, daß während wir in engen Kreise unseres täglichen Lebens fortwährend durch diejenigen leiden die uns nahe kommen, uns dennoch trotz dem Übelwollen welches sie uns einflößen, ein allgemeines Wohlwollen für die entfernteren Brüder durchglühen mag, mit denen wir nicht in Berührung stehen; daß wir, auch schmerzerfüllt durch verrathene Freundschaft, verletzt durch Undankbarkeit, durch Treulosigkeit in der Liebe, gleichwohl fast bereit wären unser Leben zu opfern, um nur eine von uns vergötterte Theorie der Gesetzgebung zu verwirklichen; und daß Tausende in ihrem Privatverhältnis mißtrauisch, berechnend und selbstsüchtig, doch mit leichtgläubiger Begeisterung sich als Opfer dem nie belohnenden Moloch darbieten wollten, welchen sie Publikum nennen.

Auf solche Weise, viel mir selber lebend, aber auch viel Beobachtung über die Welt anstellend, lernte ich die Menschheit lieben. Philanthropie erzeugte Ehrgeiz; denn mich erfüllte Ehrfurcht nicht zu eigener Erhebung, sondern zum Dienste Anderer – der Armen, – der mühselig Arbeitenden, – der Entwürdigten; aus diesen bestanden der Theil meiner Mitmenschen, dem ich meine Liebe weihete, denn sie waren mir durch das anforderndste aller menschlichen Bande verknüpft – durch Unglück! Ich betheilige mich an Staatsintrigen; meine Beobachtungen und Forschungen dehnte ich von Individuen auf Staaten aus; ich erprüfte die Geheimnisse einer Wissenschaft, welche in der neuesten Zeit erstanden ist um die Weisheit frührer Zeiten Lügen zu strafen, um die Wirren politischer Einsicht zur Einfachheit von Lehrsätzen herabzubringen, um uns die Trüglichkeit des Systems zu lehren, das durch Beschränkung regierte, und sich einbildete der Nationen Glück hänge von der beständigen Einmischung ihrer Herrscher ab; die uns nun erwiesen hat, daß die einzige unfehlbare Kunst der Politik darin besteht, den verborgenen Kräften in dem vorsorgenden Walten der Natur, freie ungehinderte Wirksamkeit zu lassen. Doch war es nicht allein theoretische Prüfung der Staatskunst die mich beschäftigte; ich gesellte mich, wiewohl im geheimen, zu den Handhabern ihrer Springfedern. Während ich den Anschein hatte, nur den Vergnügungen eifrig nachzustreben, barg ich in meinem Herzen das Bewußtsein und die Eitelkeit der Macht. Unter der Leichtfertigkeit der Lippe verhüllte ich des Verstandes Wirken und Einsicht, und blickte, wie mit der Kraft des Seher-Auges begabt auf die Geheimnisse der verborgenen Tiefe, während ich den Anschein hatte, als Müßiggänger mit dem großen Haufen, über des Stromes Oberfläche hinzugleiten.

Woher kam mein Überdruß, da ich nur meine Hand ausstreckte und jeglichen Gegenstand damit erhalten mogte, den mein Ehrgeiz wünschen konnte? Ach! in meinem Herzen weilte immer ein Etwas, das zu sanft war, für die Zwecke und für die Sehnsucht meines Gemütes. Ich erkannte, daß ich meines Lebens Jugendjahre in unfruchtbarem, ermüdenden Treiben vergeudete. Was wäre mir die Bewunderung des großen Haufens gewesen, nachdem ich einmal meine Eitelkeit überlebt hatte? Ich seufzte nach dem Mitgefühl der einen! in dumpfen Schmerz versank ich vor der Ansicht auf Berühmtwerden, um von meinem Herzen die Wirklichkeit der Liebe zu fordern. Und zu welchem Zwecke hatte ich mich dem Dienste der Menschheit gewidmet? So wie ich die Mühe in der Verfolgung individueller Maßregeln mehr erkannte, gewahrte ich auch immer mehr die Nutzlosigkeit ihrer Vollführung. Die eine bestehende, große und bewegende Ordnung der Ereignisse mögen mir verspäten, aber sind nicht im Stande sie einzuhalten, und versuchen wir sie eiliger fortzutreiben, so geben wir ihr nur einen gefahrvollen, einen unnatürlichen Anstoß. Wie oft, wenn ich um Mitternacht von meinem einsamen unerfreulichen Studium einhielt, um dem tödtlichen Klopfen meines Herzens3 zu lauschen, wenn sein peinliches, aufgeregtes Schlagen mir das innerste Leben zu vergeuden und aufzugeben schien, bin ich bis zum tiefsten Grunde meiner Seele durch die Erkenntnis erkrankt, daß unter Allen, denen Vortheile zu schaffen ich die Gesundheit und die Freuden meiner Jugend aufopferte, auch nicht ein Wesen war, dem mein Leben Theilnahme einflößte, oder das meinen Tod durch eine Thräne ehren würde. Chalmers schrieb eine schöne Stelle über den Mangel an Mitgefühl den wir in der Welt erfahren. Von meiner frühesten Kindheit an empfand ich ein tiefstes, allüberwiegendes, sehnsüchtiges Verlangen, und dieses war zu lieben und geliebt zu werden. Die Verwirklichung dieses Traumes fand ich zu frühe – er schwand; und wie habe ich ihn wieder erlangt. Erfahrung langer, bittrer Jahre lehrt mich jene fernliegende Erinnerung aus der Vergangenheit mißtrauisch zu betrachten und auch zu bezweifeln, ob diese Erde wirklich eine lebende Gestalt hervorbringen könne, die vermögte eines Menschen Traumbilder zu befriedigen, der unter knabenhaften Geschöpfen seiner Einbildung gelebt, – der in seinem Herzen ein erträumtes Götterbild geschaffen, dieses mit allem ausgeschmückt hat was die Natur Reizvolles besitzt, und der in dieses Bild den reinsten aber flammendsten Geist der ihm angeborenen Liebe hauchte, aus welcher das Bild als dessen Geschöpf hervorging. Freilich hat mein Mannesalter der Jugend den Wahn benommen, und erwägende Prüfung von Thatsachen hat mich von den ahnungsvollen Grübeleien über Einbildungen entknechtet; aber nun frage ich, welchen Lohn hat mir die Wirklichkeit gegeben? Ist des satyrischen Boileau Ausspruch »souvent de tous nos maux, la raison est le pire«, auch unwahr, – so schulde ich doch mindestens, ganz wie der Verrückte, von welchem er spricht, der Handlung wenigen Dank, dir, indem sie mich meinem Irrthume entzog, mich zugleich meines Paradieses beraubte.

Ich nahe mich dem Schlusse meiner Geständnisse. Menschen, welche kein Band mit der Welt verknüpft, und die an Einsamkeit gewöhnt sind, empfinden bei jeglicher getäuschten Erwartung in jener, ein desto sehnsüchtigeres Verlangen nach den Freuden welche ihnen diese letzte zu gewähren vermag. Mit jedem Tage verschloß ich mich tiefer in mich selber; »Menschen machten mir keine Freude mehr, und auch Frauen nicht.« Was meinen Ehrgeiz anbetrifft, so fand der sich nicht in seinen Mitteln, sondern im erreichten Ziele unbefriedigt. Bei meinen Freuden klagte ich nicht über Verrath, sondern über Ungeschmack; und es war nicht, weil ich von zarteren Händen aufgegeben worden, sondern weil sie mich ermüdet hatten, daß ich aufhörte im Werben um ihrer Liebe Reiz, und im Erlangen derselben Triumph zu finden. Deshalb faßte ich meinen Entschluß zu der jetzt angenommenen Abgezogenheit, nicht im augenblicklich aufgeregten Widerwillen, sondern vielmehr in der Ruhe meiner Übersättigung.

Vor meinem Mitgeschlechte zurückschaudernd und doch zu jung um ganz allein nur mir zu leben, knüpfte ich ein neues Band mit der Natur und bin hieher gekommen es noch fester zu schlingen; ich gleiche dem Zugvogel der weite Fernen besuchte, der aber endlich zum heimathlichen Neste zurückkehrte. Gleichwohl giebt es ein Gefühl, das seinen Ursprung in der Welt nahm, und das mich immer noch begleitet, das meine Erinnerungen aus der Vergangenheit heiligt, und das mich immer noch begleitet, das meine Erinnerungen aus der Vergangenheit heiligt, das dazu beiträgt sein düsteres Wesen aus der jetzigen Einsamkeit zu entlehnen; fragen Sie mich nach seiner Natur, Monkton? – Es ist meine Freundschaft für Sie. –

Vom Nämlichen an den Nämlichen.

Ich wünschte, lieber Monkton, Ihnen, wenn auch nur den schwächsten Begriff aus den Freuden der Unthätigkeit beibringen zu können. – Sie gehören zu einer Menschengattung, welche unter allen die geschäftigste, obgleich die am mindesten thätige ist. Vergnügungsmenschen haben niemals Zeit zu irgend einer Sache. Kein Advokat, kein Staatsmann, kein drängender, eilender, rastloser Untergeordneter der Schreibfläche oder der Börse, ist so ewig in Anspruch genommen als einer »der sich in der Hauptsache umhertreibt.« Dieser ist durch eine Reihefolge gar nicht zu erläuternder Unbedeutsamkeiten, an seine Arbeit gefesselt. Seine Unabhängigkeit und sein Müßiggang dienen nur dazu ihm Ketten anzulegen und alle seine Zeit zu erfordern, seine Masse scheint ihm unter der Bedingung zu Theil geworden, daß er keinen Augenblick für sich selber behalte. Ich wollte, Sie könnten mich grade jetzt sehn, wie ich in der Üppigkeit meiner Sommerlaube schwelge, umgeben von Bäumen, Gewässern, Waldvögeln, und von dem Rauschen, Glühen und Anregen, das hörbar und anschaulich am Sommervormittage die Schöpfung erfüllt. Kein Störer unterbricht mich. Ich gestatte dem einen Augenblicke in den andern hinüberzugleiten, ohne zu bedenken, daß der nächste durch irgend ein arbeiterforderndes Vergnügen, oder durch einen ermüdenden Genuß auszufüllen sey. Hier fühle ich die ganze Kraft meines Geistes, hier sammle ich alle seine Hülfsquellen. Ich rufe mir mein Andenken an Menschen zurück, und ohne Einwirkung von Leidenschaften und Vorurtheilen, welche wir nicht empfinden so lange wir allein sind, weil ihr Daseyn ganz auf Andern beruht, bestrebe ich mich meine Kenntnis des menschlichen Herzens zu vervollkommnen. Wer diese bessere Wissenschaft sich zu eigen machen will, muß in der Einsamkeit die Erfahrungen ordnen und zergliedern, welche er im Gedränge der Welt sammelte. Ach Monkton, wenn Sie sich durch den Trübsinn, der meiner Denkungsart so gewöhnlich ist, überrascht zeigten, gewannen sie da niemals die Ansicht, daß meine Bekanntschaft mit der Welt allein hinreiche ihn zu erklären? – Weltkenntnis taugt so wenig für gute, als für glückliche Menschen? – Wer konnte Pech berühren ohne sich zu besudeln? Wer vermag die Windungen des Schmerzes freudig anzuschauen, oder wer könnte mit Verbrechern Umgang haben und rein bleiben?

Ich lernte die Menschen kennen, weil ich mich nicht nur in ihren Wohnungen zu ihnen gesellte, sondern auch an ihren Gefühlen mich betheiligte. Ich bin hinabgegangen in die Hölen des Lasters; Lehren habe ich aus Häusern der Lust und des Spiels gezogen; ich habe den Sinn der Menschen im unbewachten Ausbruche belauscht, und aus dem Anstoß des Augenblickes Folgerungen abgeleitet, welche Jahre frühern Scheinbetragens Lügen straften. Aber jegliche Erkenntnis bringt uns Unzufriedenheit, und diese Kenntnis grade am meisten; – Übersättigung am Guten, Argwohn des Bösen, Absterben unserer Jugendträume, frühzeitige Kälte des Alters, unnachsichtige, zwecklose, freudlose Gleichgültigkeit, welche überspannter fieberhafter Erregung nachfolgt, – diese verhängt das Geschick über Menschen, welche durch Gewinn am Denken, jeder Hoffnung entsagt haben, und die bei dem Auffinden des Beweggrundes zu menschlichen Handlungen, nur fernen Personen und Dinge zu verachten, welche gleich göttlichen Wesen, sie früher in Entzücken setzten.

Vom Nämlichen an den Nämlichen.

In meinem ersten Briefe sprach ich Ihnen, lieber Monkton, bereits von meinem Lieblingsplatz in Mandevillepark. Dieser ist mir so lieb geworden, daß ich den größten Theil des Tages dort zubringe. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die immer nur mit einem Buche in der Hand umherwandeln, als vermögte weder Natur, noch eigenes Nachdenken ihnen irgend ein vernünftiges Vergnügen zu gewähren. Häufiger gehe ich dahin als ein »Unbeschäftigter« denn als »Gelehrter:« ein kleines Bächlein, das durch die Anlagen sich hinwindet, erweitert sich allmählig zu einem tiefen, klaren durchsichtigen Wasserbecken. Hier winden Fichten, Ulmen und Eichen ihre Äste über das Ufer hin, und unter ihrem Schatten verbringe ich die Stunden des vollen Tages in den Üppigkeiten träumerischer Wahnbilder. – Freilich bin ich nie weniger müßig, als eben dann, wenn ich am müßigsten scheine. Ich gleiche dem Prospero auf seinem wüsten Eylande, und umgebe mich mit Geistern. Zauber zittert auf jeglichem Laubblatte, jede Welle rauscht mir ihre eigenthümliche Musik entgegen; ein Brief scheint mir die Geheimnisse jedes Windgesäusels zuzuflüstern, welches mit den Düften des West geschwängert, meine Stirne anfrischt. Aber glauben Sie nicht, Monkton, daß nur allein gute Geister in meiner Einsamkeit hausen. Um die Metapher bis zur Übertreibung zu steigern, sage ich Ihnen, daß mein Gedächtnis mir ein Sycorax und daß Trübsinn der Kaliban ist, den sie im Mutterschosse bildet. Aber lassen Sie mich von mir selber zu meinen minder arglosen Beschäftigungen übergehn: – seit langem habe ich meine Gedanken einigermaßen durch ein Studium erheitert, dem ich mich früher eifervoll widmete, es ist das der Geschichte. Bemerkten Sie jemals, daß Leute, die am meisten für sich allein leben, am tiefsten über Andere nachdenken? und daß, wer von Millionen umringt lebt, nie an ein anderes Individuum denkt als an sich selber? – Philosophen, Moralisten, Geschichtsschreiber, deren Gedanken, Arbeiten und ganze Lebensthätigkeit der Betrachtung des Menschengeschlechtes gewidmet waren, oder der Zergliederung öffentlicher Ereignisse, waren jederzeit in bemerkenswerther Weise der Einsamkeit und Abgezogenheit zugeneigt. Wir sind in der That so sehr an unsere Mitmenschen geknüpft, daß da, wo Handlungen uns nicht an sie fesseln, die Gedanken uns zu ihnen führen, um uns ihnen anzuschließen. –

So eben lege ich meines Lieblings Bolingbroke Betrachtungen über die Geschichte, aus der Hand. – Über die Nützlichkeit derselben kann ich mit ihm nicht einstimmig urtheilen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gewinne ich die Überzeugung, daß Geschichtsstudium im Ganzen genommen der Menschheit verderblich war. Durch Auseinandersetzungen, die immer eben so unbillig in ihren Ableitungen, als augenscheinlich zweifelvoll in ihren Thatsachen seyn müßten, wird der Partheien Zwist und werden allgemeine Vorurtheile genährt und aufrecht erhalten. Es giebt heutiges Tages keinen Mißbrauch, keine Unduldsamkeit, kein Überbleibsel alter Barbarei und Unwissenheit mehr, die nicht verfochten ja gelegentlich bestätigt würden durch irgend eine sachleere, dummfrömmelnde Schlußfolgerung ungelehrter Chronikenschreiber, oder durch das Dunkel irgend einer räthselvollen Legende. Im beständigen Berufen auf unsere Mitvordern übertragen wir Elend und Unheil auf die Nachkommen; zur Bestätigung eines Übels, das in der heutigen Zeit seinen Ursprung hat, wären die deutlichsten, die befriedigendsten Beweise erforderlich, dagegen reicht die unbedeutendste Vertheidigung gegen ein Übel hin, welches die Barbarei des Alterthums uns zugeführt hat. Wir vernünfteln über das was in alten Zeiten sogar zweifelhaft war, ganz so als erwiesen wir uns dem, was die heutige Zeit Gewisses aufstellt. In dieser Weise haben wir die Geschichte zur kraftvollsten Heiligung von Mißbräuchen und die Vergangenheit zum verderblichsten Feinde der Gegenwart gemacht.

Lady Emilie Mandeville an Frau St. John.

Endlich bin ich in meiner reizenden Zurückgezogenheit eingerichtet. Nur Madame Dalton und Lady Margret Leslie, konnte ich zur Mitreise bewegen. Mandeville ist durchaus von den Korngesetzen in Anspruch genommen. Er ist zum Vorsitzer einer der besondern Ausschüsse vom Unterhause erwählt. Sogar in seinem Schlafe murmelt er landwirthschaftliche Nothklagen; als ich ihn zufällig aufforderte mich hier zu besuchen, starrte er aus seiner Träumerei empor und rief: »– niemals, Herr Sprecher, werde ich als Landbesitzer, mein eigenes Verderben zugeben.«

Mein Knabe, mein süßer, mein reizender Begleiter ist bei mir. Ich wünschte, Sie könnten sehen wie rasch er läuft, und hören wie vernünftig er spricht. Vor einiger Zeit sagte ich zu meinem Manne: »welche schöne Figur hat er für sein Alter?« und er erwiederte: »Figur! Alter! im Unterhause soll er Figur machen für alle Zeitalter.«

Ich weiß Sie würden unzufrieden sein, wenn ich Ihnen nicht recht Vieles von mir selber schriebe; deshalb sage ich Ihnen, daß ich durch den Wechsel der Luft, durch die Bewegung der Reise, durch die Unterhaltung meiner beiden Gesellschafterinnen, und vor allem durch die unablässige Gegenwart meines lieben Knaben mich schon recht viel besser fühle. An seinem Geburtstage legte er sein drittes Jahr zurück; es kommt mir vor als wäre ich im Alter von ein und zwanzig, das minder kindische Wesen von uns Beiden.

Bitte empfehlen Sie mich Allen in London, die mich nicht ganz vergessen haben. Ersuchen Sie Lady ... in meinem Namen eine Unterschriftskarte für Almack an Elisabeth zu schicken; und da wir eben von Almack reden, so dünkt mich, daß meines süßen Lieblings Augen, sogar noch blauer und schöner sind als die von Lady E.....

Leben Sie wohl, meine liebe Julie,

Ihre E.M.

Lady Emilie Mandeville war des Herzogs von Lindvale Tochter. Kaum sechzehn Jahre alt, ward sie mit einem unermeßlich reichen Manne verheirathet, der einigen parlamentarischen Ruf besaß. Seine Person und sein Karakter, waren weder bemerklich unter, noch über dem Standpunkte alltäglicher Menschen. Man hätte in ihm der Natur Macadamisirte Vollendung wahrnehmen mögen. Sein großer Fehler bestand in seiner Flachheit; man sehnte sich bei ihm nach einem Hügel, hätte man ihn auch erklimmen müssen, oder nach einem Steine, sollte dieser auch im Wege liegen. Die Liebe fesselt sich an etwas Hervorstechendem, sogar wenn dieses ein Etwas wäre, was Andere hassen mögen. Es ist kaum möglich, für Mittelmäßigkeit etwas Äußerstes zu empfinden. Die wenigen Jahre von Lady Emiliens Ehestand hatten ihre Gesinnung fast gar nicht geändert. Lebhaft war ihr Gefühl, aber ihre Stimmung geregelt; froh war sie, weniger aus Leichtsinn, als vermöge der ersten Frühlingsregungen eines Herzens, das bisher noch keine Veranlassung zur Trübsal gekannt hatte; reizend war sie und lauter wie der Himmelstraum eines Begeisterten, gewaltige Leidenschaft und schmelzende Zärtlichkeit in sich; mit dem Allen verband sie eine Einfachheit und Unschuld, welche durch ihre ungemein frühe Verheirathung, und die absondernde Gemüthsart ihres Gatten, eher vermehrt als vermindert worden. Ihr war vieles von dem eigen, was man Genius nennt, – warme Rührung, – lebendige Auffassung – Bewunderung alles Großen, Liebe des Guten, und jene gefährliche Betrachtung alles Gemeinen und Unwürdigen, deren Eingebung sich zu überlassen schon für eine Beleidigung des Weltgebrauchers gilt. Ihr Geschmack war zu weiblich und keusch um sie überspannt zu machen; er war mehr geeignet die tieferen Adern ihrer Natur zu verbergen als hervorzuheben; unter der geglätteten Oberfläche eines Betragens, das allen denen gemein war, mit welchen sie umging, verbarg sie die Schätze eines innern Reichthums den noch kein menschliches Auge gewahrt hatte.

Ihre von Natur sehr zarte Gesundheit hatte durch die Zerstreuungen der Hauptstadt in der letzten Zeit sehr gelitten, und auf den Rath der Ärzte geschah es, daß sie den Sommer in E... zubrachte. Lady Margrete Leslie, alt genug um der Launen in der Gesellschaft müde zu seyn, und Madame Dalton, die so eben Witwe geworden, für jetzt an den Erlustigungen der großen Welt nicht Theil nehmen durfte, hatten sich dazu verstanden sie zu ihrer ländlichen Zurückgezogenheit zu begleiten. Vielleicht paßte keine von Beiden besonders zu Emiliens Denkart, indes machen Jugend und Munterkeit uns fast jegliches Wesen angenehm; Jahre, die unsere Gewohnheiten befestigten und Nachdenken, welches unseren Geschmack verfeinert, bewirken, daß wir uns so leicht verletzt und so schwer befriedigt fühlen.

Am dritten Tage nach Emiliens Ankunft in E... verweilte sie mit ihren beiden Freundinnen noch am Frühstückstische.

Lady Margrete sagte: »ist Ihnen mein Vetter Falkland bekannt, er wohnt in ihrer nächsten Nachbarschaft?«

»Nein,« erwiederte Emilie, »aber ich bin recht neugierig ihn zu kennen; ich glaube die schöne alte Ruine jenseit des Dorfes gehört ihm.«

»So ist's; Sie müssen seine Bekanntschaft machen, Sie werden ihn recht lieb gewinnen!«

»Lieb gewinnen?« wiederholte Madame Dalton, eine der Personen von Ton, die, wiewohl sie in der Zusammenstellung Alles, individuell doch gar nichts sind – »lieb gewinnen, unmöglich!« –

»Ey?« entgegnete Lady Margret angehalten; »er besitzt alle Eigenschaften zum Gefallen, Jugend, Talent, gewinnendes Betragen und sehr viel Weltkenntnis.«

»Nun,« entgegnete Madame Dalton, »ich kann nicht sagen, daß ich seine Vollkommenheiten entdeckt hätte. Mir schien er von sich eingenommen und satirisch, und – und – kurz recht sehr unangenehm; aber, freilich habe ich ihn nur ein einziges mal gesehen.«

»Manches Urtheil habe ich schon über ihn gehört,« sagte Emilie, »und alle wichen von einander ab, doch denke ich im Allgemeinen war die Welt geneigter, Madame Daltons Meinung zu theilen als die Ihrige, Lady Margrete.«

»Das glaube ich gerne; recht selten giebt er sich die Mühe zu gefallen; thut er das aber, so ist er unwiderstehlich. Im Allgemeinen wissen nur Wenige um seine Angelegenheiten. Seit er mündig geworden, war er viel im Auslande, und suchte die Gesellschaft in England nie eifrig. Man sagt von ihm, daß er ungewöhnliche Anlagen und Kenntnisse besitzt, die verbunden mit seinem großen Vermögen und seinem alten Familiennamen, ihm eine Richtung und einen Rang verschafften, wie beide selten bei so jungen Leuten sich vereinigen. Wiederholte Anträge zu Staatsämtern hat er abgelehnt, er ist aber sehr vertraut mit einem der Minister, der wie man sagt gewandt genug war, aus seiner Geschicklichkeit manchen Nutzen für sich zu ziehen. Alles was man sonst von seinen eigenthümlichen Verhältnissen erzählt, ist sehr unsicher. Über seine Person und sein Betragen, werden Sie am besten selber urtheilen, denn ich bin gewiß Emilie, daß Sie mein Ansuchen ihn zu uns einzuladen, genehmigt haben.«

»Ganz gewiß,« sagte Emilie, »Sie können nicht eifriger wünschen ihn zu sehen, als ich.«

Damit endete das Gespräch; Lady Margrete ging zum Bücherzimmer; Madam Dalton setzte sich auf die Ottomane und theilte ihre Aufmerksamkeit zwischen den neuesten Roman und ihren Italienischen Jagdhund; Emilie aber verließ das Zimmer, um ihre früheren Lieblingsplätze im Park zu besuchen. Mit ihr ging ihr kleiner Knabe, und es war ihr gar nicht unlieb, daß er ihr einziger Begleiter sey. Eine Mutter sollte wenn sie ihres Kindes Lehrerin seyn will zugleich seine Gespielin abgeben. Emilie war deshalb vielleicht weiser als sie selber glaubte, wenn sie mit lachenden Augen und leichtem Schritte über den Rasen hinlief, und beinahe eben so eifrig als ihr Söhnlein, sich mit den nämlichen kindischen Ergötzlichkeiten beschäftigte. –

Als sie den kleinen Wald entlang gingen, der zum Teiche am untern Ende des Parks führte, stand der voranlaufende Knabe plötzlich still. Emilie eilte in seine Nähe, und gewahrte kaum zwei Schritte von ihm, einen Schlafenden, den gleichwohl das steilende Ufer des Gewässers, an welchem er ruhte, ihrem Blicke zur Hälfte verbarg. Neben ihm lag ein Band von Shakespeare, diesen hatte der Knabe bereits erfaßt. Sie nahm das Buch dem Kinde aus der Hand um es wieder neben den Schlafenden hinzulegen, und der Zufall wollte, daß ihr Auge auf der Stelle ruhete, welche das Kind spielend geöffnet hatte. – Wie oft ward die Stelle des Dichters in späteren Jahren als eine Vorbedeutung wiederholt: es war diese

»Weh mir! Nach allem, was ich jemals las, Und jemals hört' in Sagen und Geschichten, Rann nie der Strom der treuen Liebe sanft!« Sommernachtstraum.

Während sie das Buch leise niederlegte, erschaute sie des Schlafenden Antlitz; nie vergaß sie nachher dessen Ausdruck, streng, stolz, schmerzlich, selber im Schlummer.

Sein Erwachen wartete sie nicht ab, sondern eilte durch das Wäldchen zurück. So seltsam dies dünken mag, sprach sie weder mit Lady Margrete noch mit Madam Dalton von ihrem Abentheuer. Weshalb? Weilt etwa in unsern Herzen das Vorgefühl des Unglücks?

Falkland hatte Lady Margretens Einladung empfangen und angenommen; am folgenden Tage ward er zum Mittagessen erwartet. Emilie empfand eine drängende, aber zu entschuldigende Neugierde, einen Mann zu sehen von dem sie so viele und so widersprüchliche Schilderungen gehört hatte. Sie befand sich allein im Saale, als er eintrat. Auf den ersten Blick erkannte sie den nämlichen Man, den sie Tages zuvor am Seeufer gefunden hatte, und sie erröthete tief, beim Erwiedern seiner Begrüßung. Das Erscheinen der beiden andern Damen zog sie aus ihrer Verlegenheit und die Unterhaltung ward allgemein.

Falkland besaß nur wenig von dem, was man belebenden Umgang nennt; indes war sein Witz wenn gleich selten zur Fröhlichkeit stimmend, sarkastisch aber doch sehr fein, und seine lebendige Einbildungskraft verlieh Gedanken welche bei Andern alltäglich oder seicht hätten erscheinen müssen, eine besondere Eigenthümlichkeit und einen prunkenden Schimmer.

Die Unterhaltung drehte sich vornehmlich um gesellschaftliche Gegenstände; wiewohl Lady Margrete zum Voraus bemerkt hatte, daß er sich nur selten in das übliche Treiben der Gesellschaft gemischt hatte, erstaunte Emilie doch über seine treffend genaue Kenntnis der Menschen, und über die Richtigkeit seiner Beurtheilung der Sitten und Gebräuche. – Gelegentlich durchwob seine Satyre ein menschenfeindliches Gefühl, welches Emilie um so mehr rührte als es stets unerwartet und anspruchlos sich darthat. Nach einer ähnlichen Bemerkung war es, daß sie zum erstenmal wagte, den eigenthümlichen Reiz seines Antlitzes prüfend zu betrachten. Der Ausdruck desselben war eine Mischung von Thatkraft und Abspannung, die beweiset daß viel Kummer, Leidenschaft und Verhängnis erfahren, aber auch bekämpft worden; daß dieses Ringen ermüdete, aber nicht unterjochte. Auf dieser breiten, adligen Stirne, auf diesen feingezeichneten Lippen, in der schwermuthvollen Tiefe des ruhig sinnenden Auges, weilte eine Entschlossenheit und eine Kraft, die sie traurend beide erschienen, doch nicht ohne ihren Stolz waren; hatten sie das Ärgste erduldet so hatten sie ihm zugleich auch Trotz geboten. Seine Gesichtsfarbe war hell und bleich, trotz dem Geburtslande seiner Mutter; sein licht nußbraunes Haar ringelte in weichen antiken Locken um seine Stirne. Diese Stirn bildete allerdings die Haupteigenschaft seines Aussehens. Wieder allein in ihrer Höhe und in ihrer breiten Wölbung bestand deren bemerkenswerthe Schönheit; wenn aber jemals der hervorgerufene Gedanke und der Muth kühne Vorsätze auszuführen sichtbar verkörpert wurden, so trug diese Stirne ihr Gepräge.

Falkland blieb nach Tische nicht lange, sagte aber Lady Margrete alles zu, was sie in Betreff künftiger längerer und öfterer Besuche von ihm forderte. Als er das Zimmer verlassen hatte, trat Lady Emilie instinktmäßig zum Fenster, um seiner Entfernung nachzuschauen; die ganze Nacht hindurch tönte seine leise, sanfte Stimme in ihrem Ohre, gleich der Musik eines unklaren nur halberinnerten Traumes.

Herr Mandeville an Lady Emilie.

Liebe Emilie.

Geschäfte von großer Wichtigkeit für das Land haben mich bisher verhindert dir zu schreiben. Ich hoffe du hast dich wohl befunden, seitdem ich zuletzt von dir hörte, und daß du alles mögliche thuest um die Einschränkung unnöthiger Ausgaben und die Beachtung einer klugen Sparsamkeit fortzusetzen, welche eben so sehr Pflichten der Individuen, als der Völker sind.

Da ich denke dir muß in E... die Zeit lang werden, und weil ich mich stets bemühe dich zu unterhalten und zu unterrichten, so schicke ich dir eine vortreffliche Schrift von Tooke4 zugleich mit meinem letzten beiden Parlamentsreden, von mir selber durchgeschrieben.

In der Erwartung bald von dir zu hören, bleibe ich mit bester Liebe für Heinrich,

dein sehr herzlicher Mann

John Mandeville.

Erasmus Falkland Esqr. an den ehrenwerthen Friedrich Monkton.5

Nun Monkton, ich war in E....., dieses wichtige Ereignis in meinem Mönchsleben ist vollbracht. Lady Margrete war ganz so redselig wie immer; und eine Madame Dalton, die wie ich finde eine Bekannte von dir ist, fragte recht zärtlich nach deinem Pudel und auch nach dir. – Aber Lady Emilie! – Ja Monkton wie ich die dir beschreiben soll, weiß ich nicht. Ihre Schönheit ist eben so fesselnd als blendend. In jedem ihrer Worte, in jeder Bewegung waltet jener tiefe, beredte Zartsinn, der unter allen Reizen der gefährlichste ist. Und doch gehört sie mehr einer spielenden, als der schwermüthigen gedankenvollen Natur an, welche gemeiniglich so sanften Wesen zugetheilt ist, aber Leichtsinn ist in ihrem Karakter nicht; auch wird das Spielende ihres Gemüthes nie zu jener Aufregung gesteigert die wir Fröhlichkeit nennen. Sie scheint, wenn es mir erlaubt ist diese Antithesis zu gebrauchen, zu gefühlvoll um lustig, zu unschuldig um betrübt zu seyn. Ich kann mir keinen Menschen denken der weniger für sein reizendes und romantisch gestimmtes Weib paßte als dieser kalte, pomphafte Mann, der nichts an sich hat was die Einbildungskraft beschäftigen, oder Liebe erregen könnte. Sie muß ausnehmend jung gewesen seyn als sie ihn heirathete, und wahrscheinlich weiß sie noch jetzt nicht, daß sie zu bemitleiden ist, weil sie gewiß noch nicht empfunden hat, daß sie zu lieben vermag.

Le veggio in fronte amor come in suo reggio Sal crin, negli occhi – au le labra amore Sol d'intorno al suo cuore amor non veggio.

Zweimal bin ich seit meiner ersten Zulassung in ihrem Hause gewesen. Wie gern horchte ich auf diese sanfte bezaubernde Stimme, und gehe aus der trüben Düsterheit meiner eigenen Betrachtungen in dem Glanze und zu der Einfachheit der ihren über. In meinem früheren Leben würde dieser Trost mit Gefahr verknüpft gewesen seyn, aber das Übermaß von Gefühl macht uns unempfindlich. Ausgebrannte Asche können wir nicht wieder in Flammen setzen. Ich vermag ihre traumgleiche Schönheit anzustaunen, ohne einen einzigen Wunsch zu nähren, der die Reinheit meiner Anbetung beflecken könnte. Ich lausche ihrer Stimme wenn diese in Zärtlichkeit zerschmilzt, die sie ihren Vögeln, ihren Blumen vorsagt, oder aber in tiefere innigere Hingebung wenn sie zu ihrem Kinde spricht; doch mein Herz erbebt bei der Zärtlichkeit ihrer Töne nicht. Ich berühre ihre Hand, und doch bleibt der Pulsschlag der Meinigen so ruhig wie zuvor. Übersättigung aus der Vergangenheit ist unsere beste Schutzwehr gegen die Lockungen der Zukunft; überstanden sind die Gefahren der Jugend, sobald diese der Zuneigung Langweilendes und Schläfriges erlangte, welche nur allein der Unempfindlichkeit des Alters eigen seyn sollten.

So war Falklands Neigung zur Zeit seines Schreibens. – Ach! was ist täuschender als unsere Zuneigung? In unserer Sicherheit liegt eben die Gefahr – unsere Zuversichtlichkeit führt unsere Niederlage herbei. Täglich ging er nach E..... An den Vormittagen durchwanderte er mit Emilie die malerisch wilde Umgegend, und bei der gefährlichen aber entzückenden Stille der Sommerabende, lauschten Beide auf das erste Geflüster ihrer Herzen.

Die Entschuldigung seiner häufigen Besuche fand Falkland in seiner Verwandtschaft mit Lady Margrete; und selber Madame Dalton war so hingerissen vom Zauber seines Benehmens, daß sie trotz ihres frühen Widerwillens, durchaus vergaß zu prüfen, in wiefern sein vertrauter Umgang in E..... von dem Anstande einer Welt abweichen mogte, welche ihr Ehrfurcht einflößte; auch untersuchte sie nicht in welchem Grade sie persönlich dabei betheiligt sey.

Es ist überflüssig durch alle Windungen diesem Ursprunge einer Liebe nachzuspüren, deren spätere Ereignisse ich zu erzählen im Begriff stehe. Was wäre auch überirdischer, wahrhaft schöner, als der erste Beginn einer weiblichen Liebe? Der Lüfte des Himmels sind in ihrem Gegaukel nicht reiner, – der Sonne wärmende Strahlen sind nicht heiliger. Ach warum muß sie in ihrer Natur herabsinken, im Verhältnis ihres Zunehmens an Stärke. – Weshalb muß der Fußtritt wenn er sich dem Schnee einprägt, diesem auch den reinen Glanz beflecken. Wenn Falkland ihrem schuldlosen und doch zitternden Auge begegnete, das ihm jenes innerste Geheimnis verrieth, welches selber zu entdecken, Emilie für eine Zeitlang noch zu glücklich war; wenn ihres Herzens Güte gleich der Springquelle unter Blumen, in sanfter Zärtlichkeit für Alle überfloß, welche sie umgaben, und in Wohltätigkeitsbeweisen gegen ihre Untergebenen, wie oft wandte er sich dann mit einer Verehrung ab die zu erhaben für die Selbstsucht einer menschlichen Leidenschaft war, und mit einer Zärtlichkeit zu heilig für unlautere Wünsche. in dieser Erinnerung die das früheste und zugleich das fruchtloseste Vorzeichen wirklicher Liebe ist, schrieb er folgenden Brief.

Erasmus Falkland Esq. an den ehrenwerthen Friedrich Monkton.

Ich empfing zwei anmahnende Briefe von meinem Oheim. »Der Sommer rückt vor,« schreibt er, »und du bleibst wie immer in Unthätigkeit. Es giebt noch einen großen Theil von Europa den du nicht besuchtest; und weil du entschlossen bist in der Gesellschaft dir keine Frau zu erkiesen, auch im Unterhause dir keinen Ruhm gewinnen willst, so verbringe dein Leben, so lange es noch frei und ungefesselt ist, mindestens in seiner angestrengten Thätigkeit, welche die Muße später desto behaglicher macht; oder aber in Beobachtungen und Genüssen mit Andern, welche deine eigenen innern Hülfsquellen vermehren müssen.« Das klingt an sich wirklich gut: aber ich habe bereits mehr Kenntnisse gesammelt, als mir oder anderen möglich werden können, und ich bin nicht gewillt um die Möglichkeit an andern Orten Vergnügungen zu finden, hier meine Ruhe zu verlieren. Vergnügen ist ausgemacht eine Festtags-Empfindung, die im gewöhnlichen Leben nicht vorfällt. Wir verlieren unseren Frieden für lange Jahre, wenn wir entzückenden Augenblicken nachjagen.

Ich weiß nicht ob du jemals empfandest wie unser Dasein fortebbet ohne zu seinem vollen Werthe gediehen zu sein; was mich betrifft, so bin ich mir meines Lebens nie bewußt, ohne zugleich einzugestehen, daß ich es nicht auf das Höchste genoß. Dies ist ein bitteres Gefühl, und das Bitterste dabei, daß wir nicht wissen wie wir uns desselben entledigen könnten. Meine Unthätigkeit suche ich nicht zu vertheidigen, wünsche das auch gar nicht; gleichwohl ist sie mehr Ergebnis der Nothwendigkeit als der freien Wahl; mich dünkt die Welt enthalte gar nichts was mich aufregen könnte. – Ich habe Anforderung zu Thätigkeit, und kann keinen Beweggrund dazu auffinden, der kräftig genug wäre; deshalb will ich in meiner Untätigkeit nicht gleich der Welt müßig, sondern von Andern abhängig seyn; und der Mangel an Erregung mag durch einen Anschein von Freiheit, den Abgezogenheit allein zu gewähren vermag, mindestens gewürdigter werden.

Mein Ruheplatz ist nicht länger Einsamkeit, und doch schätze ich ihn deshalb um nichts geringer. Einen großen Theil meiner Zeit verbringe ich in E..... Alleinleben ist höchst anziehend für nachdenkliche Menschen, nicht so sehr weil sie ihre eigenen Gedanken lieben, sondern weil die Gedanken Anderer ihnen widerwärtig erscheinen. Einsamkeit verliert ihren Reiz in dem Augenblicke der uns ein einziges Wesen zuführt, dessen Begriffe uns angenehmer sind als unsere eigenen. Ich glaube, daß ich dir noch keine Beschreibung von Lady Emilie gab. Sie ist schlank, ihre Gestalt fein und dabei ausnehmend schön. Kränklichkeit welche sie nöthige im höchsten Glanze der Saison, London mit E..... zu vertauschen, hat ihren Wangen mehr Blässe gegeben, als ich ihr natürlich zuschreiben mögte. Ihr Auge ist hellblau, aber die Augbraunen lang und dunkel; ihr schwarzes üppiges Haar trägt sie in einer ihr eigenthümlichen Weise; – aber ihr Wesen, Monkton, wie wäre es mir möglich, dessen Zauber dir zu schildern!? – Einfach und deshalb so makellos; – bescheiden und doch so zärtlich, scheint sie durch die Würde der Gattin ihre kindliche Reinheit nur vervollkommt zu haben; – jetzt nach Allem, was ich sagte, empfinde ich die Wahrheit von Bacons Bemerkung – »daß der Schönheit Trefflichstes in dem besteht was keine Schilderung auszudrücken vermag« – nur noch tiefer. Es schmerzt mich diese Beschreibung zu enden; weil mich dünkt sie sey kaum begonnen, und ich mag sie nicht fortsetzen, weil jegliches Wort mir Falten meines Herzens deutlicher zu offenbaren scheint, die ich mir selber verborgen mögte.

Freilich liebe ich noch nicht; denn geschwunden ist jene Zeit die mich so leicht zur Leidenschaft aufreizte; aber ich will mich einer Gefahr nicht aussetzen, deren Wahrscheinlichkeit ich genugsam voraussehe. Nie soll dieses unschuldige reine Herz durch mich befleckt werden, der ich bereit wäre es nur dem kleinsten Unglück durch meinen Tod zu beschirmen. In mir selber finde ich kraftvolle Unterstützung der Wünsche meines Oheims. In der nächsten Woche komme ich nach Leyden; bis dahin Lebewohl

E.F.

Als das Sprichwort sagte: »Jupiter verspottet die Gelübde Liebender«, beabsichtigte es dadurch nicht nach der gewöhnlichen Auslegung, einen Lohn der Unaufrichtigkeit, sondern den der Unbeständigkeit. Viel weniger betrügen wir Andere als uns selber. Was galten Falklands Entschlüsse, die schon ein Wort oder ein Blick umzustoßen vermogte. Im Getümmel der Welt hätte er seine Gedanken zerstreuen mögen; in der Einsamkeit dagegen sammelte er sie nur noch mehr; denn Leidenschaften gleichen den Stimmen der Natur, die nur im Alleinseyn mit ihr gehört werden. Gegen die Vorwürfe seines Gewissens schläferte er seine Sorgen ein, überließ sich dem steten Rausche goldener Träume; mitten unter den reizenden Umgebungen, erstieg der Weihrauch zweier Herzen, als Opfer zum schönen Sommerhimmel, welche eben durch ihre an sich so standhaften Flammen, jede andere ihnen zugetheilte Regung geläutert und veredelt hatten.