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The way in which the world's religions are intertwined in the dynamics of global development has become obvious in the twenty-first century. This also applies to Christianity. In view of the fact that its historiography is still predominantly regional or national, however, little is known about Christianity's historical process of development to become a religion that is globally active and plurally differentiated. The first volume takes up this challenge by presenting a comprehensive, interdenominational and interdisciplinary history of global Christianity from the fifteenth to the eighteenth century, for the first time in German-speaking countries. Renowned theologians and (church) historians clarify the turning-points in the Early Modern period that set the course for the global spread and fascinating plurality of modern Christianity.
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Seitenzahl: 1361
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Die Religionen der Menschheit
Begründet von
Christel Matthias Schröder
Fortgeführt und herausgegeben von
Peter AntesManfred HutterJörg Rüpke
Jens Holger SchjørringNorman A. Hjelm (Hrsg.)
Geschichte des globalen Christentums
1. Teil: Frühe Neuzeitunter Mitarbeit von Katharina Kunter
Verlag W. Kohlhammer
Übersetzungen: Gerlinde Baumann, Priska Komaroni
1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-21931-1
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-31500-6
epub: ISBN 978-3-17-31501-3
mobi: ISBN 978-3-17-31502-0
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Vorwort
Zu diesem Band: „Geschichte des Globalen Christentums. Teil 1: Frühe Neuzeit“
Einleitung Europäisches und globales Christentum in der Frühen Neuzeit
Hartmut Lehmann
Nationale Vorurteile
Konfessionelle Wertungen
Europazentrische Positionen
Patriarchale Strukturen
Probleme und Konzeptionen
Die fundamentale Bedeutung des neuen Schismas im 16. Jahrhundert
Das Konfessionalisierungsparadigma
Prozesse der religiösen und kirchenpolitischen Differenzierung
Der Siegeszug des Absolutismus in Europa
Der Kampf um Gewissens- und Religionsfreiheit
Die europäische Expansion nach Übersee
Neue Entwicklungen in den Künsten und Fortschritte in der Wissenschaft
Die Krisen des 17. Jahrhunderts
Die polyzentrische Struktur des Weltchristentums
Kontinuitäten, Diskontinuitäten, Widersprüche
Das Spannungsfeld von Theologie und kirchlicher Praxis
Signifikante Schritte hin zum Weltchristentum
Katholizismus in Spanien, Portugal und ihren Weltreichen
Mariano Delgado
1. Das Christentum in der Neuen Welt
1.1. Spanisch-Amerika
1.1.1. Debatten um die Rechtmäßigkeit der Unterwerfung
Ein subtiler Scholastiker: Francisco de Vitoria
Ein aristotelischer Humanist: Juan Ginés de Sepúlveda
Ein christlicher Humanist: Bartolomé de Las Casas
1.1.2. „Tragbares Europa“
1.1.3. Evangelisierung in den einheimischen Sprachen und Missionsmethoden
1.1.4. Die Einstellung gegenüber den indianischen Religionen
1.1.5. Folgen für den Umgang mit dem „Götzendienst“
1.1.6. Die friedliche Mission und die Missionsdörfer
1.1.7. Die Antwort der Missionierten
1.1.8. Einheimischer Klerus und Indigenisierung
1.2. Die Philippinen
1.3. Brasilien
1.4. Die afrikanischen Sklaven
1.5. Die Kongo-Mission
1.6. Römische Akzente: Die Gründung der Propaganda-Kongregation (1622)
2. Spanien
2.1. Staat und Kirche
2.1.1. Kirchenreform
2.1.2. Königliches Kirchenpatronat (Schirmherrschaft)
2.1.3. Vikariatstheorie und Regalismus
2.2. Vertreibung von Juden und Morisken und die -Statuten
2.2.1. Vertreibung von Juden und Morisken
2.2.2. Die -Statuten
2.3. Die geistige Wende der 1550er Jahre
2.3.1. Verfolgung der Kryptoprotestanten
2.3.2. Spirituelle und theologische Strömungen im 16. Jahrhundert
2.3.3. Melchior Canos Gutachten über das Werk Bartolomé Carranzas
2.4. Inquisition
2.4.1. Opferzahlen und Strafmaßnahmen
2.4.2. Buchzensur
2.5. Theologie und Bibel
2.5.1. Die „Schule von Salamanca“
2.5.2. Die neue theologische Methode Melchior Canos
2.5.3. Die Biblia Polyglotta Complutense und die wissenschaftliche Exegese
2.5.4. Gegen Bibelübersetzungen in der Volkssprache
2.6. Spiritualität, Mystik, Volksreligiosität
2.6.1. Die wichtigsten drei Perioden in der spanischen Mystik
2.6.2. Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz
2.6.3. Volksreligiosität
2.6.4. Aberglaube und Zauberei
2.6.5. Sakralkunst und religiöses Theater
3. Portugal
3.1. Inquisition
3.2. Spiritualität, Mystik, Volksreligiosität
3.3. Tridentinische Kirchenreform
4. Entwicklungen des 18. Jahrhunderts im spanischen und portugiesischen Bereich
4.1. Säkularisierung der Pfarreien: Spannungen zwischen Welt- und Ordensklerus
4.2. Kreolisierung: Spannungen zwischen „Amerikanern“ und Europäern
4.3. Regalismus und Aufklärung
4.4. Die Vertreibung der Jesuiten
5. Abschließende Überlegungen
Literatur
Die Russische Kirche 1448–1701
Alfons Brüning
Einleitung
1. Die Entstehung der Moskauer Autokephalie
2. Kirche und Staat in Moskau nach 1448
3. Diversität und Häresien
4. Der Richtungsstreit zwischen „Besitzenden“ und „Nichtbesitzenden“
5. Die Zeit Ivans IV. (1530–1584)
6. Polen-Litauen: Konfrontation mit dem Westen I
7. Moskau und die : Konfrontation mit dem Westen II
8. Reformen I: Kiew
9. Reformen II: Moskau
10. Kirche und Kultur am Vorabend Peters des Großen
Literatur
Christen unter osmanischer Herrschaft (1453–1800)
Bruce Masters
1. Einleitung
2. Die Christen im Reich
3. Die Entstehung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel
4. Die Reformation und die katholische Gegenreaktion
5. Der Armenische Patriarch von Konstantinopel
6. Aleppo als Epizentrum der Unionsbewegung
7. Kopten und Maroniten
8. Weltliche Politik und nationales Erwachen
9. Muslimisch-christliche Beziehungen im Osmanischen Reich
Literatur
Das Christentum in Afrika zwischen 1500 und 1800
Kevin Ward
Überblick
1. Das koptische Christentum
2. Das Christentum in Nubien
3. Das äthiopische Christentum
4. Katholische Missionare aus Portugal in Afrika
5. Das christliche Reich im Kongo
6. Die Portugiesen in Ostafrika
7. Der Sklavenhandel und der Einfluss nordeuropäischer protestantischer Mächte in Afrika
8. Die Holländer in Südafrika
9. Die Mission der Brüder-Unität
Fazit
Literatur
Das lateineuropäische Christentum im 16. Jahrhundert
Thomas Kaufmann
1. Konzeptionelle Vorüberlegungen
2. Das lateineuropäische Christentum um 1500
3. Die Reformation im Reich (bis 1530)
4. Europäische Reformationsprozesse
4.1. Niederlande und Frankreich
4.2. England und Schottland
4.3. Skandinavien
5. Gegenreformation und katholische Reform
6. Täufer, Spiritualisten, minoritäre protestantische Gruppen
7. Entscheidungen im Reich
8. Strukturen des lateineuropäischen Christentums im konfessionellen Zeitalter
Literatur
Das Christentum in Asien zwischen ca. 1500 und 1789
Ronnie Po-chia Hsia
1. Indien
2. Sri Lanka
3. Die Philippinen
4. Japan
5. Die malaiische Welt
6. Vietnam
7. Siam (seit 1945: Thailand)
8. China
9. Korea
Literatur
Christentum in Europa: Das 17. Jahrhundert
Andreas Holzem
1. Europa – das Reich – der Krieg
1.1. Religion und Kriegsneigung in Europa
1.1.1. Das Reich: Habsburg – Böhmen – Liga und Union
1.1.2. Spanien: Reconquista – katholisches Königtum – Inquisition
1.1.3. Frankreich: Konfessioneller Bürgerkrieg – Machtpolitik jenseits des Konfessionellen
1.1.4. Die Niederlande: Calvinismus – überseeische Expansion – politische Emanzipation
1.1.5. Der Ostseeraum: Konfessionelle Identitätsbildung – Kampf um das „Mare balticum“
1.2. Die „Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit“
1.3. Verlauf und Phasen des Krieges
1.3.1. Böhmisch-pfälzischer Krieg
1.3.2. Dänisch-niedersächsischer Krieg
1.3.3. Schwedischer Krieg
1.3.4. Schwedisch-französischer Krieg
1.5. Der Westfälische Frieden
2. Konfession – Herrschaft – Gesellschaft
2.1. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die Schweiz
2.2. Frankreich
2.3. England, Schottland und Irland
2.4. Osteuropa
2.5. Skandinavien und die Niederlande
2.6. Italien
2.7. Konfessionalisierung und konfessionelle Uneindeutigkeit, Zwang und Toleranz
3. Religiöse Bewegungen
3.1. Die evangelische Frömmigkeitsbewegung und das „Wahre Christentum“ Johann Arndts
3.2. Der Puritanismus und die Nadere Reformatie
3.3. Der Jansenismus
4. Kulturen – Praktiken – Mentalitäten
4.1. Die Geistlichen und die Heilsmedialität ihrer Kirchen
4.1.1. Katholische Priester: die Professionalisierung einer geistlichen Elite
4.1.2. Lutherische Pfarrer und reformierte Pastoren
4.2. Die Kirchenräume und die Sakrallandschaften
4.2.1. Räume der konfessionellen Identität
4.2.2. Räume der Männlichkeit und der Weiblichkeit
4.3. Die Logiken der Laienpraxis
4.3.1. Konfession und Herrschaft
4.3.2. Die ‚Funktionalisierung‘ der Religion und das ‚Eigengewicht‘ des Glaubens
4.3.3. Die konfessionellen Niemandsländer
Literatur
Hungersnot, Seuchen, Krieg: Die dreifache Herausforderung der mitteleuropäischen Christenheit, 1570–1720
Hartmut Lehmann
1. Die ‚Kleine Eiszeit‘ als Paradigmenwechsel und ihre religiösen Folgen
2. Trost- und Erbauungsliteratur
3. Aus der Angst zur Hoffnung auf das ewige Leben
4. Aus der Not zur Repression
5. Die Suche nach den Grundlagen von Gottes Weltordnung
6. Religiöse Transformationen als Folge der Krisen des 17. Jahrhunderts
Literatur
Christliche Kirchen und Gemeinschaften in Nordamerika bis 1800
Jan Stievermann
1. Frühe Spanische Kolonien und Missionen in Nordamerika
2. Die Anfänge Britisch-Nordamerikas
2.1. Die Chesapeake Bay
2.2. Neuengland
3. Neufrankreich und Neu-Niederlande
3.1. Neu-Niederlande und New York
4. Die Ausweitung und Transformation Britisch-Nordamerikas bis 1700
4.1. New Jersey, Delaware und Pennsylvania
4.2. Die Carolinas
4.3. Die Wende der Glorreichen Revolution
4.4. Die Chesapeake Bay
5. Die französischen und spanischen Kolonien im 18. Jahrhundert
6. Der Kampf um die Vorherrschaft in Nordamerika
6.1. Kanada als Teil des Britischen Empire
7. Der Wandel der religiösen Landschaft Britisch-Nordamerikas im 18. Jahrhundert
8. Die amerikanische Aufklärung
9. Die protestantische Erweckung
10. Afroamerikanische und indigene Formen des Christentums
11. Religion in der Amerikanischen Revolution
Literatur
Christentum im Europa des 18. Jahrhunderts
Carsten Bach-Nielsen
1. Kirche und Staat
1.1. Autokratie und Ausweisung: Frankreich und die Idee des Nationalstaates
1.2. Absolutistisches Frankreich
1.3. Religiöse Orden
1.4. Mitteleuropa
1.5. Toleranz und Dissens in England
2. Entstehung und Verbreitung des Pietismus
2.1. Ein neues Konzept des Staates: Preußische Werte
2.2. Dänemark: Erweckung, Kontrolle, Mission
2.3. Schweden in einem Zeitalter der Freiheit
2.4. Die Schweizerische Eidgenossenschaft: Eine Nation ohne einen Staat?
2.5. Herrnhuter und Methodisten
2.5.1. Zinzendorf, Herrnhut und die evangelische Brüder-Unität
2.6. Methodismus: Wesley, Whitefield, und die breiten Massen Englands
3. Radikale spirituelle Gemeinschaften
4. Das 200. Reformationsjubiläum 1717: ein internationales Festspiel
5. Das Christentum zwischen Theologie und Philosophie
6. Der Württembergische Pietismus, Swedenborg
7. Die Aufklärung
8. Entwicklungen in der römisch-katholischen Kirche
9. Deutschland: Neue Zugangsweisen zur Religion
10. Kritische Bibelforschung
11. Natur, Kultur und Kunst
12. Skandinavien
13. Angriffe auf das Papsttum
14. Philosophie: Lessing, Herder und Kant
15. Die Französische Revolution
16. Das 18. Jahrhundert. Eine Zusammenfassung
Literatur
Zusammenfassung und Ausblick
Hartmut Lehmann
Kurzbiographien der beteiligten Personen in alphabetischer Reihenfolge
Ortsregister
Personenregister
Abbildungsverzeichnis
Die drei Bände zur globalen Geschichte des Christentums seit der Reformation im 16. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert gehen auf die Notwendigkeit einer Erweiterung der viel beachteten, im Kohlhammer-Verlag Stuttgart erschienenen Reihe „Religionen der Menschheit“ zurück.
Jens Holger Schjørring, emeritierter Kirchenhistoriker der Universität Aarhus/Dänemark, wurde vom Kohlhammer-Verlag angefragt, dieses Projekt zu leiten. Schjørring seinerseits bat den amerikanischen theologischen Lektor Norman Hjelm, mit ihm zu Werke zu gehen. Die beiden Wissenschaftler hatten bereits lange und erfolgreich zusammen gearbeitet und haben diese gemeinsame Tätigkeit nun fortgesetzt. Von Beginn an war deutlich, dass die drei Bände inhaltlich global ausgerichtet und der Kreis der Autoren international und interkonfessionell zusammengesetzt sein würde. Mehr als dreißig Wissenschaftler aus Afrika, Amerika, Europa, Lateinamerika, dem Nahen Osten sowie Neuseeland konnten für das Projekt gewonnen werden. Die Verfasser haben eng kooperiert, damit sich ihre Beiträge inhaltlich aufeinander beziehen. Dabei hat jeder von ihnen zu Beginn einen Ausblick formuliert, der dann im Gespräch und in gegenseitiger Beratung überprüft und überarbeitet wurde. Selbstverständlich sind die Verfasser für Inhalt und Stil ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Einer der Verfasser, Hartmut Lehmann, Emeritus der Universität Göttingen sowie Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington/DC, hat dieses Projekt nicht nur durch seine Beiträge im vorliegenden Band bereichert, sondern auch von den ersten Entwürfen an durch seine redaktionelle Mitarbeit sehr unterstützt.
Während des Entstehungsprozesses gab es zwei größere Treffen der Verfasser: eines im September 2011 im Tagungszentrum der Universität Aarhus in Sandbjerg und ein weiteres im Mai 2015 an der Universität Göttingen. Autorentreffen in kleinerem Rahmen wurden 2012 in Göttingen und 2013 im englischen Chichester abgehalten. Diese Treffen wurden durch großzügige Zuschüsse der Universität Aarhus, des Kohlhammer-Verlags, der Universität Göttingen sowie des George Bell Instituts in Chichester ermöglicht. Das letzte und größte dieser Treffen fand 2015 unter der Leitung des Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann an der Universität Göttingen statt; die Mittel hierfür wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen bereitgestellt.
Angesichts des globalen Charakters dieses Projekts werden die Bände nun sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache veröffentlicht. Der Kohlhammer-Verlag publiziert die deutschsprachige Ausgabe, und der internationale Wissenschaftsverlag Brill zeichnet für die englische Ausgabe verantwortlich. Unser Dank gilt Jürgen Schneider, Sebastian Weigert und Julia Zubcic vom Kohlhammer-Verlag sowie Mirjam Elbers von Brill. Katharina Kunter hat die redaktionelle Betreuung übernommen; Gerlinde Baumann und Priska Komoroni haben einzelne Beiträge für Kohlhammer aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt; David Orton hat für Brill Übersetzung vom Deutschen ins Englische angefertigt. Sie haben die mühevolle Aufgabe des Übersetzens kompetent und mit viel Sprachgefühl gemeistert.
Neben den bereits genannten Institutionen und Personen möchten die Herausgeber und Verlage auch drei dänischen Stiftungen für ihre großzügige Unterstützung dieses Projekts danken: der Velux-Stiftung in Kopenhagen, der Forschungsstiftung der Universität Aarhus sowie dem G. E. C. Gads Fond in Kopenhagen.
Die drei Bände befassen sich in umfassender Weise mit der globalen Geschichte des Christentums, auch wenn dieses Vorhaben nicht im Sinne der traditionellen „Kirchengeschichte“ zu verstehen ist. Natürlich widmen sich historische Betrachtungen auch den Kirchen. Doch die Prägungen, die das Christentum im Leben der Menschen hinterlassen hat, lassen sich nicht auf institutionelle oder dogmatische Einflüsse reduzieren. Vielmehr geht es hier um Kultur im weitesten Sinne. Im Fokus stehen die zahlreichen Wechselwirkungen, die zwischen dem Christentum und den einzelnen Gesellschaften, der Politik, der Ökonomie, der Philosophie, der Kunst sowie den vielfältigen Bemühungen bestehen, welche die Kulturen, Nationen und menschlichen Gemeinschaften ausmachen. Wie war das Christentum in die größeren Strukturen des menschlichen Lebens verwoben?
Darüber hinaus geht es in den vorliegenden Bänden um die globale Entwicklung des Christentums im Laufe der vergangenen 400 bis 500 Jahre. Zuvor war das Christentum – abgesehen von wenigen Außenposten in anderen Zentren der Welt – überwiegend auf Europa und Russland beschränkt. Nun aber erreichte der Wirkungsbereich des Christentums vor allem durch die Mission an der Seite der wirtschaftlichen Kräfte sowie durch Eroberungs- und Migrationsbewegungen ein Stadium, in dem sein demographischer Schwerpunkt jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr auf der Nordhalbkugel, sondern dezidiert auf der Südhalbkugel liegt. Es ist ein zentrales Anliegen des Projekts, diese Geschichte der globalen Schwerpunktverschiebung nachzuzeichnen. Dabei hat diese Veränderung eigentlich, was in den einzelnen Kapiteln dieses Bandes deutlich wird, bereits vor 1500 durch das spanische wie das portugiesische Weltreich in Lateinamerika und Asien sowie durch das Osmanische Reich, durch Russland und Afrika begonnen. Im ersten der drei Bände wird es zu Beginn um diese frühe Expansion des Christentums außerhalb Europas gehen.
Wie bereits erwähnt, war das Christentum schon vor seiner in diesem Band dargestellten Geschichte eine globale Religion gewesen. Auf manchen Kontinenten gab es bereits einheimische christliche Gemeinschaften wie etwa die Thomaschristen in Südasien oder alte koptische Gemeinden in Ägypten und Äthiopien. Die iberischen Reiche – Spanien und Portugal – unterstützten gegen Ende des 15. Jahrhunderts die ersten Missionsversuche in Zentral- und Südamerika und auch in Asien. In Afrika waren der Kongo und Mosambik die Zentren der portugiesischen Mission im 16. Jahrhundert. Die Jesuiten – sowie die niederländisch-protestantische Mission vor allem in China und Südostasien haben eine wesentliche Rolle bei der frühen Ausbreitung des Christentums außerhalb Europas gespielt. In Indien begann die dänische Mission mit Unterstützung von Hallenser Pietisten 1706 ihre Tätigkeit in Tranquebar.
Zeitgleich zu diesen Anfängen der christlichen Mission existierte das Christentum auch in Russland. Dort hatte es ausgehend von Konstantinopel im 8. und 9. Jahrhundert mit der Entstehung der russisch-orthodoxen Kirche Verbreitung gefunden. In gleicher Weise gab es das orthodoxe Christentum ebenfalls schon in dieser Region, die nach der Eroberung Konstantinopels 1453 zum Osmanischen Reich gehörte. Die nordamerikanischen Kolonien wurden historisch gesehen relativ spät durch verschiedene ethnische Gruppen gegründet, die mehrheitlich christliche Vorstellungen und Bräuche einführten.
Dass das Christentum schon früh eine globale Religion war, wird durch die Geschichte belegt, die hinter den folgenden zehn Kapitel steht: „Katholizismus in Spanien, Portugal und ihren Weltreichen“, „Die Russische Kirche 1448–1701“, „Das Christentum unter osmanischer Herrschaft (1453–1800)“, „Das Christentum in Afrika zwischen 1500 und 1800“, „Das Christentum in Asien bis etwa 1800“ sowie „Christliche Kirchen und Gemeinschaften in Nordamerika bis 1800“.
Das europäische Christentum wurde in dem Zeitraum, mit dem sich der vorliegende Band befasst – in den 250 Jahren zwischen den ersten Anfängen der Reformation und dem Beginn der Französischen Revolution (1789) –, durch zahlreiche Ereignisse, Personen und weitere Faktoren stark geprägt. Besonders folgenreich war dabei die Spaltung der westlichen Kirche in zwei tonangebende Gruppen: einerseits das Lager der „alten römischen Kirche“ und andererseits die verschiedenen Bewegungen und Gruppierungen, die sich als „neuer Glaube“ bezeichnen lassen, und die weitgehend aus der Reformation auf dem europäischen Kontinent hervorgegangen sind.
Die „Konfessionalisierung“ wurde eine wichtige Dimension im Kontakt zwischen diesen beiden Zweigen des Christentums. Im römischen Katholizismus lag das Hauptaugenmerk darauf, die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545–1563, in drei Sitzungsperioden) umzusetzen und auch positive Reaktionen von Katholiken gegenüber den reformatorischen Lehren zu verhindern. Die Protestanten wiederum widmeten sich stark der Ausbildung der Geistlichen, um die Basis für eine selbstbewusste Identität zu legen. Indirekt wollten sie so auch verhindern, dass die Lehren des römischen Katholizismus wie auch der „radikalen Reformation“, vor allem der Wiedertäufer, unter ihnen auf Wohlwollen stießen.
Ungefähr in der Mitte des 17. Jahrhundert war die Konfessionalisierung weitgehend abgeschlossen. Die beiden Gruppen, die „Alten“ wie die „Neuen“, hatten sich in zwei getrennten und konkurrierenden Gemeinschaften eingerichtet. Im römisch-katholischen Lager machten sich die französische wie die spanische Krone bestimmte konfessionelle und kirchenpolitische Strategien zu Eigen. Die römische Kurie sorgte sich vor allem um Gruppierungen, die bei der Entwicklung der religiösen und spirituellen Identität der „alten Kirche“ bestimmte theologische Schwerpunktsetzungen verfolgten, wie es etwa im Jansenismus und Gallikanismus der Fall war. Im protestantischen Lager gab es große Unterschiede zwischen Orthodoxen und Pietisten, die jeweils für sich beanspruchten, den alleinigen Weg zum Heil zu kennen.
So sah die Lage aus, als in Europa in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhundert die Aufklärung aufkam. Von da an war der Protestantismus in drei Richtungen gespalten: erstens in die Orthodoxen, die sich auf die klassischen Lehren der Reformation beriefen; zweitens in diejenigen, die – wie die Pietisten in Deutschland und den skandinavischen Ländern sowie die Methodisten in England – eine Art erweckter Frömmigkeit proklamierten; sowie drittens die Anhänger der Aufklärung, die von der Macht des gottgegebenen Verstandes überzeugt waren, der den persönlichen wie gesellschaftlichen Fortschritt bringen sollte. Durch die Französische Revolution wurden die religiösen Kräfte weiter gespalten.
Vier Kapitel widmen sich im vorliegenden Band diesen Entwicklungen in Europa: Drei Kapitel befassen sich mit dem Christentum in Europa im 16., 17. und 18. Jahrhundert; ein weiteres Kapitel hat die globale Verschlechterung des Klimas in der Zeit zwischen 1570 und dem frühen 18. Jahrhundert – die manchmal als „kleine Eiszeit“ bezeichnet wird – und ihre Auswirkungen auf die Religion und vor allem den europäischen Pietismus zum Thema.
In diesem sowie den beiden folgenden Bänden, die sich mit dem 19. und 20. Jahrhundert befassen, wird versucht, die – positiven wie negativen – Auswirkungen des Christentums auf die demographischen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Aspekte der Weltgeschichte auszuloten. Alle, die Beiträge zu diesen Bänden beigesteuert haben, haben dies in wissenschaftlich integerer Weise und inhaltlich entsprechend ihren persönlichen Überzeugungen getan, und sie wünschen sich, damit zu einem globalen und weitreichenderen Verständnis beitragen zu können.
Übersetzung: Gerlinde Baumann
Jens Holger Schjørring
Aarhus, Dänemark
Norman A. Hjelm
Wynnewood, Pennsylvania, USA
April 2017
Hartmut Lehmann
Auch am Beginn des 21. Jahrhunderts ist es immer noch eine Herausforderung, eine Geschichte des Weltchristentums zu schreiben. Das gilt besonders für die Jahrhunderte vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Wer sich dieser Aufgabe stellt, sieht sich mit verschiedenen gravierenden Problemen konfrontiert.
Das erste Problem besteht darin, dass die gesamte neuere Geschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit, nicht zuletzt auch die über Fragen des Christentums, das heißt Theologie, Kirchen, kirchliche Gemeinschaften und Frömmigkeitsformen, bis heute in hohem Maße von nationalen Wertungen beeinflusst ist. Englische Historiker, denen wir ausgezeichnete Studien zur Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts verdanken, auch englische Kirchenhistoriker, interessierten sich zum Beispiel seit Beginn einer von wissenschaftlichen Kriterien geleiteten Geschichtsschreibung vor allem für die Geschichte der christlichen Kirchen und Bewegungen in ihrem eigenen Land. Aus ihrer Feder stammen deshalb ausgezeichnete Studien über den Puritanismus, über die große religiöse Revolution gegen das englische Königshaus und den Anglikanismus sowie über die Ära Cromwell, auch über den Methodismus. Für die Kirchenhistoriker anderer Länder lässt sich, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, die gleiche Aussage treffen. So haben sich französische Kirchenhistoriker etwa als Spezialisten für die Geschichte des Gallikanismus und des Jansenismus profiliert. Für ihre niederländischen Kollegen galt und gilt die gleiche historische Epoche als die „goldene Zeit“ der Toleranz und einer einmaligen kulturellen und wirtschaftlichen Blüte, während sich die frühneuzeitlichen polnischen Kirchenhistoriker vor allem mit der Geschichte der katholischen Erneuerung in ihrem eigenen Land beschäftigten. Das sind nur einige von vielen Beispielen.
Die Forschungen, die eine Geschichte des Weltchristentums vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts behandeln, sind somit weithin national orientierte Einzelstudien. In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten wurden die auf die jeweils eigenen nationalen Probleme gerichteten Arbeiten zwar ergänzt und exemplifiziert durch zahlreiche regionale und insbesondere auch durch lokale Forschungen. Dabei wurde der Blick aber nur selten über den nationalen Horizont hinaus gerichtet. Was weitgehend fehlt, sind somit Entwürfe, oder zumindest Vorschläge, für eine Konzeption des Weltchristentums in der Frühen Neuzeit, die jenseits nationaler Kategorien, auch jenseits nationaler Themenfelder angesiedelt sind. In dem vorliegenden Band wird dagegen der Versuch unternommen, die je unterschiedlichen nationalen Blickrichtungen zu überwinden und jene Fragestellungen und Themen zu diskutieren, die das Christentum im Zeitalter zwischen Luther und Voltaire, zwischen Calvin und Rousseau, man könnte auch sagen zwischen Ferdinand von Aragon, Isabella von Kastilien sowie Friedrich dem Weisen und Karl V. und Napoleon insgesamt prägten. Das ist nicht einfach, aber durchaus möglich.
Ausgeprägte konfessionelle Wertungen bilden eine zweite Schwierigkeit, die bei einer reflektierten Darstellung der in diesem Band diskutierten kirchlichen und religiösen Zusammenhänge bewältigt werden musste. Denn mit der von Luther, Zwingli und Calvin initiierten Reformbewegung und mit den katholischen Reaktionen auf die reformatorischen Positionen, die in eine umfassende Erneuerung der alten Kirche mündeten, setzte eine heftige und kontroverse Polemik ein, die die Geschichtsschreibung über dieses Zeitalter von Anfang an färbte. Was in den Jahren nach 1517 von Wittenberg, Zürich und Genf aus angestoßen wurde, galt als Beginn einer neuen Epoche der Weltgeschichte. Reformbewegungen in der mittelalterlichen Kirche wurden demgegenüber als „vorreformatorisch“ bezeichnet. Protestantische Autoren verteufelten mit Luther und seit Luther das Papsttum und dessen Gefolgsleute. Katholische Autoren verteufelten ebenso ungehemmt die protestantischen Reformatoren. Die Konfessionalisierung, das heißt die konfessionelle Disziplinierung und Indoktrinierung der eigenen Anhänger, wurde seit der Mitte des 16. Jahrhunderts für viele Jahrzehnte das beherrschende Thema in beiden Lagern. Auf diese Weise entstanden höchst unterschiedliche konfessionelle Milieus mit höchst unterschiedlichen Bildungseinrichtungen samt unterschiedlichen Universitäten, Verlagen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Autoritäten sowie einem durchaus eigenständigen, wiederum heterogenen und höchst unterschiedlichen religiösen Alltagsleben. Ressentiments und Vorurteile gegen die jeweils anderen Parteien setzten sich in den Köpfen der Gläubigen fest und wurden an die nächste Generation weitergegeben. So wurde für viele Protestanten der Antikatholizismus zu einem festen Bestandteil ihrer Identität, wie umgekehrt viele Katholiken überzeugt waren, alles Unheil rühre von Luther her.
Im Laufe des 17. Jahrhunderts kam es zu einer gewissen Binnendifferenzierung der großen konfessionellen Lager, ohne dass dies zu einer grundsätzlichen Überwindung der konfessionellen Differenzen geführt hätte. Im Gegenteil: Im 19. Jahrhundert flammte der konfessionelle Streit wieder auf, so dass diese Periode von Olaf Blaschke nicht zu Unrecht als das Zeitalter einer zweiten Konfessionalisierung bezeichnet wurde.1 Es gab jedoch auch Ausnahmen. Weitgehend unabhängig von den die Kultur, die Politik und selbst die Wirtschaft beherrschenden konfessionellen Milieus und der von diesen praktizierten religiös-politischen Apartheid entstanden bereits seit dem 16. Jahrhundert in einigen, wenngleich nicht allen Teilen Europas eigenständige freikirchliche Traditionen. Diese entwickelten wiederum eigene Formen der Erinnerung und im Laufe der Zeit auch eine eigene Geschichtsschreibung. Vor allem in Nordamerika konnten sich Freikirchen zunächst in einzelnen Kolonien und seit der amerikanischen Unabhängigkeit im späten 18. Jahrhundert im ganzen Land weitgehend ohne staatliche Behinderung entfalten.
In unserem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass die auf wissenschaftliche Anerkennung zielende religiös-kirchliche Geschichtsschreibung bis weit ins 20. Jahrhundert deutlich von konfessionellen Gesichtspunkten geprägt war. Große kirchenhistorische Sammelwerke, auch große kirchenhistorische Lexika, waren selbst im 20. Jahrhundert nach wie vor entweder protestantischer oder katholischer Provenienz. Konfessionsgrenzen bewusst überwindende Werke, wie die von Bernd Moeller und Raymund Kottje 1970 in erster und 2006 in zweiter Auflage herausgegebene Ökumenische Kirchengeschichte blieben die Ausnahme, wobei auch dieses Werk aus Artikeln von Autoren unterschiedlicher Konfession besteht, die jeweils über die Geschichte ihrer eigenen Konfession schreiben.2 Das heißt, dass konfessionelle Interessen auch die internationale Kirchengeschichtsschreibung über das Zeitalter der Konfessionalisierung hinaus außerordentlich lange und zwar bis in die Fragestellungen und die Materialerschließung hinein beeinflussten.
Demgegenüber gilt es festzuhalten, dass das Christentum zu allen Zeiten mehr war als konfessionelle Selbstvergewisserung, mehr als die Bestärkung der eigenen konfessionellen Identität. Mit großem Nachdruck muss deshalb versucht werden, die Geschichtsschreibung über das Weltchristentum auch für die in diesem Band behandelte Ära von konfessionellen Wertungen zu befreien, ohne zugleich die Tatsache der Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit zu ignorieren.
Eine dritte Herausforderung ist nicht minder schwierig. Sie besteht darin, dass – auf eine, wie es scheint, geradezu fast selbstverständliche Weise – in allen bisherigen Darstellungen der Geschichte von Kirche und Theologie, von der Frömmigkeit und dem Eigenleben religiöser Gemeinschaften in der Frühen Neuzeit das kulturell und politisch vielgestaltige Ensemble der europäischen Länder das Zentrum bildet. Das Christentum in anderen Teilen der Welt wird dagegen in der Regel wie ein Anhängsel an die europäische Christentumsgeschichte behandelt. Eine solche Einstellung wird aus Sicht der Länder außerhalb Europas seit einigen Jahren zurecht als unerträglicher Eurozentrismus kritisiert. Einige europäische und amerikanische – und somit selbst von der westlichen Wissenschaftstradition geprägte – Kirchenhistoriker wie Andrew F. Walls3 und Philip Jenkins4 haben in den vergangenen Jahren zwar versucht, eine neue, globale Sichtweise zu propagieren und die Geschichte des Christentums außerhalb Europas unvoreingenommen zu würdigen. Es dürfte jedoch ein langer Weg sein, bis sich ihre Vorschläge durchgesetzt haben. Zu wünschen wäre, dass Historiker und Kirchenhistoriker, die aus wissenschaftlichen und kulturellen Traditionen jenseits von Europa stammen, möglichst bald ihre eigene Sicht einer globalen Christentumsgeschichte in die Debatten einbringen.
Auf die von Jenkins und Walls aufgeworfenen Fragen gibt es, wenn man auf die Frühe Neuzeit blickt, keine einfachen Antworten. Denn auf der einen Seite lag der Schwerpunkt des frühneuzeitlichen Christentums ohne allen Zweifel in Europa. Die weit überwiegende Zahl aller Christen lebte damals in Europa, ohne dass es möglich wäre, eine solche Behauptung mit auch nur einigermaßen exakten Zahlen zu belegen. In Europa lehrten die Theologen von Rang. Hier bestanden trotz aller Unterschiede und Kontroversen besonders lebendige christliche Gemeinden. Hier wurde intensiv und produktiv über religiöse Fragen gestritten. Hier wurden glaubwürdige neue Wege gefunden, um die christliche Botschaft im Leben der verschiedenen sozialen Schichten zu verankern. Von Europa aus wurde seit dem 16. Jahrhundert außerdem versucht, die christliche Botschaft in andere Länder zu tragen, zunächst nach Südamerika, in die Karibik und in den Fernen Osten, später auch nach Nordamerika. Das alles ist unbestreitbar richtig und doch nicht die ganze Wahrheit.
Denn auf der anderen Seite entwickelten die christlichen Gemeinschaften in den Ländern außerhalb von Europa relativ früh, das heißt binnen weniger Jahre nach ihrer Gründung, ein distinktes Eigenleben mit eigenen religiösen Formen und Traditionen, zunächst in Lateinamerika und der Karibik, dann in Ostasien und Nordamerika. Daraus folgt, dass diese Gemeinden und Kirchen im Verhältnis zum Christentum in Europa nicht mehr nur als nachgeordnete Erscheinungen betrachtet werden sollten. Das gilt auch für die älteren christlichen Gemeinden in Afrika, auch wenn gerade auf diesem Gebiet noch längst nicht alle relevanten Quellen erschlossen sind und man mit Wertungen deshalb vorsichtig sein sollte.
Wer eine globale Christentumsgeschichte in der Frühen Neuzeit schreibt, hat sich schließlich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass im größten, im allergrößten Teil der Literatur, auch der neueren kirchengeschichtlichen Literatur, Männer als Akteure im Zentrum stehen. Man kann fragen, ob dadurch die kirchliche, kirchenpolitische, kulturelle und religiöse Lage einer höchst komplexen religions- und kirchenhistorischen Struktur angemessen abgebildet wird, oder ob wir es mit Vorurteilen, mit tradierten und inzwischen durchaus problematischen Vorurteilen auf der Seite jener zu tun haben, denen wir die neueren Forschungen zur Christentumsgeschichte verdanken. Ehe man diese neuere Literatur zur Christentumsgeschichte als Kleriker-, Theologen- und Pfarrerhistoriographie verwirft, ist aber in jedem Fall eine umsichtige historische Kontextualisierung notwendig.
Nicht zu bestreiten ist, dass es in der Hierarchie der Orthodoxen Kirchen und der Katholische Kirchen Kleriker, also Männer waren, die vom frühen 16. bis ins späte 18. Jahrhundert den Gläubigen den Weg zum ewigen Heil zeigten, vor dem Konzil von Trient ebenso wie danach. In Priesterseminaren und auf Universitäten wurden sie auf ihre Aufgabe vorbereitet. Kaum weniger einflussreich war aber auch die Rolle von Männern in den neuen reformatorischen Kirchen. An Theologischen Fakultäten erhielten sie das Expertenwissen, das sie auf ihre spätere Position als Pastor vorbereitete und das sie legitimierte, für alle anderen Gruppen der Gesellschaft Entscheidungen zu treffen, für Frauen ebenso wie für Kinder. Selbst in den religiösen Bewegungen am linken Rand der Reformation, bei Täufern und später bei den Puritanern, nahmen in aller Regel Männer die Führungspositionen ein. Die Kirchenhistoriker, die sich in ihren Arbeiten auf die Bedeutung der kirchlichen Hierarchien konzentrieren, erfassen aber nur einen Teil der Christentumsgeschichte, da sie die Rolle von Frauen vernachlässigen,
Blickt man nämlich auf das christliche Leben jenseits der kirchlichen Hierarchien, ändern sich die Verhältnisse. Unschwer stellt man dann fest, dass die frühneuzeitlichen Gesellschaften ganz anders strukturiert waren als die Gesellschaften, die seit dem Zeitalter der Industrialisierung und der Dekolonisation entstanden. Im frühneuzeitlichen Europa waren sehr viel weniger Personen verheiratet als im 19. und im 20. Jahrhundert. Zu jedem Haus eines Handwerkers, eines Kaufmanns oder der größeren Bauern gehörte ein Hausvater, aber zwingend auch dessen Frau.5 Um die beiden herum war eine nicht unerhebliche Zahl von unverheirateten Personen gruppiert: Gesellen, Lehrlinge und Knechte, Mägde und Dienstboten, dazu, wenn sie noch lebten, die alten Eltern, ferner unverheiratete Geschwister und die Kinder, bis diese sich ihrerseits anderswo verdingten. Mutter und Vater besaßen die ökonomische, sittliche, rechtliche und religiöse Verantwortung für diese komplexe Ansammlung von Personen. In vielen Angelegenheiten hatten Frauen das entscheidende Wort. Von Seiten der Kirche wurden sie dafür in die Pflicht genommen. Im protestantischen Europa hatte in vergleichbarer Weise neben dem Pfarrer die Pfarrfrau ihre besondere, eine distinkt andere, nämliche vor allem karitative Aufgabe. Kurzum, aus gesellschaftlicher Sicht und im Hinblick auf das christliche Leben in Städten und Dörfern und vor allem bei Studien über das christliche Gemeindeleben besteht kein Grund, den Blick allein auf die Männer zu richten.
Wenn man die kulturelle und literarische Szene untersucht, ergibt sich noch einmal ein anderes Bild. Denn mit wenigen Ausnahmen waren es im frühneuzeitlichen Europa Männer, die religiös-erbauliche und theologische Werke verfassten und die auf diese Weise mehr oder minder wichtige Impulse setzten. Umso wichtiger ist deshalb der Blick auf die Ausnahmen. Sowohl in der Alten Kirche wie in den reformatorischen Kirche waren solche Ausnahmen zu finden, speziell im Jansenismus und im Pietismus. Das heißt, dass überall dort, wo religiöse Inspiration nicht ohne weiteres abgewertet wurde, überall dort, wo Frauen und Männer gemeinsam nach Mitteln und Wegen suchten, um religiöse Erneuerung wirksam werden zu lassen, immer wieder Frauen auf eine eindrucksvolle Weise in Erscheinung traten. In der Katholischen Kirche führten deren Initiativen im frühneuzeitlichen Europa nicht selten zur Gründung neuer, bezeichnenderweise meist pädagogisch oder karitativ orientierter Orden wie den der Ursulinen. In den protestantischen Kirchen hatten Frauen dagegen dort, wo die Pastorenhierarchie keinen nennenswerten Einfluss hatte, eine Chance, ihre Meinung geltend zu machen, so etwa im radikalen Flügel der Pietisten und später auch in der Herrnhuter Brüdergemeine. Im radikalen Pietismus machten sich mehrere Frauen als Autorinnen einen Namen. Ob es religiös inspirierten Frauen gelang, die patriarchale Struktur des frühneuzeitlichen evangelischen Christentums zu relativieren, gar aufzubrechen, scheint dagegen fraglich. Es ist jedoch eine Aufgabe der Geschichtsschreibung, den Frauen dort, wo sie als Christinnen ihre christlichen Geschwister auf den Kern der christlichen Botschaft hinwiesen und wo sie in Gemeinden als Christinnen für ihre christlichen Geschwister tätig waren, gerecht zu werden. Das ist in der Vergangenheit nicht immer geschehen.
Fragt man jenseits nationaler, konfessioneller und europazentrischer Wertungen sowie jenseits geschlechterspezifischer Aspekte nach dem eigentlichen Charakter und den eigentlichen Schwerpunkten des Weltchristentums vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, stößt man auf eine Reihe weiterer Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Offen ist, welche politischen, sozialen, kulturellen und geistigen Faktoren den Charakter jener Epoche, die als Frühe Neuzeit bezeichnet wird, insgesamt bestimmten und welche Auswirkungen diese Faktoren auf die Kirchen, auf die Theologie, auf die Frömmigkeit und auf das Leben in den christlichen Gemeinden hatten. Ebenso wurde noch nicht überzeugend geklärt, wie in jener Periode umgekehrt religiöse Kräfte, auch theologische Positionen, Politik, Wirtschaft, Kultur, Geistesleben und Gesellschaft beeinflussten. Zu erörtern ist somit, ob es auf dem Gebiet einer globalen Christentumsgeschichte in der Frühen Neuzeit evidente strukturelle Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten gab, oder ob es, wenn man nach Antworten sucht, darauf ankommt, möglichst präzise und möglichst weitgehend zu differenzieren und summarische Erklärungen zu vermeiden.
Wenn man nach Konzeptionen zur Erklärung der Geschichte des Weltchristentums in den drei Jahrhunderten zwischen der Entdeckung von neuen Welten jenseits von Europa und dem Aufstieg Spaniens zur Weltmacht auf der einen Seite sowie dem Kampf der britischen Kolonien in Nordamerika um ihre Unabhängigkeit, dem Ausbruch der Französischen Revolution 1789 und der Napoleonischen Herrschaft auf der anderen Seite sucht, spielen in der neueren internationalen Forschung höchst unterschiedliche Erklärungsmodelle eine Rolle. Einleitend ist es sinnvoll, kurz auf diese verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten hinzuweisen.
Kirchenhistoriker und Historiker aller Richtungen sind sich einig, dass in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die erneute und weitere Spaltung der Christenheit in verschiedene Lager eine langfristige Bedeutung hatte, die kaum überschätzt werden kann. Von dieser Zeit an prägten Konflikte zwischen dem romtreuen Lager, der Alten Kirche, mithin den Altgläubigen, und dem Lager der verschiedenen Richtungen und Gruppierungen der Neugläubigen, von denen sich die meisten auf die Lehren von Martin Luther und Johannes Calvin beriefen, die gesamte europäische Geschichte und soweit die Europäer in anderen Erdteilen Einfluss nahmen, auch die außereuropäische Geschichte. Neben der in sich selbst in verschiedene Zweige gespaltenen orthodoxen Christenheit stellte seit dem 16. Jahrhundert somit nun auch die westliche Christenheit keine Einheit mehr dar. Zu konstatieren ist außerdem, dass innerhalb Europas die konfessionellen Lager über einen längeren Zeitraum hinweg noch nicht völlig voneinander getrennt waren. Viele Altgläubige lebten in Gebieten, die von Fürsten beherrscht wurden, die sich der Reformation angeschlossen hatten. Umgekehrt harrten Neugläubige in Territorien aus, die fest zu Papst und Kaiser hielten, in der Hoffnung, ihre Fürsten würden sich doch für Wittenberg entscheiden. Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zeigten viele Familien und Gemeinden in formal weiterhin romtreuen Gebieten großes Interesse an den neuen Lehren. In manchen Gegenden Europas bestanden aber auch neugläubige und altgläubige Gemeinden längere Zeit nebeneinander, so zum Beispiel in der Stadt Augsburg. Beide Seiten waren immer wieder versucht, in dem jeweils anderen Lager Anhänger zu finden und in das eigene Lager zu integrieren. Besonders attraktiv war der Versuch, einen regierenden Fürsten und damit möglichst die Einwohnerschaft seines ganzen Landes für die eigene Sache zu gewinnen. Die Wege hin zu einer von Toleranz geprägten konfessionellen Koexistenz waren weit und wurden in aller Regel nicht beschritten. Daran änderten auch der Augsburger Religionsfrieden von 1555, das Edikt von Nantes 1598 und der Westfälische Frieden von 1648 wenig.
In diesen religiösen, im Kern aber kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, die sukzessive ganz Europa erfassten, erwies sich die vom neugegründeten Jesuitenorden tatkräftig unterstützte Alte Kirche vor allem in den Jahrzehnten vor und nach 1600 als sehr viel erfolgreicher als die in verschiedenen Territorien unterschiedlich organisierten Kirchen der Neugläubigen. Die Zahl der Neugläubigen schrumpfte deshalb in Europa von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts um ein gutes Drittel. Vor allem in Böhmen, in Mähren, in Polen, in Schlesien und in Ungarn konnte die katholische Kirche große Erfolge erzielen. Für die verbleibenden Protestanten war das eine traumatische Erfahrung. Ohne dänische und vor allem ohne schwedische Hilfe hätten die Protestanten in Mitteleuropa während des Dreißigjährigen Krieges gegen die kaiserlich-katholischen Armeen keine Chance gehabt. Mit der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich in den Jahrzehnten nach 1685 fand die katholische Gegenoffensive einen vorläufigen Abschluss. Nicht mit dem Westfälischen Frieden 1648, sondern erst im ausgehenden 17. Jahrhundert standen somit die konfessionellen Grenzen in Europa weitgehend fest, zumal mit den Niederlanden und England wichtige Mächte nunmehr das protestantische Lager stabilisierten, unterstützten und verteidigten.
Neben der neuerlichen und nachhaltigen Spaltung des Weltchristentums im 16. Jahrhundert, die sich langfristig als ebenso folgenreich wie die älteren Schismen erweisen sollte, muss der Konfessionalisierung der voneinander getrennten Kirchen besondere Beachtung geschenkt werden.6 Nicht mehr das, was alle Christen einte, wurde im Zeitalter der Konfessionalisierung von beiden Seiten betont, sondern das, was sie trennte. Dabei ging es bald nicht nur um den Gegensatz zwischen Rom und Wittenberg. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert polemisierten vielmehr lutherische Theologen und Kirchenpolitiker in Reden und Schriften auch gegen die Reformierten und umgekehrt reformierte Theologen und Kirchenpolitiker gegen die Lutheraner. Wittenberg stand gegen Genf und Rom, Genf gegen Rom und Wittenberg. Indem man die gegnerische Seite angriff, sollte die eigene konfessionelle Identität definiert und stabilisiert werden. Das mitteleuropäische Christentum war damals somit nicht in zwei Lager getrennt, sondern in drei. Im Friedensschluss von Münster und Osnabrück nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 wurde die Koexistenz dieser drei Kirchen in Europa bestätigt.
Die freikirchlichen Gemeinden, die aus täuferischen Gruppen und nonkonformistischen Richtungen der Reformation hervorgegangen sind, waren nach dem Dreißigjährigen Krieg in einer besonders schwierigen Lage. Auch nach 1648 waren sie immer noch auf Tolerierung durch die Herrscher der Länder, in denen sie lebten, angewiesen, ebenso wie die Gemeinden der Juden. Freikirchlichen Traditionen entstammten in jener Periode die sogenannten Dissenter und Nonkonformisten, die sich dem Druck der Staatskirchen nicht beugten und die auf ihrem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit bestanden. Nur in wenigen Regionen der Welt konnten sie sich behaupten, so etwa in einigen Städten in den Niederlanden oder in den britischen Kolonien Pennsylvania und Rhode Island in Nordamerika.
Auf protestantischer Seite wurde die konfessionelle Disziplinierung der eigenen Anhänger durch eine besonders sorgfältige Ausbildung der Pastoren in Theologischen Fakultäten vorangetrieben sowie durch regelmäßige Visitationen, durch die sichergestellt werden sollte, dass nicht gegnerische Ansichten oder gar Sonderlehren, so wie sie vom „linken Flügel“ der Reformation verbreitet wurden, in den Gemeinden Anhänger fanden. Auf katholischer Seite ging es in den Jahrzehnten nach dem Ende des Konzils von Trient 1563 vor allem darum, die in Trient gefassten Beschlüsse auch tatsächlich in allen katholischen Gemeinden umzusetzen und dafür zu sorgen, dass Schriften von Luther und Calvin sowie auch die Anhänger von Menno Simons und die Antitrinitarier bei katholischen Gläubigen nicht auf Interesse stießen. Das war aber trotzdem selbst in Italien und Spanien der Fall. Entsprechend energisch war in diesen Ländern dann die Reaktion der katholischen Seite. Der Einfluss der Antitrinitarier blieb dort deshalb eine Episode.
Noch ehe der Prozess der Konfessionalisierung völlig abgeschlossen war und sich die Altgläubigen und die Neugläubigen als eigenständige und miteinander konkurrierende Konfessionskulturen gegenüberstanden, setzte in allen drei großen kirchlich-konfessionellen Lagern ein nachhaltiger Prozess der inneren Differenzierung ein. Innerhalb des Katholizismus suchte die französische Krone ebenso einen eigenen konfessionellen und kirchenpolitischen Weg wie die spanische Krone. Neben dem Gallikanismus machten der Kurie seit der Mitte des 17. Jahrhunderts vor allem die Anhänger des Theologen Cornelius Jansenius große Sorgen. Denn die Jansenisten, wie sie genannt wurden, setzten in der Tradition von Augustinus andere theologische Akzente als die Jesuiten und suchten eigene religiöse und spirituelle Wege, um die Heilsversprechen der Alten Kirche zu erfüllen. Im protestantischen Lager beherrschte dagegen seit den 1670er Jahren die Auseinandersetzung zwischen den Orthodoxen und den Pietisten die öffentliche Debatte. Beide Seiten beanspruchten, die ganze theologische Wahrheit zu besitzen und den Gläubigen den richtigen Weg zum ewigen Heil zu zeigen.
Seit den 1720er Jahren faszinierten die Lehren der Aufklärung nicht nur in England, sondern auch auf dem Kontinent und in Skandinavien dann vor allem viele protestantische Gelehrte und Bildungsbürger. Zusätzlich zur Trennung zwischen Reformierten und Lutheranern war der Protestantismus nunmehr für mehrere Jahrzehnte in drei Gruppierungen geteilt: In die Anhänger der alten Lehren der Reformation, sei es im Sinne Luthers und Melanchthons oder im Sinne Calvins und von John Knox, also der eigentlichen Orthodoxie; ferner in die Anhänger einer erwecklichen Form von Frömmigkeit, vertreten in Deutschland und in Skandinavien durch die Pietisten und in England etwas später durch die Methodisten; schließlich in die Anhänger der Aufklärung, die davon überzeugt waren, Gott habe den Menschen die Vernunft geschenkt, um die innerweltlichen Verhältnisse Schritt für Schritt, aber nachhaltig zu verbessern.
In langfristiger Perspektive sollten die Erweckungsbewegungen (Revival Movements) sowohl innerhalb des Katholizismus wie vor allem innerhalb der protestantischen Kirchen eine besondere Bedeutung erlangen.7 Denn alle, die sich im 19. und noch im 20. Jahrhundert auf Erfahrungen von Erweckung (Awakening) und Wiedergeburt (Revival und Rebirth) beriefen, orientierten sich an den Anfängen dieser besonderen Form von Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit.
Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution entstanden dann sehr rasch neue politische Frontlinien. Nachdem der erste Schock über die Ereignisse in Paris überwunden war, sammelten sich auf der einen Seite unter den Christen Europas diejenigen, die von den Idealen der Französischen Revolution einen veritablen Fortschritt für die gesamte Menschheit erhofften, auf der anderen Seite aber alle jene, nach deren Ansicht in Frankreich antichristliche Kräfte das Gesetz des Handelns bestimmten. Liberale und Konservative führten diesen Streit nach 1815 noch jahrzehntelang weiter.
Seit Beginn der Reformation des 16. Jahrhunderts und nicht weniger seit Beginn der katholischen Erneuerung waren die christlichen Kirchen in Europa und in Übersee Teil des absolutistischen Herrschaftssystems, während sich politisch-religiöse Gruppen, wenn sie sich staatlichem Druck nicht beugten, als Gegner der neuen staatlichen Macht behaupten mussten. Der Siegeszug der absolutistischen Regierungsform im frühneuzeitlichen Europa ist ein Faktor, der bei einer Darstellung des Weltchristentums kaum überschätzt werden kann. Zwar wird in der neueren Forschung nach wie vor heftig über den Absolutismusbegriff diskutiert, das heißt über die Ursachen, die Phasen und die Erfolge des absolutistischen Kampfes gegen landständische Vertreter und die Parlamente. Sicher ist in jedem Fall, dass die regierenden Fürsten überall in Europa seit dem 16. Jahrhundert ihre Machtbefugnisse gegenüber ihren Untertanen, auch gegenüber adligen Standesvertretern, Schritt für Schritt vergrößern konnten. Das politische Mitspracherecht und die politische Partizipation der ständischen Vertreter wurden systematisch zurückgedrängt. Die fürstlichen Residenzen wurden dagegen prachtvoll ausgebaut. Außerdem wurde die zentrale Verwaltung zu Lasten lokaler Organe deutlich vergrößert. Mit den stehenden Heeren und mit der Wirtschaftspolitik des Merkantilismus schufen sich die absolutistisch regierenden Fürsten effektive neue Machtinstrumente. Zugleich wurden die Differenzen zwischen dem Leben der Fürsten und dem Leben der Untertanen immer grösser. Feuerwerk und kunstvolle Illuminationen prägten den Lebensstil an den Höfen, dazu Tanz und Theater, große Jagden und der ständige Versuch, den Luxus und die Prachtentfaltung an konkurrierenden Höfen noch zu übertreffen. Der Hof von Versailles wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Vorbild für alle Höfe Europas.
Die enge Verbindung von Staat und Kirche, die die Geschichte des Christentums in der Frühen Neuzeit prägte, hat ihren Ursprung in den ersten Jahren der Reformation. Ohne die Hilfe seines Landesfürsten hätte Luther in den Jahren nach 1517 nicht dem vereinten Druck des Papsttums und des neuen Kaisers widerstehen können. Zu Recht wird deshalb in der Forschung von der „Lutherschutzpolitik“ durch den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen gesprochen.8 Auch nach dem päpstlichen Bann und der reichsrechtlich bindenden kaiserlichen Acht im Jahre 1521 konnte Luther seine Botschaft verbreiten, weil er weiterhin den Schutz der sächsischen Kurfürsten genoss. Die langfristigen Folgen dieser Allianz werden häufig übersehen. In allen Territorien, deren Fürsten sich der Lutherbewegung anschlossen, wurden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Kirchen in die innere Staatsverwaltung eingebunden. Kirchenordnungen regelten die Verhältnisse bis in die Details. Gerade dort, wo die Fürsten die Mitregierung der Landstände reduziert oder gar abgeschafft hatten, war zwischen kirchlichen und staatlichen Interessen kein Dissens mehr möglich, konnte von kirchlicher Autonomie keine Rede mehr sein. Der Protestantismus wurde damit auf eine langfristig höchst wirksame, man kann auch sagen: auf geradezu fatale Weise vom Absolutismus der protestantischen Fürsten abhängig.
Mit etwas anderen Akzenten, im Endeffekt aber gleichen Ergebnissen, wurden die Kirchen der katholischen Staaten im Zuge der Gegenreformation und der katholischen Erneuerung ebenfalls zum Teil der inneren Staatsverwaltung. Auch hier bestimmte die staatliche Gewalt, welchen Spielraum die Kirchenvertreter hatten. Auch hier kam es zu einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen den Zielen und Praktiken staatlicher und kirchlicher Politik, wobei die staatliche Seite zunächst in Spanien und später vor allem in Frankreich, aber ebenso in Ländern wie Bayern, ihren Herrschaftsanspruch ohne Skrupel durchsetzte. Gegenüber Madrid und später gegenüber Paris beziehungsweise Versailles und selbst gegenüber München hatte Rom wenig zu sagen. In protestantischen Territorien wie in katholischen Ländern sollte neben der politischen Abhängigkeit auch die finanzielle und ökonomische Abhängigkeit der Kirchen von den ihrer Macht bewussten Fürsten berücksichtigt werden.
Neben der Schweiz bildeten im damaligen Europa allein die Niederlande und in einem eingeschränkten Sinn auch England eine Ausnahme. Nachdem einige Kantone sich der Zwingli’schen Richtung angeschlossen hatten, galten in der Schweiz nach wie vor die lokalen rechtlichen Traditionen. Trotz schwerer innerer Konflikte entwickelte sich auf diese Weise schließlich eine Koexistenz zwischen alt- und neugläubigen Kantonen und Stadtrepubliken. Ähnlich war die Lage in den Niederlanden, wo die reformierten Kirchenvertreter nach dem Sieg über das katholische Spanien zusammen mit den lokalen Kräften den politischen ebenso wie den kirchlichen Kurs des Landes bestimmten, was Streit in Einzelfragen nicht ausschloss. Was England betrifft, so hatte schon Heinrich VIII. die Ansprüche des Parlaments entscheidend geschmälert. Im weiteren Verlauf des 16., vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, gewannen aber die Parlamentsvertreter Schritt für Schritt wiederum einen Teil der Macht zurück und mit ihnen die kirchlichen Gruppen, die sich mit den Ergebnissen der von Heinrich VIII. verfügten Trennung von Rom nicht einverstanden erklärten und sehr viel weitergehende kirchliche Reformen anstrebten. Nach einer turbulenten Phase, in deren Verlauf zunächst die Monarchie abgeschafft, dann aber wieder restituiert wurde, entstand schließlich in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die für Großbritannien typische und dauerhafte Koexistenz zwischen Monarch und Parlament. Etwas anders verlief die Entwicklung in dem territorial zersplitterten Italien, noch einmal anders in Ländern wie Polen und Ungarn, wo es den Ständen ebenfalls gelang, ihre Stellung wenigstens teilweise weiterhin zu erhalten.
Die Gläubigen, die sich dem Anspruch absoluter Herrscher widersetzten, beriefen sich schon seit dem 16. Jahrhundert auf ihr Gewissen, das heißt auf ihre Religionsfreiheit. Nach zahlreichen Konflikten wurde schließlich im Laufe des 17. Jahrhunderts die Religionsfreiheit zum zentralen Anker aller Argumentationen, mit denen die Existenz von politischen Grundrechten begründet wurde. Man mag darüber diskutieren, ob diese neue Tradition, die im späten 18. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und wenig später in Frankreich in umfangreichen Grundrechtskatalogen gipfelte, auf Luther zurückgeht. Zu bedenken ist jedoch, dass Luther, als er auf dem Reichstag in Worms von Kaiser Karl V. aufgefordert wurde, sich von seinen Werken zu distanzieren, sich auf sein Gewissen berief.9 Da sein Gewissen im Wort Gottes gefangen sei, könne und wolle er nicht widerrufen, denn es sei gefährlich und unmöglich, etwas gegen das Gewissen zu tun. So, oder so ähnlich, argumentierten später der Begründer der Mennoniten, Menno Simons, der puritanische Nonkonformist Roger Williams und der schwäbische Pietist Johann Jakob Moser, um nur einige von vielen Beispielen zu nennen. Auch auf Benjamin Franklin und Thomas Jefferson könnte man in diesem Zusammenhang hinweisen.
Für unser Verständnis der frühneuzeitlichen Christentumsgeschichte steckt in dem meist von dissidenten Protestanten vorgetragenen Verweis auf das Gewissen ein elementar wichtiger Gesichtspunkt. Zwar gibt es viele Beweise dafür, dass sich die christlichen Kirchen dem Machtanspruch der Fürsten im vorrevolutionären Europa fügten, diesen gar mit eigenen Argumenten noch bestärkten. Daneben aber waren es immer wieder überzeugte Christen, die den Kern jener Gruppen bildeten, die sich dem Machtanspruch der Fürsten widersetzten und dafür viel riskierten. Menno Simons wurde jahrzehntelang verfolgt, Johann Jakob Moser für mehrere Jahre eingekerkert. Wie der Rechtshistoriker Georg Jellinek schon vor über hundert Jahren darlegte, verdanken wir die Grundrechtskataloge der Neuzeit nicht der Aufklärung, sondern den religiösen Dissidenten der Frühen Neuzeit.10 Sie schufen eine für die gesamte Menschheit elementar wichtige fortschrittliche politische Tradition, die weit über ihre eigene Zeit hinausreicht.
Der Arm der absolutistischen Regime in Europa reichte auch nach Übersee. Die missionarische Präsenz der Jesuiten im Fernen Osten und in Lateinamerika war nur aufgrund des Schutzes denkbar, den zunächst Portugal und später Spanien bereit stellten. Die missionarischen Aktivitäten der Niederländer in Indonesien lebten dagegen vom Schutz der niederländischen Handelskompanien, die ihrerseits politische Protektion genossen. Als im Laufe des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts immer mehr europäische Siedler nach Übersee zogen, wurde zudem eine neue Qualität europäischer Präsenz in den Ländern außerhalb Europas erreicht. Die von diesen Siedlern gegründeten Kirchen unterschieden sich deutlich von den Kirchen in den eigentlichen Missionsgebieten. Nur in den britischen Kolonien in Nordamerika bildeten jene Siedler die Mehrheit, die sich uneingeschränkt für Glaubens- und Gewissensfreiheit einsetzten.
Durch die europäische Expansion nach Übersee, die im späten 15. Jahrhundert begann, die im 16. Jahrhundert große Erfolge erzielte und die auch im 17. und 18. Jahrhundert kontinuierlich weiterging, wurden für die Ausbreitung des Christentums und damit für die Geschichte des Weltchristentums völlig neue Rahmenbedingungen geschaffen. Die von den Europäern initiierten Entdeckungen samt der Eroberung weiter Teile der außereuropäischen Welt bilden somit eine der elementar wichtigen Voraussetzungen zur konzeptionellen Erfassung der Weltgeschichte des Christentums in den gut zwei Jahrhunderten vor Ausbruch der Französischen Revolution. Im Zentrum standen zunächst die von der spanischen und der portugiesischen Krone geleiteten katholischen Missionsunternehmen in Mittel- und Lateinamerika, ferner, etwas später, auch in Ostasien. Im Fernen Osten lag die Initiative lange Zeit bei den Jesuiten. Deren missionarisches Engagement in Japan und China setzte neue Maßstäbe. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts spielten auch die Niederlande bei der Expansion des Christentums nach Ostasien eine größere Rolle, erst im 18. Jahrhundert die vom Halleschen Pietismus unterstützte dänische Krone im indischen Tranquebar. Im gleichen Zeitraum, das heißt im 17. und 18. Jahrhundert, wanderten zahlreiche Gruppen von frommen Dissentern aus England, zum Teil auch aus den Niederlanden und deutschen Territorien, nach Nordamerika aus und gründeten an der amerikanischen Ostküste zahlreiche Gemeinden, zuerst in Massachusetts, später in Rhode Island, Connecticut, New York, Virginia, den Carolinas und Georgia. Seit dem 18. Jahrhundert bestand somit eine substantielle protestantische Präsenz außerhalb Europas. Diese sollte im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in Südafrika, Brasilien und Australien rasch wachsen. In der britischen Kolonie Maryland und in Lateinamerika entstanden dagegen zur gleichen Zeit katholische Siedlerkolonien.
Erst seit dem 16. Jahrhundert ist es gerechtfertigt, ohne Einschränkung von einer globalen Präsenz des Christentums zu sprechen. Die zunächst vor allem von katholischen Staaten, später aber auch von protestantischen Mächten voran getriebene christlich-europäische Expansion bildet den Beginn einer neuen Epoche. Diese neue Epoche steht in einem signifikanten Unterschied zu den Jahrhunderten vorher, in denen die Europäer nur sporadisch über ihren eigenen Kulturkreis hinaus gekommen waren, und sie ist zugleich eine wichtige Voraussetzung für die weltpolitische Bedeutung des Christentums im 19. sowie dann im 20. Jahrhundert. Im vorliegenden Band widmen sich deshalb besondere Beiträge der Geschichte des Katholizismus in Lateinamerika im Zusammenhang mit der Geschichte der katholischen Kirchen in Spanien und Portugal, dem teilweise sehr viel älteren Christentum in Afrika, ferner den Erfolgen und Misserfolgen der Jesuitenmission in China sowie der Ausbreitung des Christentums in den britischen Kolonien in Nordamerika von den Anfängen im frühen 17. Jahrhundert bis zum späten 18. Jahrhundert. Auf diese Weise erhält die globale Dimension des Christentums im Zeitalter vor dem Imperialismus und dem Kolonialismus der europäischen Mächte deutliche Konturen und die notwendige Substanz.
Aus Sicht der Kunst-, der Musik- und der Architekturgeschichte wird das frühneuzeitliche Europa als das Zeitalter des Barock bezeichnet, aus Sicht der Wissenschaftsgeschichte in aller Regel als das Zeitalter grundlegender Entdeckungen und der Entstehung der modernen Naturwissenschaften. Wie wir heute wissen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass ebenso wie die Künste auch die neuen Wissenschaften das Christentum jener Ära nachhaltig veränderten. Zu erörtern ist somit, wie eindrucksvolle Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaft und neue Richtungen auf dem Gebiet der Künste die Geschichte des Weltchristentums beeinflussten.
Schon im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus waren neue Formen der künstlerischen Gestaltung und neue Horizonte des Wissens erschlossen worden. In den folgenden zwei Jahrhunderten kam es in den europäischen Ländern geradezu zu einer Explosion der künstlerischen und auch der wissenschaftlichen Kräfte. Während es aber den großen Kirchen gelang, die Künste – die Architektur ebenso wie die Musik – in ihren Dienst zu stellen und somit der christlichen Botschaft auf neue Weise einen überzeugenden Ausdruck zu verleihen, ließen sich die Ergebnisse der neuen Wissenschaften nicht ohne weiteres weder in die katholische noch in die protestantische Sicht der Welt einfügen. Dabei zeigten sich interessante konfessionelle Unterschiede.
In den protestantischen Ländern gelang es weitgehend, die durch Experiment und Empirie gewonnenen neuen Erkenntnisse in das christliche Weltbild einzuordnen. Neben dem „Buch der Geschichte“, also neben der in der Hebräischen Bibel und im Neuen Testament vermittelten Botschaft, wurden die naturwissenschaftlichen Beobachtungen von vielen Geistlichen als im Hinblick auf den Geltungsanspruch des Christentums gleichrangige Erkenntnisse aus „Gottes Buch der Natur“ angesehen. Die Physikotheologie, das heißt die Beschäftigung mit den vielfältigen Formen der in der Natur offenbar gewordenen Schöpfung Gottes, bildete damit gewissermaßen eine zweite Säule des Glaubens. In der katholischen Kirche waren, wie etwa der Konflikt mit Galileo Galilei zeigt, die Auseinandersetzungen dagegen schärfer und prinzipieller. Hier kam es erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, das heißt erst in dem Maße, in dem sich auch in der katholischen Kirche teilweise Ideen der Aufklärung durchsetzten, zu einer Minderung der Spannungen zwischen den seit dem Konzil von Trient propagierten Glaubensinhalten und dem, was erkenntnishungrige Wissenschaftler publizierten.
Man mag darüber streiten, wie stark der Einfluss der neuen Kunst- und Musikrichtungen sowie vor allem der Einfluss der neuen Erkenntnisse auf den Gebieten der Mathematik, der Physik, der Chemie, der Medizin und vor allem der Astronomie auf die christlichen Kirchen war. Denn auf der einen Seite war in allen Ländern Europas im Zuge der Konfessionalisierung die dogmatische Ausrichtung der kirchlichen Lehre verschärft worden. Auf der anderen Seite änderte sich aber in allen Kirchen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die Art und Weise der Selbstdarstellung. In protestantischen Gottesdiensten wurden viele neue Lieder gesungen. Protestanten wie Dietrich Buxtehude und Johann Sebastian Bach schufen Musikwerke von Ewigkeitswert. Für viele Christen wurden Bachs Kompositionen geradezu zum Inbegriff wahrer christlicher Frömmigkeit. Zwar wurden in dieser Periode in den protestantischen Ländern nur wenige neue Kirchen gebaut. Fast alle älteren Kirchen, die noch aus dem Zeitalter der Romanik und der Gotik stammten, erhielten in den protestantischen Territorien aber ein neues, nach dem Geschmack der Zeit gestaltetes und in aller Regel höchst kunstvolles Interieur, dazu auch neue, meist sehr wertvolle Orgeln.
In der katholischen Kirche war in der gleichen Epoche der Wunsch nach neuer künstlerischer Gestaltung deutlich stärker ausgeprägt. In Italien, aber auch in anderen Ländern, wurden nicht nur die älteren Kirchen neu ausgestattet, sondern eindrucksvolle neue Kirchen im Barockstil gebaut, später, im 18. Jahrhundert, weitere Kirchen im Stil des Rokoko. An den katholischen Höfen waren Musiker und Orchester von hohem Rang tätig. Auch im konfessionell katholischen Milieu wurden bedeutende Musikwerke geschaffen. Viele Kunst- und Musikhistoriker sprechen von einem typisch katholischen und einem typisch protestantischen Stil. Eine solche Aussage gilt aber nur für die etablierten Kirchen. In Kreisen der Dissenter waren die Lieder einfacher und die Gebäude, in denen sie sich versammelten, schlichter. Hier galt auch auf den Gebieten der Kunst und Musik eine mit Nachdruck betonte Askese als Ausdruck der wahren Gläubigkeit. Noch einmal ganz anders ist die Art und Weise zu beurteilen, wie in den orthodoxen Kirchen die Liturgie immer prachtvoller ausgestattet und zelebriert wurde.
Etwas anders sind die Zusammenhänge auf dem Gebiet der neuen Wissenschaften zu beurteilen. Noch waren damals Chemie und Alchemie, Astronomie und Astrologie nicht scharf geschieden. Noch war damals der Kanon der modernen Wissenschaften nicht definiert, in dem Fragen und Themen der Religion und Fragen und Themen der Wissenschaften wie zwei verschiedene Welten behandelt werden. Im Gegenteil: Vor allem im Protestantismus, so etwa in England, Deutschland und Skandinavien, betätigten sich Geistliche ohne Bedenken als Chemiker oder als Astronomen. Sie widmeten sich vor allem der Alchemie und der Astrologie. Manche von ihnen hofften, sie könnten auf diese Weise neue Beweise für Gottes Allmacht finden. Umgekehrt beschäftigten sich die herausragenden Physiker und Mathematiker der Zeit, so etwa Isaac Newton, ihr ganzes Leben mit religiösen Fragen und versuchten, Sinn und Gehalt der biblischen Bücher zu verstehen. Nicht zu übersehen ist, dass auch viele der Missionare, die in Übersee tätig waren, sich als Naturforscher einen Namen machten und manche auch als Sprachforscher. Das gilt für die Jesuiten in China ebenso wie für die Pietisten in Tranquebar. Mit außerordentlichem Eifer waren viele der Missionare bestrebt, den Christen in der Heimat das neue Wissen zugänglich zu machen, das sie draußen in der Fremde kennen lernten. An vielen europäischen Höfen wurden exotische Exponate aus fernen Ländern in sogenannten Wunderkammern dem staunenden Publikum präsentiert. Die christlich-europäische Expansion führte somit zu einer bemerkenswerten Steigerung des Wissens innerhalb der christlich-europäischen Welt.
In den vergangenen drei Jahrzehnten ist eine weitere Deutung der Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts auf besonderes Interesse gestoßen, die nicht zuletzt auch für die Erklärung der Geschichte des Christentums neue Einsichten bietet: Es sind die verschiedenen Publikationen zur Krise – besser: zu den Krisen – des 17. Jahrhunderts. Seit etwa drei Jahrzehnten diskutieren Forscher vieler Länder intensiv über die These von der „Kleinen Eiszeit“ und über deren kulturelle Auswirkungen.11 Nachdem Historiker wie Theodore Rabb und Henry Kamen schon vor mehr als einer Generation erklärt hatten, wie die machpolitischen Konflikte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einer schweren politischen und verfassungspolitischen Krise führten, aus der heraus dann neue Stabilität, das heißt eine neue politische Ordnung entstand, wird seit etwa dreißig Jahren vor allem von Historikern wie Wolfgang Behringer und Christian Pfister erforscht, wie gravierend die Folgen der Klimaverschlechterung waren, die ganz Europa seit den 1560er und den 1570er Jahren erfasste. Mit Hilfe verschiedener, sehr präziser naturwissenschaftlicher Methoden sind die Daten inzwischen so weit gesichert, dass das Faktum dieser säkularen Klimaverschlechterung nicht mehr ignoriert werden kann.
Fest steht, dass im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die Durchschnittstemperaturen deutlich sanken. Eine Häufung von extrem langen und kalten Wintern sowie von nassen, ungewöhnlich kalten Sommern kann registriert werden sowie als Folge eine Serie von schlechten Ernten und in einigen Jahren sogar von totalen Ernteausfällen. Schlimme Hungersnöte waren die Folgen, ebenso verheerende Seuchen, da Menschen, denen es an guter Nahrung mangelt, leichter Opfer von Krankheiten werden. Erst im 18. Jahrhundert verbesserte sich allmählich das Klima wieder und damit die allgemeine Versorgungslage und der Gesundheitszustand der Bevölkerung. Wie es scheint, war Mitteleuropa besonders betroffen. Es gibt jedoch Hinweise, dass sich auch in Ländern wie China und Japan das Klima im 17. Jahrhundert deutlich verschlechterte, dass auch dort Missernten zu politischen Turbulenzen führten. Bei der „Kleinen Eiszeit“ haben wir es wahrscheinlich nicht nur mit einem europäischen, sondern, wie Geoffrey Parker betont, mit einem globalen Phänomen zu tun.12
Aus den Erhebungen der Demographieforschung wissen wir, dass die Bevölkerung in Europa, die in den ersten zwei Dritteln des 16. Jahrhunderts kräftig gewachsen war, im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts stagnierte und in einigen Teilen Europas, vor allem in Mitteleuropa, im 17. Jahrhunderts sogar deutlich zurückging. Lange Zeit richteten sich die Blicke der Historiker allein auf die desaströsen Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs. Inzwischen ist aber klar, dass ganz Europa vom ausgehenden 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert vor einer dreifachen Herausforderung stand: Missernten führten immer wieder zu Hungersnöten; Seuchen breiteten sich in der gesundheitlich geschwächten, schlechter ernährten Bevölkerung aus; dazu kam noch eine Serie von verheerenden Kriegen. Millionen Menschen verloren in jener Zeit das Leben. Der Tod wurde zum ständigen Begleiter der Menschen, und die Menschen haderten mit Gott. In Gedichten und Schriften wurde das „Memento Mori“ („Bedenke, dass du sterblich bist“) beschworen. Warum ging es ihnen schlechter als den vorangehenden Generationen, fragten viele. Warum wurde ihre Generation von Gott so hart bestraft? Was konnte getan werden, um Gottes Zorn zu besänftigen?
Es sind diese Fragen und diese Zweifel, die konfessionsübergreifend gewaltige, aus Sicht der Religionshistoriker faszinierende Veränderungen im religiösen Leben auslösten: Viele Zeitgenossen sahen in Hexen die Übeltäter. Dementsprechend setzten sie alles daran, die Menschen, von denen sie glaubten, sie seien Hexen, zu fangen und zu eliminieren. Viele Protestanten waren dagegen überzeugt, das Ende der Zeiten sei gekommen, das Jüngste Gericht stünde bevor. Wiederum andere, vor allem Katholiken, versuchten Gott gnädig zu stimmen, indem sie sich mit Eifer an Wallfahrten beteiligten. Konfessionsübergreifend wurde erbauliche Literatur produziert, gekauft und gelesen, meist Traktate, teilweise aber auch dicke Bücher, deren Autoren dargelegten, wie man leben müsse, damit man am Tag des Jüngsten Gerichts vor Gott bestehen und das ewige Heil erlangen könne. Ebenfalls konfessionsübergreifend wurden Tausende von Leichenpredigten publiziert. Die Verstorbenen wurden als exemplarische Christen dargestellt und den Überlebenden als Vorbilder geschildert. Lohnend ist die Frage, ob und inwieweit es Ähnlichkeiten gab zwischen der Art und Weise, wie Christen im 14., im 17. und im 20. Jahrhundert auf die Krisen ihrer Zeit reagierten. Alle drei Zeitalter wurden von verheerenden Kriegen heimgesucht, in allen drei Zeitaltern ging es um die Bewältigung von gravierender äußerer Not, in allen drei um den Versuch, die Kräfte der Zerstörung und des Bösen zu bändigen.13
Von grundlegender Bedeutung ist schließlich eine in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem von dem Münchner Kirchenhistoriker Klaus Koschorke immer wieder betonte These: die These von der polyzentrischen Struktur des Weltchristentums. Seit Beginn der Geschichte des Christentums gab es, so Koschorke, nicht ein Zentrum, sondern mehrere Zentren des Christentums, die miteinander in einem mehr oder weniger intensiven Kontakt standen. Was den in diesem Band behandelten Zeitraum in der Geschichte des Christentums so faszinierend macht, ist die Tatsache, dass in dieser Periode die älteren Zentren der Christenheit durch neue vitale Zentren ergänzt wurden. Um die Geschichte des Weltchristentums im 19. und im 20. Jahrhundert zu verstehen, ist es deshalb notwendig, die sich dynamisch entwickelnde polyzentrische Struktur des Weltchristentums von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu würdigen.14