Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen - Silvio Herzog - E-Book

Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen E-Book

Silvio Herzog

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Beschreibung

Depression and burnout have become typical occupational diseases for teachers. Healthy teachers are obviously a prerequisite for successful teaching work. On the basis of selected theoretical models and research-based findings, this volume examines the issue of how teachers can stay healthy in their profession over the longer term. Promotion of health is considered from the points of view of both the individual teacher and the school; the whole range of a teacher=s professional biography is examined. The textbook can be used for courses for student teachers and in-service training for teachers, as well as for school management and steering groups for workplace health promotion in schools.

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Der Autor/die Autorinnen

Silvio Herzog, Prof. Dr., Erziehungswissenschaftler, Rektor, Pädagogische Hochschule Schwyz; Arbeitsschwerpunkte: Gesundheit von Lehrkräften, Berufsbiografien, Zukunft der Schule, Zukunft der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Anita Sandmeier, Prof. Dr., Erziehungswissenschaftlerin, Leiterin Professur Personalentwicklung im Schulkontext, Pädagogische Hochschule Schwyz; Arbeitsschwerpunkte: Professionelle Entwicklung, Gesundheit und berufliche Mobilität von Lehrkräften

Benita Affolter, Dr., Erziehungswissenschaftlerin, Leiterin Studiengang Primarstufe, Pädagogische Hochschule Thurgau; Arbeitsschwerpunkte: Professionalisierung und Kompetenzentwicklung von Lehrpersonen in der Ausbildung und im Berufseinstieg

Silvio Herzog, Anita Sandmeier, Benita Affolter

Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen

Eine Einführung

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Für alle, die sich für gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen einsetzen.

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034765-6

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-034766-3

epub:     ISBN 978-3-17-034767-0

mobi:     ISBN 978-3-17-034768-7

Vorwort

 

 

Ob »Beanspruchung und Bewältigung im Lehrerberuf« (Herzog, 2007)1, »Psychische Gesundheit und Lebensbewältigung vom Jugendalter ins frühe Erwachsenenalter« (Sandmeier, 2010)2 oder »Engagement und Beanspruchung von Lehrpersonen in der Phase des Berufseintritts« (Affolter, 2019)3 – es ist der wissenschaftliche Zugang, der uns als Autorinnen und Autor des vorliegenden Buches zum Thema der Gesundheit (von Lehrkräften) geführt hat. In der Zwischenzeit sind wir leitend, bildend, beratend, forschend und entwickelnd in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung tätig. Durch diese Tätigkeiten hat sich unser Interesse für die Frage verstärkt, wie evidenzbasiertes Wissen Eingang in die Konzepte und Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit von Lehrkräften findet. So entstand die Idee, ein Buch zu schreiben, das zu praxisrelevanten Fragen wissenschaftliches Wissen zusammenträgt, dieses gewichtet und daraus prägnante Kernaussagen ableitet. Diese inhaltliche Prägnanz und verschiedene Veranschaulichungen im Text sollen dabei helfen, den Diskurs mit den Studierenden, den Lehrkräften, den Schulleitungen, der Bildungsverwaltung und -politik, aber auch mit den Kolleginnen und Kollegen in der Grundausbildung, der Weiterbildung und der Beratung zu intensivieren. Auf diese Weise erhoffen wir uns, der systematischen Bearbeitung der Förderung der Gesundheit von Lehrkräften zu mehr Durchschlagskraft zu verhelfen, weil sie für den Erfolg von Schule und die Stärkung des Lehrberufs von zentraler Bedeutung ist.

Bei diesem Vorhaben sind wir in vielfältiger Weise unterstützt worden. Wir danken dem Verlag Kohlhammer, der unser Vorhaben mit seiner Anfrage initiierte und es anschließend auch bis zur Veröffentlichung begleitete. Weiter danken wir Aldo Bannwart, Andrea Christen, Katrin Futter, Ewald Terhart und Karin Ulrich, die uns wertvolle Rückmeldungen zur Aussagekraft unseres Lehrbuchs gegeben haben. Wir danken Jonna Truniger für das umsichtige Lektorat, Vincent Keller für die Herstellung der Grafiken und Roland Siegenthaler für den kreativen Erarbeitungsprozess zu den Illustrationen in Kapitel 9. Den Pädagogischen Hochschulen Schwyz und St. Gallen sprechen wir unseren Dank für die finanzielle und ideelle Unterstützung unseres Vorhabens aus.

Und schließlich danken wir auch allen Leserinnen und Lesern unseres Buches, die damit ihr Interesse an der Thematik bezeugen und unsere Aussagen mit ihren eigenen Erfahrungen, Erkenntnissen und Tätigkeiten verbinden. Ihnen ist unser Buch gewidmet.

Goldau/St. Gallen, im Mai 2021

Silvio Herzog, Anita Sandmeier, Benita Affolter

1     Herzog, S. (2007). Beanspruchung und Bewältigung im Lehrerberuf. Eine salutogenetische und biografische Untersuchung im Kontext unterschiedlicher Karriereverläufe. Münster: Waxmann.

2     Sandmeier, A. (2010). Psychische Gesundheit und Lebensbewältigung vom Jugendalter ins frühe Erwachsenenalter. Der Einfluss von Beziehungserfahrungen auf die Entwicklung von Ich-Stärke. Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Verfügbar unter http://opac.nebis.ch/ediss/20100908_003203825.pdf

3     Affolter, B. (2019). Engagement und Beanspruchung von Lehrpersonen in der Phase des Berufseintritts: Die Bedeutung von Zielorientierungen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Persönlichkeitsmerkmalen im JD-R Modell. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorwort

1   Einleitung:

1.1   Ausgangslage

1.2   Zur Zielgruppe und zu den Ansprüchen des Buches

1.3   Zum Aufbau des Buches

Literaturverzeichnis zu Kapitel 1

Erster Teil: Grundlagen

2   Gesundheit – Begriffe und Modelle

2.1   Grundlegende Begriffe

2.2   Theoretische Modelle

2.3   Kernaussagen des Kapitels

2.4   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 2

3   Gesundheit von Lehrkräften im Arbeitskontext »Schule«

3.1   Tätigkeiten und Anforderungen des Lehrberufs

3.2   Rahmenbedingungen des Lehrberufs

3.3   Eigenschaften und Kompetenzen von Lehrkräften

3.4   Gesundheitsfördernde Gestaltung des Kontexts

3.5   Kernaussagen des Kapitels

3.6   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 3

Zweiter Teil: Gesundheit in der Berufsbiografie

4   Gesundheit von Lehrkräften – Chancen und Grenzen des Lehramtsstudiums

4.1   Individuelle Merkmale und die Gesundheit von Lehrkräften

4.2   Abklärung der Berufseignung

4.3   Aufbau von gesundheitsfördernden Kompetenzen im Lehramtsstudium

4.4   Praktika und die Gesundheit zukünftiger Lehrkräfte

4.5   Chancen und Grenzen des Lehramtsstudiums in Bezug auf die Gesundheit

4.6   Kernaussagen des Kapitels

4.7   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 4

5   Gesundheit und Einstieg in den Lehrberuf – Potenzial und Gefährdung

5.1   Professionalisierung und Gesundheit von Lehrkräften in der Berufseinstiegsphase

5.2   Berufseinführungsprogramme

5.3   Kernaussagen des Kapitels

5.4   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 5

6   Über den Berufseinstieg hinaus – gesund bleiben im Lehrberuf

6.1   Biografischer Zugang – Grundlagen

6.2   Berufsbiografischer Zugang – Stand der Forschung

6.3   Kernaussagen des Kapitels

6.4   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 6

Dritter Teil: Gesundheit im Kontext des Professionsverständnisses, der Gesundheitsförderung und der Bildungspolitik

7   Gesundheit von Lehrkräften als Teil des Professionsverständnisses

7.1   Wissenschaftliche Professionsansätze und Gesundheit

7.2   Berufsleitbilder und Gesundheit

7.3   Professionsstandards und Gesundheit

7.4   Lehrberuf und Gesundheit im öffentlichen Diskurs

7.5   Kernaussagen des Kapitels

7.6   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 7

8   Gesundheit von Lehrkräften als Teil nachhaltiger Schulentwicklung

8.1   Akteurinnen und Akteure einer gesundheitsfördernden Schule

8.2   Grundlagen der betrieblichen Gesundheitsförderung in Schulen

8.3   Kernaussagen des Kapitels

8.4   Reflexionsfragen

Literaturverzeichnis zu Kapitel 8

9   Wir brauchen gesunde Lehrkräfte für gesunde Schulen – ein Fazit

9.1   Gründe für die Förderung der Gesundheit von Lehrkräften

9.2   Leitsätze Förderung der Gesundheit von Lehrkräften

1          Einleitung

 

 

 

»Gesundheit ist die erste Pflicht im Leben.«

Oscar Wilde

1.1       Ausgangslage

Gesundheit und Pädagogik sind seit den Anfängen der institutionalisierten Volksschulbildung eng miteinander verbunden. Entsprechend hat die Auseinandersetzung von Wissenschaft und Praxis mit dem Thema der gesunden Schule eine lange Geschichte (Aregger & Lattmann, 2003). Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass sich die Betrachtungsweisen zur Thematik stetig und teilweise auch ganz grundsätzlich verändert haben. Für das heutige Verständnis der Gesundheitsförderung in Schulen scheinen uns vor allem drei besondere Wendungen zentral.

Für einen ersten zentralen Perspektivenwechsel war die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1946 verantwortlich. Sie definierte Gesundheit als den »Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen« (WHO, 1946, S. 1). In dieser Definition wurde die bis zu jenem Zeitpunkt hauptsächlich im Fokus stehende körperliche Dimension durch psychische und soziale Aspekte von Gesundheit ergänzt. Gesundheit sollte zudem mehr umfassen, als nur »nicht krank« zu sein. Auf dieser erweiterten, positiven Bestimmung von Gesundheit konnten weitere Entwicklungen aufbauen. An der ersten Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO in Ottawa 1986 wurde das Ziel der Gesundheitsförderung erweitert (sog. Ottawa-Charta). In den Vordergrund wurde der »Prozess« gerückt, was dazu beitragen sollte, »allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen« (WHO, 1986, S. 1). Dadurch wurde die Gesundheitsförderung dynamisiert und Gesundheit nicht mehr länger nur als Zustand verstanden. Zudem wurde die Gesundheitsförderung mit dem Ziel der Selbstbestimmung stärker personalisiert, was nicht ohne den dringlichen Hinweis erfolgte, dass dabei auch das Umfeld und dessen Akteurinnen und Akteure in die Verantwortung einzubeziehen seien.

Einen zweiten prägenden Zugang eröffnete der salutogenetische Ansatz des amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky. Antonovsky (1997) ging davon aus, dass Stressoren in unserem Leben omnipräsent sind. Die Grundsatzfrage, die es aus salutogenetischer Perspektive zu klären gilt, lautet deshalb: Wie können Menschen trotz Belastungen gesund bleiben bzw. ihre Gesundheit wiederherstellen? Mit diesem Zugang wird den Ressourcen der erfolgreichen Bewältigung bei der Erforschung und in der Förderung gesundheitsbezogener Aspekte besondere Beachtung geschenkt, ohne die Stressoren auszublenden.

Eine dritte bedeutsame Wende in der Betrachtung von Gesundheit lässt sich weniger auf theoretische Modelle als vielmehr auf empirische Befunde zurückführen. So zeigen neuere Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien, dass die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern in vielfacher Weise mit Schulqualität zusammenhängen (Klusmann, Kunter, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2008; Klusmann, Richter & Lüdtke, 2016). Diesen Befunden zufolge haben die Gesundheit und das Wohlbefinden von Lehrerinnen und Lehrern einen Einfluss auf das Wohlbefinden, die Leistungsmotivation und den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern. Gesunden Lehrkräften gelingt es besser, eine positive soziale Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen als ungesunden Lehrkräften. Sie gestalten einen besseren Unterricht und haben nachweislich einen positiven Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Die Frage, was Lehrkräfte langfristig gesund und erfolgreich im Beruf hält, erhält deshalb unmittelbare Relevanz für die Bildungs- und Erziehungsqualität und den »Output« von Schulen, das heißt für die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse muss die Gesundheitsförderung vom »Kopf auf die Füße gestellt« werden, wie es Paulus (2003) bereits vor längerer Zeit gefordert hatte.

Betriebliche Gesundheitsförderung in Schulen ist somit nicht mehr ein »Exotenthema« oder »nice to have«, sondern bildet die Grundlage für Schulqualität. In Zeiten des Lehrkräftemangels erhält das Thema zusätzlich Dringlichkeit, denn Studien, wie beispielsweise jene von Brägger (2019), die sich auf die Situation in der Schweiz bezieht, zeigen, dass Lehrkräfte ihr Lehrdeputat reduzieren, um Belastungen zu minimieren. Lehrkräfte werden wegen Dienstunfähigkeit frühpensioniert (Gehrmann, 2013), und der Lehrberuf ist angesichts der negativen Schlagzeilen zu wenig attraktiv, um genügend neue Personen dafür zu gewinnen (Köller, Stuckert & Möller, 2019). Damit weitet sich der Blickwinkel auf das Thema der Förderung der Gesundheit von Lehrkräften und erhält höchste Relevanz und Aktualität für die Führung von Schulen, den Lehrberuf wie auch die Lehrerinnen und Lehrer selbst.

1.2       Zur Zielgruppe und zu den Ansprüchen des Buches

»Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen« ist als einführendes Lehrbuch konzipiert worden. Es richtet sich an verschiedene Zielgruppen: In erster Linie angesprochen werden sollen alle (zukünftigen) Lehrerinnen und Lehrer, die reflektiert mit ihren eigenen Erfahrungen mit beruflichen Belastungen umgehen möchten. Zweiter zentraler Adressat sind Schulleitungen, die das Ziel verfolgen, die Arbeitsbedingungen an ihrer Schule so zu gestalten, dass ihre Lehrkräfte den beruflichen Alltag gesund meistern und dadurch zur Qualität der Schule beitragen können. Drittens wird die Lehrerinnen- und Lehrerbildung adressiert, die über Aus-, Fort- und Weiterbildung, Beratung sowie Forschung und Entwicklung einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung von Lehrkräften und Schulen leisten kann. Und viertens wendet sich das Buch an die Berufsverbände und die Bildungspolitik, die in der Thematik und ihrer öffentlichen Darstellung eine bedeutsame Rolle spielen. Wir richten uns in unseren Ausführungen auf das deutschsprachige Europa aus. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz gegeben sind, werden so weit wie möglich berücksichtigt.

Mit dem Lehrbuch verfolgen wir den grundlegenden Anspruch, theoretische Modelle und forschungsbasierte Erkenntnisse transferorientiert aufzubereiten. Den forschungsbasierten Zugang halten wir gerade bei einem Thema für zentral, das stark von subjektiven Theorien geprägt ist. Denn wir sind überzeugt: Will man die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern systematisch fördern, braucht es tragfähige, gesicherte Informationen, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema erarbeitet wurden und vom einzelnen Individuum und seinen Erfahrungen abstrahieren. Die Darstellung zentraler Begriffe und Modelle ( Kap. 2), der Besonderheiten des Arbeitskontexts von Lehrkräften ( Kap. 3) und der jeweilige Stand der empirischen Forschung bilden deshalb in allen Kapiteln die zentralen Grundlagen der Ausführungen.

Damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den konkreten Alltag transferiert werden können, braucht es eine spezifische Aufbereitung. Das Lehrbuch strebt keinen umfassenden Überblick über alle vorliegenden Theorien und Forschungsergebnisse an, sondern nimmt eine bewusste Auswahl vor, um Orientierung für die Praxis zu bieten. Auf alternative Modelle und umfassende Darstellungen wird in den jeweiligen Kapiteln jedoch stets verwiesen. Die Auswahl der theoretischen Ansätze und empirischen Befunde basiert auf der systematischen Auseinandersetzung der Autorinnen und des Autors mit der Frage, was die zentralen Forschungserkenntnisse zur Thematik sind und welche Zugänge sich für die Rezeption am besten eignen.

Ein weiterer Anspruch des Lehrbuches besteht darin, Gesundheitsförderung integriert zu denken. Wir behandeln das Thema 1) ausgehend von den Besonderheiten des Arbeitskontexts von Lehrkräften, 2) eingebettet in die individuelle, begleitete Berufsbiografie, 3) zusammenhängend mit der beruflichen Professionalität von Lehrkräften und 4) als Teil nachhaltiger Schulführung und Schulentwicklung. Auf diese Weise berücksichtigen wir explizit sowohl die personenspezifische als auch die systemische Perspektive.

Wir haben dieses Buch mit dem Ziel geschrieben, dass die einzelnen Kapitel nicht nur für Lehrzwecke oder in Lesezirkeln im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und Schulleitenden eingesetzt werden können, sondern auch in der internen Diskussion in Lehrkräfteteams. Um den Transfer der Inhalte in die Praxis zu erleichtern, folgen alle Kapitel derselben Struktur: Ein Fallbespiel und Fragen zur Aktivierung des Vorwissens leiten jeweils in die Thematik ein. Darauf folgt eine differenzierte Darstellung relevanter Modelle und ausgewählter Erkenntnisse zum Themenbereich, die am Ende des Kapitels mit pointierten Kernaussagen auf den Punkt gebracht wird. Abschließend werden Reflexionsfragen formuliert, die den Transfer auf den eigenen Kontext und die jeweilige Tätigkeit der Leserin und des Lesers unterstützen sollen. Ein Verzeichnis der einbezogenen Literatur bietet die Möglichkeit einer erweiterten und vertieften Befassung mit den Inhalten der einzelnen Kapitel.

1.3       Zum Aufbau des Buches

Das Lehrbuch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden in zwei Kapiteln die Grundlagen für die nachfolgenden beiden Teile des Buches dargestellt. Eine einheitliche, präzise Sprache und die Verwendung von empirisch abgestützten und für den Lehrberuf relevanten Modellen haben unseres Erachtens eine hohe Relevanz auch für das Handeln in der Praxis. Diese beiden Kapitel richten sich an alle Zielgruppen.

In Kapitel 2: Gesundheit – Begriffe und Modelle ( Kap. 2) werden die grundlegenden Begriffe bestimmt und die zentralen theoretischen Modelle vorgestellt. Diese Basisinformationen sollen es ermöglichen, die Prozesse zu verstehen, die dazu führen, dass Arbeit langfristig krank macht oder aber motivierend und sinnstiftend erlebt wird. Diese theoretisch-konzeptionellen Grundlagen sind berufsunspezifisch und gelten für alle Berufe.

In Kapitel 3: Gesundheit von Lehrkräften im Arbeitskontext »Schule« ( Kap. 3) werden die Besonderheiten des Lehrberufs und der darin tätigen Personen auf einer übergeordneten, von der einzelnen Person unabhängigen Ebene beschrieben. Dadurch wird eine Folie gelegt, auf der die spezifischen Erfahrungen von Lehrkräften in Schulen reflektiert werden können.

Auf der Basis der einführenden, grundlegenden Kapitel wird im zweiten Teil des Buches der Erkenntnisstand zur Gesundheit im beruflichen Verlauf von Lehrkräften dargestellt. Damit sprechen wir auch Fachpersonen der Begleitung – in Grundausbildung, Fort- und Weiterbildung sowie Beratung – gezielt auf ihre Möglichkeiten der Unterstützung an und positionieren die Gesundheitsförderung gleichzeitig als berufsbiografisches Thema. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich die optimale Passung zwischen der Lehrkraft und ihrem Umfeld auch unter veränderten Bedingungen immer wieder herstellen lässt.

Kapitel 4: Gesundheit von Lehrkräften – Chancen und Grenzen des Lehramtstudiums ( Kap. 4) thematisiert die Frage, was das Lehramtsstudium dazu beitragen kann, dass die zukünftigen Lehrkräfte über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um die beruflichen Aufgaben gesund bewältigen zu können. Ebenfalls eingegangen wird auf Grenzen der Grundausbildung. Somit werden neben Studierenden und Ausbildenden auch Leitungspersonen aus Institutionen der Lehrkräftebildung angesprochen, die Lehrerinnen- und Lehrerbildung als Kontinuum von Aus-, Fort- und Weiterbildung verstehen.

Kapitel 5: Gesundheit und Einstieg in den Lehrberuf – Potenzial und Gefährdung ( Kap. 5) fasst den aktuellen Forschungsstand zur ersten Laufbahnphase zusammen. Im Zentrum stehen die berufliche Sozialisation und die Frage, wie die im Lehramtsstudium erworbenen Kompetenzen im Zusammenspiel mit den Anforderungen des Einstiegs in die Praxis die Gesundheit beeinflussen und wie der Berufseinstieg möglichst optimal gestaltet werden kann. Dieses Kapitel richtet sich insbesondere an Verantwortliche der Berufseinführung, Schulleitungen, berufseinsteigende Lehrkräfte und Fachpersonen der Bildungsverwaltung.

Kapitel 6: Über den Berufseinstieg hinaus – gesund bleiben im Lehrberuf ( Kap. 6) erweitert den Blick auf die nachfolgenden Laufbahnphasen. Neben der Zusammenstellung von Forschungsergebnissen werden Grundlagen erarbeitet, die aufzeigen, wie Konzepte der Personalentwicklung, der Fort- und Weiterbildung sowie der Beratung berufsbiografisch ausgerichtet werden können, damit Lehrkräfte in sich verändernden Rahmenbedingungen gesund bleiben. Diese Ausführungen sind insbesondere für Schulleitungen, Fachpersonen der Fort- und Weiterbildung und der Beratung sowie für die Lehrkräfte selbst geschrieben.

Im dritten Teil stellen wir die Förderung der Gesundheit von Lehrkräften in den Kontext der Profession, des Schulsystems und der Bildungspolitik. Darin wird die bereits dargelegte zentrale Aussage dieses Buches erkennbar, dass die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern nicht isoliert betrachtet und bearbeitet werden darf. Vielmehr müssen die Konzepte der Gesundheitsförderung in das Professionsverständnis von Lehrkräften (individuelle Ebene) und in die betriebliche Gesundheitsförderung an Schulen (systemische Ebene) integriert werden. Des Weiteren gilt es, die Gesundheit der Lehrkräfte als bedeutsamen Teil von Schulqualität in den bildungspolitischen Diskurs einzubringen.

In Kapitel 7: Gesundheit von Lehrkräften als Teil des Professionsverständnisses ( Kap. 7) geht es darum, berufliche Gesundheit anhand von Professionsmodellen und mit Blick auf eine Professionslogik zu verstehen. Zu diesem Zweck wird ausgehend von Professionstheorien beleuchtet, inwiefern Gesundheit Teil beruflicher Kompetenz ist. Dies wird vor dem Hintergrund von Berufsstandards, Standesregeln und dem öffentlichen Diskurs kritisch diskutiert. Verantwortliche der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Berufsverbände, Schulleitungen und die Lehrkräfte selbst sind die zentralen Zielgruppen dieses Kapitels.

Kapitel 8: Gesundheit von Lehrkräften als Teil nachhaltiger Schulentwicklung ( Kap. 8) betrachtet die Gesundheit im Kontext des Schulsystems. Berücksichtigt werden verschiedene Akteurinnen und Akteure auf der Makroebene des Schulsystems (Bildungspolitik, Bildungsverwaltung) und der Mesoebene der einzelnen Schule (Schulleitung, Kollegium, Schülerinnen und Schüler, Eltern). Im Fokus steht dabei die Frage, wie man die Gesundheit des Lehrpersonals mit betrieblicher Gesundheitsförderung systematisch stärken kann. Adressatinnen und Adressaten dieses Kapitels sind hauptsächlich Schulleitungen und Lehrkräfte in Steuergruppen, aber auch Fachpersonen, die in der Beratung oder Fort- und Weiterbildung von Schulleitungen und Steuergruppenmitgliedern tätig sind.

Kapitel 9: Wir brauchen gesunde Lehrkräfte für gesunde Schulen – ein Fazit ( Kap. 9) fasst die wesentlichen Aussagen des Buches zusammen. Im Hinblick auf den unter allen Beteiligten erforderlichen Diskurs werden drei Gründe für die Gesundheitsförderung und sechs Leitsätze für die Umsetzung formuliert, aufbereitet und illustriert. Wenn wir das vorliegende Kapitel mit Oscar Wilde und seinem Ausspruch »Gesundheit ist die erste Pflicht im Leben« eingeleitet haben, dann kann dieses Postulat an dieser Stelle wie folgt spezifiziert werden: Gesundheit ist die erste Pflicht der Schule und aller an Schule Beteiligten.

Literaturverzeichnis zu Kapitel 1

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese: zur Entmystifizierung der Gesundheit (Franke, A., Schulte N., Übers.). Tübingen: Dgvt-Verlag. (Original: Unraveling the Mystery of Health – How People Manage Stress and Stay Well).

Aregger, K. & Lattmann, U.P. (2003). Einleitung: Kann und soll Schule gesundheitsfördernd sein? In K. Aregger, & U.P. Lattmann (Hrsg.), Gesundheitsfördernde Schule – eine Utopie? Konzepte, Praxisbeispiele, Perspektiven (S. 17–37). Oberentfelden: Sauerländer Verlage.

Brägger, M. (2019). LCH Arbeitszeiterhebung 2019. Zürich: Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.

Gehrmann, A. (2013). Zufriedenheit trotz beruflicher Beanspruchungen? Anmerkungen zu den Befunden der Lehrerbelastungsforschung. In M. Rothland (Hrsg.), Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf (S. 175–190). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Klusmann, U., Kunter, M., Trautwein, U., Lüdtke, O. & Baumert, J. (2008). Teachers’ occupational well-being and quality of instruction: The important role of self-regulatory patterns. Journal of Educational Psychology, 100 (3), pp. 702–715.

Klusmann, U., Richter, D. & Lüdtke, O. (2016). Teachers’ emotional exhaustion is negatively related to students’ achievement: Evidence from a large-scale assessment study. Journal of Educational Psychology, 108 (8), pp. 1193–1203.

Köller, M., Stuckert, M. & Möller, J. (2019). Das Lehrerbild in den Printmedien: Keine »Faulen Säcke« mehr! Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22 (2), S. 73–387.

Paulus, P. (2003). Schulische Gesundheitsförderung – vom Kopf auf die Füsse gestellt. Von der Gesundheitsfördernden Schule zur guten, gesunden Schule. In K. Aregger, & U.P. Lattmann (Hrsg.), Gesundheitsfördernde Schule – eine Utopie? Konzepte, Praxisbeispiele, Perspektiven (S. 93–114). Aarau: Sauerländer.

WHO, World Health Organization (1946). Verfassung der Weltgesundheitsorganisation. New York: WHO.

WHO, World Health Organization (1986). Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Ottawa: WHO.

Erster Teil: Grundlagen

2              Gesundheit – Begriffe und Modelle

 

 

 

Neulich an einer Ausbildungsstätte für Lehrkräfte:

Julia ist im letzten Semester ihrer Ausbildung zur Lehrkraft und weiß seit ein paar Wochen, dass sie eine fünfte Klasse in ihrer Wohngemeinde übernehmen kann. Die Freude über die Stelle war jedoch von kurzer Dauer. In einem Gespräch zwischen zwei Nachbarinnen hat sie gehört, dass diese Klasse die »schwierigste« des ganzen Schulhauses sei und dass die vorherige Lehrkraft ein Burnout erlitten habe. Sie erzählt ihrer Studienkollegin davon: »Die Klasse war so belastend, dass meine Vorgängerin offenbar krank wurde. Wie soll ich das bloß angehen, damit ich selbst gesund bleiben kann? Ich muss schon jetzt die ganze Zeit daran denken und mache mir Sorgen.« Die Kollegin beruhigt sie: »Lass das doch in Ruhe auf dich zukommen. Du machst dir nur unnötig Stress. Vielleicht ist diese Klasse für dich ja nicht gleich belastend wie für deine Vorgängerin. Vielleicht war sie ja einfach dünnhäutig, wer weiß?«

Zum Nachdenken:

1.  Was ist »Gesundheit«?

2.  An welchen Symptomen erkennt man, dass die Gesundheit gefährdet ist?

3.  Wieso können Personen durch dieselben Aufgaben unterschiedlich beansprucht sein?

4.  Wann sprechen wir von »Belastungen«?

5.  Wann führen Belastungen zu Burnout und was ist ein »Burnout«?

6.  Welche Anforderungen erleben wir als motivierend?

»Gesundheit«, »Stress« und »Belastung« sind Begriffe, deren Bedeutung im alltäglichen Gespräch kaum einer Erläuterung bedürfen. Aber verstehen und meinen wir damit tatsächlich alle das Gleiche? Eine gemeinsame Sprache ist gerade bei diesem Thema wichtig, um sich zu verständigen und auf dieser Grundlage richtig agieren und reagieren zu können. In diesem Grundlagenkapitel werden deshalb diejenigen Begriffe und Modelle aus wissenschaftlicher Perspektive geklärt, die für die Auseinandersetzung mit der Gesundheit im Lehrberuf zentral sind.

In Kapitel 2.1 ( Kap. 2.1) werden die grundlegenden Begriffe in diesem Themengebiet bestimmt: »Gesundheit«, »Belastung« und »Beanspruchung«. In Kapitel 2.2 ( Kap. 2.2) werden zentrale theoretische Modelle vorgestellt, die aufzeigen sollen, aufgrund welcher Prozesse Arbeit langfristig krankmacht oder unter welchen Bedingungen sie als motivierend und sinnstiftend empfunden wird. Diese Begriffsbestimmungen und theoretischen Ausführungen bilden die Grundlage für alle weiteren Kapitel dieses Buches. Sie sind berufsunspezifisch und gelten für alle Berufe gleichermaßen. In den nachfolgenden Kapiteln werden sie für den Kontext »Schule« und den Lehrberuf konkretisiert. Die Kernfragen in Kapitel 2.3 ( Kap. 2.3) und die Reflexionsfragen in Kapitel 2.4 ( Kap. 2.4) sollen diesen Transfer unterstützen.

2.1       Grundlegende Begriffe

2.1.1     Biopsychosoziale Gesundheit

Wie in der Einleitung dieses Buches bereits festgehalten wurde, definierte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Begriff der Gesundheit in ihrer Verfassung folgendermaßen: »Gesundheit ist der Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen« (WHO, 1946, S. 1). Dieses sogenannt biopsychosoziale Gesundheitsmodell ergänzt die körperliche Dimension durch psychische und soziale Aspekte von Gesundheit, die im Wechselspiel zueinanderstehen. In Abbildung 2.1 ( Abb. 2.1), die alle zentralen Begriffe der Thematik enthält und in den nachfolgenden Unterkapiteln Schritt für Schritt erläutert wird, stellt dieses Wechselspiel den Kern dar.

Während in industriellen Berufen die Prävention und der Gesundheitsschutz stark auf die körperliche Gesundheit ausgerichtet sind, stehen im Lehrberuf die psychosozialen Aspekte der Gesundheit im Fokus. Die psychosoziale Gesundheit ist auf der individuellen Ebene ein dynamisches Gleichgewicht »des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen und produktiv und fruchtbar arbeiten kann, und imstande ist, seiner Gemeinschaft einen Beitrag zu leisten« (WHO, 2003, S. 4, Übersetzung der Autorinnen und des Autors). In dieser Definition sind zwei zentrale Aspekte enthalten: 1) Die psychische Seite der Gesundheit, die gewährleistet ist, wenn das Individuum in Übereinstimmung mit seinen Bedürfnissen, Überzeugungen und Fähigkeiten leben kann. Da wir Menschen soziale Wesen sind und in Gemeinschaften leben, braucht es jedoch zusätzlich 2) die soziale Seite der Gesundheit, die dann sichergestellt werden kann, wenn es dem Individuum gelingt, sich produktiv an die Gegebenheiten und Anforderungen des Kontexts anzupassen. In der Definition kommt zudem zum Ausdruck, dass Gesundheit kein »Zustand« ist und somit nicht statisch aufgefasst werden, sondern vielmehr einen vielschichtigen, dynamischen Prozess darstellt.

Abb. 2.1: Biopsychosoziales Gesundheitsmodell (eigene Darstellung in Anlehnung an Bauer und Jenny, 2007, S. 209)

2.1.2     Belastungen, Ressourcen, Bewältigung und Beanspruchung

Im Modell gemäß Abbildung 2.1 ( Abb. 2.1) werden kontextuelle Einflussfaktoren (Belastungen und soziale Ressourcen), individuelle Einflussfaktoren (individuelle Ressourcen, Bewältigung) und individuelle Reaktionen (positive und negative Beanspruchung) unterschieden.

Belastungen sind dabei »diejenigen physischen, psychischen, sozialen oder organisatorischen Aspekte der Arbeit, die eine anhaltende physische und/oder psychische (d. h. kognitive oder emotionale) Anstrengung erfordern und daher mit bestimmten physiologischen und/oder psychologischen Kosten verbunden sind« (Schaufeli & Bakker, 2004, S. 296). Der Begriff bezieht sich auf Eigenschaften des Kontexts und nicht des Individuums und ist grundsätzlich neutral konnotiert. Belastungen können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Individuum haben.

Ressourcen umfassen Aspekte im beruflichen Umfeld oder der arbeitenden Person, die a) funktional sind für das Erreichen von beruflichen Zielen, b) Belastungen bewältigen helfen und c) die Motivation, die Gesundheit und die persönliche Entwicklung fördern (Bakker & Demerouti, 2014, S. 9). Sie können in soziale und individuelle Ressourcen differenziert werden: Soziale Ressourcen befinden sich im Umfeld des Individuums und sind auf der Ebene der Organisation (z. B. Verdienst, Karrieremöglichkeiten, Sicherheit der Stelle), der sozialen Beziehungen (z. B. Unterstützung durch die Führungsperson, Team-Support, geteilte Werthaltungen), der Arbeitsorganisation (z. B. Rollenklarheit, Partizipation in Entscheidungsprozessen) oder der Aufgabe (z. B. Kompetenzerleben, Vielfältigkeit, Autonomie) zu lokalisieren (Bakker & Demerouti, 2014). Individuelle Ressourcen sind Merkmale des Individuums, die für die Bewältigung der beruflichen Belastungen und die Selbstverwirklichung funktional sind. In Kapitel 3.3 ( Kap. 3.3) gehen wir vertiefend auf diejenigen individuellen Ressourcen ein, die für den Lehrberuf grundlegend sind.

Unter Bewältigung verstehen wir mit Lazarus (1993, S. 8) das Bemühen des Individuums, subjektiv mit bedeutsamen Belastungen umzugehen, indem es problemlösend in seinen Kontext eingreift oder indem es seine Emotionen reguliert, die mit der Belastung zusammenhängen.

Die aus den Wechselwirkungen von Ressourcen und Belastungen resultierende Beanspruchung kann positiv oder negativ sein. Rudow (2011) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen kurzfristigen Beanspruchungsreaktionen, die unmittelbar mit dem Vollzug der Arbeitstätigkeit verbunden sind und unmittelbar in Gegenwart der betreffenden Belastung erlebt werden, und mittel- und langfristigen Beanspruchungsfolgen, die zeitlich anhaltende, verfestigte psychische und physische Reaktionen auf Belastungen darstellen ( Tab. 2.1).

Tab. 2.1: Kurz-, mittel- und langfristige Beanspruchung (in Anlehnung an Affolter, 2019)

Kurzfristige BeanspruchungsreaktionenMittel- und langfristige Beanspruchungsfolgen

Positive Beanspruchungsreaktionen äußern sich kurzfristig in positiven Emotionen wie Aktivierung, Freude, Ruhe, Gelassenheit und Flow und werden durch Belastungen hervorgerufen, für deren Bewältigung ausreichende Ressourcen vorhanden sind ( Kap. 2.2.). Eine mittel- und langfristige positive Beanspruchung führt zu Wohlbefinden, Sinnerleben und Begeisterung für die Arbeit. Kognitiv resultieren daraus Arbeitszufriedenheit, Commitment gegenüber dem Beruf und ein positives Selbstbild (Selbstkognitionen).

Kurzfristige negative Beanspruchungsreaktionen hingegen zeigen sich in psychischer Ermüdung, Denkblockaden oder grüblerischen Gedankenkarussellen, die infolge Über- oder Unterforderung entstehen. Damit verbunden sind Emotionen wie Angst vor Versagen, Unsicherheit, Ärger oder Frustration (Krause, Dorsemagen & Baeriswyl, 2013) und auf der körperlichen Ebene Symptome wie eine erhöhte Herzschlagfrequenz, ein erhöhter Blutdruck und/oder ein erhöhter Cortisolspiegel (Wettstein, Kühne, Tschacher & La Marca, 2020). Stress, von dem im Alltag oft gesprochen wird, ist theoretisch gesehen ein solcher Zustand erhöhter Aktiviertheit, der durch das Erleben einer Bedrohung hervorgerufen wird und mit unangenehmen Emotionen verbunden ist (Rudow, 2011, S. 52). Ein solcher Stresszustand kann sich im Verhalten beispielsweise in motorischer Unruhe, unkoordiniertem Arbeitsverhalten (mangelnde Planung, Übersicht und Ordnung, Vergesslichkeit) oder gereiztem Verhalten im Umgang mit anderen zeigen (Kaluza, 2015).

Negative Beanspruchungsreaktionen können sich verfestigen, wenn sie über längere Zeit hinweg anhalten, und zu nicht mehr einfach rückgängig zu machenden Beanspruchungsfolgen wie körperlichen Erkrankungen, Schlafstörungen, Burnout oder Depressionen führen.

»Burnout« ist wie »Stress« ein Begriff, der in der alltäglichen Diskussion um berufliche Belastung und Bewältigung allgegenwärtig ist. Die bekannteste Definition von »Burnout« stammt von Maslach, Jackson und Leiter (1996). Dieser Definition zufolge kann ein Burnout als ein sich langsam entwickelndes Belastungssyndrom aufgefasst werden, das sich durch drei grundlegende Komponenten beschreiben lässt: 1) Die emotionale Erschöpfung lässt sich als Zustand beschreiben, in dem sich Menschen in ihrer täglichen Berufsausübung dermaßen ausgelaugt fühlen, dass sie weder Begeisterung noch Interesse für ihre Berufstätigkeit zeigen. 2) Depersonalisation meint das Gefühl der Verhärtung und Abstumpfung gegenüber anderen Menschen. Dies kann zu einem zynischen Verhalten und einer negativen Einstellung gegenüber Mitmenschen führen. 3) Die (reduzierte) persönliche Leistungsfähigkeit bezieht sich auf das Gefühl, nicht mehr so viel wie vorher leisten zu können und den Ansprüchen nicht mehr zu genügen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass »Burnout« eher ein Alltagsbegriff als ein wissenschaftlich präzise gefasstes Konstrukt ist, was sich auch in Verlaufsbeschreibungen des Burnoutsyndroms zeigt ( Kap. 6.2.1). Eine zurückhaltende Verwendung ist deshalb angezeigt.

Nachdem wir die zentralen Begriffe geklärt haben, stellt sich die Frage, wie diese zusammenhängen.

2.2       Theoretische Modelle

Theoretische Modelle haben das Ziel, den Zusammenhang von verschiedenen Faktoren logisch stringent zu erklären und empirisch überprüfbar zu machen. Sie stellen immer Abstraktionen der Realität dar und beschränken sich darauf, die wesentlichen (und nicht alle) Einflussfaktoren und deren Relationen abzubilden. Dennoch kommt Modellen praktische Relevanz zu, da sie aufzeigen, welche Faktoren als Erstes verändert werden können, um einen gewünschten Effekt zu erzielen. Wenn man also nach Maßnahmen fragt, die dazu beitragen können, die berufliche Gesundheit von Lehrkräften zu verbessern, ist es ratsam, entsprechende theoretische Modelle heranzuziehen, damit die Maßnahmen auf dieser Grundlage systematisch geplant werden können.

Das Zusammenspiel von Kontext und Individuum ist für das Verstehen von Beanspruchungs- und Bewältigungsprozessen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit grundlegend. Die derzeit aktuellen Modelle unterscheiden sich in ihrer Gewichtung der einzelnen Faktoren: Die einen konzentrieren sich vor allem auf die Kontextfaktoren, während die anderen stärker diejenigen Prozesse berücksichtigen, die sich im Individuum abspielen.

Systemische Modelle legen den Fokus auf das auslösende Ereignis im Kontext und rücken dabei die Identifikation und die Klassifikation von potenziellen Belastungen oder Ressourcen in den Vordergrund (Krause et al., 2013). Diese können auf der Ebene der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Veränderungen angesiedelt sein, auf der Ebene der Aufgaben und Rahmenbedingungen des Lehrberufs ( Kap. 3) oder auf der Ebene der Schule ( Kap. 8). Ein wichtiges Modell, dem eine solche Konzeption zugrunde liegt, ist das Job Characteristics Model (Hackmann & Oldham, 1984), das untersucht, welche Tätigkeitsmerkmale zu positiver Beanspruchung führen.

Im Gegensatz dazu stellen personzentrierte Modelle die Person, ihre Wahrnehmung und ihre Reaktionen ins Zentrum und beziehen sich auf die Frage, wieso identische Belastungen und Ressourcen zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen können. Ein zentrales Modell in diesem Bereich ist die Conservation of Resources Theorie von Hobfoll und Shirom (2001), die Verlust und Erhalt von Ressourcen in ihrer Auswirkung auf Stress betrachtet. Ebenfalls diesem Modelltyp zuzuordnen sind die Bewältigungstypen von Schaarschmidt und Fischer (2001), die Persönlichkeitsunterschiede in der Bewältigung von Arbeitsbelastungen untersuchen.

Als Kombination dieser beiden Modelltypen gehen transaktionale Ansätze