Glockenschlag und Orgelklang - Josef Krämer - E-Book

Glockenschlag und Orgelklang E-Book

Josef Krämer

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Beschreibung

Diese meine zweite Krimikomödie sollte etwas von meiner Liebe zu meiner Heimat erkennbar machen, das zu euch überschwappt, die ihr es lest. Mit Mord und Totschlag konnte ich wieder nicht dienen, ist auch ziemlich unüblich bei uns. Dass Mord besonders zur Unterhaltung beiträgt, halte ich für ein Gerücht. Es wird in meiner Geschichte immer noch nicht geschossen, wie üblicherweise in Krimis. In meiner Jugend habe ich das noch mitmachen müssen, da ist genug herumgeballert worden, da habe ich die Nase voll davon. Es wäre auch unrealistisch und eine Beleidigung für das Dorf, in dem die Menschen friedlich leben und arbeiten. Natürlich sind sie keine Heiligen, das wäre auch wieder zu langweilig und entspräche ebenso nicht der Wahrheit.

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Ein Polizist ist wie ein 500-Euro-Schein. Wenn man mal einen braucht, ist keiner da!

Heinrich Hubbel zog seinen Kragen höher, weil ihm der Regen, vom Wind angetrieben, sofort in die Ohren klatschte, sobald er aus seiner Haustür „Auf dem Matt“ die drei Stufen der Eingangstreppe betrat. Er wollte die Kirche für den morgigen Gottesdienst herrichten, denn er war der Küster und Organist von St. Severinus, der Pfarrkirche.

Jeder kann sich einen Novemberabend vorstellen. Doch dieser war noch schlimmer, als sie ohnehin schon sind – noch dunkler, noch verregneter, noch ungemütlicher, noch beschissener. Dabei war es erst sieben Uhr abends, also 19 Uhr. Lieber säße er jetzt am Fernseher, mit Einschränkungen. Wenn er darüber nachdachte, schüttelte er verächtlich den Kopf. Immer wieder fiel man darauf herein, so vielversprechende Ansagen und dann Schrott. Ein so oberflächliches Medium, das vierundzwanzig Stunden am Tag das Leben aus zweiter Hand zeigte. Doch was blieb war meistens Leerlauf fürs Gehirn, Leben aus der Konserve – diktiert von interessengesteuerten Leuten, die eigentlich nicht seine Werte vertraten. Ihn erstaunte aber auch immer sein eigenes Fernsehverhalten, hungernde Menschen zu sehen und selber in sein Brot dabei zu beißen und sein Bierchen zu trinken.

„Fünf Millionen Menschen sehen das, trinken Kaffee oder Bier, rauchen und schweigen, sagen höchstens: Wieder nichts im Fernsehen heute Abend.“

Über sein technisches Verständnis, das für Menschen seines Alters nicht selbstverständlich war, gelang es ihm, etwas unabhängiger von den Reklamesendern zu sein, zu denen mittlerweile ja auch die Öffentlichrechtlichen gehörten. Gut, Reklame muss sein, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, doch muss es immer wieder dieses Gesülze sein? Diese stetigen Wiederholungen, um Eindruck durch dauernde Erinnerung herstellen zu wollen, die letztendlich nur in traumatisierender Langeweile mündet. Gott sei Dank investierte er viel seiner Zeit in der Gemeinde in die Arbeit mit seiner geliebten Musik, mit dem Chor.

Er war ein geselliger Mensch und bezeichnete die Beziehungsfähigkeit als die "menschliche" Tugend schlechthin, weil wir ohne sie keine Menschen geworden wären. Sprache, Gemeinschaft, Familie und Gesellschaft hätten nie entstehen können. Alle Tugenden sind schön und gut, aber sie bekommen erst den richtigen Sinn, wenn sie von Mensch zu Mensch wirksam werden.

Die Soziologie versteht unter ihr den Grad der Verbundenheit oder Distanz zwischen Individuen, die in einem sozialen Prozess vereint sind. Sie umschließt das gesamte soziale Leben in all seinen Abstufungen: das Leben als Paar, in der Familie, in der unmittelbaren Umgebung wie auch in der Natur. Für Heinrich Hubbel bezog sie sich auf seine Arbeitsgemeinschaften, obwohl es ihm widerstrebte bei ihnen von Arbeit zu sprechen, weil sie ihm ein ungemein befriedigendes Vergnügen bereiteten. Der untersetzte Mann mit dem silbrig schimmernden Haar war fast siebzig Jahre alt, aber er fühlte sich mindestens zehn Jahre jünger, und er war sicher, dass er das „dem da oben“ zu verdanken hatte. Er hatte ihn wieder aufleben lassen, nachdem ihn der Tod seiner Frau vor fünf Jahren zutiefst getroffen und er zuerst geglaubt hatte, alles sei zu Ende. Doch auf gewisse Weise war es ein neuer Anfang geworden. Der Gesang, die Chorarbeit war die Brücke; über die er wieder in die Gemeinschaft zurückgefunden hatte. Warum eine Arbeit aufgeben, wenn man merkte, dass man gebraucht wurde? Und er wurde gebraucht, gute Organisten findet man nicht an der Straße.

Der November war und blieb trotzdem ein trauriger Monat. Nicht umsonst sind die ganzen traurigen Tage alle im November angesammelt: Volkstrauertag, Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag. Der Tag der Deutschen Einheit fällt da aus dem Rahmen. Endlich mal ein deutscher Feiertag, der wirklich Anlass zur Freude gibt, und ausgerechnet den legen die Politiker in die dunkelste Jahreszeit, wenn auch in den Oktober. Sie werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Für manche Leute ist etwas schon viel.

Für Heinrich verbanden sich für die Novemberzeit schaurige Dinge in der Erinnerung an seine Kindheit, die jetzt mindestens sechzig Jahre zurücklag, die er aber nicht vergessen hatte. Er war auf einem Bauernhof in Hönighausen groß geworden. Jedes Jahr im November passierte es immer wieder, dass er morgens noch im Dunkeln aus dem Schlaf gerissen wurde, weil draußen einer schrie, dass man die Gräuel kriegte. Im Halbschlaf kam er erst langsam dahinter, dass jemand ihrem Schwein buchstäblich ans Fell wollte. Als sich die Kinder etwas später auf den Weg zu Fuß zur Schule machten, mussten sie an dem armen Tier vorbei, dass auf einer Leiter hing, alle Viere von sich gestreckt und mit einem hohlen Bauch. Ein riesiger Kerl in einem gestreiften Hemd und einer blutbesudelten Schürze wühlte mit einem langen Messer in seinen Eingeweiden und nahm das Schwein auseinander. Er war der Metzger. Das Gute daran war, dass es in den nächsten Tagen allerlei leckere Sachen zu essen gab. Die Waschküche war umfunktioniert. Auf dem Herd standen lauter Töpfe, Kasserollen und Pfannen jeder Größe. Es stapelten sich Fleischstücke, Knochen und geheimnisvolle Innereien. Im Waschkessel brodelte eine Suppe und in einem Einmachkessel wurde Panhas gekocht. Davon konnte man sich später einen ordentlichen Batzen nehmen, indem man mit dem Finger durchfuhr, wenn niemand es sah und dann in den Mund steckte. Heinrich lief heute noch das Wasser im Mund zusammen und er leckte sich die Finger danach, wenn er bloß daran dachte.

Den Wahlspruch kennt er noch von seinem Onkel Johann: „Lieber den Bauch geplatzt, als die gute Kost verderben lassen.“

Nur die kleine Elisabeth aus der Nachbarschaft der Hubbels verzog den Mund. Sie war immer sehr wählerisch und galt als verwöhnte Esserin in der Familie. Deshalb war sie auch sehr mager und konnte sich hinter einer Bohnenstange verstecken. Scherzens halber sagte ihre Mutter öfter: „Wer dich, Elisabeth, auf Karfreitag isst, hat keine Todsünde begangen.“ Wer sie heute so sieht mit ihren zweihundert Pfund, wird es nicht glauben, was hier erzählt wird.

„Essen hält Leib und Seele zusammen,“ sagte Heinrichs Vater schon mal, wenn er die Räucherkammer für die Schinken und den Speck zurecht machte. Was waren die Leute früher arm, wenn sie im Winter Gemüse ohne Speck kochen mussten.

Überhaupt erinnerte sich Heinrich gerne an das Winteressen von früher. Krauskohl mit Bratwurst gab es erst nach dem ersten Frost. Sauerkraut aus dem Steintopf im Keller kann ein Festessen sein. Es muss nur tüchtig mit den Füßen fest getrampelt sein. Wenn er davon erzählt, muss er immer lachen: „Ich habe nie so saubere Füße gehabt, wie nach der Kappeszeit.“

Das zweite Ereignis, das für ihn mit dem unwirtlichen Wetter verbunden war und seine Vorfreude auf Weihnachten enorm trübte, war der Besuch beim Urgroßvater, der jedes Jahr auf Allerseelen fällig war, egal welches Unwetter gerade tobte. Der hatte in Köln gewohnt und war auf Melaten beerdigt. Der Friedhof hatte Ausmaße, die über das Vorstellungsvermögen eines kleinen Jungen vom Land wesentlich hinausgingen. Dazu kam die Weltreise mit Bus und Straßenbahn und zum Schluss auf den Schultern des Vaters reitend in die Stadt, also eine ganz andere Welt als Hönighausen. Man kann sich die langen Kieswege, die unendlichen Reihen von Gräbern schwerlich vorstellen, all die kunstvollen Engel und Grabkreuze, die Obelisken und Denkmäler in weißem und schwarzem, glänzenden Marmor, dazu die „Bäume der Ewigkeit“, die Zypressen, die italienisches Flair suggerierten.

Zurück ins Bergische. Von der schützenden Fassade der Gaststätte „Om Matt“ aus blickte Heinrich am Chor der Kirche empor. Es war ein imposantes Natursteingebäude, breit wie eine kluckende Henne, bei dem der Turm besonders ins Auge fiel, mit seinem mit Schiefer eingedeckten, geschwungenen Dachaufsatz, auf dem noch einmal eine offene Turmspitze saß, wieder mit einer aufgesetzten kleineren Kuppel mit Kreuz und Hahn. Der wuchtige Turm wirkte wehrhaft und schaute nachweislich schon tausend Jahre in das Bergische Land. Seine Grauwackesteine gaben Zeugnis davon, dass mindestens ebenso lange in den Steinbrüchen über dem Dorf diese Steine gebrochen wurden. Sogar am Hohen Dom zu Köln sind sie verbaut.

Der Küster erschauderte, zog die Schultern hoch und startete die paar Schritte an der Pumpe vorbei und der Kolpingbüste, um im Seiteneingang der Kirche zu verschwinden.

Riesige Säulen stiegen steil zu vielen Kuppeln empor und das Licht fiel durch hohe Fenster. Manchmal waren es pfeilartige Sonnenstrahlen, die schräg auf den Altar fielen, in denen unzählige Staubteilchen tanzten und wie Leuchtkäfer schimmerten. Unheimlich hallten die Fußtritte in die Stille, jedes Echo verhallte nur zögernd in der Weite des Raumes.

Der Küster betrachtete gern die überlebensgroßen Heiligenfiguren, die steif auf ihren Sockeln standen und streng auf die Leute in der Kirche schauten. Ihre Gesichter waren erstarrt. Nur Maria als Himmelskönigin hatte etwas zu lächeln, weil sie eine Krone auf dem Kopf trug und ein goldenes Gewand umhatte.

Wenn er dann die Orgel auf der Empore im Turm spielte, dann strömte und rauschte die Musik wie ein Wasserfall durch den Kirchenraum und die Tonwellen brachen sich an den Mauern und im Gewölbe. Beim Klang der Orgel war es Heinrich, als sei ihm ein kurzer Blick in den Himmel vergönnt. Solche Empfindungen verspürte er nur bei dieser Musik.

Ganz besonders ernst blickte er auf das große Kreuz über dem Altar mit der Gestalt des Heilandes. Er hatte es schon oft gesehen, im Katechismus, in Büchern und auf Heiligenbildchen. Immer fühlte er sich dem Heiland besonders verbunden. Doch dieses Kreuz, das er so riesenhaft in der großen Leere der Apsis empfand, stimmte ihn immer unaussprechlich traurig. Im verzerrten Gesicht sah er tiefen Schmerz und die gekrümmten Glieder zeigten dumpfe Todesqual und Einsamkeit.

Jetzt war er dem prasselnden Regen entkommen, der um die dicken Mauern der Kirche fegte, die über Jahrhunderte manche Wetter über sich hatten ergehen lassen. Er fragte sich, ob das eigentlich noch normal war, oder ob nicht doch die Umweltveränderungen auch in Lindlar angekommen waren. Der Steigungsregen vom westlichen Rhein her war früher ein Segen für das Land, für die Vegetation allgemein, aber auch für die vielen Stauseen zur Wasserregulierung oder für Trinkwasser. Doch die Mengen, die sich heutzutage, teilweise wie mit Eimern aus den Wolken ergossen, machten ihn besorgt.

In der Kirche brannten noch zwei Lampen, schummrig nur, zwischen Schiff und Chor, die eine diffuse Helligkeit verteilten, die es dem Küster erlaubte, den Kirchenraum zügigen Schrittes zu durchqueren, um zur Sakristei auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Irgendwo musste die Putzfrau, Frau Maria Schmitz, noch herumkreuchen, die aus familiären Gründen die Abendstunden für ihre Arbeit bevorzugte. Dann hatte sie die beiden Enkel, ein Mädchen und einen Jungen, wieder an die Mutter ausgehändigt, die in Bolzenbach wohnte, seit einem Jahr alleinerziehend, nachdem sie ihren Mann mit ihrer besten Freundin erwischt hatte. Das war schon eine Zeit lang so gelaufen und nicht mehr zu reparieren. Was willst du machen, wenn so einer nach acht Jahren gemeinsamer Ehe ankommt und behauptet, er hätte die wahre Liebe gefunden? Seitdem hatte sie im nahen Getränkemarkt einen guten, freundlichen Arbeitgeber, der ihr half, wenigstens finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen.

Tagsüber flitzte ihre Mutter Maria Schmitz mit ihrem kleinen, roten Polo durch die Gegend, erledigte morgens, nachdem die Kinder im Kindergarten bzw. der Schule waren, drei Haushaltsstellen und die Einkäufe und betreute je nach Wochentag verschieden, des Nachmittags die Kinder bei sich zuhause auf der Taubenstraße.