Der Verräter - Josef Krämer - E-Book

Der Verräter E-Book

Josef Krämer

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Beschreibung

Eine Erzählung aus der Zeit der Französischen Revolution. Um das Jahr 1795 war Johann Peter Ommerborn Vikar in Engeldorf. Er ist der Kopf des zivilen Widerstands gegen die teilweise marodierenden französischen Revolutionssoldaten im Bergischen Land. Die beschriebenen Ereignisse ranken sich um seine Person und die Schlacht am Honsberg. Der Advokat Stücker und der Vikar Ommerborn hatten den "kühnen" Plan gefasst, mit Hilfe der kaiserlichen Truppen, vornehmlich der Husaren des Oberst Barko, das französische Lager in Bensberg anzugreifen. Am 18. November 1795 sollte der große Schlag gelingen. Bergische Bauern und Handwerker sollten mit Hacken und Mistgabeln gegen die Revolutionstruppen kämpfen. Am Hohnsberg, zwischen Marialinden und Much, wollte man sich zusammenfinden und sich mit den Österreichern vereinen. Der Kampf endete im Desaster, angeblich weil bei den Bergischen Verrat im Spiel war, wahrscheinlich eine Legende, wie sie oft nach militärischen Niederlagen benutzt wird..

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Für meinen Vater und alle Menschen, denen je in einem Krieg das Leben genommen wurde.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Überfall im Kollenbachtal

Der Widerstand

Die Situation

Das Vermächtnis

Jacques Montafon

Richepanse und Stücker

Der Haudegen

Mattes, der Knecht

Der Verrat

Die Entscheidung

Erklärungen

Quellenangaben

Vorwort

Als ich gerade an diesem Roman zu schreiben begann, hatte ich die Lektüre einer Menge von Dokumenten, Schriften und zwei Büchern hinter mir, in denen der "Heldenpastor Ommerborn" eine besondere Rolle spielt. Er wird durchweg als eindimensionale Gestalt dargestellt. Ich möchte ihm gerne einen komplexeren Charakter zugestehen, den er sicherlich gehabt hat.

In die rechte Stimmung glaubte ich zu geraten, schaute ich mir auf dem Friedhof in Sand das Denkmal an, auf dem der Pastor als stolzer Reiter in eine ungewisse Zukunft reitet. Es hat Grünspan angesetzt.

Ein guter Freund zeigte mir einmal einen Spazierstock dieser Art mit der Aufschrift "Erst wenn der Schurke am Boden liegt, lässt es von ihm ab", der einmal einem anderen Zeitgenossen gehört hat.

Bei meinen Recherchen bin ich in die richtige Stimmung gekommen, aber wahrscheinlich nicht in eine, die begrüßenswert für viele sein dürfte, die nach wie vor von Helden im Zusammenhang mit militärischen Begebenheiten oder Ambitionen reden.

Ich siedele sie lieber im zivilen Bereich an und in meinem langen Leben sind mir dort eine Menge begegnet. Dafür bin ich dankbar.

In allen meinen Geschichten sind sie wieder zu finden. Doch das ist nichts besonderes, denn ihrer sind sehr viele.

Die Ansichten darüber, was heldenhaft ist, dürften bei den Leserinnen und Lesern ziemlich variieren, und ich erwarte nicht, dass jeder sich meine zu Eigen macht. Aber angeregt zu haben, einmal darüber nachzudenken, würde mir genügen.

Der Verräter steht im Focus meiner Geschichte. Der Verräter ist immer ein faszinierender Charakter. Dabei wird er meistens verachtet und es gibt einen zynischen Spruch: Ich liebe den Verrat, doch ich verachte den Verräter.

Verrat wird sehr oft als Kollaboration, als das Sympathisieren mit dem Feind definiert. Meine Geschichte versucht, eine mögliche Antwort zu finden.

Im Übrigen sind die Personen und Handlungen frei gestaltet. Der Roman ist Fiktion, er schafft eine eigene Welt mit literarischen Mitteln.

Zugriffe auf geschichtliche Tatsachen sind in den Quellenangaben zu finden.

Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung und viele gute Gedanken!

Ihr Josef Krämer

Überfall im Kollenbachtal*

Als der Frühling kam, explodierten die grünen Knospen der Saumilch* und wandelten sich zu bizarren Blüten, deren Vielzahl und knalliges Gelb das Grün der Wiesen im Bergischen Land übertönte. Die Amseln sangen in den Hecken und Büschen und die Sperlinge schimpften und tschilpten wie wild beim Zanken um die Reste der Körner in den Pferdeäpfeln am Wegrand. Man sollte meinen, die Welt sei wieder in Ordnung nach den harten und kalten, kurzen Wintertagen und es sei Frieden eingekehrt, wäre da nicht der Bussard gewesen, der stetig seinen Kreis über der Wiese am Waldrand drehte, sich im rechten Augenblick auf das zarte Feldmäuschen, das im Vertrauen auf die ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne das schützende Erdloch verlassen hatte, hinunter zu stürzen um es zu zerreißen und genüsslich zu verspeisen. Die Amsel hatte ihr fröhliches Lied beendet und lief aufgeregt in seltsam ruckartigen Bewegungen über die Wiese. Grausam zerlegte sie einen Regenwurm, der sich windend wehrte, in schnabelgerechte Stücke, um sie gierig zu verschlingen.

Es hätte ein wunderschöner Sonntagmorgen sein können. Aber die Sonne schien, es war Frühling und es war Krieg im Land.

Anno domini 1795.

Am Waldrand zur abschüssigen Wiese standen zwei uniformierte Gestalten, die beide hohe Mützen trugen, auf denen übergroß aufgenäht die französische Nationalkonkarde* prangte. Sonst waren beide in grobe graue Hemden und einen blauen Leinwandkittel gekleidet, die Beine in engen grauen Beinkleidern* steckend. Sie trugen dazu blaue Strümpfe und rindlederne Schuhe, die mit farbigen Bändern verschnürt waren. Einer von ihnen hatte einen Lederriemen um den Leib gebunden, an dem an der Seite eine Pistole hing, während der andere eine Flinte schulterte, auf der ein langes Bajonett steckte. So waren sie unschwer als Bauernsoldaten der französischen Revolutionsarmee* zu erkennen.

Sie schauten aufmerksam zum Bach hinunter, an dem ein einsamer Kotten* lag. Der Lehm des Fachwerks war an vielen Stellen ausgebröckelt und hatte das Flechtwerk aus Buschzweigen freigelegt. Das Kalkweiß der Wände zwischen den schwarzen Pfosten leuchtete nur noch an wenigen Flecken zwischen dem lehmigen Gelb.

Eine Katze von greisenhaftem Aussehen, die Haare zu braun-grauen Strähnen verfilzt, hockte zusammengekauert auf dem bröckeligen Fenstersims und wärmte ihr Fellkleid in der spärlichen Frühlingssonne.

"Mein Freund, dort werden wir finden, was wir suchen, mon Dieu*", sagte einer der Uniformierten.

"Lasse Gott* aus dem Spiel, Jean. Den haben wir selber abgeschafft und glauben nicht mehr dran seit der Revolution."

"Manchmal wünschte ich, es gäbe ihn trotzdem, Jules."

Sie gingen beide los, nicht die Wiese direkt überquerend, sondern am Waldsaum entlang, die schützenden Büsche und Bäume im Rücken als vermeintlichen Schutz nutzend.

Auf dem Hof hielten sich zu diesem Zeitpunkt nur der alte Bauer Rodenbach und sein Enkeltöchterchen auf. Sie war gerade einmal vierzehn Jahre alt.

Das Mädchen schaute mit großen braunen Augen in die Welt, die ihm vertraut war: der Hof, die Tiere, der Großvater und die Eltern, die es noch nie im Leben verlassen hatte, denn ihr Geist war schon seit ihrer Geburt nur aufnahmefähig für die einfachsten Dinge. Das Kind war bildschön in seinem einfachen Leinenhemdchen, welches den mageren Körper bedeckte.

Der Alte ist wohl ausreichend dadurch charakterisiert, wenn ich sage, dass er vor langer Zeit, als einmal Frieden im Lande war, drei Nächte lang gewacht hatte um die Burschen zu fangen, die ab und zu seine Äpfel stahlen. Als er sie erwischt hatte, schenkte er jedem eine Kupfermünze und ermahnte sie, das nicht wieder zu tun.

Sein Enkelkind war sein ein und alles.

So ist es nicht besonders verwunderlich, was sich in der Folge auf dem Hof im Kollenbachtal* abspielte.

Die beiden Revolutionssoldaten* sprangen gleichzeitig von der Waldseite her über einen kleinen Erdwall auf den Hof zwischen Haus und Scheune, wobei sie laut brüllten wie die Stiere. Der, den der andere Jean genannt hatte hielt seine Flinte im Anschlag und der mit Namen Jules fuchtelte so gefährlich aussehend mit seiner Pistole herum, dass man Angst haben musste, er würde sich selber oder seinen Kameraden gleich mit erschießen.

Tatsächlich entlud sich ein Schuss in die Luft und der Knall ließ Jean so erschrecken, dass er stolperte und der Länge lang zu Boden schlug. Da lag er nun in einem saftigen, stinkenden Kuhfladen und verfluchte den Tag, an dem er geboren wurde. Wer französische Flüche kennt, weiß wovon die Rede ist.

Der Großvater hatte die kleine Elisabeth geschnappt und sich unter dem Tisch in der Küche so gut es ging versteckt. Beschützend hielt er seine Arme über die Kleine und murmelte ein Vaterunser. Elisabeth hielt die Augen geschlossen in dem Glauben, dass nicht geschähe, was man nicht sehen konnte.

Als sich auch nach dem Knall nichts auf dem Hof rührte außer einem protestierenden Muhen der einzigen Kuh, dem Grunzen einer Sau und dem Quietschen einiger Ferkel, welches alles viel versprechende Geräusche für die beiden fremden Soldaten waren, traute sich der wieder aufrecht stehende Jules die einzige Tür zum Haus mit dem Fuß aufzustoßen und hinein zu stürmen. Dabei hatte er in der Aufregung vergessen, das Oberteil der Strungstür* mit zu öffnen und rammte sich den Kopf bei seinem ungestümen Tun so unglücklich, dass er benommen nach hinten die eine Dörpelstufe* hinunter, seinem Kameraden Jean vor die Füße fiel und ihn so ungeschickt mit dem Hinterkopf vors Schienbein haute, dass sich ein zweiter Schuss aus dem frisch geladenen Pistol* löste. Zu allem Unglück riss die unkontrolliert abgefeuerte Kugel dem am Boden Liegenden glatt zwei Zehen ab. Die Hälfte der auf dem Kotten anwesenden Revolutionsarmee hatte sich somit selber außer Gefecht gesetzt.

Es ist nicht so sehr die Bösartigkeit, die den Menschen fehlleitet, es ist seine Dummheit.

Bei dem seltsamen Gerumpel und Poltern vor der Tür hatte sich der Altbauer im Haus das Kind gepackt und verschwand so schnell er konnte durch die Hintertür über die Miste springend in den Wald, wo er außer Atem erst in einiger Entfernung hinter dem Fischteich zu Boden sank, sein Kind immer noch beschützend halb unter sich begrabend.

Elisabeth empfand das alles als einen Spaß, den sich der Großvater da mit ihr ausgedacht zu haben schien. Sie hetzten weiter zum Lichweg* in Richtung Biesfeld, wo sie in Sicherheit wären. Hier konnten sie auch den Bauern und die Bäuerin treffen, die zur Heiligen Messe in der Kapelle, die seit dem 17. Jhdt. der Schmerzhaften Mutter Gottes geweiht war, unterwegs waren.

In der Zwischenzeit war auf dem Hof das große Jammern angesagt. Jean schrie, klagte und fluchte fast gleichzeitig und schalt Jules mit Ausdrücken, die hier nicht wiedergegeben werden können. In den zwei Jahren seiner Laufbahn als Soldat hatten sich so einige besonders inhaltsreiche und klangvolle bei ihm angesammelt, die er vorher in seinem ganzen Leben nie gekannt, geschweige denn gesagt hätte.

Er band seinem Kameraden das Bein am Oberschenkel ab, wie er es gelernt hatte, denn das Blut lief in einem kleinen Bach über zwei Grauwackesteine* am Boden in den Dreck, wo es versickerte. Dann wand er ein Tuch um den Fuß und wuchtete Jean auf den Türdörpel*. Er bedeutete ihm, sich nicht zu rühren, während er in den Stall lief, aus dem viel versprechend die Geräusche der Schweine zu hören waren. Fünf kleine Ferkel scharten sich um eine Sau. Sie quietschten gottserbärmlich, als Jules sich eines nach dem anderen packte und erschlug.

Es dauerte nicht lange und er erschien mit einer einrädrigen, von Schweinemist und Jauche durchtränkten Schubkarre, auf die er die toten Ferkel geladen und an der er ein Hinterbein der Sau mit einem Strick angebunden hatte. Es war nicht einfach, den weiter schimpfenden Verwundeten auf die Karre zu hieven, die immer wieder umfiel, weil das Schwein auf einer Seite daran zog.

Es war ein seltsames Bild nachdem er ihn endlich hoch gewuchtet hatte, denn Jean lag im Dreck der Mistkarre und hielt fluchend und stöhnend die Ferkel in den Armen, während seine Beine kraftlos über den Karrenrand hingen.

Es sah nicht gerade wie ein Siegeszug aus, als sich das traurige Gespann Richtung Bensberg in Bewegung setzte.

Ihr Weg sollte nur kurz sein.

Zwei Burschen, Heinrich Mühlbach und Josef Leffelsberger, die sich auf den Weg von Offermannsheide nach Oberkollenbach gemacht hatten, wo einer von ihnen an einem Mädchen freite, hatten die beiden kurz nacheinander abgegebenen Pistolenschüsse gehört und ahnten nichts Gutes. Kurz entschlossen kehrten sie die wenigen Meter zu ihrem Zuhause zurück und bewaffneten sich mit einer Mistgabel und einem Kaaschhook*, einer Kartoffelhacke. Dann liefen sie zunächst den Weg nach Engeldorf hoch, den sie dann am Frangenberghof verließen und in den Wald abbogen, ohne Rücksicht auf das Wasser der Quellen und Siefen* zu nehmen, das allenthalben aus der Erde quoll.

Sie stürmten gerade auf die Lichtung am Kollenbach, auf der der Kotten lag, als die beiden Franzosen hinter dem Haus in den Wald verschwanden. Auf dem Hof war außer dem gewöhnlichen Gackern der Hühner und dem Schnarren zweier Enten nichts zu hören oder zu sehen. Wo war die nette kleine Lisbeth? Wo waren die Bauersleute? Sie könnten am Sonntagmorgen in der Kirche sein. Aber alle zur gleichen Zeit? Trotzdem hatten die beiden Jungen sofort begriffen, dass die Soldaten wohl nicht als Sieger abzogen, sondern geschlagen den Ort ihres unrühmlichen Tuns verließen.

Sie waren klug genug, hinter dem Haus die Köpfe zusammen zu stecken und sich zu beraten. Jeden Baumstumpf kannten sie hier im Wald und waren sich schnell einig, wie sie die feindliche Übermacht stellen und überrumpeln könnten, denn sie hatten wohl die Flinte mit dem hohen Bajonett gesehen, welche der eine geschultert hatte.