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Beschreibung

Eine ungewöhnliche und dabei höchst aktuelle Anthologie: Goethe hat sich immer wieder zu Frieden, Gewaltlosigkeit und Versöhnung geäußert. Dieser Band versammelt die interessantesten Zitate aus seinem gesamten Werk zu diesem Thema, neben Auszügen aus seinen Dramen, Gedichten und politischen Schriften auch sehr persönliche Äußerungen aus seinen Briefen.

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Seitenzahl: 150

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Goethe und der Frieden

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962321

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962321-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014605-7

www.reclam.de

Inhalt

1 Frieden und Krieg

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 25. Februar 1824

Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen (1788)

Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795)

Herrmann und Dorothea (1797)

Kalliope

Tag- und Jahreshefte als Ergänzung meiner sonstigen Erkenntnisse (1806)

Regenbogen über den Hügeln einer anmutigen Landschaft (1826)

2 Frieden in autobiographischen Texten

Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811–33)

Aus: Erster Teil, Erstes Buch

Aus: Erster Teil, Zweites Buch

Aus: Erster Teil, Viertes Buch

Campagne in Frankreich (1792)

»Campagne in Frankreich« und optische Forschungen

Brief an Christiane Vulpius, 2. September 1792

Brief an Christiane Vulpius, 10. September 1792

»Campagne in Frankreich« und Goethes Familie

Wandrers Nachtlied

Wandrers Nachtlied

Ein Gleiches

Ein Gleiches

3 Politische Hofdichtung

Maskenzug. Zum 30. Januar 1798

Maskenzug

Prolog. Bei Eröffnung der Darstellungen des Weimarischen Hoftheaters in Leipzig den 24. Mai 1807

Prolog

Vorspiel zu Eröffnung des Weimarischen Theaters am 19. September 1807 nach glücklicher Wieder-versammlung der Herzoglichen Familie

Ihro der Kaiserin von Frankreich Majestät (1812)

Ihro der Kaiserin von Frankreich Majestät

Des Epimenides Erwachen (1815)

Des Epimenides Erwachen

4 Poetische Utopie des Friedens

Zueignung (1787)

Zueignung

Der Bürgergeneral (1793)

Vierzehnter Auftritt

Prolog zu dem Schauspiel der Krieg, von Goldoni (1793)

Prolog

Iphigenie auf Tauris (1787)

Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden (Fassung 1821)

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Novelle (1828)

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 18. Januar 1827

Literaturhinweise

Quellen

Weiterführende Literatur

Nachwort

1 Frieden und Krieg

»Träumt ihr den Friedenstag?

Träume wer träumen mag.

Krieg! ist das Losungswort.

Sieg! und so klingt es fort.«

Faust II, V. 9835–38

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 25. Februar 1824

Goethe war im Laufe seines Lebens Zeuge zahlreicher Konflikte und Kriege, vom Siebenjährigen Krieg über die Französische Revolution bis hin zu den Napoleonischen Kriegen. Seine immense Lebenserfahrung rund um »die größten Weltbegebenheiten« lehrten ihn, wie wir im folgenden Text erfahren, dass die Weltgeschichte stets zwischen Krieg und Frieden schwanke.

 

Die französischen Zeitungen wurden gebracht. Der beendigte Feldzug [1823] der Franzosen in Spanien unter dem Herzog von Angoulême hatte für Goethe großes Interesse. »Ich muss die Bourbons wegen dieses Schrittes durchaus loben«, sagte er, »denn erst hiedurch gewinnen sie ihren Thron, indem sie die Armee gewinnen. Und das ist erreicht. Der Soldat kehret mit Treue für seinen König zurück, denn er hat aus seinen eigenen Siegen, so wie aus den Niederlagen der vielköpfig befehligten Spanier die Überzeugung gewonnen, was für ein Unterschied es sei, einem Einzelnen gehorchen oder Vielen. Die Armee hat den alten Ruhm behauptet und an den Tag gelegt, dass sie fortwährend in sich selber brav sei und dass sie auch ohne Napoleon zu siegen vermöge.«

Goethe wendete darauf seine Gedanken in der Geschichte rückwärts und sprach sehr viel über die preußische Armee im siebenjährigen Kriege [1756–63], die durch Friedrich den Großen an ein beständiges Siegen gewöhnt und dadurch verwöhnt worden, so dass sie in späterer Zeit, aus zu großem Selbstvertrauen, so viele Schlachten verloren. Alle einzelnen Details waren ihm gegenwärtig und ich hatte sein glückliches Gedächtnis zu bewundern.

»Ich habe den großen Vorteil«, fuhr er fort, »dass ich zu einer Zeit geboren wurde, wo die größten Weltbegebenheiten an die Tagesordnung kamen und sich durch mein langes Leben fortsetzten, so dass ich vom siebenjährigen Krieg, sodann von der Trennung Amerikas von England, ferner von der französischen Revolution, und endlich von der ganzen Napoleonischen Zeit bis zum Untergange des Helden und den folgenden Ereignissen lebendiger Zeuge war. Hiedurch bin ich zu ganz anderen Resultaten und Einsichten gekommen, als allen denen möglich sein wird, die jetzt geboren werden und die sich jene großen Begebenheiten durch Bücher aneignen müssen, die sie nicht verstehen.«

»Was uns die nächsten Jahre bringen werden, ist durchaus nicht vorherzusagen; doch ich fürchte, wir kommen so bald nicht zur Ruhe. Es ist der Welt nicht gegeben, sich zu bescheiden; den Großen nicht, dass kein Missbrauch der Gewalt Statt finde, und der Masse nicht, dass sie in Erwartung allmählicher Verbesserungen mit einem mäßigen Zustande sich begnüge. Könnte man die Menschheit vollkommen machen, so wäre auch ein vollkommener Zustand denkbar; so aber wird es ewig herüber und hinüber schwanken, der eine Teil wird leiden, während der andere sich wohl befindet, Egoismus und Neid werden als böse Dämonen immer ihr Spiel treiben und der Kampf der Parteien wird kein Ende haben.«

»Das Vernünftigste ist immer, dass jeder sein Metier treibe, wozu er geboren ist und was er gelernt hat, und dass er den Andern nicht hindere, das Seinige zu tun. Der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Bauer hinter dem Pflug und der Fürst wisse zu regieren. Denn dies ist auch ein Metier, das gelernt sein will, und das sich niemand anmaßen soll, der es nicht versteht.«

FA II 39, S. 91 f.

Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen (1788)

Goethes Drama Egmont spielt im Vorfeld des Spanisch-Niederländischen Kriegs (1568–1648), Schauplatz ist Brüssel. Das niederländische Volk ist zu Beginn aufgebracht, weil es immer stärker von der spanischen Fremdherrschaft unterdrückt wird. Graf Egmont, im Volk beliebt, möchte sich für dessen Freiheitsbestrebungen einsetzen, ist zugleich jedoch auch loyal gegenüber der spanischen Krone und versucht zu vermitteln. Als Herzog von Alba mit seinem Heer vom spanischen König nach Brüssel geschickt wird, um die dortigen Verhältnisse zu ordnen und die Aufstände des Volkes zu beenden, kommt es zu einer Diskussion zwischen Egmont und seinem Freund Wilhelm von Oranien (Zweiter Aufzug). Wilhelm ahnt, dass Alba den niederländischen Adel beseitigen möchte, und fordert Egmont auf, mit ihm zu fliehen. Egmont glaubt nicht an Wilhelms Prophezeiung, er ist im Gegenteil überzeugt, dass die Flucht des niederländischen Adels einen Krieg heraufbeschwören könnte:

Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist; an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist das Signal das die Provinzen mit einemmale zu den Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand gehascht hat.

Die Macht und die Rechte des Adels sieht Egmont als unantastbar an. Er glaubt an den Frieden. Wilhelm von Oranien flieht in der Folge aus Brüssel; Egmont begrüßt Alba und lässt sich mit ihm auf eine Diskussion ein, in der er seinen Standpunkt verdeutlicht. Alba sieht in Egmont nur einen Oppositionellen, lässt ihn verhaften und bereits am nächsten Morgen wegen Hochverrats hinrichten.

Goethe begann bereits 1775 in Frankfurt mit der Niederschrift des Trauerspiels; in Weimar setzte er seine Arbeit daran fort, immer wieder unterbrochen von längeren Pausen. Am 3. September 1786 brach Goethe von Karlsbad in Richtung Italien auf, wo er das Drama im September 1787 in Rom fertigstellte. Ungefähr ein Jahr früher, am 14. Oktober 1786, schreibt Goethe aus Venedig an Herzog Carl August von Sachsen-Weimar:

Die Zeitungen lehren mich etwas spät wie es in der Welt bunt zugeht. Görtz im Haag, der Staathalter und die Patrioten in Waffen, der neue König für Oranien erklärt! Was wird das werden? An allen Ecken und Enden saust das Menschengeschlecht wieder einmal. Und ich indes, mitten in dem was der Krieg erwarb (Fleiß und Klugheit nicht ausgeschlossen) genieße der schönsten Gaben des Friedens!

Aus dem fernen Italien, wo er den Frieden genießt, verfolgt Goethe das Schicksal der Niederländer: Rund elf Monate nach seinem Brief und der Vollendung des Egmont marschiert die preußische Armee (mit etwa 18 000 Soldaten) unter Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel in den Niederlanden ein und schlägt die republikanische Bewegung der »Patriotten« nieder, die sich gegen die Statthalterschaft des Hauses Oranien-Nassau gerichtet hatte. Als Vorwand gilt die vermeintliche Festnahme der Prinzessin Wilhelmina von Preußen, einer Schwester des Preußenkönigs, auf ihrem Weg nach Den Haag. Am 8. Oktober kapituliert die Republik der Vereinigten Niederlande; Wilhelm V. wird als Statthalter der Niederlande wieder eingesetzt. Schon vier Tage später schreibt Goethe aus Castel Gandolfo an Johann Gottfried Herder:

Der Papst soll Nachricht haben, Amsterdam sei von den Preußen eingenommen. Die nächsten Zeitungen werden uns Gewissheit bringen. Das wäre die erste Expedition, wo sich unser Jahrhundert in seiner ganzen Größe zeigt. Das heiß’ ich eine sodezza1! Ohne Schwertstreich, mit ein paar Bomben, und niemand, der sich der Sache weiter annimmt! Lebt wohl. Ich bin ein Kind des Friedens, und will Friede halten für und für, mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst geschlossen habe.

So ganz ohne »Schwertstreich« kam der Einmarsch der Preußen nicht aus, es gab mehrere Gefechte mit dem Hauptfeind, den »Patriotten«, und der Ort Weesp wurde bombardiert, nicht aber Amsterdam. Krieg und Frieden gehen eben ›Arm in Arm‹.

Friedensreflexe von Goethe findet man auch im Egmont. Im Ersten Aufzug unterhalten sich »Soldaten und Bürger«. Der Krämer Soest kommt hier zuerst zu Wort. Der Schneider Jetter fordert Frieden ein, und die Soldaten unterstützen ihn schließlich.

 

SOEST.

Nein, nein! Er hat kein Gemüt gegen uns Niederländer, sein Herz ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht, wie können wir ihn wieder lieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? warum trügen wir ihn alle auf den Händen? Weil man ihm ansieht dass er uns wohlwill; weil ihm die Fröhlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung aus den Augen sieht, weil er nichts besitzt, das er dem Dürftigen nicht mitteilte, auch dem, ders nicht bedarf. Lasst den Grafen Egmont leben! Buyck an euch ist’s, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt eures Herrn Gesundheit aus.

BUYCK.

Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!

RUYSUM.

Überwinder bei St. Quintin.

BUYCK.

Dem Helden von Gravelingen!

ALLE.

Hoch!

RUYSUM.

St. Quintin war meine letzte Schlacht, ich konnte kaum mehr fort, kaum die schwere Büchse mehr schleppen. Hab ich doch den Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt und da kriegt ich zum Abschied noch einen Streifschuss ans rechte Bein.

BUYCK.

Gravelingen! Freunde! da gings frisch! den Sieg haben wir allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz Flandern? Aber ich mein wir trafen sie! Ihre alten handfesten Kerle hielten lange wieder, und wir drängten und schossen und hieben, dass sie die Mäuler verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinüber, herüber, Mann für Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe auf dem breiten flachen Sand’ an der See hin. Auf einmal kams wie vom Himmel herunter, von der Mündung des Flusses, bav! bau! immer mit Kanonen in die Franzosen drein. Es waren Engländer, die unter dem Admiral Malin von ohngefähr von Dünkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht, sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah genug, schossen auch wohl unter uns – Es tat doch gut! Es brach die Welschen und hob unsern Mut. Da gings! Rick! rack! Herüber hinüber! Alles tot geschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle ersoffen wie sie das Wasser schmeckten, und was wir Holländer waren grad hinten drein, uns die wir beidlebig sind ward erst wohl im Wasser wie den Fröschen und immer die Feinde im Fluss zusammengehauen, weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. Musste doch die welsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen. Und den Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig!

ALLE.

Hoch! dem großen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal hoch.

[…]

RUYSUM.

Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

BUYCK.

Bravo Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg.

JETTER.

Krieg! Krieg! Wisst ihr auch was ihr ruft? Dass es euch leicht vom Munde geht, ist wohl natürlich, wie lumpig aber unser einem dabei zu Mute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hören, und nichts zu hören als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein andrer, wie sie über einen Hügel kamen und bei einer Mühle hielten, wie viel da geblieben sind, wieviel dort und wie sie sich drängen und einer gewinnt der andre verliert ohne dass man sein Tage begreift wer was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bürger ermordet werden und wie es den armen Weibern, den unschuldigen Kindern ergeht. Das ist eine Not und Angst man denkt jeden Augenblick: da kommen sie! Es geht uns auch so.

SOEST. Drum muss auch ein Bürger immer in Waffen geübt sein.

JETTER.

Ja es übt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hör ich noch lieber von Soldaten als ich sie sehe.

BUYCK.

Das sollt ich übel nehmen.

JETTER.

Auf Euch ists nicht gesagt, Landsmann! Wie wir die Spanischen Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.

SOEST. Gelt die lagen dir am schwersten auf.

JETTER.

Vexier Er sich2.

SOEST. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.

JETTER.

Halt dein Maul.

SOEST.

Sie hatten ihn vertrieben aus der Küche, dem Keller, der Stube – dem Bette. (Sie lachen.)

JETTER.

Du bist ein Tropf.

BUYCK.

Friede! ihr Herrn! Muss der Soldat Friede rufen! – Nun da ihr von uns nichts hören wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine bürgerliche Gesundheit.

JETTER.

Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!

SOEST.

Ordnung und Freiheit!

BUYCK.

Brav das sind auch wir zufrieden. (Sie stoßen an und wiederholen fröhlich die Worte, doch so dass jeder ein anderes ausruft und es eine Art Canon wird. Der Alte horcht und fällt endlich auch mit ein.)

ALLE. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!

FA I 5, S. 463 f., 466 f.

Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795)

1794 wird der Grundstein für die Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller gelegt. Schiller, der die Herausgabe seiner neuen Zeitschrift, Die Horen, vorbereitet, bittet Goethe um literarische Beteiligung. Da für die Zeitschrift bereits vorwiegend philosophische Beiträge geplant sind, wünscht er sich von Goethe etwas »Unterhaltendes« im Stile des Decamerone, einer Novellensammlung des italienischen Renaissance-Dichters Giovanni Boccaccio (1313–1375).

Goethe schreibt insgesamt sieben Novellen, die er in eine Rahmenhandlung einfasst. Während er in seinem Epos Hermann und Dorothea die Folgen der Französischen Revolution für das Bürgertum aufzeigt, legt er in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten den Fokus auf eine deutsche Adelsfamilie. Im Mittelpunkt steht dabei eine Baronesse, die mit ihren beiden Kindern, ihrem Neffen, einem Geistlichen, einem Hofmeister und mehreren Bediensteten vor den französischen Truppen ins rechtsrheinische Gebiet flieht, wo sie ein Gutshaus besitzt. Nach der Ankunft fühlt sie sich zunächst sicher, obwohl das Bombardement auf der linken Rheinseite zu hören ist. Im Schutz des Hauses erinnert sie sich an friedvolle Zeiten. Als die Baronesse die Familie eines befreundeten Geheimrats aufnimmt und immer wieder politische Diskussionen aufkommen, schlägt die Stimmung jedoch allmählich um: Ihr Neffe Karl sympathisiert mit der Revolution, der Geheimrat vertritt wiederum das alte System und kritisiert die Revolutionäre. Karls Anklage wird daraufhin immer schärfer, so dass der Geheimrat und seine Familie wieder abreisen.

Die Baronesse ist traurig und besorgt darüber, dass ihre Freunde sich nun wieder auf eine unsichere Flucht begeben. Sie äußert ihre Enttäuschung gegenüber Karl deutlich. Dieser ist beschämt und möchte seinen Fehler wiedergutmachen.

Der bürgerliche Hofmeister, der ebenfalls mit der Revolution sympathisiert, schaltet sich ein und bewegt die Baronesse dazu, Bedingungen aufzustellen, die die Situation wieder entschärfen sollen. Die Baronesse fordert die künftige Unterlassung politischer Diskussionen und plädiert auf Selbstbeherrschung. Für sie kann nur dann ein harmonisches Miteinander entstehen, wenn die persönlichen politischen Interessen nicht in den Mittelpunkt gestellt werden. Die künftigen Gespräche sollen stattdessen durch Geschichten angereichert werden, die idealerweise den Geist anregen und durch eine moralische Handlung oder Haltung geprägt sind. Durch die Vermeidung politischer Themen und Abschottung von der Außenwelt, soll »Friede und Einigkeit« auf Zeit, innerhalb eines familiären Kreises, geschlossen werden.

 

Ich kann verzeihen, antwortete die Baronesse: ich werde keinen Groll auf dich hegen, weil du ein edler guter Mensch bist; aber du kannst nicht wieder gut machen, was du verdorben hast. Ich entbehre durch deine Schuld in diesen Augenblicken die Gesellschaft einer Freundin, die ich seit langer Zeit zum erstenmal wieder sah, die mir das Unglück selbst wieder zuführte, und in deren Umgang ich manche Stunde das Unheil vergaß, das uns traf und das uns bedroht. Sie, die schon so lange auf einer ängstlichen Flucht herumgetrieben wird, und sich kaum wenige Tage in Gesellschaft von geliebten alten Freunden, in einer bequemen Wohnung, an einem angenehmen Orte erholt, muss schon wieder flüchtig werden und die Gesellschaft verliert dabei die Unterhaltung ihres Gatten, der, so wunderlich er auch in manchen Stücken sein mag, doch ein trefflicher rechtschaffner Mann ist und ein unerschöpfliches Archiv von Menschen- und Welt-Kenntnis, von Begebenheiten und Verhältnissen mit sich führt, die er auf eine leichte, glückliche und angenehme Weise mitzuteilen versteht. Um diesen vielfachen Genuss bringt uns deine Heftigkeit; wodurch kannst du ersetzen, was wir verlieren?

KARL. Schonen Sie mich, liebe Tante: ich fühle meinen Fehler schon lebhaft genug, lassen Sie mich die Folgen nicht so deutlich einsehen.

BARONESSE.