Gold und Galeeren - Klaus Möckel - E-Book

Gold und Galeeren E-Book

Klaus Möckel

4,9

Beschreibung

Jacques Coeur, dem Helden dieser abenteuerlichen Geschichte aus dem Frankreich des 15. Jh., wurde ein ungewöhnliches Schicksal zuteil. Er stieg vom kleinen Tuchhändler zum Schatzmeister des Königs auf und wurde vom ihm zurück ins Nichts gestoßen. Er machte, selbst geadelt, die Adligen zu seinen Schuldnern und verlor am Ende Haus wie Hof. Er liebte eine königliche Mätresse und wurde beschuldigt, sie vergiftet zu haben. Nicht durch Hexerei, sondern durch Handel mit kostbaren Gütern gelang es ihm, Kupfer in Gold zu verwandeln. Er schickte Galeeren übers Mittelmeer und verschaffte seinem ärmlichen Herrscher damit Geld für historische Siege. In Zeiten eines Hundertjährig genannten Krieges gehörte er mit Jeanne d'Arc zu jenen Persönlichkeiten, die das Land vor vollständiger Besitznahme durch die englischen Eindringlinge retteten. Aus der Sicht des in den Kerker geworfenen Schatzmeisters schildert Möckel die historischen Ereignisse im damals tief gespaltenen Frankreich: die Verwüstungen, Intrigen, Morde. Er legt die Wankelmütigkeit des Königs dar und den rasanten Aufstieg Coeurs, der Verbindungen zum Papst wie zum ägyptischen Sultan aufbaute, riesigen Reichtum erwarb und doch alles verlor. Dieser Mann, Liebhaber der freizügigen Agnès Sorel oder vielleicht auch nur ein Verehrer, der im Traum das Bett mit ihr teilte, ragt durch Mut zum Experiment, vor allem aber durch seine Toleranz über die Zeitgenossen hinaus. Seine kluge Vermittlung zwischen den bis aufs Blut verfeindeten Religionen verleiht ihm Bedeutung bis in heutige Tage. Ein atemlos durcheiltes Leben, dessen Spannung bis zum dramatischen Ende nicht nachlässt.

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Inhaltsverzeichnis

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ZEITTAFEL FRANKREICH ERSTE HÄLFTE 15. JAHRHUNDERT

NACHWORT

Klaus Möckel

E-Books von Klaus Möcke

Impressum

Klaus Möckel

Gold und Galeeren

Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte aus dem mittelalterlichen Frankreich

ISBN 978-3-95655-906-8 (Buch)

ISBN 978-3-95655-905-1 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

© 2018 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E–Mail: verlag@edition–digital.de Internet: https://www.edition–digital.de

1

Die Beschuldigung war einfach lächerlich, völlig aus der Luft gegriffen! Er, Jacques Coeur, der mächtige Rat- und Geldgeber des Königs, ausgerechnet er, sollte die schöne Agnès Sorel vergiftet haben, die Mätresse Karls VII. von Frankreich, die vor einem Jahr unter grässlichen Magenkrämpfen überraschend gestorben war. Dabei wussten sie doch, wie er diese Schönheit verehrt hatte und dass er ihr nie hätte etwas antun können. Warum auch, sie stand auf seiner Seite, hatte ihn unterstützt, genau wie er sie. Noch wenige Stunden vor ihrem Tod hatte sie ihn zu einem ihrer Testamentsvollstrecker gemacht. Im Gegensatz zu ihren Feinden, dem Thronfolger Ludwig zum Beispiel und einer missgünstigen Hofgesellschaft, hatte er bittere Tränen um sie geweint, trauerte noch immer. Wenn er ehrlich war, hatte er sich sogar in diese verführerische junge Frau verliebt. Er hatte mit ihr gelitten, als Gerüchte über eine neue Mätresse Karls aufkamen, und sie aufzurichten versucht. Was also bedeutete diese böswillige Unterstellung.

Man befand sich auf Schloss Taillebourg, das der König in seine unterschiedlichen Aufenthaltsorte im Land einbezogen hatte, weil dort Agnès Sorels Töchter wohnten. Es war der 31. Juli 1451, ein warmer Tag, und die Mitglieder des Kronrats, den der Monarch einberufen hatte, um die Vorwürfe gegen seinen Schatzmeister zu prüfen, waren froh, durch das kühle Gemäuer vor der Hitze geschützt zu sein. Coeur, einer der wichtigsten Männer im Rat, war dazu nicht eingeladen worden, man hatte ihn nicht einmal davon unterrichtet. Aber er hatte Wind von der Sache bekommen und war unangemeldet erschienen. Er hatte dem König die Reverenz erwiesen und stolz erklärt, dass man ihn auch gleich verhaften könne, wenn man ihn so unsinnigerweise anklagen wolle. Er fordere nur, ihn nach dem Recht und seine Sache mit Vernunft zu behandeln.

Ja, er war entschlossen und furchtlos vor die Anwesenden hingetreten, wollte seine Unschuld offen bekunden, denn es konnte nicht sein, dass er vor derlei Verleumdung zurückwich. So weit, so gut vorausgedacht. Nicht erwartet hatte er indes, dass man ihn kurz darauf in der Tat wie einen Verbrecher von einigen Bewaffneten abführen lassen würde.

Nun stand er am vergitterten Fenster des Raumes, in dem man ihn eingesperrt hatte, und schaute blicklos in die Dunkelheit. Diese Anklage war eine Intrige, von Leuten eingefädelt, die ihm Übles wollten, weil sie ihn hassten oder Schulden loszuwerden hofften, die sie bei ihm hatten. Wie diese Jeanne de Mortagne, deren Namen ihm im Zusammenhang mit der Anschuldigung zu Ohren gekommen war, eine für ihre Geldgier bekannte Hofdame. Oder wie ihr nicht weniger verachtenswerter Busenfreund, ein gewisser Colonna. So mancher neidete ihm, dem großen Kaufmann, seinen Reichtum, hoffte zu profitieren, wenn er zu Fall gebracht würde. Er brauchte nur an die neuen Günstlinge des Königs zu denken, an Gouffier oder Castellani und an einige Angestellte seines weitverzweigten Handelsnetzes, die glaubten, zu kurz gekommen zu sein.

Sie hatten es wirklich eilig gehabt, ihre Büttel zu rufen und ihn festzusetzen. Coeur, nachdenklich geworden, verspürte plötzlich unbestimmte Angst. Hatte er die Anzeichen, die es seit einiger Zeit gab, nicht ernst genug genommen? Wochen vorher hatten sie Saintscoins, gleichfalls Ratsmitglied, der Veruntreuung beschuldigt, ihm den Prozess gemacht und ihn in den Kerker geworfen. Sie hatten ihn seiner Güter und seines Vermögens beraubt, das sich der König mit einigen seiner neuen Freunde teilte. Es war richtig, er selbst, Jacques Coeur, hatte an der Ermittlung teilgehabt und gewisse Unstimmigkeiten in Saintscoins’ Buchführung festgestellt. Doch das war es nicht allein, was hier gezählt hatte. Vielmehr waren seit den letzten Siegen über die Engländer und ihrer Vertreibung aus der Normandie andere Ratgeber am Hof nach oben gerückt, die nun das große Wort führten. Sie übten keinen guten Einfluss auf den wankelmütigen König aus.

Tausend Gedanken schossen Coeur durch den Kopf. Vielleicht wäre es besser gewesen, dem heutigen Treffen fernzubleiben und sich stattdessen schnellstens davonzumachen. Sich ihrem Zugriff zu entziehen, indem er sein Pferd sattelte und ihm die Sporen gab. Taillebourg befand sich im Südwesten des Landes, und ehe sie seine Flucht bemerken würden, hätte er einige Meilen in Richtung der Pyrenäen oder der Provence zurückgelegt. Er hatte überall Freunde, die ihm weiterhelfen, Unterschlupf gewähren konnten, bis ein sicherer Weg über die Grenze gefunden war. Zumal er mit Goldtalern nicht zu sparen brauchte.

Allerdings hätte eine Flucht auch bedeutet, alles kampflos aufzugeben. Seinen Besitz, die Familie, sein ganzes mühsam errichtetes Werk. Nein, das war nicht seine Absicht und schon gar nicht seine Art. Außerdem war es jetzt ohnehin zu spät. Er hatte sich anders entschieden, nun konnte er nur noch abwarten.

Jacques Coeur setzte sich auf einen wackligen Stuhl, den man ihm als Sitzgelegenheit immerhin belassen hatte. Im Kopf ließ er die letzten Monate Revue passieren. Seit dem Sieg über die Engländer bei Rouen und dem Tod von Agnès hatte sich im Land einiges verändert. Auch am Hof! Pierre de Brézé, der Freund, mit dem er noch prunkvoll, gleich hinter Karl VII., zur Siegesfeier in die Stadt eingeritten war, hatte sich vom Rat zurückgezogen und lebte auf seinen Gütern, andere taten es ihm gleich. Stattdessen bestimmten Leute das Geschehen, die danach trachteten, sich beim König einzuschmeicheln. Warum wollte Karl die absurde Beschuldigung der Mortagne überhaupt durch seine Beauftragten prüfen lassen? Er kannte doch seine Treue, hatte seine Dienste über schwierige Jahre hinweg immer zu schätzen gewusst. Nicht ohne Grund hatte er ihn, den verlässlichsten seiner Helfer, geadelt, ihm eine Ehre nach der anderen erwiesen.

Der König kann mich nicht fallen lassen, dachte Coeur, vor vier Tagen noch hat er mir eine größere Summe Goldtaler überlassen und mich gebeten, sie gut zum Nutzen des Landes zu verwenden. Oder war das alles nur gespielt? Launenhaft war er schon immer, er hat damals die Jungfrau von Orleans im Stich gelassen, so dass sie auf dem Scheiterhaufen endete, und so manchen seiner Vertrauten ins Unglück gestürzt. Er ist wechselhaft in seinen Stimmungen; seit Agnès’ Tod noch mehr als zuvor. Und dennoch, er muss wissen, was er an mir hat. Auf wen soll ich mich verlassen, wenn nicht auf ihn.

2

Jacques Coeur wurde um 1400 in eine Zeit hineingeboren, die als Hundertjähriger Krieg zwischen Franzosen und Engländern in die Geschichte eingegangen ist. Eine Zeit der Grausamkeiten und fortschreitenden Verarmung des Landes, das etwa 1430 an seinen Tiefpunkt gelangte. In Jacques’ Jugendjahren begann die vielleicht schlimmste Phase: Offiziell war damals noch Karl VI. König, aber dieser Monarch hatte schon früh unter Wahnattacken gelitten. In einem Anfall geistiger Verwirrung hatte er bei einem Ritt durch den Wald vier seiner Getreuen erschlagen und dämmerte seither in zunehmender Umnachtung dahin.

Frankreich war in jenen Jahren ohne Führung und in weiten Teilen von den Engländern besetzt, deren Könige Erbansprüche auf das Reich anmeldeten. Sie hielten große Gebiete im Westen, drangen auch von Norden her vor. Im Osten aber wurde das Herzogtum Burgund zum starken Konkurrenten. Die königstreuen Armagnacs und die eher England zugeneigten Burgunderfürsten versuchten mit brutalen Mitteln, an die Macht zu gelangen. Sie besetzten wechselseitig Paris, plünderten es dabei aus und metzelten sich gegenseitig nieder. Aufstände der gedemütigten Bürger, an deren Spitze die mächtige Gilde der Fleischer stand und in deren Verlauf blutig abgerechnet wurde, verschärften die Situation.

Ganze Landstriche, von Söldnerbanden durchstreift, die von Kriegsherren angeworben und bei Geldmangel wieder freigesetzt wurden, waren verwüstet und entvölkert. Die Häuser und Scheunen niedergebrannt, die Ernten, soweit sie überhaupt eingebracht werden konnten, in den Burgen gebunkert. Ausgeplünderte Bauern und hungernde Städter bildeten Bettelhaufen, die selbst stahlen und raubten. Erpressung, Vergewaltigung, Mord! Wer Ross und Schwert, eine Streitaxt oder wenigstens einen eisenbeschlagenen Knüppel besaß, nahm sich brutal, was man ihm freiwillig nicht geben wollte. Seuchen breiteten sich aus, Hunger raffte die Menschen dahin. Auch der Glaube, obwohl allgegenwärtig, konnte nicht mehr retten: Es gab Geistliche und Mönche, die sich den Banden anschlossen. Die Gewalttaten machten selbst vor Kirchen und Klöstern nicht halt. Nur selten noch hielt die Furcht vor ewiger Höllenpein die Missetäter zurück.

Es war ein Glücksfall, dass Coeur in Bourges zur Welt kam, einer Stadt südlich von Paris, die auf relativ sicherem Gebiet lag. Hier hatte der Herzog von Berry das Sagen, ein Neffe Karls VI., der Festlichkeiten und Prunk liebte, aber auch die Künste förderte. Seine berühmten „Stundenbücher“ gehören zu den wichtigen literarischen Zeugnissen der Epoche.

In all dem politischen Durcheinander hatte dieser Herzog eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt und seinen Städten einen bescheidenen Wohlstand sichern können. Zwar schreckte auch er nicht vor zwielichtigen Methoden zurück, wechselte die Seiten und griff zur Erpressung, wenn er es für notwendig hielt, doch an der Loire oder eben in Bourges profitierte man von seiner auf Neutralität bedachten Haltung. Hier sollte etwas später sogar Karl VII., der über lange Jahre angefeindete, umstrittene Nachfolger des wahnsinnigen Königs, Zuflucht finden.

Während also in der Kapitale Elend herrschte, es am Nötigsten, an Essen und Feuerholz fehlte, während die Bankiers die Stadt verließen, viele Häuser leer standen und nach einem Bericht im „Journal d’un bourgeois de Paris“ (Siehe dazu Hendrik de Man: „Jacques Coeur, der königliche Kaufmann“, Bern 1950) die Wölfe in kalten Wintern auf der Suche nach Nahrung die leeren Straßen durchstreiften, konnten die Bürger von Bourges einigermaßen ruhig der Arbeit nachgehen. Der Ort war durch seine Tuchmacher und Stoffhändler bekannt, aber auch Gold– und Waffenschmiede, Fleischer, Bäcker, Zimmerleute, Schuhmacher und Schneider fanden hier ihr Auskommen, bedienten sie doch die Bedürfnisse der weitverzweigten herzoglichen Hofgesellschaft.

Jacques’ Vater war nicht reich, doch als Kürschnermeister mit eigenem Haus und bescheidenem Vermögen ein angesehener Bürger des Ortes. Es scheint, dass er sein Gewerbe solide betrieb, beim Verkauf seiner Fuchs-, Marder- und Biberfelle, aber auch seiner Wollstoffe an die Geistlichen der Sainte-Chapelle und die Dienstboten des Herzogs von Berry gute Geschäfte machte. Dass die Furcht, in die Streitigkeiten und Kämpfe des Adels einbezogen zu werden, dabei stets gegenwärtig war, steht außer Frage. Die schrecklichen Ereignisse jener Zeit, zum Beispiel der Mord am Herzog von Orléans 1407 durch den Burgunderfürsten Jean sans Peur (Jean Ohnefurcht) konnten den zerbrechlichen Frieden auch in dieser Gegend zerstören. Es war ein Machtkampf um die Krone, in dem die Engländer gegen die Franzosen und umgekehrt, aber auch der Adel gegen das Königtum focht.

Für den jungen Coeur waren die Wirren seiner Zeit ohne Zweifel Normalität. Der Vater ließ ihm eine gute, seinem Stand angemessene Bildung angedeihen. Die Patres der unter Berry erbauten Sainte-Chapelle in Bourges unterrichteten ihn im katholischen Glauben, in Lesen, Schreiben und Rechnen, wobei das Letztere sein Lieblingsfach gewesen sein dürfte.

Wir sehen den Jungen mit der schmalen Nase, der hohen Stirn und den wissbegierigen Augen mit anderen Schülern an grob gezimmerten Tischen sitzen, wie er den Gänsekiel in die Tinte taucht, um eine Zahl auf ein Blatt Papier zu schreiben. Die Aufgabe besteht darin, den Preis einiger Ellen flandrischen Tuchs zu bestimmen – sie scheint ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten.

Als der Unterricht beendet ist, verlassen die Schüler lärmend den Raum. Im Schatten der riesigen Kathedrale des Ortes winden sich enge Straßen dahin, in denen allerlei Volk zusammenläuft: Dienstboten, die etwas für ihre Herrschaften erledigen sollen, Frauen mit Wäschekörben, Arbeiter, die Balken oder Steine schleppen, Fisch-, Brot-, Fleischverkäufer, Bettler, Dirnen und dazwischen Hunde. Ein Berittener schafft sich Platz, und Jacques bewundert seine glänzende Rüstung. Besonders der goldene Knauf seines in einer Lederscheide steckenden Schwerts hat es ihm angetan. So ein Schwert mit kostbarem Griff will er später selbst einmal führen.

Eines Tages, er ist schon etwas älter, nimmt ihn der Vater mit in das hohe Haus, das dem ihren gegenüberliegt. Er will mit dem Besitzer über ein Geschäft reden, bei dem es um einige Ellen Seidenstoff geht, gute venezianische Ware. Monsieur Léodepart, Gerichtsherr der Stadt und ehemaliger Kämmerer des Herzogs, ist dafür die richtige Adresse.

Jacques ist sehr gespannt auf den Besuch. Schon lange reizt ihn dieses prächtige Gebäude mit seinen Bewohnern, denn er weiß, dass sie am fürstlichen Hof ein und aus gehen. Auf der Straße hat er den Hohen Herrn natürlich schon gesehen, auch seine Frau und die Tochter, die ein paar Jahre jünger ist als er. Er hat stets ehrerbietig gegrüßt, wie es sich gehört, aber nun ist es etwas anderes, er wird endlich das Innere des Hauses kennenlernen.

Nachdem ihm der Vater zum fünften Mal erklärt hat, wie wichtig das Gespräch ist und dass er sich dabei still verhalten, aber gut zuhören soll, um etwas für die Zukunft zu lernen, werden sie von einem Diener in Livree eingelassen. Neugierig betrachtet Jacques im Foyer, wo sie warten müssen, die Bilder und feingewebten Teppiche an den Wänden, die meist Jagdszenen darstellen. Eisenbeschlagene schwere Truhen werfen Schatten im Sonnenlicht, das durch die Fenster fällt, und von einem großen Bildnis schaut goldumkränzt die Jungfrau Maria auf ihn herab.

Der Junge ist beeindruckt, denn bei ihnen zu Hause ist alles viel  schlichter. Dann öffnet sich die Tür zu den hinteren Räumen, und Monsieur Léodepart steht in einem dunkelblauen, an den Ärmeln mit Silber bestickten Hausrock vor ihnen.

„Ah, da seid Ihr ja, Coeur“, sagt er leutselig zum Vater, „Ihr habt Euren Jungen mitgebracht. Habt Ihr auch die Proben dabei?“

„Das wäre eine schöne Sache, Monsieur, wenn ich sie nicht mit hätte“, erwidert der Vater und weist auf einen in grobes Tuch eingeschlagenen Packen, den er unterm Arm trägt. „Es sind zwei Muster. Zeigt das Eurer Dame, und ich schwöre, sie wird entzückt sein.“

Der Hausherr lacht und führt die beiden in einen kleineren Raum mit einem großen Tisch. Er bedeutet dem Vater, den Stoff auszubreiten. Während der alte Coeur seiner Aufforderung folgt, mit behutsamen Fingern die Falten glättet, sagt er:

„Ihr verübelt mir doch nicht, dass ich meinen Jacques mit in Euer schönes Haus bringe? Er hat langsam das Alter, wo er Handel und Geschäft kennenlernen soll.“

„Wie könnte ich das“, erwidert Monsieur Léodepart, „ich schau ihn mir an und finde, Ihr habt durchaus recht, ihn mitzunehmen.“

Jacques, da man über ihn redet, wird ein wenig rot. Zumal der hohe Herr sich plötzlich an ihn wendet:

„Man hört Gutes von dir“, beginnt er. „Pater Albert meint, du seist einer seiner besten Schüler.“

„Ja, ich ... ich geb mir schon Mühe.“

„Im Rechnen ist er gut, im Schreiben und Lesen, na ja“, ergänzt der Vater.

Léodepart mustert den Jungen. Plötzlich fragt er:

„Nun, was meinst du? Wie viel sollen wir deinem Vater für die Elle dieses Stoffs bezahlen?“

Jacques ist überrascht, mit so einer Frage, direkt an ihn gerichtet, hat er nicht gerechnet. Er bringt zunächst kein Wort heraus. Aber dann fällt ihm ein, dass der Vater kürzlich erwähnt hat, man müsse wenigstens zehn Pariser Taler für eine Elle von dieser Qualität erzielen, und zur eigenen Verwunderung erwidert er:

„Zwölf Pariser Taler, Monsieur, denn man findet solche Ware sehr selten.“

Nun zeigt sich der Hausherr verblüfft.

„Donnerwetter, du gehst ran“, sagt er. „Zwölf Pariser Taler, den Brocken muss ich erst mal schlucken.“ Und an den Vater gewandt:

„Der versteht was vom Verhökern, Coeur, der wird mal ein guter Kaufmann.“

Der Vater, der bei der Antwort seines Sohnes etwas erschrocken dreingeschaut hat, atmet auf:

„Wie schön, dass Ihr das nicht krumm nehmt. Ihr wisst doch, die Jugend ist stürmisch.“

Im Verlauf des Handels, in den Jacques nicht mehr einbezogen wird, einigen sich die Parteien auf elf Pariser Ecus – ein Preis, der den Jungen ganz stolz macht, glaubt er doch zurecht, einen Anteil daran zu haben.

An diesem Tag hat er aber noch ein zweites Erlebnis. Bevor nämlich das Geschäft besiegelt wird, lässt der Hausherr seine Gattin zur Begutachtung des Stoffes herbeirufen, und mit ihr taucht auch ihre Tochter auf. Die ist dicklich, aber wie eine Prinzessin in ein feines Kleid mit Perlenkragen gehüllt.

Während Léodeparts Frau sichtlich angetan von dem Stoff ist, ihn immer wieder durch die Finger gleiten lässt, stehen sich die beiden Kinder von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Macée, so heißt die Tochter, sieht älter aus, als sie nach Jahren zählt. Sie trägt eine weiße Spitzenhaube und Glitzerschmuck. Sie schaut verlegen zu Boden, streckt dem Jungen aber, als sie sich unbeobachtet von den Erwachsenen sieht, unvermutet die Zunge heraus. Jacques, erhaben über diesen Kinderkram, dreht sich einfach von ihr weg.

Dann kehren sie nach Hause zurück, der Vater sichtlich zufrieden, denn er hat nicht nur ein gutes Geschäft gemacht, sondern außerdem das Versprechen Monsieur Léodeparts erhalten, ihm weitere Kunden zu verschaffen, an die man ohne Verbindung zum Hof nicht herankommt. Und was gleichfalls interessant ist: Der ehemalige Kämmerer scheint Anteil an der Entwicklung seines Sohnes zu nehmen.

3

In der Folge geht der Vater noch ein paar Mal zu dem Monsieur Léodepart, doch er nimmt Jacques nicht mehr mit. Ab und zu sieht der Junge den Hohen Herrn vorüberreiten, er grüßt höflich und bekommt ein freundliches Nicken zur Antwort. Manchmal bemerkt er am Fenster des gegenüberliegenden Hauses das Mädchen Macée, das zu ihm herabschaut und Grimassen zieht. Er tut, als sehe er sie nicht, beobachtet sie aber, bis sie sich vom Fenster zurückzieht. Einmal, sonntags, geht sie mit ihrer Mutter zur Messe in die nahegelegene Kirche Saint-Pierre-de-Marché und er folgt ihr in einiger Entfernung. Als die beiden in den vorderen Bänken Platz genommen haben, versteckt er sich hinter einer Säule und späht zu ihnen hinüber. Warum er das tut, weiß er selbst nicht, doch er hat das Gefühl, sie habe ihn entdeckt und es sei ihr nicht unangenehm. Er ist inzwischen dreizehn oder vierzehn Jahre alt, und als einige seiner Mitschüler damit prahlen, sich heimlich mit einem Mädchen zu treffen, will er nicht zurückstehen. Er kenne ein sehr schönes Hoffräulein, behauptet er, und verehre sie. Sie trage einen seltenen Namen, mehr könne er nicht verraten. Die anderen stellen trotzdem Fragen, aber er gibt nichts mehr preis, viel hat er ja auch nicht preiszugeben.

Bald darauf gehört Jacques zu den ältesten Schülern, und er beginnt sich im Unterricht zu langweilen. Da ist es ihm ganz recht, dass sich Veränderungen ergeben. Die Patres haben ihm all das beigebracht, was sie konnten, nun gilt es, an anderer Stelle weiterzulernen. Für Jacques ist klar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten und einmal ein guter Kaufmann werden wird.

Die Eltern sehen es genauso, und der Sohn, der sich schon vorher allerlei Kniffe von seinem Erzeuger abgeschaut hat, eignet sich über Pelze und Gewebe eifrig weiteres Wissen an. Er nimmt an Gesprächen mit Kunden teil, erfährt, dass man mit einem Bauern anders verhandeln muss als mit einem Ratsherrn und den Wert eines Adligen nicht nach dem bestimmen kann, was er zu sein vorgibt.

Mitunter nimmt ihn der Vater auf eine kurze Handelsreise mit, und so lernt er nicht nur mit Pferden umzugehen, sondern kriegt auch etwas von der Umgebung mit. Beeindruckend sind Besuche im Schloss des Herzogs, wenn sie an einen der Hohen Herren Marderfelle oder feines Tuch liefern. Die Pracht der Gebäude und Gemächer, der Glanz der Galerien und Säle, die kunstvoll gearbeiteten Teppiche, Wandbehänge, Möbel, die Bilder und Statuen – all das erstaunt ihn. Manchmal kehren sie zufrieden und mit klingender Münze im Beutel zurück, manchmal behandelt man sie von oben herab, mäkelt an ihrer Ware herum, bezahlt schlecht oder gar nicht.

Doch wie nun immer, Jacques saugt alles Neue gierig auf. Und als Monsieur Léodepard, der Nachbar, der offenbar große Stücke von ihm hält, den Eltern vorschlägt, ihn noch weiter zu fördern, indem man ihn bei einem Münzer in die Lehre schickt, ist er mit Freude dabei. Voraussetzung ist allerdings, dass er sich einige Fähigkeiten im Umgang mit edlen Metallen aneignet. Léodepard weiß da einen Goldschmied, einen Meister in der Rue des Armuriers.

Kostbaren Schmuck aus Silber und Gold zu fertigen, ihn an adlige Damen oder reiche Bürger zu verkaufen und dabei besseren Gewinn als mit Wollstoffen zu machen, dieser Gedanke ist für Jacques durchaus verlockend. Besonders das rote glänzende Gold hat es ihm angetan. Man hätte gern viel davon und bekommt es so selten in die Hand. Nicht von ungefähr bemühen sich dumme wie auch kluge Männer darum, den Stein der Weisen zu finden, die Allraunenwurzel, die Formel, es herzustellen. Nicht ohne Grund wird von ihnen in alten Büchern nach der Rezeptur gesucht, fallen Fürsten und selbst Könige auf Schwindler herein, die behaupten, Gold erschaffen zu können.

Auch Jacques wüsste nur zu gern, aus welchen Bestandteilen  sich das glänzende Metall zusammensetzt, so dass er sie im Tiegel mischen und erhitzen könnte. Die eigenen Versuche, Blei mit Zinn und Schwefel oder ähnlichen Substanzen überm Feuer zu verschmelzen, sind leider fehlgeschlagen.

Doch das alles ist nur Träumerei: Schon bald wird Jacques merken, dass mit Gold zu arbeiten, nicht heißt, es auch zu besitzen. Léodepard aber, der weiterhin Gespräche mit dem alten Coeur über den Jungen führt, hat für ihn einen Weg vor Augen, der sehr real ist und ihn diesen Schätzen tatsächlich näher bringen kann. Er versucht, ihn in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Denn Paris liegt nach all den blutigen Kämpfen darnieder, die dortige Münz- und Prägeanstalt wird kaum noch genutzt. Vielleicht kann Bourges eines Tages in die Bresche springen. Als Münzmeister hätte Jacques eine sichere Zukunft, könnte für sich, seine Familie, die Stadt, in der Léodepart eine wichtige Rolle spielt, einiges tun. Durch eine großzügige Förderung würde er den jungen Mann auf lange Zeit an sich binden.

Stellen wir uns also vor, dass Jacques einige Wochen später bei einem Goldschmied zu lernen beginnt. Falls er aber gedacht haben sollte, er könne sich gleich dem edlen Metall zuwenden, glänzende Steine in die Hand nehmen, Silber im Schmelztiegel erhitzen und in Form bringen, so sieht er sich getäuscht. Was er darf, ist Wasser und Holz fürs Feuer herbeischaffen, das Werkzeug säubern, die Werkstatt auskehren.

Etwas anderes ist es da schon, die Kerze zu halten, damit der Meister das richtige Licht bei seiner Arbeit bekommt, kann man dabei doch zuschauen und sich allerhand einprägen. Einige Zeit später lässt ihn der Meister ein Stück Blech so dünn hämmern, wie es nur geht, und ein Muster hineinritzen. Als Jacques die erste Kupferschale gelingt, gibt es sogar Worte der Anerkennung.

Möglicherweise wird aus dem Burschen kein großer Künstler werden, doch wir setzen voraus, dass er fleißig ist und sich die Fähigkeiten aneignet, die er später einmal benötigt. Auch erwachsener wird er, reifer, beginnt die Mädchen mit anderen Augen zu betrachten. Sonntags besucht er nicht mehr nur die Messe oder treibt sich mit einigen Gleichaltrigen an den Flüssen herum, an der Yèvre, dem Auron, er findet sich auch in der Schenke ein. Wir lassen unsere Fantasie spielen und erfinden eine Kellnerin mit langem schwarzen Haar, die dort für ein paar Deniers aushilft. Sie gefällt ihm, und er würde gern mit ihr anbändeln. Sie heißt Louise, ist schon älter, schlank aber robust, weiß sich in dieser Männerwelt mit angetrunkenen Soldaten, kartenspielenden Tagelöhnern und Handwerksburschen zu behaupten.

Jacques, der keine Erfahrung mit Frauen hat, wird von Louise bedient wie jeder andere, aber das ist es auch schon. Als er ihr einmal ungeschickt ein Kompliment macht, lächelt sie ihn kurz an, das jedoch eher etwas spöttisch und herablassend, wie ihm scheint. Da versucht er es mit einem Geschenk. Zu Hause in seiner Kammer bastelt er eine Kette aus kleinen Kupferherzen, ein echtes Schmuckstück. Doch um sie ihr zu geben, bedarf es der richtigen Gelegenheit, und die will einfach nicht kommen.

Bis eines Abends – er hat sich früher als sonst aus der Werkstatt fortstehlen können und sitzt schon beim dritten Becher Wein – am Nachbartisch ein Streit entsteht. Einer hat beim Würfeln betrogen; zwei Kerle gehen aufeinander los, schlagen brutal zu. So etwas erlebt Jacques öfter, aber als in diesem Fall Louise schlichten will und sich die Wut der Männer plötzlich gegen sie richtet, sieht er rot. Schwankend steht er auf, brüllt die Kerle an, packt den einen am Arm.

„Du bist mutig“, sagt Louise später anerkennend, „aber das war gefährlich, das hättest du besser sein lassen sollen. Wenn ich dich da nicht rausgezogen hätte, wärst du jetzt Pflaumenmus.“