6,99 €
"Good Bye New York" nimmt die Leser*innen mit auf letzte Erkundungen, an Lieblingsorte, in Parks, Museen und Cafés, oder auch einfach durch einen gewöhnlichen Tag in einer ungewöhnlichen Stadt. Die letzten hundert Tage bis zum Abflug sind ein Auf- und Ab der Gefühle, ein Countdown, dem man sich entgegenstemmt und gleichzeitig sein Ende herbeiwünscht - ein Abenteuer zu Ende zu bringen, scheint eine ebenso große Herausforderung zu sein, wie es zu beginnen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 109
Für Octavia
Vorab
Tag 100
Tag 99
Tag 98
Tag 97
Tag 96
Tag 95
Tag 94
Tag 93
Tag 92
Tag 91
Tag 90
Tag 89
Tag 88
Tag 87
Tag 86
Tag 85
Tag 84
Tag 83
Tag 82
Tag 81
Tag 80
Tag 79
Tag 78
Tag 77
Tag 76
Tag 75
Tag 74
Tag 73
Tag 72
Tag 71
Tag 70
Tag 69
Tag 68
Tag 67
Tag 66
Tag 65
Tag 64
Tag 63
Tag 62
Tag 61
Tag 60
Tag 59
Tag 58
Tag 57
Tag 56
Tag 55
Tag 54
Tag 53
Tag 52
Tag 51
Tag 50
Tag 49
Tag 48
Tag 47
Tag 46
Tag 45
Tag 44
Tag 43
Tag 42
Tag 41
Tag 40
Tag 39
Tag 38
Tag 37
Tag 36
Tag 35
Tag 34
Tag 33
Tag 32
Tag 31
Tag 30
Tag 29
Tag 28
Tag 27
Tag 26
Tag 25
Tag 24
Tag 23
Tag 22
Tag 21
Tag 20
Tag 19
Tag 18
Tag 17
Tag 16
Tag 15
Tag 14
Tag 13
Tag 12
Tag 11
Tag 10
Tag 9
Tag 8
Tag 7/6
Tag 5
Tag 4
Tag 3
Tag 2
Tag 1
Nun liegt das New-York-Abenteuer hinter uns – und wenn ich noch ein wenig warte, wird es mit Sicherheit zu einer nostalgischen Erinnerung.
Die Stadt ist mystisch, es gibt diese verzauberten Momente – aber das tägliche Leben ist auf vielerlei Weise eine Herausforderung. Eine, die den Improvisationsgeist anregt, die Frustrationstoleranz trainiert, den Horizont öffnet, mich zugleich abgeklärt und engagiert werden lässt, unendlich viele Eindrücke und Informationen bereithält und sehr lautstark ist. Die Erinnerungen aber sind ohne Ton, ich bin nicht von feuchter Hitze verquollen oder fühle mich vom Blizzard gepeitscht. Deshalb war das Tagebuchprojekt, das meine Tochter Paula für mich erfand, so wichtig: um Gegenwart einzufangen. So hat es sich genau in dem Moment angefühlt. Das waren meine Gedanken dazu. Und schnell einen Punkt dahinter gemacht. Liebsten Dank, Paula!
Dass die Leserinnen und Leser der beiden ersten NewYork-Tagebücher mitgefiebert, sich gefreut und Anregungen daraus gezogen haben, mir davon erzählten, war eine wunderbare Erfahrung. Viele Menschen haben eine Brücke zu uns nach Brooklyn geschlagen – das hat es leichter gemacht. Und manchmal auch ein klein wenig schwerer, weil es diesen deutschsprachigen Rückzugsort gab, aus dem wir dann wieder hinaus in die neue Welt mussten. Um das Leben in zwei Sprachen etwas nachvollziehbarer zu machen, ist der zweite Band der New-York-Tagebücher zweisprachig geworden – Sohn Nick konnte durchs Übersetzen unsere Wege nachvollziehen, auch wenn er in Deutschland geblieben war. Danke Dir, Nick! Zu Hause zu sein an einem Ort, der jeden Tag aufs Neue erobert werden will, blieb bis zum Schluss spannend.
Wir sitzen am Gate im John F. Kennedy Airport – heute Nacht geht es nach Frankfurt.
Damit starten zufälligerweise unsere letzten hundert Tage in New York.
Im Taxi war ich wehmütig, wollte mein geliebtes Park Slope nicht verlassen. Mir kann man es gerade nicht recht machen. Denn nach Deutschland zieht es mich natürlich auch.
In den Koffer habe ich ein Spielzeug von Lissy Labrador eingepackt, für Nick. Sie wird schrecklich fehlen bei unserem Wiedersehen.
Die letzten Wochen waren davon geprägt, tapfer sein zu müssen, und nur wenn ich gar nicht weiß, wohin vor Arbeit, oder intensiv anderen Menschen zuhöre, denke ich nicht an sie. Danach sehe ich erstaunt auf und kann nicht glauben, dass sie wirklich nicht mehr da ist.
Nach tagelangen Reisevorbereitungen sind die Koffer nun aufgegeben, und es bleibt nichts weiter zu tun, als zu warten. Heute hat es den ganzen Tag geregnet, und das Prasseln an den Taxifenstern machte uns alle schläfrig. Paula sah beim Aussteigen aus, als hätten wir sie aus einem kuscheligen Bett gezerrt.
Der Fahrer nahm Seitenstraßen, wahrscheinlich um dem Berufsverkehr auf der Hauptroute auszuweichen. Manche Viertel sehen wirklich zum Gotterbarmen aus. Man kann sich das vom Highway aus schon denken: drecküberzogene Straßen, grelle Leuchtreklame an jedem schmuddeligen Lädchen und kreischender Subway-Lärm von der oberirdisch verlaufenden Trasse.
Wir fahren durch den Schwarzwald, Frühlingssonnenschein, beschwingtes Lied im Radio, angenehmes Auto, alles perfekt, aber mir laufen die Tränen übers Gesicht. Warum kann nur Lissy das nicht mehr erleben? Im Radio werden jetzt die Freitagnachmittags-Unfallmeldungen durchgegeben, und ich mache mir Sorgen um Nick. Letztlich kommen aber alle gut an, und die family reunion kann beginnen.
Ich starte mit der Hotel-Badewanne.
Heute hat Richards Vater Hans seinen achtzigsten Geburtstag. Ich mache seit sechs Uhr morgens Fotos von der Landschaft. Die Familie ist abwechselnd schwimmen. Frühstücken gehen wir erst, wenn alle auf den Beinen sind, mein Magen wird also noch länger knurren.
Zum Abendessen gestern saßen wir an einer schönen langen Tafel, Richards Bruder Frederik und ich lästerten ein wenig über das Hotel-Getue, und als wir damit fertig waren, unterhielt ich mich gut mit seiner Partnerin Suki.
Eben waren wir alle zusammen vergnügt spazieren – nachdem wir an einem mit Blüten übersäten Frühstückstisch saßen, wurde Hans von Moritz, Paula und Nick im Rollstuhl über Wiesen und Hänge hinauf und hinunter geschoben und wir anderen liefen munter drum herum. Ich spazierte mit Nick zum Hotel zurück. Spreche so gerne übers Schreiben mit ihm.
Habe schwer mit der Traurigkeit zu kämpfen. Sie kommt immer wieder und umhüllt mich dann vollständig. Wenn es direkt um Lissy geht, finde ich es angemessen, aber auf andere Bereiche sollte es eigentlich nicht übergreifen.
Ich fürchte, die Herausforderung ist gerade ein bisschen zu groß, da ja auch die Trennung von Paula ansteht. Wenn auch nur unter der Woche, denn sie käme am Wochenende immer nach Hause. Wir wissen es noch nicht sicher, aber geplant ist, dass sie ab September auf ein Internat geht. Es war Paulas Idee, hat rasch eine Eigendynamik angenommen, und nun rückt die Entscheidung näher.
Wir leben in Brooklyn so intensiv zusammen, dass es mir noch nicht richtig vorstellbar ist und schon im Vorhinein mächtig Abschiedsschmerz hervorruft. Das zweite Kind, das sehr früh Anlauf in die Selbstständigkeit nimmt. Ich suche nach Vergleichen, aber in meinem Freundinnenkreis gibt es keine.
Natürlich bin ich auch stolz auf meine Kinder, die eigene Wege erkennen und einschlagen, aber alle gleichzeitig »weg«? Ich weiß nicht, wie ich mir das Ende der Familienphase vorgestellt habe, aber nicht mit einem toten Hund, einem Sohn in Ausbildung irgendwo und einer Tochter im Internat.
Dabei muss ich an meine Herkunftsfamilie denken und an den Tod meines Stiefvaters als Ende der Familienphase. An meinen Bruder, der nach dem Schulabschluss ins Ausland zum Studieren ging. An mich, die ich schon ausgezogen war. Und an meine Mutter, der es den Boden unter den Füßen wegzog.
Heute löste sich die Familienzusammenkunft wieder auf. Alle starteten in unterschiedliche Himmelsrichtungen. Wir sitzen mittlerweile gemütlich in Weingarten bei Ina und Martin. Und gleich sehe ich auch meine Freundin Margit wieder! Ob ich heute Nacht noch ein bisschen schreiben kann?
Mit Ina in der Stadt gewesen, in Lädchen gestöbert, nette Kleinigkeiten erworben und zum Abschluss in der Alten Bank gegessen. Nachmittags im Sallenbusch viele Tiere kennengelernt und Carmen getroffen. Spontaner Wein in Frauenrunde und bei Sonnenschein. Gelungenes Abendessen mit der Familie von Paulas Freund Leon. Die Eltern leben getrennt, sind aber beide gekommen, um uns kennenzulernen. Auch der Lebensgefährte von Leons Mutter ist dabei. Wir reden kreuz und quer und hin und her und freuen uns über die beiden glücklich beisammensitzenden Jugendlichen.
Morgen geht’s nach Heidelberg, und am Donnerstag wird es dann richtig spannend.
Mit Jana im Rossi getroffen – allerlei verspeist und viel erzählt. Zusammen aufgebrochen und nach einem Geburtstagsgeschenk für eine Kollegin Ausschau gehalten. Auf unserer Suche kamen wir in einem Musikgeschäft vorbei, in dem ich ein kleines Instrument entdeckte, das ich bisher noch nicht kannte: Kalimba in A-Moll. Muss nun mit nach New York. Außerdem strahlend himmelblaue Schuhe gekauft.
Später Max, den Sohn unserer amerikanischen Freunde, getroffen und sofort lospalavert. Nun können wir unsere Erfahrungen austauschen – der Wechsel zwischen den Welten ist ein ziemlich unerschöpfliches Thema. Und nichts macht mehr Spaß, als darüber mit Menschen zu sprechen, denen man nichts erklären muss. So kann man fröhlich mit Andeutungen Pingpong spielen, herzlich lachen und gemeinsam den Kopf schütteln.
Max hat einen Geheimtipp für uns, einen Mini-Italiener in einer Seitengasse, und unterwegs stößt Richard dazu. Es gibt sardische Zitronenlimo und Ignusa, das Insel-Bier. Dazu ein köstliches Risotto. Die Zeit huscht viel zu schnell vorbei, und wir müssen wieder aufbrechen. Vor der Rückfahrt nach Weingarten sehen wir noch bei Max’ Studentenbude vorbei, die sich als Villa entpuppt, in der schon Kaiserin Sissi residierte, am Berg und zwischen hohen Bäumen gelegen. Was für ein Altbauzimmer! Und dazu ein Balkonausblick auf untergehende Sonne.
Am Heidelberger Bahnhof beobachte ich die Sittiche auf ihrer Suche nach einem Nachtquartier, sie durchkämmen in wilden Sturzflügen einen großen Baum, die Luft ist erfüllt von ihrem tropischen Geschrei.
Wir sind in Baden-Baden, lassen uns die Sonne auf den Kopf scheinen und stapfen bergaufwärts übers Kopfsteinpflaster, vorbei an einem italienischen Café mit blühendem Magnolienbaum. Ich hätte nichts gegen einen längeren Weg gehabt, aber um die Ecke herum stehen wir bereits vor dem Eingang zum Internat. Herzliche, zuvorkommende Begrüßung, und im Nu sitzen wir in einem Raum, in dem wir die Blicke schweifen lassen können – auf die Familienporträts oder auf einen Kristalllüster aus farbigem Glas, vielleicht Murano. Dann betritt die Geschäftsführerin den Raum, und wir kommen in den seltenen Genuss einer professionellen Gesprächsführung. Sehr hilfreich, nachdem wir doch alle drei zusammen und jeder für sich allein nervös sind.
Paula ist nach der Führung über das Gelände euphorisch, und wir lassen uns gerne anstecken. Auch wenn ich noch zwiegespalten bin, da ich selbst nie in ein Internat hätte gehen wollen, aber gleichzeitig doch sicher bin, dass diese klare Struktur hilfreich sein kann für unsere Tochter. Und nach dem Amerika-Abenteuer ein guter Weg zurück ins deutsche Schulsystem ist. Paulas Schultyp wird das sozialwissenschaftliche Gymnasium sein, falls sich alle Formalitäten positiv abwickeln lassen.
Zurück in Weingarten gehen wir abends, nach einem entspannten Hundespaziergang mit Joy, ins Chalet Freunde treffen und vom Tag berichten.
In der Früh hilft mir Margit, Päckchen und Briefumschläge fertig zu machen, und fährt zur Post mit mir. Danach geht es frühstücken zum Eulenspiegel in Bruchsal. Gestärkt starten wir unseren Ausflug nach Karlsruhe: Fotoausstellung in der Kunsthalle besuchen. Von der Majolika aus machen wir uns zu Fuß auf den Weg und bleiben erst einmal im Botanischen Garten hängen. Mit Krähen sprechen und den Pflanzen beim Aufblühen zusehen …
Die Ausstellung ist interessant konzipiert und stellt die Anfänge der Fotografie in Bezug zur zeitgenössischen Malerei. Nachdem wir uns beide sehr für Fotografie interessieren, sind wir völlig gebannt und machen uns gegenseitig begeistert auf Details aufmerksam. Ein schönes Extra sind die Ferrotypien eines japanischen Künstlers, der diese alte Technik für sein Fotoprojekt mit Jugendlichen einsetzt, die »nebenbei« Auskunft über ihre Lebenseinstellung geben. Und die Aktion zum Mitmachen, »Fotografiert werden wie 1850«, ist so simpel wie eindrucksvoll. Wer so lange still sitzen und seinen Ausdruck halten muss, wirkt automatisch steif und mehr oder weniger würdevoll! Selbst unsere moderne Kleidung ändert daran nichts.
Abends geht es in neuer Besetzung wieder ins Chalet, und mir wird vor allem die lustige Rückfahrt in Erinnerung bleiben: Martin und Richard sitzen im Auto hinten auf dem »Kinderbänkchen«, und Ina und ich lachen über die schrägen Kommentare der Hinterbänkler.
Beim Vorab-Pass-Check am Frankfurter Flughafen ziehe ich das Zufallslos für eine zusätzliche Kontrolle und muss dazu in einen mit Sichtschutz versehenen Sonderbereich. Zum einen muss ich mein Handgepäck noch mal präsentieren, zum anderen mich selbst. Beine ausstrecken, abgetastet bekommen, dann fährt die Beamtin mit einem Detektorstreifen erst an der Kleidung entlang und anschließend am Gepäck. Danach zerlegt sie meine Schuhe, und ich schiebe missmutig sämtliche Sohlen wieder hinein. Die vom Schuh, die glücklicherweise nicht angeklebt sind, und die kurzen für den besseren Halt des Fußes, die ich extra dazugekauft hatte. Ich fürchte, ich habe eine Polizeiphobie, obwohl ich nie irgendwelche Probleme hatte. Sicher sollte man eher froh über jede weitere Kontrolle sein, als sich aufzuregen. Aber es fällt mir schwer.
Der Rest des Tages vergeht dann im Flieger bei drei Filmen, meinem persönlichen Rekord: Wallace and Gromit und Mamma Mia 1 und 2. Lustig, dusselig, super kitschig – alles recht, was harmlos ablenkt!