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Seitenzahl: 175
INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Niedergang des Feudalabsolutismus und deutsche Kleinstaaterei
Sturm und Drang
Widersprüchlichkeit des historischen Götz
Das zeitgenössische Umfeld der Entstehung des Götz
Bedeutung von Goethes Anwaltstätigkeit für das Stück
Goethes Rede Zum Schäkespears Tag
Goethes Abwendung vom Sturm und Drang
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
Zum Schäkespears Tag (1771)
Von deutscher Baukunst (1772)
Frankfurter Gelehrte Anzeigen (1772)
Maskenzug (1818)
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
Die Entstehung des Urgötz (1771)
Der Weg zur Neufassung von 1773
Goethes Quellen
3.2 Inhaltsangabe
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
3.3 Aufbau
Dramaturgische Neuerungen nach dem Vorbild Shakespeare
Chronik und epische Struktur
Die zwei Haupthandlungen
Kombination aus offener und geschlossener Dramenform
Die Götz-Handlung
Die Weislingen-Handlung
„Faustrecht“ versus römisches Recht
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Sprechende Namen und Ständebaum
Götz von Berlichingen
Elisabeth
Carl
Kaiser Maximilian I.
Adelbert von Weislingen
Franz von Sickingen
Adelheid von Walldorf
Maria
Bruder Martin
Lerse
Franz
Metzler
Soziale Gruppen
Charakterisierung durch Kontrastierung
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
3.7 Interpretationsansätze
Formale Neuerungen
Shakespeare als Vorbild
Die unterschiedlichen Fassungen und ihre Folgen
Götz: moralisch überlegen, historisch überholt
4. Rezeptionsgeschichte
Durchbruch mit der Neufassung
Friedrich II., Lessing und Mehring als Kritiker
Boom der Ritterstücke
Aufnahme im Naturalismus
Götz im 20. Jahrhundert
5. Materialien
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 **
Aufgabe 2 **
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 **
Literatur
1) Zitierte Ausgaben
2) Weitere Primärliteratur
3) Lernhilfen und Kommentare für Schüler
4) Sekundärliteratur
5) Verfilmungen
Damit sich jeder Leser in diesem Band sofort zurechtfindet und das für ihn Interessante entdeckt, folgt eine Übersicht.
Im 2. Kapitel wird Johann Wolfgang von Goethes Leben beschrieben und auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund verwiesen:
Goethe lebte von 1749 bis 1832, nach seinem Studium in Leipzig (1765–1768) und Straßburg (1770/71) seit 1775 vorwiegend in Weimar, der Hauptstadt des Herzogtums (seit 1815 Großherzogtums) Sachsen-Weimar-Eisenach.
Angeregt durch die Lebens-Beschreibung des historischen Götz, durch Freunde in Straßburg und die Schwester schrieb Goethe zunächst 1771 den Urgötz, die erste Fassung des Götz von Berlichingen, der 1773 die neu gestaltete endgültige Fassung folgte.
Das Stück brach mit dem französischen Klassizismus und seinen deutschen Anhängern (Gottsched); es ist ein Höhepunkt der Dramatik des Sturm und Drang und gilt als erstes nationales deutsches Geschichtsdrama und eigenständige Nachfolge Shakespeares.
Im 3. Kapitel findet der Leser eine Textanalyse und -interpretation.
Götz von Berlichingen – Entstehung und Quellen:
Die entscheidende Quelle war Götz‘ Lebens-Beschreibung, 1731 erschienen. Andere Materialien waren die Chronica (1531) Sebastian Francks, literarische Texte (Gerstenbergs Ugolino) und rechtshistorische Werke. In sechs Wochen entstand 1771 die erste Fassung. Nach konstruktiver Kritik Herders schrieb Goethe vom Januar bis März 1773 das Stück neu.
Inhalt:
Der Ritter Götz von Berlichingen hat den alten Freund Weislingen, inzwischen ein Vertrauter des Bischofs, gefangen genommen, weil der Bischof von Bamberg einen seiner „Buben“ (Knappen) inhaftiert hat: Fürstliche Macht steht in Fehde mit freiem Rittertum. Weislingen entscheidet sich erneut für Götz, verlobt sich mit dessen Schwester, kehrt jedoch, von einem Höfling zu der verführerischen Adelheid gelockt, an den Bamberger Hof zurück und intrigiert von nun an gegen Götz, der sich durch Überfälle rächt und deshalb mit der Reichsacht belegt wird. Vor ein Gericht gestellt, befreit ihn Sickingen. Der Kaiser schätzt die Geradlinigkeit Götz‘, der sich – entgegen der Festlegung, auf seinem Schloss in ritterlicher Haft zu bleiben – kurzzeitig den aufständischen Bauern anschließt, um ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Götz wird von Weislingens Truppen gefangen genommen. Weislingen wird ermordet. Die Anstifterin Adelheid, der Weislingen und andere verfallen waren, findet ihr Ende durch ein Femeurteil. Götz stirbt in Gefangenschaft.
Chronologie und Schauplätze:
Der historische Götz (Gottfried) von Berlichingen, ein fränkischer Reichsritter, wird um 1480 auf der Burg Jagsthausen in Württemberg geboren, beteiligt sich an Kriegen Kaiser Maximilians I., führt Fehden gegen Nürnberg und den Schwäbischen Bund. Er wird in Heilbronn inhaftiert und von Franz von Sickingen befreit. 1525 führt Götz in Schwaben einen Haufen aufständischer Bauern im Bauernkrieg. Im Stück stirbt er 1525 in Gefangenschaft, tatsächlich tritt sein Tod erst 1562 auf Burg Hornberg in Neckarzimmern ein. Maximilian I. starb bereits 1519 – beträchtliche Zeit vor dem Bauernkrieg –, Sickingen 1523. Das Stück zieht verschiedene historische Ereignisse zusammen und spielt von 1517 bis 1526. Es hat 50 Schauplätze, handelt in Franken (und begrenzt in Schwaben): Es beginnt in Schwarzenberg, spielt vorwiegend auf Götz‘ Burg Jagsthausen, am Bischofssitz in Bamberg und in Heilbronn, wo Götz stirbt.
Personen:
Die Hauptpersonen sind:
Götz von Berlichingen:
fränkischer Reichsritter, nur dem Kaiser untertan, historische Gestalt,
kraftvoller Selbsthelfer von ca. 45 Jahren,
rechtsbewusst, tugendhaft, ehrlich, aber auch Raubritter,
sein Rittertum ist durch die moderne Kriegstechnik historisch überholt.
Elisabeth:
wie ein Spiegel für Götz‘ Charakter,
weibliche Entsprechung zu Götz ohne eigenes Profil,
praktisch denkende, energische Hausfrau.
Carl:
wohlerzogener Sohn Elisabeths und Götz‘,
gibt die Tradition des freien Reichsritters, damit des Selbsthelfers auf,
wird im Kloster erzogen.
Maximilian I.:
tritt im Zentrum des Stückes auf, historische Gestalt: Kaiser des Hlg. Röm. Reiches Deutscher Nation,
begabter Politiker und erfolgreicher Kriegsherr, „der letzte Ritter auf dem Thron“,
gebildeter Politiker, Mäzen der Kunst, leidenschaftlicher Jäger.
Weislingen:
ursprünglich wie Götz als freier Ritter geboren, fiktive Gestalt,
geschmeidiger Hofmann und Politiker,
zwiespältiger Charakter, in den Goethes eigene Treulosigkeit eingearbeitet wurde,
politisch und ökonomisch der moderne Mensch.
Sickingen:
historische Gestalt, Führer der Ritterschaft, gilt ebenfalls als „letzter Ritter“,
charakterlich Götz ähnlich,
interessante Rittergestalt mit der Utopie einer Adelsdemokratie.
Adelheid von Walldorf:
Frauenfigur vom Typus Femme fatale: intelligent, schön und gefährlich,
setzt ihre Ziele mit Verführung und Verbrechen durch,
dämonische Figur des Sturm und Drang.
Maria:
Götz‘ Schwester und liebende Frau, liebt Weislingen, heiratet Sickingen,
vertritt eine christlich geprägte Erziehung und setzt sie bei Carl um,
Kontrastperson zu Elisabeth und Adelheid.
Metzler:
Georg Metzler von Ballenberg, Bauernführer im Bauernkrieg, historische Gestalt,
eröffnet gemeinsam mit Sievers, einer erfundenen Gestalt, das Stück,
wird zum Gegenspieler des Götz von Berlichingen, hingerichtet.
Stil und Sprache in Götz von Berlichingen:
Die altertümlich wirkende Sprache geht auf Götz‘ Biografie zurück und schafft Zeitkolorit, differenziert nach den verschiedenen Gruppen.
statt Vers und rhythmisierter Sprache freie Rede nach dem Vorbild Shakespeares
Mit Sprache werden soziale Unterschiede zwischen Hof und Volk beschrieben.
Interpretationsansätze:
formale Besonderheiten eines Sturm und Drang-Dramas: Titel, Auflösung der Dreieinheit usw.
nationales Geschichtsdrama und Ansätze zum bürgerlichen Schauspiel
die Veränderungen in beiden Fassungen, die neue Gestalt des 5. Aktes
der Unterschied zwischen Götz‘ historischer und dramatischer Bedeutung
der Einfluss Shakespeares
Rezeptionsgeschichte:
der Durchbruch nach der Überarbeitung 1773
die Aufwertung der nationalen Vergangenheit
die Kritik Friedrich II. von Preußen und Lessings
das Stück und die Sickingen-Debatte
Götz von Berlichingen und Gerhart Hauptmanns Florian Geyer
Inszenierungen im 20. Jahrhundert
Johann Wolfgang von Goethe 1775 (1749–1832) © ullstein bild – Gircke
JAHR
ORT
EREIGNIS
ALTER
1749
Frankfurt a. M.
28. August: Johann Wolfgang Goethe wird als Sohn des Kaiserlichen Rates Dr. jur. Johann Kaspar Goethe, Sohn eines Schneiders, und Katharina Elisabeth, geb. Textor, Tochter des Schultheißen, geboren. Der Reichtum die Familie stammt vom Großvater.
1750
Frankfurt a. M.
Schwester Cornelia Friderike Christiana Goethe geboren.
1
1753
Frankfurt a. M.
Die Großmutter schenkt den Kindern zu Weihnachten ein Puppentheater, das von großer Bedeutung für Goethe wird und auch in seinen Werken erwähnt wird.
4
1759– 1763
Frankfurt a. M.
Französische Besetzung. Goethe besucht das französische Theater und hat erste Berührungen mit der Welt der Schauspieler.
10–14
1765– 1768
Leipzig
Goethe studiert die Rechte, hört aber auch Vorlesungen zur Literatur, lernt Gellert und Gottsched kennen. – Freundschaft mit Ernst Wolfgang Behrisch (Hofrat, später Prinzenerzieher und Hofrat in Dessau) und Liebe zu Käthchen Schönkopf, der Tochter eines Zinngießers.
16–19
1766
Leipzig
Erlebt die Eröffnung des neuen festen Theaterbaus mit Johann Elias Schlegels Hermann.
17
1768
Frankfurt a. M.
Goethe kehrt nach einem Blutsturz nach Hause zurück, liest Wieland, Shakespeare u. a.
19
1770
Straßburg
Er schließt sein Rechtsstudium als Lizenziat der Rechte ab, was ihm die Zulassung als Advokat ermöglicht. Er lernt Herder und Dichter des Sturm und Drang (Jung-Stilling, H. L. Wagner, J. M. R. Lenz) kennen. Im Straßburger Kreis werden ihm Pindar, Homer, die englische Dichtung, voran Shakespeare und Ossian, Oliver Goldsmith nahegebracht. Herder weist ihn auf Hamann und die Volkspoesie hin. Er begeistert sich für das Straßburger Münster. Der Stoff des Götz beschäftigt ihn.
21
Sesenheim
Mai–Juni: Besuch bei Friederike Brion, verliebt sich in die Pfarrerstochter von Sesenheim, am 7. August ohne Erklärung Abschied.
1771
Straßburg
Goethe sammelt, Herders Anregung folgend, elsässische Volksballaden, darunter das Lied vom Herrn von Falkenstein, das möglicherweise die Helfenstein-Szene aus dem Götz anregt.[1]
22
Frankfurt a. M.
14. August: Rückkehr. Beantragt die Zulassung als Advokat, erteilt am 3. September. Führt Prozesse. 14. Oktober: Goethe feiert mit Freunden und mit „großem Pomp“ Shakespeares Namenstag: Rede Zum Schäkespears Tag, die im Zusammenhang mit dem Götz zu sehen ist. Äußert sich erstmals schriftlich über die Dramatisierung des Götz, den „wahren Zeitvertreib“[2]Oktober bis November: Entstehung der 1. Fassung des Götz. Freunde werden um ihre Meinung gebeten.
1772
Frankfurt a. M.
Freunde Goethes aus den Sturm-und-Drang sind Hauptredakteure der Frankfurter Gelehrten Anzeigen, Herausgeber: Johann Heinrich Merck, der den Götz 1773 veröffentlicht.
23
Wetzlar
Goethe als Praktikant am Reichskammergericht; Liebe zu Charlotte Buff und Selbstmord des Studienkollegen Jerusalem (30. Oktober 1772) gehen in den Roman Werther ein. An der „Rittertafel“ des Freundeskreises nennt man ihn „Götz von Berlichingen, den Redlichen“ (BA 13, 572). Seine juristischen Kenntnisse werden dienlich bei der Tätigkeit in Weimar.
Frankfurt a. M.
September: Rückkehr.
1773
Frankfurt a. M.
Beginn der Umarbeitung desGötz, beendet im März. Philipp Seidel (1755–1820), Goethes Bursche, schreibt die Fassung ins Reine.Erscheint im Juni 1773 im Selbstverlag ohne Namen.
24
1774
Berlin
12. April: Erstaufführung desGötzdurch die Koch’sche Truppe, Aufführung sechzehnmal wiederholt.
25
Hamburg
24. Oktober: F. L. Schröder führt denGötzauf.
Frankfurt a. M.
Das Stück macht Goethe in Deutschland berühmt. Knebel vermittelt Goethes Bekanntschaft mit dem Erbprinzen Karl August von Weimar, Klopstock besucht ihn.
1775
Frankfurt a. M.
Liebe und Verlobung mit Lili Schönemann, brieflich sich äußernde Liebe zur Gräfin Auguste von Stolberg, die er nie sehen wird.
26
Schweiz
Erste Reise in die Schweiz.
Weimar
Abreise am 30. 10., nachdem Karl August am 3. 9. die Regierung angetreten hat, Ankunft am 7. 11.
1776
Weimar
25. Juni: Eintritt in den Staatsdienst, übernimmt bis 1785 mehrere Kommissionen (Ministerien). – Liebe zu Charlotte von Stein. Setzt Herders Berufung zum Weimarer Generalsuperintendenten durch.
27
1779
Weimar
Goethe wird zum Geheimen Rat ernannt.
30
Schweiz
Zweite Reise.
1781
Weimar
Naturwissenschaftliche Studien.
32
1782
Weimar
Geadelt. Goethes Vater stirbt.
33
1784
Weimar
Goethe findet den Zwischenkieferknochen beim Menschen.
35
1786
Karlsbad
Kuraufenthalt. Flieht nach Italien.
37
Italien
29. Oktober: Ankunft in Rom, Italienische Reise
1788
Weimar
Rückkehr, liebt Christiane Vulpius und lebt zum Entsetzen des Weimarer Adels mit ihr zusammen.
39
1789
Weimar
Sohn August geboren, stirbt 1830 in Rom und wird dort beerdigt.
40
1790
Italien
Zwischen März und Juni die zweite Italienreise.
41
Schlesien
In der Begleitung Karl Augusts, der als General in Preußens Diensten zu Truppenmanövern reist.
1791
Weimar
1791–1817 Direktor des Hoftheaters, Materialsammlung zur Farbenlehre.
42
1792
Frankreich
1792–1793 Feldzug. Teilnahme an der Belagerung von Mainz.
43
1794
Weimar, Jena
Beginn der Freundschaft und des Briefwechsels mit Schiller.
45
1797
Schweiz
Dritte Reise.
48
1804
Weimar
Bearbeitung desGötzunter Beteiligung Schillers.22. September: Aufführung, Dauer: 6 Stunden.28. September/14. Oktober: Aufführung in zwei Teilen.8. Dezember: Kürzung auf ein Stück, das danach häufiger gespielt und von Goethe in die Ausgabe letzter Hand aufgenommen wurde.
55
1805
Weimar
9. Mai: Tod Schillers. Freundschaft mit Zelter.
56
1806
Jena Weimar
14. Oktober: Schlacht bei Jena und Auerstädt: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation geht unter. 19. Oktober: Goethe heiratet Christiane.
57
1809
Weimar
Erneute Bearbeitung desGötzin zwei Teilen:1. Teil:Adelbert von Weislingen2. Teil:Götz von Berlichingen
60
1814
Rhein und Main
Reisen. Liebe zu Marianne von Willemer.
65
1816
Weimar
6. Juni: Tod Christianes.
67
1823
Weimar
Johann Peter Eckermann wird Mitarbeiter und Nachfolger Riemers. Reise nach Marienbad und Eger.
74
Marienbad und Eger
Verliebt sich in Ulrike von Levetzow.
1828
Weimar
Der Großherzog Karl August stirbt.
79
1830
Weimar
28. August: Aufführung desGötzzu Goethes 81. Geburtstag, Rückkehr zur Bühnenfassung von 1804.
81
1832
Weimar
Tod Goethes am 22. März in seinem 83. Lebensjahr.
82
ZUSAMMENFASSUNG
Um 1770 war die Zeit des niedergehenden Feudalabsolutismus; im Nachbarland bereitete sich die Französische Revolution von 1789 vor.
Deutsche Autoren thematisierten u. a. die Zersplitterung in zahlreiche Kleinststaaten und interessierten sich für die bäuerlich-plebejischen Schichten.
Viele Autoren suchten nach historischen Entsprechungen zur Gegenwart; Goethe fand dabei in Herder einen Partner. Auch Mösers Abhandlung Von dem Faustrecht wurde für Goethe zur Bestätigung für den Alleinkampf seines Protagonisten Götz gegen die Welt. Aber der historische Götz erwies sich als widersprüchlicher Held.
Künstlerisch orientierte Goethe sich an Shakespeare.
Mit der Ankunft in Weimar 1775 endete für Goethe der Sturm und Drang. Götz von Berlichingen, der aufbegehrende Ritter, hatte in der höfischen Ordnung kaum mehr Bedeutung. Zwischen dem Dichter Goethe, der aus dem Sturm und Drang kam, und dem Minister Goethe, der zu dienen hatte, lagen Welten.
Niedergang des Feudalabsolutismus und deutsche Kleinstaaterei
Die Entstehungszeit des Götz von Berlichingen war die Zeit des niedergehenden Feudalabsolutismus, der 1789 in der Französischen Revolution eine Niederlage erleben sollte. Viele politisch wache Schriftsteller suchten damals bereits nach historischen Parallelen, die sie für ihre Zeit und deren Widersprüche literarisch in Anspruch nehmen konnten, hatten aber zunächst wenig anderes als die patriotische Erinnerung an den Kampf der Germanen gegen die Römer gefunden. Für den jungen Goethe hatte die ZersplitterungDeutschlandsin zahlreiche Fürstenhäuser keinen nationalen Stoff ausgebildet; die vorhandenen Stoffe lagen zu „weit von uns ab“ (BA 7, 829). Das Gefühl, sich auf eine historische Umwälzung zuzubewegen, veranlasste Goethe zur Suche nach vergleichbaren historischen Vorgängen. Fündig wurde er in der Zeit der Reformation und der nationalen Geschichte im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert: Damals kam es zum Untergang des mittelalterlichen feudalen Ritterwesens zu Gunsten eines straff organisierten Territorialfürstentums, in das sich mit dem Bürgertum in den sogenannten Freien Städten – Goethe war in Frankfurt a. M. geboren, auf die Stadt wird im Stück Bezug genommen (R 27,11/HL 20,27) – bereits eine fortschrittliche Kraft für die Entwicklung des Handels, der Technik und eines modernen Bankensystems herauszubilden begann. Damals fand auch ein geistiger Umbruch statt, der durch Luther ausgelöst wurde und zu einer Krise der katholischen Kirche führte.
Dagegen prägte das politische Geschehen des 18. Jahrhunderts die unterschiedlichen Interessen zwischen dem Bürgertum auf der einen Seite, das um des Handels willen die nationale Aufsplitterung in mehr als 300 souveräne Gebilde beseitigen wollte, und Feudalherrschern auf der anderen, die dynastische Interessen an die Stelle nationaler Erfordernisse gestellt hatten. Das kleinteilige deutsche absolutistischeHerrschaftssystem stand den ökonomischen Interessen eines nationalen Marktes, der entsprechende moderne Produktionsmethoden und eine in Westeuropa bereits vorhandene kapitalistische Agrarpolitik entwickeln konnte, diametral entgegen.
Auch in dem im 16. Jahrhundert spielenden Götz ist Deutschlands Zersplitterung ein durchgehendes Thema. Das wichtigste Territorium des Stückes ist Franken. Das Gebiet war stark von der Kleinstaaterei betroffen; es bestand aus kleinsten politischen Einheiten, worunter sich auch zahlreiche Ritterherrschaften befanden. Neben den beiden Hochstiften, den Bistümern Bamberg und Würzburg, waren Freie Reichsstädte wie Nürnberg zu einer Macht geworden. Der Bischof von Bamberg, in Goethes Stück Götz‘ entscheidender Gegner, war ein reichsunmittelbarer Herrscher. Zur Handlungszeit des Stückes regierte Fürstbischof Georg III. Schenk von Limpurg (Amtszeit 1505–1522), der sich für die deutsche Rechtsentwicklung verdient machte (s. S. 90 der Erläuterung). Erst die Reformation veränderte die politische und territoriale Struktur und schrumpfte das Bistum Bamberg in der Mitte des 16. Jahrhunderts um die Hälfte. Im Stück werden Probleme des Bistums Bamberg und des Fränkischen Reichskreises[3], der keine politische Struktur bedeutete, am Beginn der Reformation behandelt.[4] Bereits im 1. Akt beklagt der Bischof die Schwäche des Kaisers – es ist die Regierungszeit Kaiser Maximilian I. von 1493 bis 1519, im Stück dauert sie bis 1526 –, der „das Reich zu beruhigen, die Fehden abzuschaffen und das Ansehn der Gerichte zu befestigen“ (R 29,19 f./HL 22,14 ff.) habe, aber die einzelnen Länder würden „von übermütigen und kühnen Rittern verheeret“ (R 29,25 f./HL 22,21). Götz sieht das anders, und damit werden die politischen Gegensätze der Konflikte zwischen ihm und dem Bischof deutlich, die sich aus unterschiedlichen Auffassungen zum Recht und damit im Zusammenhang zur Freiheit ergeben: Götz huldigt dem Kaiser, dem die Fürsten und Ritter dienen sollten, nicht im Landes- oder gar Nationalverband, sondern gegründet auf ihre Familie; er hofft, dass „Verehrung des Kaisers, Fried und Freundschaft der Nachbarn, und der Untertanen Lieb, der kostbarste Familienschatz sein wird(,) der auf Enkel und Urenkel erbt“ (R 81,10 ff./HL 64,22 ff.). Statt eines Nationalverbandes wünscht Götz eine Ansammlung von Familien, statt Konzentration sieht er das Heil in der Dezentralisation