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Seitenzahl: 143
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 270
Textanalyse und Interpretation zu
Gerhart Hauptmann
BAHNWÄRTER THIEL
Von Rüdiger Bernhardt
Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgabe: Gerhart Hauptmann: Bahnwärter Thiel. Ungekürzter Text. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag, 2008. (179. Hamburger Leseheft).
Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des In- und Auslandes. Er veröffentlichte u. a. Studien zur Literaturgeschichte und zur Antikerezeption, Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und Peter Hille, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Von 1994 bis 2008 war er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee. 1999 wurde er in die Leibniz-Sozietät gewählt.
Hinweis: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst.
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2. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8044-6930-3
© 2012 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelbild: Historisches Bahnwärterhaus an der märkischen Eisenbahnstrecke nach Berlin
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INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. GERHART HAUPTMANN: LEBEN UND WERK
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Reichsgründung und Sozialistengesetz
Der deutsche Naturalismus und die moderne Technik
Kunst und Wissenschaft: Die Suche nach der Kunst-Formel
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
3. TEXTANALYSE UND -INTERPRETATION
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
3.3 Aufbau
„Novellistische Studie” als Genrebezeichnung
Orts- und Zeitangaben
Erzählsituation, Symbole und Motive
Der Konflikt
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Bahnwärter Thiel
Thiels erste Frau Minna
Thiels zweite Frau Lene
Tobias
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Sprachliche Unterschiede in den drei Teilen
Das Begriffsfeld „Ordnung” und seine Zerstörung
Parallelen zu Georg Büchners Woyzeck
3.7 Interpretationsansätze
Die „novellistische Studie” als Beispiel des Naturalismus
Das Motiv des vernachlässigten Kindes
Moderne Technik, Eisenbahn und Mensch
Darstellung einer Dreiecksbeziehung: Das „Gleichen”-Modell
Zahlensymbolik: Die Zahl Drei
Die Rolle der Religion: Die Herrnhuter Brüdergemeine
4. REZEPTIONSGESCHICHTE
Zeitgenössische Rezeption
Paul Ernsts Erzählung Die Frau des Bahnwärters (1928)
Hans Francks Novelle Quitt (1928)
Bahnwärter Thiel als Hörspiel (1946), Fernseherzählung (1982) und Oper (2004)
5. MATERIALIEN
6. PRÜFUNGSAUFGABEN MIT MUSTERLÖSUNGEN
Aufgabe 1 *
Aufgabe 2 **
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 **
Literatur
Zitierte Ausgaben
Primärliteratur
Ausstellungskataloge
Lernhilfen und Kommentare für Schüler
Sekundärliteratur
Verfilmungen
Damit sich jeder Leser in diesem Band rasch zurechtfindet und das für ihn Interessante gleich entdeckt, folgt eine Übersicht.
Im 2. Kapitel wird Gerhart Hauptmanns Leben beschrieben und auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund verwiesen:
Gerhart Hauptmann lebte von 1862 bis 1946. Erste dichterische Erfolge erlebte er nach 1885 in Berlin. 1889 löste sein soziales Drama Vor Sonnenaufgang einen Theaterskandal aus.
Bahnwärter Thiel erschien 1888 als Text des deutschen Naturalismus. Der hatte sich nach Reichsgründung 1871 und Sozialistengesetz 1878 aus enttäuschten Hoffnungen junger Schriftsteller und in Opposition zum Deutschen Reich, orientiert an ausländischen Vorbildern wie Zola und Ibsen, entwickelt.
Vernachlässigte soziale Gruppen wie Arbeiter, Kleinbürger und kleine Beamte, auch Ausgestoßene, Dirnen, Wahnsinnige und Alkoholiker rückten in die Figurenensembles ein; ästhetische Schönheit trat zu Gunsten einer wahrhaftigen und naturgetreuen Abbildungen der Problemfelder zurück. Der Schriftsteller sollte nur noch bedingt Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, im übrigen Protokollant der Wirklichkeit sein.
Neue Themen wie technische Anlagen, die Eisenbahn und Verkehrssysteme wurden ebenso beschrieben wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse (Vererbungslehre, Milieutheorie, Psychoanalyse). Literatur sollte möglichst nahe an Wissenschaft herangeführt und mit vergleichbaren Gesetzen beschreibbar werden.
Gerhart Hauptmann wurde zum Repräsentanten des deutschen Naturalismus für das Theater, sein soziales Drama Vor Sonnenaufgang bedeutete den Sieg des Naturalismus auf der Bühne. Soziale, ökonomische und naturwissenschaftliche Probleme drangen auch in seine Dichtung ein.
Im 3. Kapitel wird eine Textanalyse und -interpretation geboten.
Bahnwärter Thiel – Entstehung und Quellen:
Die „novellistische Studie“ geht auf einen Unglücksfall an der Bahnstrecke von Erkner nach Fürstenwalde zurück und nutzt Erfahrungen des Dichters während seines Lebens am Rande von Berlin. Ein genaues Ereignis konnte nicht ermittelt werden. Ortsangaben, Milieu und Landschaftsbeschreibungen entsprechen den vorhandenen Verhältnissen. Bei ihrer Veröffentlichung in der naturalistischen Zeitschrift Die Gesellschaft stand die „Studie“ inmitten von Beiträgen zum entscheidenden naturalistischen Vorbild Henrik Ibsen und neben einer berühmten naturalistischen Programmschrift Conrad Albertis.
Inhalt:
Thiel heiratet nach dem Tod seiner ersten Frau die Kuhmagd Lene, weil er seinen Sohn Tobias betreut wissen möchte. Die neue Frau hat Thiel mit ihrer sexuellen Kraft bald völlig in ihrer Gewalt. Thiel hat sich in seinem abgelegenen Bahnwärterhaus ein Heiligtum für die erste Frau eingerichtet und hält die zweite Frau davon fern. Da ein Kartoffelfeld, das Thiels zur Pacht bekommen haben, in der Nähe des Bahnwärterhauses liegt, dringt sie zu Thiel vor. Bei einem Besuch auf dem Acker wird Tobias von einem Schnellzug erfasst und stirbt. Thiel tötet in einem Anfall von Wahnsinn seine Frau und beider Kind; er wird in die Irrenabteilung eingeliefert.
Chronologie und Schauplätze:
Die Handlungszeit ist die erste Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm I. Die Orte befinden sich in der Nähe Erkners an der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahnstrecke. Der Bahnwärter Thiel lebt am untersten Ende der Beamtenhierarchie; er hat keinen Kontakt zur Bevölkerung der Fischer, Land- und Waldarbeiter sowie der Arbeiter in den Kalkwerken von Rüdersdorf. Nach zehn Jahren Pflichterfüllung als Bahnwärter treffen Thiel mehrere Schicksalsschläge, denen er nicht gewachsen ist.
Personen:
Thiel
ca. 43 Jahre
seit zehn Jahren Bahnwärter nach langem Militärdienst
korrekter, pflichtbewusster Mensch
zwanghafte Verpflichtung gegenüber der Kirche, aber privat modifizierte Religiosität
Begeisterung für Nächtliches, Mystisches, Geheimnisvolles
Minna
sorgsame und liebevolle Partnerin Thiels
erscheint ihm in den Träumen wie eine Heilige
Verkörperung der Kind-Frau, die Hauptmann lebenslang liebte
von überirdischer Sinnlichkeit und mystischer Fremdheit
Lene
ohne „Seele“ (6), mitleid-, rücksichts- und erbarmungslos
Mensch wie eine Maschine
fühlt sich dem Alltag und seiner Sicherung verpflichtet
Tobias wird von ihr misshandelt
Thiel ist ihr sexuell hörig
Tobias
Vermächtnis der auf besondere Art geliebten Minna
Von Mutter geerbte Kränklichkeit und Empfindsamkeit
Von Stiefmutter misshandelt, ihren spontanen gewaltsamen Zornausbrüchen hilflos ausgeliefert
Stil und Sprache:
Untergeordnete Rolle des naturalistisch gepflegten Dialekts
Unterschiedliche sprachliche und stilistische Gestaltung der drei Abschnitte des Gesamttextes: I. sachliches Protokoll II. linear erzählte Geschichte und III. zerfallende Ordnung (Ordnung als Lebensprinzip und Lebensinhalt Thiels)
Ziel: naturalistisch detaillierte Milieuschilderung der psychopathologischen Verwirrung Thiels, verbunden mit psychoanalytischen Fragen nach den Gründen seines Wahnsinns
Ähnlichkeit von Büchners Woyzeck und Hauptmanns Bahnwärter Thiel u. a. in sprachlicher Struktur
Verschiedene Interpretationsansätze bieten sich an:
Das „Licht der Wahrheit“ (8) als naturalistisches Prinzip und seine Folgen
Die Stellung der Kinder in den naturalistischen Figurenensembles
Eisenbahnwesen, Technik und Mensch in naturalistischer und anderer Dichtung
Konstrukt, mit zwei Frauen – der toten Minna und der lebendigen Lene – zu leben
Lösung durch das „Gleichen-Problem“ (CA VII, 246)
Moderne Technik (Eisenbahn) als fragiles Gebilde, das der Willkür von Natur und Zufall ausgesetzt ist
Rezeptionsgeschichte:
Die „novellistische Studie“ erhielt Zustimmung, trat aber hinter Vor Sonnenaufgang zurück. Sie wurde zu einem bevorzugten Interpretationsobjekt für Literaturwissenschaftler und zu einem fast dauerhaften Schulstoff.
Daneben hat sie eine beispielhafte künstlerische Rezeption erlebt: Sie wurde von Paul Ernst, Hans Franck und anderen variiert und bei ähnlicher Handlungs- und Figurenkonstellation zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt.
Sie wurde als „Fernseherzählung“ und als Oper in andere Genres aufgenommen.
Gerhart Hauptmann 1862 bis 1946 © Richter/Cinetext
2.1
Biografie
[
1
]
JAHR
ORT
EREIGNIS
ALTER
1862
Ober-Salzbrunn/Schlesien (heute: Szczawno Zdrój)
15. November: Gerhard (sic!) Hauptmann wird im Hotel Schlesien „Zur Krone“ als Sohn des Hotelbesitzers Robert Hauptmann und seiner Frau Marie, geb. Straehler, und als jüngerer Bruder des Dichters Carl Hauptmann (1858–1921) geboren. Vorfahren waren u. a. Häusler, Weber und Gastwirte, der Großvater mütterlicherseits Brunneninspektor.
1868
Ober-Salzbrunn
Besuch der Dorfschule bis 1874.
6–12
1870–1874
Ober-Salzbrunn
Dem kranken Gerhard spielen die Geschwister im Pappfigurentheater Hamlet vor. Früheste poetische Anregung. Erlebt Beginn des deutsch-französischen Krieges.
8
1873
Ober-Salzbrunn
Privater Lateinunterricht.
10
1874–1878
Breslau
Eintritt in die Städtische Realschule I. Ordnung am Zwinger. Leidet unter der Schule. Umfangreiche außerschulische Lektüre.
11–15
1876
Breslau
Erlebt Gastspiele der „Meininger“, prägendes Theatererlebnis.
14
1877
Sorgau
Verarmung der Eltern; sie übernehmen die Bahnhofswirtschaft in Sorgau (Nieder-Salzbrunn). Freundschaft mit Alfred Ploetz.
15
1878/79
Lohnig
Vorzeitiger Schulabgang mit befriedigendem Zeugnis.
16
Lederose
Bis 1879 Landwirtschaftsschüler auf den Gütern seines Onkels. Auseinandersetzung mit Herrnhuter Geist. Lektüre des Neuen Testaments (seine spätere Grab-Beigabe).
1879
Breslau
Vorbereitung auf Examen für Einjährig-Freiwilligen Militärdienst, ein Jahr später aufgegeben. „Blutsbrüderschaft“-Gruppe mit pangermanischen Idealen (Mitglieder: Bruder Carl, Alfred Ploetz, Ferdinand Simon).
17
1880
Breslau
Gedichte und Epos Hermann (heroisierende Dichtungen in der Tradition Felix Dahns); Besuch der Bildhauerklasse der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule; Schulausschluss wegen schlechten Betragens.
18
1881
Breslau
Durch Prof. Haertel Wiederaufnahme an Schule; plastische Arbeiten. Ablehnung Zolas.
19
Hohenhaus
Kennenlernen der Töchter des Großkaufmanns Thienemann. Die drei Brüder Georg, Carl und Gerhard(t) heiraten später die drei Schwestern Adele, Martha und Marie (1860–1940). Hochzeit Georgs mit Aufführung von Gerhards Liebesfrühling.
1882
Breslau
Besuch Maries, die ihm wirtschaftliche Sicherheit verschafft.
20
Jena
Abgang von der Kunstschule, anschl. Studium der Geschichte und Literatur, Beschäftigung mit alten Griechen (Homer, Hesiod), Jean Paul und Lord Byron.
Hohenhaus
Heimliche Verlobung mit Marie Thienemann.
1883
Weimar Jena/Berlin
Wanderung zu den klassischen Stätten, evtl. auch zur Totenfeier für Richard Wagner[2].
21
Spanien, Rom, Monaco, Neapel
Studienabbruch. Beeindruckt von Berlin. Nach Mittelmeerreise (u. a. mit Carl) Niederlassung in Rom als Bildhauer.
1884
Rom
Typhuserkrankung. Besuch Maries. Freundeskreis gründet Verein Pacific; Aufgabe des Plans einer sozialistischen Ikarier-Siedlung nach Ploetz’ Besuch in Amerika.
22
Dresden
Sechswöchiger Besuch der Zeichenklasse der Akademie der Künste. Offizielle Verlobung mit Marie.
Berlin
Zwei Semester bei Ernst Curtius und Du Bois Reymond. Wunsch: Schauspieler. Begeistert von Ibsens Nora oder Ein Puppenheim. Lektüre: Lessings Hamburgische Dramaturgie. Eigenes Werk Promethidenlos.
1885
Dresden
Eheschließung mit Marie; Hiddenseebesuch, Rügenreise. Militäruntauglich.
23
Erkner
Wohnung in Erkner. Bekanntschaft mit kleinen Leuten, auch einem Bahnwärter. Lektüre: Turgenjew, Zola, Daudet u. a.
1886
Erkner
Geburt des ersten Sohnes Ivo. Schauspielunterricht. Bekanntschaft mit Frühnaturalisten Max Kretzer, Wilhelm Bölsche, Bruno Wille.
24
Putbus
Beziehungen zum Fürstlichen Theater. Blutsturz.
1887
Berlin
H. sieht Ibsens Gespenster im Residenztheater.
25
Erkner
April/Mai: Entstehung des Bahnwärter Thiel. Kontakt zum 1886 gegründeten Verein Durch!, deren Mitglieder ihn besuchen. Vortrag im Durch! über Georg Büchner[3].
Altlandsberg
Erste Vernehmung wegen des Vereins Pacific im Breslauer Sozialistenprozess; Gefühl der Verfolgung. Er schreibt sich „Gerhart“ statt „Gerhard“ und will fortan so gedruckt werden.[4]
Erkner
Begegnung mit Richard Dehmel, Ola Hansson, Käthe Kollwitz, Arne Garborg, Wilhelm Bölsche, Bruno Wille, Arno Holz.
Schlesien
Wanderung mit Hugo Ernst Schmidt durch das Riesengebirge; Entdeckung der Heimat für seine Dichtung.
Breslau
Vernehmung Hauptmanns im Sozialistenprozess.
1888
Zürich
Flucht vor Verfolgung nach Zürich zu Carl und Martha Hauptmann. Großer Freundeskreis mit Carl Henckell, Ploetz, Simon, John Henry Mackay, Wille, Bölsche, Frank Wedekind u. a.
26
Burghölzli
Psychiatrische Studien bei Auguste Forel, Besuch der Irrenanstalt.
Erkner
Rückkehr aus Schweiz. In Zeitschrift Die Gesellschaft erscheint Bahnwärter Thiel. Zustimmende Zuschriften aus dem Leserkreis.
1889
Hamburg
Familienreise nach Hamburg. Arbeit mit Hilfe der naturalistischen „Notizbuchmethode“ Zolas, wie schon in Zürich.
27
Berlin
Enge Freundschaft zu Arno Holz und Johannes Schlaf. Gründung der Freien Bühne, in dessen Vorstand er eintritt. Eröffnung mit Ibsens Gespenster. Freundschaft mit Otto Brahm und Samuel Fischer.
Erkner
Erste Begegnung mit 14-jähriger Margarete Marschalk (Schwester des Komponisten Max M.). Vor Sonnenaufgang (urspr. Der Sämann) erscheint, wird an der Freien Bühne aufgeführt und verursacht einen Theaterskandal.
Charlottenburg
Übersiedlung; Begegnung mit Max Halbe, der ihn beeindruckt.
1890
Italien
Reise. In Zürich Treffen mit Simon und Ploetz.
28
Erkner
Wohnung bei befreundetem Lehrer Ashelm.
Friedrichshagen
Beziehungen zur Künstlerkolonie.
Schreiberhau
Kauf eines Hauses.
1891
Berlin
Treffen mit Henrik Ibsen. Reisen ins Eulengebirge. Studien und Gespräche mit Augenzeugen des Weberaufstandes von 1844.
29
Schreiberhau
Einzug in umgebautes Haus, später folgt Familie Carl Hauptmanns.
1892
Berlin
De Waber wird von Zensurbehörde verboten.Der Apostel erscheint mit Bahnwärter Thiel als Novellistische Studien.
30
Franken
Studienreise zur Vorbereitung des Florian Geyer. In Nürnberg Erlebnis des Sebaldusgrabes. Abschluss der dem Hochdeutschen angenäherten Fassung Die Weber.
1893
Berlin
Uraufführung Die Weber in der Freien Bühne (Neues Theater[5]) als geschlossene Aufführung. Malerin Käthe Kollwitz wird dadurch zum Weber-Zyklus angeregt. Aufhebung des Weber-Verbots für das Deutsche Theater. Entscheidende Begegnung mit Margarete Marschalk. Uraufführung Hannele.
31
Zürich
Erfolgreiche Premieren Der Biberpelz und Hannele.
1894
New York
Marie bricht mit Kindern nach New York auf, Hauptmann – der mit Margarete lebt – folgt ihr. Ehe wird erst 1904 geschieden; im gleichen Jahr heiratet Hauptmann Margarete Marschalk.
32
Berlin
Erste öffentliche Aufführung der Weber im Deutschen Theater.
Schreiberhau
Auflösung des Haushalts; Marie siedelt mit den drei Söhnen nach Dresden über, Hauptmann nach Berlin.
1895–1901
Wechselnde Aufenthalte in Berlin, Dresden, Hiddensee, Schlesien, Italien. Grillparzer-Preis 1896 und 1899.
33–39
1901
Agnetendorf
Bezug von „Haus Wiesenstein“ (gehört fortan zu den ständigen Aufenthaltsorten).
38
1903
Hirschberg
Geschworener in einem Prozess gegen einen Weber wegen Brandstiftung und gegen eine Landarbeiterin wegen Kindstötung.
40
1903–1912
Wechselnde Aufenthalte, viele Bekanntschaften. Grillparzer-Preis 1905, Volksschillerpreis 1905, Ehrendoktor in Wien 1905.
40–49
1905
Berlin
Begegnung mit Ida Orloff, heftige Liebe (1906 Trennung), die in zahlreichen Texten nachwirkt.
43
1907
Griechenland
Reise mit Familie und Freunden.
44
1912
Stockholm
Nobelpreis. Zahlreiche Feiern zu seinem 50. Geburtstag.
50
1913–1914
Wechselnde Aufenthalte, erster Film nach einem Hauptmann-Werk (Atlantis), Max Reinhardt erhält ausschließliches Aufführungsrecht aller Werke Hauptmanns für Berlin.
51
1914–1918
Kriegsbegeisterung bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs; nationalistische Gedichte. Später desillusioniert.
52–56
1919–1933
Wichtiger Dichter der Weimarer Republik. Große Ehrungen zum 60. Geburtstag 1922.
57–71
1924
Kloster
Mit Thomas Manns Familie auf Hiddensee; Ärger Hauptmanns über die Gestalt Peeperkorns in Thomas Manns Der Zauberberg.
62
1926
Kloster
Erstmals im „Haus Seedorn“, das er zuerst mietet, 1930 kauft und 1930/31 erweitern lässt.
64
1932
Reden zu Goethes 100. Todestag.
70
1933–1945
Opportunistische Haltung Hauptmanns im Faschismus: keine Ablehnung, sondern vereinzelte Zustimmung; zahlreiche Ehrungen in Breslau und Wien.
71–83
1945
Dresden
Schreibt nach miterlebter Zerstörung der Stadt seine berühmte Klage über den Untergang Dresdens.
83
Agnetendorf
Besuch von Johannes R. Becher und Grigorij Weiss mit Bitte um Mitarbeit am kulturellen Neuaufbau, Hauptmann stimmt zu.
1946
Agnetendorf
6. Juni: Tod Gerhart Hauptmanns.
84
Kloster
28. Juli: Überführung des Leichnams nach Hiddensee. Seinem Wunsch entsprechend Beisetzung bei Sonnenaufgang auf dem Inselfriedhof.
ZUSAMMENFASSUNG
Gerhart Hauptmann Bahnwärter Thiel erschien 1888 und wurde zu einem beachteten Text der naturalistischen Bewegung. Die hatte sich nach Reichsgründung 1871 und Sozialistengesetz 1878 aus enttäuschten Hoffnungen junger Schriftsteller und in Opposition zum Deutschen Reich entwickelt, orientiert an ausländischen Vorbildern wie Zola und Ibsen, und dabei Zeitschriften, Verlage und Institutionen erobert.
Neue soziale Gruppen wie Arbeiter, Kleinbürger und kleine Beamte, aber auch Ausgestoßene, Dirnen und Alkoholiker rückten in die Figurenensembles ein.
Ästhetische Schönheit trat zu Gunsten wahrhaftiger und naturgetreuer Abbildungen der Problemfelder zurück. Der Schriftsteller sollte nur noch bedingt Gestaltungsmöglichkeiten erhalten.