Groß werden - Rafael Robert Pilsczek - E-Book

Groß werden E-Book

Rafael Robert Pilsczek

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Beschreibung

Der Hamburger Schriftsteller Rafael Robert Pilsczek legt mit Groß werden ein Werk vor, das sowohl Gedichte als auch Lieder zum vielfältig gedachten Thema des Groß-Werdens versammelt. Ein altes Thema, neu und brillant gemeißelt. Alle Stücke sind in einer für den Autor besonderen Stimmung verfasst worden und wirken daher wie aus einem Guss. Sowohl als Steinbruch von Beschreibungen des Älter-Werdens kann dieses gelesen werden, als auch als Buch, das zum Leben und Groß-Werden darin ermuntert und davor warnt, dazu tröstet und stets auch den Leser verunsichert, wie es sich für die selten vorgefundene Gattung des lyrischen Erzählens gehört. Der Autor hat mit Groß werden ein Schmuckstück gedrechselt, das zum Denken und zum Fühlen einlädt, wie es kaum ein Autor in seiner Generation vermag.

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Widmung

Für meine Eltern,

Die es gut meinten

Mit uns Dreien

Zitate

„Du übertreibst mal wieder, mein Sohn.“

— Emmi Pilsczek, geb. Kiefer

„Du bist nichts. Du kannst nichts. Du wirst nichts.“

(Was andere zu hören bekamen und ich nicht)

„Seien Sie, bitte, auf sich nur eines: stolz.“

— R. Stra., Bezugsperson

Inhalt

Vorwort

Gedichte und Lieder

Über den Autor

Bisher erschienene Werke

Vorwort des Autors

Fenster zum Berg

Als ich mich entschloss, den Gedichtband „Groß werden“ dann recht rasch fertig zu stellen und zu veröffentlichen, war ich von einer seltsamen Stimmung eingefangen. Ich sah in den Wochen, in denen ich die Gedichte und Lieder verfasste, häufig aus einem Fenster. Während ich Buchstabe um Buchstabe fand, die für mich ein Größerwerden beschreiben und das in einem vielfältigen Sinne, schaute ich häufig aus dem Fenster eines Hauses. Das Fenster war weder ein besonders schönes noch ein besonders hässliches. Es hatte einen modernen Rahmen und trug Gardinen davor. Das Fenster war durchaus breit und öffnete sich gleichzeitig mit einem Schwung und ließ all die frische, gute Luft in das Zimmer herein. Während ich also Gedichte und Lieder schrieb, die allesamt wie in einem Atemzug in diesem Band einzunehmen sind, war das Fenster einer der Orte, an denen ich mich vor allem aufhielt. Es ist kaum eine Schönrednerei darin, dass ein Fenster ein guter Ort sein mag, von dem aus durchaus gute Schriftstellerei betrieben wird, ohne Wenn und Aber und ohne Frage. Ein Fenster ist eine Verheißung in das Freie hinaus, wie Gedichte sein sollten, eine Bewegung nach vorne und nach draußen und nicht allein nach innen und nach rückwärts gewandt. Ein Fenster hat ein Versprechen in sich, dass es eben kein Gefängnis ist, in dem man sich aufhält und in dem man eingeschlossen ist und lediglich einen Ritz an Himmel sehen darf, sondern vor allem der Ort ist, der mit allem, was davor ist, draußen zu sehen ist, verbunden ist … und zugleich mit dem angenehm und freundschaftlich verbindet, was davor in den Räumen so ist, ein warmes Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Flur, andere Räume von Gemeinschaft, und all das gibt, was zu einem guten Leben im Haus dazugehört.

Zudem gab es in jenen Wochen einen Blick, den es für mich zu würdigen gilt. Der Blick aus dem Fenster meines Zimmers fiel Woche für Woche, Tag für Tag und Stunde um Stunde auf einen Berg. Der Berg war nicht besonders hoch und nahm gleichwohl zwei Drittel der Sicht aus dem Fenster ein, wer davor saß. Der Berg war von verschiedenen Baumsorten gesäumt, darunter von Tannenarten, von Nadelhölzern und von Laubbäumen, die zu jener Jahreszeit, als ich dort verweilte, keine Blätter trugen. Der Berg erstreckte sich im Blick durch das Fenster in einem Ganzen und in einem Großen und führte erst, wenn ich bei geöffnetem Fenster herauslehnend hinausschaute, den Berg und in der Folge den Hang hinunter in das Dorf, wo es Häuser und Lichter gab, auch ein Schloss dabei, und alles, was eine kleine Stadt ausmacht, während es am Berg selbst nur den Berg gab. Der Berg hatte eine Kuppe, hatte Linien, einen Horizont und Kurven und war für mich schwer zu zeichnen, weil er in vielen Schattierungen vor mir lag. Während ich ein Büchlein bei mir beim Tisch hatte, das 24 Graphit-Handzeichnungen des deutschen Dichters Johann Wolfgang von Goethe zeigte, wurde mir bewusst, je länger ich den Berg, meinen Berg, zu zeichnen versuchte, dass es für mich ein hilfloses Unterfangen wäre, diesen bildlich, naturalistisch oder gar fotografisch in Graphit zeichnerisch zu fangen, was und wie Goethe in seinen mir vorliegenden Landschaftszeichnungen durchaus gelungen war.

So lernte ich im Zimmer, am Fenster und am Berg, dass ich nicht der Kultur und den Vorbildern folgen dürfte, die alles anders, alles sehr gut und bestimmt hochwertig gemacht hatten. Ich lernte in den Wochen, in denen ich „Groß werden“ herstellte, dass ich es derart machen dürfte und müsste, wie es meinen Fähigkeiten, meinem Gefühl und meiner Kunst entsprach. So liegt der Band nun vor, und das als vermutliche Seitwärtsbewegung zu meinen anderen Arbeiten als Schriftsteller, nach vorne gewandt und zugleich in einer eigenen Linie abseits der gegangenen Pfade, sodass ich hoffe, dass mein Publikum alles erfahren wird, was ich zum benannten Thema zu dichten hatte, und zugleich erlebt, wie es ist, in einem Zimmer darin groß geworden zu sein, einen Berg und den Horizont darüber als das verstanden zu haben, was beides im Grunde ist: die stille Bewegung der Festigkeit eines großen Steines und eines Weges darüber hinaus. Willkommen, also, in der Welt meines siebten Büchleins im steten „Groß werden“. Ich werde den Blick auf jenen Berg nicht vergessen, ich werde das Zimmer nicht vergessen, wo ich gewesen war, das ein Fenster zum Berg hatte, wie ich es mir nicht schöner hätte erdichten können auf dem Weg, ein Dichter zu bleiben … oder ein solcher mit dem vorliegenden Band à la finale zu werden.

Rafael Robert Pilsczek,

zum Jahreswechsel 2017/2018

Gedichte und Lieder

Dichten

Reim oder Reason?

Vers oder Vernunft?

Reim

Und

Reason?

Vers

Und

Vernunft?

Bein oder Arm?

Kopf oder Geist?

Ich komme nach Hause

Und der Schnee liegt dort

Und die Liebe ist dort

Und es ist mir egal

Was die denken

Ich dichte, wie ich es bin

Ich bin bei dir

Wir

Ein Gedicht

Ich gebe mir die Ehre

Der Auszug in die Fremde

In neue Hände

Der Abschluss

Und nie wieder in die Lehre

Ich gebe mir denen die Ehre

Abschiede (derer waren viele)

Der Abschiede, der waren viele

Ah, das war eine große Menge

Ah, ich habe sie nicht gezählt

Warum auch, dränge mich nicht

Zu erzählen, wer es war und wo

Der Abschiede, der waren viele

Solche bei trockenem Wein, bei Bohnen

Solche in High Heels am Pool, in der Wüste

Solche nah und solche fern

Solche zu Hause und solche hurtig

Solche vor dem Flug, solche ganz schnell

Solche über Jahre, solche nach einem Abend

Hinter der Mauer, vor der Grenze

Auch als ich das letzte Treffen schwänzte

Auch als du mich batest zu bleiben

Auch als ich dich bat, mich nicht ziehen zu lassen

Im Tempel, in der Bar, im Gras, auf dem Berg

Solche und solche, solche es waren

Ich habe sie nicht gezählt

Meine Tränen, die ich vergoss

An Schultern und in Armen

Meine Herzschläge, die ich spürte

An der Seite, in der Mitte, bei denen

Der Abschiede, derer waren viele

Hier wie dort, am Wald und in der Stadt

Am Roten Platz

An der Mauer, auch der Mauer, wo sie klagten

An der Türe, im Auto, auf dem Weg

Im großen Schauer auch

Ich habe sie nicht gezählt

Die, die mich mochten

Die, die an mich dachten auch danach

Die, die mich halten wollten für immer

Die, die verrückt wurden an mir so schön

Der Abschiede, derer waren viele

Von der Mutter, dem Florian, dem Vater

Von den Pferden, den Vögeln, dem Kater mit Namen Paul

Von dem Champagner, dem Rot, dem Kind

Von dem Schönen, dem Bösen, von allem

Ich habe sie nicht gezählt

Der Namen wären zu viele

Der Orte wären zu viele

Der Großen und der Kleinen

Der Nomaden und der Einsiedler

Der Gesunden und der Kranken

Der Mädchen und der Jungen

Der Frauen und der Männer

Den Häusern, den Gebäuden, den Äckern

Der Abschiede, derer waren viele

Endgültige unter dem Kreuz

Der Kurze bis auf den guten Morgen

Der Mittelbaren in der Mitte waren

Ich habe sie nicht gezählt

Warum soll ich sie gewichten?

Warum soll ich sie schichten?

Warum soll ich beichten?

Warum soll ich weichen?

Warum soll ich mich erinnern?

Warum soll ich weinen, wimmern?

Ich habe sie nicht gezählt

Jeder war so etwas wie mein einziges

Einziges

Wenn auch vergessen

Oder auch nicht

Der Abschiede, derer waren viele

Ich weiß, dass dort Seelen an mich denken

Von mir träumen

Von mir sich lenken

Von mir sich schenken

So wie ich von ihnen nicht ging

Nun ist der Abschied wieder ein erneuter

Heute und jetzt, im Januar

Wo, spielt keinen Vers

Wäre es anders

Täte ich es schreiben

So rufe ich mir und alle denen zu

Von denen ich einst und jüngst ging

Nach vorne geht die gute Bewegung

Nicht nach hinten

Es waren Abschiede, derer waren viele

Wichtiger ist nach vorne zu gehen

Dass die Zukünfte die Gegenwarte behauen

Schauen nach vorne, nicht zurück

Ich bin entzückt

Wenn du mir einen Kuss gibst

Die Hand zum Griff reichst

Wenn ich Abschied nehme

Und dich mit mir nehme

Und dich gleichwohl vergessen darf

Lass es mit mir schön

Der Abschiede, derer waren viele

Ich habe sie nicht gezählt

Die da oben schon, wenn es sie gibt

Dann bis später, bis bald später

Meine Freundin

Mein Freund

Ich sage auf bald

Im Wald, auf der Lichtung, bei Tee

Und Kresse, bei Whiskey und Brot

Ich denke an dich

Oder nicht

Oder nicht

Oder auch nicht

Recht schnell verfasst

Auch schnell verblasst

Damit der Abschied passt

Reell ist, nicht verrückt

Und mein Leben schmückt

Deinem Leben entrückt

Von mir

Der Abschied, dein Abschied

Mein Leben schmückt

Schmückt

Schmückt

Geglückter Abschied, das konnte ich stets

Danke

Ich bin jetzt fort

Fort von diesem Ort

Das Land ist gar nicht so groß

Wo wir uns wiedersehen?

Es kann geschehen

Es kann geschehen

Es kann wirklich geschehen

Es ist geschehen

Du bist fort, nicht verweht in den Wind

Du bist nun in mir, mein Kind

Der Wind trägt deinen Namen

Wenn der Zug kommt, steige ich ein

Und verabschiede mich

Ich umarmte dich

Lebe wohl, lebe gut

Habe Mut, dich an mich zu erinnern

Auf Wiedersehen

Auf dass ich sehe

Und du auch

Auf Wiedersehen

Mehr sage ich nicht

Und winke dir hinterher

Wie es sich gehört

Wie du mir jetzt

Ein wenig

Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen

Das Gehen geht gut

Habe Mut

Auch wenn ich es nun nicht mehr bin

Der dich mutig macht abends, mein Kind

Mein Kind

Meine Freundin

Mein Freund

Es ist vorbei mit den Abschieden

Wenn es die Treffen nicht mehr gibt

Die die Seele frühen und rühren

Und zum Klingen bringen

Noch gibt es solche Begegnungen

Noch gibt es Abschiede, derer viele

Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen

Auf Wiedersehen

Jetzt

Jetzt

Jetzt

Bin ich gegangen

Von dir gegangen

Heute denke ich, es ist das mein Leben

Zu kommen und zu geben und zu weben in meinem Leben

Und dann doch zu gehen wegen

Eines Lebens, das ich nur führe

Eines Leben von Abschieden

Derer waren so viele

Dass kein einziger verloren ist

Kein einziger verloren ist

Es reicht jetzt, rufst du aus alten Zeiten herüber

Mir zu. So höre ich jetzt auf

Und verliere dich erneut

Heute und jetzt

Jetzt

Jetzt

So

Jetzt

Der Abschiede, derer waren viele

Ich habe sie nicht gezählt

In die Nacht

Komm in die Nacht

Komm, ich decke dich zu

Wie es meine Mutter

Tat

Manches Mal

Nach dem Abendessen

Dem zur Nacht-Anziehen

Dem Märchen

Tat

So decke ich dich zu

Bereit für die Nacht

Ich halte Wacht

Wie die Mutter es tat

So manches Mal

Säuferlied

Tassen hoch

Zigaretten an

Dann ist es gut

Eine Weile lang

So lang die Weile

Dass der junge Mann

Noch nicht zählen kann

Die Tage, die ihm bleiben

Lebt gar fast ein wenig ganz

Will dich, will dich fast beneiden

Oder auch nur kaum an diesem Abend

An dem fröhlich, kaum traurig, denke zurück

Wie schön mein Leben war und was für ein Glück

In der Bar, auch, ja, auch, in der Bar, dort, ja, in der Bar

Wo wir stehen dort, wo wir stehen da, wo wir stehen da, da

Ab nach Hause nach der Sause suchen wir die schönste Pause

Junge, was soll bloß aus dir werden?

Kaum 12 und schon unterwegs im Tesla in der Welt

Kaum 14 und schon machen sich alle Sorgen um sein Geld

Kaum 16 und schon sprechen sie über seine ungeborenen Kinder

Kaum 18 und schon verlangen sie von ihm den Après Ski im Winter

Junge, Junge, was soll bloß aus dir werden?

Superstar, Mann der Wirtschaft, ein Held voller Kraft

Ein Arsch, ein reicher Kerl, ein Schläger, ein Egoist

Einer, der laut ist ohne Ende und nachts für sich ein Wicht

Kaum 4 und schon bekam er einen weiteren Lehrer

Kaum 6 und schon musste er einen Preis erringen

Kaum 8 und schon hatte er sich zu zwingen