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Freude und Lachen, Trauer und Tränen, Gelassenheit und Genießen: Willibert Pauels kennt das Leben mit all seinen Facetten. Davon erzählt er seit Jahren in seiner Domradio-Kolumne, jeden Samstag wieder. Doch es gibt noch viel mehr, und davon schreibt der Bestseller-Autor in seinem neuen Buch. Pauels pur: authentisch, mitreißend und anrührend. Ein Buch, das durch das ganze Jahr begleitet und das Leben in vollen Zügen auskostet.
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Seitenzahl: 194
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Willibert Pauels
Willibert Pauels
Impulse von der Bodenstation
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005
Umschlagmotiv und -gestaltung sowie Illustrationen im Innenteil: © Designbüro Gestaltungssaal, Rohrdorf
E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe
ISBN Print 978-3-451-03475-6
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83475-2
Vorwort oder: Warum wir alle ein persisches Wort kennen
Es beginnt in einem Garten: Die Schöpfung
1. Kalenderwoche: Die Heiligen Drei Könige und der Sturm aufs Kapitol
2. Kalenderwoche: Annette von Droste-Hülshoff
3. Kalenderwoche: Heiliger Antonius aus Ägypten
4. Kalenderwoche: Die Bekehrung des heiligen Paulus
5. Kalenderwoche: Das Fest der Darstellung des Herrn
6. Kalenderwoche: Glocken – im Karneval und immer
7. Kalenderwoche: Über die Feindesliebe
8. Kalenderwoche: Sterbehilfe
9. Kalenderwoche: Der Hauptmann von Köpenick
10. Kalenderwoche: Weltfrauentag
11. Kalenderwoche: Vor-Freude
12. Kalenderwoche: Das Grabtuch von Turin
13. Kalenderwoche: Heilige Teresa von Ávila
14. Kalenderwoche: Ostern in aller Freundschaft
15. Kalenderwoche: Aus dem Grab in die Welt
16. Kalenderwoche: Das Senfkorn
17. Kalenderwoche: Heilige Katharina von Siena
18. Kalenderwoche: Plausibel: der Osterglaube
19. Kalenderwoche: Heilige Corona und heiliger Pankratius
20. Kalenderwoche: Draußen vor der Tür
21. Kalenderwoche: Himmelfahrt
22. Kalenderwoche: Marcel Reich-Ranicki
23. Kalenderwoche: Das Geheimnis der Eucharistie
24. Kalenderwoche: Aufrecht stehen
25. Kalenderwoche: Abschied von einem Freund
26. Kalenderwoche: Roms Heilige Pforten
Der Weg durch den Garten des Lebens: Der Herr ist mein Hirte
27. Kalenderwoche: Fußball
28. Kalenderwoche: Bergwanderung
29. Kalenderwoche: Heilige Maria Magdalena
30. Kalenderwoche: Heiliger Christophorus
31. Kalenderwoche: Sirtaki
32. Kalenderwoche: Heiliger Dominikus
33. Kalenderwoche: Die Aufnahme Mariens in den Himmel
34. Kalenderwoche: Loriot
35. Kalenderwoche: Heiliger Augustinus
36. Kalenderwoche: Berührungen
37. Kalenderwoche: Bei Gott*! Die Genderdebatte
38. Kalenderwoche: Heiliger Januarius
39. Kalenderwoche: Arions Arie
40. Kalenderwoche: Die deutsche Einheit
41. Kalenderwoche: Der Rosenkranz
42. Kalenderwoche: Bläck Fööss
43. Kalenderwoche: Pinchas Lapide und die Bibel
44. Kalenderwoche: Lebensherbst
45. Kalenderwoche: Was ist das Ziel?
46. Kalenderwoche: Heilige Elisabeth von Thüringen
47. Kalenderwoche: Weltuntergang
48. Kalenderwoche: Wachet auf!
49. Kalenderwoche: Heilige Barbara
50. Kalenderwoche: „Unbefleckt“ und ohne Erbsünde?
51. Kalenderwoche: Gott ist groß – und ganz klein
52. Kalenderwoche: Das logische Weihnachtsevangelium
Und es endet in einem Garten: Aus dem Baumstumpf … ein neues Paradies
Anmerkungen
„… denn im Jarten des Lebens ist Humor der beste Dung,
dat sacht: der bergische Jung.“
Unzählige Male habe ich diesen Satz am Schluss meiner Büttenreden und am Ende meines Soloprogramms auf den Brettern, die die Welt bedeuten, gesagt. Jeder und jede aus meiner Zuhörerschar kann diesen Vers schon fast mitsprechen. Und deshalb steht er nach wie vor auch immer am Ende meines „Worts zum Samstag“, das ich schon mehr als 1000 (in Worten: tausend!) mal im Kölner „Domradio“ sprechen durfte.
Aus dieser enormen Menge hat mein Lektor Martin Merz 52 Episoden ausgewählt und in lesbare Form gegossen. Für jede Kalenderwoche einen Beitrag. Bei der Zählung hat er das Jahr 2023 mit seinen Fest- und Feiertagen zugrunde gelegt, aber Sie können das Buch auch in jedem anderen Jahr als wöchentlichen Begleiter nehmen oder natürlich auch an einem Stück durchlesen. Ebenfalls über 1000 (in Worten: tausend) Dank dafür, lieber Martin. An meinen Finalspruch anknüpfend hat er jeweils passend den „Garten des Lebens“ so umgepflügt und neu mit Worten bepflanzt, dass er zu der Geschichte passt. Genial!
Und was hat das mit der persischen Sprache zu tun, die ich in der Überschrift dieses Vorwortes erwähnt habe? Nun: Das persische Wort für „Garten“ kennen wir alle; es lautet nämlich „Paradies“. Deshalb wird es in der Bibel auch hin und wieder „der Garten Eden“ genannt. „Eden“ ist dabei das hebräische Wort für Wonne, das Paradies ist eben der Garten der Wonne.
Unzählige Assoziationen ziehen in meinem Sinn vorüber, wenn ich das Wort „Garten“ oder „Paradies“ höre. Die anrührendste zuerst:
Es gibt in der gesamten Schrift des sogenannten „Neuen Testaments“ unserer Bibel nur eine einzige Stelle, wo Jesus nur mit seinem Vornamen angeredet wird. In allen übrigen Anreden erhält der Rabbi aus Nazareth stets einen Bei- oder Ehrennamen. Da heißt es dann „Jesus Meister“ oder „Jesus, mein Rabbi“ oder gar „Jesus, mein Herr und mein Gott“. Aber nur einmal einfach: „Jeshu“. So zärtlich und schlicht, wie ihn wohl seine Mutter und seine Freunde stets begrüßend angesprochen haben. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass das latinisierte Jesus auf Hebräisch eben Jeshu heißt und dies die Koseform von Joshua ist. Joshua aber, das weiß jeder Jude und jeder religiös Gebildete, war jener Held, der das Volk Israel, nachdem es 40 Jahre in der Wüste gewandert war, endlich über den Fluss Jordan in das gelobte Land, in den ersehnten Garten Eden, nach „Herez Israel“ führte.
Wo aber ist diese Stelle, an der die Anrede schlicht Jeshu heißt, und vor allem, wer spricht sie aus?
Fromme christliche Zeitgenossen hören sie Jahr für Jahr am Karfreitag, in der „Feier des Leidens und Sterbens unseres Herrn Jesus Christus“. Wie uns die Evangelien erzählen, wurde Christus in einer Trias gekreuzigt. Rechts und links von ihm die zwei sogenannten „Schächer“, Schwerverbrecher, Mörder vielleicht, wer weiß? Und einer dieser „Galgenvögel“ spricht ihn genau so an:
„Jeshu, denkst du an mich, wenn du beim Vater bist?“
Und Christus antwortet mit dem, wie ich persönlich finde, tröstlichsten Satz des Evangeliums:
„Ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“1
Mitten im Abgrund der entsetzlichsten Qual, in der Hölle der Schmerzen, im Tal des Todes, im Schatten der Angst – mittendrin: die zärtliche Anrede des schuldbeladenen Verbrechers und die erlösende, tröstliche Antwort der Hoffnung, dass der Tod, diese Schmerzen, diese Qual, diese Finsternis nicht das letzte Wort haben, sondern das Licht, das den göttlichen Raum der Liebe, den Garten des ewigen Lebens durchflutet. So wird der Jeshu aus Nazareth zum neuen Joshua, der uns alle über den Fluss des Todes führt – denn noch heute sagen wir ja als Synonym für das Sterben: „über den Jordan gehen“ –, “to the promised land”, zum Garten Eden, zum Paradies. Welch tröstliche Botschaft!
Vielleicht liegt es daran, dass mit dem Wort „Garten“ immer ein wohltuender Klang mitschwingt. Der „Garten“ hat in allen Ländern und in allen Kulturen jenen Unterton des Wunders und der Schönheit. Durchaus auch lustig. So lautet ein alter chinesischer Weisheitsspruch:
„Willst du einen Tag glücklich sein: Betrinke dich!
Willst du ein Jahr glücklich sein: Heirate!
Willst du ein Leben lang glücklich sein: Werde Gärtner!“
Nun wird jeder und jede, die Acht-Stunden-Tage in einem Gärtnerbetrieb arbeiten, vielleicht kommentieren: „Na, so lustig ist das aber auch nicht. Frag mal meinen Rücken!“
Aber die Schufterei im Schweiße des Angesichtes ist ja bei der chinesischen Weisheit gar nicht gemeint, sondern das allegorische Bild des Gärtners, der pflanzt, der hegt, der pflegt und mit einer überfließenden Freude die Frucht seiner Mühen sieht, wenn der Garten blüht. Mit anderen Worten: Niemals ist der Mensch glücklicher, als wenn er schöpferisch tätig ist. Ist er doch dann tatsächlich als kleiner Kreator ein Ebenbild des großen Kreators, den wir GOTT nennen.
Haben Sie schon einmal Kinder beim kreativen Spiel beobachtet? Mit nur wenigen Utensilien bauen sie in ihrer Fantasie eine ganze Welt. Und sprechend, mit ihrem Wort, schaffen sie diese Welt vor ihren Augen: „Das ist jetzt …, und das ist …, und dann kommt jetzt der …“ Sie sind schöpferisch tätig, sie empfinden, ganz im Spiel versunken, den Glanz und die Freude schöpferischer Tätigkeit. In diesem Augenblick sind sie schon „Gärtner des Lebens“. Vielleicht sagt Schiller deshalb: „Niemals ist der Mensch mehr bei sich selbst, als wenn er spielt.“ Homo ludens.
André Heller sagt: „Es ist ein göttliches Wunder in den Gärten. Verliebte gehen am liebsten im Parkgarten spazieren, und alte Leute schauen von den Bänken in den Gärten auf den Sonnenuntergang ihres Lebens.“
Ja. Und ich glaube, es ist kein Zufall, wenn es im Osterevangelium heißt: „… zuerst erschien der Auferstandene Maria Magdalena. Sie aber hielt ihn für den Gärtner …“ 2
Es gibt nichts Schöneres unter der Sonne, als den Garten dieser Welt in seiner Schönheit zu durchwandern, auf Reisen, in der Fantasie, im schöpferischen Tun und staunenden Schauen, mit seinen Tälern und Höhen, mit seinen Mühen und seinen Früchten, als Abglanz von und in Vorfreude auf den himmlischen Garten der Liebe, in der Vorahnung auf das Paradies.
Dieses Büchlein kann Ihnen dabei vielleicht ein wenig helfen.
Ihr Gärtner Willibert
„Dies ist die Entstehungsgeschichte des Himmels und der Erde, als sie erschaffen wurden. Am Tag, da Gott, der Herr, Himmel und Erde schuf, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und es wuchsen noch keine Feldpflanzen. Denn Gott, der Herr, hatte es noch nicht auf die Erde regnen lassen und der Mensch war noch nicht da, um den Erdboden zu bebauen. Da stieg eine Flut von der Erde auf und tränkte das ganze Land. Dann bildete Gott, der Herr, den Menschen aus Staub von dem Erdboden und blies in seine Nase einen Lebenshauch. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.
Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden, im Osten, und setzte den Menschen hinein, den er gebildet hatte.
Und Gott, der Herr, ließ aus der Erde allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und gut davon zu essen, den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Ein Strom ging von Eden aus, um den Garten zu bewässern, und von dort teilte er sich in vier Arme. Der Name des einen ist Pischon: Er umfließt das ganze Land Hawila, wo Gold vorkommt. Das Gold dieses Landes ist vorzüglich; dort gibt es auch Bdelliumharz und den Schoham-Edelstein. Der Name des zweiten Flusses ist Gihon: Er umfließt das ganze Land Kusch. Der Name des dritten Flusses ist Tigris: Er fließt östlich von Assur. Der vierte Fluss ist der Eufrat.
Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewache.“
(Die zweite der beiden Schöpfungserzählungen am Anfang von Genesis, dem ersten Buch der Bibel; Gen 2,4–15)
Was bringt diese Woche?
Natürlich das Fest der Heiligen Drei Könige: die Erscheinung des Herrn und Retters vor der ganzen Welt.
Diese Woche bringt aber noch ein Datum in Erinnerung: Am 6. Januar 2021 stürmten Anhänger von Donald Trump in Washington das Kapitol, der Mobb drang ins Parlament ein. Und noch lange danach ist die amerikanische Gesellschaft gespalten wie bei der Präsidentenwahl zwischen Trump und Biden: War die Erstürmung und Verwüstung des Kapitols nun ein patriotischer Akt gegen eine angeblich gefälschte Wahl? Oder war sie das Gegenteil, ein schlimmer Angriff auf die Demokratie, die amerikanische Verfassung und die grundlegenden Werte der Freiheit?
Die unglaublichen Bilder davon und die Erinnerung wühlen mich immer noch auf. Damals wie heute mache ich mir Gedanken darüber.
Wie ist es möglich, dass eine Gesellschaft so gespalten ist wie die amerikanische? Nicht nur die der USA. Diese Spaltung in unversöhnliche Lager geht ja durch die ganze Welt, auch bei uns, in der Politik, zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, aber auch in der Kirche. Was steckt dahinter?
Der Grund von all dem liegt in der Löwen-Gruppe und in der Bären-Gruppe. Ich will das erklären und muss dafür etwas ausholen. Seit Millionen von Jahren ist ein evolutionäres Muster in uns eingewoben. Seit vor Millionen Jahren zum ersten Mal im Tierreich Herden entstanden. Das war ein evolutionärer Quantensprung, weil die Herde – und nicht mehr nur das einzelne Muttertier – den Schutz der Jungtiere übernahm. So wurde die Herde das Wichtigste überhaupt. Auch in uns Menschen steckt das heute noch drin. Es zieht sich durch unsere Geschichte. Die Menschen streben mit einer nie versiegenden Energie nach ihrer Herde: nach ihrem Clan, ihrem Stamm, ihrer Nation und so weiter. Schon im Kindergarten kann man das beobachten. Die neu kommenden Kinder werden aufgeteilt, sagen wir mal: in die „Bären-Gruppe“ und in die „Löwen-Gruppe“. Und es dauert keine drei Tage, da sagt das Kind aus der „Bären-Gruppe“ zu Hause: „Die von der ‚Löwen-Gruppe‘ sind doof.“ Das Gefährliche bei der Zugehörigkeit zu einer Herde, einem Clan oder, wie hier im Kindergarten, zu einer Gruppe ist: Die Zugehörigkeit und der Zusammenhalt gelingen am besten, wenn ein Feindbild entsteht. Das schweißt die Herde zusammen.
Die Sehnsucht nach einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann Gutes bewirken, kann toll sein. Zum Beispiel im Sport. Dort ist es zunächst einmal ungefährlich und unglaublich wohltuend. Die Zugehörigkeit zu einem Verein schweißt Menschen zusammen. Im Kölner Stadion, heute heißt es RheinEnergieStadion, ich sage natürlich immer noch viel lieber Müngersdorfer Stadion, findet bei jedem Spiel das „Hochamt“ der Zugehörigkeit statt. Fast wichtiger als das Fußballspiel ist das Beiprogramm: Zigtausende singen zusammen, die Fahnen schwingen dazu, jedem fließt das Herz über. Eine großer Club von Fans, eine Gruppe Gleicher, ein kölscher Clan, die 1.-FCK-Herde.
Wenn ich erfahre, ich gehöre zu einem Stamm, zu einer Gruppe, zu einer Herde, stabilisiert mich das, dann weiß ich, wo ich hingehöre, dann lache ich mit den anderen und – beim 1. FCK war das schon häufig so – weine ich auch mit ihnen. Das ist gut. Gefährlich wird es immer dann, wenn diese Gruppenidentität in Feindschaft gegen „die anderen“ ausartet. Das ist leider immer so gewesen und ist heute noch extremer, weil die jeweiligen Herdenmitglieder durch die dominante Internetkommunikation in ihrer eigenen Blase bleiben und sich ihre Informationen über die Welt nur aus dem eigenen Sender, der eigenen Gruppe, aus den eigenen oft trüben Quellen holen: aus der eigenen Internetblase. So verfestigt sich die ungesunde Aufspaltung – nicht in natürliche Verschiedenheiten, sondern in Feindschaften.
Vor zweitausend Jahren gab es einen Rabbi, er kam aus Nazareth. Alle, auch die Historiker, die nicht oder anders glauben, sind sich einig, dass dieser Jesus von Nazareth einen Quantensprung im Denken und in der Religionsgeschichte angeschoben hat. Denn eine der wesentlichsten Verkündigungen dieses Jesus war das Aufsprengen des archaischen Herdendenkens. In den Geschichten, die er erzählt, gehören die Helden oft zu den „anderen“, nicht zur eigenen Herde, sondern zu den „Feinden“. Zum Beispiel war die Volksgruppe der Samariter den Juden noch verhasster als die Römer, die ja Besatzungsmacht waren. Und wer ist einer der größten Helden in den Erzählungen Jesu? Der barmherzige Samariter.
Jesus hat diese Feindbilder und das Verächtlichmachen anderer immer bekämpft. Am Jakobsbrunnen durchbricht er sogar die hohe Mannesehre und spricht freundschaftlich mit einer Frau! Dazu noch: Samariterin!
Jesus sagt und zeigt durch sein Handeln also: Wir alle sind Brüder und Schwestern.
Klar: Wir dürfen streiten. Das macht ja auch Spaß. Wir sind ja auch verschiedene Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Meinungen. Jesus hat auch gestritten: mit Pharisäern, mit Jüngern, mit seiner Mutter … Aber er hat sie nicht gehasst. Er hat sie nicht vernichten wollen. Nicht tilgen wollen von der Erdoberfläche – was manche Kölner Fans mit den Leverkusenern wohl gerne täten und was manche Trump-Fanatiker beim Sturm auf das Kapitol auch versucht haben: die anderen (mund-)totschlagen.
Wir sind alle Brüder und Schwestern. Vor allem Verschiedenen sind wir erst mal gleich. Und Jesus ist es wohl gelungen, das immer zum Ausdruck zu bringen, sodass viele es verstanden haben. Einige wenige aber blieben so vernagelt, dass sie in ihren Feindbildern noch gehässiger wurden und beschlossen, nun eben diesen Jesus zu beseitigen – einen von ihnen, der aber anders dachte, redete und handelte.
Wenn Verschiedenes in einem Bild zusammenkommt, ist es ein Sym-bol. Das Gegenteil davon ist dia-bolisch, gespalten, teuflisch. Wenn Verschiedenes zusammenfindet, ist es göttlich. Wenn Menschen aus fremden Gegenden, Ländern und Kulturen kommen, um ein neugeborenes Kind zu ehren und zu beschenken: göttlich. Und wir wissen nicht, welcher Religion sie eigentlich angehörten, welche Hautfarben sie hatten, welcher Herkunft sie waren … Sie waren halt „anders“ – und wie wir. Und heute sind wir zusammen in Köln. Göttlich.
Denn im Garten des Lebens sind alle Gewächse wunderschön.
Was bringt diese Woche?
Eine Dame. Ich trug vier Jahrzehnte lang ein Bild von ihr in meinem Portemonnaie. Zum ersten Mal war ich ihr als junger Schüler am Gymnasium begegnet. Am 12. Januar ist ihr Geburtstag, geboren wurde sie 1797 auf Burg Hülshoff im Münsterland: Annette von Droste-Hülshoff. Sie gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Dichterinnen und Dichtern des 19. Jahrhunderts.
Als wir im Deutschunterricht eine ihrer Novellen, „Die Judenbuche“, lasen, übertrugen Mitschüler mir daraus den Namen einer ihrer Protagonisten als Spitznamen. Dabei blieb es, ich trage diesen Namen bis heute, und es gibt Leute in meiner Heimat und bei meinen Freunden aus Schüler- und Studentenzeit, die kennen mich nicht als Willibert, sondern nur als Aaron. Das finde ich schön, ich freue mich jedes Mal, wenn jemand mich Aaron nennt.
Zu Annette von Droste-Hülshoffs Zeit gefiel nicht jedem ihre emanzipierte Art. Der eine der beiden berühmten Brüder Grimm, Wilhelm, schreibt tatsächlich über sie: „Es ist schade, dass sie etwas Vordringliches und Unangenehmes in ihrem Wesen hat.“
Eine junge Frau, gebildet, emanzipiert, die Gedichte und Geschichten schrieb und veröffentlichte: für die Männer und auch für nicht wenige Frauen damals unerhört, wirklich ungehörig. Ihre eigene Mutter verhinderte lange Zeit, dass Annette von Droste-Hülshoff ihre Poesie und ihre Prosa veröffentlichen durfte.
Als ich in Münster studierte, entdeckte ich noch einmal und mehr von dieser Frau aus meiner Schülerzeit im Bergischen Land. Meine erste Studentenbude befand sich auf einem einsamen Bauernhof außerhalb, aber in der Nähe der alten Universitätsstadt. Wenn Willibert-Aaron nun spät abends aus seiner Kneipe in der Stadt auf seinem Fahrrad zurückfuhr auf diesen Hof, dann musste er einen Hohlweg durchfahren. Jedes Mal ging mir dann ein Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff durch den Sinn, viele kennen es:
Der Knabe im Moor
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
(…)
Uaaaa! Das war mir auf Dauer zu unheimlich. Schon im nächsten Semester wechselte ich meine Studentenbude in der Einsamkeit ins genaue Gegenteil; ich wohnte dann mitten im Quartier der Kneipen, Kuhviertel genannt.
Aber was mich neben dem übertragenen Namen Aaron und der Erinnerung an nächtlich-schaurige Fahrradfahrten am meisten mit Annette verbindet, ist unser Glaube und unser Vertrauen in die Osterbotschaft. Sie schrieb:
Am Ostersonntag
(…)
So darf ich glauben und vertrauen
Auf meiner Seele Herrlichkeit!
So darf ich auf zum Himmel schauen
In meines Gottes Ähnlichkeit!
Ich soll mich freun an diesem Tage:
ich freue mich, mein Jesu Christ!
Und wenn im Aug’, ich Tränen trage,
Du weißt doch, daß es Freude ist.
Ach Nette – so wurde sie zu ihrer Zeit genannt –, ach Nette, leg doch mal ein gutes Wort beim Heiligen Geist ein, damit auch die Frauen in unserer Kirche endlich zu Wort kommen, zu ihrem Recht, ihre Talente und Gaben angemessen einbringen können!
Denn im Garten des Lebens werden viele sich freuen an diesem Tage, und auch unser Herr Jesus Christus!
Was bringt diese Woche?
Am 17. Januar das Fest des Heiligen Antonius aus Ägypten, nach der Legende geboren in der Mitte des zweiten, gestorben in der Mitte des dritten Jahrhunderts.
Er wird auch Antonius „der Große“, „der Einsiedler“, „Vater der Mönche“ genannt, ist Schutzpatron der Haustiere, vor allem der Schweine, der Schweinehirten, Bürsten-, Korb- und Handschuhmacher, Ritter, Weber, Metzger, Zuckerbäcker, Bauern, Totengräber; gegen Feuersnot, Wundrose, Geschwüre, Hautkrankheiten, Kopfschmerzen, Lepra, Pest, Syphilis, Feuer und Viehseuchen. Er hat als Eremit in der Wüste gelebt, wurde von quälenden Visionen und dem Teufel heimgesucht, aber er blieb ein standhafter Mann Gottes, sagt die Überlieferung. Und so wirkte er Wunder und trieb Dämonen aus …
Im Rheinland heißt er auch der „Schweine-Tünnes“, original rheinisch: „Ferkes-Tünn“. Das ist überhaupt nicht abwertend gemeint, sondern sehr liebevoll. Der heilige Antonius wird in der Ikonographie der Kirche oft mit einem süßen kleinen Schweinchen zu seinen Füßen dargestellt. Die Legende erzählt, dass er, der Einsiedler, einen einzigen Freund hatte: ein Schweinchen. Und er habe von Gott, dem Herrn, nur die Erfüllung eines Wunsches erbeten: dieses Schweinchen dereinst mitzunehmen ins Himmelreich.
Historisch steckt hinter dieser Legende etwas sehr handfest Christliches. Der im 11. Jahrhundert mit des Heiligen Namen gegründete Antoniter-Orden für die Krankenpflege in Zeiten der Seuchen – darunter das sogenannte Antonius-Feuer (medizinisch Ergotismus: eine Vergiftung aus dem Genuss von durch einen Pilz verunreinigtem Getreide) und die Pest – züchtete überall Schweine. Und die durften in den Städten und Dörfern frei weiden, denn ihr Fleisch war für die Ernährung der Armen und Kranken bestimmt.
Aber die Legende vom Schweinchen des Einsiedlers in der Wüste, das er mit in den Himmel nehmen möchte, ist ja irgendwie faszinierender als die historischen Kausalitäten. Natürlich, wenn ich diese Geschichte und andere ähnliche meinen atheistischen Freunden erzähle, rollen die mit den Augen und haben nur ein nachsichtiges Lächeln für mich übrig. Wie kann man nur solchen Flunkereien Beachtung schenken? Willibert, dir ist nicht mehr zu helfen!
Dann antworte ich gerne mit einer Betrachtung von Hans Conrad Zander und hier im Buch verweise ich auch darauf. Es geht darin um eine der schönsten Geschichten von Boccaccio, die übrigens in der Zeit der Pest spielt: Über die lieblichen Hügel der Toskana wanderte Pater Cipolla. Er erzählte in jedem Dorf, er habe eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht, und dann zog er triumphierend eine weiße Feder aus seiner Tasche, hielt sie hoch und raunte den versammelten Dörflern zu: Seht, diese Feder stammt aus dem Flügel des Erzengels Gabriel, er hat sie bei der Verkündigung an Maria verloren.
Nun, jeder Mann und jede Frau wusste, diese Feder stammte nicht aus dem Flügel des Himmelsboten, auch nicht aus Jerusalem oder Nazareth, sondern aus „Lügien und Trügien, aus Erfindien und aus der äußeren Mogelei“ 3. Dennoch flogen, so schreibt es Boccaccio, jenem Pater Cipolla die Herzen der Menschen zu. Warum?
Weil, so sagt Zander, eine historisch nicht korrekte Aussage klar eine Lüge ist. Außer in der Liebe und in der Religion. Dort, so Zander, ist sie nicht immer, aber oft die tiefste Wahrheit.
Jahrhunderte nach Boccaccio hat es Novalis so ausgedrückt: In Märchen und Gedichten stehn die wahren Weltgeschichten. Das heißt, bei Märchen und Mythen und auch in manchen Heiligenlegenden führt uns ein historischer Faktencheck bloß ins Nicht-Verstehen und Achselzucken, die erzählte Wahrheit verfehlen wir so. Es ist vielmehr wie beim Schatz im Acker: So wie der Schatz im Feld verborgen ist, so ist meistens in Märchen und Mythen eine Wahrheit verborgen, die alles Materielle und Diesseitige übersteigt. Und wenn man einmal diese transzendente Wahrheit erfahren oder gefunden hat, verkauft man alles, was man hat, um diesen Schatz zu gewinnen und ihn nie mehr zu verlieren.
So ist das auch mit dem „Ferkes-Tünn“.
Im Garten des Lebens sitzt er neben seinem Schweinchen in der Sonne.
Heiliger Antonius, bitte für uns. Und für unsere so begrenzte Auffassungsgabe.
Was bringt diese Woche?
Am 25. Januar feiert die Kirche das Fest der Bekehrung des heiligen Paulus.