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Dieses Handbuch repräsentiert ein Desiderat der Forschung zur Freimaurerei. Namhafte Historiker präsentieren spannende Grundlagen für weitere freimaurerische Forschung aus unterschiedlichen Perspektiven. Angestrebt wird keine lückenlose Behandlung des Themas, der Fokus liegt auf der großen Vielfalt der Zugänge zur Freimaurerei. Veröffentlicht werden nur Originalquellen, die bisher nicht publiziert wurden. Die einzelnen Beiträge gruppieren sich um drei Schwerpunkte: Geschichte, Organisationsstrukturen und Ideen Ziele und praktische Verhaltensweisen Freimaurerei - Politik, Kultur und Gesellschaft Die profunde Darstellung verdeutlicht die Bedeutsamkeit freimaurerischer Ideen für die geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklungen der letzten drei Jahrhunderte. Dieser Band erscheint in der neuen wissenschaftlichen Reihe "Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei". Sie behandelt umfassend Geschichte und Gegenwart der Freimaurerei in Form von Handbüchern, Sammel- und Dokumentenbänden. Es geht auch um die spannende Frage nach dem heutigen Selbstverständnis und der gesellschaftlichen Wirkung der europäischen Freimaurerei. Das erste Handbuch liefert grundlegende Einblicke in die Ziele und Ideen der Freimaurerei, in ihr Innenleben, ihre Organisationsstrukturen und Richtungen, ihr Verhältnis zu Staat, Politik, Gesellschaft, Kultur, Kirche und Religion sowie auch zu ihren Gegnern (Antimasonismus).
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Seitenzahl: 321
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Handbuch der freimaurerischen Grundbegriffe
Reihe: Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei
hg. von Helmut Reinalter
in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ideengeschichte und der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei
Band 1
Helmut Reinalter
StudienVerlag
InnsbruckWienMünchenBozen
© 2002 by StudienVerlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6010 Innsbruck
e-mail: [email protected]
homepage: www.studienverlag.at
ISBN 978-3-7065-5782-5
Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder/Circus, Innsbruck
Umschlag und Satz: Studienverlag/Karin Berner
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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Vorwort
I. Geschichte, Organisationsstruktur und Ideen
Geschichte (Helmut Reinalter)
Logen, Großlogen, Forschungslogen (Gerhard Großmann)
Systeme, Obedienzen (Herbert Kessler)
Regularität und Irregularität (Vox G. Vogeler †)
Ritualistik, Initiation (Wolfram Kraffert †)
Symbolik (Wolfram Kraffert †)
II. Ziele und praktische Verhaltensweisen
Humanität (Klaus-Jürgen Grün)
Toleranz (Wolfram Kraffert †)
Der „Große Baumeister“ aller Welten (Helmut Reinalter)
Ethik (Ernst Gehmacher)
Brüderlichkeit (Rainer Hubert)
Esoterik (Herbert Kessler)
Aufklärung (Helmut Reinalter)
Freiheit (Walter Hess)
Pflichten (Helmut Reinalter)
III. Freimaurerei – Politik, Kultur und Gesellschaft
Freimaurerei und Politik (Axel Giese)
Freimaurerei, Kirche und Religion (Jürgen Holtorf †)
Kultur- und Geistesleben unter freimaurerischem Aspekt (Marcel Valmy †)
Die Freimaurer und die Frauen (Walter Hess)
Die Verschwörungstheorie (Helmut Reinalter)
Freimaurerei und Öffentlichkeit (Rolf Appel)
Literatur (Auswahl)
Autoren
Personenregister
Sachregister
Das vorliegende Handbuchprojekt, das bereits vor 10 Jahren vom Herausgeber geplant und konzipiert wurde, sich aber wegen mehrfacher Probleme durch Autoren und Organisationsfragen stark verzögert hat, konnte nun doch noch mit Hilfe des Studienverlags und durch die Gründung der neuen wissenschaftlichen Reihe „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei“ zum Abschluß gebracht werden. Die Publikation erscheint in enger Kooperation mit der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei und dem Institut für Ideengeschichte in Innsbruck, das sich intensiv mit der Erforschung der europäischen Freimaurerei beschäftigt.
Dieses Handbuch ist, wie viele Fachexperten übereinstimmend betonen, ein Desiderat der Forschung. Die einzelnen Beiträge wurden von Spezialisten geschrieben, die in die freimaurerische Thematik sehr gut eingearbeitet sind. Das Handbuch weist drei inhaltliche Schwerpunkte auf, um die sich die einzelnen Studien gruppieren:
1. Geschichte, Organisationsstruktur und Ideen
2. Ziele und praktische Verhaltensweisen und
3. Freimaurerei – Politik, Kultur und Gesellschaft.
Es geht dabei nicht um eine lückenlose Behandlung des Themas, sondern um eine nützliche Orientierungshilfe und um Grundlagen für weitere freimaurerische Forschungen aus verschiedenen Perspektiven. Eine methodische Vereinheitlichung wurde bewußt nicht angestrebt, um die große Vielfalt der Zugänge zur Freimaurerei aufzuzeigen.
Die Freimaurerei ist eine international verbreitete Vereinigung, die unter Achtung der Würde des Menschen für Toleranz, freie Entwicklung der Persönlichkeit, Brüderlichkeit und allgemeine Menschenliebe (Humanität) eintritt. Sie geht davon aus, daß menschliche Konflikte ohne zerstörerische Folgen ausgetragen werden können. Voraussetzung dafür ist die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Menschen unterschiedlicher Überzeugungen. Die Freimaurerei ist stark auf den einzelnen Menschen ausgerichtet und bemüht, ihn sittlich zu vervollkommnen. Sie hat aber keine ethischen Lehrsätze aufgestellt, da nach ihrer Auffassung sittliche Normen einem ständigen Wandel unterliegen. Ihre Ethik ist daher sehr praxisorientiert und wurde auch als „Einübungsethik“ bezeichnet.
Über die Wirkungsgeschichte der Freimaurerei im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß seit der frühen Neuzeit gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Die Gründe dafür liegen in der Tatsache, daß sich ein direkter Einfluß der Freimaurerei auf Staat, Politik und Gesellschaft nur schwer nachweisen läßt. Eine einigermaßen seriöse und realistische Einschätzung der gesellschaftlichen Wirkung der Freimaurer muß sich in erster Linie auf die Selbstbildung als Personen und die Kongruenz ihres Selbsterziehungsprogramms sowie ihrer Ziele mit den wesentlichen Denkströmungen der jeweiligen Zeit beziehen. Die Forschung hat allerdings heute weitgehend anerkannt, daß der Freimaurerei bei der Auflösung der frühneuzeitlichen Dogmen in der Aufklärung und Säkularisierung sowie in den bürgerlichen Revolutionen eine Rolle zukam. Es war zweifelsohne keine tragende Funktion, doch die freimaurerischen Ideen der Humanität und Toleranz gelten in den geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklungen als bedeutsam. Wenn die Freimaurerei zwar nicht als Beweger und Auslöser in Erscheinung trat, dann zumindest als Ermutiger und Verstärker.
Der Herausgeber dankt nicht nur den Mitgliedern der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei, sondern auch Alfred Schmidt (Frankfurt/M.), der sich um die sachliche Prüfung der Manuskripte, um Korrekturen und Verbesserungsvorschläge gekümmert und das Projekt kritisch begleitet hat. Leider war es ihm aus zeitlichen Gründen nicht möglich, selbst einen Beitrag beizusteuern. Der Dank gilt schließlich auch den Autoren, deren Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde. Die Bibliographie am Schluß des Handbuchs trägt starken Auswahlcharakter und kann daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Innsbruck, im Mai 2002
H. R.
Über die historischen Wurzeln und die Entstehung der Freimaurerei haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Theorien und Legenden entwickelt, die von den westeuropäischen Gilden-, Maurer- und Steinmetzzünften, Kathedralenerbauern, Wandergesellen, Tempelrittern und Johannitern bis zur frühen Akademiebewegung und den Sozietäten der Aufklärung reichen. In der älteren freimaurerischen Historiographie werden auch direkte und indirekte Linien zwischen den heutigen Logen und den antiken Mysterienbünden hergestellt, um die esoterischen Wurzeln der modernen Freimaurerei aufzeigen zu können. In diesem Zusammenhang sind vor allem der Kult der Brahmanen, die Osiris-Legende, die Eleusinischen Mysterien, der Bund der Pythagoräer, der Mysterienkult der Essener, der Mithras-Kult, die Kabbala, die Gnosis, die Druiden und Barden zu nennen. Später kamen noch die beruflichen Zusammenschlüsse der Handwerker und die Ritterorden hinzu.
Als die eigentlichen Vorläufer gelten heute die handwerklichen Bruderschaften, auf deren Brauchtum sehr viel maurerisches Gedankengut zurückgeführt werden kann, und die Bauhütten, die überall dort entstanden, wo Dome gebaut wurden. Sie setzten sich aus Mitgliedern des Steinmetzstandes zusammen, nahmen aber auch Maurer und Decker auf. Während der Reformation wurde den Bauhütten der Vorwurf gemacht, sie würden geheime Zusammenkünfte abhalten und die Gesetze des Staates und der Kirche mißachten. So verloren sie – auch aufgrund der Folgen negativer wirtschaftlicher Auswirkungen durch den Hundertjährigen Krieg – langsam an Bedeutung und wurden schließlich im Lauf des 17. Jahrhunderts größtenteils aufgelöst.
Für die weitere Entwicklung der Freimaurerei wurde später bedeutsam, daß die Gilden in England auch Nicht-Werkmaurer in ihre Reihen aufnahmen. Nach englischer Definition ist die spekulative Freimaurerei im Unterschied zur Werkmaurerei, der sie entsprang,„ein besonderes, in Allegorien gekleidetes und durch Symbole dargestelltes Moralsystem.“ Um 1670 überwogen bereits in einzelnen Logen die Nicht-Werkmaurer, sodaß die Forschung davon ausging, daß sich um die innere Gilde der Steinmetzen ein äußerer Ring gebildet habe, der sich aus Ortsgeistlichen, Bauhandwerkern, verwandten Berufe, Lieferanten, Söhnen von Maurern, Zimmerleuten, Spenglern und Glasmalern zusammensetzte, die sich dann in den inneren Ring integrierten und 1717 in London neu formierten.
Nach dem Tod König Wilhelms III., der selbst Freimaurer war, kannte man in London nur noch vier sich regelmäßig versammelnde Freimaurerlogen. Diese schlossen sich 1717 zur ersten Großloge zusammen. Sie nannte sich „Große Loge von England“. James Anderson, ohne Zweifel einer der Stifter dieser Großloge, verfaßte 1723 das gedruckte Konstitutionenbuch „Die Alten Pflichten“, die zur maßgeblichen Grundlage der Freimaurerei wurden. Der erste Großmeister war Anthony Sayer. Der Freimaurerbund breitete sich dann im britischen Inselreich aus, bis er auch auf dem Festland, in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland und Österreich Fuß zu fassen begann.
In der englischen Freimaurerei trat mit dem Großmeister John Théophilus Désaguliers 1719 eine wichtige Änderung ein, weil nun eine große Anzahl von bedeutenden und einflußreichen Männern in die Logen eintrat. Es folgte ein relativ rascher gesellschaftlicher Aufstieg der Freimaurerei, der von einer starken Ausdehnung der Großloge begleitet war. Als protestantischer Geistlicher tätig, befaßte sich Désaguliers intensiv mit den Naturwissenschaften, war mit Newton befreundet und Mitglied der Royal Society in London, die zu einem Zentrum der Rosenkreuzer und der frühen Freimaurerei in London wurde. Der schottische katholische Adelige Chevalier de Ramsay galt als wichtiger Förderer der Freimaurerei in Frankreich. Er sprach sich für eine Reform der Freimaurerei aus und dürfte damit in England auf Probleme gestoßen sein. Die Logen war zu dieser Zeit in Europa bereits zu einer wichtigen geistigen und wissenschaftlichen Bewegung geworden.
Oft wird die Freimaurerei irrtümlich als Kind der Aufklärung bezeichnet. Ihre Wurzeln reichen jedoch weiter zurück. Einige wichtige Ideen der Aufklärung erfaßten einige Logen, wenngleich die Freimaurerei auch hermetischen Traditionen im 18. Jahrhundert verpflichtet blieb. Durch die strukturelle Krise des späten Absolutismus ist sie rasch als Mitträger der Aufklärungsbewegung zurückgedrängt worden. Ihr Niedergang führte schließlich zu einer Aufspaltung in verschiedene ideologischpolitische Richtungen und zur Gründung entgegengesetzt orientierter Geheimgesellschaften, wie Rosenkreuzer, Asiatische Brüder und Illuminaten. Dazu kamen noch die von Frankreich ausgehenden Hochgrade, die in verschiedenen europäischen Ländern Eingang fanden und sich um die Vertiefung und Weiterführung der drei Johannesgrade bemühten, die die gesamte Lehre der Freimaurerei enthielten. Neu erfundene Hochgrade und die zunehmende Mannigfaltigkeit der Systeme führten schließlich zu einer Vermischung und Überwucherung, die die Entstellung der ursprünglichen Freimaurerei beschleunigten.
1782 tagte in Wilhelmsbad bei Hanau ein internationaler Freimaurerkonvent, der wegen der Ausuferung der regulären schottischen Hochgradmaurerei in Europa, des Auftretens unseriöser Konkurrenten, Fehlentwicklungen in System und Ritual, verschiedener Abspaltungsversuche und Legitimationsprobleme einberufen wurde. Alle diese Bestrebungen weckten in breiten Freimaurerkreisen die Hoffnung auf eine schon längst notwendige Neuordnung. In dieser für die Freimaurerei schwierigen Zeit wurde auf dem erwähnten Konvent die masonische Situation diskutiert, wobei sehr heterogene hermetisch-esoterische und ideologische Gruppen hervortraten. Die drei Hauptströmungen umfaßten die Anhänger verschiedener hermetisch-alchimistischer Traditionen, die französischen Vertreter des mystisch-spiritualistisch-martinistischen Lyoner-Systems sowie die Rationalisten und Aufklärer. Nach diesem Konvent entstand in Frankfurt/M. der „Eklektische Bund“, der vorsah, daß nur mehr die drei Johannesgrade (Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad) künftig als verbindlich anerkannt werden sollten.
Im 18. Jahrhundert entstand auch die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer, die durch die Aufhebung des Prager Zirkels 1764 öffentlich bekannt wurde. In diesem Kreis existierte bereits eine enge Verbindung zwischen Freimaurern und Rosenkreuzern. Das Eindringen der Rosenkreuzer in die Logen wurde vor allem durch die Hochgradsysteme begünstigt. Die Rosenkreuzer gaben sich innerhalb dieser Systeme als die höchste Stufe der Freimaurerei aus. Das Herrschaftssystem des Ordens wurde durch die Hierarchie des Wissens gefestigt. Das Anliegen der Bruderschaft war primär religiöser Natur. Nach 1767 breitete sie sich rasch aus und gewann insbesondere in Preußen zusehends an politischem Einfluß. Eine Kontinuität zur älteren Rosenkreuzerbewegung gab es nicht.
Der der Bruderschaft der Rosenkreuzer entgegengesetzte Geheimbund der Illuminaten wurde 1776 in Ingolstadt gegründet. Den Anlaß bildete eine von Adam Weishaupt vermutete und gegen die Aufklärung gerichtete Verschwörung von Exjesuiten und Rosenkreuzern. Ideologisch war er von der radikalen, materialistischen französischen Aufklärungsphilosophie beeinflußt, womit er wesentlich über die Freimaurerei hinausging. Freimaurerei und Geheimbünde haben die Aufklärung zweifelsohne mitgeprägt, obwohl es zwischen beiden Bewegungen strukturelle Unterschiede gab. In ihnen wurden schon vor der Französischen Revolution demokratische Formen der Willensbildung entwickelt und erprobt, zumal die Gesamtheit der Mitglieder die letzte Entscheidungsgewalt besaß. Die Ämter der Logen, ihre Ausschüsse, Kommissionen, Versammlungen und ihre Gesetzgebung waren im Sinne der Mitbestimmung aller Mitglieder nach dem Mehrheitsprinzip das Abbild eines republikanischen Verwaltungssystems. Das Überwinden von territorialen, konfessionellen und sozialen Schranken war ein wesentlicher Bestandteil des humanitären und gesellschaftlichen Verständnisses der Freimaurerei dieser Zeit. Aufklärung wurde im masonischen Verständnis als unabschließbare Aufgabe und als kritisches Denkprinzip verstanden. Aufklärung sollte kritisches Selbstdenken fördern und sich gegen angemaßte Autorität, Vorurteile, Irrtümer, Aberglauben, Ideologien und Dogmen wenden. Dieses Aufklärungsverständnis erklärt zum Teil auch das Spannungsverhältnis zur katholischen Kirche, die in der Freimaurerei eine religiöse Sekte sah.
Das Verhältnis der Freimaurerei zur Französischen Revolution bedarf einer differenzierten Betrachtungsweise. Die Freimaurerei war über die Aktivitäten einzelner Logenmitglieder bei der geistigen Vorbereitung der Revolution durch das kulturelle, humanitäre und gesellschaftliche Engagement ihrer Mitglieder direkt und indirekt beteiligt, zumal die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse des Ancien Régime und aufgeklärten Absolutismus trotz Reformen noch immer im Gegensatz zu den maurerischen, humanitär-ethischen Anliegen standen. War das Republik-Verständnis der Freimaurerei vor 1789 noch stark moralisch verankert, weshalb sie nur eine ethische Bedrohung des Staates bedeutete, so wurde dieses nach 1789 politischer, da die Französische Revolution die ungleichen Hierarchien durch das Prinzip der Gleichheit ersetzte und damit ein wichtiges freimaurerisches Postulat realisierte. Während vor 1789 in den Logen noch deutlich die aufklärerische Tendenz einer ständetranszendierenden gesellschaftlichen Bewegung erkennbar war, änderte sich diese Einstellung bei jenen Freimaurern, die sich zur Demokratie bekannten. Für sie war die Tatsache entscheidend, daß durch Reformen keine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsordnung erreicht werden konnte. So wurden sie vereinzelt zu Revolutionären.
Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lag in der europäischen Entwicklung im Spannungsverhältnis von Revolution, Reform und Restauration, das über 1815 hinaus im Konflikt zwischen den Verteidigern des Ancien Régime und den neu entstehenden nationalliberalen Bewegungen fortdauerte. Freimaurer waren auf beiden Seiten dieses Konflikts zu finden. Zweifelsohne sind die Umbrüche und Veränderungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Fortführung der Errungenschaften der Aufklärung und Französischen Revolution zu betrachten und als umfassende Emanzipationsbewegung zu deuten. Alle großen Forderungen der Zeit wurden als Emanzipationspostulate aufgefaßt. Restauration, Romantik und Vormärz waren in ihrem Kern und in ihrer Grundstruktur durch den Aufstieg des Bürgertums und die Ausformung der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt. Diese Entwicklung beeinflußte auch die Struktur der Freimaurerei. Das Ringen um die Emanzipation sozialer und humanitärer Gruppen, wie die Freimaurerei, verdeutlicht die Vielfalt und Komplexität der Probleme beim Übergang zu einer neuen, auf die Freiheit des Individuums und des Eigentums gegründete Gesellschaftsform. Agrarreformen, Gewerbe-, Gemeinde-, Schul- und Universitätsreformen, die von Freimaurern mitgestaltet wurden, waren Teile eines umfassenden gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses, durch den die Fesseln der alten Gesellschaft zuerst gelockert und dann langsam aufgesprengt wurden. Von dieser Entwicklung konnte die Freimaurerei nicht unberührt bleiben, sodaß es auch innerhalb der Logen zu verschiedenen Reformbestrebungen kam. Diese bezogen sich nicht nur auf die Organisation der Großlogen, sondern betrafen auch inhaltliche Fragen der Arbeit und des Brauchtums. Dabei ging es vorrangig um eine Modernisierung der Logenverfassungen, des Rituals, um eine Anpassung der masonischen Arbeit an die Strömungen der Zeit und um einen zielbewußten Aktivismus, ohne allerdings gewachsene Traditionen ungeprüft über Bord zu werfen.
Die Reformwelle setzte mit Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Neben diesen Reformansätzen spielten auch die nationalen Bewegungen im 19. Jahrhundert für die Freimaurerei eine wichtige Rolle. Freimaurer waren selbst an diesen Bewegungen aktiv beteiligt, trotzdem kann die deutsche und italienische Einigungsbewegung nicht als Werk der Freimaurer bezeichnet werden. Stärker war hier der Anteil politischer Geheimbünde, die schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden und sich durch ihren ausgesprochen politischen Charakter von der Freimaurerei unterschieden. Antiklerikalismus, Liberalismus und Nationalismus beeinflußten die Freimaurerei stärker als kirchliche Auseinandersetzungen, die es auch im 19. Jahrhundert gab. Zwischen 1821 und 1884 kamen acht päpstliche Erklärungen heraus, die gegen die Freimaurerei und den Geheimbund der Carbonari gerichtet waren. Mit der Gründung der Grand Orient de France 1799 und der kurzfristigen Eingliederung des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus setzte die rasche Verschränkung freimaurerischer Aktivitäten mit der Politik ein. 1849 wurden in den Logen des Grand Orient de France die Bestimmungen über die Verpflichtung des Symbols des „Großen Baumeisters aller Welten“ eingeführt. In dieser Entwicklungsphase der europäischen Freimaurerei kam es im engen Konnex zum Liberalismus besonders in den romanischen Ländern zu einem stärker ausgeprägten Antiklerikalismus und einer anti-kirchlichen Politik, bis schließlich der französische Großorient 1877 verfügte, daß die Anrufung des Großen Baumeisters den Mitgliedern der Logen freigestellt werde.
Da auch die Freimaurerei von den nationalen Bewegungen ergriffen wurde, setzte sie sich mit der nationalen Frage stärker auseinander. Dabei kooperierte sie in Deutschland z.T. mit den fortschrittlichen national-liberalen Kräften, um die nationale Einigung zu fördern. Diese Bestrebungen zeigten sich besonders in der Frankfurter Nationalversammlung 1848. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Logen zunehmend zu Räumen des liberalen und nationalen Bürgertums und erlangten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Bürgergesellschaft.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Entwicklung der Freimaurerei vor allem vom europäischen Faschismus stark beeinträchtigt. Schon vor der Machtergreifung Hitlers wurde sie in Deutschland scharf angegriffen. Auch in anderen faschistischen Staaten Europas kam es zu Verfolgungen der Freimaurer-Logen. Da die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien besonders in Krisenzeiten spürbar zunahm, erhielt das Verschwörungsdenken nach 1918 neue Aktualität. Seit der Zunahme des Antisemitismus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert trat das Judentum in den Verschwörungstheorien als wesentlicher Faktor hinzu, wobei auf ältere Vorstellungen zurückgegriffen wurde: Freimaurer und Juden hätten sich zusammengeschlossen, den Ersten Weltkrieg verursacht und Deutschland durch ein freimaurerisches Diktat-Friedensprogramm ruiniert. Schon im 19. Jahrhundert wurden die Juden nicht nur als Gefolgsleute der Aufklärer und Revolutionäre gesehen, sondern als Drahtzieher einer auf Weltherrschaft gerichteten Verschwörung. Hier entstand bereits in Grundzügen die später von der antiliberalen und rechtsradikalen Agitation aufgegriffenen These von der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung als Reaktion auf die Französische Revolution. Die Protokolle der Weisen von Zion, eine Fälschung, stellten eine Variante des modernisierten und wiedererweckten dämonologischen Antisemitismus dar. Viele Nationalsozialisten sahen in diesen Protokollen den sicheren Beweis für die Weltherrschaft der jüdischen Hochfinanz. Grundvoraussetzung des ideologisch akzentuierten Verschwörungsmythos war die moralische Verabsolutierung einer gegebenen konkreten Sozialordnung und damit ein antiliberales Weltbild, das den sozialen Wandel dieser Ordnung und die Infragestellung überkommener Erwartungshaltungen als das illegitime und böswillige Werk verteufelter Minderheiten diffamierte.
In der faschistischen Propaganda gerieten verschiedene Gruppierungen, wie Juden, Jesuiten, Kommunisten, Sozialisten und Freimaurer in eine Schußlinie, weil sie weltweite Vernetzungen aufgebaut hatten und als überstaatliche Kräfte angesehen wurden. Die These von der freimaurerischen Weltverschwörung bildete zusammen mit der fixen Idee einer zentralen Logenleitung durch jüdische „Geheime Obere“ die Basis der nationalsozialistischen anti-freimaurerischen Propaganda. Der Aufstieg des Faschismus in Europa ließ für die Freimaurerei nichts Gutes erwarten. Aus diesem Grund verließen Mitglieder ihre Logen, zumal es auf lokaler Ebene zu Ausschreitungen gekommen war und Freimaurer auch persönlich bedroht wurden. Bei den Logenmitgliedern war die grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus und seiner inhumanen Ideen sehr stark ausgeprägt, manche von ihnen hofften aber doch, daß die national-konservativen Kräfte die Diktatur in Grenzen halten könnten. Die nationalen Logen hingegen begrüßten die Machtübernahme Hitlers in Deutschland mit einem Gefühl banger Erwartung. Sie verbanden ihre Genugtuung über das Ende der Weimarer Republik mit der Hoffnung auf die Etablierung eines zwar autoritären, aber doch rechtsstaatlich gelenkten Regierungssystems mit der Sorge über das eigene Schicksal. Innerhalb der verschiedenen freimaurerischen Systeme und Strömungen in Deutschland stellte die völkische Freimaurerei einen wesentlichen Faktor dar. Eine einheitliche Ausrichtung in der masonischen Politik der Nationalsozialisten gab es zwar nicht, dennoch wurde sie von einem ideologischen Grundkonsens bestimmt, nämlich vom Antimasonismus als festen Bestandteil antisemitischer Einstellungsmuster, die es schon vor dem Dritten Reich gab. Die Herausbildung einer völkischen Freimaurerei vollzog sich in den „Ringbewegungen“ und im Freimaurerorden.
Die Freimaurer-Verfolgungen in der Zwischenkriegszeit beschränkten sich nicht nur auf das nationalsozialistische Deutschland, sondern erfaßten auch andere europäische Staaten. Nationalsozialistischer Einfluß spielte hier aber nicht überall eine dominante Rolle, sondern die zunehmende politische Radikalisierung. Der erste Schritt zur Bekämpfung der Freimaurerei durch den Nationalsozialismus bestand darin, daß Freimaurer von der Mitgliedschaft der NSDAP ausgeschlossen wurden. Nach der Auflösung aller Logen und logenähnlichen Vereinigungen wurden deren Akten beschlagnahmt. Es kam zu Plünderungen, Deportationen, Folterungen und sogar zu Ermordungen. Viele jüdische Freimaurer mußten emigrieren. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg formierte sich die Freimaurerei nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ in den meisten europäischen Staaten neu.
Agethen, M.: Geheimbünde und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung, München 1984.
Bokor, Ch. v.: Winkelmaß und Zirkel. Die Geschichte der Freimaurer, Wien 1980.
van Dülmen, R.: Die Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt/M. 1986.
Hammermayer, L.: Der Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782, Heidelberg 1980.
Knoop, D./Jones, G.P.: The Genesis of Freemasonry, Bayreuth 1968 (dt. Übers.).
Melzer, R.: Konflikt und Anpassung. Freimaurerei in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, Wien 1999.
Naudon, P.: Geschichte der Freimaurerei, Frankfurt/M. 1982.
Neuberger, H.:Winkelmaß und Hakenkreuz. Die Freimaurerei und das Dritte Reich, München 2001.
Pfahl-Traughber, A.: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993.
Reinalter, H. (Hg.): Aufklärung und Geheimgesellschaften, München 1989.
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Reinalter, H. (Hg.): Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt/M. 31989.
Rogalla v. Bieberstein, J.: Die These von der Verschwörung 1776 bis 1945, Frankfurt/M. 21978.
Loge (engl. lodge, frz. loge, ital. loggia): Laube, Hütte. So heißen die örtlichen Freimaurervereinigungen. Mitunter bezeichnen sie sich noch heute als „Bauhütten“, was die Erinnerung daran wachhält, daß die Freimaurer die Herkunft ihrer Gliederungen und ihres Brauchtums von den operativen Gilden der mittelalterlichen Bauhandwerker ableiten. Manche nennen sich auch „Johannislogen“ nach Johannes dem Täufer, der als Patron der Maurer und Steinmetzen gilt. Man spricht zudem von „blauen“ Logen, um diese von den „Ateliers“ sog. Hochgrade abzugrenzen.„Loge“ heißt in einigen Gegenden auch der Versammlungsraum („Logentempel“) der Freimaurer (der Tempelraum der 1742 gegründeten Loge „Zur Einigkeit“ in Frankfurt a.M. ist abgebildet in der Brockhaus-Enzyklopädie Band 6, 17. Auflage 1968 auf Seite 573 beim Sachwort „Freimaurerei“).„Deputationslogen“ vereinigen Freimaurer bestehender Logen zur Gründung neuer Logen.„Adoptionslogen“ waren die von regulären Logen betreuten einstigen Zusammenschlüsse der weiblichen Angehörigen von Freimaurern, die seit dem Ende des Absolutismus nur noch vereinzelt in Erscheinung traten; heute gibt es sie nicht mehr. Die einzelnen Logen entsprechen den Niederlassungen der früheren Maurer- und Steinmetzgilden am jeweiligen Ort. In Deutschland sind sie heute überwiegend als eingetragene Vereine organisiert und in den Vereinsregistern der zuständigen Amtsgerichte eingetragen. Sie tagen zumeist in eigenen Gebäuden („Logenhäusern“), teils in gemieteten Räumen. In der Bundesrepublik verfügt die reguläre Freimaurerei über rd. 450 Logen (in vielen größeren Städten bestehen mehrere nebeneinander). Die meisten, darunter namentlich jene mit eigenem Hausbesitz, stehen in den örtlichen Adreß- und Telefonbüchern. Weltweit soll es rd.45.000 Logen geben; da es keine frm.„Weltorganisation“ gibt, sind genauere Zahlen nicht bekannt. Die meisten Logen kommen einmal wöchentlich zusammen. In den Ferienmonaten Juli und August finden keine Versammlungen statt.
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