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Bei dem Buch handelt es sich um eine Geschichte der Freimaurerei unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf Politik, Gesellschaft und Kultur. Diese Perspektive war bisher eine Lücke der masonischen Forschung. Die Schwerpunkte der Darstellung liegen aber nicht nur auf dem politischen Aspekt, sondern vor allem auf den geistigen Strömungen der jeweiligen Zeit. In diesem Sinne versteht sich das Buch auch als eine Ideen- und Sozialgeschichte der Bruderkette. Sie verdeutlicht den direkten oder indirekten Einfluss der diskreten Gesellschaft auf den historischen Entwicklungsprozess von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.
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Seitenzahl: 323
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Helmut Reinalter
FREIMAUREREI,POLITIK UND
GESELLSCHAFT
Die Wirkungsgeschichtedes diskreten Bundes
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
© 2018 by Böhlau Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
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Umschlagabbildung: Freimaurerschurz von Voltaire; Musée de la Franc-MaÇonnerie, Collections GODF; Foto: Photo12/Musée de la Franc-MaÇonnerie
Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser, Graz
Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien
Satz und Layout: Bettina Waringer, WienEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISBN 978-3-205-20863-1
Inhalt
Vorwort
Einleitung:
Die Freimaurerei als gesellschaftlicher Katalysator
Spätmittelalter und Frühe Neuzeit
1 Die historischen Ursprünge und Anfänge der Freimaurerei
2 Der Übergang von der operativen zur spekulativen (philosophischen) Freimaurerei
3 Der Humanismus und die Säkularisierung, Esoterik und Hermetik
Aufklärung
1 Die Ideen der Aufklärung
2 Akademien, aufgeklärte Sozietäten und die Freimaurerei
3 Das demokratische Potential der Bruderkette
4 Die Englischen Revolutionen im 17 Jahrhundert
Die Amerikanische Revolution
1 Der Einfluss der Freimaurerei
2 Die Präsidenten
3 Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Menschenrechte
Die Französische Revolution und die Menschen- und Bürgerrechte
1 Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins
2 Freimaurerei, Revolution und Jakobinismus
3 Die napoleonische Zeit
Reformen, Nationalismus, Liberalismus und Demokratie
1 Freimaurerei und Reformen
2 Nationalismus und Einigungs- bzw Freiheitsbewegungen
3 Der Liberalismus und die Anfänge der Demokratie
4 Die Revolutionen 1830 und 1848/49
5 Laizismus, Kulturkampf und Moderne
Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg
1 Freimaurerei und der Erste Weltkrieg
2 Freimaurerei, deutscher Nationalsozialismus, italienischer Faschismus, Franco-Regime und Action Française
3 Friedensbemühungen, Sozialstaat und Fürsorgewesen
4 Die Freimaurerei im Zweiten Weltkrieg und im Exil
Der Neubeginn nach 1945
1 Der Wiederaufstieg der Freimaurerei und die Europaidee
2 Die geistigen Strömungen der Zeit und die Freimaurerei
3 Kirche und Kultur
Schluss:
Die Werte und Ziele der Freimaurerei: Aufklärung, Menschenwürde, Menschenrechte, Humanität, Ethik, Königliche Kunst und Toleranz
Anmerkungen
Auswahlbibliographie
Über den Autor
Personenregister
Sachregister
Vorwort
Dieses Buch ist der erste Versuch einer Geschichte der Freimaurerei unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf Politik, Gesellschaft und Kultur. Dieses Thema war bisher eine Lücke der masonischen Forschung. Darüber hinaus versteht sich dieses Buch auch als eine Geschichte der Freimaurerei vor dem Hintergrund der geistigen Strömungen der Zeit, also auch als eine Ideengeschichte, politische und Sozialgeschichte der Freimaurerei von den Anfängen bis heute. Sie sollte den direkten oder indirekten Einfluss der diskreten Gesellschaft auf den Entwicklungsprozess von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart verdeutlichen.
Die Arbeit weist insgesamt sieben Schwerpunkte auf: Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, die Ideen der Aufklärung, die Amerikanische Revolution, die Französische Revolution und die Menschen- und Bürgerrechte, Reformen, Nationalismus, Liberalismus und Demokratie, der Erste Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit und der Zweite Weltkrieg sowie der Neubeginn nach 1945. Die Einleitung weist auf die gesellschaftliche Funktion der Freimaurerei hin und der Schlussteil zeigt die wichtigsten Werte und Ziele der Freimaurerei zusammenfassend auf.
Der Dank des Verfassers gilt in erster Linie dem privaten Institut für Ideengeschichte in Innsbruck, das ihm wertvolle Hilfe leistete, dem Frankfurter Philosophen Alfred Schmidt (†), der stets ein sachkundiger Gesprächspartner und ausgezeichneter Kenner der Ideengeschichte des Bundes war, dem Soziologen und Meinungsforscher Ernst Gehmacher, dem spanischen Freimaurerforscher José Ferrer Benimeli, den Historikerkollegen Reinhart Koselleck (†) und Hans Ulrich Wehler (†) für ihre methodisch wertvollen Hinweise, dem Böhlau Verlag für die gute Zusammenarbeit und meiner Mitarbeiterin Sabine Robic für diverse Recherchen und Schreibarbeiten.
Innsbruck, im Jänner 2018
Helmut Reinalter
Einleitung:
Die Freimaurerei als gesellschaftlicher Katalysator
Über die Wirkungsgeschichte der Freimaurerei im gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess seit der Frühen Neuzeit sucht man fundierte wissenschaftliche Untersuchungen vergeblich. Die Gründe dafür sind in der Tatsache zu suchen, dass sich ein direkter Einfluss der Freimaurerei auf Staat, Politik und Gesellschaft nur schwer nachweisen lässt. Die Gegner der Freimaurerei haben den angeblich großen Einfluss der Bruderkette immer dämonisiert und als politische Macht missverstanden. So sind im Laufe der neueren Geschichte zahlreiche Verschwörungstheorien entstanden, die als Teil eines weltweiten Antimasonismus gesehen werden und an Aggressivität und Polemik bis heute nichts eingebüßt haben.
Hinter den Verschwörungstheorien verbirgt sich die Vorstellung, dass geheime Drahtzieher am Werk sind, welche die Politik gestalten und bestimmen, und dass die Welt von konspirativen Gruppen gelenkt wird. Die Anhänger von Verschwörungstheorien suchen immer nach möglichen Verursachern von Krisen bzw. Sündenböcken, die meist dämonisiert und für den jeweiligen Zustand der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden. Verschwörungstheorien reduzieren Komplexität und konstruieren ein einfaches Muster der Wirklichkeit. Gesellschaftliche und politische Veränderungen werden von ihnen nicht wertneutral beurteilt, sondern immer von einem normativen Standpunkt aus. So stützen sich Verschwörungstheorien nicht auf eine wissenschaftliche Diagnose und Analyse, sondern enthalten immer eine weltanschauliche Beurteilung von Ereignissen und komplexen Zusammenhängen.
Als Grundlage dient allen Verschwörungstheorien ein vereinfachtes Welt- und Geschichtsbild, das von der Annahme ausgeht, komplexe Strukturen der sozialen Wirklichkeit könnten durch gezielte Handlungen von Personen oder Gruppen direkt gesteuert und beeinflusst werden. Diese Annahme ist wirklichkeitsfremd, weil wissenschaftliche Theorien und Methoden verdeutlichen, dass sich tiefgreifende Ereignisse in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur nicht durch zielgerichtetes Handeln von Personen oder Personengruppen erklären lassen, zumal das Zusammenwirken vieler subjektiver Gründe und objektiver Bedingungen für gesellschaftliche Veränderungen entscheidend ist, die sich wiederum aus Strukturen, Konjunkturen, Absichten und Zielen, Gegenabsichten, Irrtümern und vielleicht auch aus Zufällen zusammensetzen und sich auch gegenseitig beeinflussen. Bei den Verschwörungstheorien handelt es sich auch nicht um ein unparteiisches Erkenntnisinstrument, sondern um ein der Feindbestimmung dienendes ideologisch-politisches Werkzeug. Sie weisen im Wesentlichen zwei Kernelemente auf, nämlich eine vermeintlich mächtige und böse Gruppe, die im Geheimen die Welthegemonie anstrebt, sowie Anhänger und Handlanger, deren Aktivitäten darin bestehen, den Einfluss dieser Gruppe über die Welt auszuweiten. Verschwörungstheorien sind schließlich auch entscheidend geprägt von Feindbildern, wobei in der historischen Perspektive auffällt, dass besonders Juden und Freimaurer als Sündenböcke fungieren.
Eine einigermaßen seriöse und realistische Einschätzung der gesellschaftlichen und politischen Wirkung der Freimaurer bezieht sich in erster Linie auf die Selbstbildung als Personen und die Kongruenz ihres Selbsterziehungsprogramms sowie ihrer Ziele und ihre Auseinandersetzung mit den wesentlichen Denkströmen der jeweiligen Zeit. Neben politischen und gesellschaftlichen Strukturen spielen auch einzelne Persönlichkeiten in der Geschichte der Freimaurerei eine nicht unwesentliche Rolle. Es lässt sich, wie die moderne Freimaurerforschung betont, nur an einzelnen konkreten Beispielen der tatsächliche Einfluss der Freimaurerei auf die Gesellschaft erklären. Dabei zeigt sich bei aller Vorsichtigkeit der Beurteilung und Einschätzung, dass die Freimaurerei bei der Auflösung der frühneuzeitlichen Dogmen, in der Aufklärung, in der Amerikanischen und Französischen Revolution, in der Säkularisierung, in den verschiedenen Reform- und Freiheitsbewegungen und in den bürgerlichen Revolutionen, bei der Herausbildung des Liberalismus, der westlichen Demokratien, des modernen Parlamentarismus und des Sozialstaates sowie bei der Verbreitung der Menschenrechte und der Friedensbemühungen eine gewisse Rolle spielte. Diese war zweifelsohne keine tragende, wenngleich die freimaurerischen Ideen der Humanität, Aufklärung und Toleranz in den geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklungen bedeutsam waren. Die Freimaurerei trat nicht als Beweger und Auslöser in Erscheinung, wohl aber als Ermutiger und Verstärker, gleichsam wie ein Katalysator. In diesem Sinne war die Freimaurerei mit ihren Ideen und Handlungsmustern im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungsprozess direkt oder indirekt beteiligt. Diese Beteiligung steigerte sich vor allem dann, wenn die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Gegensatz zu den freimaurerischen, humanitär-ethischen Anliegen standen.
Heute arbeitet die Freimaurerei an einer Weiterentwicklung ihrer zentralen Ideen und setzt sich besonders mit Zukunftsfragen der Bruderkette kritisch auseinander. Zu den wichtigen gegenwärtigen Aufgaben der Freimaurerei zählt zweifelsohne das neue Aufklärungsdenken, das die unverzichtbaren Grundlagen der historischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts kritisch weiterentwickelt. Sie versteht unter Aufklärung eine unabschließbare Aufgabe und ein Denkmodell, das als „reflexive“ Aufklärung bezeichnet wird. Dieses Denkmodell darf aber Aufklärung über sich selbst nicht vernachlässigen, weil sie sonst zur Pseudoaufklärung oder Ideologie degeneriert und sich selber zerstören würde. In diesem Modell spielt Immanuel Kants „Selbstkritik der Vernunft“ eine elementare Rolle.
Zu den wichtigsten Problemfeldern der Aufklärung zählen aus freimaurerischer Perspektive vor allem Fragen des Friedens und der gewaltlosen Konfliktbewältigung, die Klimakrise, die Kritik am fundamentalistischen Denken, die Auseinandersetzung mit dem Fremden, mit anderen Kulturen und Religionen sowie die Beschäftigung mit den Folgen der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen durch Wissenschaft und Technik. Eine ihrer Hauptaufgaben für die Zukunft besteht darin, auf der Grundlage einer fundierten Analyse der gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung das Engagement der Mitglieder zu unterstützen und darüber nachzudenken, ob die Freimaurerei über ihre einzelnen Brüder jenseits von Parteipolitik eine wichtige Funktion dort übernehmen könnte, wo eine Kurskorrektur notwendig erscheint. Die Freimaurerei muss sich als ethische Wertegemeinschaft und als humanes Verhaltensmuster den großen Herausforderungen der Zeit stellen und sich fragen, wohin der Weg unserer Gesellschaft in Zukunft gehen wird und was dabei der einzelne Bruder tun könnte – entsprechend den Ritualworten „wie hier im Tempel durch das Wort, im Leben durch die Tat walten zu lassen.“ Es besteht innerhalb der Logen trotz starker Betonung der Individualität ein Minimalkonsens darüber, dass die neu zu formierenden Grundsätze der Freimaurerei noch heute in der Gesellschaft eine wichtige Funktion haben.
Spätmittelalter und Frühe Neuzeit
1. DIE HISTORISCHEN URSPRÜNGE UND ANFÄNGE DER FREIMAUREREI
Über die Ursprünge und Entstehung der Freimaurerei haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Theorien, Mythen und Legenden entwickelt, die bis in die Antike zurückreichen. Heute stehen in der masonischen Historiographie stärker die westeuropäischen Gilden-, Maurer- und Steinmetzzünfte, Kathedralenbaumeister, Wandergesellen, Tempelritter, Mönchsorden und die frühen Akademien sowie aufgeklärten Sozietäten und Rosenkreuzer im Vordergrund der historischen Überlegungen. In der älteren Forschung wurden auch direkte oder indirekte Verbindungslinien zwischen den Bauhütten und den antiken Mysterienbünden, dem salomonischen Tempelbau und den späteren Ritterorden hergestellt, um die esoterischen Wurzeln der Freimaurerei aufzuzeigen und zu erklären.
In diesem Zusammenhang sind vor allem der Salomonische Tempel, der Kult der Brahmanen, die Isis- und Osiris-Legende des alten Ägypten, die ägyptische Mythologie, die geheime „Dreiheit“ des alten China, die Eleusinischen Mysterien, der Bund der Pythagoräer, der Mysterienkult der Essener, der Mithras-Kult, die Kabbala, die Gnosis, die Druiden und Barden zu nennen. Problematisch ist zweifelsohne der Versuch, Freimaurerei als eine Fortführung der alten Mysterien zu sehen (Johann August Starck). Inwieweit für die Gründung der Freimaurerei auch der Neuplatonismus bestimmend wurde, ist z. T. noch ungeklärt. Der Neuplatonismus versteht sich als Weiterentwicklung des Platonismus, der Lehre des Philosophen Platon. Dieser geht von der Annahme aus, dass das gesamte Individuelle stufenweise aus einem einzigen letzten Urgrund hervortritt und wieder dahin zurückkehrt. Dieser Urgrund ist das Eine, Ewige, Höchste, Gute und Schöne sowie Nicht-Seiende. Außerhalb dieses Einen existiert sonst nichts mehr. Der „Demiurg“ oder Schöpfer bringt die Weltseele hervor und schafft das ständig wahrnehmbare Universum nach dem Vorbild des „Nous“ und beseelt damit auch die Materie. Nicht bewiesen sind weiters der englische Philosoph Francis Bacon und der Philosoph, Theologe und Pädagoge Jan Comenius als Begründer der Freimaurerei. Die hier erwähnten Mysterienbünde können nur mit Vorbehalt und Einwänden als mögliche esoterische Wurzeln der späteren Freimaurerei angesehen werden. Mit wissenschaftlichen Belegen und Argumenten lassen sich solche Entwicklungslinien und Zusammenhänge kaum festmachen.
Als wesentlich konkretere Vorstufen der modernen „spekulativen“ Freimaurerei findet man in der Literatur öfters die beruflichen Zusammenschlüsse der Handwerker und der Ritterorden, wie z.B. der Malteser- oder der Templerorden, der sich auf das hohe Ansehen der Ordensmitglieder als Bauherren stützt und auf der Hypothese aufgebaut ist, dass der Orden trotz Verurteilung und Verfolgung seine Weiterentwicklung sichern wollte. Der Großmeister Pierre d’Aumont, der zusammen mit zwei Kommandeuren und fünf Rittern nach Schottland floh, soll vom schottischen König Robert I. Bruce freundlich aufgenommen worden sein und Templer um sich gesammelt haben. Diese Gruppe soll weiters die bereits bestehenden Bauhütten als Organisationsträger beeinflusst und instrumentalisiert haben. Eine weitere Legende geht auf Baron Karl von Hund zurück, der ein bedeutender Freimaurer des 18. Jahrhunderts in Deutschland war. Auf der Basis des von ihm gegründeten masonischen Ritus, der „Strikten Observanz“, sollte der Templerorden wiederhergestellt werden. Ein Indiz für den Zusammenhang der Freimaurerei und den Templern könnte die Baukunst in den Logen gewesen sein, worüber mehrere Manuskripte des Bauhandwerks aus England und Frankreich berichten und auf die später noch hingewiesen wird. Eine weitere These geht von der älteren Rosenkreuzer-Bruderschaft als Ursprung der Freimaurerei aus. Charles von Bokor erwähnt, allerdings nicht vollständig, mehrere „pseudowissenschaftliche“ Theorien, die für ihn keinen Aufschluss über die Entstehung der Freimaurerei bieten.1 Erst im 19. Jahrhundert ist die realistische Geschichte durch alte Urkunden, kritische Prüfung der Quellen sowie durch den Vergleich mit den Steinmetz- und Handwerkerordnungen in Verbindung mit der Baukunst geklärt worden.
Als die eigentlichen Vorläufer der modernen Freimaurerei gelten jedoch in der heutigen profanen als auch masonischen Forschung die handwerklichen Bruderschaften, die Bauhütten und Baumeister, auf deren Brauchtum sehr viel maurerisches Gedankengut zurückgeführt werden kann. Sie setzten sich aus Mitgliedern des Steinmetzstandes zusammen, nahmen aber auch Maurer und Decker auf.
2. DER ÜBERGANG VON DER OPERATIVEN ZUR SPEKULATIVEN (PHILOSOPHISCHEN) FREIMAUREREI
Während der Reformation wurde den Bauhütten der Vorwurf gemacht, sie würden geheime Zusammenkünfte abhalten und die Gesetze des Staates und der Kirche missachten. So verloren sie – auch aufgrund der Folgen negativer ökonomischer Entwicklungen und Auswirkungen durch den Hundertjährigen Krieg – langsam an Bedeutung und wurden schließlich im Laufe des 17. Jahrhunderts wieder aufgelöst. Unter „Bauhütte“ verstand man allgemein eine „Vereinigung von Werkleuten“ unter der Leitung eines Baumeisters zur Errichtung eines Bauwerkes. Diese Bauhütten reichen in der Geschichte weit zurück. Bedeutend waren in diesem Zusammenhang die Meister von Como. Die Heimat dieser Meister war das Seengebiet um Como, und sie verstanden sich als „Maestri comacini“. Sie waren Künstler, Baumeister und Werkleute dieser Gegend.2 Diese These ist aber wissenschaftlich nicht unproblematisch und z.T. bereits widerlegt worden. Ihr Zusammenschluss in Bruderschaften bildete die Fortsetzung der schon vorher vorhandenen Kollegien und die Vorstufe zu den Dombauhütten. Die Meister von Como strahlten mit ihrem Wirken von Norditalien in ganz Europa aus und schlossen sich in der Bruderschaft im Kult der „Vier Gekrönten“ zusammen. Ab 1050 wirkten sie in Salzburg, Straubing, Augsburg, am Dom zu Königslutter, in Chur, Zürich, Basel, Speyer und Mainz. Einer ihrer Meister, Donatus, baute von 1100 bis 1145 den Dom zu Lund in Schweden. Die Bruderschaften hatten eine eigene Ordnung, stellten sich unter den Schutz der „Vier Gekrönten“ und nahmen nicht nur Künstler, Architekten und Steinmetze als Mitglieder auf, sondern unterschieden bereits zwischen Meistern und Mitbrüdern. „Diese von Wissen, Können und einer hochentwickelten Ethik ihrer Kunst getragenen Meister verdingten sich Fürsten und geistlichen Herren für deren große Bauvorhaben und brachten damit eine ihnen würdige Tradition und ein Gedankengut mit, das schließlich in den Dombauhütten der Gotik in Deutschland, in Frankreich und den Niederlanden und letztlich den Lodges Englands und Schottlands zu einer Geistesentwicklung und deren äußeren Form führten, die ihren Zeitläuften weit voraus waren und schließlich in der Zeit der Aufklärung mit den Wissenschaften und deren Träger zu geistiger Einheit verschmolzen.“3
Parallel dazu bildeten sich auch die klösterlichen Bauschulen heraus, die die Baukunst lehrten und damit für die bewegliche, wandernde Bauhütte die notwendigen Grundlagen schufen. Besonderen Einfluss hatten in diesem Zusammenhang die Klöster St. Gallen und Hirsau auf die Entwicklung der klösterlichen Bauschulen, um hier nur zwei konkrete Beispiele zu nennen. Abt Salomon von St. Gallen stellte im 9. Jahrhundert über die Kunst grundsätzlich fest: „Wahre Kultur kann nur durch geweckten Kunstsinn erreicht werden, nur dadurch kann die schwerfällige Volksmasse der Religion veredelt zugeführt und in eine wahre Lebenstätigkeit versetzt werden. Alles Edle kommt von Gott und der damit Begnadete hat die Pflicht übernommen, sein Talent und Genie Gott zu weihen und nicht an profane Gegenstände zu vergeuden, nicht damit die der Seele, der Sittlichkeit und dem Wohlstand gefährliche Eitelkeit zu unterstützen.“4 Viele begabte Baukünstler vom 9. bis zum 11. Jahrhundert erfuhren ihre Ausbildung in St. Gallen. Das Kloster Hirsau im Schwarzwald löste dann im 11. Jahrhundert den Ruf von St. Gallen ab und führte 1077 die Cluniazensische Regel ein. Abt Wilhelm von Hirsau, Pfalzgraf von Scheuern, führte das Kloster und war ein hervorragender Zeichner und Architekt. Die Laienbrüder bildete er selbst in seiner Bauschule aus. In den Statuten der Bauschule klingen bereits freimaurerische Prinzipien deutlich an: „Brüderliche Eintracht am Bau war oberstes Gesetz, weil in der Ausführung eines Baues Eintracht, Zusammenwirken aller Kräfte und sorgfältige Ausführung des übernommenen Auftrages allein das Gelingen des Ganzen bedingen.“5 Im Frühmittelalter gab es kleinere Kirchen, die nach römischer Art oder im gallischen Stil mit Bruchsteinen erbaut wurden, doch überwogen allgemein die Kirchen, die aus Holz gefertigt waren. Daher spielten zu dieser Zeit die Steinmetze noch keine große Rolle. Als die Romanik aufkam, hat sich dann allerdings die Situation geändert, weil die Kapitäle von Steinmetzen gemacht wurden. In Frankreich entstand in der Île de France neben der Romanik bereits eine neue Architektur der Baukunst, wie bei der Errichtung der Basilika von St. Denis 1140, und ebenso in der Normandie sowie in Burgund.
Ab nun waren die Steinmetze besonders gefragt, weil die Steinbildhauerei mit dem neuen Baugedanken und der Gestaltung der Baukunst eine zunehmend große Rolle zu spielen begann. Nach dem Ausscheiden der Steinmetze aus der klösterlichen Gemeinschaft schlossen sich diese zu einer Bruderschaft zusammen, sodass die Zeit der Gotik von den Bauhütten mitgeprägt wurde. Dabei gehörte die Bauhütte am Straßburger Münster zum Vorbild für andere Bauhütten, weil sie „in allen Fragen der Brüderlichkeit, der wissenschaftlichen Durchdringung der künstlerischen Vollkommenheit, der fundamentalen Rechtsauffassung“ für andere Bauhütten beispielhaft war. Auch der Bau des Münsters muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden.6 Die zwei bedeutendsten Baumeister hießen damals Rudolf und Erwin von Steinbach. Der schwäbische Graf von Bollstädt, der in Padua studiert hatte, in den Dominikanerorden eintrat und nachher in den Klöstern zu Köln, Hildesheim, Freiburg, Regensburg und Straßburg lehrte sowie 1260 Bischof von Regensburg wurde, schuf maßgeblich die Grundlagen des neuen Baustils. Erwin von Steinbach war einer seiner Schüler. Er lehrte auch zur Zeit der Gotik in St. Denis in der Île de France. Im Steinmetzbuch von Straßburg nannte man ihn „Albertus Magnus“ oder „Albertus Argentinus“.7 Albertus führte den Pythagoräischen Lehrsatz und seine mathematische Zahlenphilosophie in den Kirchenbau ein. „Sein Lehrsatz gründete sich auf die Einheit, welche er in das Achtort als den Mysterien-Schlüssel seiner neuerdachten Baulogik legte. Und diese Einheit ist Gott! Und Gott ist Eins, und Eins ist ohne Anfang und Ende – ewig –, was zu allen Zeiten durch den Zirkel oder den gerechten Kreis symbolisch ausgedrückt wurde. Im Zirkel ist die Kraft, die Festigkeit, das beharrliche Streben, stets wieder an den ersten Ausgangspunkt zu gelangen, ausgedrückt; er ist das wirksamste Werkzeug der praktischen Baukunst.“8 System und Grundprinzip für den neuen Stil und die Konstruktion war das „Achtort“, in das er den Zirkel stellte und das sich aus zwei sich kreuzenden Quadraten geometrisch entwickelte. Das „Achtort“ bildete in der Gotik die wichtigste Figur der Architektur. Die Auslegung der Bibel und die Verbindung mit dem Zahlenspiel der Geometrie sowie der künstlerischen Ideen über die Grundriss- und Fassadengestaltung gotischer Dome fanden Eingang in die Ordnung der Bauhütten.
Da es unter den Steinmetzen auch Geistliche gab, wurde ihnen die Anwendung der Bibel bei ihren Arbeiten prinzipiell nicht untersagt. Aus der Kunst wurde sogar eine Geheimlehre, und die Steinmetze mussten sich zur Geheimhaltung in der Ausübung ihrer praktischen Arbeit verpflichten.9 Von der Nützlichkeit der Geheimsprache instruiert wurde vor allem der Geselle nach seiner Lehrzeit. Er musste sich, was an die spätere Freimaurerei und ihre Grade in der Johannismaurerei erinnert, in der Handhabung seiner Werkzeuge (Winkelmaß, Richtscheit, Senklot) und in den Kenntnissen der mathematischen Formeln sowie der Geometrie vertiefen und verbessern. Dabei kam der Baukunst große Bedeutung zu. Der „Gerechte Steinmetzen-Grund“ galt in der Geschichte der Bauhütten stets als ein „Geheimnis“. Dieser Grund bildete sich in der Hütte von Straßburg heraus und war mit dem „Gauzeichen“ und dem „Schlüssel“ dieser Baugemeinschaft eng verbunden. Er ist im „Steinmetzbüchlein“ in Versen beschrieben:
„Was in Stain-Kunst zu sehen ist,
Daß kein Irr- noch Abweg ist.
Sondern Schnur recht, ein Linial
Durchzogen den Cirkel überall
So findst du drei in viere stehn
Und also, durch eins, ins Centrum gehn,
Auch wieder auss dem Centro in drey
Durch die vier in Cirkel ganz frey
Des Steinwerks Kunst und all die Ding
Zu forschen macht das Lehrnen gering
Ein Punkt, der in den Cirkel geht,
Der im Quadrat und Dreyangel steht,
Trefft ihr den Punkt, so habt ihr gar
Und kompt auss Noht, Angst und Gefahr.
Hier mit habt ihr die ganze Kunst,
Versteht ihrs nit, so ists umbsunst
Alles was ihr gelernt habt,
Des klagt euch bald, damit fahrt ab.“
Aus diesen Versen geht hervor, dass hier die feste Absicht bestand, das Geheimnis zu verhüllen, damit es nur für Eingeweihte erkennbar war. „Aus den ‚Ordnungen‘ der ‚Steinmetzen-Brüderschaft‘ […] geht hervor, dass für die Brüder die durch den Hüttenverband der ‚gemeinen‘ Gesell- und Brüderschaft aller Steinmetzen in ‚Teutschenlanden‘ verbunden waren, die Verpflichtung bestand, die Ordnungen und die Bräuche geheim zu halten.“10 In diesem Zusammenhang musste der Lehrling das Gelöbnis ablegen, Zeichen und Griff beim Austritt des Steinmetzenhandwerks geheim zu halten. Auch die Gesellen, Werkleute und Meister mussten ihre spezifischen Gradgeheimnisse für sich behalten. Wir finden diese Geheimzeichen und Symbole auch in der modernen Freimaurerei. Verschwiegenheit gegenüber Außenstehenden und Geheimhaltung der Fachkenntnisse und der Mitgliedschaft waren strenge Pflichten der Steinmetz-Brüder. Die Zeichen waren meist der Geometrie, der Mathematik, dem Handwerk und teilweise auch der Natur sowie der Hl. Schrift entnommen.
Die Hütten wurden oft in der Nähe eines Dombaus aus Stein oder Holz gebaut, meist als längliches Viereck, dessen schmale Seiten nach Osten und Westen ausgerichtet waren. Der Hüttenraum stand für die Arbeit, Erbauung und festliche Anlässe zur Verfügung. Bei den Werkbänken der Steinmetze gab es eine ganz bestimmte Rangordnung. Den Bauhütten gelang es relativ rasch, sich eine angesehene Stellung in der Gesellschaft zu erwerben. So war es sicher kein Zufall, dass angesehene Bauherren mit den Steinmetzen in engeren Kontakt traten und sich auch Mitglieder der „freien“ Künste, Wissenschaftler, Ärzte und Apotheker gerne „einbrüdern“ ließen. In den Bauhütten wurde für diesen Vorgang dieser Begriff verwendet. Die neuen Mitglieder wurden als sogenannte „angenommene“ Brüder bezeichnet.
Zu den Grundregeln der Konstruktion, wie Geometrie und Zahlensymbolik, kamen in der Geheimsprache noch weitere Zeichen dazu, wie jenes des Hammers, des Winkelmaßes, des Richtscheites, des Senkbleis, der Waage, der Säule, der Leiter und der verschlungenen Schnüre. Bedeutend waren weiters auch die Darstellungen des Regenbogens, des flammenden Sterns, der Sonne, der Weinblätter, der Kornähren und der Rose, um hier nur die bedeutendsten Symbole zu erwähnen. Auch die Bibel wurde zu einem zentralen Sinnbild der Bruderschaft.11 Die meisten dieser Zeichen und Symbole verfolgten einen dreifachen Sinn: die rituelle Symbolik, Ausdruck religiöser Ideen und die Versinnbildlichung fachlicher Begriffe und Regeln. So erhielt auch der Begriff der Kunst eine mehrfache Bedeutung. „Die einzelnen Brüder erkannten sich an ihrem Händedruck, an einer gewissen Haltung oder Bewegung des Körpers oder der Füße, aus welchen ihre Landsmannschaft oder ihre Lehrorte ersichtlich wurden. So bildete die Zugehörigkeit zu einer Bauhütte eine ernste Schule in Verschwiegenheit und Gehorsam, die des echten Steinmetzen erste Pflicht waren und ließ sie vor ihren Feinden auf der Hut sein. Man wusste es wohl, daß die heimlichen Versammlungen, die sich bei Gelegenheit der Meisterwahl, der Beförderung oder der Totenfeier zu förmlichen Andachten gestalteten, den Verdacht der Ketzerei erregten.“12 Die Meister hatten ihre Arbeitsstätten vor allem in Ulm, Passau, Lübeck, Brüssel, Antwerpen, London und York. Besonders in Deutschland und Frankreich gab es zu dieser Zeit Änderungen im Auftragswesen, öftere Wechsel der Auftraggeber, Veränderungen in den Arbeitsbedingungen der Maurer, Änderungen in der maurerischen Organisation und in der Leitung der Bauvorhaben. In England gab es zu dieser Zeit relative Sicherheit bei den Arbeiten der Bauhütten. König Eduard III. nahm nach der großen Pest um 1350 viele Steinmetze aus Deutschland auf.13
In alten Wörterbüchern ist der normannisch-französische Begriff „masoun“ enthalten. Dieses Wort oder der Begriff „mazon“ taucht bereits im 12. Jahrhundert auf und findet sich dann öfters im 14. Jahrhundert. Die Steinmetz-Verordnungen von York Minster verwenden auch den Begriff „masoun“. Erstmals wurde das Wort „freemason“ im „Letterbook“ der Stadt London vom 9. August 1376, später dann in verschiedenen Dokumenten verwendet. In den ältesten freimaurerischen Logendokumenten, den sogenannten Konstitutions-Manuskripten aus der Zeit um 1400, findet nur der Ausdruck „mason“ Verwendung, nie „freemason“. Im 15. und 16. Jahrhundert erklärte die Stadt Norwich zwölf Männer unter der Bezeichnung „freemason“ zu Vollbürgern, und in den selben Jahrhunderten wurden sie auch als „mason“ oder „freemason“ bezeichnet. Die Londoner Mason-Organisation aller Steinarbeiter nannte sich in ihren Urkunden „Company of Masons“ oder „Company of Freemasons“. In Baurechnungen des 16. Jahrhunderts verstand man unter „freemason“ einen Behauer oder Setzer von Freisteinen (freestone), ein feinkörniger Sand oder Kalkstein, den man frei bearbeiten konnte.
Die Bezeichnung „Lodge“ findet sich sowohl in England als auch in Schottland in einer dreifachen Bedeutung: „die Werkstätte der bei einem Bauwerk beschäftigten Masons, die Gesamtheit dieser Masons und […] eine territoriale Zunftorganisation der Masons.“14 In England und Schottland war „Lodge“ die Bezeichnung der masonischen Werkstätte, wie sie bei allen größeren Bauten aus Stein errichtet wurde. Erstmals findet in England eine „Loge“ in einer Baurechnung 1278 Erwähnung. 1356 kam es in London zur Gründung einer masonischen Zunft. Sie bildete den ersten Versuch, eine eigene masonische Gewerbeorganisation einzurichten und aufzubauen. Das Wort „mystery“ bedeutete auch „Gewerbe“ oder „Zunft“ und hat in der Anfangsphase der Freimaurerei mehrfach Anlass zu problematischen Interpretationen geboten.15
Eine weitere Wurzel der Freimaurerei bildeten die französischen Gesellenbruderschaften, die eine starke Verbindung zum Brauchtum der Bauhandwerker aufwiesen.16 In der Zeit des Pariser Bürgermeisters Étienne Boileau, Profos des Königs, entstand 1268 ein „Livre des Métiers“, ein Buch der Handwerker, das sich als Sammlung der Sitten und des Brauchtums von 100 Handwerkergilden von Paris verstand. Aus dieser Sammlung geht hervor, dass die Absichten und Ziele der Handwerker als positiv eingestuft wurden. Sie versuchten, gute Leistungen zu bieten und vertraten die Meinung, dass ein Meisterstück als Befähigungsprobe anzusehen sei. Man schuf auch Normen für gute Arbeitsbedingungen und richtete eine Form der Kontrolle ein. Die Lehrlingszeit betrug in der Regel sieben Jahre, und am Ende wurde der Lehrling Compagnon. Dieser verpflichtete sich, einige Jahre zu wandern und unter einem Meister als Geselle tätig zu werden. Durch die Ausführung eines Meisterstücks erwarb er dann einen Rechtsanspruch auf die Privilegien des Meisters.17 1467 kam es durch die Handwerkerschaft zur Organisierung einer „Nationalgarde“ bzw. einer Miliz, wobei die Gewerbe auf insgesamt 61 Banner verteilt wurden.
Mit den Handwerkerschaften in enger Beziehung standen auch die Bruderschaften. Jedes Handwerk wurde einer Bruderschaft zugeordnet. Die Mitglieder fanden sich auch in den Handwerkerschaften, was sie schwer unterscheidbar machte. Die Bruderschaft bildete aber immer eine selbstständige Einheit, erhielt oft getrennte Gesetze und organisierte Versammlungen und gesellschaftliche Feste. Ihr Aufgabenbereich umfasste die Unterstützung alter und armer Meister und ihrer Witwen bzw. Waisen. Diese Bruderschaften standen in engerer Verbindung zur Kirche18 und wirkten auch in England und in Deutschland, hatten aber in Frankreich eine größere Bedeutung. Freimaurerische Schriftsteller und Forscher haben sie irrtümlich häufig mit den handwerklichen Organisationen, den Bauhütten in Deutschland und den Companies oder Lodges in England verwechselt, weil die Bedeutung der Namen oft fließend war.19
In Frankreich gab es zahlreiche Bruderschaften, die uns überliefert sind. Die ältesten Statuten befinden sich in den Archiven von Montpellier, wo schon im 12. Jahrhundert eine Vereinigung von Handwerkern existierte, die sich „Clôture Commune“ (gemeinsamer Zusammenschluss) nannte. Sie umfasste als Mitglieder Architekten, Maurer, Maler, Bildhauer, Zimmerleute, Glaser, Silberarbeiter u. a. Die Statuten dieser Gesellschaft gehen auf das Jahr 1284 zurück.20 Ab 1196 bekamen sie von Guillaume VIII., Herr von Montpellier, schriftlich Hilfe und Schutz. Die Namen einiger sehr geschickter Architekten wurden überliefert. In der Literatur gibt es Hinweise auf Statuten einer Steinmetzbruderschaft 1365 aus Montpellier, 1407 einer Bruderschaft des Maurergewerbes in Amiens und einer Bruderschaft 1625 in Reims.21 Die darin enthaltenen Vorschriften beziehen sich hauptsächlich auf soziale und karitative Unterstützungen, auf christliche Begräbnisse und auf die Betreuung besonderer Altäre in den Kirchen. Die Gesellen besaßen schon relativ früh ihre eigenen Bruderschaften, die sogenannte Compagnonnage.
Auffällig war, dass innerhalb der französischen Handwerker die Maurer eine besondere Bedeutung erlangten. „Das lag an den großen Kirchenbauten, die sowohl in der Zeit des romanischen Stiles, aber besonders in der Gotik, eine große Anziehungskraft ausübten. Große Personengruppen, normannische Adelige und Ritter mit Frauen, Priester und Bauern wanderten seit 1145 freiwillig in großer Zahl nach Chartres, um dort und bei anderen Kirchenbauten (wie in Rouen, Amiens) mitzuarbeiten. Als Steinbruch- und Transportarbeiter (waren) sie eine große Hilfe und eine Demonstration ihres religiösen Eifers (und bildeten) eine Manifestation (mit Ähnlichkeiten zu den Pilgern und Kreuzrittern) zur Zeit der Kreuzzüge.“22
Über das Baugewerbe gibt es gleichfalls frühe Aufzeichnungen. Der älteste erhaltene Codex geht auf das Jahr 1268 zurück, in dem sich bereits viele Unterteilungen in zahlreiche Zweige finden. Er fasste unter dem Banner des hl. Blasius die Maurer, Steinmetze, Gips- und Mörtelarbeiter zusammen. Die Steinmetze finden in diesem Codex keine besondere Hervorhebung, obwohl zwischen Steinmetzen und Maurern streng unterschieden wurde. Vermutlich wurden sie mit den gewöhnlichen Maurern gleichgesetzt.
Der Codex umfasst 24 Artikel, von denen einige von großer Bedeutung waren. Sie werden hier kurz angeführt:
„Von den Maurern, Steinmetzen, Gips- und Mörtelarbeitern.
1.Wer es will, kann Meister in Paris sein, immer vorausgesetzt, daß er sein Handwerk versteht und gemäß den Bräuchen und Sitten der Handwerkerschaft arbeitet und das sind folgende:
2.Keiner darf mehr als einen Lehrling beschäftigen, und wenn er einen Lehrling hat, darf er ihn nicht für weniger als 6 Jahre in Dienst nehmen, für eine längere Dienstzeit darf er ihn aber nehmen und auch auf Bezahlung, wenn er jenen bekommen kann. Und wenn er ihn für weniger als 6 Jahre nimmt, dann wird er zu einer Geldstrafe von 20 Sous verurteilt, die an die Kapelle des Hl. Blasius zu zahlen sind, es seien denn seine eigenen in ehrenhafter Ehe geborenen Söhne.
3.Und der Maurer darf einen 2. Lehrling sich nehmen, sobald der erste 5 Jahre gedient hat, ganz gleich auf welche Zeit er den ersten genommen hat.
4.Und der jetzige König – den Gott ein langes Leben schenke – hat dem maître guillaume de saint patu dem Meisterposten über alle Maurer verliehen, solange es ihm beliebe. Darauf leistete Meister Wilhelm einen Eid, dass der genannte Handwerkerschaft nach besten Kräften und Getreu leiten werde für arm wie reich, für schwach wie stark, solange, wie es dem König gefällt, daß er besagte Handwerkerschaft leite; und danach leistete er den genannten Eid auch vor dem Bürgermeister von Paris im Chatelet.
5.Die Maurer, Mörtel- und Gipsarbeiter dürfen soviele Gehilfen und Arbeiter in ihre Diensten halten, wie ihnen beliebe, immer vorausgesetzt, daß sie sie in keinem Punkte ihres Handwerks unterweisen.
Und jeder Maurer, Mörtel- und Gipsarbeiter soll bei den Heiligen schwören, daß er die genannte Handwerkerschaft gut und getreu halten will, jeder an seinen Platz: und falls sie erfahren, daß einer irgendwie übeltut und nicht nach Brauch und Sitte der genannten Handwerkerschaft handelt, dann werden sie das dem Meister vorlegen, so oft sie es erfahren und bei ihrem Eide.“23
Bei diesen Artikeln handelt es sich um ausschließlich handwerkliche Organisationsfragen. Spekulative Symbolik und vermeintliche Geheimnisse sowie Zeremonien wurden hier ganz ausgeklammert.
Die Compagnonnage, die von den französischen Handwerkergesellen aller Gewerbezweige gegründet wurde, um gegenseitige Hilfe und Unterstützung während der Wanderung zu gewähren, rekrutierte sich hauptsächlich aus dem Süden Frankreichs. Meister und Handwerkergesellen fanden hier schon früh zu einer Gemeinschaft zusammen.24 In den Bauvereinigungen wurden die alten Kunstregeln, Geometrie, Proportionslehre und Statik geübt und als „Geheimwissen“ gelehrt. Ideologie und Mystik wurden in den neuen Kirchenbauten mit dem Tempel Salomon geistig verbunden. Die Handwerker, die oft, wie schon erwähnt, geheime Erkennungszeichen und Losungsworte wie in der späteren Freimaurerei verwendeten, wanderten durch ganz Europa, sie hatten aber keine einheitliche Organisation und waren aufgespalten.25 Wichtige Hinweise auf die Organisation der Compagnonnage verdanken wir den Angaben Agricol Perdiguiers 1841.26 So hatte die Compagnonnage drei große Abteilungen mit je einem Oberhaupt, das einen Auftrag hinterließ. Dieser bestand aus drei Vorschriften, „Gott zu ehren, das Eigentum des Meisters zu schützen und die Compagnons zu unterstützen.“27 Darüber hinaus enthielt er auch Einweihungsriten, Mysterien, Legenden und Verpflichtungen. In der Organisationsstruktur gab es Familien: die „Kinder Salomons“, die „fremden Gesellen der Freiheit“ (zu ihnen zählten die Steinmetze), die „Kinder des Maître Jacques“, zu denen wieder die Steinmetze gehörten, die auch Tischler und Schlosser zuließen und später fast alle anderen Handwerker. Schließlich müssen hier auch noch die „Kinder des Maître Soubise“ genannt werden. Sie alle waren Compagnons auf der Durchreise.28
Die Compagnonnage war im Unterschied zu den deutschen Bauhütten eine ausschließliche Gesellenorganisation ohne Meister, die eine wirkliche Einweihung, eine geheimnisvolle Aufnahme vornahm. Das älteste Dokument über die Compagnonnage stammt aus dem Jahr 1540 und wird im kommunalgerichtlichen Archiv in Dijon aufbewahrt.29 Dass es bereits im 16. Jahrhundert Compagnonnagen in Frankreich gab, beweist auch Perdiguier.30 Dieser berichtete über die Legende des Meisters Jacques, eine Art Baulegende, die dem Handwerk ein „ehrwürdiges“ Alter verleihen sollte.31 Sie ist für die spätere Freimaurerei von einiger Bedeutung, weil in ihr Salomon und Hiram eine Hauptrolle spielen, ähnlich wie in der Hiramslegende im dritten Grad (Meistergrad der Johannis-Freimaurerei). Bemerkenswert ist darin die spezielle Einführung der Baukunst aus dem Orient nach Frankreich, die Vergleiche mit den alten englischen Manuskripten zulässt.32
Was das Brauchtum der Bruderschaften bei der Aufnahme eines neuen Gesellen betrifft, war folgender Ablauf geregelt:
Der junge Handwerker stellt sich vor und bittet als Mitglied der Bruderschaft aufgenommen zu werden. Man forscht nach seiner Gesinnung, und wenn er zufriedenstellend antwortet, wird er eingetragen. Bei der nächsten Hauptversammlung bringt man ihn in das zweite Zimmer, der Herberge oder Cayenne, auch Mère genannt […], wo man ihm in Gegenwart aller Compagnons Fragen stellt, um sich zu vergewissern, dass man sich nicht geirrt habe. Man belehrt ihn, daß es verschiedene Bruderschaften gebe, und er in seiner Wahl völlig frei sei. Nun werden ihm die Vorschriften, die alle Compagnons einhalten müssen, und die Legenden vorgelesen, und man fragt ihn, ob er sich danach richten wolle. Sagt er ‚Nein‘, so steht es ihm frei, wieder zu gehen; antwortet er ‚Ja‘, wird er aufgenommen […] Der Aspirant muss einen dreifachen Eid ablegen.33
Dieser lautete: „Ich schwöre bei Gott, den ich verehre, bei der Seele, die mir Leben gibt, bei dem Blute, das in meinen Adern fließt, bei diesem Herz, das in mir schlägt, mit Beständigkeit, Ausdauer und Stärke die Geheimnisse zu bewahren, die man mir anvertraut hat, meinen Nächsten zu lieben, wie mich selbst, den Verräter zu bestrafen und die ,Devoir‘ hoch zu halten bis zum letzten Blutstropfen.“34 Dieser Eid erinnert trotz Abweichungen auch an das Ritual der Aufnahme in eine Freimaurerloge. Es gab, wie Beispiele zeigen, verschiedene Aufnahmezeremonien der Gesellen.35 Alle Gesellen wussten von der Beziehung der Steinmetze zu Hiram. So trugen Mitglieder weiße Handschuhe, um damit ihre Unschuld am Tod des Baumeisters Hiram zu beteuern. Jährlich veranstaltete die Compagnonnage auch ein großes Fest, das fester Bestandteil ihres Brauchtums war. Der Hauptzweck der Compagnonnage bestand in der Planung und Organisation der wichtigen Wanderjahre, der sogenannten „Tour de France“.36 Nach seiner Aufnahme musste der Geselle auf die große Rundreise gehen. Die Route umfasste in der Regel Paris – Auxerre – Chalons sur Saône – Lyon – Avignon – Marseille – Nîmes – Toulouse – Angers – Tours – Orléans und retour nach Paris. Meist gehörte der Norden und Nordosten Frankreichs nicht zur Route. Nach Beendigung der Reise hatte der Geselle häufig die Absicht, Meister zu werden, musste dann aber die Compagnonnage verlassen.37
Die Compagnonnage ist älter als die Freimaurerei und die englischen Werklogen des 17. Jahrhunderts, was von einer Reihe von Urkunden belegt wird. Über freimaurerische Berührungspunkte ist in Frankreich kaum etwas überliefert, obwohl es Ähnlichkeiten im Brauchtum gab.38 Dies überrascht aufgrund der Analogien und Parallelen. Es gilt aber die starke Vermutung, dass die Hiram-Legende durch Compagnons schon relativ früh in die englischen Werklogen Eingang gefunden hat. Es könnte – bei aller Vorsichtigkeit der Vermutung – die einfache Form dieser Legende von Templern oder reisenden Bauleuten aus dem Orient direkt oder über Italien nach Südfrankreich gebracht worden sein und dort den Steinmetzen der „Söhne Salomons“ als Mysterienspiel gedient haben. Im 16. oder 17. Jahrhundert könnte sie dann durch die Verbreitung der Compagnonnage nach England gekommen sein.39
Eine andere These über die Entstehung der Freimaurerei steht in einem engen Zusammenhang mit dem Neuplatonismus und der Gotik.40 In der Frühphase bekämpfte das Christentum den Neuplatonismus, weil dieser das „Eine“ auch Gott (Theos) nannte. Auch im Mittelalter gab es christliche Neuplatoniker, wobei für die Frühgeschichte der Freimaurerei Dionysius Areopagita (ein Pseudonym) oder auch Dionysius der Syrier bedeutend wurde. Jan A. M. Snoek geht davon aus, dass die Entstehung der Freimaurerei nicht vor Abt Sugers Wiederentdeckung von „Gott als dem Schönen“ und der Verbindung, die er zwischen Licht und Bau im Konzept der Gotik herstellte, vor sich gegangen wäre.41 Suger war Abt von St. Denis 1122. Er studierte und las die Texte des Pseudo-Dionysius in der Übersetzung des Johann Scotus und entdeckte dabei eine Lehre, die für ihn wichtiger wurde als die offizielle Lehre der Kirche. „Gott habe die Welt nicht aus dem Nichts geschaffen, sondern aus sich selbst. Das bedeutete, dass alle Materie eigentlich materialisiertes Göttliches sei […] Für Suger bedeutete dies, dass die Materie ihren göttlichen Charakter zeigen müsste. Und die Merkmale Gottes, die dabei sichtbar werden sollten, konnten nur Licht und Schönheit sein […] und das Gebäude der Kirche selbst sollte einen göttlichen Charakter als Licht und Schönheit zeigen und dadurch die Menschen zu Gott hinauf führen.“42 Für Suger, so betont Snoek, besteht alles Göttliche aus Licht. Über den Weg der Kontemplation schöner materieller Dinge gelange der Mensch zur Quelle der Schönheit, die mit Gott identisch sei. Suger schrieb dazu persönlich: „Als daher mich einmal aus Liebe zum Schmuck des Gotteshauses die vierfarbige Schönheit der Steine von den äußeren Sorgen ablenkte und würdiges Nachsinnen mich veranlasste, im Übertragen ihrer verschiedenen heiligen Eigenschaften von materiellen Dingen zu immateriellen zu verharren, da glaubte ich mich zu sehen, wie ich in irgendeiner Region außerhalb des Erdkreises, die nicht ganz im Schmutz der Erde, nicht ganz in der Reinheit des Himmels lag, mich aufhielt, und glaubte, daß ich, wenn Gott es mir gewährt, auch von dieser unteren Region zu jener höheren in anagogischer Weise hinübergetragen werden könne.“43
Suger begann dann ab 1137 mit Unterstützung seiner Steinmetze und Bildhauer, die Abteikirche von St. Denis in diesem Sinne zu gestalten, was gleichzeitig die „Geburt der Gotik“ darstellte.44 Für ihn bedeutete der Bau nicht nur eine materiell-praktische Angelegenheit, sondern war die „Erfüllung seines Auftrages, die Menschen zu Gott zu führen.“45 „Der Bau ist für ihn“, so führt Snoek aus, „auch keine nur symbolische Sache. Das Gebäude selbst ist materialisiertes Licht, Stoff gewordener Gott, und muss darum wohl schön sein.“46 Die Steinmetze, Bildhauer und andere Bauarbeiter hätten, so lautete der Auftrag, diese Schönheit herzustellen.
Die These von Snoek bedeutet, auf diesen Überlegungen aufbauend, dass „die Entstehung der Freimaurerei vor Sugers Wiederentdeckung von Gott als dem Schönen und der Verbindung, die er zwischen Licht und Bau im Konzept der Gotik realisiert, stattgefunden haben muss.“47