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Um Kinder auf die Zukunft vorzubereiten braucht es Problemlösungskompetenz und kreatives Denken. Womit Kinder genau diese Lebenskompetenzen entwickeln und pädagogische Fachkräfte diese stärken können, beschreiben die Autoren in ihrem Buch. Es werden außerdem Einblicke in die Grundzüge der Kreativitätsforschung gegeben und die Bedeutung in und für die Frühpädagogik verdeutlicht. Kindliche Kreativität zu stärken und zu fördern ist für eine erfolgreiche Bildungsarbeit im Kindergarten unverzichtbar. Im Praxisteil werden vielfältige methodische Zugänge und ausgewählte Impulse für die Arbeit mit Kindern veranschaulicht.
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Seitenzahl: 238
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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © kris_art/AdobeStock
Layout: post scriptum, Vogtsburg-Burkheim
Satz: Arnold & Domnick, Leipzig
E-Book Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN (EPUB) 978-3-451-82803-4
ISBN (PDF) 978-3-451-82804-1
ISBN (Print) 978-3-451-39301-3
Einleitung:Kreativität als Schlüsselkompetenz für die Welt von morgen
Teil A:Kreativität und ihre Bedeutung – theoretische Grundlagen
1 Kreativität – und warum ihre Förderung so wichtig ist
1.1 Was ist unter Kreativität zu verstehen?
1.2 Kreativitätsförderung als Bildungsziel
1.3 Kreativität als Grundlage einer besonderen Bildungs- und Lernkultur
2 Kreativität – und wie sie Kinder stark macht
2.1 Der Zusammenhang: kreativer Prozess, kreatives Ergebnis, kreative Persönlichkeit und kreatives Umfeld
2.2 Kreativität unterstützt die Entwicklung stärkender (Verhaltens-)Merkmale
2.3 Kreativität und Resilienz
3 Kreativität und die Kunst des Lernens
3.1 Lernkomponenten der Kreativität
3.2 Didaktik und Kreativität
4 Kreativität – und worauf es ankommt
4.1 Wie Kreativitätsförderung erfolgen kann
4.2 Die Begleitung und die pädagogisch Handelnden
4.3 Das ästhetische Material und die Lernwerkstatt »Kinderatelier«
4.4 Kunst und Gestalten als Königsweg
5 Kreativität und die Beteiligung aller Akteurinnen und Akteure
5.1 Kreativität und ihre Förderung als Gemeinschaftsaufgabe
5.2 Kreativität und die Partnerschaft mit den Eltern
5.3 Projektarbeit und methodische Zugänge zur kreativen Projektentwicklung.
5.4 Kinderkunst und Kinderkunstausstellung
Teil B:Kreativität und ihre Praxis – Methodische Zugänge und ausgewählte Impulse
1 »Ich bin kreativ« – Kinderkunst und das Selbstbild der Kinder
2 »Heute bestimme ich« – eine Elternwerkstatt planen und durchführen
3 »Das möchte ich genauer wissen« – Bildung und Lernen im Rahmen von Projekten
4 »Auch draußen ist alles möglich« – Natur und Kreativität
5 »Bücher machen wir selbst« – neue Zugänge zu ihrer Gestaltung und Verwendung
6 »Was gibt es heute zu essen?« – Kinderküche und kreative Ressourcen
7 »Da ist noch Platz für Kreativität« – Impulse aus anderen Bildungsbereichen
Literatur
Autorinnen & Autor
Lange Zeit hatten die pädagogischen Fachkräfte – und ebenso Eltern – eine klar definierte Aufgabe: die Kinder auf die Zukunft vorzubereiten und ihnen alles mitzugeben, was sie für ein befriedigendes Leben brauchen. Was dafür erforderlich war, lag mehr oder weniger auf der Hand. Solange der Sohn des Schusters nur Schuster werden konnte, wusste man ziemlich genau, was der Junge in seinem Leben brauchen wird. Als der Schustersohn dann auch Bäcker oder Banker werden konnte, wurde es schwieriger; die Aufgabe war aber noch immer recht klar umrissen. Und heute? Natürlich geben wir alle unser Bestes, um die Kinder in ihrem täglichen Leben zu ermutigen und sie zu unterstützen; aber ist das genug?
Solche Gedanken sind heute auch verstärkt in Elternblogs zu finden: Wie können wir unseren Kindern den bestmöglichen Start ins Leben ermöglichen, wenn wir nicht wissen, wie die Welt von morgen ausschaut? Das ist ein bisschen so, wie sich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten, ohne eine Idee zu haben, in welcher Disziplin man antreten wird. Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder schlafwandelnd in die Zukunft wandern, müssen zuerst wir Erwachsenen aufwachen (vgl. Chapman).
Es gibt drei Fragen, denen wir uns stellen müssen:
1. Auf welche Zukunft müssen wir unsere Kinder vorbereiten?
2. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen werden sie benötigen?
3. Was ist unser Vorgehen oder unsere Methode, den Kindern zu helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln?
Leider haben wir keine Kristallkugel, die uns verrät, was die Zukunft bereithalten wird. Es gibt aber bestimmte Themen, die ziemlich klar auf der Hand liegen. Englische Forscher haben in der Studie »The Future of Work: Jobs and skills in 2030« folgende Aspekte hervorgehoben:
1. Den wachsenden Einfluss von Automation und Technologie,
2. einen vernetzten und globalen Arbeitsmarkt,
3. eine Revolution der Arbeitswelt mit völlig neuen Arbeitsweisen und
4. die Übertragung von Risiken von Gemeinschaft und Staaten auf Individuen (vgl. UKCES 2014, XXV ff.).
Dieses Szenario betrachtet das Jahr 2030; es wird also die heutigen Vorschulkinder voll betreffen, wenn sie in den Arbeitsmarkt entlassen werden: Was für Fähigkeiten könnten es also sein, die pädagogisch Handelnde heute verstärkt in den Blick nehmen sollten? Der Bericht über die Zukunft des Arbeitsplatzes gibt folgenden Hinweis:
»Konzentrieren Sie sich auf Entwicklung von Schlüsselkompetenzen und Attributen, die wahrscheinlich in der Zukunft am dringendsten gebraucht werden, einschließlich Resilienz, Anpassungsfähigkeit, Einfallsreichtum, Unternehmertum, kognitive Fähigkeiten wie Problemlösung und die Kernkompetenzen für projektbasiertes Arbeiten« (UKCES 2014, S. 108; Übers. durch d. Verf.).
Unsere Kinder werden anpassungsfähig, also besonders flexibel sein müssen. Unternehmergeist wird als eine Kombination des Entdeckens und Behebens von Problemen beschrieben. Gefordert sind Vertrauen, Motivation und Risikobereitschaft als Voraussetzung, um Herausforderungen anzunehmen. Kooperation wird nach wie vor wichtig sein; dazu gehört neben wirksamer Kommunikation vor allem auch die Fähigkeit, mit anderen in innovativen Projekten zusammenzuarbeiten. Die kritischste Determinante des Erfolgs sind übrigens nicht Talent oder Fähigkeit, sondern wieviel Durchsetzungsvermögen, Entschlusskraft und Widerstandskraft jemand hat. Resilienz ist mehr als ein Schlagwort unserer Zeit – und Kreativität ist ein Faktor eben dieser Resilienz.
Problemlösungskompetenz und kreatives Denken sind etwas, das die Kinder heute brauchen und in Zukunft wahrscheinlich noch mehr brauchen werden.
Es geht um die Fähigkeit, Dinge in Zusammenhang zu stellen, bei denen niemand zuvor eine Verbindung sah, und es geht darum, ausgetretene Pfade verlassen zu können, um Problemlösungen zu erdenken, die niemandem zuvor einfielen. Es geht kurz gesagt darum, sich mit dem zu helfen zu wissen, was gerade zur Verfügung steht, um eine Aufgabe zu lösen, die niemand kommen sehen konnte. Das dürfte ein, wenn nicht der Schlüssel zu einer befriedigenden Lebensführung in einer sich stetig wandelnden Welt sein.
Was die Pädagogik daraus lernen kann ist, dass kindliche Lernprozesse auf Kreativität fokussiert werden müssen, wenn der Anspruch auf Zukunftssicherheit eingelöst werden soll. Damit wird eine Perspektive von Problemlösungskompetenz – verstanden als innovative Kompetenz – eröffnet, die in der gesellschaftlichen Diskussion um die Optimierung von Bildung in allen pädagogischen Kontexten von entscheidender Bedeutung ist.
Die schlechte Nachricht ist: Kein weißer Ritter wird herbeireiten, um unseren Kindern diese Kompetenzen beizubringen. Es gibt auch kein Schulfach, das diese Fähigkeiten zu lehren vermag, und keine Lehrkraft wird sie je Kindern verschaffen können. Die gute Nachricht aber ist, dass Kinder diese Fähigkeiten mitbringen, sie trainieren und ausbilden können, wenn sie auf Erwachsene und ein Umfeld treffen, das ihnen hilft, ihre Potenziale zu entfalten und zu erhalten. Kreativität ist eine Eigenschaft des Lebendigen, eine alltägliche Aufgabe, und es lohnt sich für jedermann, sie genauer unter die Lupe zu nehmen – vor allem für pädagogische Fachkräfte, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten.
Was Kinder dazu genau brauchen und wie Erwachsene sich förderlich verhalten und günstige Umwelten gestalten können, wie also unser Vorgehen und unsere Methode aussehen kann, den Kindern zu helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln, ist Inhalt des vorliegenden Buches. Es ist in zwei Teile gegliedert. Zu Beginn des Teils A wird kurz die Bedeutung der Kreativität beleuchtet, und es wird betrachtet, in welch engem Zusammenhang sie mit den kindlichen Bildungs- und Lernprozessen steht. Ausgehend von einer prägnanten theoretischen Grundlage entfaltet das Buch rasch seinen starken Praxisbezug. Spätestens ab dem vierten Kapitel geht es ganz konkret um die Umsetzung des methodischen Ansatzes der Kreativitätsförderung im pädagogischen Alltag. Teil B ergänzt beispielhaft methodische Zugänge und ausgewählte Impulse. So wird greifbar veranschaulicht, wie die Praxis der Kreativitätsförderung in ganz verschiedenen Bildungsbereichen konkret ausgeführt werden kann.
Teil A:Kreativität und ihre Bedeutung – theoretische Grundlagen
1 Kreativität – und warum ihre Förderung so wichtig ist
»Kreativität wird im Volksmund oft mit Fantasie gleichgesetzt und wird Künstlern und ihrer Schaffenskraft vorbehalten« (Braun 2006 a, S. 119) oder auch Genies und Exzentrikern zugeschrieben. Ein anderer, konstruktiverer Blick sieht Kreativität als eine wertvolle kognitive Fähigkeit aller Menschen an, die der alltäglichen Lebensgestaltung dient. Auch in wirtschaftlichen Unternehmen findet Kreativität positive Beachtung, sie wird als eine Schlüsselkompetenz im Management angesehen (vgl. Noack 2005). Aber was genau ist Kreativität?
Kreativität – ein besonderes Phänomen
Während sich mit der Frage »Was ist Kreativität?« ganze Bücherregale füllen lassen, ist eine Übereinkunft viel leichter herbeizuführen, wenn die Frage umgekehrt wird: Was ist eigentlich »unkreativ«? Die meisten Menschen werden darin übereinstimmen, dass wohl niemand die bloße Wiederholung von etwas als kreativ bezeichnen würde. Brodbeck vertritt diese Auffassung, indem er sagt, dass Routinehandlungen zwar nützlich, aber nicht kreativ sind. Daraus lässt sich eine sehr einfache Definition entwickeln:
Kreativität ist die Hervorbringung von etwas Neuem, das auf gewisse Weise wertvoll ist (vgl. Brodbeck 1998/2000).
Für das einzelne Kind neu und probat
Streng genommen muss natürlich kritisch gefragt werden: Neu oder wertvoll für wen? In vielen Bereichen wird es immer eine strittige Frage bleiben, welche Idee nun welthistorisch tatsächlich zum ersten Mal von jemandem gedacht wurde. Auch wird es immer solche geben, die den Wert von etwas bestreiten, während andere diesen gerade behaupten. Neuheit ist ein Urteil, das auf einem Wert beruht – für wertvoll gilt dies selbstredend. Beides hängt vom Standpunkt ab.
»Kreativität und kreative Phänomene ereignen sich auf verschiedenen Ebenen menschlichen Lebens« (Braun 2007, S. 28). Für die Arbeit mit Kindern dürfte die gesellschaftliche Ebene, auf der das »Neue« kollektive Beachtung und Wirkung findet, selten von Bedeutung sein. Wichtig sind hier die soziale Ebene, auf der das Neue im direkten sozialen und zwischenmenschlichen Umfeld deutlich wird, und vor allem die individuelle Ebene, auf der ein einzelner Mensch bzw. ein einzelnes Kind etwas subjektiv Neues erschafft.
Die Frage »Neu oder wertvoll für wen?« lässt sich entsprechend leicht beantworten: für das einzelne Kind!
Selbstverständlich kann ein Kind ganz eigenständig etwas Neues für sich entdecken und ausprobieren, auf kreative Weise neue Lösungen erfinden, die welthistorisch betrachtet nicht neu sein müssen. Wenn das »Neue« für das Kind nützlich, relevant, probat und adäquat ist, also den Anforderungen der Realität angemessen, angepasst und als Lösung erfolgreich ist, dann kann es als kreativ bewertet werden. »Wenn wir von kindlicher Kreativität sprechen, kann dies in Bezug auf das für Kreativität wesentliche Merkmal der Neuheit nur unter Bezug auf die individuelle Referenzebene geschehen« (Urban 2004, S. 72).
Neuheit und Wert können als Kriterien herangezogen werden, um etwas als kreativ oder unkreativ zu bewerten
Die Familie ist hungrig, der Kühlschrank aber nahezu leer. Eine naheliegende Lösung für dieses Problem könnte sein, einen Lieferservice anzurufen und Pizza zu bestellen. Diese Lösung ist wertvoll oder probat in der Hinsicht, dass alle satt werden. Dies dürfte jedoch für die meisten Menschen unseres Breitengrades keine neue Lösung darstellen; sie ist also nicht kreativ. Wer den Imbiss an der Ecke aufsucht oder sich gewohnheitsmäßig bei der Schwiegermutter einlädt, greift ebenfalls auf Routinen zurück.
Erfahrene Köchinnen und Köche machen in so einer Situation oftmals etwas anderes: Sie kochen ein »Reste-Essen«. Kurz geschaut, was noch da ist (ein paar Nudeln vom Vortag, ein Ei, ein halber Becher Sahne, ein wenig Gemüse und natürlich Käse), und schon geht es los. Eine halbe Stunde später steht ein völlig neuartiges Gericht auf dem Tisch – und wenn die Familie das auch noch lecker findet und satt wird, sind die Kriterien »neu« und »wertvoll« erfüllt.
Kreativität basiert auf Wissen und Erfahrung
Auffällig ist, dass sich solche häufig ausgesprochen schmackhaften Kreationen in vielen Fällen der Wiederholbarkeit entziehen. Die Frage »Kannst du das nochmal kochen?« muss oft verneint werden. Das Essen wurde komponiert, die Köchin oder der Koch war kreativ – nicht nur das Produkt war neuartig und wertvoll, sondern auch der Weg. Das Gericht entstand in einem Prozess, in dem auf neuartige Weise wahrgenommen, gefühlt, erkannt, gedacht und experimentiert wurde.
Aus diesem einfachen Beispiel kann sehr viel über das Wesen der Kreativität gelernt werden. Kreativität basiert auf Wissen und Erfahrung – wer noch niemals gekocht hat, wird vermutlich scheitern. Die Gefahr des Scheiterns besteht aber auch ganz allgemein, und das zeigt: Es braucht Mut und Risikobereitschaft, die Herausforderung anzunehmen, aber auch Vorstellungskraft, die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, Durchhaltevermögen, Entdeckergeist, die Gewissheit über die eigenen Stärken, Vertrauen in die eigene Kraft und die Bereitschaft, im Zweifel die Verantwortung zu übernehmen.
Nach Csikszentmihalyi verfügen kreative Menschen »[…] über die erstaunliche Fähigkeit, sich fast jeder Situation anzupassen und sich mit dem zu behelfen, was gerade zur Verfügung steht, um ihre Ziele zu erreichen. Dies ist wahrscheinlich das einzige, wodurch sie sich vom normalen Sterblichen unterscheiden« (Csikszentmihalyi 2017, S. 80). Das weiß auch der Volksmund: »… man muss sich nur zu helfen wissen.«
Das Beispiel des Kochens macht unmittelbar deutlich, dass Kreativität sich gerade nicht auf bestimmte Bereiche, zum Beispiel die Welt der Kunst, reduzieren lässt. Sie bezieht sich auf das gesamte menschliche Sein, auf das Denken und Handeln sowie auf das Produkt dieses Denkens und Handelns (vgl. Brodbeck 1999).
Unter einem kreativen Produkt kann sowohl ein ideelles als auch ein materielles Ergebnis verstanden werden – das Spektrum der Kreativität ist riesig; es reicht von einer spontanen, flotten Idee bis hin zur bahnbrechenden Innovation, durch die die Welt verändert wird.
Kreativität oder auch schöpferisches Denken ist also die Fähigkeit, originelle neue Lösungsmöglichkeiten und ungewöhnliche, aber sinnvolle Ideen in verschiedenen Lebensbereichen zu produzieren. Kreativität bringt komplexe neue Lösungen und Ergebnisse hervor. Kreative Lösungen sind jedoch keine Zufallsprodukte. Sie basieren auf Überlegungen und Erfahrungen sowie zuvor gelernten Informationen, die auf neue Weise verknüpft werden. Vor allem gehört auch die Fähigkeit, Probleme zu erkennen, dazu.
Individuelle Kreativität als Problemlösungskompetenz
Jeder Mensch bringt zunächst diese originelle Problemlösungsfähigkeit mit. Die Gefahr besteht eher darin, dass diese Ressource im Verlauf des Lebens verlorengeht. Picasso wird folgende Aussage zugeschrieben: »Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist nur, wie man ein Künstler bleibt, wenn man größer wird.« Das gilt auch für die Kreativität, und daher wird immer wieder neu überlegt, wie sich die Kreativität eines Menschen entfalten kann.
John P. Guilford, der Vater der Kreativitätsforschung, hat schon in den 1960er Jahren die individuelle Kreativität als Problemlösungskompetenz definiert, die nicht ausschließlich vorgegebenen Wegen folgt. Seine Annahme bestand darin, dass jeder Mensch ein gewisses Maß an kreativem Denken aufbringen muss, um in einer Problemsituation eine Lösung zu finden. Ist diese Lösung neu, so handelt es sich um eine kreative Kompetenz (Guilford nach Landau 1974).
Kreativität setzt ästhetische Erfahrungen und die damit verbundenen Erkenntnisse voraus. Durch vielfältige und verschiedenste sinnliche Wahrnehmungen, durch das Erfassen, Erkennen, Untersuchen, Erforschen und Begreifen von Natur, Umwelt, Kosmos, Menschen, Tieren, Materialien und Objekten des Alltags mit allen Sinnen werden kreative und damit schöpferische und problemlösende Leistungen erst möglich. Kinder reagieren auf die ästhetischen bzw. sinnlichen Impulse aus der Umwelt nämlich mit Neugier, Explorationslust, Fantasie, Experimentierverhalten und schöpferischem Tun.
Pragmatische und ästhetische Kreativität
Die Kreativität des Kindes als schöpferische Kompetenz, deren Voraussetzung die Ästhetik ist, umfasst zwei Dimensionen: die pragmatische und die ästhetische Kreativität.
Zur pragmatischen Kreativität gehören Problemsensitivität, Problemlösungsbereitschaft und Ideenproduktion. Sie bezieht sich auf die Lösung von Alltagherausforderungen jedweder Art. Zur ästhetischen Kreativität gehören künstlerische Ausdrucksformen, Mediengestaltung, kulturelle Wahrnehmung und ästhetische Bildung (vgl. Braun 2007). Beide Dimensionen spielen für die sinnliche Wahrnehmung und rationale Erkenntnistätigkeit der Kinder eine große Rolle.
Durch sinnliche Erfahrung werden Vorstellungen und Erkenntnisse über Phänomene und Sinnzusammenhänge der Welt gebildet. Durch pragmatische Kreativität werden die Herausforderungen der Lebensumwelt mit individuellen und kreativen Lösungen beantwortet.
Schlüssel zur Bewältigung von zukünftigen Herausforderungen
Kindliche Neugier
Kreativität und Pädagogik der frühen Kindheit
Kreativität ist eine Kompetenz, die für die Kinder von heute als Erwachsene von morgen entscheidende Bedeutung haben wird. Sie gilt als Schlüsselkompetenz zur Bewältigung von (zukünftigen) Herausforderungen; damit ist insbesondere die Fähigkeit zur flexiblen Anpassung an Bedingungen und zur Problemlösung gemeint. Bildung und Erziehung hat immer eine Zukunftsrelevanz, denn stets ist die Bedeutung von Bildungs- und Lerninhalten im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft der Kinder zu reflektieren. Die Entscheidung, welche Bildungs- und Lerninhalte Kindern heute zu ihrer Selbstbildung angeboten werden, beinhaltet immer den Blick in eine angenommene Zukunft.
Wir können nur bedingt erahnen, was die Herausforderungen von morgen sein werden; doch Kreativität ist eine jener Kompetenzen, die uns in die Lage versetzt, Problemlösungen auch dann zu entwickeln, wenn es noch keine erprobten Vorlagen für besondere Herausforderungen gibt.
Folgt man diesen Überlegungen und akzeptiert die wichtige Bedeutung der Entwicklung kreativer Fähigkeiten als zukunftsbedeutsame Kompetenz, dann ergeben sich daraus konkrete Konsequenzen für die Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fachkräften bzw. Lehrkräften in den unterschiedlichen Bildungs institutionen.
Die Bildungspläne der Länder benennen Kreativität zwar mehr oder weniger deutlich als eine wichtige zu fördernde Aufgabe bei Kindern; Kreativität als Bildungsziel ist in den verschiedenen Ländern jedoch unterschiedlichen Bildungsbereichen zugeordnet. Meistens wird Kreativität dem Bereich der Sinne zugesprochen. Ihre Nennung kommt aber auch in den Bildungsbereichen »Musik«, »Bildnerisches Gestalten«, »Darstellen und Gestalten«, »Kunst und Kultur«, »Ästhetische Bildung«, »Spielen, Gestalten und Experimentieren« immer wieder vor. »Ästhetik und Kreativität« als eigener Bildungsbereich ist nur in einem Bundesland vertreten (www.mbjs.brandenburg.de/media/lbm1.a.1234.de/synopse_bildungsplaene.pdf).
Grundsätzlich wird jedoch deutlich, dass hinter den verschiedenen Begrifflichkeiten eine gemeinsame Grundauffassung steht: Bildungsprozesse von Kindern basieren auf Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, die durch Kreativität und Ausdrucksgestaltung mit den verschiedensten Formen spielerisch und experimentell zu Kenntnis und Erkenntnisgewinn im kulturellen Kontext führen und aktuell als wichtig für die Bildungs- und Lernprozesse von Kindern angesehen werden.
Wenn Bildung und Lernen zu neuen Erfindungsprozessen und Erkenntnisprozessen werden, dann haben wir es mit dem Phänomen Kreativität zu tun.
Kindliche Weltoffenheit, Neugier und Wissbegier, die Fantasie des Kindes im Spiel und seine Beharrlichkeit beim Ausprobieren und Lernen deuten auf ein hohes kreatives Potenzial hin, welches man in der Vergangenheit nur bestimmten herausragenden kreativen Persönlichkeiten zugeschrieben hat. Kinder beziehen Imagination, Fantasie und Vorstellungskraft in ihr Spiel ein, wodurch Aneignung von Wirklichkeit erfolgt. Seine Spontaneität ermöglicht dem Kind eine vorurteilsfreie Sammlung von Ideen, Möglichkeiten und Erkenntnissen und die notwendige Aufnahmebereitschaft, welche die Produktion kreativer Leistungen begünstigen. Kinder bringen damit günstige Voraussetzungen zur Entwicklung und Ausdifferenzierung von Kreativität mit.
Kreativität als übergreifende Kompetenz
Die Ausbildung von Kompetenzen ist eine Zielkategorie für Lern- und Bildungsprozesse. In der OECD Studie wurden folgende Kompetenzkategorien als übergreifend eruiert: Selbstkompetenz, Sachkompetenz, Sozialkompetenz. Die Kreativität als ästhetische sowie problemlösende und damit innovative Kompetenz ist jedoch ein Phänomen, das im Umgang mit sich selbst, mit anderen sowie mit Aufgaben und Inhalten bedeutsam ist. Kreativität lässt sich demzufolge als übergreifende Kompetenz beschreiben, die in allen Kompetenzbereichen Relevanz besitzt.
In vielen Lebenssituationen sind Menschen gefordert, mit adäquaten Lösungen auf Herausforderungen zu reagieren und innovative Lösungen zu entwerfen, wenn die bestehenden nicht geeignet sind. Folgt man dieser Auffassung von Kreativität als übergreifende Kompetenz, wird deutlich, wie wichtig die Förderung der Kreativität mit all ihren Implikationen im Kontext von Bildungs- und Lernprozessen ist. Es wird eine Aufgabe der Zukunft sein, dieser Perspektive Nachdruck zu verleihen und sie in konkreten Ansätzen zu realisieren.
Learning Through Art
An dieser Stelle soll eine im Jahr 2006 veröffentlichte, dreijährige Studie des Guggenheim Museums in New York zum Thema »Learning Through Art« nicht unerwähnt bleiben. In dieser Studie mit Grundschulkindern konnte nachgewiesen werden, dass diejenigen Kinder, die regelmäßig an künstlerisch kreativen Aktivitäten des Museums beteiligt waren, bessere Leistungen in den Bereichen »literacy, and critical thinking skills – including extended focus, hypothesizing, and providing multiple interpretations« aufgewiesen haben (vgl. Learning Through Art).
Kreativität als Lebensgestaltungskompetenz
Die Kreativität als kindliches Potenzial sollte gefördert werden, um die Entwicklung einer kreativen Persönlichkeit zu unterstützen. Mit dem Begriff der kreativen Persönlichkeit wird ein autonom und verantwortlich denkender und handelnder Mensch bezeichnet, der in den verschiedensten kleinen und großen Anforderungen des Lebens, im privaten und öffentlichen, im individuellen und sozialen Bereich, Problemlösungen für sich und andere suchen, finden, entwickeln und sie in angemessenes, produktives Handeln umzusetzen kann.
Kreativitätsförderung ist Bildungsziel und -aufgabe
Die Bedingungen der sogenannten postmodernen Gesellschaften, der Industrie- und Wissensgesellschaften mit ihren Leistungsanforderungen in der Arbeitswelt, dem Wandel von Familiensituationen und persönlichen Beziehungen, mit den Möglichkeiten und Grenzen von Arbeit und Freizeit, dem großen Bedarf an innovativen Ideen, mit den Herausforderungen und Chancen eines multikulturellen Zusammenlebens, der Mobilität und Flexibilität als Leistungsanforderung bedürfen der Kreativität als Lebensgestaltungskompetenz. Daher muss die Förderung von Kreativität ein wichtiges pädagogisches Ziel und als Bildungsaufgabe ernst genommen werden. Ist sie nämlich eine Lebensgestaltungskompetenz, dann ist sie auch ein wichtiges Instrument der Lebensbewältigung.
Die OECD Studie »Starting Strong« weist darauf hin, dass Curricula der Frühpädagogik zukunftsweisend sind und die zukünftigen Entwicklungen einer immer komplexer werdenden, globalisierten Welt antizipieren müssen, um heute Vorbereitungen auf die Anforderungen von morgen machen zu können (vgl. OECD 2004). Auch in diesem Kontext scheint die Förderung von Kreativität ein wichtiges Bildungsziel zu sein.
Eine Vergleichsstudie mit dem Titel »Von Piccolo bis Picasso« hat in den Jahren 2005 bis 2009 untersucht, ob und inwieweit die Förderung der Kreativität als innovative Problemlösungskompetenz mit Methoden künstlerischen Gestaltens möglich ist und ob sich Übertragungseffekte auf andere Lern- und Bildungsprozesse bei Kindern im Vorschulalter ergeben. Dazu sind die Lern- und Bildungsprozesse der Kinder, die Qualität der Interaktion der pädagogischen Fachkräfte, ihre Qualifikation und die Rahmenbedingungen in den Kindergärten und Kindertageseinrichtungen sowie die Zusammenarbeit mit Eltern untersucht worden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich künstlerisch-gestalterische Aktivitäten in Kindertageseinrichtungen signifikant günstig auf die ganzheitliche Bildungsentwicklung der Kinder auswirken. Insbesondere haben diese Aktivitäten Einfluss auf die Entwicklung von innovativen Problemlösungsfähigkeiten, vormathematischen Kompetenzen, Sprachfreude und Wortschatzerweiterung sowie Resilienz (vgl. Braun et al. 2009). In den Jahren 2014 und 2015 konnte eine Follow-up-Studie diese Ergebnisse vollumfänglich bestätigen (vgl. Braun et al. 2016, S. 23).
Grundlage: Die Neugier der Kinder fördern
Grundlage für den Ansatz der Kreativitätsförderung bei Kindern und der damit verbundenen ästhetischen Bildung ist die Förderung der Neugier der Kinder. Durch Unterstützung ihrer Experimentierbereitschaft und der Verstärkung des Verständnisses der eigenen Kreativität, durch Erfolgserlebnisse und Anerkennung, die Arbeit mit vielfältigen künstlerisch, ästhetischen Materialien, die Unterstützung von Ideen und deren Erprobung, durch das Zulassen ungewöhnlicher Problemlösungen sowie eine offene und ermutigende Kommunikation und das Unterstützen eigenaktiver Gestaltunghandlungen entsteht die Schlüsselkompetenz Kreativität.
Unter der Prämisse dieser die Kreativität fördernden Haltung bekommen auch gestalterische und darstellende ästhetisch-künstlerische Aktivitäten in Kindertageseinrichtungen eine zentralere Bedeutung, als ihnen bislang beigemessen wird. Staunen, Fragen und das Infrage-Stellen sind kindliche Verhaltensweisen, die sich im Bemühen, die Welt zu erschließen, entwickeln.
Mitmachen nicht vormachen
Dieses Experimentierverhalten ist eine gute Basis für Kreativitätsförderung. Man kann beobachten, wie versunken in sich selbst und zugleich unendlich geduldig manche Kinder versuchen, eine Aufgabe zu lösen. Dieses Durchhaltevermögen gilt es zu unterstützen, weil durch freies Experimentieren eine Vielfalt von Möglichkeiten aus eigener Motivation heraus entdeckt werden kann. Die Freude und der Stolz an außergewöhnlichen Ergebnissen – wenn sie auch nur einem Zufallseffekt entspringen – sind die Antriebsfeder für weitere Entdeckungen. Hier müssen sich Erwachsene auf die Ebene des Kindes begeben, mit ihm experimentieren, sich mit ihm über gelungene Ergebnisse und neue Entdeckungen freuen. Mitmachen (nicht Vormachen) trägt wesentlich zum Gefühl der Ermutigung bei.
Der Schlüssel zur Förderung kindlicher Kreativität liegt für Hany in der Vermeidung kreativitätshemmender Tendenzen, wie zum Beispiel der Druck zu Konformität und die Bestrafung eines von der Norm abweichenden Verhaltens, autoritäre Regelsysteme mit abgeleiteten starren Prinzipien, spöttische Kommentare von Erwachsenen und Intoleranz gegenüber spielerischem Verhalten (vgl. Hany 1999). Aus der positiven Wendung kreativitätshemmender Faktoren können folgende kreativitätsfördernde Elemente abgeleitet werden:
Kreativitätsfördernde Elemente
▶ Aufbau von Selbstvertrauen
▶ Kultivierung eines Was-wäre-wenn-Denkens und die Begegnung mit anderen Kulturen
▶ Frühe Vermittlung von Techniken kreativen Arbeitens und selbstständigen Lernens und die eigene Bewertung von Leistungen
▶ Aufbau von Durchhaltevermögen und der Verzicht auf schnelle Belohnungen
▶ Förderung der Interessen der Kinder verbunden mit der Herausforderung, sich immer wieder neu Wissen und Fertigkeiten anzueignen
▶ Schaffung einer kreativen Umgebung mit kreativen Vorbildern (vgl. ebd.).
Diese Aspekte zur Förderung von Kreativität nach Hany (1999) können durch folgende Punkte ergänzt werden:
Kreativitätsförderung durch Kommunikation
Interessiertes Fragen
Auf der Ebene der Kommunikation gilt es, das Kind durch Ansprache anzuregen, seine eigenen Experimente und Erfahrungen zu machen. Dazu gehören auch positiv motivierende Äußerungen über kreative Leistungen. Die pädagogische Fachkraft fragt ein Kind nach seinen Ideen, anstatt Fragen und Antworten vorzugeben. Es ist unverzichtbar, die kreativen Prozesse eines Kindes durch interessiertes Fragen zu unterstützen und Interesse zu signalisieren. Das bedeutet auch, Phrasen zu vermeiden, die ein Kind in der Entwicklung eigener Problemlösungsansätze blockieren: »Das geht nicht«, »Das kannst du nicht.«, »Dafür bist du noch zu klein« …
Die Ermutigung zu Kreativität auf der Ebene der Kommunikation verstärkt die vertrauensvolle Interaktion zwischen Kind und Erwachsenen. Hiermit verbunden sind das gemeinsame Tun und der Verzicht auf den Wissensvorsprung des Erwachsenen (siehe Seite 72). Das bedeutet, dass der erwachsene Mensch mit dem Kind zusammen die Phänomene der Welt bestaunt und entdeckt. Und es bedeutet auch, mit dem Kind zusammen zu spielen – als Spielpartner und nicht als Spielleiter. Es geht darum, miteinander auszuprobieren, wie man sich verkleiden kann, miteinander entdecken, wie man Farben mischen kann, wie man fantastische Geschichten erfinden und auf einem Waldspaziergang über bizarr geformte Wurzeln staunen kann.
Kreativitätsförderung durch Beziehung
»Eine gute Beziehungsqualität fördert die kindliche Entscheidungsfähigkeit, seine Selbstbeherrschung, seine Beweglichkeit, seine soziale Kompetenz und eine angstfreie Verfügung über seine intellektuellen Ressourcen, sein Einfühlungsvermögen und seine Beziehungsfähigkeit« (Großmann 1984, zit. n. Friedrich 2003, S. 10).
Kinder, die Sicherheit und Bestätigung, Aufmerksamkeit und Anerkennung, Ermutigung, Interesse und Anteilnahme erfahren, können selbstbewusst wagen, sich die Welt durch Erkunden, Erfahren und Begreifen anzueignen. Für die Qualität der Bindung zwischen Kind und Bezugsperson ist weitgehend das Ausmaß der erfahrenen Verfügbarkeit und Einfühlsamkeit der primären Bezugsperson verantwortlich. Feinfühlige Bezugspersonen nehmen die Signale des Kindes wahr, interpretieren diese im Sinne der Bedürfnisse des Kindes und sind schließlich in der Lage, diese umgehend angemessen zu beantworten. Je früher ein Kind diese Erfahrungen macht, desto besser wird es lernen, sich selbst wahrzunehmen und emotional zu regulieren.
Kreativitätsförderung durch Raum und Material
Nicht umsonst brachte Loris Malaguzzi in der Reggio-Pädagogik die Vorstellung vom Raum als drittem Erzieher ein: Räume haben eine entscheidende Wirkung auf den Bildungsprozess. In Verbindung mit dem Raum spielen das Material oder auch die Materialgaben bei allen Reformpädagogen von Fröbel über Pestalozzi, Montessori, Freinet und Dewey bis Steiner, um nur einige zu nennen, eine zentrale Rolle.
Um die Ziele der Kreativitätsförderung zu ermöglichen, bedarf es ebenfalls verschiedenster Materialien (siehe Seite 90 ff.). Damit sind nicht vorrangig Spielmaterialien, sondern alle Gegenstände gemeint, die die Realisierung einer Idee oder eines Sachverhaltes ermöglichen oder unterstützen. Im Umgang mit diesen Materialien entstehen Sacherfahrungen und sinnliche Erfahrungen.
Sinnliche Erfahrungen und Sacherfahrungen
Sinnliche Erfahrungen und Sacherfahrungen sind eine weitere wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Kreativität. Wenn der Zugang zu bestimmten Mitteln nicht erlaubt ist oder nicht ermöglicht wird, kann eine Idee nicht in die Realität umgesetzt werden.
Der Zugang zu vielfältigen Materialien bzw. die Anleitung, welche Materialien alternativ benutzt werden könnten, um sie für eigene Zwecke dienlich zu machen, ist eine wichtige Grundlage für die Entfaltung von Kreativität.
Sacherfahrungen werden hauptsächlich im Umgang mit Naturmaterialien und Nutzmaterialien gemacht. Spielmittel und Spielzeuge sind oftmals so konstruiert, dass ihre Substanz nicht verändert werden kann. Kinder brauchen Material, das sie bearbeiten und verändern können, mit dem sie experimentieren dürfen. Mit Nutzmaterialien sind alle Gegenstände des Alltags gemeint, die sich zum Spiel und zur Erkundung eignen: über Kochtöpfe bis hin zu Nägeln, Schrauben und Muttern. Allzu oft sind in Kindertageseinrichtungen mehr fertighergestellte Spielzeuge vorhanden als Alltagsgegenstände. Doch warum Holzperlen zum Aufziehen auf einer Schnur verwenden, wenn vielleicht auch kleine Metallmuttern und Unterlegscheiben aufgefädelt werden können?
Diese Nutzmaterialien sollten in Lernwerkstätten, Kreativwerkstätten oder Kinderateliers (siehe Seite 90 ff.) zum festen Angebot gehören. Sicherlich ist es bei der bekannten räumlichen Enge mancher Kindertageseinrichtungen nicht leicht, solche Räume zur Verfügung zu stellen. Doch ist es gleichgültig, ob es sich um einen speziellen Raum oder um Funktionsecken handelt. Wichtig ist, dass die verschiedenen Materialien anregend und sichtbar sowie für die Kinder frei zugänglich sind und der experimentelle und kombinierende Umgang damit jederzeit möglich ist und aktive Unterstützung findet. In Konzepten offener Arbeit ist dieser Aspekt sicher leichter zu berücksichtigen als in Konzepten geschlossener Gruppen.
Kreativitätsförderung als Konzept
Konzept
Das Konzept der Kreativitätsförderung und der damit verbundenen ästhetischen Bildung verfolgt die Förderung der Neugier von Kindern durch Unterstützung ihrer Experimentierbereitschaft und die Verstärkung des kindlichen Glaubens an die eigene Kreativität. Durch Erfolgserlebnisse und Anerkennung, durch die Begegnung mit vielfältigen, ästhetischen Materialien und die damit verbundenen Möglichkeiten der Sacherfahrung, die offene und ermutigende Kommunikation mit anderen Kindern und Erwachsenen, durch die eigenaktive Gestaltung von Umgebung und im gemeinsamen Tun von Erwachsenen und Kindern (vgl. Braun 1999) entwickeln Kinder ein kompetentes und kreatives Selbstbild.
Konkrete Impulse, die ein Kind zur vertieften Auseinandersetzung mit kreativen Lösungen anregen können, sind:
▶ Suchen und sammeln verschiedenster Materialien aus der Umwelt sowie von Ideen und Gedanken
▶ Experimentieren und erproben
▶ Entdecken und erforschen von Phänomenen der Lebensumwelt
▶ Erfinden von Ideen und Handlungen
▶ Verändern und verfremden von Objekten, Umwelt oder auch gewohnten Handlungen
▶ Darstellen und gestalten persönlichen Ausdrucks in unterschiedlichen Formen
▶ Produzieren und evaluieren von kreativen Produkten
▶ Produzieren und entwickeln von Imaginationen und Fantasie
▶ Rezipieren und agieren im Rahmen der eigenen Kinderkultur
Kreativitätsförderung durch Strukturen