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Mit dem Happy Huhn Küken-Buch schließt sich eine Lücke in der deutschen Fachliteratur, die bisher hauptsächlich Ratgeber rund um die "Kunstbrut" hervorgebracht hat. 95 Prozent aller weltweit existierenden Hühner entstammen heute der Kunstbrut – sie wurden also von Maschinen ausgebrütet. In diesem Buch steht die Naturbrut – also die natürliche Kükenaufzucht – im Vordergrund und die LeserInnen bekommen Hilfestellungen für die Versorgung von erziehenden Hühnermüttern samt Nachwuchs im eigenen Garten. Damit taucht dieser Ratgeber tief in das Thema Hühnerzucht ein und richtet sich damit insbesondere an fortgeschrittene Hühnerhalter, die bereits etwas Erfahrung im Umgang mit dem lieben Federvieh haben. Die Kükenaufzucht erfordert stets Gewissenhaftigkeit und "Know How" von Seiten des Halters. Zumindest im Falle von "fehlendem Know How", kann dieses Buch die Rettung sein! Fragen wie "Wie versorgt man eine brütende Glucke?", "Was brauchen die Küken am ersten Lebenstag", "Was tun wenn die Küken krank sind", "Wie integriert man Glucke und Küken mit dem Rest der Hühnerschar", "Spielt der Hahn eine Rolle bei der Kükenaufzucht?", oder "Welche Hühnerrassen bringen gute Muttertiere hervor?", werden in diesem Buch ausführlich besprochen. Im Vordergrund steht dabei das Wohl der Küken, denn das Ziel einer erfolgreichen Brut soll es letztlich ja sein, gesunde Junghennen und Junghähne zu bekommen. Eine Glucke ist quasi der Inbegriff einer aufopferungsvollen Tiermutter und es gibt kaum etwas Schöneres, als Küken mit ihrer Hühnermama über viele Wochen hinweg zu begleiten. Die Philosophie hinter diesem Buch entstammt der bekannten YouTube-Serie "Happy Huhn", die mit mehr als 150 Episoden über 235.000 Hühnerfreunde im gesamten deutschsprachigen Raum begeistert.
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Seitenzahl: 166
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Fotos © Shutterstock/ Eric Isselee, cameilia
Dieses Buch richtet sich ausschließlich an die Hobbyhalter, die Hühnerhaltung im kleinen Stil betreiben wollen. Weniger geeignet ist es für Hühnerhalter des landwirtschaftlichen bzw. kommerziellen Sektors. Auf dem Bildmaterial sind Hühner zu sehen, die im Freien gefüttert und getränkt werden. In einigen Regionen Mitteleuropas ist das Anbieten von Trinkwasser und Futter für Hühner im Freien aber aktuell aus seuchen-hygienischen Gründen gesetzlich nur bedingt erlaubt, im Wesentlichen wegen der Vogelgrippe.
Haftungsausschluss
Der Autor und der Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.
Copyright © 2020 Cadmos Verlag GmbH, München
Covergestaltung, grafisches Konzept, Layout und Satz: Gerlinde Gröll, www.cadmos.de
Collagen Cover und Umschlagrücken: Shutterstock/ Eric Isselee, cameilia, photomaster
Nicht gekennzeichnete Fotos im Innenteil: Robert Höck
Illustrationen: Shutterstock/tristan tan, Aliaksei_7799, yod67
Lektorat: Ing. Barbara P. Meister MA, FachLektor.at
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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ISBN: 978-3-8404-3052-7
eISBN: 978-3-8404-6469-0
Vorwort
Leben und Fortpflanzungsbiologie wilder Vorfahren des Haushuhns
Wer sind die wilden Vorfahren des Haushuhns?
Wie die Haustierwerdung vermutlich vonstatten ging
Wie wilde Kammhühner leben
Das Balzverhalten wilder Kammhühner
Brutverlauf und Schlupf beim Kammhuhn in der Natur
Die ersten Wochen im Leben wilder Kammhuhn-Küken
Das weitere Heranwachsen wilder Kammhuhn-Küken
Wie Wildküken nach der Abnabelung weiterleben
Was es sonst noch über Wildhühner zu wissen gibt
Warum mir dieses Kapitel so wichtig ist
Naturbrut oder Kunstbrut beim Haushuhn
Kunstbrutküken regieren die Welt
Thermometerhühner – wenn Hühnervögel Kunstbrut betreiben
Überlegungen, die vor der Naturbrut zu treffen sind
Wie Glucken in Brutlaune geraten sind
Brutwillige Hennen erkennen
Wie man eine Henne gezielt zum Brüten animieren kann
Welche Rolle spielt der Hahn in puncto Brutlust?
Eine brütende Glucke versorgen
Das Nest für die Bruthenne vorbereiten
Was es beim Gelege zu beachten gilt
Wie man brütende Hennen richtig versorgt
Was der Halter vor, während und nach dem Schlupf für die künftige Hühnerfamilie tun kann
Stadien der Embryonalentwicklung
Die entwicklungsgemäße Versorgung in den ersten Wochen
Die ersten Lebenswochen von Naturbrutküken
Der Abnabelungsprozess
Wohin mit überzähligen Nachzuchten?
Stall und Auslauf kükengerecht einrichten
Das erste Heim für Henne und Küken
Was Küken und Glucke ab der zweiten Lebenswoche in ihrem Zuhause brauchen
Auslaufgestaltung für Glucke und Henne
Die Sozialisierung von Naturbrutküken
Die Rolle von Althähnen bei der Sozialisierung von Junghähnen
Schlichtende Althähne bei den Kämpferrassen
Tipps für das Integrieren in die Gruppe
Hennen schonend entglucken
Die sanfte Methode, um Hennen zu entglucken
Allgemeine Maßnahmen, um Hühner vom Glucken abzuhalten
Kükenfütterung unter den Gesichtspunkten der Happy-Huhn-Philosophie
Was Küken fressen dürfen
Futtermischungen aus dem Sack – das Basisfutter und seine Darbietungsformen
Frischfutter – Gemüse, Obst, Grünschnitt und Co.
Tierische Proteine für Allesfresserküken
Kochfutter und Essensreste vom Teller
Trinkwasser kükengerecht darbieten
Steine, Erde, Rinde und Mineralien
Ein gehaltvolles Futterrezept für „Happy Küken“ und „Happy Glucken“
Futterpflanzen für Küken und Junggeflügel selbst anbauen
Salate und Kohlgewächse
Wurzel- und Knollengemüse
Getreide und Pseudogetreide
Blattgemüse und Wildpflanzen
Die traditionellen Futterpflanzen der „Native Americans“
Futterarten, die man Küken nicht reichen sollte
Die Kükenapotheke
Heilpflanzen für Küken und Junghühner selbst anbauen
Die antibakteriellen Entzündungshemmer
Die Kamille und andere Verdauungshelfer
Entwurmung mit Hausmitteln
„Nahrungsergänzungsmittel“ aus der Welt der Kräuter
Duftkräuter und getrocknete Blüten für Hühnernest und Einstreu
Küken gesund erhalten, Krankheiten, Parasiten und Co.
Was man vorbeugend für die Gesundheit von Naturbrutküken tun kann
Impfen ja oder nein?
Die wichtigsten bakteriellen und viralen Kükenkrankheiten im Überblick
Einzellige Krankheitserreger
Haar-, Spul- und Bandwürmer
Die rote Vogelmilbe
Kalkbeinmilben
Andere Geflügelarten und die Naturbrut
Puten und Perlhühner
Pfaue und Fasane
Wachteln
Enten und Gänse
Artfremde Naturbruten bzw. gemischte Bruten
Zehn Hühnerrassen mit guten Bruteigenschaften
Vorwort zu den Rassen
Altsteirer – Hühnerzucht wie damals
Ayam Cemani – Eine Moderasse mit Mutterqualitäten
Chabo – Superglucken im Kleinformat
Proveis-Ultentaler – Eine Landrasse mit Naturbruttradition
Seidenhühner – Naturbrut am laufenden Band
Serama – Die kleinsten Glucken der Welt
Sodahühner – Von Mischlingen und Zufallskreuzungen
Sulmtaler – Alte Hennen brüten besser
Steinpiperl – Urinstinkte, die an Wildhühner erinnern
Wyandotten – Amerikas beste Glucken
Danksagung
Robert Höcks „Happy Huhn“-YouTube®-Kanal finden Sie unter
http://bit.ly/2oMBuFR
Ich selbst vermehre meine Hühner ausschließlich auf natürlichem Weg. Meine Superglucke Klara hat im Sommer 2019 eine Schar Küken der gefährdeten Rasse Proveis-Ultentaler erfolgreich aufgezogen.
Hier sitze ich nun in meinem Happy-Huhn-Büro, habe es mir mit einer Tasse Bergkräutertee gemütlich gemacht und darf die ersten Wörter für mein drittes Buch mit Schwerpunkt Hühnerhaltung in die Tastatur klopfen.
Es ist ein tolles Gefühl, wenn man über ein Thema schreiben darf, dass einem sehr am Herzen liegt. Man könnte vielleicht annehmen, dass mir in puncto Hühnerhaltung langsam „der Schmäh ausgeht“, wie man in Österreich sagt.
Glücklicherweise weiß ich aber hundertprozentig, dass mir zu Hühnern sicherlich nie der Schmäh ausgehen wird. Zu facettenreich ist das Thema, als dass ich es jemals beiseiteschieben oder gar langweilig finden könnte. Meine ersten beiden Hühnerbücher „Happy Huhn“ und „Happy Hühnergarten“ richteten sich in erster Linie an Neulinge in der Hühnerhaltung und gaben insbesondere dem Anfänger viele Informationen, von der Rasseauswahl über die Stalleinrichtung bis hin zur Abklärung gesetzlicher Bestimmungen.
Das Happy-Küken-Buch richtet sich dagegen eindeutig an fortgeschrittene Hühnerhalter. Die Kükenaufzucht ist meiner Meinung nach nichts, mit dem man gleich zu Beginn seiner Laufbahn als Hühnerhalter starten sollte. Sie erfordert in ganz besonderer Weise Gewissenhaftigkeit und Erfahrung im Umgang mit Tieren. Wer Angst davor hat, eine sich sträubende, kreischende Glucke vom Nest hochzuheben, wird schnell überfordert sein. Auch mit kränklichen Küken sollte man umgehen können, ganz zu schweigen davon, dass es schmerzlich sein kann, wenn Küken während des Schlupfes sterben oder wenn man sich später von überzähligen Tieren trennen muss. Das alles gehört zur Zucht bzw. Vermehrung dazu, und eben deshalb sollte man schon eine Weile Hühner gehalten haben, gute und schlechte Erfahrungen gesammelt haben, bevor man sich an dieses Level der Thematik Hühnerhaltung heranwagt. Allerdings muss ich einräumen, dass einem die Hühner die Entscheidung, ob man Küken haben möchte oder nicht, manchmal abnehmen, insbesondere dann, wenn es zu einer ungeplanten Naturbrut kommt. Wenn man neu mit den Hühnern anfängt, ist man gewiss noch nicht so geübt darin, Hühner im Fortpflanzungsmodus zu identifizieren, und dann ist es gar nicht immer leicht, brutwillige „Gluckenanwärterinnen“ davon abzuhalten, Eier auszubrüten.
Es ist schön zu beobachten, wie schnell sich gesunde Küken entwickeln: Meine Naturbrutküken von 2019, an ihrem dritten und zehnten Lebenstag fotografiert.
Schon in meinen früheren Büchern, wie „Happy Hühnergarten“, waren die Themen Naturbrut und Küken stets wichtige Schwerpunkte.
Vielleicht halten Sie dieses Buch ja auch gerade in der Hand, weil Sie eine vermeintlich abgängige Henne entdeckt haben, mitten im Brutgeschäft, auf einem versteckten Nest sitzend, und sich jetzt im Schnelldurchlauf über das Thema Küken informieren müssen. Sie möchten die angebrüteten Eier, das quasi beginnende Leben nicht zerstören und der Henne daher erlauben, ihr Werk zu Ende zu führen. Selbstverständlich gibt dieses Buch auch eine Hilfestellung für die erfolgreiche Aufzucht von ungeplantem Nachwuchs, und ich werde mein Bestes geben, um alle Texte so zu formulieren, dass sie zur Not auch für „blutige Anfänger“ verständlich zu lesen sind. Meine Happy-Huhn-Philosophie soll im Wesentlichen den Hühnern zugutekommen und erst an zweiter Stelle dem Halter.
Manche meiner Lieblingsempfehlungen sind für die Tiere „megatoll“, aber für den Halter umständlich und unbequem. In „Happy Küken“ wird das nicht anders sein, und es wird Sie bestimmt nicht verwundern, dass ich auch, was das Brutgeschäft anbelangt, sehr versessen darauf bin, alles möglichst artgerecht bzw. tiergerecht zu handhaben. Ein Kunstbrutfan bin ich also selbstredend nicht, denn die Kunstbrut mag vielleicht effektiv sein, aber dem Naturell des Federviehs entspricht sie ganz gewiss nicht. Ungefähr 90 Prozent aller heute weltweit existierenden Hühner wurden künstlich durch eine Maschine ausgebrütet. Ich denke, das sollte uns alarmieren, und es ist eigentlich traurig, dass Brutmaschinen so etwas Selbstverständliches geworden sind, dass kaum noch darüber nachgedacht wird. Es gibt im deutschsprachigen Raum gleich mehrere umfangreiche Ratgeber zum Thema Kunstbrut, aber meines Wissens nach kein einziges gutes Buch, das sich speziell der Naturbrut, also der natürlichen Fortpflanzung des Federviehs, widmet.
Dabei gibt es kaum etwas Schöneres, als Küken mit einer Glucke, quasi dem Inbegriff einer aufopferungsvollen Tiermutter, zu erleben und über viele Wochen hinweg zu begleiten.
Mit „Happy Küken“ möchte ich diese Lücke in der Fachliteratur schließen und das Thema Naturbrut mal ungewöhnlich umfangreich ausleuchten und aufbereiten. Sie sollen mithilfe dieses Buches die Möglichkeit dazu haben, eine gelungene Naturbrut im eigenen Garten „durchzuziehen“ und die Begeisterung und Lebensfreude spüren dürfen, die heranwachsende Küken bereiten können.
Ich wünsche Ihnen für die Aufzucht
Ihrer eigenen „Happy Küken“
alles erdenklich Gute!
Robert Höck, Februar 2020
Bild oben: Dieser zahme Haushahn der Rasse „Steinpiperl“ hat nur auf den ersten Blick viele Ähnlichkeiten mit einem wilden Bankiva-Hahn zu bieten. Ein Unterschied wären zum Beispiel seine fleischfarbigen Läufe.
Bild unten: Domestizierte Haushühner unterscheiden sich nicht zuletzt, auch im Hinblick auf das Brutverhalten, von ihren wild lebenden „Artgenossen“.
Siehe Episode 173!
Naturbrut ist aus Sicht der Hühner das Natürlichste, was man sich vorstellen kann. Schon die Vorfahren der Hühnervögel, ja selbst der Urvogel, der Vorfahr aller Vogelarten, betrieb vermutlich bereits Brutpflege und ließ seinem Nachwuchs elterliche Fürsorge zuteilwerden. Bevor es um die Brut in menschlicher Obhut geht, möchte ich Ihnen in diesem ersten Kapitel zunächst ausführlich schildern, wie Wildhühner leben, wie sie überhaupt zu Haustieren wurden und wie Naturbrut in der Wildnis bei Hühnervögeln aussieht. Im Lauf der Haustierwerdung, also dem Übergang vom Wildhuhn zum Haushuhn, hat sich das Fortpflanzungsverhalten der Hühner nämlich überraschend verändert. Ein Vergleich zwischen Wildhuhn und Haushuhn in puncto Fortpflanzungsbiologie, aber auch generell, was die Lebensweisen anbelangt, kann daher sehr aufschlussreich sein und dabei helfen, das Huhn für sich als Vogelart besser zu verstehen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie beim Lesen dieses Kapitels den einen oder anderen Aha-Moment erleben werden und vielleicht sogar manchmal schmunzeln müssen, weil Sie nun verstehen, warum Ihre eigenen Hühner sich so verhalten, wie sie es nun mal tun.
Das Haushuhn ist selbstredend ein Mitglied der Ordnung der Hühnervögel und ist somit mit den Truthühnern, Wachteln und Perlhühnern ebenso verwandt wie mit den Pfauen, den Fasanen und den Raufußhühnern. Innerhalb seiner Ordnung gehört das Huhn zur Gattung der Kammhühner, wissenschaftlich Gallus, die mehrere Arten beinhaltet und evolutionär den Bambushühnern der Gattung Bambusicola sehr nahesteht. Das Haushuhn wird mittlerweile relativ eindeutig als Abkömmling von Gallus gallus, dem Roten Kammhuhn, eingestuft. Diese Art wird oft synonym als Bankivahuhn bezeichnet, womit jedoch eine spezielle Unterart gemeint ist. Rote Kammhühner sind in Südostasien stark verbreitet und finden sich in weiten Teilen Chinas und Indiens, Myanmar, Thailand, Laos und Vietnam. Es verwundert kaum, dass sich in einem derart großen Verbreitungsgebiet gleich mehrere geografische Unterarten des Kammhuhns entwickelt haben, die zum Teil in unterschiedlichen Lebensräumen zu finden sind. So leben die westlichsten Populationen beispielsweise in Pakistan und Kaschmir und müssen mit kühlerem Klima zurechtkommen. Hier findet sich die besonders kältetolerante Unterart Gallus gallus murghi, die nachweislich auch eine der beiden Unterarten ist, von denen unser Haushuhn abstammt. Die andere Unterart, die mit Sicherheit an der Domestikation beteiligt war, ist Gallus gallus gallus, die Nominatform, die heute noch wild in China, Vietnam und Thailand vorkommt. Darüber, ob auch andere Wildformen ihre Spuren im Erbgut des Haushuhns hinterlassen haben, wird seit vielen Jahrzehnten diskutiert, und vielleicht gibt es in Zukunft dazu neue Erkenntnisse. Möglich ist es definitiv, denn man geht ohnehin davon aus, dass Wildhühner im Lauf der Geschichte mehrmals, unabhängig voneinander, an verschiedenen Orten zum Haustier wurden.
Die Familie der Hühnervögel ist außerordentlich artenreich. So unterschiedlich kann die Verwandschaft der Hühner daher aussehen: Wildtruthuhn (1), Auerhahn (2), Geierperlhuhn (3) und Chinesisches Bambushuhn (4).
Das Rote Kammhuhn (5), häufig auch als „Bankiva-Huhn“ bezeichnet, ist die unbestrittene Wildform unseres domestizierten Haushuhns.
Jüngere Genomuntersuchungen innerhalb der Familie der Hühnervögel haben gezeigt, dass Bambushühner und Kammhühner (6) besonders nahe miteinander verwandt sind.
Fotos © Shutterstock / Wang LiQiang
Weil sie von Mönchen traditionell gefüttert werden, haben einige Populationen des Weißen Ohrfasanes in den Bergen Sichuans ihre natürliche Scheu abgelegt. Sie leben nun freiwillig in Menschennähe.
Man weiß, dass sich Wildhühner, wenn man sie regelmäßig füttert, dazu bringen lassen, in der Nähe von menschlichen Siedlungen zu bleiben. Ganz ohne Stall und Zaun, scheint allein der Vorteil der regelmäßigen Futtergabe bedeutend genug zu sein, um sie von einem „sesshaften“ Leben zu überzeugen. Sie brüten dann auch ihre Küken in Menschennähe aus und bringen diese später auch zu den Futterstellen mit. Die ersten Haushühner schlossen sich also womöglich freiwillig dem Homo sapiens an und lebten mehr oder weniger in einer Art Symbiose mit uns Menschen. Die Hühner hatten durch die Fütterung eine gesicherte Lebensgrundlage und im Gegenzug konnte der Mensch sich gelegentlich einen Hühnerbraten aus der Gruppe holen. Diese aus heutiger Sicht ziemlich nachhaltige und tiergerechte Form der Federviehhaltung dürfte jahrhundertelang üblich gewesen sein und sie macht es schwer, den Zeitpunkt der eigentlichen Domestikation zu bestimmen. Ab wann waren solche mit Menschen vertraute Wildhuhnpopulationen keine Wildtiere mehr, sondern echte Haustiere? Ab wann wurde der Mensch zum Hühnerzüchter und griff aktiv in die Fortpflanzungsbiologie der Hühner ein, führte also gezielte Verpaarungen durch und bestimmte bewusst darüber, welche Küken für die Zucht großgezogen wurden? Fragen über Fragen, für die man noch heute gute Antworten finden kann, wenn man mal einen Blick nach Vietnam und Thailand wirft, wo es noch immer Wildhühner und primitive Haushühner gibt, die, wie eben von mir beschrieben, in Waldsiedlungen mit dem Menschen koexistieren. Sie werden nie in Käfige gesperrt und bleiben trotzdem da. Man hat dort das Gefühl, als wäre die Haustierwerdung des Haushuhns noch immer in vollem Gange und sogar etwas, das sich immer wieder aufs Neue wiederholt. Ein vergleichbarer Domestikationsprozess mit einem anderen Vertreter aus der Familie der Hühnervögel findet seit Jahrhunderten auch in den Bergen Sichuans im Westen Chinas statt. Dort füttern die Mönche eines Bergklosters traditionell wilde Ohrfasane (Crossoptilon crossoptilon) an und sorgen damit für eine große, starke Population der Vögel in der Umgebung des Klosters. Die Tiere haben bereits über viele Generationen gelernt, ihre angeborene Scheu abzulegen, und sind auf dem besten Weg dazu, in die Fußstapfen des Haushuhns zu treten und sich zu einer weiteren Art des Hausgeflügels zu entwickeln. Das Bild vom bösen Menschen, der in die Natur auszieht, um die armen Wildtiere einzufangen und in Käfige zu sperren, ist daher nur bedingt haltbar. Selbstverständlich ist die moderne Nutztierhaltung für die Tiere gelinde gesagt eine Katastrophe, aber gerade im Fall der Hühner finde ich es schön zu wissen, dass sie ursprünglich gern mit dem Menschen zusammenlebten. Hühner sind opportunistische Vögel, die durchaus dazu in der Lage sind, Überlebensvorteile, die sich ihnen bieten, zu nutzen. Auch wenn Menschen sie heute als millionenfache Massenware in Tierfabriken verkommen lassen, stand am Anfang der Geschichte von Mensch und Huhn eine nachhaltige Symbiose, von der beide Seiten profitierten.
Wildhühner sind, im Gegensatz zu Haushühnern, stärker dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen und müssen daher ihre Fortpflanzungsstrategie an die Gegebenheiten ihres Umfelds anpassen. Die diversen Unterarten des Kammhuhns leben meist in warmen tropischen Gebieten, einige dringen aber auch in kältere Regionen vor oder finden sich in hohen Berglagen. Grundvoraussetzung für einen geeigneten Hühnerlebensraum ist eine gute Strukturierung und reichlich Deckung in Form von Gehölzen und hohen Stauden. Weil Trockenzeiten, Regenzeiten, Hitzewellen und Kälteperioden den Jahresrhythmus der Wildhühner mitbestimmen, sind sie in der Regel nur einen Teil des Jahres auf Fortpflanzung programmiert, ganz anders als viele Haushühner, die, abgesehen von einigen Wochen der Mauser, fast rund ums Jahr sexuell aktiv sind. Wenn die Bedingungen für die Aufzucht der Küken günstig sind, können Wildhühner innerhalb eines halben Jahres (zumeist sind das die Winter- und Frühlingsmonate) zwei- bis dreimal brüten und erfolgreich Küken aufziehen. Die andere Hälfte des Jahres leben sie eher zurückgezogen und widmen sich im Wesentlichen der Futtersuche und dem Austragen von Hackordnungsstreiten. Selbst die sehr bunten Hähne bilden für diese Zeit, mithilfe einer Zwischenmauser, ein schlichteres Tarnkleid aus, das es ihnen erlaubt, sich unauffällig im Unterholz zu bewegen.
Bild oben: Wie die Nahaufnahme zeigt, trägt die Wildhenne ein schlichtes, aber hübsch meliertes Tarnkleid aus erdigen Farbtönen, das es ihr ermöglicht, sich unauffällig im Unterholz zu bewegen.
Bilder unten: Während rechts eine Wildhenne zu sehen ist, ist auf dem linken Bild ein Haushuhn der Rasse Proveis-Ultentaler mit identischer Augen-, Lauf- und Gefiederfärbung abgebildet. Unterschiede ergeben sich auf den ersten Blick, weil die Haushenne deutlich größer ist und außerdem einen stärker ausgeprägten roten Kamm besitzt.
Der zahme Haushahn bildet so ein Tarnkleid nicht mehr aus, womit ein weiterer Unterschied gefunden wäre.
Auch in Gefangenschaft zeigt sich in Gruppen mit mehreren „Wildhähnen“ meist, dass nur ein Hahn die dominante Rolle übernehmen kann. Er ist hier auf dem ersten Bild zu sehen und hat beispielsweise einen deutlich stärker entwickelten Kamm als der jüngere Hahn vom zweiten Bild.
So wie Haushühner leben auch Wildhühner in sozialen Gruppen. Meistens ist das ein Hahn, der zwei bis fünf Hennen führt. Unter günstigen Bedingungen können die Gruppen deutlich größer sein und aus mehreren Hähnen und bis zu 20 Hennen bestehen. Der Gruppenzusammenhalt ist dann allerdings nicht so stark und die meisten Hähne solcher Großgruppen leben eher am Rande des Geschehens, als sogenannte „Satellitenhähne“. Sie ziehen in sicherer Distanz mit der Gruppe mit und wagen es gelegentlich, einen der ranghohen Hähne im Duell herauszufordern. Wildhähne können sehr verbittert streiten, und wie bei Kämpferrassen kann es auch bei ihnen gelegentlich vorkommen, dass gestritten wird bis zum Tod eines der Kontrahenten. Die Siegerhähne umbalzen die Wildhuhndamen vor dem Kopulationsakt ausgiebig und machen ihnen mit tänzerischen Bewegungen und gefächerten Flügelschlägen den Hof. Das Balzverhalten des Haushahns wirkt dagegen eher plump und ist bei manchen Rassehühnern kaum noch als solches zu identifizieren. Ausnahmen sind naturbelassene Rassen wie Deutsche Zwerghühner, Javanesische Buschhühner, Steinpiperl oder Proveis-Ultentaler.
Während Haushühner auch ohne eine vorhergehende Kopulation mit einem Hahn Eier legen, wird die Legetätigkeit bei der Wildhenne erst durch den Tretakt eingeleitet.
Wie Haushennen suchen sich auch Wildhennen für die Eiablage bzw. den Nestbau ein geschütztes dunkles Plätzchen, das in ihrem Fall fast immer am Boden unter dichtem Buschwerk zu finden ist. Sie legen jeden Tag ein Ei, bis das Gelege zwischen sechs und zwölf Eier umfasst, und werden während dieser Zeit meist auch noch jeden Tag von mindestens einem der Hähne ihrer Gruppe begattet. Erst wenn das Gelege ihrem Instinkt nach voll ist, beginnen sie mit dem Brüten. Die Brut dauert bei den Wildhühnern 19 Tage und ist damit zwei Tage kürzer als die Brut des Haushuhns, die im Schnitt bei 21 Tagen liegt. Unbefruchtete Eier oder solche, die sich falsch entwickeln, werden von der Wildhenne während der Brut zielsicher identifiziert und entweder aus dem Nest geworfen oder schlichtweg aufgefressen. Ein Verhalten, das vermutlich der Nesthygiene dient. Bei einer domestizierten Henne konnte ich selbst dieses Verhalten bisher nur ein einziges Mal erleben, und zwar bei einer meiner serbischen Sandschak-Kräher-Hennen. In der Regel belassen Haushühner auch die abgestorbenen Eier bis zum Schluss im Nest. Am ersten Tag nach dem Schlupf bleibt die Wildglucke meist noch auf dem Nest sitzen und „hudert“ die Küken unter ihrem Federkleid, wo sie in Ruhe trocknen sollen und zu Kräften kommen müssen. Nahrung brauchen sie am ersten Lebenstag noch nicht, weil sie von den Resten des Dottersacks zehren, der sich durch den Nabel in die Bauchdecke resorbiert hat. Bei Haushühnern ist das völlig gleich.