Heidenmorde - Robert Gordian - E-Book
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Heidenmorde E-Book

Robert Gordian

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Beschreibung

Eine Mission mitten unter Feinden: Der historische Kriminalroman »Heidenmorde« von Robert Gordian jetzt als eBook bei dotbooks. Anfang des 9. Jahrhunderts gelingt es Karl dem Großen endlich, das Sachsenland mit dem Schwert zu unterwerfen – doch der Widerstand der Bevölkerung ist noch lange nicht gebrochen. Um seine Macht zu sichern, entsendet der Kaiser seine Kommissare Odo und Lupus auf eine gefährliche Mission: Sie sollen dem Anführer der Heiden, dem großen Krieger Widukind, eine Botschaft überbringen – oder sollte sich etwas ganz Anderes hinter ihrem Auftrag verbergen? Die beiden brechen auf zu einer Reise in die Mitte ihrer Feinde, wohl wissend, dass jeder noch so kleine Fehltritt sie ihr Leben kosten könnte … »Von allen historischen Kriminalromanen, die ich bisher gelesen habe, waren [Robert Gordians] die besten und spannendsten (vom Ursprungsroman der Gattung, dem ›Namen der Rose‹, natürlich abgesehen).« Franz Schröpf, Fantasia-Magazin Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Der Elefant des Kaisers« von Robert Gordian ist der zehnte Band seiner historischen Spannungsreihe um Odo und Lupus, die Kommissare Karls des Großen, und wird alle Fans von Oliver Pötzsch und Ellis Peters begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 133

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Über dieses Buch:

Anfang des 9. Jahrhunderts gelingt es Karl dem Großen endlich, das Sachsenland mit dem Schwert zu unterwerfen – doch der Widerstand der Bevölkerung ist noch lange nicht gebrochen. Um seine Macht zu sichern, entsendet der Kaiser seine Kommissare Odo und Lupus auf eine gefährliche Mission: Sie sollen dem Anführer der Heiden, dem großen Krieger Widukind, eine Botschaft überbringen – oder sollte sich etwas ganz Anderes hinter ihrem Auftrag verbergen? Die beiden brechen auf zu einer Reise in die Mitte ihrer Feinde, wohl wissend, dass jeder noch so kleine Fehltritt sie ihr Leben kosten könnte …

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane »Abgründe der Macht«, »Mein Jahr in Germanien«,» Noch einmal nach Olympia«, »Xanthippe – Die Frau des Sokrates«, »Die ehrlose Herzogin« und »Die Germanin« sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

»Demetrias Rache«

»Saxnot stirbt nie«

»Pater Diabolus«

»Die Witwe«

»Pilger und Mörder«

»Tödliche Brautnacht«

»Giftpilze«

»Familienfehde«

»Der Elefant des Kaisers«

»Heidenmorde«

DIE MEROWINGER

»Letzte Säule des Imperiums«

»Schwerter der Barbaren«

»Familiengruft«

»Zorn der Götter«

»Chlodwigs Vermächtnis«

»Tödliches Erbe«

»Dritte Flucht«

»Mörderpaar«

»Zwei Todfeindinnen«

»Die Liebenden von Rouen«

»Der Heimatlose«

»Rebellion der Nonnen«

»Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

»Der Waffensohn«

»Der Pokal des Alboin«

»Die Verschwörung«

»Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände »Eine Mordnacht im Tempel« und »Das Mädchen mit dem Schlangenohrring« sowie die Reihe »Wären sie früher gestorben« mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

»WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler«

»WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow«

»WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.«

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Originalausgabe September 2023

Copyright © der Originalausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz unter Verwendung eines Gemäldes von Boucher

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-820-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Robert Gordian

Heidenmorde

Odo und Lupus, Kommissare Karls des Großen

dotbooks.

Kapitel 1

Dem edlen Herrn Grafen Drogo von B., sendet Lupus, Diakon, Notarius und Königsbote, Grüße und Heil.

Bei unserem Treffen in Fulda versprach ich Euch, einen genauen Bericht von unserer Reise nach Marklo, zu dem verbotenen Thing der Sachsen, zu geben. Ich sollte Euch auch über den von unserem Herrn König Karl unauffindbaren Herzog Widukind unterrichten. Noch wissen wir nicht, an welchem geheimen Ort er sich aufhält und ob er die Auflagen beachtet, die ihm gemacht wurden. Während ich diesen Brief schreibe, könnte ich aber neue Nachrichten erhalten, die uns mehr Aufschluss darüber geben. Ich könnte sie Euch dann gleich übermitteln.

Dazu muss ich Euch freilich zunächst darauf aufmerksam machen, dass diese Auskünfte streng vertraulich sind und dass Ihr sie nur verwenden dürft, ohne Euch auf die Quelle, also auf mich, zu berufen. Ich bin ja eigentlich nicht berechtigt, über die geheimen Verhandlungen, die zumeist vom König selbst geleitet wurden und an denen ich teilnehmen durfte, zu berichten, sofern der Adressat nicht zum auserwählten und streng limitierten Kreis gehört. Ich habe jedoch zwei Bischöfe konsultiert, die mir zurieten, da es für die Sicherheit des Reiches wichtig sei, dass die Markgrafen auf dem Laufenden sind. Auch Odo von Reims, mein Amtsgefährte, hat diesen meinen Brief an Euch zur Kenntnis genommen und ist mit seiner Absendung einverstanden. Meidet aber Gespräche und Handlungen, mit denen Ihr Euch Schwierigkeiten zuziehen könntet. Hütet, ich bitte Euch, die Zunge und spart Wachs und Pergament, solange Ihr nicht eine amtliche Verlautbarung der königlichen Kanzlei in Händen habt. Betrachtet also das Folgende als vorläufig und vernichtet dieses Schreiben, sobald Ihr ein zuverlässigeres habt.

Ich hoffe, dass es Euch mittlerweile besser geht und dass die Verwundung aus dem Treffen mit Westfalen und Friesen im vorigen Jahr vollkommen ausgeheilt ist. Denn auf der Walstatt seid Ihr ja unentbehrlich. Inzwischen hat es wieder erfolgreichere Kämpfe gegeben, und unsere fränkischen Truppen rücken immer näher an das linke Ufer der Ems heran. Noch behaupten aber die Engern den größten Teil, und es wird in nächster Zeit darauf ankommen, das so mühsam wieder Zurückeroberte zu sichern. Wir – also Odo und ich – vermuten, dass es in diesem Frühjahr unsere Aufgabe sein wird, diese Ordnung so gut es geht wiederherzustellen. Der Herr Marschalk teilte uns schon in Aachen mit, dass König Karl uns persönlich einweisen werde. Wann und unter welchen Umständen dies geschehen soll, ist aber noch vollkommen unklar.

Ich bin mir nicht sicher, dass Ihr und alle Grafen und Comites vollständig darüber unterrichtet seid, wie unser Herr König künftig Verwaltung und Justiz überall im Reich der Franken einrichten will. Ich war es auch zunächst nicht, obwohl ich seit langem in der Hofkanzlei tätig bin. Doch die meiste Zeit hatte ich nichts anderes zu tun, als Akten des Hofgerichts abzuschreiben oder auch von Zeit zu Zeit eine Vormundschafts- oder Erbschaftsurkunde aufzusetzen. Dabei hatte man mich aus Fulda an den Hof berufen, weil meine Kenntnisse des römischen, salischen, ripuarischen Rechts und anderer Volksrechte angeblich zu den Entscheidungen des Hofgerichts gebraucht wurden.

Das war so langweilig, dass ich schon darum ersuchen wollte, in mein Kloster zurückkehren zu dürfen. Doch plötzlich, eines Tages …

Beginnen nicht alle Ereignisse, die unser Leben schöner und reicher machen: Doch plötzlich, eines Tages …?

… da trat also unser Herr Kanzler an mein Schreibpult und sprach: »Lieber Lupus, du bist zu unserm Herrn König befohlen. Er will eine wichtige Neuerung im Reich bekanntgeben, an der auch du teilhaben sollst.«

Verwundert fragte ich: »Um was handelt es sich? Was könnte ich einfacher Diakon dabei schon bewirken?«

»Das wird sich finden«, erwiderte er. »Übrigens wirst du dich in der Gesellschaft von Bischöfen, Grafen und Äbten, also der höchsten Würdenträger, wiederfinden. So wichtig ist unserem Herrn König die Sache.«

Muss ich Euch erzählen, wie aufgeregt ich war, wie gründlich ich mich rasierte und mir am Brunnen den Hals wusch, wie sorgfältig ich die kleinen Schäden an meiner zweiten, besseren Kutte flickte, die ich zu besonderen Anlässen, Weihnachten, Ostern oder zu Beisetzungen, in meiner Truhe aufbewahrte?

Da stand ich nun neben hohen Adeligen und Geistlichen unter den Säulen des Festsaals und lauschte den Worten des Königs.

Er sprach: »Meine Herren! Überall im Reich herrscht Unordnung! Sie übersteigt jedes Maß. Keine Straße ist sicher, in jedem Wald lauern Räuber. Die adeligen Herren gebieten mit Willkür, die Rechtshüter kennen die Gesetze nicht.« Zornig hielt er uns vor, was alles geschah: Dass die Immunität mancher Klöster missbraucht wurde, um Übeltäter der Justiz zu entziehen; dass Grafen lieber auf die Jagd gingen, als das Verbrechergesindel in ihren Gauen zu jagen; dass Bischöfe in betrunkenem Zustand die Messe lasen; dass Priester Zinswucher betrieben; dass Mönche verheirateten Frauen nachstellten et cetera. Überall Habsucht und Unmoral, Gier nach Besitz, Betrug, Erpressung. Die Hiebe saßen, und kaum einer war unter den großen Herren, der jetzt nicht den Bauch einzog und dessen feistes Frömmlergesicht, vorher weiß und bleich, von einem flammenden Rot übergossen wurde.

Wenn sie jedoch glaubten, sie würden auch diesmal, wie früher schon, mit einer Strafpredigt davonkommen und alles würde so weitergehen, so sahen sie sich getäuscht. Unser Herr König hatte beschlossen, die Übel mit harter Hand zu bekämpfen. Und nun begriff ich, warum ich zu dieser Versammlung befohlen war. Ich sollte mit harter Hand an seiner Stelle regieren!

Als Kommissare ad hoc, als Stellvertreter des Herrschers, sollten Königsboten in alle Teile des Reiches gesandt werden, um dort für Recht und Ordnung zu sorgen. Schon zu Zeiten seines Vaters und Vorgängers hätten sie viel dazu beigetragen, die Rechtssicherheit im Reich zu erhöhen. Immer ein Adliger und ein Mann der Kirche sollten gemeinsam reisen und per verbum nostrum et nostri nominis auctoritate (in Unserem Namen und mit Unserer Autorität) die stärksten Säulen repräsentieren, auf denen das Riesenreich ruhte. Was für eine Aufgabe, welche Verantwortung! Ich verbarg meine Freude, aber auch meine Furcht vor dem, was mir bevorstand.

Nun war ich natürlich gespannt darauf, in welches Gebiet oder welche Stadt ich als erster Königsbote einziehen würde. Dies war enttäuschend, denn während die meisten der Anwesenden, vor allem die höher Gestellten, in die schönsten Gegenden des Reichs geschickt wurden, ins sonnige Burgund oder ins liebliche Aquitanien, wurde mir Sachsen zugeteilt – das wilde, feindselige, gerade erst teilweise eroberte Sachsen auf der rechten Seite des Rheins. Dorthin also schickte der König mich und meinen Amtsgefährten Odo. Ich gebe allerdings zu, dass ich dieses missaticum trotzdem nicht ungern übernahm: Eine Gruppe von Mönchen, die missionieren wollte, war spurlos verschwunden, und es war unsere Aufgabe, uns an ihre Spur zu heften und sie, wenn sie noch am Leben waren, zu finden. Wir fanden nur noch einen, und der soll nun auch tot sein.

Seitdem haben wir mehrere Reisen als Königsboten gemacht, und nicht jede fand ein so trauriges Ende. Mit Glück und Geschick konnten wir Erbschleicher, Bluträcher, Brauträuber, Betrüger und Mörder auffinden und zur Rechenschaft ziehen. Wir gewannen allmählich einen guten Ruf, und schwierige Fälle wurden uns anvertraut. Zu denen gehört der, den ich Euch jetzt schildern will.

Werft einen kurzen Blick auf die Mitglieder unserer Gesandtschaft. Odo von Reims, meinen Amtsgefährten, kennt Ihr persönlich, ich muss ihn Euch nicht erst vorstellen. Wir sind Freunde und ergänzen uns gut. Obwohl wir beide ranggleich sind, überlasse ich ihm gern die Führung unseres Trupps, denn ich, ein vorsichtiger Gottesmann und Rechtsgelehrter, bin oft zu gehemmt, um in kritischer Lage kühne Entscheidungen zu treffen. Odo dagegen ist kein cunctator, kein solcher Zauderer wie jener römische Feldherr, er überlegt nie lange, tut gleich, was er für richtig hält, und wenn er dabei manchmal auch dem Topf den Boden ausschlägt, handelt er kraftvoll und macht aus dem, was ich manchmal mühsam und akribisch vorbereite, das große Feuerwerk. So war es auch diesmal.

Unser Schutztrupp ist in seiner gewohnten Besetzung hier oben auf der Eresburg: Der eigenwillige Rouhfaz, unser fadendünner, glatzköpfiger Schreiber, Wagenlenker und Diener; Helko, der junge Sachse, den wir vor sieben Jahren bei unserem ersten Einsatz in Sachsen aufnahmen und der sich ausgezeichnet bewährt hat; Fulk, ein oberfränkisches, schon älteres Raubein; dazu drei Kriegsknechte, die wir unsere »Recken« nennen. Ich werde sie Euch, sofern sie in meiner Geschichte eine Rolle spielen, noch einmal gesondert vorstellen. Gut beritten sind wir, vor allem Odo mit seinem edlen Grauschimmel Impetus, den er im Zuge unserer Ermittlungen um die Rache einer aquitanischen Dame namens Demetria erwerben konnte. Ich begnüge mich mit einem treuen Esel namens Grisel als Reittier.

Wir gehören leider zu den Ärmeren in unserem hohen Amt und sind nicht im Stande, als Königsboten auf eigene Kosten zu reisen, wie das z.B. die Herren Bischöfe können. Sie erhalten dann, wie ich oben anmerkte, auch die besseren Missionsgebiete zugeteilt, wo sie sich weiter bereichern. Wir beschwerten uns. Doch der Herr Kämmerer erwiderte nur: ‚Macht es wie alle, bedient euch selbst!‘ Aber wie denn – in diesem bettelarmen, ausgeplünderten Sachsen? Sollten wir – acht Männer, ich und Rouhfaz darunter in Kirchenämtern – ein sächsisches Dorf überfallen und ausrauben, statt die Bauern zum Christentum und zur Liebe und Achtung des Menschen zu erziehen? Sollen wir die Heiden bestrafen, ehe wir sie belehren, sollen wir sie – wie es leider geschieht – umbringen und ungetauft in die Hölle schicken, weil sie seit tausend Jahren zu ihren eigenen Göttern gebetet haben, zu einer Zeit schon, als unser Christengott noch lange nicht am Himmel erschienen war und zwischen den Wolken streng herabgeblickt hatte? Ihr seht, man verlangt die Quadratur des Kreises von uns.

Doch ich beklage mich nicht. Im Gegenteil, ich preise mein Glück. Denn bin ich nicht ein glücklicher Mensch, da ich hier unter freiem Himmel, unter der strahlenden Sonne auf der Eresburg, dem ehemaligen sächsischen Heiligtum, sitze und Recht spreche, statt in der dumpfen Bude unserer Aachener Hofkanzlei mit klammen Fingern und eiskalten Füßen Pergamente zu bekritzeln? Dieses Glück verdanke ich unserem König Karl, und wenn er auch oft ungerecht und grob ist und Unmut herausfordert, werde ich ihm dafür treu sein, treu bis zum Tode. (Ein bisschen verdanke ich es auch mir selbst, denn ich glaube, es gibt am fränkischen Hofe keinen besseren Kenner der fränkischen, also der salischen und ripuarischen Volksrechte.)

Vom sächsischen Volksrecht gibt es ja leider noch keine ordentliche Sammlung, obwohl wir es, wo wir das Land beherrschen, in der juristischen Praxis anwenden müssen. Ich nutze diese Reisen deshalb auch immer dazu, meine Kenntnisse zu vervollständigen. In unserem Wagen stauen sich die Kodizes und Pergamentrollen mit meinen Aufzeichnungen, die ich irgendwann ordnen und zu einer Lex Saxonum zusammenstellen werde. Dann hätte ich vielleicht sogar Aussicht, eines Tages selbst Kanzler zu werden und dem Hofgericht vorzusitzen. Und arm sein würde ich auch nicht mehr.

Das ist natürlich nur ein Traum, ist für einen Bauernsohn aus Oberfranken lächerliche Überhebung. Hier färbt auf mich Odos Anspruch ab, der noch höher zielt, viel höher. Ihr wisst vielleicht nicht, dass er sich (obwohl nur der vierte Sohn eines kleinen Burgherrn) für einen Abkommen des letzten Merowingers hält und sich nicht scheut, dies auch immer wieder hinauszuposaunen. Das heißt ja nichts anderes, als dass er den König, das Haupt der Karolinger, für einen Thronräuber hält. Immer wieder ermahne ich ihn, lieber den Mund zu halten, aber er hört nicht auf mich. Stattdessen verfolgt er die älteste Tochter des Königs, das edle Fräulein Rotrud, und hofft auf eine Heirat, die ihn legal auf den Thron bringen könnte.

Doch ich will Euch nicht noch ausführlicher mit unseren persönlichen Angelegenheiten belästigen, die eigentlich nicht zum Thema gehören. Ihr sollt aber wissen, dass Ihr es mit Leuten zu tun habt, die Euch nicht phantasiae liefern werden, phantastisch ausgesponnenes Zeug, weil sie zu faul sind, sich gründlich kundig zu machen, und hinschreiben, was ihnen in ihren verwirrten Hirnen gerade so einfällt.

An jenem Abend, mit dem ich beginnen will, saßen wir auf der Eresburg, blickten hinunter auf die schäumende Diemel, dann wieder hinauf zum bewölkten Himmel, tranken das fade Sachsenbier, zählten die Blätter, die über uns von den Zweigen der Linde herabhingen, langweilten uns und redeten einmal mehr dasselbe wie schon an den vorausgegangenen Abenden. Aus dem Klostergebäude hinter uns, das erst halb fertig war, ertönte kein Laut. Gerüste umgaben es, die Mönche, die künftig hier leben und wachen sollten, waren noch nicht eingezogen.

Wer saß mit uns am Tisch, unter der breitästigen Linde? Neben dem militärisch straffen, sehr von sich eingenommenen Hundertschaftsführer Ragnovald der Pfalzgraf Wandelen, ein mürrischer, wortkarger, in sich gekehrter Graubart, der alle Sachsenkriege mitgemacht hatte. Zuletzt war ihm in der Schlacht am Süntel vor vier Jahren ein Fuß abgehauen worden, so dass er an Krücken gehen musste.