Heilige Drachen Band II - Gerhardt Staufenbiel - E-Book

Heilige Drachen Band II E-Book

Gerhardt Staufenbiel

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Beschreibung

Ein Wanderung durch die alten Religionen in Korea und Japan vom Schamanismus und esoterischen Buddhismus bis zum Zen mit dem Schwerpunkt auf die Mythologie der glückbringenden Drachen. Überlieferung, Volksglaube und Buddhismus gesehen aus alten Schriften und persönlichen Begegnungen.

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Heilige Drachen II

Drachen in Korea und Japan

von

Gerhardt Staufenbiel

© 2022 Gerhardt Staufenbiel

ISBN Softcover: 978-3-347-77991-4

ISBN Hardcover: 978-3-347-77992-1

ISBN E-Book: 978-3-347-77993-8

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

HEILIGE DRACHEN II

Drachen in Korea und Japan

Gerhardt Staufenbiel

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Korea und Japan

Drachen in Korea

2. Drachen in Korea

2.1 Drachen-Trommeln

2.2 Drachen am Haeinsa – Tempel

2.3 Kegon Sutra

2.4 Tripitaka Koreana

2.5 Uisang und Wonyho’s Reise nach China

2.5.1 Wonhyo

2.5.2 Erwachen im Höhlengrab

2.5.3 Wonhyo und der Drachenkönig

2.5.4 Der Drachenkönig und das Sutra

2.6 Drachen im Tongdosa

2.7 Tempel ohne Buddha

2.7.1 Drachen am Tongdosa

2.7.2 Die Einsiedeleien

2.8 König Munmu und die Drachenflöte

Japan

3. Religion in Japan

4. Myōe Shōnin

4.0.1 Das Leben – ein Traum

4.0.2 Myōe Shōnin und der Mond

4.0.3 Myōe Shonin und die Drachen – Kasuga

5. Drachen im Kojiki

5.1 Susano und die achtgabelige Schlange

5.2 O-Kuni-Nushi

5.3 Der weiße Hase von Inaba

5.4 Der Palast des Drachenkönigs

5.4.1 Abstieg vom Himmel: Ninigi

5.4.2 Berg-Glück und Meeres-Glück

5.4.3 Der Palast auf dem Meeresgrund

6. Der esoterische Buddhismus in Japan

6.1 Tendai und Shingon

6.2 Kūkai - Kōbō Daishi

6.3 Mantram

6.4 Aji-Kan

6.4.1 Mudrā

7. Tendai und das Lotos Sutra

7.1 Die Tochter des Drachenkönigs Sagara

8. Tendai Buddhismus und Drachen

8.1 Tendai Buddhismus in Japan - Saicho

8.2 Der Priester Ryogen als Drachenkönig

8.3 Die Perle der Wunscherfüllung

8.3.1 Die Perle des Drachenkönigs

8.3.2 Die Perle und die Wünsche

8.3.3 Ruyi-Würdezeichen des Abtes als Perle

8.3.4 Exkurs: Das Kōan KAN

9. Shingon und die Drachen

9.1 Kūkais Reise nach China

9.1.1 Der Drache auf dem Kōyasan

9.2 Die Drachkönigin Zennyo Ryūō

9.3 Drachengöttin am Daigoji

9.4 Kiyomizu Dera und der Drache

9.5 Drachenleuchten

9.6 Fudō Myōō

9.7 Die Yamabushi und En no Gyoja

9.8 Dōgen Zenji

10. Ryūgin – Gesang der Drachen

11. ANHANG

11.1 Der Dichter Sang-Byeon Chung

11.2 Wege des Wanderes

11.3 Literaturverzeichnis

11.4 Danksagung.

Drachen in den fünf Farben

Diejenigen Wesen, welche im Dunkel verborgen leben oder sterben können sind: Die Schafgarbe, die Schildkröte und die Drachen.

Der Drache im Wasser verbirgt sich durch die fünf Farben. Deshalb ist er göttlich (shen神).

Wenn er klein sein möchte, nimmt er die Gestalt eines Seidenwurms an. Wenn er groß sein möchte, verbirgt er sich in der gesamten Welt.

Wenn er zu erscheinen wünscht, streicht er durch die Wolken, wenn er verschwinden möchte, verbirgt er sich in tiefen Brunnen.

Er, dessen Erscheinungen nicht durch die Tage begrenzt ist, und dessen Erscheinen oder Verschwinden nicht durch die Zeit beschränkt wird, wird ein Gott (shen 神) genannt.

Aus dem Guan Zhong Zi

Drachen verbergen sich in den fünf Farben der fünf Elemente. So sind sie überall und Alles. Aber nur wer sie mit dem Herzen sieht, kann sie erkennen. Für alle Anderen sind es einfach Berge und Täler, Bäche und Felsen, Bäume und Gräser, Tiere und Menschen.

Nirgendwo sind Drachen zu sehen, aber sie sind überall!

Guan Zhong lebte um 650 vor unserer Zeit in China.

Er war Kanzler und enger Berater des Herzogs von Qi.

Er war nicht nur ein hochrangiger Politiker,

sondern auch ein Daoistischer Denker.

Politisches Handeln und besinnliches Leben waren für ihn eine Einheit.

Gesang der Drachen

Draußen vor dem Fenster liegt dichter Nebel. Alles versinkt im undurchdringlichen Grau des Herbstabends. Auch die Kirche ist im Grau verschwunden. Kein Laut dringt herauf vom kleinen Dorf im Tal.

Die Welt ist still geworden und hält den Atem an.

Der goldene Wind hat schon längst die bunten Blätter zu Boden geweht. Drunten war der Grund herbstlich leuchtend aufgeblüht, aber nun sind alle Farben verschwunden.

Droben am Waldrand liegt nun weißer Raureif auf den Wiesen. Kahl und dürr ragen die Zweige der Bäume in den verhangenen Himmel. Scheinbar ist alles Leben geschwunden und die Welt versinkt schweigend und still im farblosen Grau. Aber dies ist die Zeit, in der man die Drachen singen hören kann.

Ein Mönch fragte den Meister:

„Was ist der wahre WEG?“

„In einem kahlen Baum singt ein Drache!“

Sie singen zwar immer, aber der Lärm des Alltags übertönt ihren Gesang und der bunte Sturm der Blüten verbirgt die Drachen im rauschhaften Frühling und Sommer.

Ein Mönch fragte seinen Meister:

»Ich wundere mich, ob es auch nur einen Menschen gibt, der das Singen des Drachen hören kann!«

Der Meister antwortete:

»Auf der ganzen Erde gibt es niemanden, der es nicht hört!«

»Was ist das Singen des Drachen in einem kahlen Baum?«

»Das Blut des Lebens versiegt niemals!«

Einleitung

1. Korea und Japan

Im ersten Band über die ‚Heiligen Drachen‘1 wurden die Drachen in der Alten Welt, in Indien und China betrachtet. In diesem Buch konzentrieren wir uns auf die Geschichten von Drachen in Korea und Japan. Man kann unmöglich über koreanische oder japanische Drachen sprechen, ohne die chinesischen Ursprünge zu kennen. Und Korea war der Vermittler der chinesischen Kultur nach Japan. Später haben dann japanische Mönche China besucht, aber die chinesische Kultur kam zunächst von Korea aus nach Japan.

Die meisten westlichen Menschen haben kaum eine Vorstellung von Korea. Wir haben höchsten vom Korea-Krieg gehört, aber das ist auch schon lange her. Dann gibt es dort in Nordkorea einen dicklichen Diktator, der Raketen starten lässt und mit Atomwaffen spielt. Damit ist unser Wissen über Korea in der Regel schon zu Ende.

Auch die Wissenschaft hat Korea und die koreanische Kultur bei weitem nicht so untersucht wie die japanische Kultur. Deutschland hatte schon seit langem ein besonderes Verhältnis zu den Japanern, den ‚Preußen Ostasiens‘. Aber Korea kam im deutschen Bewusstsein kaum vor.

Deshalb wird in diesem Buch nicht nur von den Drachen in Korea die Rede sein. Erlebnisse von Reisen durch Südkorea und Begegnungen mit Mönchen, Schamanen und Literaten lassen Südkorea und seine Kultur lebendig werden. Es gibt in Korea durchaus auch eine starke christliche Bewegung. Es gibt sogar mehr Christen als Buddhisten in Korea. Aber in diesem Buch wird vom viel älteren Buddhismus und vom ursprünglichen Schamanismus berichtet, denn das Thema sind die Drachen in Korea. Drachen aber kamen durch den Buddhismus aus China nach Korea und auch nach Japan.

In Korea gibt es weitaus ältere buddhistische Tempel als in Japan. Manche der alten Buddha-Figuren erinnern noch sehr stark an die hellenistischen Vorbilder.

Auf der Karte des alten Korea erkennt man die geografische Lage von China, Japan und Korea im Mittelalter. Korea im Zentrum der Karte wird gebildet durch die „Drei Königreiche“ Goguryeo im Norden, Baekje und Silla im Süden. Das Gebiet von Gaya wurde Teil des Königreiches Silla. Im späteren Verlauf der Geschichte wurden die drei koreanischen Königreiche zum Vereinigten Königreich Silla zusammengefügt. Die restliche große Landmasse ist China, das direkt an Korea angrenzt.

Bild 1 China - Korea - Japan

Das Reich WA im Südosten ist das alte Japan mit der südlichen Insel Kyūshū und dem lang gestreckten Zentral-Honshū im Nordosten, das nur noch zum Teil auf der Karte zu sehen ist. Der Name WA, der wörtlich „Harmonie“ bedeutet, stammt aus einem Schreiben eines chinesischen Kaisers an den Herrscher von Japan. Der Herrscher des Landes Yamato - die alte einheimische Bezeichnung für Japan, deren Bedeutung wir heute nicht mehr kennen, weil es aus einer alten Sprachschicht stammt - hatte gehört, dass es weit im Westen eine Provinz gab, die noch keinen Tribut an ihn zahlte. Also forderte er den chinesischen Herrscher zur Tributzahlung auf. Der war recht verdutzt darüber, dass es offenbar so weit im Osten im Meer noch ein Land gab. Er stellte nun seinerseits fest, dass dieses Land keinen Tribut an ihn zahlte, obwohl es doch offenbar wesentlich kleiner war als China. Also forderte er den Herrscher von Yamato auf, sich zu unterwerfen und seinerseits Tribut an China zu zahlen.

In seiner Botschaft an das Land Yamato benutzte er das Schriftzeichen 和 - Wa, Harmonie, um das Land zu benennen. Das führt nun zu der vollkommen irritierenden Situation, dass dieses Schriftzeichen als Wort für Harmonie als „WA“ ausgesprochen wird. Wenn es aber das Gebiet um die alte japanische Hauptstadt Nara bezeichnet, muss es als „Yamato“ gelesen werden. Da soll sich nun noch einer auskennen! Das ist ja fast so wie in München, wo an dem berühmten Platz ein Schild mit dem Namen Karlsplatz steht, aber das wird in München immer als Stachus ausgesprochen.

In Yamato realisierte man nun allmählich, dass China so groß war, dass man sich besser nicht mit dessen Herrscher anlegen sollte. So behandelte man das Problem auf typisch japanische Art: Einfach Schweigen über die Angelegenheit breiten. Dann erledigt sich alles von selbst! Schließlich lag das Inselland Japan fast unerreichbar weit entfernt im Osten, im Bereich der ‚aufgehenden Sonne‘ oder der ‚Wurzel der Sonne‘ Ni-hon oder Ji-pon oder modern in westlichen Sprachen - Japan.

Das nördliche Goguryeo - zum Teil das heutige Nordkorea - erstreckte sich bis weit in Gebiete des heutigen China hinein. Korea bildet also eine ganz natürliche Brücke zwischen China und Japan. Das wurde mir einmal ganz klar, als ich an der Küste in Südkorea stand, südlich der Stadt Pusan, auf der Karte im Gebiet von Gaya. Man hat geradezu das Gefühl, als ob man fast zu Fuß von Insel zu Insel wandern könnte, um nach Japan zu gelangen. Mit dem Schnellboot ist man kaum eine Stunde bis Japan unterwegs.

Später versuchten japanische Mönche, ohne den Umweg über Korea direkt nach China zu gelangen. Aber das war eine weite und gefährliche Überfahrt, wenn man es nicht vorzog, an der koreanischen Küste entlang zu fahren. Die Nordroute nach China wurde deshalb nie versucht, weil der Norden Japans nur sehr dünn besiedelt war und das Nordmeer viel zu gefährlich für Überfahrten ist. Außerdem kam man dann so weit nördlich auf das Festland, dass man schon in Sibirien landete. Auch auf der Südroute, bei der man Korea umschiffen musste, war das Meer sehr oft stürmisch und nur wenige der Schiffe erreichten schließlich China.

Um das Jahr achthundert versuchte der japanische Mönch Ennin1 mit einer offiziellen Gesandtschaft in das China der Tang-Zeit zu gelangen, um dort den Buddhismus zu studieren. In seinem Tagebuch der Reise schildert er die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten.2 Von vier Schiffen kamen nur zwei bis zur chinesischen Küste. Das Schiff mit dem Gesandten des Tennō wurde abgetrieben und zerschellte schließlich am Ufer. Das Schiff Ennins lief auf Felsen und wurde langsam von der Brandung zerstört. Mit Mühe gelang es der Besatzung, das Land zu erreichen. Er konnte nicht chinesisch sprechen, aber er beherrschte die chinesische Schrift. So unterhielt er sich ‚mit dem Pinsel‘. Das heißt, dass beide Parteien ihre Fragen und Antworten mit dem Pinsel schrieben, ohne dass sie jeweils die andere Sprache sprechen konnten. Ennin musste sich meistens als Koreaner ausgeben, denn die Chinesen hielten es einfach nicht für möglich, dass jenseits des Meeres weiter östlich von Korea noch ein Land existieren sollte. Für sie war das Ostmeer unendlich weit und ohne Grenze. Ennin traf viele Koreaner, die seit Jahrzehnten in China lebten, denn das koreanische Reich Silla stand unter starkem Einfluss der Tang. Zeitweise wurden auch heftige Kriege geführt und Silla versuchte, unabhängig vom chinesischen Tang-Reich zu werden. Manche der Koreaner, die Ennin in China traf, beherrschten nicht nur die chinesische, sondern auch die japanische Sprache und konnten als Übersetzer helfen. So war Korea in der frühen Zeit immer die Brücke zwischen China und Japan.

Ennin blieb achtzehn Jahre in China und brachte schließlich viele Schriften und neue Ideen des chinesischen Buddhismus direkt nach Japan ohne den Einfluss Koreas mit.

Das Königreich Silla, das schon 57 v. Chr. gegründet wurde, existierte als eigenständiges Reich bis ins Jahr 935, als Silla ein Teil des Reiches Goguryeo wurde. Silla hatte einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der japanischen Kultur. Zum Teil war die herrschende Klasse durch verwandtschaftliche Verhältnisse mit Korea verbunden. Ganz besonders der frühe Buddhismus kam aus Silla nach Japan. So soll der Überlieferung nach der koreanische Mönch Sim - Sang den Kegon - Buddhismus nach Japan gebracht haben, der sich auf das Kegon-Sutra oder Blumengirlanden-Sutra stützt.

Vermutlich hat der japanische Tennō Shōmu (701 - 756) eine Statue des Vairocana-Buddha, von dem im Kegon-Sutra die Rede ist, in einem Tempel in der Region von Osaka gesehen, die vorwiegend von koreanischen Einwanderern bewohnt war. Der Vairocana Buddha wurde also eigentlich nicht von den einheimischen Japanern, sondern von den Koreanern in Japan verehrt.

Diese Statue gefiel dem Tennō so sehr, dass er beschloss, den Kegon Buddhismus zur japanischen Staatsreligion zu machen und einen riesigen Vairocana Buddha errichten zu lassen. Der Vairocana Buddha - der ‚alles erleuchtende‘ - hieß fortan in Japan Dai-nichi-Nyorei, der ‚ehrwürdige große Sonne Buddha‘. So wurde er zu einem Japaner im Land der ‚Wurzel der Sonne‘ in Ni-hon 日本. Der Kegon Buddhismus war offenbar schon längst in Japan angekommen, bevor er offiziell eingeführt wurde. Aber manchmal braucht man eine große Gestalt, die eine wichtige Tat vollbringt, damit die Ereignisse im Bewusstsein der Allgemeinheit ankommen. Es ist wenig spektakulär, wenn kleine Leute - wie Handwerker oder Kaufleute - ihre Religion in ein fremdes Land bringen.

Der Vairocana Buddha ist keine wirkliche historische Gestalt, sondern die Verkörperung des Prinzips „Eins Alles - Alles Eins“. Er strahlt mit seinem hellen Licht in allen Sphären des gesamten Kosmos und wird deshalb auch mit der Sonne verglichen. Kein Wunder also, dass Shōmu Tennō diesen Sonnen-Buddha als Symbol des Landes der aufgehenden Sonne sah. Shōmu Tennō ließ dann in Nara den Tōdaiji Tempel - den großen Tempel des Ostens – bauen und eine riesige Statue des Vairocana aus Bronze gießen, die eine absolute Herausforderung an das technische Können der damaligen Zeit war. Ja, bis heute kann man noch nicht nachvollziehen, wie diese gewaltige Statue gegossen worden ist. Der Bau des Großen Buddha ruinierte die Staatskassen völlig, aber zur Einweihung kamen Abordnungen aus der ganzen buddhistischen Welt von Persien über Indien und aus der gesamten Seidenstraße und brachten ihre Ideen und Kulturgüter mit nach Japan.

Die Schätze aus dem Westen wurden in einem eigens errichteten Schatzhaus aufbewahrt. Noch heute werden sie im Herbst für einige Zeit in Nara ausgestellt und ungeheure Menschenmassen drängen sich, sie zu sehen. Aber es sind so viele Schätze, dass sie nur im Turnus von 12 Jahren gezeigt werden.

So wurde der indische Vairocana über die Vermittlung Koreas zum Dainichi – Kyorei und geradezu zum Symbol für Japan.

Bild 2 Kūkai auf der Überfahrt nach China

1 Heilige Drachen, Bd. 1; Alte Welt – Indien – China

1 Ennin (japanisch 圓仁 / 円仁; geboren um 794, gestorben 864)

2 Übersetzung des Tagebuches mit ausführlichen Anmerkungen: Edwin O. Reischauer: Ennin’s Diary. The Record of a Pilgrimage to China in Search of the Law. Nachdruck 2020

Drachen in Korea

2. Drachen in Korea

Im ersten Band über die ‚heiligen Drachen‘ war die Rede von Drachen in der Alten Welt, in Indien und im letzten Teil ausführlich über die Drachen in China. Im chinesischen Denken erscheinen Drachen bereits in der ältesten Frühzeit. Sie sind tief in der chinesischen Kultur verankert. Im Daoismus und in der chinesischen Medizin verkörpern sie die Lebenskraft des Menschen. Es war das Ideal des weisen Menschen, selbst zu einem Drachen zu werden. In der chinesischen Schrift des Zhuangzi wird erzählt, wie Konfuzius den alten Weisen Laotse besuchte. Zurückgekehrt erzählt er seinen Schülern, dass er einen wahren Drachen gesehen hatte. Als sein Schüler ebenfalls den Laotse besucht, sieht er nur einen alten Mann, der sich gerade die Haare gewaschen hat, der mit wirren Haaren am Boden hockt und über Schmerzen in seinen Gliedern klagt. Drachen sehen eben nicht immer so aus, wie man sich Drachen gemeinhin vorstellt.1

Als wir vor einigen Jahren von chinesischen Zenmönchen als Gäste durch die Zentempel Südchinas geführt wurden, waren überall Drachendarstellungen zu sehen. Nicht nur in den Tempeln, auch in den Dörfern waren Tore über die Wege gespannt, auf denen zwei Drachen und die Perle kämpfen. Auf meine Frage, was denn diese Drachen bedeuten, zuckten die Mönche nur die Schultern. „Das sind irgendwelche Fabelwesen ohne Bedeutung!“ Ich war ein wenig überrascht, denn im Gepäck hatte ich mein Buch „Heilige Drachen Bd 1“ mit ausführlichen Darstellungen der Drachen in China. Leider ist das Buch nur in deutscher Sprache, sodass die Mönche es nicht lesen konnten. Das alte Wissen um die tiefe Bedeutung der Drachen ist offenbar – wenigsten bei den Zenmönchen – während der Kulturrevolution völlig verloren gegangen. Immer wieder in der chinesischen Geschichte wurden die alten Traditionen und das alte Wissen zerstört, wenn eine neue Dynastie an die Macht kam. So handelte Mao mit seiner Kulturrevolution in alter Tradition. Die daoistischen Weisen Chinas dagegen zogen sich in die Einsamkeit zurück und gaben die alten Traditionen im Verborgenen ungebrochen weiter. Aber sie sind vorsichtig mit der Weitergabe ihres Wissens. Es könnte sein, dass sich wieder einmal die politische Richtung ändert und sie verfolgt würden. Also bleiben sie lieber eher im Verborgenen.

Bei unseren Reisen durch Korea sind uns ebenfalls die Drachen auf Schritt und Tritt begegnet.1 Schon die offizielle Flagge Südkoreas hat - wenn auch nur für Kenner sichtbar – eine Beziehung zu Drachen. Der Hintergrund der Flagge ist weiß und steht für die Reinheit. Häufig tragen Koreaner weiße Kleidung, um die Reinheit zu symbolisieren.

In der Mitte ist liegend das Yin – Yang Symbol dargestellt. Das rote Yang liegt oben, das blaue Yin - oder koreanisch Eum - liegt unten. In den diagonalen Ecken sind die vier Haupt-Trigramme des chinesischen Bagua dargestellt, der Grundlage des I Ging.2 Links oben der Himmel , in der Diagonale gegenüber die Erde . Rechts oben steht das Zeichen für Wasser und diagonal gegenüber ist das Feuer . Das ursprüngliche Bagua,1 das den Menschen von dem Drachenpferd aus dem Gelben Fluss offenbart worden war, besteht aus acht Zeichen. Es gibt die Einteilung des ‚frühen Himmels‘ , die zur Grundlage der koreanischen Flagge diente. Es zeigt die Ordnung der Welt, bevor der Mensch in die natürliche Ordnung eingreift und die ursprüngliche Ordnung der Dinge stört. Dort steht der Himmel oben und die Erde unten. In der Horizontalen sind rechts das Wasser und links das Feuer. Das ist die ‚natürliche‘ Ordnung am Beginn der Schöpfung. Der Himmel – entsprechend in der Menschenwelt der Herrscher - steht oben, die Erde – oder das Volk – steht unten. Das Wasser strebt nach unten, das Feuer nach oben. Damit entsteht eine gewisse kreisende Spannung, denn Wasser und Feuer in der Horizontalen erzeugen eine Drehrichtung im Uhrzeigersinn, die aber durch die stabil stehenden Himmel und Erde wieder aufgehoben ist. Die Anordnung in der koreanischen Flagge wirkt der Rechtsdrehung entgegen, denn der Himmel neigt sich nach links unten, aber er gehört nach oben. Damit wird gezeigt, dass es das Ideal des Landes ist, ein Gleichgewicht der Kräfte im gesamten Kosmos anzustreben. Der Herrscher neigt sich dem Volk zu und das Volk strebt empor nach oben, aber in Harmonie mit dem Herrscher.

Südkorea ist ein Land zwischen den Welten geworden. Die neuen Städte, die nach den Zerstörungen der Kriege, zuletzt nach dem unerbittlichen Koreakrieg wieder neu aufgebaut wurden, sind ein Musterbeispiel der modernen Architektur. Aber direkt neben den Hochhäusern und Glaspalästen sind noch ganze Stadtviertel etwa in Seoul erhalten mit einer Vielzahl der traditionellen Hanok, der Häuser, wie sie während der Joseon-Dynastie üblich waren. Dort finden sich viele Wandmalereien, Metallarbeiten oder Keramiken mit Drachenmotiven. Auf der einen Seite ist Korea ein Hightech-Land geworden. Internet ist selbst in den entlegensten Winkeln des Landes mit enormer Geschwindigkeit vorhanden. In den Schulen, die wir besucht haben, waren schon längst alle Schulkinder mit Computern versorgt, als man in Deutschland noch darüber nachdachte, ob man einzelnen Lehrer nicht einen PC zur Verfügung stellen sollte. Selbstverständlich waren in den Lehrerzimmern alle Lehrkräfte mit PC und Internetanschluss versorgt. Immer wieder hatten wir das Gefühl, dass wir in Deutschland fast noch in der datentechnischen Steinzeit leben.

Aber auf der anderen Seite ist Korea tief im Inneren noch mit den alten Traditionen verbunden. Uns wurde erklärt, dass Korea über eine hervorragende medizinische Versorgung verfügt. Aber wenn man ernsthaft krank wird, geht man lieber zum Schamanen oder der Schamanin, den Mu. Aber auch das Verhältnis zu den Mu ist gespalten. Lange Zeit wurde der Muismus offiziell eher unterdrückt und an den Rand der Gesellschaft geschoben. Die Mu wurden auf die Dörfer abgedrängt und lebten am Rande der Ortschaften in Tempeln, die Himmel-Sohn-Tempel heißen. Schließlich sagt der Mythos, dass der Schamane Dangun Wanggeom im Jahr 2333 v.u.Z das erste koreanische Reich gründete und als König herrschte. Der Muismus reicht also - mindestens in den Mythen - bis in die Anfänge Koreas zurück.

Bei einer Reise brachte uns der Gastgeber in ein abgelegenes Dorf in den Bergen. Dort war ein Tempel, in dem eine alte Schamanin lebte. Den ganzen Tag über wurde gefeiert. Am Vormittag waren buddhistische Mönche dort und rezitierten das Herzsutra Maha-banya-paramida-simgyeong, das die Japaner als Maka-hannya Shin-gyo nennen. Nach den Zeremonien hatten die Dorfbewohner ein üppiges Essen für alle Gäste und Teilnehmer des Festes vorbereitet. Wir wurden außerordentlich freundlich aufgenommen und aufgefordert, weiter mit zu feiern, weil ja nur selten Fremde ins Dorf kommen. Auch die Mönche forderten uns auf, zum Fest zu bleiben. Ungeheure Menschenmassen strömten allmählich herbei. Aber plötzlich hatte es unser Gastgeber sehr eilig und wir mussten weiter fahren, weil nun das Fest vorbei sei. Als wir fast zwei Autostunden entfernt waren, sagte er, dass nun das eigentliche schamanische Fest begonnen hatte. Ich bat ihn, dass wir wieder zurückfahren sollten, weil ich sehr interessiert an diesem Fest war. Aber mit ein paar fadenscheinigen Ausreden wurde unsere Teilnahme an dem Fest verhindert. Bei solchen schamanischen Festen wird viel Alkohol getrunken und in lockerer bis frivoler Atmosphäre gefeiert. Unserem Gastgeber war es sichtlich peinlich, uns ein solches Fest erleben zu lassen. Der Schamanismus scheint tief in der Bevölkerung verwurzelt, aber die gehobenere Gesellschaftsschicht schämt sich für diesen „primitiven Aberglauben“.

2.1 Drachen-Trommeln

In der Hauptstadt Seoul gibt es ein Viertel mit den alten traditionellen Hanok-Häusern, das Bukchon Hanok Village. Dort fanden wir öfter auch Darstellungen von Drachen als Wandmalerei an einer Mauer aus Lehmziegeln. In chinesischer Manier steigt der Drache inmitten von (fünf-)farbigen Wolken aus dem Wasser auf zum Himmel.1 Er versucht, die flammende Perle zu ergreifen. Unten im Wasser versucht ein springender Karpfen ebenfalls die Perle zu erhaschen. In China sagt man, dass die Karpfen aus dem gelben Meer zum Laichen zurück in den Ursprung an die Quellen des Gelben Flusses ziehen. Dabei müssen sie viele Hindernisse überwinden. Der Karpfen, der das schafft, wandelt sich zum Drachen. Wenn ein Beamter die Prüfungen für den Dienst am Kaiserhof bestanden hatte, sagte man, dass sich der Karpfen in einen Drachen verwandelt hat.

Am alten königlichen Palast Deoksugung kann man heute wieder das farbenprächtige Ritual des Wachwechsels beobachten. Das Ritual wurde aus der Zeit der Joseon Dynastie von 1392 bis zum Ende des Kaiserreichs Korea im Jahr 1910 durchgeführt. Danach war Korea bis 1945 eine japanische Kolonie und die alten Traditionen wurden verboten. Erst nach der Kapitulation Japans 1945 war Korea wieder ein eigenständiger Staat.

Bei neueren historischen Forschungen wurden Dokumente entdeckt, in denen die alte Zeremonie der Wachablösung genau beschrieben ist. Die prächtigen Farben der einzelnen Abteilungen von Blau über Rot bis hin zu einem leuchtenden Gelb sind alle nach den Regeln des Yi Jing geordnet. Auch im alten Japan gab es ein eigenes Hofamt, in dem die genauen Regeln der Farben und Aufstellungen nach dem jeweiligen Hofrang nach den Yi Jing geordnet waren.

Eine bedeutende Rolle bei dem Hofritual am Deoksugung spielt die große, bunt bemalte Trommel, die auf einem fahrbaren Untergestell montiert ist. Auf der Seite ringelt sich ein gemalter riesiger Drache um den gesamten Trommelkörper. Er ist umgeben von fünffarbigen Wolken und vor ihm schwebt die feurige Perle. In der chinesischen Schrift Guan Zhong Ji1 heißt es:

Der Drache im Wasser verbirgt sich durch die fünf Farben. Deshalb ist er göttlich (shen 神). Wenn er klein sein möchte, nimmt er die Gestalt eines Seidenwurms an.

Bild 3 Drachen in Seoul

Bild 4 Drachentrommel

Wenn er groß sein möchte, verbirgt er sich in der gesamten Welt.

Wenn er zu erscheinen wünscht, streicht er durch die Wolken, wenn er verschwinden möchte, verbirgt er sich in tiefen Brunnen.

Bild 5 Drachentrommel im Tempel

Die fünf Farben, in denen sich der Drache verbirgt, sind die fünf Farben des Kosmos, die Farbe von Erde und Himmel, Feuer und Wasser und von Metall, die Farben der den fünf Elementen.

Wenn der Drache aus den Tiefen des Wassers aufsteigt zum Himmel, dann bilden sich Wolken, es regnet und es kann Gewitter geben. Deshalb ist der Wolkendrache einerseits segenbringend und andererseits hat er zerstörerische Kräfte. Der dröhnende Klang der Trommel ist die Stimme des Drachen. Sie tönt wie der Donner mitten im Gewitter. Er bringt sogar die Erde zum Beben.

2.2 Drachen am Haeinsa – Tempel

Der Klang der großen Trommel ist die Stimme der Drachen. So intensiv wie bei unserem Besuch des Haeinsa - Tempels habe ich die Stimme des Drachen zu keiner anderen Gelegenheit erlebt. Es war eines der Erlebnisse, die man niemals mehr vergessen kann.

Bild 6 Drache auf dem Tempeldach des Haeinsa

Der Tempel liegt inmitten einer dramatischen Landschaft, tief in den Bergen. Ringsherum dichte Wälder. Wilde Bäche rauschen in den Schluchten und überall stürzen kleine Wasserfälle in die Tiefe. Bevor man das Tempeltor erreicht, stehen dort einige, wohl tausend Jahre alte Bäume. Wir waren in recht komfortablen Zimmern in einem Seitengebäude untergebracht. Jeder hatte ein Einzelzimmer mit der traditionellen Bodenheizung der koreanischen Häuser.

In einer Vollmondnacht jagte der Wind die Wolken über den Himmel. Überirdisch strahlend stand der klare Mond am Himmel, unbeeindruckt von den jagenden Wolken. Nachts um drei Uhr begann dann die Erweckungszeremonie mit der riesigen Drachentrommel.

Bild 7 Tempelglocke Museum Seoul

Dies ist die Tageszeit, in der alle Lebewesen schlafen. So ist es wichtig, sie aufzuwecken aus ihrem Schlaf und die Botschaft Buddhas zu verkünden. Ein Mönch – unser Betreuer – schlug die riesige Trommel mit mehr als zwei Metern Durchmesser. Sie ist an der Seite mit einem Drachen bemalt, der sich rund um die Trommel windet. Sie hängt an mächtigen Ketten in einem speziellen Gebäude. Die Trommel ist derart groß, dass es in ganz Korea kein Rind gab, das ausreichend große Haut für das Trommelfell lieferte. Diese Rinderhaut wurde eigens in Neuseeland bestellt.

Auf der einen Seite kommt das Trommelfell von einem männlichen Stier. Auf der anderen Seite, die nicht geschlagen wird, aber die nötige Resonanz liefert, stammt das Fell von einem weiblichen Tier. Damit sind Yin und Yang ausgeglichen und die Wesen in ihrer Diversität sind alle vertreten.

Neben der Trommel gibt es noch eine große Tempelglocke, die ebenfalls die Stimme des Drachen ist. Sie wird, wie auch die Tempelglocken in China und Japan mit einem seitlich aufgehängten Baumstamm angeschlagen.

In Korea ist das Gebälk zur Aufhängung der Glocken mit himmlischen Wesen bemalt, die auf vielfarbigen Wolken schweben. So füllt der Klang der Glocke den gesamten Raum zwischen Himmel und Erde.

Koreanische Tempelglocken unterscheiden sich von den chinesischen und den japanischen Glocken in einem wesentlichen Punkt. Oben, neben der Aufhängung, hat die Glocke ein Rohr wie ein Kamin, durch den die Luft aus dem Inneren der Glocke entweichen kann. Wird eine japanische oder chinesische Tempelglocke angeschlagen, so herrscht in der Mitte des Glockeninneren vollkommene Stille. Die Schwingungen von der Glockenwandung treffen in der Mitte gegenphasig aufeinander und löschen sich aus. Wenn man im Zentrum der Tempelglocke steht, ist es, als befände man sich im Auge des Taifuns – es ist völlig still. So dringt der Klang der Glocke nur nach außen. Aber im Inneren bilden sich Druckwellen, die sich durch den Kamin der koreanischen Glocken abbauen können. Dadurch haben die koreanischen Glocken einen volleren und länger andauernden Klang.

Bild 8 Drachentrommel am Haeinsa

Bild 9 Holzfisch und Glocke am Haeinsa

Bild 10 Mönch schlägt den Mogeo

Außerdem hängt dort ein riesiger Holzfisch Mogeo木魚, der an der Unterseite offen ist. Im Maul hält er die Perle, wie auch der Drache, der die Perle in seinen Klauen hält. Die Perle ist die Lebensenergie, die pulsiert und sich bei einem Gewitter in der Form von Blitzen entlädt. Aber es ist auch die Lebensenergie, die in allen Lebewesen pulsiert. Damit ist klar, dass dieser Fisch eigentlich ebenfalls ein Drache ist. Es ist der Karpfen, der gegen den Strom zurück zum Ursprung schwimmt, um dort zu laichen. Wenn er alle Widerstände überwunden hat, wird er ebenfalls zum Drachen.1

In der Bauch-Höhlung wird der Holz-Fisch mit Trommelstöcken geschlagen. Die Schlegel wirbeln im Bauch des Fisches und erzeugen einen harten, trockenen Klang. Als Letztes hängt dort ein großer Bronzegong in der Form von Wolken. Sein heller Klang bildet den Kontrast zu den eher tiefen Tönen der anderen Instrumente. So sind in den Klängen die Gegensätze Yin und Yang enthalten und alle Wesen aus dem Wasser und zwischen Himmel und Erde können können es hören und erwachen aus dem Schlaf.

Neben der Trommel ist ein altes chinesisches Gedicht mit eingravierten Zeichen geschrieben:

….

„Möge der Klang der Glocke alle Wesen unter dem Himmel erwecken!“

Alle diese Instrumente haben die Aufgabe, die Wesen im Rund der Welt, in den Tiefen des Wassers und in der Luft unter dem Himmel wach zurufen. Dann wird im Tempel mit den Gesängen der Mönche die Botschaft Buddhas verkündet, dass alles Wesen Buddha werden können. Dieses Erwecken ist nicht nur das Erwecken aus dem nächtlichen Schlaf. Das un-erwachte Leben des Alltags gleicht einem Tiefschlaf, aus dem man erweckt werden muss, um mit der Botschaft Buddhas zu sich selbst zu finden. Wer zu sich selbst findet, erwacht aus dem Traum und wird selbst ein Buddha – oder eben auch ein Drache.

Es waren noch einige andere koreanische Tempelgäste anwesend. Aber unser Mönch führte mich in das Gebäude mit den Instrumenten und erklärte mir alle Einzelheiten. Dann begann er mit seinem nächtlichen Konzert. 1

Zuerst schlug unser Mönch die Trommel mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Immer wieder schlug er die Trommelstöcke aus der Mitte des Trommelfelles zum äußeren Rand hin. Einmal von der Mitte nach oben und unten, einmal von rechts nach links und wieder in den Diagonalen. Damit soll die Drachenstimme der Trommel das gesamte Erdenrund in allen Richtungen ausfüllen.

Nach der Trommel dröhnten die Glockenschläge der großen Tempelglocke in den nächtlichen Himmel und erfüllten scheinbar das gesamte Gebirge mit seinen Wäldern, Wasserfällen und Wildbächen. Ein riesiger Baumstamm schwang an seiner Aufhängung und traf in regelmäßigen Abständen die Glocke, die nun tief dröhnend erklang. Am Himmel, der im hellen Licht des Vollmondes leuchtete, stürmten die Wolken wie fliegende Drachen. Wie Yin und Yang tönten dann die hölzernen Schlegel im Holzfisch Mogeo für die Wesen, die im Wasser leben und danach die Bronze-Wolke-Glocke, um die Wesen zu rufen, die den Luftraum unter dem Himmel bewohnen.

Mitten in die hell singenden metallischen Schläge dröhnte aus dem Inneren des Tempels ein riesiger Tempelgong, der zuerst ganz vereinzelt mit einem tiefen durchdringenden Klang und dann immer schneller geschlagen wurde. Dann mischte sich der vielstimmige Chor der Mönche mit der Rezitation der Sutren in das Konzert der Klänge. Wir betraten nun zusammen mit den anderen Gästen die Haupthalle des Tempels, die Daejeokkwangjeon, die ‚Halle des stillen Lichtes‘, die dem Vairocana Buddha geweiht ist, der mit seinem Licht alle Welten erhellt. Über dem Eingang schützen zwei bunte Drachenköpfe den Tempel. Dort begann die hundertfache Niederwerfung vor dem Buddha. Dabei lässt man sich auf die Knie nieder und verbeugt sich, bis die Stirn den Boden berührt. Dann hebt man die Hände neben dem Kopf mit den Handflächen nach oben bis über die Ohren, so weit hoch, wie es irgend geht. Danach steht man wieder auf, legt die Handflächen zusammen, verbeugt sich im Stehen und dann beginnt die nächste Niederwerfung, bis die Hundert voll ist. Das ist eine äußerst anstrengende Übung, die große Kraft und Körperbeherrschung erfordert.

Nach dieser Morgenzeremonie verteilten sich die Mönche auf die vielen kleinen Nebengebäude, in denen verschiedene Heilige und Bodhisattwas verehrt werden. Natürlich war auch ein Mönch im Tempel des schamanischen Berggottes und rezitierte dort die Sutren beim Klang des Mok-Tak. Aus allen Schreinen tönten noch stundenlang der Mok-tak und die Rezitationen der Sutren.

Der Mok-Tak ist eine kleine Schlitztrommel, die wie eine Kokosnuss mit Handgriff aussieht. Dar Name bedeutet wörtlich Holz-schlagen. In Japan heißt das Instrument Moku-gyo 木魚, Holzfisch. In Korea nennt man nur die große, aufgehängte Fischtrommel Mo-Geo木魚 – Holzfisch. Fische schließen die Augen nicht. Es scheint also, als würden sie niemals schlafen. Deshalb erinnert der Klang des Holzfisches daran, immer wach und achtsam zu sein.

Im Theravada Buddhismus, der davon ausgeht, dass es in jedem Zeitalter nur jeweils einen einzigen Buddha gibt, erzählt man die Geschichte von einem Mönch, der übend unter einem Baum saß. Er wurde müde und schlief ein. Genau in diesem Augenblick ging Buddha vorüber. Der Mönch erlebte viele Wiedergeburten. Einmal wurde er zu einem Kugelfisch. In Erinnerung an seinen unzeitgemäßen Schlaf schnitzt man nun aus dem Holz des Baumes, unter dem er eingeschlafen war, den Holzfisch. Wenn man ihn schlägt, wird man immer daran erinnert, dass man jeden Augenblick wach bleiben soll für das große Ereignis, das unerwartet kommen kann. Es könnte ja genau in diesem Augenblick der Buddha vorüber gehen.

Die Mönche im Haeinsa üben die Zenmeditation im Sitzen nur zu bestimmten Zeiten des Jahres. Während wir dort waren, zogen sie sich nach den Morgenzeremonien zurück in ihre Klausen und studierten die heiligen Schriften. Unser Mönch führte uns in einen Raum direkt neben einem Wasserfall. Dort leitete ich für die koreanische Besuchergruppe die morgendliche Zen-Meditation. Es ist schon ein merkwürdiges Erlebnis. Mitten in einer Vollmondnacht diese gewaltige Zeremonie zu erleben und dann in die tiefe Stille der Meditation einzukehren, direkt neben dem steten Rauschen eines wilden Wasserfalles! Und ein Deutscher leitet in einem koreanischen Zen-Tempel mitten in der Nacht die Meditation!

Am Ende unserer Meditation begann der Himmel im Osten allmählich hell zu werden. Als wir aus dem Meditationsraum kamen, wartete unser Mönch schon neugierig: „Wie war es für euch? Was habt ihr erlebt?“ Er hatte speziell für uns von irgendwoher einen Nescafé ergattert und bereitete uns einen ‚köstlichen‘ Kaffe. Denn die erste Morgenmahlzeit gab es im Speisesaal erst ab sehr Uhr morgens.

Unser Mönch hatte eine besondere Beziehung zu uns. Als wir ankamen, sah er meine Shakuhachi aus dem Rucksack lugen. Ich musste sofort ein wenig vorspielen. Aber ich hatte große Scheu, denn ich wollte keine japanische Zenkunst in einem koreanischen Tempel vorführen. Aber der Mönch schickte uns nach draußen, damit wir den Tempel schon ein wenig besichtigen konnten, bis unsere Zimmer vorbereitet waren. Kaum hatten wir den Raum verlassen, da hörten wir schon die ersten zaghaften Töne auf der Shakuhachi. Neugierig und ohne Scheu versuchte unser Mönch diesem fremden japanischen Instrument Töne zu entlocken.

Unser Mönch hatte früher im Betrieb seines Vaters direkt in der Nähe der Grenze zu Nordkorea als Heizungsbauer gearbeitet. Seinen Militärdienst leistete er als Soldat an der unmenschlichen Grenze, die das Land wie früher Deutschland in zwei Teile teilt. Danach wollte er zur Ruhe kommen und wurde Mönch im Haeinsa. Nach seiner Zeit als Mönch würde er wohl wieder in seine Heimat zurückkehren und das Geschäft des Vaters übernehmen.

Wir hatten jeden Tag wunderbare Gespräche über sein Trommelspiel und über den Buddhismus, speziell die Lehren des Avatamsaka-Sutra, des ‚Blumengirlanden–Sutra, das in Korea Hwaeom gyeong und in Japan 華厳経, Kegon-kyō heißt. Auch der Name des Tempels Haeinsa stammt aus diesem Sutra. Haeinsa (, 海印寺) ist der Tempel (oder 寺, koreanisch Sa, japanisch Ji) des ‚ebenen Meeres-Siegels‘. Hae-in ist das vollkommen ruhige Meer mit einer glatten und spiegelnden Oberfläche oder die ruhige Oberfläche von Wasser, die alle Dinge spiegelt, so wie sie in ihrer reinen und unverfälschten Natur sind. Wird der Geist ebenso ruhig wie der Spiegel des glatten Wassers, dann ist dies das Samadhi des ebenen Wassers, das Ha-ein-Samadhi. Ein Mensch, der dieses Samadhi, die Geisteskonzentration erlangt hat, ist ein Bodhisattva. Im Kegon-Sutra heißt es über den Bodhisattva:

Er lässt mannigfaltige Gestalten des männlichen oder weiblichen Geschlechts erscheinen. Er lässt Menschen, Himmelsbewohner, Drachen-Könige oder Kämpfer-Dämonen erscheinen. Er lässt unzählbare Handlungen und Stimmen nach Art der Lebewesen erscheinen. Er kann also alle Dinge restlos erscheinen lassen. Dies gründet sich auf die Kraft der Geisteskonzentration namens „Spiegel des großen Meeres” (海印 Hae-In).1

Nach ein paar Tagen hatten wir die Ehre, dass uns der alte Meister in seinen Privaträumen empfing. Sein Raum liegt in einem abgegrenzten Bereich, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Dort lebten auch die Mönche, die in ihren Studien so weit fortgeschritten waren, dass sie in der stillen Abgeschiedenheit ihren Textstudien nachgehen können.

Der winzige Raum war vollgestopft mit Büchern. Nicht nur die raumhohen Regale waren mit Büchern gefüllt. In jedem Winkel lagen Stapel von Büchern. Dazwischen, an einem niedrigen Tisch saß der Meister mit gekreuzten Beinen am Boden, natürlich umgeben von Büchern. Wir fanden neben unserem Übersetzer gerade noch ein freies Plätzchen, wo wir uns niederhockten. Die uns begleitenden Mönche waren geradezu vor Ehrfurcht vor dem Meister erstarrt. Dann diskutierten wir über das Kegon-Sutra und über den japanischen Zenmeister Dōgen und über Hölderlin.

Während der Gespräche brühte der Meister unentwegt Tee in winzigen Kännchen auf und servierte ihn in kleinen Schalen. Er servierte kostbaren Tee aus Indien und China und mir zu Ehren hatte er feinsten japanischen Matcha besorgt. Ich überreichte ihm mein Buch über Dōgen und Hölderlin und er las eifrig die japanischen Zitate. „Dōgen war ein weiser Mann. Auch wenn er ein Japaner war!“

Und zu Hölderlin meinte er, dass es wunderbar ist, dass Menschen überall auf der Welt in allen Kulturen und Religionen wesentliche Erfahrungen machen, die sich ähneln. Auch wenn sie scheinbar durch die Kultur der jeweiligen Länder anders auszusehen scheinen.

Wer meint, dass Zen dem Denken abhold ist, der sollte einmal den Haeinsa besuchen! Das ist der Tempel, der die Schätze der Lehre nicht nur bewahrt, sondern auch durch eifriges Studium lebendig weitergibt.

Bild 11 Drachen am Haeinsa

2.3 Kegon Sutra

Das Kegon – Sutra oder koreanisch das Hwaeom gyeong wurde von dem Mönch Uisang (625–702) von einer Studienreise durch China mit nach Korea gebracht. Es gibt die Legende, dass das Kegon-Sutra aus dem Palast des Drachenkönigs vom Grunde des Meeres stammt und dort einem Mönch übergeben wurde, der den Drachenpalast besucht hatte.

Dieses Sutra spielt im koreanischen Seon bzw. Zen eine zentrale Rolle. Auch in China haben wir von einem der Zenmeister erfahren, dass er von seinem Orden verpflichtet ist, das Sutra mindestens einmal im Jahr vollständig zu lesen und zu studieren. Eine der wichtigsten Aussagen des Kegon – Sutra ist gerade heute von allergrößter Bedeutsamkeit: Alles - Eins! Jedes Ding und jedes Seiende Wesen hängt wie im Netz des Indra mit allen anderen zusammen.

Der indische Himmelskönig Indra spielt im Kegon Sutra eine große Rolle. Vor seinem Palast gibt es ein riesiges Netz, das wie ein Spinnennetz geformt ist. An jedem Kreuzungspunkt des Netzes hängt wie ein Diamant eines der Wesen des Kosmos. Wird einer der Diamanten bewegt, so überträgt sich die Bewegung auf das gesamte Netz. Nichts bleibt von dieser Bewegung unberührt, sei es auch noch so weit entfernt-

Die Buddhas erkennen mit ihrer Weisheit, daß der ganze Kosmos der Seienden ohne Ausnahme so wie das große „Netz im Indra-Palaste“ ist, so dass alle Seienden – wie die Edelsteine an jedem Knoten des „Indra-Netzes“ – untereinander unendlich und unerschöpflich ihre Bilder und die Bilder der Bilder usw. in sich spiegeln.1

Gerade heute, in der Zeit, in der die Umweltprobleme immer deutlicher zutage treten, wird uns schmerzlich bewusst, dass alles mit allem zusammenhängt. Ein lokaler Krieg in der Ukraine führt zu Hungersnöten in Afrika. Der scheinbar völlig unverdächtige Verzehr von Blaubeeren, die zum Teil in Peru und Chile in der Wüste angebaut werden, führt zu Wasserknappheit für die Indiobauern. Wenn man Autos baut, braucht es Straßen, auf denen man damit fahren kann. Je mehr Straßen es gibt, desto mehr Autos können darauf fahren. Also braucht man mehr und bessere Straßen. Allmählich ist die ganze Erde asphaltiert und versiegelt. Der Regen fließt zu schnell ab und das Wasser wird nicht mehr gespeichert. Das führt zu Trockenheit und - und ----. Alles hängt mit allem zusammen.

So zeigt sich, dass das abendländische Denkmodell der Kausalität die Wirklichkeit auf ein einfaches Prinzip von Ursache - Wirkung eingeengt hat. Aber dieses Weltmodell ist eine totale Verkürzung der Wirklichkeit. Wenn ich ein Streichholz an der Reibefläche der Schachtel reibe, dann entzündet es sich. Ja, aber dazu muss die chemische Zusammensetzung von Kopf und Reibefläche stimmen. Holz und Schachtel müssen trocken sein, es muss genügend Sauerstoff vorhanden sein, es darf kein starker Wind wehen. Kurz: Die Welt muss so sein, wie sie ist. Stillschweigend setzen wir voraus, dass alles so ist, wie es eben sein muss, damit sich das Streichholz entzündet. Fällt auch nur eine der ‚Randbedingungen‘ aus, so entzündet sich das Streichholz nicht. Aber dann argumentieren wir: „Ja, diese oder jene ‚Randbedingung‘ war nicht gegeben!“ Aber in der ursprünglichen Annahme war uns nicht bewusst, dass wir die Welt so voraussetzen, wie sie gerade in ihrer Gesamtheit ist. Wenn ich billige Blaubeeren im Supermarkt kaufe, denke ich nicht an die Wasserprobleme in der chilenischen Wüste. Aber wenn die Erdölversorgung durch den Krieg in der Ukraine gefährdet ist, horten die Menschen Sonnenblumenöl! Die Angst sitzt ganz dicht unter der Oberfläche einer scheinbar sicheren Existenz.

Ähnlich denkt die westliche Pharmazie. Ein Mittel hat eine Fülle von unterschiedlichsten Wirkungen. Aber eine einzige wird als die erwünschte Wirkung erklärt. Alles andere wird zu einer Nebenwirkung, die wieder mit anderen Mitteln behandelt werden muss. Auf diese Weise entstehen ‚iatrogene Krankheiten‘, das sind diejenigen Krankheiten, die als ‚Nebenwirkung‘ durch die Behandlung des Arztes, des Iatros, entstehen. Wir haben eben gelernt, unseren Blick auf eine einzige Ursache - Wirkung zu reduzieren. Die chinesische Medizin dagegen sieht immer, dass alles mit allem zusammenhängt. Sind die Augen schlecht oder ist der Patient depressiv, so behandelt der chinesische Arzt die Leber. Dann werden die Augen von allein wieder besser. Aber der westlich gebildete Augenarzt ist ein Spezialist für Augen. Von der Leber hat er nur wenig Ahnung.