Mukashi mukashi - Gerhardt Staufenbiel - E-Book

Mukashi mukashi E-Book

Gerhardt Staufenbiel

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Beschreibung

Mukashi mukashi ... - Es war einmal vor langer Zeit. Geschichten von Kriegern, Mönchen und heiligen Männern, Tieren und Geistern aus Volkslegenden, alten Chroniken und heiligen Schriften, nacherzählt und mit Erläuterungen versehen. Enthalten sind Volkslegenden, aber auch Episoden aus den »heiligen« Schriften des japanischen Shinto, dem Kojiki und dem Nihonshoki vom Anfang der Welt, Geschichten aus dem Umkreis des Buddhismus und des Zen oder Stoffe aus dem klassischen Nō- oder Kabuki Theater. Es gibt Erzählungen voller Trauer und Schmerz, wie etwa die Lebensgeschichte des Kriegermönches Benkei. Aber den meisten Geschichten ist der Witz und Humor eigen, den man oft in den alten japanischen Texten findet. Japan ist ein Land mit vielen Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunami und Taifunen, und es hat furchtbare Kriege erlebt. So blieb den Menschen oft nur der Humor zum Überleben. Die Geschichte vom Bambussammler ist eine der berühmtesten Erzählungen der alten japanischen Literatur. Sie ist zugleich der älteste Erzähltext Japans. Die Mythen vom Anfang der Welt sind den beiden Schriften Kojiki und Nihonshoki entnommen, die zu den ältesten Aufzeichnungen in japanischer Sprache überhaupt gehören. Die Geschichten um den indischen Königssohn Bodhidharma, der den Zen nach China brachte, geben einen Einblick in die Denkweise der Zen-Meister. Kulturgeschichtliche Einschübe, eine Fülle von Anmerkungen und eigene Erlebnisse in Japan geben einen kleinen Einblick in das Brauchtum und die Religionen Japans und lassen den Hintergrund der Geschichten lebendig werden. Zahlreiche Abbildungen - zum größten Teil farbig - vermitteln ein lebendiges Bild einer fremden und doch so vertrauten Kultur.

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Das Lachen der Götter

Als die Sonnengöttin Amaterasu in der Unterwelt verschwunden war, und ewige Dunkelheit herrschte versammelten sich die Götter vor dem Eingang und warteten.

Dann holten sie die junge Uzume herbei. Sie schmückte sich mit einer Krone aus Blättern. In die Hand nahm sie einen Strauß aus Bambusgras.

Auf den Boden vor der Höhle legte sie ein umgedrehtes, leeres Fass. Sie trat dröhnend auf das Fass und tanzte, bis sie in eine göttliche Besessenheit geriet.

Sie ließ ihre Brüste heraushängen und zog das Saumband ihres Gewandes so hoch, dass sie ihren Schoß entblößte.

Da geriet das Hohe Himmelsgefild in Aufruhr und die acht Myriaden Gottheiten brachen alle vereint in ein lautes Lachen aus.

Neugierig kam die Sonne hervor und es wurde hell.

Das Lachen der Götter

brachte die Sonne und das Licht zurück in diese Welt.

Kojiki - Aufzeichnungen aus der alten Zeit

Umschlagbild: Michizane und der Ochsenkarren auf der Heimreise

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Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2014 Autor: Gerhardt Staufenbiel

Verlag: tredition GmbHwww.tredition.de

ISBN: 978-3-8495-7912-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Mukashi - Mukashi

Es war einmal vor langer Zeit

Geschichten von Göttern, Menschen, Tieren und Geistern

aus dem alten Japan

Zusammengestellt, nacherzählt und mit Kommentaren versehen

von

Gerhardt Staufenbiel

Inhaltsverzeichnis

1.  Vorwort

2.  Japan - eine kleine Landeskunde

2.1 Das Land

3.  Religion in Japan

3.1 Shintō - Weg der Götter

*      Matsuri - Schreinfeste

   -    Feuerfest in Kurama

3.2 Buddhismus in Japan

*  Zen und die buddhistischen Schulen in Japan

4.  Geschichten vom Donnergott

•  Wie der Donnergott entstanden ist

•  Der Donnergott im Sanjusangendo.

*  Michizane wird Donnergott

•  Wie einmal der Donnergott in den Brunnen fiel

•  Wie durch den Donnergott ein Kind geboren wurde

5.  Tiere und Tiergeister

•  Krähen und Hunde

•  Warum die Affen in Japan kurze Schwänze haben

•  Der Tengu von Kurama

•  Der alte Mann und die Tengu

•  Der Tengu und sein magischer Fächer

5.1 Inari und die Fuchsgeister

*  Ein Besuch im Inarischrein

•  Das Schwert des Inari

•  Die Fuchsgattin und der Reis

•  Die Fuchs Gattin Kitsune

•  Die Füchsin Kuzu no Ha

•  Wie ein Samurai Sutra für einen Fuchs kopierte

*  Sutra-Schreiben als religiöse Übung

•  Die Fuchsfrau Tamamonomae

•  Der Fuchs und der Fisch

*  Das Fuchsfeuer

*  Der Fuchs als Teemeister

•  Der Kitsune Sōtan

•  Der glückbringende Teekessel

Bunbuku chagama

5.2 Geschichten vom Kappa Taro

*  Der Kappa Taro

•  Der einarmige Kappa

*  Der Kappa und das Shirikodama

•  Der einarmige Kappa und das Shirikodama

•  Der Kappa in Not

6.  Von Karpfen und Drachen

*  Das Drachentor

•  Die Geschichte vom Goldknaben Kintaro

•  Der Knabe auf dem Drachenkarpfen

6.1 Drachen in Japan

*  Geschichten aus dem Lande Fusō

•  Der Priester als Drachenkönig

*  Die Perle der Wunscherfüllung

•  Die Tochter des Drachenkönigs Sagara

•  Die Perle des Drachenkönigs

7.  Die Geschichte vom Bambussammler

Prinz Ishitsukuri und die Steinschale Buddhas

Kuromoji und der Zweig vom Hōrai-Berg

Der Tennō

8.  Geschichten von tapferen Kriegern

8.1 Musashibō Benkei

*  Kindheit und Jugend

•  Benkei in Ataka

•  Benkei auf dem Boot

•  Benkeis Tod - Benkei no Tachi Ōjō

*  Der Genpei Krieg

•  Der Miminashi Hōichi

9.  Geschichten vom Anfang

•  Trennung der Welten

*  Wie Sonne und Mond entstanden sind

*  Wie die Sonne verschwand und neu gerufen wurde.

*  Takachiho - Die Höhle der Amaterasu

10.  Geschichten von Buddha und frommen Menschen

•  Das Herzsutra

•  Das Maus Sutra

•  Myōe Shônin: Der verschleierte Mond

•  Der Mönch im Baum

•  Wie ein Einsiedler von einem Wildschwein getäuscht wurde

•  Zen - Dialog

11.  Daruma: Königssohn aus Indien und Mönch

•  Die Daruma Puppe

*  Der lustvolle Daruma

11.1 Zengeschichten um Daruma

•  Ankunft in China

•  Daruma und der König Wu Di

Kōan

•  Daruma bei den Shaolin

Men piki: Wandanstarren in der Höhle

Daruma und der Tee

Daruma und Hui-ke

Daruma mit einer Sandale

•  Prinz Shōtoku und der Bettler

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Dieses kleine Büchlein enthält Nacherzählungen japanischer Volkslegenden, Mythen und Märchen, die sonst oft nur für Spezialisten zugänglich sind. Enthalten sind Volkslegenden, aber auch Episoden aus den »heiligen« Schriften des japanischen Shinto, dem Kojiki und dem Nihonshoki vom Anfang der Welt und Geschichten aus dem Umkreis des Buddhismus.

Manche Stücke, wie etwa die Erzählung vom Kintaro, dem Goldknaben, sind Kindergeschichten, andere stammen aus alten Chroniken oder sind Volkslegenden. Die Geschichte vom Bambussammler ist eines der berühmtesten Erzählungen der alten japanischen Literatur, die hier stark gekürzt wiedergegeben wird. Sie ist zugleich der älteste Erzähltext Japans. Die Mythen vom Anfang der Welt sind den beiden Schriften Kojiki und Nihonshoki entnommen, die zu den ältesten Aufzeichnungen in japanischer Sprache überhaupt gehören.

Es gibt zwar Erzählungen voller Trauer und Schmerz, wie etwa die Lebensgeschichte des Kriegermönches Benkei. Aber den meisten Geschichten ist der Witz und Humor eigen, den man oft in den alten japanischen Texten findet. Der Humor ist in allen Völkern ein Ventil mit einem schweren Leben fertig zu werden. Japan ist ein Land mit vielen Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunami und Taifunen und es hat furchtbare Kriege erlebt. So blieb den Menschen oft nur der Humor zum Überleben.

Die Einschübe sollen einen kleinen Einblick in das Brauchtum und die Religionen Japan geben. Sie erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit, sollen aber den Hintergrund der Geschichten lebendig werden lassen.

Ich hoffe, die Auswahl gibt ein farbiges Bild aus dem alten Japan und die Texte sind vergnüglich zu lesen. Die Anmerkungen kann man, wenn man will, ja einfach überlesen.

Gerhardt Staufenbiel - Myoshinan Chadôjo - Oberrüsselbach

2. Japan - eine kleine Landeskunde

2.1 Das Land

Japan ist ein Inselland weit im Osten. Nach der Mythologie ist das Inselreich entstanden, als das Götterpaar Izanami und Izanagi auf der himmlischen Brücke, der Ama no hashidate standen und in den dichten Nebel unter ihnen schauten. Da nahm Izanagi seinen Juwelenspeer und rührte den dichten Nebel damit um, bis der sich verdickte. Dabei fielen große Tropfen von dem verdichteten Nebel in das Meer unten und bildeten die ersten Inseln. Izanami und Izanagi stiegen auf der Himmelsbrücke herunter und zeugten nun alle die anderen Inseln, Berge, Götter und Lebwesen, die das Land Japan bevölkern. In den alten Mythen heißt Japan ‚Toyo-ashi-hara no chi-aki no naga-i-ho-aki no mizuho no kuni‘ - ‚Land der üppigen Schilfgefilde, 1000 Herbste, langen 500 Herbste und der fruchtbaren Reisähren‘.

Der Name Japan oder Nihon oder Nippon ist keine ursprünglich japanische Bezeichnung. Sie stammt von den chinesischen Kaisern, die das Land weit im Osten, an der ‚Wurzel der Sonne‘ als Ni-hon oder Nippon bezeichnet haben. Die japanische Bezeichnung war ihnen vermutlich viel zu kompliziert und zu japanisch. Ni ist die Sonne, hon oder pon die Wurzel, der Ursprung. Der ganz alte, japanische Name in Urkunden ist Wa-koku, das Land der Wa. Die Wa waren vielleicht ein einzelner Volksstamm, der keineswegs das ganze Inselreich besiedelt hatte. Vielleicht lebten sie weit im Süden, in der Gegend, die ganz nahe bei Korea liegt. Wer in Rest des Landes siedelte, wissen wir nicht so genau. Aber heute trägt Japan chinesischen Namen ‚Wurzel der Sonne‘. Das ist für Japan keine so fremde Erscheinung. Die einheimische japanische Religion heißt mit der chinesischen Bezeichnung Shin-tō - Weg der Götter. Japanisch gesprochen würde es heißen ‚Kami No Michi‘. Der japanische Kimono als traditionelles Kleidungsstück kommt aus China, die japanische Schrift ist chinesisch und die wichtige Religion des Buddhismus hat seinen Weg über China nach Japan gefunden. Der Bonsai kommt aus China, der grüne Tee, der Reisanbau, die Sojasauce, die politische Ordnung, ja sogar das System der Herrschaft des Tennō stammen aus China. Man könnte sich ganz besorgt fragen, was denn überhaupt das Japanische an der japanischen Kultur ist, wo doch alles aus China zu stammen scheint. Aber die Japaner haben die fremden Einflüsse aufgesaugt und eine ganz eigene Kultur geschaffen.

Die meisten Ausländer kennen von Japan nur die große Stadt Tōkyō, in der ungeheuer viele Menschen leben. Eigentlich ist Tōkyō gar keine Stadt, sondern eine Ansammlung von verschiedenen Städten. Heute besteht Tōkyō aus 23 Bezirken, die alle eine eigene Stadtverwaltung haben. Sie bilden zusammen die Region Tōkyō. Dort leben heute mehr als 8 Millionen Menschen. Aber damit noch nicht genug. Die Region Tōkyō ist umgeben von anderen Großstädten wie Kawasaki, Saitama, Chiba und Yokohama, die alle so dicht beieinanderliegen, dass eine einzige riesige Großstadt entsteht. Dort leben dann fast 36 Millionen Menschen. Das ist fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung von Japan. So ist es kein Wunder, dass die meisten Japaner, die wir in Deutschland kennen lernen, aus Tokyo stammen.

Früher einmal war Tōkyō die Hauptstadt im Osten, das bedeutet nämlich der Name: Tō - Osten und kyō Hauptstadt. Kyōto war die Hauptstadt (Kyō) Hauptstadt (tō), also die ‚eigentliche oder wirkliche Hauptstadt.‘ Früher einmal hieß Tōkyō einfach nur Edo und Kyōto hieß Heian-kyō1, die Hauptstadt des ewigen Friedens.

Kyōto war über tausend Jahre lang der Regierungssitz des japanischen Kaisers, des Tennō, des Himmelssohnes, der erst 1868 nach Tōkyō umgesiedelt ist. Erst seit der Zeit führen die beiden Städte die neuen Namen.

Die Menschen von Kyōto sind heute noch überzeugt, dass die eigentliche japanische Kultur nur in der alten Kaiserstadt zu finden ist. Und tatsächlich liegen im Gebiet der Kaiserstadt 17 Orte, die als Weltkulturerbe gelten. In Tōkyō dagegen findet sich kein einziges Weltkulturerbe. Darum sind die Menschen in Kyōto heute noch besonders stolz auf ihre Kultur und ihre Geschichte.

Tōkyō ist erst relativ spät zum Machtzentrum Japans ausgebaut worden. Die Stadt ist um eine Burg herum entstanden, die in den Kriegszeiten des 15. Jahrhunderts zum Schutz vor den Reitereien der Angreifer mitten in einem Sumpfgebiet gebaut wurde. Später wählte dann der Kriegsherr Tokugawa Ieyasu2 diesen Sumpf als Hauptsitz für seine Regierung, weitab vom Einfluss des Tennō, der nun fast isoliert und machtlos in der alten Kaiserstadt residierte. Die Gebäude konnten auf keine wirklich festen Fundamente errichtet werden. Man versenkte Reisstrohmatten im Sumpf trieb Holzpfähle hinterher und errichtete darauf die Häuser und Paläste.

Unser Bild von Japan ist geprägt von dem riesigen Ballungsgebiet um Tōkyō, in dem ein großer Teil der gesamten Bevölkerung lebt. Aber das Bild täuscht. Japan besteht aus einer Kette von Inseln mit den drei großen Hauptinseln Honshū (Hauptinsel), Shikoku (vier Länder) und Kyūshū (neun Provinzen). Erst im 19. Jahrhundert kam auch noch die große nördliche Insel Hōkkaidō (Bezirk des nördlichen Meeres) zum japanischen Kaiserreich hinzu. Vorher hatten dort im Wesentlichen nur die Ainu gelebt, ein Volksstamm, der nicht mit den Japanern verwandt ist. Zu diesen vier Hauptinseln kommen noch fast siebentausend kleine und kleinste Inseln hinzu, viele davon haben nur wenige oder überhaupt keine Einwohner.

Die großen Inseln sind von einem mächtigen Gebirge durchzogen, das sich ganz vom Norden bis in den tiefen Süden erstreckt. Die größte Fläche des Landes ist wilder, fast unzugänglicher Bergwald. Nur an den Küstenstreifen, dort wo das Marschland und die Sümpfe sind, kann man siedeln. Das Gebirge trennt den Osten und den Westen in zwei völlig verschiedene klimatische Bereiche. Im Osten ist mildes und feuchtes Klima, das vom weiten Ozean bestimmt ist. Hier gibt es kaum Schnee und die Temperaturen sinken fast nie unter den Gefrierpunkt. Der Westen wird von den kalten Winden, die von Sibirien kommen geprägt. Hier fällt so viel Schnee, dass die vielen Geschichten über die Yukionna, die Schneefrau nicht verwundern..

Die Berge mit ihren undurchdringlichen Wäldern sind auch deshalb nicht zu besiedeln, weil die Gebirge noch im Entstehen sind. Das macht sich in stetigen Erdbeben bemerkbar, die in manchen Zeiten nahezu täglich das Land erschüttern. Dann werden oft die Berge wieder ein ganz winziges Stück höher. Die Flüsse haben keine Zeit, um große, besiedelbare Flusstäler auszuwaschen. Die Auffaltung der Gebirge ist da fast schneller als das Wasser, das die Berge wieder abträgt. So kann man in den abgelegeneren Gegenden stundenlang mit dem Autobus unterwegs sein und nur ganz selten auf winzige Ansiedlungen in einem kleinen Bergtal stoßen. Früher haben dort die Menschen in großen Familien gelebt, denn nur so konnten sie der Natur die lebensnotwendige Nahrung abringen. Es ist deshalb kein Wunder, dass viele Märchen und Volkslegenden von Naturwesen in den Bergen oder Wäldern erzählen. Heute werden diese abgelegenen Bergtäler von immer weniger Menschen bewohnt. In manchen Gegenden leben fast nur noch ganz alte Menschen. Die jungen Leute sind abgewandert in Gegenden, in denen es angenehmer ist zu leben und zu arbeiten. So ist in manchen Gebirgsgegenden das Durchschnittsalter nahe bei 80 Jahren.

Die modernen Städte liegen fast alles an der Ostküste in kleinen sumpfigen Gegenden, die in kurzer Entfernung von der Küste von steilen Bergen eingegrenzt sind. Man kann fast - mit nur wenig Übertreibung - sagen, dass man das gesamte besiedelte Gebiet der Japaner gesehen hat, wenn man mit dem Superschnellzug Shinkansen von Tōkyō bis zur Insel Kyūshū gefahren ist. Die Shinkansen Züge fahren fast im viertelstündlichen Takt. Im ‚hinteren Japan” auf der Westseite der Gebirge dagegen fährt oft nur noch ein einziger Zug am Tag, wenn man nicht überhaupt nur noch mit dem Bus reisen kann.

Abb. 1 Hokusai: Die Welle von Kanagawa und der Fuji

Wenn wir von Hokkaidō nach Süden fahren, reisen wir durch ganz unterschiedliche Klimazonen. Die nördliche Insel Hokkaidō hat ein Klima ähnlich dem in den bayrischen Alpen. Aber es gibt dort viel mehr Schnee als in den Alpen. Das kommt daher, dass sich die Winde von Sibirien her kommend über dem Meer mit Feuchtigkeit aufladen. Diese Feuchtigkeit fällt dann an den Rändern der Gebirge als Schnee. Im ‚hinteren Japan‘ an der Westküste, die nach Sibirien hin zeigt, z.B. im Lande Hida in den ‚japanischen Alpen‘, fällt so viel Schnee, dass die Bauernhäuser dort spezielle Wintereingänge oben auf dem Dach des Hauses haben. Durch die normalen Haustüren konnte man das Haus im Winter nicht betreten, dazu lag der Schnee viel zu hoch. Der Vorteil davon war dann, dass man eingehüllt vom Schnee fast wie in einem Iglu lebte. Es war dann zwar dunkel aber doch immerhin recht warm. Ich war einmal am ersten Mai in dem Tempel Eheiji, den der Zenmeister Dōgen im 13. Jahrhundert dort in diesem ‚hinteren Japan‘ gegründet hat. Es war furchtbar kalt und es regnete die ganze Nacht. Aber am Morgen wurde es noch kälter, und dichter Schnee fiel. Einer der Mönche, der aus dem östlichen Gebiet von der Küste kam, fragte einmal verzweifelt den Zenmeister dieses Klosters: »Seit Monaten, seit ich hier im Kloster bin, liegt Schnee. Wann gibt es denn eine Zeit, in der kein Schnee liegt?« Ungerührt antwortete der Zenmeister nur: »Wenn Schnee liegt, liegt Schnee, wenn kein Schnee liegt, liegt kein Schnee!«

Dafür liegt in der alten Kaiserstadt Kyōto, die nach Osten hin zum Meer offen ist, kaum Schnee. Es gibt zwar viele Postkarten mit den Tempeln im Schnee. Aber es kommt nur sehr selten vor, dass Schnee überhaupt liegen bleibt. Und wenn, dann ist er spätestens am frühen Vormittag verschwunden. Die Fotografen eilen also mit ihren Kameras in die Tempel, um ihre Bilder zu machen. Wenn sie zu lange warten, ist die ganze Pracht ohnehin verschwunden.

Auf der südlichen Insel Kyūshū dagegen herrscht schon ein subtropisches Klima wie in Nordafrika. Dort gibt es riesige Plantagen von Mandarinen und Südfrüchten. Schnee ist dort unbekannt. Dafür ‚schneit‘ es in der südlichen Stadt Kagoshima ständig Asche aus dem Vulkan Sakurajima, der auf einer kleinen, vorgelagerten Halbinsel - der Insel der Kirschblüten - liegt. In Kagoshima wachsen Palmen und dort gibt es einen großen Park mit Kakteen - nicht im Gewächshaus, sondern unter freiem Himmel.

Und dabei ist dies noch nicht die südlichste Insel Japans. Berühmt ist noch die Inselgruppe um Okinawa, aber eigentlich kann man Okinawa kaum noch zu Japan zählen. Ihre Bewohner sind fast schon Südseeinsulaner.

Von den vielen Erdbeben in Japan haben wir schon gesprochen. Aber das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen die Bewohner dieses Inselreiches zu kämpfen haben. Die Küstenstreifen werden in jedem Herbst von gewaltigen Stürmen, den Taifunen heimgesucht. Dann sitzen die Menschen gebannt vor den Fernsehgeräten und verfolgen den Gang der Stürme. In der Kaiserstadt Kyōto spürt man relativ wenig vom Taifun. Aber das Wetter wird feucht und es regnet in Strömen, weil der Wind die feuchte Meeresluft an den Rand der Gebirge treibt, wo sie als heftige Regenfälle niederkommen.

An den Küsten ereignen sich immer wieder in unberechenbaren Zeitabständen gewaltige Tsunami, Flutwellen, die alles mit sich wegreißen, was ihnen im Weg steht. Die letzte große Flutwelle in Nordjapan ist uns ja allen noch in Erinnerung.

In Japan gibt es noch eine ganze Reihe von tätigen Vulkanen. Aber die sind kein wirkliches Problem, weil sie regelmäßig Feuer speien und damit kein gewaltiger Ausbruch bevorsteht. Der größte Vulkan der Welt ist der Vulkan Aso auf der Insel Kyūshū. Der Krater hat einen Umfang von 120 km. Aber weit entfernt davon, dass die Japaner den Aso fürchten: Er ist ein beliebtes Ausflugsziel. In der Nähe des Kraters sind sogar Parklätze für die Besucher. Nur wenn der Aso einmal wieder etwas zu stark Gestein oder giftige Schwaden ausstößt, wird die Zufahrt zum Krater gesperrt. In der Stadt Kagoshima spannt man einfach Regenschirme auf, wenn der dortige ‚Hausvulkan‘ Sakurajima wieder einmal zu viel Asche ausspuckt.

Der berühmteste Vulkan Japans aber ist der Fuji-San, den wir meistens unter dem Namen Fujiyama kennen. Inzwischen haben sich die Japaner daran gewöhnt, dass Ausländer den Berg als Fujiyama bezeichnen, aber früher wusste kein Japaner, was ein Fujiyama sein soll. Bei uns weiß man, dass die Japaner das R und das L nicht unterscheiden können. Aber sie können auch kein F aussprechen. Das F klingt bei ihnen eher wie ein H. Also müsste man Huji sprechen. Yama ist das Schriftzeichen für den Berg - wenn man es auf Japanisch ausspricht. Aber der Fuji ist ein derart ehrwürdiger und wichtiger Berg, dass man das Schriftzeichen in der chinesischen Form als San ausspricht. Also heißt der Berg Hujisan. Was der Name Fuji bedeutet, weiß niemand so genau. Möglicherweise stammt er sogar noch von den Ureinwohnern, den Ainu und bedeutet Feuerberg. Aber das bestreiten viele japanische Wissenschaftler. Ein so heiliger Berg kann keinen Namen aus der Ainusprache tragen! Heute schreibt man seinen Namen mit den Schriftzeichen für ‚reich‘ und ‚Krieger‘, die zusammen als Fuji ausgesprochen werden.

Der Fuji war schon immer ein heiliger Berg. Aber in der Legende ist er erst nach einem gewaltigen Erdbeben entstanden. In der Nähe der Kaiserstadt Kyōto liegt der Biwasee, der zu den ältesten Seen der Erdgeschichte zählt. Früher einmal waren dort, wo heute der See ist, wunderschöne Berge und Hügel, so erzählt jedenfalls die Sage. Nach einem gewaltigen Erdbeben war diese liebliche Landschaft verschwunden und ein gewaltiges und tiefes Loch war entstanden, das sich mit Wasser füllte. Ein großer See in der Form einer Biwa, einer Art Laute, war entstanden. Und zu ihrer Überraschung bemerkten die Menschen, dass sich plötzlich weit entfernt ein gewaltiger Berg auftürmte, der aus den verschwundenen Bergen und Hügeln entstanden war - der Fuji.

1    Heian-Kyō sprich: Heean kyoo

2    Tokugawa Ieyasu 1543 - 1616. Nach der großen Schlacht von Sekigahara hatte er nach langen Kriegswirren die Oberherrschaft gewonnen. Als neuen Sitz seiner Regierung wählte er 1603 das schwer zugängliche Edo (Tōkyō) als Hauptstadt.

3. Religion in Japan

In Japan gibt es viele Geschichten von Göttern, wie dem Donnergott oder dem Windgott und Geschichten von Tieren, die Menschengestalt annahmen und mit den Menschen zusammenlebten. Es gibt aber auch viele Geschichten von Buddha. Das ist sehr verwirrend, aber es gibt verschiedene Religionen in Japan, den Shintō und den Buddhismus und sogar auch das Christentum.

3.1 Shintō - Weg der Götter

Die einheimische Religion Japans ist der Shintō. Wörtlich bedeutet Shintō ‚Weg der Götter‘. Aber eigentlich ist der Shintō nicht wirklich alt. Erst im 18. Jahrhundert versuchten die Politiker, eine ‚einheimische‘ Religion entgegen der fremden Religion des Buddhismus zu etablieren. Der Buddhismus kam eindeutig aus der Fremde. Der Ursprung ist im Land des Buddha, in Indien zu suchen. Aber er kam nicht direkt von dort nach Japan, sondern über den Umweg über China und dann Korea. In der japanischen Politik wollte man keine Religion aus Korea in Japan haben, also propagierte man den Shinto als einheimische Religion. Aber für den Namen der Religion musste man sogar auf die chinesische Sprache zurückgreifen: Shin - Gott oder Geist, Dō (zusammen mit Shin als Tō gelesen) - der Weg. Shin-Tō der Weg der Götter.

Abb. 2 Izumo Schrein Modell

Aber im japanischen Shinto verehrt man die Kami. Es ist nicht so sicher, ob man das Wort wirklich mit Gott oder Geist übersetzen kann, denn niemand weiß so genau, was Kami sind, auch die Priester, die an den Shintō Schreinen ihren Dienst tun, wissen das nicht so genau. Der Priester kennt zwar den Kami, der in seinem Schrein verehrt wird, aber er weiß nicht, in welchem Zusammenhang dieser Kami mit dem eines anderen Schreines steht. Die Verehrung der Kami kennt man in Japan schon seit den Urzeiten. Aber es gab keine über ganz Japan einheitliche Religion der Kami.

Das Wort Kami heißt eigentlich: »Die da oben« und damit waren ursprünglich die Sonne, der Mond und die Sterne gemeint.

An einem der ältesten Schreine Japans, dem Schrein von Izumo ganz im Süden der Hauptinsel Honshū haben Ausgrabungen ergeben, dass der ursprüngliche Schrein hoch oben auf riesigen Baumstämmen stand und nur über eine steile Treppe zu erreichen war. Das Gebäude hatte eine gesamte Höhe von 48 Metern.1 Die Priester, die man im Modell als winzige Gestalten erkennen kann, gingen eben zum Gebet zu ‚Denen dort oben‘, den Kami.

Das Wort Kami heißt eigentlich: »Die da oben« und damit waren ursprünglich die Sonne, der Mond und die Sterne gemeint.

An einem der ältesten Schreine Japans, dem Schrein von Izumo ganz im Süden der Hauptinsel Honshū haben Ausgrabungen ergeben, dass der ursprüngliche Schrein hoch oben auf riesigen Baumstämmen stand und nur über eine steile Treppe zu erreichen war. Das Gebäude hatte eine gesamte Höhe von 48 Metern.2 Die Priester, die man im Modell als winzige Gestalten erkennen kann, gingen eben zum Gebet zu ‚Denen dort oben‘, den Kami.

Man sieht auch oft, wie Japaner an einem Wasserfall oder einem Felsen stehen bleiben, kurz in die Hände klatschen, um den Kami aufzuwecken, der dort wohnt, und dann für einen Augenblick still zu beten. Man weiß nicht, ob der Wasserfall oder der Felsen der Kami ist oder nur sein Wohnsitz. Wie dem auch sei, der Ort jedenfalls ist heiliger Boden.

Manchmal ist auch ein Baum ein Kami. Wenn dann eine neue Straße dort gebaut werden soll, wo der Baum steht, dann macht eben einfach die Straße einen großen Bogen um den Baum, denn schließlich kann man einen Kami nicht einfach abholzen. Damit jeder, der vorbei kommt, auch weiß, dass ein Kami dort wohnt, bindet man ein Seil aus Reisstroh um den Baum. Niemand weiß genau, in welcher Weise der Kami eben genau in diesem Stein mit dem Kami in jenem Baum zusammenhängt. Vermutlich haben sie nicht viel oder überhaupt nichts miteinander zu tun.

Nahezu alles, was existiert, kann ein Kami sein: ein Grashalm, eine Blume, eine Maus oder eine Schlange, ein mächtiger Baum, eine felsige Insel im Meer, ein Wasserfall, ein verstorbener Vorfahre, Sonne Mond und Sterne, der Taifun. Aber der Kami des Felsens an diesem Ort muss überhaupt nichts zu tun haben mit dem Kami des Felsens eines anderen Ortes. Alles kann heilig sein, aber ein Felsen, ein Baum oder eine Quelle ist eben genau an diesen einen Ort gebunden. Es gibt keinen Kami der Quellen oder der Felsen allgemein.

In den Mythen wird von den yaorozu no Kami, den acht Millionen Kami gesprochen. Das heißt aber nicht, dass es genau diese Anzahl von Kami gibt. Acht Millionen ist ganz einfach unendlich viel.

Einmal wurde Japan vor dem Angriff der Mongolen gerettet, weil ein göttlicher Wind, ein Kami-Kaze, die Flotte der Angreifer zerstörte. Die Grunderfahrung im Shinto ist, dass alles Wirkliche auch heilig und Kami sein kann.

Als man dann versuchte, den Staats - Shintoismus einzuführen, schüttelten die Priester in den vielen Schreinen nur die Köpfe. »Was hat unser Kami, der vielleicht als eine Art Schirm oder in der Gestalt eines weißen Fuchses. An ‚unserem‘ Schrein verehren wir unseren Kami nach der Tradition mit ganz bestimmten Tänzen, bei denen die Tänzer ein ganz besonderes Kostüm tragen. Und das tun nur wir allein. Alle anderen Schreine verehren ihren Kami auf ganz andere Weise. Wie könnte es da einen einheitlichen Shintō geben?

Wir bezeichnen die religiösen Stätten des Shintō als Schrein und die buddhistischen Stätten als Tempel. In der japanischen Sprache ist der Schrein ein Jinja1 und der Tempel ein Ji oder Tera. Der Daitoku-ji ist der Tempel der großen Tugend - Dai Toku ji. Der Inari Jinja der Schrein des Fuchsgottes Inari, der berühmt ist für seine 10 000 Torii - also auch wieder ganz ganz viele Torii.

Abb. 3 Meoto iwa: verheiratete Mann-Frau Felsen

Ein Schrein kann so klein sein wie ein bayerisches Marterl, er kann aber auch ein riesiges Gebiet umfassen, auf dem viele Gebäude stehen. Das Wichtigste ist die Haupthalle Honden. Sie enthält in einem unzugänglichen und verschlossenen Bereich den ‚ehrwürdigen Körper des Kami‘ den go-shintai oder shintai. Das kann ein einfacher Stein sein, ein Spiegel oder ein Schwert. Immer aber ‚wohnt‘ in dem Shintai die Seele des Kami, die Mitama. Wird ein neuer Schrein gebaut, so muss man erst den Kami einladen, in dem Shintai seinen Wohnsitz zu nehmen. Weil nun dieser Schrein mit dem Kami im Inneren so heilige ist, darf er fast nie geöffnet werden. Manche Schreine werden nur einmal im Jahr für wenige Stunden geöffnet, manche nur alle 30 oder 50 Jahre. In Kyōtō gibt es einen winzigen Schrein, den Dai-Shogun-hachi-Jinja, den Schrein der acht großen Herrscher, die alle Himmelswesen sind. Dieser Schrein wurde niemals geöffnet. Erst, als er baufällig war, hat man ihn geöffnet und darin einen Schatz von uralten Holz Figuren gefunden, die heute ein japanischer Nationalschatz sind. Sie werden in einem klimatisierten Betongebäude aufbewahrt, dass der Priester, wenn man ihn recht nett bittet, auch schon einmal für Besucher öffnet.

Manchmal aber werden die Shintai bei Shinto Festen, den Matsuri, in kleinen tragbaren Schreinen durch die Straßen getragen. Das erinnert schon ein wenig an die Bundeslade, die von den wandernden Israeliten bei ihrem Zug durch die Wüste vor dem Zug hergetragen wurde.

Ursprünglich brauchte es überhaupt kein Schreingebäude, denn der Shintai kann auch einfach ein Baum, eine Quelle oder ein Felsen sein. Damit jeder erkennen kann, dass es sich nicht um einen einfachen Felsen handelt, wird geflochtenes Reisstrohseil herumgewunden und schon ist der Schrein fertig.

Jedes Kind, das in Japan geboren wird, bringt man zum Shintō-Schrein, und meldet es bei den Kami an. Jeder Japaner gehört zum Shinto, weil ja alle nach ihrer Geburt am Schrein beim Kami angemeldet worden sind. Deshalb sagen die Japaner auch, Shinto ist keine Religion, sondern eine Familienangelegenheit.

Shichi-Go-San: Sieben-Fünf-Drei

Weil Shinto eine Familienangelegenheit ist, besucht man bei allen Familienangelegenheiten den örtlichen Schrein. Dabei geht man nicht zu irgendeinem Schrein, sondern zum Schrein der Familie, der gewöhnlich ganz in der Nähe der Wohnung liegt. Man heiratet am Schrein, indem man den von der Miko, der Schamanin servierten Reiswein trinkt und man stellt die neu geborenen Kinder dem Kami vor. Im Alter von jeweils drei fünf und sieben, also Monaten und Jahren, besuchte man den Schrein. Der Priester führt die Reinigungszeremonien durch und die Schamanin tanzt für die ganze Familie. Dabei werden die Kinder prächtig herausgeputzt.

Abb. 4 Die Miko tanzt

Abb. 5 Shichi-Go-San

Die Knaben werden mit dem Hosenrock, der Hakama gekleidet, den früher die Samurai über ihrem Kimono trugen, wenn sie auf dem Pferd ritten. Weil dieses Kleidungsstück immer ziemlich streng nach Pferd roch, legte man den Hakama noch in den Vorräumen der Wohnung ab. Aber heute gilt es bei den Japanern als besonders festlich, wenn man einen Hakama trägt. War man beim Schrein und hatte das neue Lebewesen beim Kami ‚registriert‘, so kümmerte der sich fortan um das Schicksal dieses Schreinmitgliedes.

Wenn man den Wohnort wechselte, suchte man einen Schrein, der mit dem heimischen Schrein in Verbindung stand, und meldete sich hier wie beim Einwohnermeldeamt an. Der Kriegsherr Hidejoshi wollte in den Kriegszeiten wissen, wie viele Menschen denn überhaupt in der Kaiserstadt Kōto lebten. Also versuchte er, eine Volkszählung zu machen. Aber niemand wollte sich zählen lassen, denn man war ja ohnehin im Schrein angemeldet. Aber die Schreine führten keine schriftlichen Aufzeichnungen über die Schreinmitglieder. Man war ja beim Kami gemeldet und der brauchte keine Bücher. Vielleicht konnten oder wollten die Kami ohnehin nicht lesen. Erst die buddhistischen Tempel begannen später, Listen aufzuschreiben.

*    Matsuri - Schreinfeste

Feuerfest in Kurama

Wenn irgendetwas zum Shintō gehört, dann ist es das Matsuri, das Schreinfest. Schreinfeste sind bunt und laut. Es gibt so viele verschiedene Matsuri, wie es Schreine gibt und das sind sicher mehr als einhunderttausend registrierte Schreine, vermutlich aber noch viel mehr, die nicht organisiert oder registriert sind. Ursprünglich war der Schrein kein Ort der religiösen Verehrung, sondern nur ein Ort des Matsuri. Erst später besuchte man auch außerhalb der Feierlichkeiten den Schrein. Es gibt Matsuri, bei denen die gewaltigen Trommeln geschlagen werden, Matsuri, bei denen getanzt wird oder riesige Fackeln begleitet von lauten Trommeln durch den Ort getragen werden. Manchmal werden die Festwagen durch den Ort gezogen. Auf den Wagen viele Musiker mit Trommeln und Flöten- oder Puppenspieler, die die Göttergeschichten mit Puppen darstellen. Ein Matsuri ist immer bunt und voller Leben, keinesfalls eine ernste oder gar meditative Angelegenheit.

Nördlich von der alten Kaiserstadt Kyōto gibt es in dem Bergdorf Kurama das Feuerfest. Das Fest beginnt mit Einbruch der Dunkelheit, aber es ist günstig, schon früher mit dem Zug anzureisen. Sonst wartet man nicht nur einige Stunden, bis man den Zug überhaupt besteigen kann. Und wenn man dann oben im Dorf ankommt, kann man kaum noch den Bahnhof verlassen, weil sich die Menschen dicht zusammendrängen. Die jungen Burschen des Dorfes schleppen riesige Reisigfackeln durch den Ort, die Frauen schlagen die Trommeln und das Publikum schreit begeistert: »Unser Matsuri ist das Beste!«

Allmählich brennen die Fackeln lichterloh und es wird so recht gefährlich, sie überhaupt noch zu tragen. Aber die Burschen schwenken und schleudern die Fackeln wild herum, dass die Funken stieben. Wenn dann mal wieder die Feuerwehrsirenen heulen, ruft das ein riesiges Gelächter hervor. Die Straßen sind von der Feuerwehr mit Seilen abgesperrt, damit niemand den gefährlichen Fackeln zu nahe kommt. Aber wir gingen bis zur Absperrung vor und der Feuerwehrmann hob das Seil freundlich hoch, damit wir direkt hinter den Fackeln hergehen konnten. Obwohl das ganze Dorf brodelte wie ein Hexenkessel, waren alle immer ausgesprochen freundlich. Ganz besonders die Burschen mit den Fackeln freuten sich, dass Ausländer zusammen mit ihnen hinter den Fackeln gehen mochten.

Wenn die Fackeln dann lichterloh brennen und die Schlingpflanzen, mit denen die Fackeln zusammengebunden sind, Feuer gefangen haben, rennt die Gruppe so schnell sie kann zu einem Kieshaufen am Eingang zum Schrein, um die Fackel dort auf den Haufen von anderen Fackeln zu werfen. Die Flammen schlagen hoch in den Himmel und die umstehenden Baumwipfel brennen.

Wenn das nächtliche Fest sich langsam dem Höhepunkt zuneigt, dann wird von ganz oben vom Berg, wo der Schrein steht, in einem Mikoshi, einem tragbaren Schrein der Shintai, der Kami Leib herumgetragen, dicht gefolgt von Fackeln und den wild geschlagenen Trommeln. Das Fest endet weit nach Mitternacht, wenn die zahlreichen Besucher mit dem letzten Zug wieder gefahren sind. Erst in den frühen Morgenstunden wird das Dorf wieder ganz still.

Abb. 6 Feuerfest in Kurama

Yasurai Schrein fest im Imamiya Schrein

In der alten Kaiserstadt Kyōto sind die Matsuri nicht ganz so wild wie auf dem Land oder in den Bergen. Aber dennoch ist das Yasurai Matsuri berühmt für die recht wilden Tänze der Oni, der geplagten Geister. Ganz im Norden der Stadt liegt der Imamiya Schrein, der für sein Matsuri berühmt ist. In der direkten Nachbarschaft des Schreines liegt die Tempelstadt des buddhistischen Daitokuji Tempels mit vielen kleinen Untertempeln. Wenn man in der Stille der Zengärten weilt, dann hört man oft eine merkwürdige Musik mit Trommeln und Gongs und hellen Glocken. Das ist die Musik zu dem berühmten Tanz des Imamiya Schreines, die schon lange vor dem Matsuri eingeübt werden muss. Bei dem Matsuri wird der Kami in Gestalt eines großen Schirmes durch die Straßen getragen. Junge Männer tanzen in roten Gewändern mit langen schwarzen und roten Perücken zu dem Klang von Glocken, die sie schlagen und zum scrillen Pfeifen der begleitenden Flöten. Sie stellen die Oni dar, hässliche und abschreckende Gestalten, die ursprünglich aber positive Helfergestalten waren. Sie vertreiben die bösen Geister, die sich im Frühjahr verbreiten und Krankheiten verursachen können. Mit ihrem Tanz ziehen sie durch das ganze Stadtviertel und auch durch das Tempelgelände des buddhistischen Daitokuji bevor sie lange Tänze vor dem Schrein aufführen, bis sie in eine Trance geraten..

3.2 Buddhismus in Japan

Für die spirituelle Entwicklung der Menschen oder für ihren Tod ist der Buddhismus zuständig. In der japanischen Geschichte hat sich so im Laufe der Zeit eine Arbeitsteilung zwischen dem Shinto und dem Buddhismus entwickelt. Wer sich in Meditation üben will oder wer Trost bei Krankheit oder Tod sucht, geht in den buddhistischen Tempel. Wenn man in Japan stirbt, bekommt man als Buddhist einen neuen Namen. Und alle Japaner wollen nach dem Tod einen schöneren Namen haben, also verehren sie heute noch den Buddha.

Japaner werden also als Shintō geboren und sie sterben als Buddhisten. In den großen Kriegszeiten des 16. Jahrhunderts wollte der Kriegsherr Hidēyoshi gerne wissen, wie viele Japaner eigentlich in Kyōto leben. Aber es war nicht möglich, eine Volkszählung zu veranstalten, weil ja ohnehin jeder Japaner der Meinung war, dass man ja beim Kami im Schrein gemeldet war. Da musste man sich nicht auch noch bei einer staatlichen Stelle melden. So führte Hidēyoshi den Brauch ein, dass man nach seinem Tod einen neuen buddhistischen Namen bekommen kann, wenn man denn in dem lokalen Tempel registriert ist. Die Tempel führten nun genau Buch und so konnte Hideyoshi abschätzen, wie viele Japaner in der Stadt lebten. Der posthume Name ist für manche Künstler viel wichtiger als der Name, unter dem sie zu Lebzeiten bekannt waren.

Manchmal heiraten sie auch nach christlichem Brauch, einfach, weil da die Brautkleider so schön sind. So kommt es auch, dass bei Zählungen über die Religionszugehörigkeit regelmäßig weit über 100% der Gesamtbevölkerung gezählt wird.

Der Buddhismus kam erst um das Jahr 552 von Korea nach Japan. Damals gab es das Land Japan noch nicht, es hieß vielmehr das Land Yamato und das war auch nur die fruchtbare Ebene um die alte Kaiserstadt Nara, die es damals auch noch nicht gab. Der Kaiser des Landes war Kimmei, aber sein Titel war noch nicht Tennō - Himmelssohn - sondern nur ganz schlicht .Amenoshita Shiroshimesu Ōkimi’ was so viel bedeutet wie der ‚große König, der alles unter dem Himmel regelt‘. Tennō konnte er noch nicht heißen, weil der Titel aus China stammt und von China wusste man damals im Lande Yamato noch recht wenig. Aber immerhin hatte er sechst kaiserliche Gemahlinnen und 25 Kinder.

Korea bestand damals aus den drei Königreichen Silla und Baekje im Süden und Goguryeo1 im Norden. Der König von Baekje ließ eine Buddhafigur aus Bronze anfertigen, die fast 5 Meter hoch war. Die schickte er zusammen mit einem ganzen Packen von Schriftrollen, Mönchen und Gelehrten als Geschenk an den Kaiser Kimmei nach Yamato.2 Sein Geschenk erläuterte er dem Kaiserkollegen in einem Brief:

Die Lehre [des Buddha] ist die erhabenste unter allen Lehren. Doch sie ist schwer zu verstehen und kaum zugänglich. Selbst der Fürst von Zhou und Konfuzius wussten nichts davon. Diese Lehre belohnt uns mit Wohlstand und Tugend in unvorstellbarem, grenzenlosem Ausmaß, sie führt uns zur höchsten Erleuchtung. Wenn etwa jemand einen Schatz besäße, durch den sich alles, was er benötigt, nach dem Willen seines Herzens fügt, so wäre das gerade so wie der Schatz dieser wunderbaren Lehre. Alles, worum er betet und bittet, geht in Erfüllung, an nichts fehlt es ihm mehr.

Das war nun ein Versprechen so ganz nach dem Herzen des Kaisers. Wer wollte nicht einen solchen Schatz besitzen? Er tanzte vor Freude: »Noch niemals zuvor habe ich eine so wundervolle Botschaft vernommen! Aber ich kann das nicht allein entscheiden«, und so fragte er seine Myriaden von Ministern, einen nach dem anderen: »Alle Länder des Westens verehren den Buddha und man hat noch niemals zuvor solch eine wunderbare Botschaft vernommen. Sollen wir ihn nicht auch verehren und anbeten?«

Der Minister Soga no Iname no Sukune aus der mächtigen Familie der Soga antwortete: »Wenn alle westlichen Länder den Buddha verehren, wie könnten wir, das Land Yamato beiseite stehen?«

Aber sein einflussreicher Gegner aus der Familie der Monobe entgegnete: »Der König und Regent unseres Landes hat immer die einhundertachtzig Götter des Himmels und der Erde, des Landes und der Getreide in Frühling, Sommer, Herbst und Winter verehrt und ihnen Opfergaben dargebracht. Wenn er das künftig nicht mehr tun würde, und statt dessen einen fremdländischen Gott verehrt, so fürchte ich den Zorn der Götter unseres Landes!«

Also beschloss der Kaiser, dass der Minister aus der Familie der Soga einen Tempel für Buddha errichten sollte, damit man sehen konnte, was passieren würde. Er selbst aber und die Familie der Monobe wollten weiterhin den Göttern des Landes die Ehre erweisen.

Aber kaum war der Tempel für Buddha errichtet, als das Land von verheerenden Plagen gequält wurde, die immer schlimmer wurden. Da sagte der Minister der Monobe: »Früher, als wir den Buddha noch nicht verehrt haben, gab es diese Plagen nicht. Es ist deutlich, dass die Götter unseres Landes erzürnt sind!« Also ordnete der Kaiser an, dass man die Buddhastatue im See von Naniwa versenken und den Tempel anzünden sollte. Aber kaum brannte der Tempel lichterloh, als sich ein fürchterlicher Sturm erhob und ein gewaltiger Regen fiel. Ganz plötzlich stand sogar der Kaiserpalast in hellen Flammen. Da war allen klar, dass sich der neue Gott, der aus Korea gekommen war, der aber von weit her aus Indien stammte, so mächtig war, dass man ihn auch besser verehren sollte.

Und so kommt es, dass seit alter Zeit in Japan zwei Religionen nebeneinander bestehen: die Verehrung der einheimischen Kami und die des fremden Buddha, der damals noch als Gott verehrt wurde.