Die Welt in einer Schale Tee - Gerhardt Staufenbiel - E-Book

Die Welt in einer Schale Tee E-Book

Gerhardt Staufenbiel

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Beschreibung

Die japanische Teezeremonie oder der Teeweg wird aus einer jahrzehntelangen Erfahrung auf dem Weg aus den alten Dokumenten und eigenen Erfahrungen dargestellt. Nicht nur das Teetrinken als Übungsform zur Entwicklung der Person, sondern auch die kulturellen Hintergründe bis hin zur japanischen Poesie werden behandelt. Im ersten Band werden die Ursprünge aus dem chinesischen Buddhismus, der Tranfer nach Japan und der allmähliche Japanisierungsprozess dargestellt. Der Teeweg wurde auf diesem Weg ein wesentlicher Aspekt der japanischen Kultur, der heute seinen Weg auch in den Westen findet. Der Teeweg ist nicht nur eine Angelegenheit der japanischen Kultur, sondern auch ein Lebensweg, der für westliche Menschen lebbar und erfahrbar wird. Viele Texte aus der Geschichte des Teeweges und der alten japanischen Kultur sind hier erstmalig in einer westlichen Sprache zugänglich.

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Inhaltsverzeichnis

Chanoyu – der Teeweg

Der Teeweg – ein Leben

1. Chanoyu to wa

2. Mein Weg zum Tee

Rückkehr in den Ursprung: China

3. Tee und Zen - ein Geschmack

4. Tanz mit dem Tee

5. Tee am Jiashan

6. Schneeflocken am Yaoshan Tempel

7. Laienbruder Pang

7.1 Wasser holen – Brennholz sammeln

7.2 Ma Tsu – Plötzliches Erwachen

Formung des WEGES

8. Eisai: Die Zeit des Mappō

8.1 Eisai und der Tee

8.2 Kissa yōjō ki – Die Schrift vom Tee-Trinken

9. Myōe Shōnin

9.1 Die Tugenden des Tees

9.2 Myōe und die Drachen

10. Entwicklung des Tees in Japan

10.1 Tocha und Teespiele

10.2 Ippuku-Issen. Ein Tee – ein Sen

11. Tee in der Einsiedlerhütte

11.1 Kamo no Chōmeis Hütte

12. Viereinhalb Matten – eine Welt

12.1 Das I Ging im Teeraum

12.2 Tatami

Wind in den Kiefern

13. Aufzeichnungen eines Teemeisters

14. Ashikaga Yoshimasa

15. Murata Jūko

15.1 Kokoro no Fumi – Brief des Herzens

15.2 Lehrer des Herzens

15.3 Chinesisch versus Japanisch

15.4 Shikaden: Misch-Stil

15.5 Yugen – Unscheinbare Vollkommenheit

16. Poesie und Tee

17. Wabi und Sabi

18. Zeit für Chanoyu

18.1 Frühling

18.2 Sommerhitze!

18.3 Herbst

18.4 Winter

19. Chanoyu ni wa

20. Ausblicke

21. Jukō Brief Kokoro no fumi

22. Ausgewählte Literatur

23. Andere Bücher des Autors:

Die Welt in einer Schale Tee

Von Gerhardt Staufenbiel

Buchbeschreibung:

Der Japanische Teeweg, die meditative Kunst der Teezubereitung, die vom Zen, in seinem Ursprung aber auch vom Christentum geprägt ist, wird hier aus einer jahrzehntelangen Erfahrung auf diesem Übungsweg vorgestellt.

Die historischen Hintergründe werden mit eigenem Erleben auf diesem Übungsweg kombiniert und ergeben so ein lebendiges und gründliches Bild dieser geheimnisvollen Kunst.

Der Teeweg bildet nicht nur das Herz der Japanischen Kultur, sondern bietet gerade auch in den heutigen hektischen Zeiten einen Ort der Stille und der Selbstreflektion in einer Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen als Gastgeber und Gast.

Über den Autor:

Der Autor blickt auf eine mehr als fünfzigjährige praktische Erfahrung im japanischen Teeweg zurück. Aber auch die Übungswege des Zen, und der Zen-Shakuhachi haben sein Denken geprägt. Zugleich war er als Dozent für Philosophie in der Erwachsenenbildung und als Gründer des Myoshinan Chadojo, dem Zentrum für japanische Künste und den Teeweg tätig.

Er ist Verfasser einer Reihe von Büchern über die japanische Kultur, Zenkünste, Hölderlin und Zenmeister Dōgen, die aus dem Dialog zwischen dem Abendland und dem fernen Osten aus der praktischen Erfahrung in den Zen-Wegen und der abendländischen Philosophie geprägt sind.

Die Welt in einer Schale Tee

Leben auf dem japanischen Teeweg

Band 1

Von Gerhardt Staufenbiel

Band 1

© 2024 Gerhardt Staufenbiel

Verlagslabel: Myoshinan, www.teeweg.de

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Gerhardt Staufenbiel, Waldfenster, Jägergasse, 4, 97705 Burkardroth, Germany.

Chanoyu ist wie der Ton des Windes in der Kiefer, gemalt mit Tusche und Pinsel auf einer Hängerolle.

In meinen Händen halte ich eine Schale Tee.

Seine grüne Farbe ist ein Spiegel der Natur, die uns umgibt.

Ich schließe meine Augen, und tief in mir finde ich die grünen Berge und das klare Wasser der Quellen.

Ich sitze allein, werde still und fühle, wie all dies ein Teil von mir wird.

Sen Sōshitsu XV

Die übernatürlichen Kräfte, so wie sie sind, sind das Teetrinken und das Essen im Hause der Buddhas. Bis heute sind die Buddhas ihrer nicht müde geworden.

Dōgen Zenji

Eine Schale Tee

Draußen wirbeln die weißen Flocken und decken das Land. Alles verschwindet im winterlichen Weiß. Der riesige Wintermond steht hell und klar über den kahlen Feldern.

Die Luft ist rein, aber die Kälte lässt erzittern. Alles wird still. Nur der Wind singt sein Lied in den kahlen Bäumen.

Eilende Schritte knirschen im Schnee.

Drinnen singt der Teekessel über dem Holzkohlenfeuer.

In der versenkten Feuerstelle glühen die Holzkohlen und verbreiten wohlige Wärme. Warmes, flackerndes Kerzenlicht erhellt den winzigen Raum. Der Duft von edlen Hölzern und kostbarem Räucherwerk erfreut das Herz. Still sitzen Menschen um das Feuer und genießen den duftenden Tee aus uralten Schalen.

Der Winter kommt heran.

Sehnsucht nach der Geborgenheit im Teeraum. Heimkehr in die Stille.

Chanoyu – der Teeweg

Chanoyu ist wie der Ton des Windes in der Kiefer, gemalt mit Tusche und Pinsel auf einer Hängerolle.

Chanoyu 茶の湯, im Westen meistens als die japanische Teezeremonie bezeichnet, ist eine traditionelle japanische Kunstform, die sich auf die Zubereitung und den Genuss von Matcha (fein gemahlenem grünen Tee) konzentriert. Wörtlich bedeutet Cha-no-Yu 茶の湯 ‚Heißes Wasser für Tee‘. Das ist eine für den japanischen Zen sehr typische Untertreibung, denn es ist viel mehr als nur als das Erhitzen von Wasser und die Zubereitung und den Konsum von Tee. Es ist eine spirituelle, ästhetische und philosophische Lebenspraxis, die tiefe Einblicke in die japanische Kultur und Lebensweise bietet.

Diese Zeremonie betont Prinzipien wie Harmonie, Respekt, Reinheit und Gelassenheit. Chanoyu kann eine formelle oder informelle Veranstaltung sein, bei der der Gastgeber den Gästen Tee serviert. Die Vorbereitung des Tees wird mit großer Achtsamkeit in ritualisierter Form durchgeführt, wobei jeder Schritt der Zubereitung eine bestimmte Bedeutung hat.

Die Teezeremonie umfasst auch das Studium von Kunstwerken, Keramik, Raumgestaltung und Blumenarrangements, die alle darauf abzielen, eine Atmosphäre der Ruhe und Ästhetik zu schaffen. Die Teilnehmer können sich auf die Schönheit des Moments, den Geschmack des Tees und die Interaktion mit anderen konzentrieren, während sie sich in einer entspannten Umgebung befinden.

Chanoyu hat eine lange Geschichte und ist eng mit dem Buddhismus, der Philosophie des Zen sowie anderen Aspekten der traditionellen japanischen Kultur verbunden. Es dient nicht nur als Gelegenheit, Tee zu trinken, sondern auch als eine Möglichkeit, Achtsamkeit zu praktizieren und die Verbundenheit mit anderen und mit der Natur zu würdigen und zu einem tiefen inneren Frieden zu finden.

Hier im Buch werden wir auch den kulturellen Ursprüngen in China und in Japan nachgehen, die Eingang in den Teeweg gefunden haben.

Der Teeweg – ein Leben

1. Chanoyu to wa

Chanoyu to wa Chanoyu: das bedeutet [1] tada yu wo wakashi Nur Wasser erhitzen cha wo tetete Tee bereiten Koto wo shiru-beshi. und ihn trinken. nomu bakari naru Dessen muß man sich bewusst sein.

Sen no Rikyū

Dieser Text von Teemeister Sen no Rikyū [2] beschreibt das Wesen der japanischen Kunst des Teeweges, des Chadō oder Sa-dō 茶道. [3] Es ist einfach nur: ‚Wasser erhitzen und Tee trinken‘. Mehr nicht. Aber das rituelle Teetrinken ist eine Gelegenheit, bei der in stiller Harmonie die Herzen des Gastgebers und seiner Gäste eine innige Einheit erleben, in der jeder Unterschied zwischen Gast und Gastgeber verschwindet. Das ist ein Zustand eines völligen inneren Friedens beim Teilen einer Schale Tee.

Rikyū wurde einhundert Jahre nach seiner erzwungenen Selbsttötung durch Seppuku zu einer Art Tee-Gott oder Tee-Heiligem erhoben. Sein Beispiel hat den Teeweg in Japan bis heute tief geprägt.

Die Version des Textes oben stammt aus dem Nambōroku, den Aufzeichnungen des Mönches Nambō über seine Gespräche mit Rikyū zum Teeweg. In leicht abgewandelter Form findet sich der Text als waka Gedicht in den Rikyū hyakushū, [4] den einhundert Gedichten über den Tee, die Sen no Rikyū zugeschrieben werden. Das zeigt, wie wichtig der Gedanke der Schlichtheit des ‚einfach nur Tee Trinkens‘ war.

Rikyū nennt diese Kunst mit den schlichten Worten ‚Cha-no-yu‘, wörtlich ‚heißes Wasser für Tee‘. Erst später kam die Bezeichnung Chadō als Weg des Zen in Anlehnung an die anderen Künste wie Kadō oder Ikebana, Kendo oder Kyudō auf. In den westlichen Ländern nennt man diese Kunst eher Teezeremonie. Der Blick der ersten Europäer, die eine Tee-Einladung miterleben durften, fiel auf die Teebereitung als Ritual. Heute gibt es in der Tradition der Urasenke, einer der großen Schulen für Cha-no-yu, mehrere hundert verschiedene formalisierte Methoden, mit denen der pulverisierte grüne Tee zubereitet wird. Tantansai, der Großmeister der Urasenke in der 14. Generation nach Rikyū hat eine Liste mit etwa 800 unterschiedlichen Methoden und mehr als 250 völlig verschiedenen Abläufen bei der Zubereitung des Tees notiert. Die komplexen Formen gleichen einem Ritual, das sich je nach Gelegenheit, den geladenen Gästen, den verwendeten Teegeräten und vor allem auch nach den Jahreszeiten variiert.

Rikyūs Gedicht dagegen betont, dass es sich bei dieser Kunst um etwas ganz Einfaches handelt. Nur Wasser erhitzen, Tee bereiten und trinken. Aber dieses einfache Handeln hat sich zu einer hochstilisierten Kunst entwickelt, die zu einem der wichtigsten Übungswegen Japans, dem Cha-Dō 茶道, dem Tee-Weg wurde. Dieser Teeweg kann durchaus als das Herz der japanischen Kultur angesehen werden.

Rikyūs Gedicht stellt zwar die Kunst des Teetrinkens als ganz einfache Sache vor, aber diese Kunst hat eine ganze Welt geschaffen. Man trifft sich zum Teetrinken in schlichten Teehäusern, deren Architektur eine besondere Kunstform darstellt. Die Teehäuser liegen in eigens für den Teeweg angelegten Gärten, dem Rōji, dem ‚taubedeckten Pfad‘. Der Teeweg hat eine reichhaltige Kultur der Keramik hervorgebracht und eine ganz eigenständige Kunst des Blumensteckens geformt, die sich sehr von der üblichen Form des Ikebana unterscheidet. Viele der japanischen Künste wie die Kunst des Schreibens mit dem Pinsel, das Verfassen von Kurzgedichten oder die Tuschemalerei haben Eingang in den Teeweg gefunden oder sind sogar speziell für den Teeweg geformt worden.

Einfach nur Feuer anzünden, Wasser erhitzen, Tee bereiten und ihn trinken, scheint eine ganz simple Angelegenheit zu sein. Aber in Wahrheit ist es eine sehr komplexe Kunst, die ein jahrelanges Üben erfordert. Das einfache Tee-Trinken steht am Ende eines langen Weges, in dem alles wieder ganz schlicht und natürlich wird.

Im siebten Kapitel, dem Metsugo, ‚Worte nach dem Vergehen‘ berichtet Nambō nach dem Tod Rikyūs aus der Erinnerung. Im zweiten Abschnitt heißt es:

Bei der Verwendung des Daisu, der Beachtung von Yin und Yang und der Kanewari, [5] gibt es unzählige zeremonielle Formen vom formalen Raum bis hin zur flüchtigen wabi Teestube im Grasstil. Nach einer langen Ausbildungszeit sollte ein Teemensch diese Prinzipien und Formen verstehen und ausführen können. Die Essenz von „wabi“ ist die reine und unverfälschte Welt des Buddha, und der taubedeckte Pfad zum Teehaus (roji) ist ein Ort, an dem jeder weltliche Staub abgefallen ist und an dem der Gastgeber und die Gäste einen aufrichtigen Austausch von Herz zu Herz haben. Es geht nicht darum, mit größter Anstrengung die genauen Regeln einzuhalten und die Einzelheiten der Zeremonie genau zu beachten. Es geht nur darum, ein Feuer anzuzünden, Wasser zu kochen, Tee zuzubereiten und ihn zu trinken. Nichts anderes. Diese reine, von allem Unwesentlichen befreite Gestalt ist genau der Geist Buddhas.

Der Text unterscheidet verschiedene Stile der Teebereitung. Das Daisu, ein Schmuckgestell, das aus China nach Japan kam, wurde nur im formalen Shoin-Raum der Adligen verwendet. Die Anordnung der Teegeräte erfolgt nach genauen geheimen Regeln, die den Gesetzen von Yin und Yang, japanisch In und Yō entsprechen.

Zusätzlich gibt es ein geheimes Maßsystem, die kanewari, nach der Anordnung und Abmessungen der Teegeräte geregelt sind. Kane ist das Winkelmaß des Zimmermannes und kanewari ist das Maßsystem, nach dem der gesamte Raum geregelt ist. Die Aufzeichnungen des Mönches Nambō sind die einzige Quelle für das System der kanewari. Sie stehen im Kapitel sumibiki – ‚mit Tusche durchgestrichen‘.

Abb. 1 Nambōroku: Daisu

Keine der modernen Teeschulen vermittelt heute den Schülern die Kenntnis dieses kanewari Maßsystems, aber die gelehrten Formen spiegeln heute noch dieses System wieder, ohne es ausdrücklich zu benennen.

Die Tatami, die Reisstrohmatten, mit denen der Teeraum ausgelegt sind, werden nach Yin- und Yanglinien aufgeteilt. Vermutlich entsprechen diese Linien einem Maßsystem aus den Ritualen des esoterischen Buddhismus und dem Buddhismus des reinen Landes. Nur wenn alle verwendeten Geräte bei den Ritualen genau nach diesem Maßsystem abgemessen und aufgestellt sind, ist gewährleistet, dass der Kultraum dem Paradies des reinen Landes des Amida-Buddha entspricht.

Aber nicht nur der formale Shoin-Raum ist nach diesem System geordnet. Auch die Formen der Teebereitung in der schlichten strohgedeckten Einsiedlerhütte folgen diesem geheimen System, das nur eingeweihten Personen bekannt war. Damit wird der Teeraum zu einem Abbild des westlichen Paradieses des Amida. Man muss nicht bis nach dem Tod warten, um das Paradies betreten zu können. Bereits das gemeinsame Teetrinken ist wie die Rückkehr in dieses Paradies.

Die formale Unterscheidung der Stile bei der Teebereitung bezieht sich nicht nur auf die Formen im Shoin-Raum oder in der strohgedeckten Hütte. Bereits die Art des Tees, der zubereitet wird, ist nach formalem oder eher schlichtem Tee im Grasstil unterschieden. In der gesamten japanischen Kunst gibt es drei Stile mit unterschiedlicher Formalität, nämlich shin 真, gyō 行 und sō 草. Der formalste Stil ist shin 真. Wörtlich ist shin die Wahrheit, wahr, echt. In den Kunststilen ist es der formalste Stil. In der Schreibkunst bezeichnet shin den `Kanzleistil‘, bei dem die Schriftzeichen in ihrer strengsten und korrekten Form geschrieben werden. Gyō ist halbformal und sō ist wörtlich ‚Gras‘. In der Schreibkunst tanzt der Pinsel flüchtig über das Papier und man benötigt oft spezielle Lexika, um die im Grasstil geschriebene Schrift überhaupt lesen zu können.

Die schlichte und flüchtig gebaute Teehütte im Grasstil ist Sōan 草庵. Im Münchner Englischen Garten hatte einmal ein deutscher Künstler die Grashütte des Teemeisters Sōan nachgebaut. Er dachte, der Teemeister Sōan hätte sich einmal eine Hütte aus Gras gebaut. Das zeugt dann wohl von totaler Unkenntnis der japanischen Kultur. Natürlich gibt es keinen Teemeister Namens Sōan und die Hütte ist auch nicht aus Gras, sondern im Grasstil gebaut. Die Wände sind aus Lehm und Bambus und das Dach ist mit Stroh gedeckt. Im Inneren der Hütte ist der eigentliche Teeraum mit Tatami, den Reisstroh-Matten ausgelegt. Gras findet man dort nirgendwo.

Die Unterscheidung nach formalem, wahren Tee gibt es bereits bei der Art der Teezubereitung. Heute gibt es die strikte Trennung von formalem dicken Tee im Shin-Stil, dem Koicha und dem dünnen Tee im Grasstil, dem Usucha. Beim dünnen Tee werden lediglich zwei Teelöffel Teepulver mit etwa 15 bis 20 ml Wasser gemischt und mit dem Teebesen schaumig geschlagen. Beim dicken Tee dagegen werden pro Person ca 15 Teelöffel vom Teepulver mit wenig Wasser geknetet bis eine glänzende Masse von etwa der Konsistenz von Rahmspinat entsteht. Der Tee ist so dick, dass man ihn eher essen statt trinken muss. Er soll so flüssig sein, dass man in gerade noch ohne Löffel aus der Schale ‚trinken‘ kann. Bei der Zubereitung des dicken Tees liegt der Schwerpunkt auf der strengen Einhaltung der Form. Die Zeremonie wird in tiefem Schweigen und voller Konzentration auf den Tee durchgeführt. Erst wenn der Gast den ersten Schluck probiert hat, fragt der Gastgeber, ob die ‚Medizin‘ so in Ordnung ist: „O fuku kagen wa“.

Die Zubereitung erfolgt nach genau festgelegten Schritten einer Choreografie. Zunächst werden die Teegeräte in den Raum gebracht und angeordnet. Dann wird die Teeschale angewärmt und der Teebesen aus Bambus gewässert, damit die Fäden des Besens nicht brechen. Im nächsten Schritt wird das Teepulver in die Schale gegeben und mit Wasser vermischt. Teilweise sind die einzelnen Schritte in einer ganz natürlichen Abfolge geordnet. Gibt man etwa den Tee in das heiße Wasser, so ist es sehr schwer, das Teepulver gut mit dem Wasser zu vermischen. Also kommt zuerst das Pulver in die Schale und wird dann mit Wasser aufgegossen. Die einzelnen Schritte folgen festen Konventionen, die sich sehr stark je nach tenmae unterscheiden. Die Choreografie der Schritte wird als tenmae 点前 oder temae 手前 bezeichnet. Ten 点 - mae 前 ist wörtlich ‚Punkt und davor‘. Das Bewusstsein ist immer genau am Punkt: jetzt und jetzt und jetzt. Es ist eine Abfolge von Augenblicken, die immer genau jetzt, am Punkt sind. Te 手 - mae 前 ist der Punkt, der unmittelbar vor der Hand liegt. Der Gastgeber tut immer genau das, was gerade jetzt vor der Hand liegt. Temae 手前 ist eine Kunst oder Kunstfertigkeit, in diesem Fall für die Zubereitung des Tees nach einem festen Ritual.

Es ist nicht sicher, ab wann die Formen von Usucha und Koicha streng unterschieden wurden. Vermutlich gab es eine dünnere Variante des Tees und eine dickere, mehr cremige Art. Heute wird streng zwischen den beiden Arten unterschieden. Der dicke Tee ist dabei als Shin, als ‚wahrer Tee‘ klassifiziert und der dünne Tee als Sō – Tee, also als ‚Gras-Tee‘.

Die meisten formalen Variationen der Teezeremonie sind Formen des Koicha. Beim dünnen Tee steht der Gast im Mittelpunkt während bei den formalen Zeremonien der Schwerpunkt und die Konzentration auf der Zubereitung von Tee liegt. Aber bei den formalen Zeremonien im Shin-Stil besteht die Gefahr, dass die Einhaltung der Formen so wichtig genommen wird, dass Gast oder Gastgeber über die Fehler der anderen spotten. Im Nambōrōku heißt es dazu:

Bei der Verwendung des Daisu, der Beachtung von Yin und Yang und der Kanewari (台子陰陽の曲尺割) gibt es unzählige zeremonielle Formen vom formalen Shoin-Raum bis hin zur flüchtigen wabi Teestube im Grasstil. Nach einer langen Ausbildungszeit sollte ein Teemensch diese Prinzipien und Formen verstehen und ausführen können. Die Essenz von wabi ist jedoch der Ausdruck der reinen und unverfälschten Welt des Buddha, und der taubedeckte Pfad zum Teehaus (roji) ist ein Ort, an dem jeder weltliche Staub abgefallen ist und an dem der Gastgeber und die Gäste einen aufrichtigen Austausch von Herz zu Herz haben. Es geht nicht darum, mit größter Anstrengung die genauen Regeln einzuhalten und die Einzelheiten der Zeremonie genau zu beachten. Es geht nur darum, ein Feuer zu anzuzünden, Wasser zu kochen, Tee zuzubereiten und ihn zu trinken. Nichts anderes. Diese reine, von allem befreite Form entspricht genau dem Geist des Buddha.

Auch heute noch gibt es in den Traditionen der Teeschulen Japans geheime Überlieferungen, die nur fortgeschrittenen Schülern vorbehalten sind. Diese Formen sind sogar nach Stufen der Geheimhaltung geordnet. Es gibt in der Tradition der Urasenke die Shikaden, die Okuden und die Betsuden als geheimste Form, die nur mündlich vom Lehrer auf den Schüler weitergegeben werden. Aber es besteht die Gefahr, dass bei diesen strengen Formen der eigentliche Geist des Teeweges verloren geht. Im Nambōroku heißt es dazu:

Die Gäste kritisieren den Gastgeber und der Gastgeber macht sich lustig über die Fehler seiner Gäste. Aber wir können nicht darauf warten, bis jemand kommt, der im Erwachen die Wahrheit versteht. Wenn ich den Tee bereiten könnte mit dem großen Meister Zhaozhou [6] als Lehrer und Bodhidharma als Gast, dann könnte ich eine wirklich gelungene Teeversammlung gestalten.Yukai Yukai 愉快 愉快 – Angenehm froh

Nambō wünscht sich den alten chinesischen Meister Zhaozhou, oder wie ihn die Japaner nennen Jōshū als Lehrer. Jōshū soll nach der Tradition erst im Alter von achtzig Jahren begonnen haben, eigene Schüler anzunehmen. Dann unterrichtete er noch weitere vierzig Jahre als Zenmeister bis er mit fast 120 Jahren starb. Von ihm gibt es sehr viele Zengeschichten und Kōan. Allen gemeinsam sind es die Schlichtheit und der einfache, alltägliche Geist, der aus den Geschichten spricht.

Einmal wurde Jōshū von einem Mönch gefragt, wie man die Buddhaschaft erlangen kann. Jōshū antwortete: „Als ich jung war, habe ich mir ein Mönchsgewand aus sechs Pfund Hanf gemacht!“ In einem anderen Koan wird der chinesische Zenmeister Dong-Shan gefragt:

„Ru he shi Fo – Was ist Buddha?“ Dong-Shan antwortete: „Drei Pfund Hanf!“

Die drei Pfund Hanf sind wohl nötig, um eine Zenrobe für den Mönch zu fertigen. [7] Sechs Pfund für die Robe von Jōshū sind einfach zu viel und zu schwer. Als junger Mensch stellt man sich oft die schweren und komplizierten Fragen. Aber im Alter merkt man, dass drei Pfund Hanf genügen. Nicht danach fragen, wie man zum Buddha werden kann. Das ist eine viel zu schwere Frage. Einfach nur die alltäglichen Dinge tun wie Wasser holen, Feuer anzünden, Tee bereiten und trinken.

Einmal wurde Jōshū wieder nach Buddha gefragt. Er antwortete mit einer Gegenfrage: „Hast du deine Reisschale schon gewaschen?“ Frag keine theoretischen Fragen, tue einfach das, was jetzt im Augenblick unmittelbar erforderlich ist.

Bodhidharma ist der indische Prinz, der den Zen nach China brachte. Nach der Legende saß er neun Monate mit dem Gesicht zur Wand in einer Höhle und meditierte. Als er müde wurde, riss er seine Augenlider ab und warf sie auf den Boden. Daraus entstand der Teestrauch. Heute können die Mönche bei der Meditation den Tee trinken, damit sie bei der Meditation nicht müde werden. Sie müssen sich zum Glück auch nicht mehr die Augenlider abreißen. Noch heute sind die Zenmönche in Japan die größten Konsumenten des pulverisierten Matcha.

Wenn Jōshū mit seinem alltäglichen Geist der Gastgeber ist und Bodhidharma der Gast, dann würde eine Teeeinladung für Nambō eine sehr freudige und angenehme Angelegenheit, weit entfernt vom Stress der Bewältigung all der komplizierten Rituale und Formen. So schreibt er dann auch unter seinem Text: Yukai 愉快 Yukai 愉快 .

Yukai ist ein Ausruf der Freude und des Wohlbefindens. Mit diesen beiden Gästen wäre die Teeinladung keine Pflicht, sondern eine angenehme und freudvolle Angelegenheit. Alles Bemühen um komplexe Formen und das sorgsame Einhalten von Regeln und Formen sind verschwunden. Die Bewegungen beim Bereiten von Tee sind fließend und völlig selbstvergessen geworden. Atmung und Bewegung werden eine harmonische Einheit und der Unterschied zwischen Gast und Gastgeber verschwindet. Alle atmen im selben Rhythmus. Keiner achtet auf etwaige Fehler des anderen. Alle sind ganz und gar in eins und genießen in freudig entspannter Atmosphäre gemeinsam den Tee.

Es ist jedoch nicht möglich, irgend jemanden in dieser Welt in Bodhidharma oder Jōshū zu verwandeln. Die Tatsache, dass du das willst, bedeutet auch, dass du ein hartnäckiger junger Mann bist, was dem Buddhismus hinderlich ist. Das spielt keine Rolle. Es heißt, dass diejenigen, die die drei Welten verlassen haben, in Frieden leben können, ohne sich von den drei Welten belästigt zu fühlen.

Der Text wendet sich hier gegen den missionarischen Eifer, mit dem versucht wird, alle Menschen von der Richtigkeit der eigenen Ideen zu überzeugen oder sie zu zwingen, ebenso wie man selbst, unbedingt dem buddhistisch geprägten Teeweg zu folgen. Die drei Welten sind die Welt der Leidenschaften, die Welt des Hungers und die friedliche Welt des erlösten Geistes. Die erste Welt ist die alltägliche Welt, in der das Feuer der Leidenschaften, des Neides und der Missgunst in der Hektik des Alltags brennt. Die zweite Welt ist die Welt, in der die Übenden beginnen, sich aus diesem brennenden Feuer der Leidenschaften zu lösen. Diese beiden ersten Welten repräsentieren den Zustand des intensiven Leidens und der Qualen, die aufgrund von schlechten Handlungen und schlechtem Karma erlebt werden. Sie sind nicht nur als physischer Ort verstanden, sondern als ein Zustand des Geistes, in dem Leid und Unzufriedenheit vorherrschen. Die Dritte Welt ist die Welt der Befreiung vom Leiden, die unmittelbar als Ergebnis der Meditation erfahren werden kann. Jemand, der den inneren Frieden gefunden hat, verzichtet darauf, zu missionieren. Lediglich das Beispiel seines Lebens kann Andere motivieren, ebenfalls diesen Weg der Befreiung zu gehen. Nambō fährt fort:

„Bis hierher habe ich zugehört, aber die Bedeutung von Meister Rikyūs Worten ist mir etwas verschwommen, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Was genau ist das ‚Erwachen des Meisters‘ und wie äußert es sich?“ Meister Rikyū antwortete darauf: „Die tiefe Erleuchtung der Gründer des Buddhismus übersteigt weit jemanden wie mich in Bezug auf den buddhistischen Weg. Als Zen-Mönch kommst du nicht einmal annähernd an sie heran.

Aber wenn man versucht, sie durch die buddhistischen Schriften und ihre Kommentare zu verstehen, ist man verloren. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was ich über die Teezeremonie gelernt habe. Die Teezeremonie hat eine Unzahl von Regeln und Vorschriften, einschließlich des Daisu. Die alten Meister hörten auf, diese Regeln zu lernen, und schrieben sie nur in ihren Geheimbüchern nieder, um sie ein Leben lang zu bewahren. Ich hatte den Ehrgeiz, eine höhere Stufe zu erklimmen, und so widmete ich mich der Zen-Meditation bei den Mönchen von Daitokuji und Nanshuji.

Ich widme mich der Teezeremonie jeden Morgen und Abend, basierend auf den zen-buddhistischen Regeln der Reinheit. Ich schuf auch die Grenzen des Roji und der Welt des Reinen Landes im westlichen Paradies und gestaltete die Teezeremonie in einer winzigen Einsiedelei mit zwei Tatami-Matten. Ich spürte die Bedeutung meiner Übungen beim Tragen von Feuerholz und beim Wasserholen, und ich erkannte, dass in einer Schale Tee wahrer Geschmack steckt. Aber es ist meine Schuld, dass das Herz des Tees, das wie klares Wasser sein will, manchmal trübe wird. Wenn der Gast keine Person ist, die den Weg gemeistert hat, wird auch der Meister von der Unerfahrenheit des Gastes beeinflusst“.

Anders als die alten Meister, die lediglich den Ablauf der Zeremonien in geheime Bücher geschrieben, aber die Zeremonie nicht mehr praktisch geübt hatten, übt Rikyū jeden Morgen und jeden Abend die komplette Zeremonie. Es genügt nicht, zu wissen, wie die Zeremonien ablaufen sollen, sie müssen praktisch geübt werden und das immer und immer wieder. Dabei gestaltet Rikyū sie aus den Erfahrungen heraus, die er bei der Zen-Meditation gemacht hatte. Es genügt nicht, still für sich in Versenkung zu sitzen. Die Erfahrung aus der Meditation muss sich im alltäglichen Tun verwirklichen. Das Tragen von Feuerholz und das Wasserholen sind die alltäglichen Übungen, die noch weit über eine reine Zen-Meditation hinausführen und die zu den einfachen Tätigkeiten des Alltäglichen gehören.

Der Zen-Mönch Nambō betont, dass für Rikyū die Zen-Meditation allein nicht genügt. Rikyū ist bei seinem praktischen Tun auch von den Vorstellungen des reinen Landes geleitet. Das ‚reine Land‘ des Amida Buddha ist ein Paradies, weit im Westen gelegen. Dort herrscht vollkommene Harmonie. Kein Mensch herrscht über Andere und letztlich verwandelt sich die ganze Welt in Gold. Das reine Land hat große Ähnlichkeiten mit den Vorstellungen des christlichen Paradieses. Wenn man stirbt und man hat vorher mit vollkommen reinem Herzen den Namen Amida Buddhas gerufen, dann erscheint im Sterben Amida Buddha und geleitet den Sterbenden in das westliche Paradies. Aber Rikyū genügt die Vorstellung des reinen Landes, das man nach dem Tod erreicht, nicht. Er gestaltet den Rōji, den Teegarten und den kleinen Teeraum so, dass sie ein Abbild des reinen Landes sind.

Rōji bedeutet wörtlich ‚taubedeckter Boden 露地‘. Dieser Garten ist mehr als nur ein Weg, der zur Teestube führt; er ist eine sorgfältig gestaltete Umgebung, die die Gäste auf die spirituelle Erfahrung der Teezeremonie vorbereitet. Der Rōji erweckt mitten in der Großstadt den Eindruck eines moosbedeckten Pfades weitab von jeder Hektik in den Gebirgen. Mitten im Garten liegt ein kleiner Zaun mit einer Tür, die den Bereich der Außenwelt vom stillen Ort des Teehauses abgrenzt. Beim Durchschreiten der Tür verlässt man den Bereich der Hektik und des Alltags. Vor dem Eingang zum Teeraum steht ein Wasserbecken, an dem man Hände und Mund vom Staub des Alltags reinigt.

Im Lotossutra wird von einem Hausherrn berichtet, der entdeckt, dass sein Haus lichterloh brennt. Wenn er die Familienmitglieder warnt, so würden sie in Gier versuchen, zu retten, was zu retten ist und dabei im Feuer umkommen. So ruft er, dass draußen im Freien auf dem ‚taubedeckten Boden‘ - dem Roji - ein Wagen steht, der mit kostbaren Edelsteinen und goldenem Geschmeide gefüllt ist. So rennen alle nach draußen. Dort aber erkennen sie, dass sie gerade ein brennendes Haus verlassen haben. Das brennende Haus ist die alltägliche Welt der Hektik und der Gier. Der Roji der Ort, an dem das kühle Feuer des Erwachens auf den Tautropfen im Moos leuchtet. Es ist der Ort der Befreiung vom Feuer der Leidenschaften.

roji wa tada Da der taubedeckte Pfad ukiyo no hoka no nichts anderes ist michi naru ni als ein Weg abseits des Weltgetriebes, kokoro no chiri no wird er das Herz wohl nado chirasan von seiner Unreinheit befreien.

Der Roji dient dazu, die Gäste auf den Moment der Teezeremonie vorzubereiten, indem er sie dazu einlädt, ihre Gedanken loszulassen, ihre Sinne zu schärfen und sich auf die Einfachheit und Schönheit des Moments zu konzentrieren. Es ist eine Gelegenheit, sich von äußeren Ablenkungen zu lösen und sich auf die gemeinsame Erfahrung des Tees, der Harmonie und der Verbundenheit zu konzentrieren.

Der Mönch Nambō – falls der denn tatsächlich gelebt haben sollte – war ein Zenmönch in der Nachfolge des großen Zenmeisters Ikkyū. Dennoch ordnete er den Tee nicht als Kunst des reinen Zen ein. Vielmehr ist er eine Kunst als Verwirklichung des Buddha, unabhängig von irgendwelchen Schulrichtungen. Tatsächlich hat auch der Buddhismus des reinen Landes des Amida Buddha einen großen Einfluss auf die Philosophie des Teeweges gehabt. Der Teeraum ist dann nicht nur eine Stätte der Zen-Übung, sondern auch eine Verwirklichung des Paradieses im Reinen Land Amidas und eine Übung, die nicht nur Zenbuddhisten, sondern auch Anhänger anderer buddistischer Richtungen in Japan ausübten.

Für die meisten Japaner ist heute die Kunst der Teebereitung in keiner Weise mehr mit religiösen Vorstellungen verbunden. Die Teekunst ist weitgehend zu einer Unterhaltung und zum Zeitvertreib gut situierter älterer Damen geworden. Der Einfluss des Zen auf den Tee wird anerkannt, genau so wie der Zen andere Künste wie etwa die Malerei, die Schreibkunst oder das Spiel der Shakuhachi beeinflusst hat. Außerhalb Japans dagegen suchen die Teeschüler häufig nach einer Methode, in die Stille zu kommen. Daher wird der Teeweg meistens als Zen-Kunst und als Meditation verstanden.

Dass der Tee keine rein religiöse Kunst ist, die lediglich für japanische Buddhisten lebbar wäre, zeigt, dass die christlichen Missionare der Jesuiten, die zur Zeit Rikyūs in Japan missionierten, begeisterte Anhänger der Teekunst waren.

Gemeinsam essen und trinken ist auch nicht auf die japanische Kultur beschränkt. Es ist ein Ur-Erleben, seit es Menschen gibt. Die Formen des Chanoyu konnten sich lediglich deshalb nicht im Abendland verbreiten, weil sich Japan für Jahrhunderte völlig von der Außenwelt abgrenzte. So wurde die Kunst der Teebereitung zu einer unverwechselbaren japanischen Kunst, wie sie sonst nirgendwo auf der Welt entstanden ist.

Dennoch gibt es sogar in dieser ganz und gar japanischen Kunst Elemente aus dem christlichen Abendland. Die Jesuiten, die in Japan missioniert haben, waren begeisterte Anhänger der Teezeremonie. Es wird sogar gesagt, dass der heilige Franz Xavier den Teemeister Sen Rikyū getroffen hat und ihm vom Kamel erzählt hat, das eher durch ein Nadelöhr hindurchgeht, als dass ein Reicher Eingang in das Himmelreich finden wird.

Daraufhin hat Rikyū die Eingangstür in den Teeraum so niedrig geformt, dass man sich auf die Knie lassen muss, um dort hineinzukriechen.

Die Bewegungen, mit denen die Teeschale mit einem weißen Tüchlein ausgewischt wird, können als I-N-RI, geschrieben in japanischen Kana – Zeichen いんり, gedeutet werden. Man kann heute noch in den Bewegungsmustern der Urasenke-Schule den Einfluss der Missionare erkennen. Wenn die Teeschale mit einem weißen Leinentüchlein gereinigt wird, so ergeben die Bewegungen die Form von japanischen Hiragana Schriftzeichen. Man schreibt die Silben ‚i‘ い und ‚ri‘り. Mit dem Teebesen wird anschließend ein ‚no‘ の geschrieben. Japanische Teelehrer erklären häufig, dass die drei Zeichen das Wort i-no-ri ‚beten, ein Gebet verrichten‘, meinen. Aber inori ist ein modernes japanisches Wort. In der alten japanischen Sprache aus der Zeit Rikyūs kommt dieses Wort nicht vor. Außerdem wird nicht i-no-ri, sondern i-ri-no geschrieben. Schaut man genau auf die Bewegungen, so folgt auf das Zeichen für i い ein flüchtig dahingeschleudertes ‚n‘ ん und damit ergibt sich die Zeichenfolge I-N-RI. Kein Japaner kennt die Bedeutung dieser Zeichenfolge. Es könnte sein, dass diese Bewegung ein Erkennungszeichen der Christen war, die sich durch diese Zeichen heimlich zu erkennen gaben. Offiziell war ja das Christentum nach der Abschließung Japans verboten und man konnte seinen Glauben nur im Verborgenen leben.

Abb. 2 Teeschale mit Kreuz

Das Auswischen der Teeschale ist vermutlich ein Überbleibsel aus der Missionierung der Jesuiten in Japan. Viele Beobachter, die zum ersten Mal eine Teezeremonie erleben, fühlen sich an eine katholische Messfeier erinnert.

Das ist die Hinterlassenschaft der Jesuiten, die begeisterte Anhänger der Teekunst waren. Jede Missionsstation verfügte über einen Teeraum und einer der Patres war dafür zuständig, dass der Raum stets für unerwartete Gäste vorbereitet war. Es gab sogar Teeschalen mit einem Kreuz auf der Vorderseite und Kaltwassergefäße in der Form von Taufbecken. Vielleicht hätte die Teezeremonie sogar Eingang in die abendländische Kultur gefunden, wenn nicht später die Christen in Japan verfolgt worden wären und sich das Land nicht völlig gegen die Außenwelt abgeschottet hätte. Diese Abschottung gegen den Westen entstand letztlich als Antwort auf die Politik Spaniens, die mit der Missionierung der Japaner die Herrschaft in Japan übernehmen wollten. [8]

Der Jesuitenpater Luis d‘Almeida beschrieb in einem Brief von Oktober 1561 eine solche Teezeremonie.

Hochstehende und reiche Japaner lieben es, ihren Gästen ihre Schätze als Zeichen der Wertschätzung zu zeigen. Diese Schätze bestehen aus Utensilien, die sie zum Trinken eines bestimmten pulverisierten Krautes benutzen, das sie cha nennen. Dieses Kraut ist bei denen, die es trinken sehr beliebt. Sie mahlen eine halbe Handvoll der Blätter, geben sie in eine Porzellanschale und füllen mit heißem Wasser auf. Dazu benutzen sie einen sehr alten Eisenkessel und einen Behälter für das Wasser, mit dem sie die Porzellanschale reinigen. Außerdem einen kleinen Dreifuß, auf den sie den Deckel des Wasserkessels ablegen, damit er nicht auf den Bodenmatten liegt. Der Behälter für die Teeblätter, der Löffel und die Schöpfkelle mit der sie das Wasser aus dem Kessel schöpfen - alle diese Utensilien sind die Kostbarkeiten Japans so wie Ringe, Halsketten, kostbare Rubine und Diamanten bei uns.

Luis d‘Almeida war als echter Portugiese tief beeindruckt über den Reichtum, den die Japaner, denen er begegnete, in ihren Teeräumen zeigten. Weit entfernt vom Ideal der Schlichtheit, wie es Rikyū formuliert, ging es den japanischen Teeleuten offenbar darum, kostbare Gegenstände zu zeigen. Luis d‘Almeida schreibt weiter in seinem Brief:

(Im Teeraum) war auf einer Seite ein Regal, wie es hier üblich ist und davor eine Feuerstelle aus schwarzer Keramik, die glänzte wie ein polierter Spiegel. Darauf ein wunderbar gestalteter Teekessel auf einem merkwürdig geformten Dreifuß. [9]

Die Asche, auf der die Holzkohle glühte, sah aus wie sehr fein gemahlene und gesiebte Eierschalen. Alles war von größter Reinheit und so geordnet, dass man es kaum beschreiben kann. Mein Begleiter sagte mir, dass der Gastgeber den Teekessel für über 600 Dukaten [10] erstanden hatte, dass er aber sehr viel mehr Wert sei. Nachdem wir Platz genommen hatten, wurde eine Mahlzeit serviert. ... Ich kann versichern, dass man nirgendwo auf der ganzen Welt ein Mahl finden kann, dass besser bereitet und serviert wird als in Japan.

Nach der Mahlzeit setzten wir uns alle anmutig auf unseren Knien nieder, wie es unter den japanischen Christen Sitte ist.

Der Gastgeber servierte eigenhändig den Cha, den ich vorher beschrieben habe. Anschließend zeigte er mir einen kleinen eisernen Dreifuß, auf dem er zuvor den Deckel des Wasserkessels abgelegt hatte. Er war so alt, dass er aus mehreren zerbrochenen Stücken wieder zusammengelötet war. Der Gastgeber erklärte mir, dass er dafür 1030 Dukaten [11] bezahlt hatte, dass er aber der Meinung sei, dass er sehr viel mehr wert sei. Er zeigte mir noch mehrere Utensilien, die alle in feine Beutel aus Damast und Seide gehüllt und in kleinen Holzkästen aufbewahrt waren. Er sagte mir, dass er noch mehr solcher Schätze besäße, die aber an einem sicheren Ort aufbewahrt würden.

Auch Rikyū war einer solchen Prachtentfaltung nicht abgeneigt. Für eine Teezeremonie am Hofe des Tennō hatte er einen zerlegbaren Teeraum entworfen, in dem alles aus Gold bestand. Sogar die Wände der Teehütte waren vergoldet und die Teeschale bestand aus purem Gold. Dabei ging es Rikyū aber vermutlich nicht darum, den Reichtum zu zeigen. Vielmehr verstand er den Teeraum als das westliche Paradies des Amida-Buddha, in dem alles aus Gold besteht.

Aber als Erfüllung des buddhistischen Ideals galt Rikyū der schlichte Teeraum mit unverputzten Lehmwänden, in dem einfaches Gerät verwendet wurde. In der Schrift Nambōroku sagt Rikyū im Gespräch mit dem Mönch Nambō:

Chanoyu im kleinen Raum ist vor allem eine Verwirklichung des Dō (des WEGES) im Geist des Buddhismus. Sich an der großartigen Konstruktion eines Hauses und an dem Geschmack erlesener Speisen zu freuen, ist eine sehr weltliche Angelegenheit. Uns genügt ein Haus, durch dessen Dach es nicht regnet, und ein Mahl, bei dem gerade der Hunger gestillt ist. Das entspricht der Lehre Buddhas und dem wahren Geist der Teekunst.

Rikyū nimmt hier ausdrücklich Bezug auf einen kleinen Teeraum, den er als Vollendung des Weges im Buddhismus sieht. Dass er sich in diesem Text ausdrücklich auf den Buddhismus bezieht, liegt an seinem Gesprächspartner, dem Zenmönch Nambō. Die Jesuiten haben ihre Art der Teebereitung wohl als Verwirklichung des christlichen Glaubens gesehen. Auch sehr viele der frühen Teemeister aus der Zeit Rikyūs waren entweder zum Christentum übergetreten oder hatten große Sympathien für das Christentum. Der Teeweg hat durchaus auch viele christliche Ideale der europäischen Renaissance aufgenommen. So gilt im Teeraum die Gleichheit der Menschen ohne Rangunterschied und ohne Berücksichtigung des Glaubens oder der ethnischen Zugehörigkeit. Das war im feudalen Japan durchaus nicht selbstverständlich. So ist der eigentliche Gehalt des Teeweges jenseits jeder Weltanschauung oder Religion.

Die kleinen Räume, die Rikyū entworfen hat, sind tatsächlich sehr klein. Der Raum Taian, den er speziell zum Empfang Hideyoshis nach dessen Korea-Feldzug entworfen und gebaut hatte, ist nur zwei Tatami groß. Eine Tatami ist eine Matte aus Binsengras und Reisstroh mit einer Größe von 95 cm auf 1,90 m. Der Raum hat also nur etwas mehr als dreieinhalb Quadratmeter. Und das für den Empfang eines siegreichen Feldherrn und Herrschers! In der Burg von Osaka, einem der militärischen Hauptsitze Hideyoshis hatte Rikyū den Yamasato Raum entworfen mit ebenfalls zwei Tatami. In diesem Raum empfing Hideyoshi wichtige politische Partner zum Tee. Yamasato 山里 ist ein kleines abgeschiedenes Bergdorf, das weitab von größeren Städten in der Einsamkeit der Berge liegt. Mitten in der von Krieg und Kampf geprägten Burg hatte Rikyū einen Rückzugsort in die Stille geschaffen. Hier ging es nicht um Prachtentfaltung und um prahlerische Präsentation von kostbaren Teegeräten. Hier konnten der Herrscher und seine Gäste den Frieden an einem geschützten Ort finden.

Es gab auch schon früh Bemühungen, sich von der Prachtentfaltung im Teeraum zu distanzieren. Man muss kein Vermögen ausgeben, um Wasser in einem eisernen Teekessel zu erhitzen.

In einem kleinen Vorort der Kaiserstadt Kyōto lebte der Teemeister Hechikan demonstrativ in großer Armut und in bescheidenen Verhältnissen. Er besaß nur einen einzigen Teekessel, mit dem er frisches Wasser holte, in dem er seinen Reisbrei kochte und den er auch für die Teezeremonie benutzte. Er besang den Kessel mit einem traditionellen Waka:

Tetori me yo / onore wa kuchi ga / sashideta zo / zōsui taku to / hito ni kataru na [12]

Oh mein Kessel! Dein Mund (Öffnung) ist etwas zu vorlaut. Erzähle den Menschen nicht, dass ich in dir meinen Reisbrei gekocht habe.

Eines Tages wollte Rikyū ihn besuchen, aber das Teehaus lag direkt an einer staubigen und belebten Straße. Am Eingang gab es zwar einen Brunnen, aber Rikyū meinte, dass man unmöglich mit Wasser aus diesem staubigen Brunnen den Tee bereiten könnte. Als er sich umdrehte, um wieder zu gehen, rief ihm Hechikan zu, dass er ruhig kommen könne, denn das Wasser wurde in den Bergen geschöpft und kam nicht aus diesem Brunnen. Rikyū kehrte um und beide hatten gute Gespräche beim Tee. Später wurden beide sogar gute Freunde. [13]

In den einhundert Lehrgedichten Rikyūs wird ebenfalls gesagt, dass es genügt, einen einzigen Teekessel zu besitzen. Mehr braucht es nicht, um Chanoyu zu praktizieren:

釜一つあれば茶の湯はなるものを数の道具をもつは悪かな 

Kama hitotsu areba chanoyu wa naru mono o kazu no dogu o motsu wa orokana.

Wenn man einen Kama (Teekessel) für Chanoyu hat, ist es töricht, viele Teegeräte zu besitzen. [14]

Selbstverständlich benötigt man auch noch eine Schöpfkelle, eine Teedose und eine Teeschale. Gemeint ist, im Geiste der Schlichtheit den Tee zu praktizieren. Es kommt nicht darauf an, teure Teegeräte um sich herum zu versammeln. Es genügt, mit einem reinen und aufrichtigen Herzen den Tee zu bereiten. So kann Chanoyu oder die ‚Teezeremonie‘ in vollkommen unterschiedlichen Atmosphären und im unterschiedlichsten Geist gelebt und praktiziert werden. Auch heute gibt es den Tee als Nachweis, dass man über einen guten Geschmack verfügt und teure Teegeräte gesammelt hat. Es gibt auch den Tee als meditative Kunst, die in kleinen Räumen geübt wird. Während des Weltkrieges wurde der Teeweg als nationales Kulturgut verstanden. Der fünfzehnte Großmeister der Urasenke Sōshitsu Sen XV diente auf Kyūshū in einem Teil der japanischen Truppen, die versuchten, mit den Kamikaze-Fliegern die amerikanische Flotte zu treffen. Nach dem Krieg wandelte sich das Verständnis des Teeweges. Sōshitsu Sen begann, ihn als Mittel der Völkerverständigung weltweit zu verbreiten. Seine Devise war: „Frieden durch Teilen einer Schale Tee“. Am häufigsten aber findet man den Tee in Japan heute als Freizeitbeschäftigung wohlhabender älterer Damen, die sich in kostbare Kimonos gekleidet zu einem Treffen mit guten Gesprächen beim Tee versammeln. Dort wird der Teeweg nicht als meditative Kunst, sondern als lockere gesellschaftliche Zusammenkunft verstanden. So kann sich der Teeweg historisch an die Gegebenheiten der jeweiligen Zeit anpassen. Seine Spannweite reicht von einer meditativen, vom Zen beeinflussten Kunst bis hin zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung für ältere Damen.

In der klassischen Schrift Nambōroku erklärt Rikyū chanoyu als eine Kunst, die allgemein menschlich ist. Hier im Text bekommt diese Kunst einen buddhistischen Hintergrund, aber wenn man Buddha als einen Menschen versteht, der zu sich selbst gefunden hat und der damit zum Vorbild für andere wurde, dann handelt es sich um etwas allgemein Menschliches.

Man bringt Wasser herbei, sammelt Brennholz, erhitzt das Wasser und bereitet Tee. Dann bringt man ihn dem Buddha dar, reicht ihn den anderen und trinkt ihn auch selbst. Man arrangiert Blumen und entzündet Weihrauch. Durch all dies formen wir uns selbst, um nach den Taten Buddhas und der vergangenen Meister zu wandeln. Alles andere musst du aus Dir selbst verstehen lernen.

Gemeinsam Essen und Trinken gehört zu den ureigensten menschlichen Erfahrungen jenseits jeder Religion oder kulturellen Prägung. Diese Erfahrung gehört zum biologisch eingeprägten Urwesen des Menschen.

Nachdem Moses die steinernen Gesetzestafeln erhalten hatte, führte er die Ältesten Israels auf den Berg Choreb. Am frühen Morgen kommen sie auf dem Gipfel an und sie „sahen Gottheit, leuchtend wie Kern des Himmels“. Und dann geschieht etwas Ungeheures: „Sie setzten sich nieder und aßen und tranken und nicht reckte seine Hand aus JHWJ wider die Eckpfeiler Israels“. [15] Die Ältesten SEHEN Gottheit. Statt niederzufallen im Gebet, tun sie das Natürlichste und Einfachste: Sie setzen sich zum gemeinsamen Mahl im Angesicht der Gottheit. Kein Mensch kann die Gottheit sehen von Angesicht und leben. Aber das gemeinsame Mahl wird zu einer Feier der Gegenwart Gottes und der Gemeinschaft der Menschen. Das alltäglichste, das gemeinsame Mahl wird zum einem der tiefsten religiösen Erleben. Niemand muss dabei einen Gott anbeten.

Es ist ganz einfach und alltäglich: Gemeinsam Essen und Trinken!

Ein Schüler fragte Rikyū eines Tages, was denn der Sinn des Teeweges sei. Rikyū antwortete: „Nur Wasser holen, Feuer anzünden, Tee bereiten und trinken. Das ist alles.“ Der Schüler meinte: „Das kann ich alles schon!“ Rikyūs Antwort war ganz im Geist des Zen gesprochen: „Dann möchte ich dein Schüler werden!“

2. Mein Weg zum Tee

Der September war bisher recht warm und sonnig gewesen. Aber heute, genau an meinem Geburtstag, regnete es den ganzen Tag ununterbrochen.