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Ob Waschbär, Bisamratte, Mink, Signalkrebs oder Chinesischer Muntjak – Mitteleuropas Fauna muß sich der vom Menschen verursachten Ausbreitung invasiver Arten erwehren. Während auf natürlichem Wege eingewanderte oder zurückgekehrte Arten wie Wolf oder Goldschakal die Tierwelt oftmals bereichern, stellen willkürlich angesiedelte Spezies aus Übersee vielfach eine Bedrohung für heimische Arten dar. Am Beispiel von Flußkrebsen, der Konkurrenz von Mink und Europäischem Nerz und der Ausbreitung Chinesischer Muntjaks in Europa stellt Kai Althoetmar die Problematik der „heimlichen Eroberer“ dar. - Illustriertes eBook mit zahlreichen Fotos. Auch als Taschenbuch erhältlich.
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Inhaltsverzeichnis
Heimliche Eroberer
Kai Althoetmar
Zwergmuntjaks, Minks und Flußkrebse. Wie Neozoen unsere Fauna verändern
Impressum:
Titel des Buches: „Heimliche Eroberer. Zwergmuntjaks, Minks und Flußkrebse. Wie Neozoen unsere Fauna verändern“.
Erscheinungsjahr: 2019.
Inhaltlich Verantwortlich:
Verlag Nature Press
Kai Althoetmar
Am Heiden Weyher 2
53902 Bad Münstereifel
Deutschland
Text: © Kai Althoetmar.
Titelfotos: Mink. Foto: Paco Gómez, CC BY-SA 2.0. Zwergmuntjak, Zoo Prag. Foto: Packa, CC BY-SA 3.0. Marmorkrebs. Foto: Franco Tobias, CC BY-ND 2.0.
Verlag und Autor folgen der bis 1996 allgemeingültigen und bewährten deutschen Rechtschreibung.
Kapitel 1:
Der Krieg der Krebse. Europas Flußkrebse. Ein Überlebenskampf
Harald Groß weiß, wo der Schatz im Bach verborgen liegt, genau hier, im Reich des sanften Plätscherns zwischen Pestwurz und Brennnesseln. Mit routiniertem Griff zieht er das löchrige Plastik-Überraschungsei an Land. Der Doktor der Biologie aus Bad Münstereifel ist als Flußkrebsfachmann in halb Europa bekannt. Als Gewässerbiologe im Dienst des Kreises Euskirchen kennt er sein Eifeler Revier mit seinen Kleinoden wie dem idyllischen Schafbach bei Blankenheim. Aus dem braunen aufklappbaren Plastikbehälter läßt er zwei verloren wirkende Edelkrebse in eine Plastikwanne purzeln. „Die habe ich vorher in die Reuse hineingetan“, scherzt Groß.
Spaß beiseite: Die seltenen Scherentiere sind im Naturschutzgebiet Schafbach heimisch und dort aufgewachsen - lebendiges Zeugnis einer erfolgreichen Wiederansiedlung. Nach Jahrzehnten des Niedergangs der Flußkrebse in Deutschland und Europa ist das ein großer Erfolg.
Rund 1.000 Edelkrebse haben Groß und Mitstreiter in drei Bächen der Region eingesetzt. Der letzte Besatz im Schafbach stammt von 2005. Nachkontrollen zeigten, daß sich die Tiere auf Dauer nur dort fortpflanzten. Flußkrebse brauchen ideale Bedingungen. Die Fichten am Schafbach wurden abgeholzt, ein Auenwald entstand - mit mehr Schatten und kühleren Temperaturen. Langsam mäandert der Bach, und das Totholz bleibt liegen, das mögen die Flußkrebse.
Von März bis zur Paarung im Herbst zeigen sich die nachtaktiven Krabbeltiere, wenn sie in der Dämmerung dem Bach entsteigen. Naturkundler können sich dann mit Taschenlampen auf die Lauer legen, müssen aber Kescher und Reuse daheim lassen, denn heimische Flußkrebse sind ganzjährig geschützt. Ihr Bewegungsradius beschränkt sich meist auf wenige Meter rund um die Höhle im Bach. Groß hat es getestet. „Wir markieren die Krebse mit kleinen Kerben, die in den Schwanzfächer geschnitten werden“, sagt er. „Andere machen das mit Leuchtmarker oder Nagellack.“ Später werden die Fundorte verglichen.
Harald Groß mit einem Edelkrebs. Foto: Biologische Station Aachen.
Der Edelkrebs, auch Europäischer Flußkrebs genannt, war einst in Mitteleuropas Binnengewässern weit verbreitet. Dann rasierte eine tödliche Infektion, die Krebspest, seine Bestände - auch die der heimischen Steinkrebse und Dohlenkrebse. Der Seuchenzug durch Europas Fließ- und Stillgewässer, den eingeschleppte amerikanische Flußkrebsarten ausgelöst hatten, hat bis heute keinen Halt gefunden. Die einst blühenden europäischen Flußkrebsbestände sind bis auf wenige Restvorkommen kollabiert.
Heute konzentrieren sich Edelkrebse in Deutschland auf kleine Inselvorkommen in isolierten Gewässern und Oberläufen. „Ein großer Teil der bekannten Vorkommen geht auf Ansiedlungsprojekte zurück“, weiß Harald Groß. In Deutschland gilt die Art als vom Aussterben bedroht.
Der Steinkrebs, der kalte Bachoberläufe mag, kommt im Süden Deutschlands noch häufiger vor, gilt aber als gefährdet. Historisch ist der kleinste der europäischen Flußkrebse vor allem in Südosteuropa verbreitet. Sein Verwandter, der Dohlenkrebs, lebt in Deutschland seit jeher nur im Süden Baden-Württembergs und ist vom Aussterben bedroht.
Edelkrebs. Foto: Chris Lukhaup.
Kaum eine andere Tierart Mitteleuropas ist heute so stark gefährdet durch nicht heimische Tierarten - sogenannte Neozoen - und deren eingeschleppte Krankheiten wie die Flußkrebse. In Deutschland und Nachbarländern sind sie die einzige dokumentierte Gruppe an Spezies, die sich aus mehr exotischen als einheimischen Arten zusammensetzt.
Dohlenkrebs. Foto: David Gerke, CC BY-SA 3.0.
Drei eingeschleppte nordamerikanische Krebsarten, die selbst gegen die Krebspest weitgehend immun sind, machen sich in diesem Krieg der Krebse über die Gewässer der einheimischen Flußkrebse her. Roter Amerikanischer Sumpfkrebs, Kamberkrebs und Signalkrebs heißen die Invasoren, dazu gesellt sich der aus Osteuropa stammende Galizierkrebs. Der Kamberkrebs lebt heute in fast allen größeren Flüssen und Kanälen und ist längst Deutschlands häufigste Flußkrebsart.
Signalkrebs auf Wanderschaft. Foto: Generalising, CC BY-SA 2.0.
Auch ohne Krebspest würden die US-Flußkrebse die heimischen Krebse verdrängen. Sie alle sind aggressiver, wachsen schneller und haben mehr Nachkommen als die Alteingesessenen. Jenseits der wenigen Habitate von Edelkrebs & Co. bilden die Gebietsfremden bereits dichte, zusammenhängende Bestände.
250 Millionen Jahre ging alles gut für die Flußkrebse, dann kamen der Mensch, Kolumbus' Fahrt über den großen Teich und kopflose Aquarienfreunde. Importierte amerikanische Kamberkrebse, die gegen die Seuche weitgehend immun sind, hatten die Krebspest schon um 1860 eingeschleppt. Bereits um 1900 waren viele Edelkrebsbestände in Mitteleuropa erloschen.
Steinkrebs. Foto: Stefan Kaminsky.
Das Unheil nahm seinen weiteren Lauf, als in den 1960er Jahren Schweden allen Warnungen zum Trotz Signalkrebse von Nordamerikas Pazifikküste einführte und in viele Länder Europas verkaufte. Hatte Astrid Lindgrens Kinderbuchbengel „Michel aus Lönneberga“ in der um 1900 in Småland spielenden Geschichte noch im Mondschein mit dem Hofknecht eimerweise Edelkrebse gefangen, waren die bei Erscheinen des Buches im Jahr 1963 in Schweden längst eine Rarität.
In den folgenden Jahrzehnten verschärfte sich das Problem, als Fischereiverbände die invasiven Arten hierzulande gezielt ansiedelten. Später begannen Aquarienfreunde, die ihrer Übersee-Kneifertiere überdrüssig waren, die Aliens in Seen, Flüssen und Bächen illegal auszusetzen. Verquere Tierschützer nennen es auch: „die Frei-heit schenken“. Kommen heimische Flußkrebse mit dem für Menschen ungefährlichen Erreger in Kontakt, erkranken sie unweigerlich und sterben. Die Seuche ist so infektiös, daß Experten den Haltern amerikanischer Krebse raten, Aquarienwasser nicht über die Kanalisation zu entsorgen, von wo es in Bäche geraten kann, sondern im Garten versickern zu lassen. Selbst in Gartenteichen haben die fortpflanzungsfreudigen US-Krebse nichts verloren - da sie sehr wanderlustig sind und die Epidemie in den nächsten Bach tragen können.
Signalkrebse aus der Ahr. Foto: Biologische Station Aachen.
Beispiel Fuchshofen im nördlichen Rheinland-Pfalz. Nicht dem Hasen sagt der Fuchs in dem verschlafenen Eifeldorf gute Nacht, sondern dem Krebs. Munter strömt die Ahr am Dorf entlang Richtung Vater Rhein. Vom Ufer aus zieht Harald Groß eine seiner Reusen aus dem Fluß und schüttet den Inhalt in eine Wanne. 16 Signalkrebse fuchteln mit ihren violett schimmernden Scheren. „Bei Hunger gehen die Krebse auch aufeinander los“, sagt Groß. Wie kommt das invasive Krustentier in die Ahr? „Leider setzen manche Leute Flußkrebse auch um.“ Und so breitet sich die invasive Art immer weiter aus. Wie das Indische Springkraut am Ufer, das wuchert und wuchert.
Fuchshofens Signalkrebse stammen aus dem Ahr-Zufluß Liersbach - wo sie auch nicht hingehören. Als dort Bachabschnitte einmal trockenfielen, sammelten wohlmeinende Aktivisten die Tiere in Eimern ein und setzten sie in der Ahr aus.
Erst züchten, dann auswildern: Flußkrebszucht im Garten. Foto: Harald Groß.
Auch um solchen Unverstand zu bremsen, gründeten der nordrhein-westfälische Fischereiverband und der Naturschutzbund NRW 2004 das Edelkrebsprojekt NRW. Die Initiative will Edel- und Steinkrebs schützen, wieder ansiedeln und aufklären. Projektleiter Groß und seine Mitstreiter vermitteln die eingesammelten Ami-Krebse an Schulklassen. So entstand an Eifeler Schulen das ein oder andere Krebsaquarium. Nicht überall finden die Aliens Asyl, denn viele Lehrer scheuen den Aufwand. „Dabei streiten sich die Schüler darum, wer in den Ferien das Aquarium versorgt“, beschreibt Groß seine Erfahrungen.
An der Crux mit den Krebsen ist nicht nur die Krebspest schuld, sondern auch die jahrzehntelange Schädigung ihrer Lebensräume. Bäche, die befestigt wurden, erhöhten die Fließgeschwindigkeit und verloren an Selbstreinigungskraft. Solche Mini-Wasserautobahnen sind kein Lebensraum für Flußkrebse. So anspruchslos die Krustentiere bei der Nahrung sind, brauchen sie saubere und an Verstecken reiche, abwechslungsreiche Bäche mit naturnahen Ufer-streifen, frei von Gülle, Kunstdünger und Pestiziden.
Die Trockenlegung von Sümpfen und Feuchtwiesen raffte weitere Bestände dahin. Extreme Sommer sind eine weitere Gefahr. Eine lange Trockenheit - und die Tiere stellen die Fortpflanzung ein. Eine starke, auch nur kurzfristige Verschmutzung des Wassers - und ein Krebsbestand kann auf einen Schlag ausgelöscht sein.