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Sie spielen ihren Babys Mozart vor, bringen ihre Schulkinder bis zur Klassentür und wählen für sie die passende Uni aus: Aus Angst, etwas falsch zu machen oder zu versäumen, schweben immer mehr Eltern einer militärischen Eingreiftruppe gleich über ihren Kindern – bereit, bei den kleinsten Unwägbarkeiten herbeizustürmen und alles ins Lot zu bringen. Die Folge: Die Kinder werden unselbständig, unengagiert und maßlos anspruchsvoll. Ein messerscharfes Plädoyer gegen den Förderwahn, gegen Überbehütung und Verwöhnung – und gleichzeitig der Appell, an Erziehung nicht planwirtschaftlich heranzugehen, sondern mit Intuition, Leichtigkeit und Humor.
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Seitenzahl: 252
Josef Kraus
Helikopter-Eltern
Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung
Ihr Verlagsname
Sie spielen ihren Babys Mozart vor, bringen ihre Schulkinder bis zur Klassentür und wählen für sie die passende Uni aus: Aus Angst, etwas falsch zu machen oder zu versäumen, schweben immer mehr Eltern einer militärischen Eingreiftruppe gleich über ihren Kindern – bereit, bei den kleinsten Unwägbarkeiten herbeizustürmen und alles ins Lot zu bringen. Die Folge: Die Kinder werden unselbständig, unengagiert und maßlos anspruchsvoll.
Meinen Eltern
Sophie und Joseph Kraus
Als dieses Buch im August 2013 in den Handel kam, war nicht abzusehen, welche Wirkung es haben würde. Um es vorwegzunehmen: Die erhoffte Resonanz wurde weit übertroffen. Heute diskutiert man tagtäglich irgendwo in Deutschland über «Helikopter-Eltern». Dieser Begriff war vom Autor und vom Verlag dieses Bandes nicht erfunden worden, aber er wurde mit diesem Buch offenbar erfolgreich popularisiert. Dass die Debatte um Eltern, die oft maßlos überziehen, notwendig und überfällig war, zeigt eine trockene Bilanz: Als gebundene Ausgabe ist das Buch bislang in vier Auflagen erschienen, im Jahr 2014 wurde es ins Koreanische übersetzt, es gab rund fünfzig Rezensionen, ebenso viele Rundfunk- und Fernsehsendungen und bis zum Erscheinen dieser Taschenbuchausgabe etwa siebzig Einladungen an mich zum Vortrag bzw. zur Lesung. Eine chinesische Journalistin möchte am liebsten eine Übersetzung ins Chinesische inszenieren. Begründung: Mit der Ein-Kind-Politik des chinesischen Staates schlug auch dort die Geburtsstunde der Helikopter-Erziehung.
Für Print- und Bildmedien war der Titel also offenbar goldrichtig gewählt, bot er doch hervorragende Möglichkeiten der Bebilderung, ja gar der Karikierung.
Vor allem aber fällt im Rückblick auf, dass die Verfasser und Gestalter der allermeisten Rezensionen, Reportagen und Features wohlwollend, ja gar direkt oder unterschwellig zustimmend mit dem Buch umgingen. Der Anteil der übellaunigen oder zumindest ausgesprochen kritischen Besprechungen war gering: Vereinzelt fielen «Argumente» wie dieses: Das Buch sei mal wieder ein typisches Eltern-Bashing eines Lehrers. Nun ja, da scheint die eine oder andere Rezensentin, der eine oder andere Rezensent nicht über den Klappentext hinausgekommen zu sein. Sonst hätten sie nachlesen können, dass ich zwei Drittel der Eltern für bodenständig und verantwortungsbewusst Erziehende halte.
Das Interessanteste für mich war und ist jedoch die Begegnung mit Menschen, die sich vom Thema «Helikopter-Eltern» angesprochen fühlen. Deshalb bin ich gerne auf Vortragstour durch die ganze Republik, nach Österreich und in die Schweiz gegangen, in kleinere Gemeinden und ebenso in Großstädte.
Rund zwanzigtausend Leute konnte ich damit in rund eineinhalb Jahren persönlich erreichen – mal waren es pro Veranstaltung 30, mal waren es 800. Frauen, Mütter, Großmütter, Kindergartenerzieherinnen, Lehrerinnen waren oft in einer Weise überrepräsentiert, dass ich ein paar Männer als «Quotenmänner» gesondert begrüßen konnte. Die Veranstalter waren mal Schulen bzw. deren Eltern- und/oder Lehrerversammlungen, mal Bildungswerke von Stiftungen, mal Jugendämter, mal Stadtverwaltungen, mal Landfrauen, mal Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Manche Einladung hat mich selbst überrascht, zum Beispiel wenn sie von einer Wirtschaftsorganisation oder einer Kinderärztevereinigung kam. Meine Überraschung wich aber auch dann schnell einem eigenen Aha-Erlebnis: «Sieh mal an, die Ausbilder in den Betrieben und Kinderärzte erleben Ähnliches wie es die Schulen erleben. Mama will immer dabei sein, kontrollieren, intervenieren, Händchen halten.» Das führt im Fall der Ärzte dazu, dass Eltern mit fertiger Diagnose und einem fertigen Therapieplan in die Arztpraxis kommen. Wehe, der gewählte Arzt sieht manches anders, dann beginnt das Arzt-Hopping.
Einige der interessantesten Rückmeldungen erfuhr ich durch junge Leute. Die Schülerzeitung «PEER» des Egbert-Gymnasiums Münsterschwarzach beispielsweise widmete eine ganze Ausgabe dem Thema «Wir schaffen es alleine! Ohne Förderwahn und Verwöhnung!» Der Leitartikel war ergänzt worden durch eine 8-Punkte-Checkliste, mit deren Hilfe die jungen Leute quasi «diagnostizieren» konnten, ob sie selbst Helikopter-Eltern hätten. Zwei der acht Fragen, die ein gut ausgeprägtes Sensorium der jugendlichen Verfasser des Fragebogens vermuten lassen, seien genannt: «Wie oft haben deine Eltern dir etwas in die Schule nachgetragen (Ordner, Sportbeutel etc.)? Wie oft hast du auf Klassenfahrten Kontakt (Anruf/SMS) mit deinen Eltern?»
Zum Jahreswechsel 2014/15 hatte sich das Thema «Helikopter-Eltern» in einer Art und Weise verbreitet, dass kaum eine Woche verging, in der nicht eine Regional- oder Lokalzeitung das Thema aufgriff. Ein Auslöser war dabei unter anderem ein bundesweit bekannt gewordener Brandbrief des Schulleiters einer Grundschule in Stuttgart Bad Cannstatt: Dieser sah sich genötigt, rund siebzig bis achtzig besonders abgehobene Eltern seiner rund 400 Schüler eindringlich zu ermahnen, die Kinder am Morgen doch die letzten Schritte in die Schule allein gehen zu lassen. Die betreffenden Eltern hatten nämlich alltäglich nichts anderes im Sinn, als ihre Kinder bis ins Klassenzimmer zu geleiten, beim Ausziehen der Jacke und beim Anziehen der Hausschuhe zu helfen und über den Unterrichtsbeginn hinaus die Lehrkraft, die längst hätte unterrichten sollen und wollen, in ein Intensivgespräch zu verwickeln. Einen weiteren Schub bekam die Debatte um Helikopter-Eltern ab Januar 2015 durch den Film «Frau Müller muss weg!» In diesem Stück möchten fünf ehrgeizige Eltern die Lehrerin ihrer Viertklässler wegmobben, weil offenbar nicht jedes der Kinder eine Gymnasialeignung attestiert bekommen sollte.
Was bleibt – vorläufig? Ich habe das Buch geschrieben, weil ich mir Sorgen um einen größer werdenden, überbehüteten und zugleich maßlos anspruchsvollen Teil der jungen Leute mache. Viele Menschen in Deutschland teilen diese Sorge. Ich sehe es an den lebhaften Diskussionen nach meinen Vorträgen, ich sehe es an den zahlreichen Zuschriften. Zuletzt war es die einer Fahrlehrerin, die mir mitteilte, dass immer mehr Eltern bei der Fahrprüfung ihres siebzehnjährigen Sprosses im Auto sitzen möchten.
Manche Eltern, die bereits auf den Trip in Richtung «Helikopter-Eltern» eingeschwenkt waren, haben sich bedankt, dass ich ihnen den Spiegel vorgehalten hätte. Besonders viel Zustimmung bekam ich von Großeltern, die das Helikopter-Syndrom an ihren Kindern und Schwiegerkindern diagnostizierten. So wie das Großelternpaar, das zu einer Veranstaltung kam, um das Buch in dreifacher Ausfertigung für seine drei Kinder bzw. deren insgesamt dreimal zwei Kinder von mir signieren zu lassen. Es war kurz vor Weihnachten 2014. Meine rhetorische Rückfrage, ob diese Bücher als ein Weihnachtsgeschenk gedacht seien, quittierten sie reaktionsschnell mit der Bemerkung: «Unsere drei jungen Paare brauchen das Buch. Aber sie bekommen es erst nach Weihnachten, denn den Weihnachtsfrieden wollen wir nicht gestört haben.»
Nun ja, Großeltern tun sich da etwas leichter. Sie dürfen ihre Enkel verwöhnen. Aber ausbaden müssen diese Verwöhnungen dann die Eltern. Ich weiß, wovon ich rede. Seit Januar 2015 sind meine Frau und ich Zweifachgroßeltern.
Februar 2015 Josef Kraus
Die Vorgeschichte dieses Buchs reicht zurück ins Jahr 2012. Ich hatte damals für die FAZ einen Artikel mit dem Titel verfasst: «Maximale Verwöhnung, gigantischer Erfolgsdruck». Einige Wochen später wurde ich in der FAS zu einem ganz ähnlichen Thema interviewt: «Wir erziehen eine unmündige Generation». Kurz darauf lud mich Frank Plasberg zur Talkrunde «hart aber fair» ein. Das Thema: «Umsorgt vom Kreißsaal bis zum Hörsaal – kommt jetzt die Generation Weichei?» Diese drei Ereignisse und die darauf folgende große Resonanz waren die Auslöser für dieses Buch.
Beliebt macht man sich mit einem solchen Buch nicht unbedingt – vor allem nicht bei denen, die hier angesprochen sind, die es mit der Erziehung gut meinen und sich mit allen Kräften für ihre Kinder einsetzen – nur ein bisschen zu viel unter Umständen.
So gab es schon auf meine Äußerungen in den Medien neben sehr viel Zustimmung auch harte Kritik: Ich hätte Eltern das Recht abgesprochen, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie es für richtig hielten. Ich hätte den Eltern den Schwarzen Peter zugeschoben, statt kritisch über die Defizite schulischer Erziehung zu reflektieren. Ich hätte die Gefahren für Kinder vernachlässigt, wenn man sie ungeschützt der Umwelt überließe. Ich sähe nicht, dass man Kindern inmitten des globalen Wettbewerbs alles mitgeben müsse, was im Bereich des Möglichen liege. So oder ähnlich lauteten die Vorwürfe.
Insgesamt gab es fast tausend Einträge im Gästebuch von «hart aber fair» und über zweihundert Leserbriefeinträge im Forum der FAZ und FAS: Wie vermutlich immer gingen rund 20 Prozent der Zuschriften am Thema vorbei, 20 Prozent der Einträge gingen in Richtung der skizzierten Kritik. 60 Prozent derjenigen, die sich meldeten, zeigten sich kritisch bis besorgt ob der zunehmenden Verwöhnung und Überbehütung der Kinder durch deren Eltern, oder sie ergänzten meine Thesen mit interessanten eigenen Erfahrungen und Urteilen.
Das Thema «Helikopter-Eltern» scheint also ein Thema zu sein, das Menschen, besonders viele Eltern, heute bewegt. Mich jedenfalls bewegt es als Pädagogen, als Psychologen, als außerparlamentarischen Bildungspolitiker, als Staatsbürger, als Vater, als Großvater.
Das Anliegen meines Buchs ist es somit, den Eltern zu helfen, über ihr Oszillieren zwischen erzieherischer Allmachtsvision und Ohnmachtspanik, zwischen sinnvoller Kindorientierung und unreflektierter Kindversessenheit, zwischen Dressur und Verwöhnung, zwischen natürlicher Schutzhaltung und Überbehütung, zwischen liebevoller Zuwendung und Gängelung einmal nachzudenken und sie zu mehr Bodenständigkeit, Spontaneität und Intuition in der Erziehung zu verführen. Oder ganz konkret: Eltern die Angst vor dem Erziehen zu nehmen und erkennen zu helfen, dass das richtige Maß entscheidend ist. Die Helikopter-Eltern meinen es besonders gut, das zeichnet sie aus. Aber das besonders Gute ist oft der Feind des Guten.
Ich wünsche mir sehr, dass es mir gelingt, mit manchen pädagogisch-psychologischen Ammenmärchen aufzuräumen sowie den einen oder anderen pädagogischen Elternflüsterer und seine Motive ins rechte Licht zu rücken. Nicht zuletzt deshalb, damit Eltern durch Ratgeber aller Art in ihrer wichtigen und großen Aufgabe nicht noch mehr enteignet werden und damit ihnen am Ende immer eines bleibt: mehr Zeit für ihre Kinder.
Das Bild von den «Helikopter-Eltern» ist zwar sehr plakativ, aber zutreffend. Man hat sofort vor Augen, was gemeint ist. Tatsächlich kommen einem manche Eltern wie die schnelle militärische Eingreiftruppe vor. Es sind Eltern, die ständig wie Beobachtungsdrohnen über den Kindern schweben, die ihren Nachwuchs ab der ersten Stunde an der elektronischen Nabelschnur des Mobiltelefons durchs Leben geleiten und beim kleinsten seelischen oder körperlichen Wehwehchen herbeistürmen, um alles wieder ins Reine zu bringen.
Ich will das Bild von den Hubschraubern nicht überstrapazieren, sonst müsste ich drei verschiedene Hubschraubertypen genauestens erklären und auf das Pädagogische übertragen. Nur ganz kurz: Es gibt den Typ «Rettungshubschrauber», den Typ «Transporthubschrauber» und den Typ «Kampfhubschrauber», Marke «Black Hawk». Somit spricht man in den USA bereits von den «Black Hawk Parents». Weitere Sprachbilder aus dem technischen Bereich sind dort im Umlauf. «Airbag»-Eltern sind Eltern, die zum Beispiel die Zimmer ihrer Kinder an allen Ecken und Kanten mit Schaumgummi ausstaffieren – oder sie von vornherein in ein Aufprallkissen verpacken.
Ich habe mich bemüht, umfassend zu recherchieren, und sowohl wissenschaftliche als auch populäre Literatur ausgewertet. Ein wissenschaftliches Werk soll das Buch nicht sein. Ich möchte die Fakten und Zusammenhänge aufzeigen – und dabei aber auf zugespitzte Bewertungen nicht verzichten, um mein Anliegen verdeutlichen zu können. Ich möchte auch provozieren, um auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam zu machen. Damit sich vielleicht auch die Eltern selbst der Kritik stellen können. Verletzen will ich Eltern mit meiner bewussten Überzeichnung und Ironie keineswegs. Nur gewinnen und einladen zum Nachdenken und Überprüfen.
Ich würde allerdings niemals so weit gehen, wie es der Lehrer David McCullough anlässlich seiner Rede zur Abschlussfeier an einer elitären High School in Wellesley, einem Vorort von Boston, am 1. Juni 2012 tat. Er las seinen Absolventen in einer Rede, die millionenfach auf YouTube angeklickt wurde und fast ebenso oft Zustimmung fand, die Leviten: «You are not special … You are not exceptional … You’ve been pampered, cosseted, doted upon, helmeted, bubble-wrapped … But do not get the idea you’re anything special. Because you’re not.» Dass sie nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches, dass sie in Watte gepackt und unter eine Art Schutzglocke gesteckt worden seien, sage ich den Absolventen meiner Schule nicht, weil das ganz und gar nicht meine Meinung ist. Aber ich möchte es gern so manchen Eltern sagen. Die Kinder können ja nichts dafür, wenn sie einerseits zu ihrem eigenen Schaden zu sehr von den Eltern gefördert werden, ohne noch ein Quäntchen Freiraum zur Entwicklung zu haben, und andererseits zu sehr gepampert werden, damit sie bloß nicht vom Ziel der Eltern abgelenkt werden. Die Eltern rauben ihnen damit ein Stück Zukunft – genauer: die Grundausstattung, um ihre Zukunft zu bewältigen oder gar zu gestalten. Kindern in der Gluckenfalle wird eine wichtige Mitgift für das Leben vorenthalten. Und ein allein auf die zukünftigen Chancen eines Kindes ausgerichteter Förderwahn bedroht am Ende die Kindheit. Indem die Gegenwart nicht mehr gelebt werden darf, weil nur noch die Zukunft zu zählen scheint, könnte man behaupten: «Ja, die Zukunft frisst ihre Kinder.» Deshalb gilt auch hier: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut.
Wir sollten als Eltern bei allen durchaus natürlichen Motiven, alles regeln und unter Kontrolle bekommen zu wollen, daran denken, dass Einmischung, Umklammerung, Überbehütung, Verschonung und Verwöhnung nicht nur Aspekte der Individualpsychologie, der Familienpsychologie und der Schulpädagogik sind. Es geht hier um das Wohl der Kinder, aber auch um gesellschaftliche, wenn nicht sogar gesellschaftspolitische Implikationen. Und es geht am Ende um den Bestand eines Gemeinwesens, dessen Basis der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat mit seinem Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft ist. Lebten in ihm eines Tages nur noch gedrillte, verwöhnte, verschonte und überbehütete Menschen, würde dieses demokratische Gemeinwesen nicht mehr funktionieren, weil dann die tragfähige Basis fehlte.
Die Verwendung des Begriffs «Dekadenz» an dieser Stelle mag provokant wirken, und man ist geneigt, ihn für unpassend zu erachten. Zu denken geben müssten uns aber Aussagen namhafter Historiker und Politologen, unter ihnen Alexander Demandt, der die Dekadenz in seinem Werk «Das Ende der Weltreiche» (1997) als «die Verbindung verfeinerten Lebensstils mit sinkender Lebenskraft, eines Zuviels an Subtilität mit einem Zuwenig an Vitalität» beschreibt. Der britische Politologe Colin Crouch macht sich Sorgen um den Zustand einer «Postdemokratie» (2004), die als Demokratie institutionell zwar noch funktioniere, die aber ihre Vitalität eingebüßt habe, «weil die Mehrheit der Bürger eine passive, ja apathische Rolle spiele».
Das bedeutet: Eltern müssen nicht nur eine Verantwortung gegenüber ihrem Kind wahrnehmen, sondern es auch zu einem tüchtigen Mitglied unserer Gesellschaft erziehen.
Noch nie gab es in Deutschland so viele bewusst erziehende und kritisch reflektierende Eltern. Es gibt aber auch das Gegenteil. Es sind grundsätzlich zwei Typen zu unterscheiden, die Sorgen machen – nicht nur schulisch, sondern gesamtgesellschaftlich: Die einen sind die Null-Bock-Eltern, die sich überhaupt nicht um ihre Kinder kümmern. Sie lassen sie verwahrlosen, ihnen ist alles egal. Man kann sie etwa seitens der Schule fünfmal anschreiben, einbestellen – es passiert nichts. Diese Eltern machen mit Abstand am meisten Sorgen. Die anderen, um die es in diesem Buch geht, sind diejenigen, die sich um alles und noch mehr kümmern und die ihre Kinder damit schier erdrücken.
Es sei die Schätzung gewagt, dass – bei steigender Tendenz – beide Gruppen jeweils 10 bis 15 Prozent unserer Eltern ausmachen. Bei erheblichen regionalen Unterschieden zwischen dem flachen Land, sozialen Brennpunktvierteln und Wohlstandsgegenden.
Auf diese zwei mal 10 bzw. 15 Prozent der Eltern, also insgesamt 20 bis 30 Prozent, müssen die Schulen, die Kindergärten, die in der Jugendarbeit Tätigen 70 bis 80 Prozent ihrer Zeit und Energie aufwenden.
Im Umkehrschluss heißt das: Die meisten Eltern haben bodenständige Vorstellungen von Erziehung und Bildung. 70 bis 80 Prozent von ihnen handeln unkompliziert, kooperativ und verantwortungsbewusst. Eine pauschale Elternschelte ist demnach völlig unangebracht. Und es müssen ja nicht alle Eltern pädagogische Helden und Heilige sein. Lehrer sind es auch nicht alle. Es gibt also keinen generellen Erziehungsnotstand – weder im Elternhaus noch in der Schule. Millionen von Eltern erziehen engagiert und sinnvoll. Hunderttausende von Lehrern wissen um ihre vermehrten erzieherischen Aufgaben, und sie kommen diesen Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen nach. Und dennoch: Das Phänomen der Helikopter-Eltern wird immer bedeutsamer.
Waren es bislang die gegenüber Bildungsfragen sich weitgehend desinteressiert verhaltenden Eltern, die die Energie der Pädagogen beanspruchten, so gesellt sich neben diese Problemgruppe in wachsender Stärke eine Gruppe von Eltern, die das totale Gegenteil darstellt: eine Art hyperaktive Eltern. Früher, als es den Begriff «Helikopter-Eltern» noch nicht gab, waren es ein paar einzelne nicht nur überaus wohlwollende, sondern besonders wohlhabende Eltern. Bei den Helikopter-Eltern heute, die übrigens immer später Kinder bekommen, immer mehr Geld zur Verfügung haben, ist das PP-Syndrom, das Pascha- und Prinzessinnensyndrom, nun quer durch alle Schichten zu beobachten. Es drückt sich auch in den großen Zeitungsanzeigen aus, wenn dort zu lesen ist: «Suche Betreuerin für unseren kleinen Prinzen.» Früher hießen die Prinzen übrigens Muttersöhnchen. Die Bedeutung des einzelnen Kindes ist also gnadenlos übersteigert, was zu einem unangemessenen Anspruchsdenken auf beiden Seiten führt.
Der Anteil der maßlos überziehenden Eltern wächst. Eine Pädagogik der totalen Einmischung greift um sich, sie ist der Pendelausschlag von der No-Education-Bewegung der 1980er-Jahre ins krasse Gegenteil. Der Grund könnte darin liegen, dass die Versuchskaninchen pädagogischer Experimente der 1970er und 1980er Jahre heute selbst Eltern sind. Bei ihnen hat sich realisiert, was Spötter als Erziehung definieren, nämlich als das Bemühen, Kinder von der Nachahmung Erwachsener abzuhalten. Nur ist es nicht beim Nichtnachahmen geblieben, sondern alles ist ins Extrem umgeschlagen. Heute ist ein pädagogischer Totalitarismus angesagt. Der hat viele Gesichter. Und dies beileibe nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, in Japan, in Südkorea, in so ziemlich allen EU-Ländern.
Anekdoten der nachfolgenden Art könnten so ziemlich alle Erwachsenen beitragen, die beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern der Helikopter-Eltern zu tun haben: Busfahrer, Kassiererinnen, Erzieherinnen, Kinderärzte und Übungsleiter in Sportvereinen. Da kommt es vor, dass eine Mama – in den USA heißen solche Frauen aus gutem Grund Soccer-Moms – mit dem Fußballtrainer streitet, weil sie ihren Sohn für falsch aufgestellt hält, oder sich beklagt, dass man ihn gar nicht aufgestellt habe. Natürlich habe die Mannschaft deswegen verloren, so meint sie. Die Rechthaberei mancher Eltern geht, wie der Spiegel berichtet, so weit, dass die Eltern der jungen Spieler den Schiedsrichter oder die gegnerische Mannschaft attackierten oder verunglimpften, weil sie sich schlecht behandelt fühlten. Allein in Bayern soll dies im Jahr 2010 in 69 Fällen vorgekommen und dem bayerischen Fußballverband gemeldet worden sein.
Folgende Beispiele sind willkürlich aus dem kunterbunten, aber realen schulischen Alltag genommen, um zu dokumentieren, welche Blüten die Eingriffe der Helikopter-Eltern treiben:
Da haben wir Eltern, bei denen es nichts gibt, woran sie sich nicht aufhalten könnten – über die Zahl der Englischvokabeln, über die Sitzordnung in der Klasse, über die unvermeidbare Zuteilung ihres Kindes zu einer bestimmten Klasse, über das Gewicht des Schulranzens, über das Fehlen eines Salatblatts auf dem in der Pause erworbenen Wurstbrötchen, über den fehlenden Wasserspender im Klassenzimmer.
Da haben wir die Mütter, die sich absolut nicht vorstellen können, dass ihre Töchter im Französischen eine Fünf eingefahren haben, wo sie doch selbst fließend Französisch sprechen und die Töchter am Vorabend der Prüfung zu Hause alle Vokabeln wie aus der Pistole geschossen aufsagen konnten.
Da haben wir den Vater, der es nicht akzeptieren will, dass sein verhaltensauffälliger Sohn binnen eines Quartals bereits sieben schriftliche Ermahnungen kassiert hat, und der auf drei Seiten ausführt, dass die Schule doch gefälligst kreative Menschen und keine Duckmäuser heranziehen solle.
Da haben wir den Schüler, der sich mit der Bemerkung weigert, ein herumliegendes Papier aufzuheben: «Dafür sind die Putzfrauen da!» Als er von der Schulleitung zu einer Extrarunde Reinigungsdienst verpflichtet wird, droht der Vater mit Aufsichtsbeschwerde.
Da haben wir die Mutter eines den Unterricht ständig heftig störenden Schülers, die sich der Kritik entzieht, indem sie dem Lehrer entgegenschleudert: «Sie wissen eben nicht, meinen Sohn richtig zu nehmen. Er verträgt keinen Druck, man muss ihn seinen eigenen Weg gehen lassen.»
Da haben wir den 14-jährigen Schüler, der bereits am Schulvormittag in stark alkoholisiertem Zustand angetroffen wurde und dessen Vater die Sorge der Schule mit der Bemerkung zurückwies: «Mein Sohn kann Alkohol trinken, weil ich es ihm erlaubt habe.»
Da haben wir die 12-jährige Göre, die sich vom Unterricht abmeldet und den Lehrern einen Brief der Mutter unter die Nase hält: «Ich hab ein Casting!»
Da haben wir die Eltern, die auf die 265 Jahreswochenstunden, die ein Schüler in den Jahrgangsstufen 5 bis 12 bzw. 13 nachweisen muss, damit sein Abiturzeugnis in Deutschland anerkannt wird, zwei oder noch mehr Stunden privates Golftraining angerechnet haben möchten.
Da haben wir die Mutter, die sich beim Elternabend darüber beschwert, dass die Kinder der ersten Klasse bereits bis 20 rechnen können sollten.
Da haben wir den Vater, der – aggressiv polternd – telefonisch, brieflich und persönlich vom Schulleiter erklärt haben möchte, warum sich sein Sohn als Torwart beim Parieren eines Torschusses in der Sportstunde die Speiche gebrochen hat und warum der Sportlehrer dies nicht zu verhindern wusste, und der sich natürlich rechtliche Schritte vorbehält.
Sodann haben wir immer häufiger Eltern, die ihrem Kind ohne genauere Kenntnis der Umstände in einer Klasse die Diagnose «Mobbingopfer» ausstellen, um Schulunlust, schlechte Noten oder eigenwilliges Verhalten ihres Kindes zu rechtfertigen. Hier sei die These gewagt, dass «Mobbing» zu einer elterlichen Trenddiagnose geworden ist, die in bald fünfzig Prozent der Fälle gar keine Grundlage hat.
Und nicht zuletzt haben wir so manche übersensiblen, aber trickreichen Eltern, die ständig auf der Jagd nach Gutachten sind, in denen ihrem Kind ADS, ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie oder unentdeckte Hochbegabung attestiert wird.
Gewiss gibt es Ungerechtigkeiten, Einschränkungen und Belastungen. Die davon betroffenen Kinder sind sehr zu bedauern, und sie brauchen Hilfe und Beistand. Aber nicht in jedem Fall sind die Diagnosen der soeben genannten Kritisierenden nachvollziehbar. Oft geht es nur darum, sich als Eltern und das Kind mit einer entsprechenden, scheinbar logischen Begründung zu entlasten. Wer solche Diagnosen bekommen oder selbst ausgestellt hat, der empfindet sich seiner eigenen Verantwortung enthoben. Und natürlich ist es einfacher, den Kindern Medikamente zu verabreichen oder sie in «Profiprogramme» zu bringen, als das eigene erzieherische Verhalten zu hinterfragen und mühsam zu verändern.
Übrigens: Von Münchener Oberstufenschülern kann man lesen, dass sie zum Zweck des Schulbesuchs nach Berlin zogen – warum wohl nach Berlin? –, dort eine Wohngemeinschaft gründeten und im wochenweisen Wechsel von einer der Mütter betreut wurden.
Ein besonderes Kapitel sind die Tricksereien mancher Eltern um die Schulferien herum. Es ist schließlich bekannt, dass All-inclusive-Urlaube dann am teuersten sind, wenn die Ferien beginnen oder enden. Nichts ist leichter, als diese Praxis der Reiseveranstalter auszutricksen: Man beendet das Schuljahr seiner Kinder eben ein paar Tage früher oder bestimmt selbstherrlich, mit dem Schuljahr ein paar Tage später zu starten. Die Rechtfertigung für dieses Handeln ist eindeutig: An solchen Tagen passiere in der Schule ja ohnehin nichts, sagt man sich. Es mag ja sein, dass die letzten und die ersten Schultage vor und nach den Sommerferien nicht unbedingt hochkonzentrierter Unterricht stattfindet. Jedoch ist in diesen Tagen eine Menge zu regeln: Einige tausend Bücher sind einzusammeln, die Sportfeste und die Wandertage stehen an, die Schulfeste wollen – unter Mithilfe der Schüler – geplant und ausgestaltet werden und vieles mehr. Trotzdem: Auf die paar Schüler, die da fehlen, komme es nicht an, bilden sich manche Eltern ein und buchen eben für Tage innerhalb der Schulzeit – um einige hundert Euro oder gar einen Tausender günstiger. So weit, so schlecht. Aber es handelt sich nun mal um eine Ordnungswidrigkeit. Allein am Nürnberger Flughafen wurden in den Sommerferien 2007 etwa hundert Familien erwischt, die sich zu früh auf den Weg machten. Es sollen sogar Lehrer und deren Kinder darunter gewesen sein.
Bild am Sonntag startete dazu am 27. Juli 2008 über Emnid eine Umfrage mit der Fragestellung: Sollen Eltern bestraft werden, wenn sie vor Ferienbeginn ihre Kinder nicht zur Schule schicken, um vorzeitig in den Urlaub fahren zu können? Mit Ja antworteten 41 Prozent, mit Nein 58 Prozent. Pikant war, dass der Regelverstoß von Leuten mit höherem Bildungsabschluss stärker bagatellisiert wurde als von Leuten ohne Berufsabschluss: Letztere waren mit einem Anteil von 66 Prozent für eine Bestrafung, unter Leuten mit Abitur und/oder Hochschulabschluss war es genau umgekehrt: 64 Prozent wollten keine Bestrafung. Die Bereitschaft zum Regelverstoß scheint hier also mit formal höherem Bildungsgrad zu steigen.
Besonders machtvoll werden Helikopter-Eltern, wenn sie sich zusammentun. Dann werden Elternabende zu Lobbyistenabenden, zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, ja zu Inquisitionsveranstaltungen. Das bislang individuelle Prinzensyndrom wird dann zum kollektiven. Charakteristisch sind Fragen wie: Warum gibt es in der Pause nichts zu kaufen, was vegan ist? Warum haben Sie keinen bilingualen Unterricht? Warum praktizieren Sie keine modernen Unterrichtsformen wie Materialtheke oder Wochenplanarbeit? Warum haben Sie nicht in allen Klassenzimmern Whiteboards? Man müsste die Kinder dann nicht mehr dem gefährlichen Kreidestaub aussetzen und würde noch eine Menge Geld einsparen, weil man dann in den Unterrichtsräumen keine Waschbecken für den Tafelschwamm mehr bräuchte. Warum haben Sie noch keine Schuluniformen eingeführt, das würde die sozialen Unterschiede ausgleichen und vor dem Markenwahn schützen? Warum geben Sie nicht mehr Einsen und Zweien, um die Kinder zu motivieren? Muss der Schulranzen voller Bücher denn immer so schwer sein, kann man denn keine Schließfächer für jedes Kind anschaffen, damit die Kinder nicht so viele Bücher und Hefte nach Hause und wieder zurück in die Schule schleppen müssen?
Natürlich gibt es unter den Mitgliedern von Elternbeiräten in der großen Mehrzahl die konstruktiven, die vernünftigen, die sich fürs sinnvolle Ganze engagieren. Ihnen geht es um das Wohl aller, sie haben sich nicht deshalb wählen lassen, weil sie Herrschaftswissen erringen und ihrem eigenen Kind einen Vorteil verschaffen wollen. Es gibt aber auch den Typ «Elternfunktionär», der mal als Notenallergiker, mal als polternder Aufsichtsrat, mal als notorischer Besserwisser auftritt. Übrigens: In Frankreich ist das anders. Dort endet der Einfluss der Eltern vor dem Schultor. Ihre Einmischung in schulische Belange wird nicht gern gesehen und zumeist auch unterlassen. In Frankreich genießen Schule und Lehrerschaft offenbar eine andere Autorität als in einem Land wie Deutschland, das bis hinauf in die vordersten Ränge von Politikern allzu gern über Schule und Lehrer herzieht.
Finden die Eltern dann noch überörtlich auf der Ebene von Vereins- oder Verbandszusammenschlüssen Gehör, tönt es durch das Land: «Die Lehrpläne müssen entrümpelt werden!» – «Warum heute noch ‹Faust› und Shakespeare?» – «Unsere Kinder sind einem unmenschlichen Stress ausgesetzt.»
Gelegentlich ist man versucht zu fragen, warum die rund 60 Millionen erwachsenen Deutschen keine 60 Millionen Psychopathen und Neurotiker sind. Schließlich hatten sie jahrzehntelang keine Rundumbetütelung, kein Helicopter-Parenting und in den seltensten Fällen Mütter und Väter, die bereits wegen Kleinigkeiten als Strafverteidiger und Staatsanwälte in Personalunion in die Schulen stürmten.
Was kommt bei all dem Kümmern und Regeln heraus? Am Ende führt das bei Kindern zu einer Überempfindlichkeit, einer Neurasthenie, wie sie früher hieß und wie sie schon in Hans-Christian Andersens «Prinzessin auf der Erbse» aus dem Jahr 1837 zu finden ist. Die spürte durch zwanzig Matratzen und zwanzig Daunendecken hindurch eine Erbse: «Ich habe auf etwas Hartem gelegen, sodass ich am ganzen Körper ganz braun und blau bin.» Daran, so Andersen weiter, habe man sehen können, dass sie eine wirkliche Prinzessin gewesen sei, denn: «So feinfühlig konnte niemand sein außer einer echten Prinzessin.» Horst Hensel (2002) prägte darum den Begriff «Aristokratisierung kindlichen Verhaltens» und trifft genau die aktuelle Entwicklung.
Noch nie ist so viel erzogen worden wie heute. Vermutlich hat die Vorstellung der schier generalstabsmäßig durchgeplanten Erziehung und Förderung von Kindern ihre Wurzeln in den USA. Und von daher haben die im Buch zitierten amerikanischen Beispiele ihre Berechtigung.
Hier kamen zwei Entwicklungen zusammen: der zunächst die gesamte Psychologie und Pädagogik dominierende Behaviorismus mit seiner Ideologie des «Alles ist machbar» und sodann der Sputnikschock von 1957. Mit dem Vor-Augen-Führen der technischen Überlegenheit der Sowjetunion ging eine fieberhafte Suche nach exzellenten Köpfen los, mit denen man den Rückstand wieder aufholen wollte. Das 1977 erschienene Buch «Kindergarten Is Too Late» war eines von vielen Ergebnissen dieses Bestrebens. «Warten Sie bloß nicht bis zum Kindergarten», lautete die Losung, und sie suggerierte schon damals die heute angeblich sogar hirnbiologisch unterfütterte Vorstellung, dass jede Förderung, die erst mit dem Kindergarten einsetze, zu spät komme.
Heute geht der Förderrummel der Helikopter-Eltern nicht selten einher mit verklärten Visionen von einem perfekten, tollen, maßgeschneiderten Designer- und Premiumkind vom Reißbrett. Daneben weckt die Medizin mit jedem Fortschritt in der Pränatalmedizin und in der Pädiatrie die Erwartung, dass Eltern ein Kind ohne jeden «Makel» bekommen können. Nach der Geburt setzt eine Kindererziehung wie im Treib- und Gewächshaus ein. Es dürfte nicht mehr lange dauern, und die milliardenschwere «Exzellenzinitiative» deutscher Bildungspolitik zugunsten einiger Spitzenuniversitäten wird sich auf Kindergärten mit Exzellenz-Pädagogik ausweiten.
Etliche Eltern haben sich einem eigenwilligen Umkehrschluss verschrieben: Wenn Eltern schon Verursacher von Entwicklungsdefiziten ihrer Kinder sein können, dann muss man doch wohl qua Erziehung in der Lage sein, ein perfektes Kind zu produzieren. Dabei wäre das Beste für das Kind oft leichter und einfacher erreichbar, wenn man eben nicht immer das Beste zu inszenieren versuchte. Von pädagogischer Intensivstation zu pädagogischer Intensivstation – das geht nicht gut. Am Ende setzt oft ein pädagogischer Jojo-Effekt ein, nämlich dann, wenn die Kinder nach einer Fördermaßnahme dümmer oder antriebsloser dastehen als vorher.