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Diese Bad Boys haben alles, außer Liebe! HEROES IN LOVE enthält drei abendfüllende zeitgenössische Liebesromane über die Maverick Millionäre - sexy Selfmade-Männer aus der falschen Ecke der Stadt, die gemeinsam die Hölle überlebt haben. Sobald sich ein Maverick in eine unglaubliche Frau verliebt, wird er feststellen, dass wahre Liebe das Einzige ist, was er je gebraucht hat. Millionen von Lesern auf der ganzen Welt haben sich in die zeitgenössischen Liebesromane von Bella Andre verliebt! Verliebt bis über beide Ohren Will Franconi hat eine schlimme Vergangenheit hinter sich, die er stets im Verborgenen hält. Nur wenige kennen die ganze Geschichte und das soll auch so bleiben. Seine Kindheit war die Hölle. Doch jetzt lebt er seinen Traum. Alles, was er anfasst, wird zu Gold. Aber irgendetwas fehlt ihm. Bis ein einfacher Brief eines Teenagers die atemberaubende Harper Newman in sein Leben wirbelt. Wird sie den leeren Platz in seinem Herzen füllen? Ist er ihrer Liebe würdig? Liebe ist nur was für Mutige Sebastian Montgomery hat sich aus dem Nichts nach oben gearbeitet und ist nun einer der mächtigsten Medienmogule der Welt. Doch hinter der scheinbar perfekten Fassade seines Lebens verfolgt ihn immer noch seine Vergangenheit. Denn, als er im Teenageralter seine Eltern verlor, verlor er auch seinen Glauben an die Liebe. Charlie Ballard und ihre faszinierenden Metallskulpturen berühren ihn zutiefst und wecken Emotionen, die er nie wieder zulassen wollte. Bald schon will Sebastian mehr als nur Charlies Kunstwerke, er will die Frau dahinter, und zwar mehr als er jemals etwas zuvor gewollt hatte. Und, was ein Maverick will, bekommt er immer … Keine Angst vor der Liebe Matt Tremont wuchs arm wie eine Kirchenmaus in einem heruntergekommenen Stadtviertel Chicagos auf. Jetzt hat er doch scheinbar alles – Grips, Muskeln und Milliarden. Allem voran Noah, seinen fünfjährigen Sohn, das einzige gute Ergebnis einer unheilvollen Beziehung, die sein letztes Quäntchen Vertrauen zerstört hat. Das Einzige, das ihm fehlt, ist das perfekte Kindermädchen für seinen Sohn. Und Ariana Jones ist absolut perfekt. Rundum bezaubernd. Schlichtweg faszinierend. Und vollkommen tabu. "Die Maverick Milliardäre"-Reihe Verliebt bis über beide Ohren Liebe ist nur was für Mutige Keine Angst vor der Liebe Keine Chance gegen die Liebe "Jedes Buch ist so bemerkenswert, dass man die Figuren tatsächlich liebgewinnt. Diese Buchreihe ist unglaublich. Sie ist eine meiner Lieblingsreihen. Wenn Sie noch nicht angefangen haben, sie zu lesen, dann haben Sie etwas verpasst!" ~ Guilty Pleasures "Man kann nach allem möglichen süchtig sein, doch nichts ist für mich unwiderstehlicher als ein neues Buch von Bella Andre." ~ Natasha Is A Book Junkie
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Seitenzahl: 1399
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Verliebt bis über beide Ohren
Die Maverick Milliardäre
Buch 1
Liebe ist nur was für Mutige
Die Maverick Milliardäre
Buch 2
Keine Angst vor der Liebe
Die Maverick Milliardäre
Buch 3
Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache
Über die Autorin
Die Maverick Milliardäre
Buch 1
Bella Andre & Jennifer Skully
Verliebt bis über beide Ohren
Die Maverick Milliardäre 1
© 2022 Bella Andre & Jennifer Skully
Übersetzung Katrina Morgental – Language + Literary Translations, LLC
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Wir stellen vor: die Maverick-Milliardäre – sexy Männer, die sich gemeinsam durch die Hölle nach oben gekämpft haben und nun alles besitzen, was man sich nur wünschen kann. Die Mavericks verlieben sich jedoch alle Hals über Kopf in unglaubliche Frauen und stellen dabei fest, dass wahre Liebe das Einzige ist, was bisher gefehlt hat …
Will Franconi hat eine schlimme Vergangenheit hinter sich, die er stets im Verborgenen hält. Nur wenige kennen die ganze Geschichte und das soll auch so bleiben. Seine Kindheit war die Hölle. Doch jetzt lebt er seinen Traum. Alles, was er anfasst, wird zu Gold. Aber irgendetwas fehlt ihm. Bis ein einfacher Brief eines Teenagers die atemberaubende Harper Newman in sein Leben wirbelt. Wird sie den leeren Platz in seinem Herzen füllen? Ist er ihrer Liebe würdig?
Was könnte ein Mann, der mehr Geld hat, als er in fünf Lebzeiten ausgeben kann, bloß von ihr wollen?, fragt sich Harper. Sie hat auf die harte Tour gelernt, dass reiche Männer immer ihren Willen bekommen, egal um welchen Preis. Allein käme sie damit schon zurecht, aber sie ist der Vormund ihres jüngeren Bruders, der sie braucht. Nach seinem beinahe tödlichen Autounfall, schwor sie sich, dass niemand ihn je wieder würde verletzen können.
Doch Harper sehnt sich manchmal danach, nicht mehr vorsichtig sein zu müssen, sondern eine mutige Abenteurerin mit einem ausgelassenen, freien Leben – besonders, seit Wills Küsse und Liebkosungen ihr den Atem rauben. Als er beginnt, sich ihr zu öffnen, stellt sie fest, dass hinter der reichen, privilegierten Fassade ein freundlicher, großzügiger Mann steckt. Ein Mann, dem es gelingt, die Leere auszufüllen, die zu lange in ihr geherrscht hat. Werden sie es gemeinsam schaffen, aus ihrem Leben ein Happy End zu zaubern, wo doch beide nicht mehr darauf gehofft hatten?
Wir freuen uns riesig, Ihnen die Maverick-Milliardäre vorzustellen.
Vielleicht erinnern Sie sich an die Erwähnungen der Mavericks in Lass dich von der Liebe verzaubern (Smith Sullivans Buch aus der Sullivan-Serie). Auch in Eine perfekte Nacht (dem Buch über Colbie und Noah) tauchen sie erneut auf. Bella wollte seit Jahren über die Mavericks schreiben. Gemeinsam mit einer ihrer Lieblingsautorinnen und guten Freundin Jennifer Skully hat sie sich nun ans Werk gemacht, um jedem der Milliardäre ein Buch zu widmen.
Wir hoffen, dass auch Sie sich ebenso Hals über Kopf in die heißen Jungs verlieben werden wie wir.
Viel Spaß beim Lesen wünschen
Bella Andre & Jennifer Skully
Will Franconi ließ den Motor seines 1970er Dodge Challenger aufheulen und spürte, wie der Adrenalinstoß der Beschleunigung durch seine Adern raste.
Er hatte ein milliardenschweres Handelsunternehmen für Luxusartikel aufgebaut, das auf einer Grundlage basierte: Respekt. Respekt für seine Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner und Mitarbeiter. Als Kind hatte er auf die harte Tour gelernt, wie Lügen und Grausamkeit das Leben eines Menschen zerstören konnten. Er hatte verbissen daran gearbeitet, sein Leben wieder auf die richtige Spur zu bringen. Er wollte daher unbedingt pünktlich zu seinem Treffen kommen, das heute ausnahmsweise nicht mit einem dicken Fisch aus der Branche stattfand, sondern mit einem Jungen.
Wenn das bedeutete, dass er seinen klassischen Sportwagen noch weiter ausreizen musste, umso besser.
Der Brief, den er von Jeremy Newman erhalten hatte, war in krakeliger Schrift auf ein Blatt Papier geschrieben, das aus einem Grundschulheft gerissen zu sein schien. Jeremy liebte Autos über alles, hatte jeden Film und jede Fernsehserie über Autos gesehen. Darunter auch Hot Cars, die vor kurzem über Wills Sammlung berichtet hatten. Daher hatte er ihn angeschrieben und angefleht, die Autos zu sehen.
Irgendetwas in diesem Brief hatte Will tief berührt. Und nur ein Vollidiot würde einem Jungen so einen Wunsch abschlagen.
Mit hoher Geschwindigkeit nahm er die Kurve der Ausfahrt zum städtischen Flughafen von San Francisco. Rollsplitt spritzte unter den Reifen hervor, doch der Wagen blieb fest in der Spur. Er raste durch die offenen Tore des Flughafengeländes. Geschwindigkeit war ein Rausch, den er schon immer gebraucht hatte, in letzter Zeit vermehrt.
Am Ende der Reihe Hangars sah er zwei Gestalten, und als er sich näherte, erkannte er eine Frau und einen jungen Mann, der größer war als sie und jünger – ein Teenager. Der Junge wippte nervös auf seinen Füßen hin und her.
Will hatte damit gerechnet, einen Achtjährigen zu treffen. Konnte dieser Teenager tatsächlich Jeremy sein? Will nahm den Fuß vom Gas und begann zu bremsen. Aus der Nähe konnte er nun mehr Details erkennen. Die beiden waren sich vom Körperbau ähnlich, jedoch hatte der Junge braune Haare, während die Frau eine echte Blondine war.
Er brachte den Wagen neben ihnen zum Halten, sein Blick war auf sie gerichtet. Sein Herz pochte und das lag nicht am Rausch der Geschwindigkeit. Es lag alles an ihr – ihre vollen Lippen, die langen blonden Haare, die sich in Wellen über ihre Schultern legten, ihr Kostüm, das es nicht vermochte, ihre süßen Kurven zu verbergen. Sie war deutlich förmlicher gekleidet, als er in seinem lässigen Samstagsoutfit und wirkte dadurch reserviert. Aber ihr Haar zeichnete ein ganz anderes Bild, frei und sexy in der sanften Brise, die von der Bucht herüberwehte.
„Mr. Franconi, Mr. Franconi!“ Der Junge winkte und hüpfte dabei frenetisch auf und ab. In der einen Hand hielt er ein orangefarbenes Spiralbuch, das er herumwedelte. Vermutlich stammte daraus die herausgerissene Seite, die Will in seiner Hosentasche hatte.
Das war also tatsächlich Jeremy Newman. Er sah aus, als wäre er siebzehn oder achtzehn Jahre alt, auch wenn seine Handschrift und der Tonfall des Briefes Will eher auf einen Drittklässler hätten schließen lassen. Wie ein kleines Kind mit einem großen Vorhaben.
Will stieg aus seinem restaurierten, weißen Dodge Challenger. Das Auto war der Grund, warum er sich beinahe verspätet hatte. Er war morgens in San Francisco gewesen, um sich um eine Kaviarlieferung zu kümmern. Die exklusive Ware stammte aus Russland, und da er ein Vermögen dafür ausgegebene hatte, wollte er die Inspektion selbst durchführen. Den Entschluss, mit dem Challenger zu fahren, hatte er sehr kurzfristig getroffen und hatte ihn extra aus Portola holen müssen. Der Verkehr aus der Bay Area nach Hause war mehr als nur zähflüssig gewesen. Es war Frühling und scheinbar hatte sich jeder am ersten sonnigen Samstag seit Wochen zu einer Spritztour entschlossen.
In Anbetracht von Jeremys Aufregung, als er um den Wagen rannte, hatten sich der Umweg und die Anstrengung jedoch gelohnt.
„Wowowowow!“ Jeremy sprach so schnell, als wäre es ein einziges Wort.
„Jeremy, beruhige dich“, sagte die Frau mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihre Stimme war so sanft wie der preisgekrönte japanische Single-Malt-Whiskey, den Will importierte.
Wäre Jeremy jünger gewesen, hätte sie seine Mutter sein können – sie hatten die gleiche Nase und die gleichen blauen Augen. Sie war jedoch Ende zwanzig und somit viel zu jung, um Mutter eines Achtzehnjährigen zu sein.
„Ich bin Will“, sagte er und wandte sich von Jeremys Begeisterungsstürmen ab. „Will Franconi.“
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Franconi.“
Sie gab ihm die Hand. Will war überrascht von ihrem starken Händedruck und ihrer zarten Haut. Ihre Hände waren so weich, dass er gar nicht mehr loslassen wollte. Insbesondere dann nicht, als er das Funkeln in ihren Augen bemerkt hatte, das mit der Hitze der Begrüßung einherging.
„Ich bin Harper Newman.“ Vorsichtig entzog sie ihm ihre Hand. „Mein Bruder Jeremy ist gerade ganz offensichtlich zu aufgeregt, um sich vorzustellen.“ Sie lächelte in die Richtung des Jungen, der sich gerade die Felgen des rechten Hinterrads genauer betrachtete und liebevoll mit dem Finger darüberstrich. „Es freut mich wirklich sehr, dass Sie sich Zeit genommen haben, uns Ihre Autosammlung zu zeigen. Wir werden Sie ganz bestimmt nicht lange aufhalten, wir wissen ja, dass Sie sehr beschäftigt sind.“
„Zunächst einmal, sagen wir doch ,du‘ – ich bin Will. Und zweitens, freue ich mich sehr über euren Besuch.“ Er hatte wirklich nicht erwartet, heute eine bildhübsche Frau zu treffen, die single war – denn immerhin trug sie keinen Ring. Sie konnte gar nicht ahnen, was für eine Freude dieses Treffen für ihn war.
Jeremy kam zu ihnen gerannt. „Er sieht aus wie der Challenger, den Barry Newman in Fluchtpunkt San Francisco zu Schrott gefahren hat.“ Er hatte einen leichten Sprachfehler. Er nuschelte nicht, es war eher eine auffällige Überbetonung, als müsste sein Mund sich besonders bemühen, dass die Wörter herauskamen. Die Betonung stimmte auch nicht mit den Wörtern überein. „Barry Newman“, wiederholte er und zeigte dann auf sich. „Jeremy Newman, verstehst du?“
Will dachte bei sich, dass Jeremy viel zu jung war, um so einen Klassiker aus den frühen Siebzigern zu kennen. Harper sagte zu ihm: „Er hat alle Filme mit berühmten Verfolgungsjagden gesehen, Fluchtpunkt San Francisco, Bullitt und jeden einzelnen aus der Fast and Furious Reihe.“ Sie hatte ihrem Bruder die Hand auf die Schulter gelegt und streichelte ihn zwischen den Schulterblättern, wie zur Beruhigung. Sie ging ganz einfach liebevoll mit ihm um.
Will wusste aber aus eigener Erfahrung, dass liebevoll ganz und gar nicht einfach war … und zwischen Familienmitgliedern auch nicht immer selbstverständlich. Jeremy konnte sich wirklich glücklich schätzen, Harper als Schwester zu haben.
„Ich habe auch den neuen Transformers: Ehre des Untergangs gesehen.“ Jeremy hatte sich beim zweiten Wort sehr viel Mühe gegeben und Will brachte es nicht übers Herz ihn zu korrigieren und zu sagen, dass es Ära hieß. „Die Verfolgungsjagd mit den Schurkenautos war total cool“, fuhr Jeremy mit Begeisterung fort.
Harper hatte den Filmtitel ebenfalls nicht korrigiert, vielleicht wusste sie auch nicht, wie der Film tatsächlich hieß. Sie wirkte auf ihn nicht wie ein Transformers-Fan. Darüber hinaus war Ehre vielleicht auch die bessere Wortwahl, schließlich wurde ihm gerade die Ehre zuteil, eine wundervolle Frau wie Harper kennenzulernen, die so lieb mit ihrem Bruder umging und trotz ihres strengen Outfits eine solch natürliche Schönheit ausstrahlte.
„Und, was hat dich zum Autoliebhaber gemacht? Vielleicht weil du den gleichen Nachnamen hast, wie der Star aus Fluchtpunkt San Francisco?“
„Autos sind einfach cool. Ich hab’ keinen Führerschein, aber wenn ich fahren könnte, dann nur schnellschnellschnell.“ Jeremy hatte die Frage nicht wirklich beantwortet und wieder war da dieser seltsame Sprachrhythmus.
„Ich fahre auch gerne schnell“, stimmte Will ihm aus ganzem Herzen zu.
Es gab nichts Besseres als einen Geschwindigkeitsrausch. Will war sich bewusst, dass er seiner Vergangenheit wohl niemals ganz würde entfliehen können, dass er immer seines Vaters Sohn bleiben würde, ganz gleich, wie sehr er sich das Gegenteil wünschte. Jedoch hatte er lange Jahre schwer daran gearbeitet, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich mit aller Macht auf seine Zukunft zu konzentrieren.
Lange Jahre war ihm der Erfolg genug gewesen. In den letzten Monaten hatte er jedoch Veränderungen an sich bemerkt. Da war ein Gefühl der Leere, die keine noch so harte Arbeit jemals füllen konnte. Wenn ihn selbst seine Millionengewinne durch ein neues Produkt nicht mehr befriedigten, musste er einfach schnell fahren, um sich lebendig zu fühlen.
Zumindest war das bis jetzt so gewesen. Aber nun spürte er, dass ihm Harper Newman genau das gleiche Gefühl gab.
„Er mochte Autos schon immer gerne“, antwortete Harper für ihren Bruder. „Für mich ist das nichts.“ Sie lächelte ihn entschuldigend an und ergänzte dann höflich: „Aber die Sammlung aus der Fernsehsendung ist beeindruckend.“
Ob sie im Schlafzimmer wohl auch so höflich wäre? Mr. Franconi, würden Sie mich bitte hier anfassen?
Wow, was für ein heißer Gedanke. Er verdrängte den Gedanken schnell wieder, immerhin war ihr Bruder anwesend.
„Wenn du dann deinen Führerschein hast“, sagte Will zu Jeremy, „hältst du dich aber an alle Verkehrsregeln.“ Sein Ton war jedoch alles andere als ernst. Als er in Jeremys Alter war, hatte er gegen alle Regeln verstoßen und jetzt stellte er seine eigenen auf.
Will fragte sich, welche Regeln Harper wohl hatte … und welche sie vielleicht willens wäre, mit ihm zu brechen.
„Ich kann nicht fahren“, sagte Jeremy mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Harper fährt mich, aber sie fährt nicht gerne schnell. Nicht wie wir.“ Er stupste dabei Wills Arm an, als wären sie eine verschworene Gemeinschaft.
Harper lächelte nachsichtig. Will war sich sicher, dass Jeremy sie allzu oft aufgefordert hatte, schneller zu fahren. Sie machte keine Anstalten, zu erklären, warum Jeremy nicht fahren durfte. Aber Will hatte mittlerweile bemerkt, dass der Junge zwar körperlich ein Teenager war, aber geistig noch nicht ganz dort angelangt war.
Sie sah auf die Uhr. „Vielleicht sollten wir uns jetzt die Autos ansehen, wir wollen dich ja nicht zu lange aufhalten.“
Will lächelte sie an und sagte: „Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit.“
Eigentlich hatte er gar nicht so viel Zeit, aber er wollte auf keinen Fall, dass das Treffen zu früh endete. Dabei ging es ihm nicht nur darum, Harper besser kennenzulernen, bevor er sie um ein Date bat. Er hatte auch bemerkt, dass Jeremy wieder vor Aufregung auf den Füßen herumwippte. Will verstand diese Leidenschaft gut und wusste sie zu schätzen.
„Ich habe hier sechs Autos“, erzählte er ihnen. Im Portola Valley hatte er noch acht Oldtimer und seine Alltagswagen.
Jeremy öffnete sein Notizbuch und blätterte darin. Dann hielt er ihm eine Seite mit einem Bild entgegen „James Bond. Aston Martin DB5. Ich liebe James Bond.“
„Den habe ich leider nicht hier.“ Will hatte den Aston Martin bei sich daheim, weil es Spaß machte, mit ihm über die Landstraßen im Portola Valley zu rauschen wie in einem James Bond Film, in dem er durch die französische Provinz fuhr.
Der Junge machte ein langes Gesicht, hellte aber schnell wieder auf. „Das ist okay, Will. Der Challenger ist auch super.“
Will musste über den Feuereifer des Jungen schmunzeln, während er an einer Wand des Hangars ein Metallkästchen öffnete und seinen Sicherheitscode in ein Tastenfeld eingab. Als das Lämpchen von Rot auf Grün schaltete, drückte er den Knopf für das Rolltor. Im Hangar gingen nacheinander mehrere Reihen Lampen an der Decke an. Jede Lampe beleuchtete einen Oldtimer.
„Wow“, sagte Jeremy beinahe ehrfürchtig.
Harper lächelte anerkennend, war aber nicht annähernd so aus dem Häuschen wie Jeremy. Sie war eine gutmütige ältere Schwester, die ihrem Bruder eine Freude machen wollte. Will gefiel das an ihr, genauso wie es ihm gefiel, sie anzusehen.
Jeremy ging vorsichtig den Gang zwischen den abfahrbereiten, schräg eingeparkten Autos entlang. Entlang der metallenen Hangarwände standen Werkzeugschränke auf Rollen sowie einige Wagenheber. Will hatte einen Kfz-Mechaniker in Vollzeit angestellt, der sich darum kümmerte, dass die Motoren stets schnurrten und der Lack glänzte. Leland, der Mechaniker, arbeitete sowohl hier am Flughafen als auch bei Will zuhause in Portola Valley.
„1965er AC Cobra“, sagte Jeremy, als hätte er eine Liste auswendig gelernt. „Wow.“ Seine Augen glänzten im hellen Licht der Deckenbeleuchtung. Sein Notizbuch hielt er fest an sich gedrückt und vor Begeisterung stand sein Mund leicht offen.
Auf der linken Seite stand als erster Wagen die Cobra in cremeweiß. Will hatte überlegt, einen blauen Rennstreifen aufzubringen, aber Leland hatte darüber die Augen himmelwärts verdreht, als würde er die Götter der Farben bemitleiden, und ihn gefragt, ob er sich denn gar nicht von der Masse absetzen wollte. Will war natürlich nie einer in der Masse gewesen. Leland hatte ein Händchen für Farben, die cremefarbene Oberfläche glänzte wie Glas.
„Ein sehr schöner Wagen“, sagte Harper mit dieser höflichen Stimme, die Will in Fahrt brachte. „Sieht brandneu aus.“
„Es ist ein Bausatzwagen“, erklärte Will. „Ich habe mir alle Teile hierher bestellt und von Grund auf montiert. Es ist eine Replik einer 65er Cobra.“ Das Projekt hatte ein ganzes Jahr gedauert. Natürlich hätte er das auch schneller hinbekommen, aber die Arbeit machte ihm Spaß, also ließ er sich Zeit. Der Aufbau des Wagens bereitete ihm genauso viel Freude wie das Endergebnis.
„Sie haben es selbst gebaut?“ Sie sah ihn überrascht an und fuhr dann mit einem Finger über den Lack als würde sie eben erst die Schönheit wahrnehmen, die Will bereits sah.
„Ich bin ein Autonarr.“
Nur sehr wenige Leute wussten über Wills Vergangenheit Bescheid. Darüber, dass er gerade einmal acht Jahre alt gewesen war, als sein Vater ihm beibrachte, seinen ersten gestohlenen Wagen kurzzuschließen. Später fuhr er dann illegale Beschleunigungsrennen. Erst als er 18 wurde, schwor er sich, einen besseren Weg einzuschlagen. Auch wenn er immer noch seine Freizeit mit Autos zubrachte, blieb er dem Gesetz treu.
„Was ist das für eines?“ Sie zeigte auf das Modell auf der gegenüberliegenden Seite.
„1965er Mercedes 300 SL Roadster“, sagte Jeremy, noch bevor Will den Mund aufmachen konnte.
„Du bist sein Studienobjekt, vielmehr deine Oldtimer-Sammlung.“
Vielleicht hatte sie die Befürchtung, dass Will glauben könnte, Jeremy sei ein Stalker. Aber der Gedanke lag Will mehr als nur fern. Er fühlte sich sogar geschmeichelt. Jeremy machte einen so offenen, hoffnungsvollen und glücklichen Eindruck. Keines dieser Wörter hätte seine Jugend treffend beschrieben. Er konnte nicht einmal sagen, dass er sich jetzt so fühlte, ganz gleich, wie fern seine Kindheit in einem schäbigen Stadtteil von Chicago nun war.
Er beobachtete mit großem Gefallen die Verbundenheit zwischen Harper und Jeremy und die Art, wie sie ihn innig ansah, ihn zärtlich berührte. Blutsverwandtschaft konnte völlig bedeutungslos sein oder einen schlimmstenfalls völlig zerstören, wenn man es zuließ. Aber Harper liebte ihren Bruder eindeutig mit jeder Faser ihres Herzens.
Will hatte so eine Verbindung mit den Mavericks. So nannten sich die fünf – Daniel, Sebastian, Evan, Matt und Will – The Maverick Group. In Chicago hatten sie Pech und Vernachlässigung zusammengebracht. Ihre Verbundenheit war aus reinem Bedürfnis heraus entstanden und nicht aus Blutsverwandtschaft. Die meisten Menschen glaubten, dass echte Verwandtschaftsverhältnisse Hingabe verdienten, aber Will wusste, dass das nicht so war. Hingabe musste man sich verdienen und Familie bedeutete nicht zwangsläufig heile Welt, zumindest nicht in seiner Erfahrung. Susan und Bob Spencer – Daniels Eltern, die die Jungs bei sich aufgenommen hatten – waren da eine Ausnahme, ebenso wie Harper Newman und ihr Bruder.
„Ist der Wagen auch ein Bausatz?“, fragte sie und deutete auf den Mercedes.
„Nein, der ist echt.“
Jeremy ging weiter den Gang entlang. Harper folgte ihm mit überkreuzten Armen. Ihre High-Heels klickten auf dem Betonboden, ihr Haar wogte um ihre Schultern und schimmerte im Licht der Deckenleuchten in verschiedenen Blondtönen.
„Oh Mann, ein 1956er Jaguar XKSS.“ Jeremy drehte sich breit grinsend zu Will um. „BRG.“
„Richtig.“ Er deutete mit dem Daumen auf Harper und sagte: „Vielleicht solltest du deiner Schwester erklären, was das bedeutet.“ Er zwinkerte dem Jungen verschwörerisch zu und hoffte, dass Jeremy die Antwort darauf wusste. Er wollte den Jungen auf keinen Fall in Verlegenheit bringen.
Und tatsächlich wusste er es. „British Racing Green, also englisches Rennautogrün“, sagte er lauthallend und voller Begeisterung. Er rannte weiter den Gang entlang und deutete auf die Autos. „1968er Lamborghini Miura.“ Der goldene Lack des Wagens glänzte im Licht. „1954er Austin Healy 100S.“ Und schließlich: „1965er Stingray Coupé.“
Harper strahlte. „Er hat alle richtig benannt.“ Sie war eindeutig stolz auf ihn. Will spürte einen Stich im Herzen, den er seit dem Tod seiner Mutter, als er sechs war, nicht mehr gespürt hatte.
Er wollte auch so eine innige Bindung, er wollte dazugehören. Er wollte, dass Harper auch auf ihn stolz war und ihn anhimmelte.
Harper und ihren Bruder zu beobachten, weckte in ihm die Sehnsucht nach etwas, das er sich in den letzten 30 Jahren nie gewünscht hatte. Sein Vater hatte ihm diese Wünsche gründlich ausgetrieben.
Harpers Blick lag noch immer auf ihrem Bruder. In ihren Augen leuchtete ein besonderes Gefühl, als er sie beide fragte: „Wollt ihr mit mir eine kleine Probefahrt machen?“
Harper erstarrte. Sie hatte damit gerechnet, war aber davon ausgegangen, dass die Frage nach einer Spritztour in einem der Autos von Mr. Franconi von Jeremy ausgehen würde und nicht vom Milliardär selbst.
Sie hatte sich bereits Ausreden parat gelegt. Mr. Franconi hätte sicherlich keine Zeit. Er kannte sie ja nicht und man könnte nicht von ihm erwarten, dass er so mir nichts dir nichts Fremden eine Fahrt anbieten würde. Sie war davon ausgegangen, dass der Geschäftsmann ihr schnell recht geben würde, da er sicherlich so schnell wie möglich wieder weiterziehen wollte, um sich seinen Geschäften zu widmen.
Und nun hatte er selbst das unerwartete Angebot gemacht und Jeremy führte bereits einen Freudentanz auf. Sie konnte es auf keinen Fall annehmen.
„Vielen Dank für Ihr freundliches Angebot, Mr. Franconi, aber Jeremy und ich haben schon genug Ihrer wertvollen Zeit in Anspruch genommen.“
„Wie gesagt, ich habe den ganzen Nachmittag für euch Zeit.“ Er lächelte sie an. „Und bitte, sag doch du.“
Meine Güte, dieser Mann hatte vielleicht ein umwerfendes Lächeln. Etwas angeberisch, sexy und gleichzeitig aufrichtig. Der Effekt, den er auf Frauen hatte, musste ihm bewusst sein. Sie vermutete, dass er seinen Charme gewollt spielen ließ, um so jeden Widerstand zu untergraben. Damit erreichte er, was immer er wollte.
Aber warum startete er bei ihr so eine Charme-Offensive?
„Ich glaube nicht …“
„Ach komm schon, Harper“, sagte Jeremy mit einem Hundeblick. „Wir wollen doch so gerne mit einem der schnellen Autos fahren!“
„Ja, komm schon, Harper.“ Will hatte einen amüsierten Unterton, als er die Worte ihres Bruders wiederholte. Wills Blick war tief und unglaublich blau – wie das Mittelmeer, von wo seine Vorfahren stammten. „Wir wollen wirklich so gerne mit einem der schnellen Autos fahren.“
Sein Haar war teuflisch schwarz und seine Gesichtszüge attraktiver als es einem Mann mit so großem Reichtum zustand. Eigentlich hatte sie so halb erwartet, heute auf eine Schar an PR-Vertretern von Franconi Imports zu treffen. Sie hatte angenommen, dass ein gewiefter, steinreicher Geschäftsmann einen ausgezeichneten PR-Stunt darin sehen würde, einem jungen Mann wie Jeremy Zeit zu widmen.
Will war aber allein aufgetaucht und trug lässige Jeans und ein dunkles T-Shirt, das seine muskulösen Bizepse zur Schau stellte. Weiter von einem teuren Maßanzug konnte das Outfit nicht entfernt sein.
Während Jeremy sich über Wills Autos erkundigt hatte, hatte sie etwas über den Mann selbst recherchiert. Es gab eine Menge Informationen darüber, wie er sein Imperium aufgebaut hatte, aber über sein Privatleben oder seine Vergangenheit konnte sie kaum etwas finden.
All ihre Nachforschungen hatten ihr keine Antwort auf ihre drängende Frage gegeben, wieso sich ein reicher, mächtiger Mann wie Will Franconi herablassen würde, auf Jeremys Brief zu antworten. Seine Einladung in den Hangar hatte sie umgeworfen. Er war immerhin ein Importeur von Luxusgütern – auch wenn ihr nicht ganz klar war, was das genau bedeutete. Wie konnte man mit Luxus Milliarden verdienen? Jeremy hatte sie dazu genötigt, all seine Autos in der Hot Cars TV-Sendung anzusehen, und sie konnte den Reichtum darin wittern. Will sammelte Dinge, daher vermutete sie, dass er vielleicht auch Menschen sammelte … bis er das Interesse an ihnen verlor.
Doch dann kam ihr wieder sein Blick in den Sinn, wie er sie und Jeremy angesehen hatte, voller Sehnsucht nach etwas, was sie nicht ganz verstand. Dennoch spürte sie etwas ganz Ähnliches in ihrem Herzen, das schon allein durch seinen Blick ein kleines bisschen zu schnell schlug.
Sie hatte außerdem nicht erwartet, dass er so nett sein würde. Er lachte nicht über Jeremy. Tatsächlich behandelte er ihn, als sei nichts an ihm anders.
Und nun wollte er mit Jeremy in einem seiner superschnellen Autos eine Spritztour machen.
Sie wusste, dass beide ihre Augen erwartungsvoll auf sie geheftet hatten, also sagte sie: „Wo würdest du denn hinfahren, wenn ich zustimme?“
„Nur hier auf der Landebahn entlang. Ich erkundige mich beim Tower, um sicherzustellen, dass keine Flugzeuge ankommen. Du kannst uns die ganze Zeit zusehen.“
„Bitte Harper“, bettelte Jeremy. Er hatte gar keine Angst vor der Geschwindigkeit, obwohl sie ihm doch so viel geraubt hatte.
Will kannte ihre Geschichte nicht, auch wenn Harper manchmal das Gefühl hatte, jeder wüsste über sie Bescheid, als wäre es das einzige Element, das sie zu dem machte, was sie und Jeremy waren. Vor elf Jahren war ihr Bruder von einem reichen Teenager angefahren worden, der viel zu schnell gefahren war. Der Vater des Jungen hatte ihn nicht nur von einer Gefängnisstrafe freigekauft, sondern auch ihre Eltern dazu genötigt, eine Abfindung zu akzeptieren, anstatt den Gerichtsprozess zu durchlaufen, der sich, wie man ihnen gesagt hatte, über Jahre hinweg erstreckt hätte.
Harper hatte ihren Eltern nie Vorwürfe gemacht, weil sie das Geld angenommen hatten. Jeremy hatte irreparable Gehirnschäden davongetragen, und nun steckte der Geist eines Siebenjährigen im Körper eines Achtzehnjährigen. Sie verstand, warum ihre Eltern Geld über Gerechtigkeit gewählt hatten. Jeremys Reha war teuer. Solange sie jedoch vorsichtig investierte und genug als Recruiterin verdiente, hatte sie noch ausreichend Mittel für seine Versorgung übrig, beispielsweise für die Sonderschule, die er besuchte.
Nach dem Tod ihrer Eltern vor sechs Jahren hatte sich Harper vorgenommen, ihren Einsatz zu würdigen und fortzuführen und sich um ihren Bruder zu kümmern. In vielerlei Hinsicht hatte ihr der schreckliche Unfall nicht nur den Bruder genommen, auch ihre Eltern hatte sie ein Stück weit an Geldsorgen und das Leid und den Kummer verloren und das bereits Jahre bevor sie durch einen Flugzeugabsturz ums Leben kamen.
Geschwindigkeit hatte ihr und ihrem Bruder so vieles genommen, aber Jeremy war ein wirklich braver Junge. Er war schon immer so gewesen, weswegen es ihr nur selten gelang, ihm einen Herzenswunsch abzuschlagen. Eine Spritztour mit hoher Geschwindigkeit würde sein Verlangen danach hoffentlich befriedigen. Ganz tief in ihr gab es vielleicht auch so einen Wunsch, aber sie verdrängte ihn mit aller Kraft.
Immerhin musste sie ja verantwortungsbewusst sein.
„Na gut, Will.“ Sie wollte Will weiterhin als Mr. Franconi sehen, aber sein verführerisches Lächeln und sein überwältigender Charme machten es ihr sehr schwer, ihn weiterhin zu siezen. „Aber nicht zu schnell.“
Mit einem ernsten Gesichtsausdruck hob er die Finger zu einem Schwur: „Ich verspreche, nicht schneller zu fahren, als mein Mechaniker erlaubt.“
„Und wie schnell ist das?“
Er lächelte erneut. „Nicht schneller, als es der sorgfältig gepflegte Motor zulässt.“
Mit dieser Information konnte sie nicht wirklich etwas anfangen, sein Lächeln und das Versprechen machten sie hilflos. „Na gut, okay. Aber ich beobachte euch.“
„Wie wäre es mit der Cobra für die erste Fahrt?“ Er sah Jeremy an. „Wäre das was?“
„Jippieeeh!“, jubelte Jeremy.
Harper vermutete, dass Will die Cobra ausgesucht hatte, weil er daran mit Herzblut gearbeitet hatte und für ihn deshalb von größter Bedeutung war.
„Ich rufe eben beim Tower an, damit sie dort Bescheid wissen.“
Will tippte erneut einen Code in ein Ziffernfeld neben einer Bürotür ein. Innen ging automatisch die Beleuchtung an, wodurch ein Schreibtisch sowie Bücherregale sichtbar wurden, in denen sich Anleitungen mit den Namen der Autos befanden. Weiterhin gab es einige Trophäen und gerahmte Bilder zu sehen. Die meisten zeigten die Wagen, auf einigen war aber auch Will abgebildet. Er wählte eine Nummer auf seinem Telefon und redete kurz. Mitten im Gespräch sah er mit seinem Superlächeln zu ihnen hinüber, während er auf die Bestätigung des Towers am anderen Ende der Leitung wartete. Harper war machtlos, ihr Herz schlug einfach schneller.
„Alles klar.“ Er legte den Hörer auf, schnappte sich dann einen Schlüssel von einem Brett an der Wand, warf ihn in die Luft und fing ihn mit der Faust auf. „Los geht’s!“
Jeremy folgte ihm wie ein fröhlicher Hundewelpe, was in Harper eine erneute Welle der Sorge auslöste. Will Franconi hatte einen Hangar voll mit exorbitant teuren Autos, einen persönlichen Kfz-Mechaniker und mit nur einem Anruf konnte er alle Landebahnen des kleinen Regionalflughafens vom Tower für ihn reservieren lassen.
Warum verschwendete er wohl so viel Zeit mit ihnen?
Harper wusste, dass sie manchmal zu besorgt war, wenn es um ihren Bruder ging. Sie würde es sich jedoch niemals verzeihen können, wenn ihm etwas passierte. Aber hier in diesem Hangar inmitten der fantastischen Autos war Jeremy so fröhlich und aufgeregt, dass sie ihm seinen Wunsch einfach nicht abschlagen konnte.
Will öffnete die Tür der Cobra. „Halte dich hier am Überrollbügel fest, um einzusteigen.“ Er tippte demonstrativ auf den geschwungenen Bügel hinter dem Beifahrersitz. „Halte dich nicht an der Windschutzscheibe fest.“
Das Auto hatte kein Dach, nur die Überrollbügel hinter den beiden Sitzen. Die Innenausstattung war aus gebürstetem Metall, ohne Teppichverkleidung und die Sitze waren einfache Schalensitze aus Leder. Nachdem Jeremy eingestiegen war, lehnte Will sich über die Beifahrertür, um den Sportgurt zu schließen, der deutlich dicker war als ein normaler Gurt.
Will klopfte Jeremy auf die Schulter und sagte: „So, jetzt kann’s losgehen, Kumpel.“ Er umrundete das Auto und kletterte auf den Fahrersitz, nachdem er Harper mit einem Tippen an die Stirn verabschiedet hatte.
Mit einem lauten Dröhnen sprang der Motor an und Will steuerte den Wagen auf das Rollfeld. Jeremy zitterte vor Vorfreude und war ganz offensichtlich im Glück. Der Flughafen war für Kleinflugzeuge ausgelegt und nicht für große Passagiermaschinen. In der Mitte befanden sich zwei Start- und Landebahnen, die auf beiden Seiten mit Hangars gesäumt waren. Auf manchen davon waren Firmenschilder angebracht: Transportdienstleistungen, Flugversicherungen, Wartung und ein Flugzeugclub. Harper war, bis sie den Antwortbrief von Will erhalten hatte, nicht bewusst gewesen, dass sich jede Privatperson einen Hangar mieten konnte, um darin andere Dinge als Flugzeuge aufzubewahren.
Sie beobachtete, wie der schneidige Rennwagen auf die nächstgelegene Landebahn zurollte. Will hielt sein Wort und fuhr nicht allzu schnell. Am Ende der Landebahn wendete er und fuhr über die andere zurück. Als der Wagen an ihr vorbei fuhr, beschleunigte Will ein wenig. Jeremy hob seine Hand mit ausgestrecktem Daumen über die Windschutzscheibe. Sie konnte sehen, wie sich seine Lippen ununterbrochen bewegten – er kaute Will das Ohr ab.
Harper lächelte und fühlte sich schon viel besser … Zumindest, bis sie bemerkte, dass das Auto immer schneller und schneller fuhr. Bei ihrem nächsten Wendemanöver hörte sie die Reifen quietschen.
Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen und biss auf ihrer Unterlippe herum, als hoffte sie, der Schmerz würde sie ablenken.
Seitdem ihre Eltern am Ende ihres letzten Jahres an der Universität gestorben waren, war sie für Jeremy verantwortlich. Er war alles, was von ihrer Familie übrig geblieben war. Neue Fähigkeiten zu erlernen, fiel ihm schwer. Er liebte zwar den Umgang mit dem Computer, brauchte aber dennoch eine Menge Hilfe. Morgens ging er auf eine Sonderschule und an Nachmittagen unter der Woche arbeitete er als Einpacker im örtlichen Supermarkt. Sie hatte Jeremy diesen Job nicht deswegen besorgt, weil sie das Geld brauchten, sondern, weil ihr Bruder sich nützlich fühlen sollte. Für sein Selbstwertgefühl war das sehr wichtig. Sie tat einfach alles für ihn.
Und doch hatte sie ihn gerade mit einem Verrückten in ein Auto einsteigen lassen.
Sie war ja wirklich eine ganz tolle Erziehungsberechtigte, dachte sie, als Will und Jeremy über die Landebahn fegten, als wäre es eine Rennstrecke. Ihr Herz pochte, als ihr das vorbeifahrende Auto die Haare ins Gesicht fegte.
Sie hasste hohe Geschwindigkeit, nachdem, was sowohl Jeremy als auch ihren Eltern widerfahren war. Oder zumindest sollte sie Geschwindigkeit hassen. Aber tief in ihrem verräterischen Herzen sehnte sie sich im Geheimen danach, mit den beiden im Auto zu sitzen, den Fahrtwind in ihrem Gesicht und die gleiche Begeisterung zu spüren, die sie auf Jeremys Gesicht sehen konnte.
Nach zwei weiteren Runden bremste Will die Cobra und kam neben ihr zu stehen.
„Sei vorsichtig beim Aussteigen“, sagte er zu Jeremy. „Das Auspuffrohr an der Seite ist heiß, pass auf, dass du dich nicht verbrennst.“
Noch bevor sie auf die andere Seite des Autos kam, um dort dafür zu sorgen, dass Jeremy nicht das große schwarze Auspuffrohr anfasste, war er bereits dabei, sich am Überrollbügel abzustützen und auszusteigen – genauso, wie Will es ihm erklärt hatte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah Will mit einem skeptischen Blick an, als er ebenfalls aus dem Wagen ausstieg. „Wie schnell bist du gefahren?“
Er antwortete mit demselben feierlich ehrlichen Gesichtsausdruck, mit dem er ihr auch versprochen hatte, nicht zu schnell zu fahren. „Auf der geraden Strecke 80 km/h.“
„Nie im Leben.“
„Ich schwöre es.“ Wieder hielt er drei Finger zum Schwur hoch.
„Nun, dann ist 80 einfach viel zu schnell.“ Wahrscheinlich war es das nicht, aber sie musste nun einfach argumentieren, immerhin war sie für Jeremy verantwortlich. Vielleicht aber auch, weil Will so verdammt attraktiv und überzeugend war, dass sie einfach nicht sofort klein beigeben wollte.
Jeremy umrundete das Auto. „War das nicht total cool, Harper?“
Nach seinem Unfall hatte er das Sprechen neu erlernen müssen und selbst jetzt, nach all den Jahren, war seine Ausdrucksweise vorsichtig, manchmal sogar angestrengt, als müsste er nach den richtigen Worten suchen. Aber heute fühlte er sich eindeutig großartig – beinahe wie der junge Erwachsene, der er hätte sein sollen. Sie sah ihm an, dass er einfach unglaublich viel Spaß gehabt hatte. Er wirkte genauso euphorisch, wie ein aufgeregter Welpe, der, nach dem Mittagsschlaf stürmisch die Welt erobert.
„Hat es Spaß gemacht?“, fragte sie mit sanfter Stimme. Der Wind hatte sein Haar zerzaust und sie strich mit den Händen hindurch, um die weichen braunen Locken zu glätten.
„Total!“ Jeremy hatte ein Leuchten in den Augen. Sein Blick wechselte zwischen ihr und Will hin und her, bevor er auf Harper haften blieb. „Jetzt bist du dran, Harper.“
Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich steige auf keinen Fall in dieses Auto.“
Will lächelte sie einnehmend an. Oder war es eher hinterlistig? Im Moment konnte sie es nicht mit Sicherheit sagen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, wenn sie nur daran dachte, mit Will in diesen Sportwagen einzusteigen.
„Ich verspreche dir, wir fahren nicht schneller, als ich mit Jeremy gefahren bin“, sagte er zu ihr. „Und du hast ja selbst gesehen, dass ihm nichts passiert ist.“
Ein weiteres leichtes Versprechen. Auch eine Herausforderung. Und in einem Moment des absoluten Wahnsinns wollte sie sich beinahe darauf einlassen, dieses Hochgefühl mit ihrem ganzen Körper spüren. Sie wollte schnell fahren, den Fahrtwind im Gesicht und ihr Blut durch die Adern schießen spüren.
Aber sie war nicht wahnsinnig.
Sicherheit. Jeder musste in Sicherheit sein. Nicht nur Jeremy, sie selbst auch. Nur weil sie etwas wollte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie es haben konnte. Insbesondere dann nicht, wenn ihr Wunsch für sie oder Jeremy schlecht war.
Jetzt, da die beiden sie so erwartungsvoll ansahen, fiel ihr keine bessere Ausrede ein als: „Ich habe einen Rock an. Damit schaffe ich es niemals, in diesen Sitz zu kommen.“
Trotz ihrer Worte gab es einen Teil in ihr, einen wirklich großen Teil, der das Angebot liebend gerne annehmen wollte.
Sie wollte nur einmal ihre Augen schließen und mit dem Wind um die Wette sausen.
„Ich helfe dir.“ Will streckte ihr seine Hand entgegen.
„Es macht wirklich Spaß, Harper“, musste Jeremy noch seinen Senf hinzugeben.
„Nur eine Runde“, sagte Will mit seiner tiefen Stimme und einem bedeutungsvollen Blick. Seine Hand war immer noch in ihre Richtung ausgestreckt, als zweifelte er keine Sekunde daran, dass sie schlussendlich zustimmen würde. „Mehr nicht. Eine schnelle Spritztour, die dir gefallen wird. Ich verspreche es. Nur eine Runde“, sagte er noch einmal. Dann lächelte er und fügte hinzu: „Es sei denn, du willst mehr.“
Es war, als wüsste er, wie kurz sie davorstand, zuzustimmen. Mit seinen sanften überredenden Worten zog er sie in den Bann seiner blauen Augen. Es war wie ein Sprung von einem hohen Felsen ins gläsern glatte Wasser.
Zum ersten Mal seit langem wollte Harper alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord werfen und einfach nur das tun, was sich gut anfühlte. Und genau deswegen sagte sie schließlich: „Okay, ich fahre eine Runde mit dir.“ Damit es auch keiner von ihnen beiden vergaß, fügte sie noch hinzu: „Aber ich will ganz bestimmt nicht mehr.“
Jedoch war sie sich nicht sicher, ob er – oder sie selbst – es ihr wirklich glaubte.
Oh ja, Will Franconi war gefährlich. Extrem gefährlich. Als er sie auf die Beifahrerseite des Autos zog, erzeugte die Berührung seiner Hand ein Kitzeln in ihrem Bauch.
Seit über einem Jahr hatte Harper kein Date mehr gehabt. Irgendwann hatte sie festgestellt, dass sie nicht nur für Männer eine leichte Beute war, die an den Treuhandfonds ihres Bruders heranwollten. In den vielen Jahren, in denen sie für sich selbst und Jeremy hatte sorgen müssen, war ihr recht wenig Zeit für die Pflege ihrer Beziehungen geblieben. Sie war eine Zeit lang mit einem Mann zusammen gewesen, der Interesse an Jeremys Geld, aber nicht an Jeremy selbst hatte. Warum gibst du ihn nicht einfach in ein Heim für seinesgleichen?, hatte er gesagt. Danach hatte sie einen anderen Mann kennengelernt, der ihr geschworen hatte, stets für sie und Jeremy da zu sein. Das erledigte sich aber, als er eine andere Frau kennenlernte, die nicht so viele Probleme mit sich brachte. Es hatte Jeremy das Herz gebrochen, als ihr Freund nicht mehr vorbeikam, um auch ihn zu sehen.
Danach hatte Harper beschlossen, dass Liebe und Ehe einfach nicht für sie in den Sternen standen.
Sie konnte auch damit leben, denn sie wollte sicherstellen, dass Jeremy von niemandem mehr verletzt werden würde.
Es kam ja natürlich auch keinem Date gleich, wenn sie lediglich in sein Auto einstieg. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, was ein reicher Playboy wie er mit einer so durch und durch normalen Frau wie ihr anfangen können würde. Sie war einfach schon lange Zeit nicht mehr in der Nähe eines so gut aussehenden Mannes gewesen. Das musste die Erklärung dafür sein, warum ihr Herz so schnell klopfte und sich ihre Haut ganz heiß anfühlte.
Will legte ihre Hand auf den Überrollbügel. „Halt dich hieran fest.“
Es schien, als hätte alles, was er sagte eine gewisse Doppeldeutigkeit – normale Aussagen erhielten einen sexuellen Beigeschmack. Sie redete sich ein, dass es nur an ihrem Gehirn lag, das unter Sexmangel litt.
Sie hob ihren Rock ein Stück an, um einsteigen zu können. Dann rutschte sie in den Ledersitz. Sie nahm die Enden des Sicherheitsgurts in die Hand und betrachtete sie. Sie wusste nicht, wie der Gurt funktionierte.
„Es ist ein Fünf-Punkt-Renngurt“, erklärte Will, während er sich auf den Fahrersitz setzte. „Normalerweise wird ein Teil über die Schultern gelegt und ein anderer Teil geht zwischen die Beine. Aber ich glaube, wir können uns den Gurt für die Beine heute sparen, immerhin bist du nicht wie ein Rennfahrer gekleidet.“
Sie begann, mit den Haken und Ösen des Gurts herumzuhantieren. Will sagte: „Komm, ich helfe dir.“
Plötzlich spürte sie, wie er beim Anlegen des Gurtes über ihre Schultern und das Schlüsselbein streifte. Diese kaum wahrnehmbare Berührung gab ihr eine Gänsehaut. Sie atmete seinen Geruch ein. Die Mischung aus Shampoo, Seife und sehr heißem Mann rief ein Kribbeln in ihr hervor. Er zog den Gurt bis zu ihrem Schoß herunter und schob das Ende mit einem ,Klick‘ in den Gurtverschluss. Sie spürte den Druck seiner Berührung knapp unter ihrem Bauch. Tief – und intim genug – dass ihr Puls zu rasen begann.
Als er den zweiten Riemen anlegte, waren seine Finger einen Hauch von ihrer Brust entfernt. Es war noch keine wirkliche Berührung, aber es fehlte nur wenig dazu. Harper sah nicht auf. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen aus Angst, er könne bemerken, welche Wirkung er auf sie hatte. Er klickte auch das zweite Ende in den Hüftgurt in ihrem Schoß und schloss dann die Schnalle in der Mitte des Hüftgurts.
Hatte er sich auch so viel Zeit genommen, um Jeremy den Renngurt anzuziehen?
Sie wusste es nicht mehr, ihr Kopf war zu verdreht von seiner Nähe und den Beinahe-Berührungen.
„Sitzt er gut?“ Da die Sonne hinter ihm stand, lagen seine Augen im Schatten. Jedoch hätte sie schwören können, dass sie darin ein Funkeln der Hitze erkennen konnte.
„Ja, alles klar.“ Ihre Antwort war tief, gehaucht, beinahe schon ein Stöhnen. Sie räusperte sich. „Doch wirklich, alles gut. Danke.“
Er zog sich langsam zurück, sein Blick blieb jedoch intensiv, wodurch ihr Puls sich weiter beschleunigte. Nachdem er seinen Gurt angelegt hatte, startete er den Motor mit lautem Dröhnen. Er legte seine Hand auf den Schaltknüppel. „Bereit?“
Mit einem Mann wie ihm konnte sie wahrscheinlich niemals wirklich bereit sein. Aber es gelang ihr, zu nicken.
Das Auto machte einen Satz nach vorne und sie hielt sich mit der einen Hand an der Tür und krallte sich mit der anderen am Sitz fest, unten, neben der Gangschaltung, wo er es nicht sehen konnte.
„Mach dir keine Sorgen“, rief er ihr über den lauten Fahrtwind hinweg zu. „Ich fahre nicht zu schnell.“
Verstand er denn nicht, dass alles, was er tat, bereits zu schnell war?
Ihr Haar wirbelte ihr ums Gesicht und sie musste den Sitz loslassen, um es zu bändigen. Um die dicken Locken aus dem Gesicht zu streifen und weg von ihrem Lippenstift am Hinterkopf zusammenzuhalten, brauchte sie beide Hände. Sie flog völlig frei neben ihm, gehalten nur durch den Gurt, mit dem dröhnenden Fahrtwind in den Ohren.
Er lächelte, als er sie so sah.
„Schau auf die Straße“, rief sie ihm zu.
Sie spürte, wie er bremste, als er in die Kurve am Ende der Landebahn fuhr. Es fühlte sich viel zu schnell an, aber das Heck scherte nicht aus, als sie auf die andere Landebahn zusteuerten. Sie wurde in dem Ledersitz hin und her geschüttelt. Auf ihren Lippen schmeckte sie die salzige Luft. In der Ferne sah sie, wie Jeremy auf und ab sprang und mit der Faust in der Luft herumwirbelte.
Will beschleunigte mehr und mehr. Ihr Herz schlug so laut, dass sie das Blut durch ihre Ohren rauschen hörte, und der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Sie hätte ihm sagen sollen, langsamer zu fahren, anzuhalten, sie rauszulassen. Sie sollte ihn einen Wahnsinnigen nennen, ihn sogar anschreien.
Aber genau in diesem Moment hatte Harper das irrsinnige Bedürfnis, ihre Arme hochzustrecken wie ein Teenager auf einer Achterbahn. Eine verrückte Stimme in ihrem Kopf sagte ihr: Mach es einfach!
Sie konnte dem Kick nicht widerstehen. Der Geschwindigkeitsrausch hatte sie gepackt. Also ließ sie alle Schranken fallen, warf ihre Hände in die Höhe und legte den Kopf nach hinten.
Es war berauschend und beängstigend zugleich. Vielleicht war es die Kombination aus Angst und Gefahr und dem reinen Vergnügen, durch die Luft zu fliegen – sie fühlte sich lebendig und jeder Nerv in ihrem Körper kribbelte.
Vielleicht … war es aber auch der Mann neben ihr.
* * *
Harper war einfach betörend schön. Die Sonne ließ ihre vom Wind verwirbelten Haare glänzen, das Gesicht glühte vor Begeisterung. Zwar jubelte sie nicht laut, aber sie hatte ihre Arme hochgehoben. Und sie lächelte.
Es war das allerschönste Lächeln, das Will je gesehen hatte.
Sie hatten noch nicht mal die übliche Geschwindigkeitsbeschränkung des Highways erreicht und dennoch fühlten sich der dröhnende Motor, der knatternde Auspuff und der weite Himmel über ihnen so an, als flöge der Wagen mit über 200 Stundenkilometern.
Er hatte ihr versprochen, nur eine Runde zu fahren und daran hielt er sich. Er wollte ihre Grenzen nicht ausreizen.
Zumindest noch nicht.
Als er ihr beim Anschnallen geholfen hatte, wäre es ein Leichtes gewesen, sie zu berühren, seine Fingerspitzen über ihre zarte Haut gleiten zu lassen. Das Verlangen, sie zu berühren ließ sein Herz schneller schlagen. Sogar jetzt kribbelten seine Finger wegen der von ihr ausgehenden Hitze und ihr süßer Duft ging ihm nicht aus dem Kopf. Es war ihm aber bewusst, dass sie nicht war wie die anderen Frauen, mit denen er normalerweise Zeit verbrachte. Frauen, die wussten, was Sache ist und einfach das mitnahmen, was sie kriegen konnten, bevor er zur Nächsten wanderte.
Harper Newman war anders. Und das gefiel ihm. Er wusste, dass er sie auf eine ganz andere Art und Weise umwerben musste, als er es je getan hatte. In seinem Kopf hörte er zwar eine Stimme, die ihnen daran erinnerte, dass er nicht versuchen sollte, etwas Ernsteres als eine heiße Nacht mit ihr zu erreichen.
Nicht etwa, weil sie nicht mehr verdient hätte, sondern gerade, weil sie mehr verdiente. Sie verdiente viel mehr als das, was ein innerlich zerrissener Mann wie Will ihr geben konnte.
Nach der letzten Kurve bremste er ab und fuhr zurück in die Richtung ihres Bruders. Zurück in die Realität.
Zumindest für den Moment.
Sie nahm ihre Arme herunter und ihr Ärmel berührte seinen Arm, als sie sagte: „Das war schnell.“
Sie versuchte, unverbindlich zu klingen, aber er hörte ihr an, wie sie versuchte, ihre Atemlosigkeit zu verbergen. Wahrscheinlich gelang es ihr sehr gut, ihre Gefühle zu verbergen. Will war aber viel zu sehr an ihr interessiert, um auch nur eine klitzekleine Kleinigkeit zu verpassen. Insbesondere in diesem Moment, da der Geschwindigkeitsrausch noch durch ihre Adern floss.
„Zu schnell? Oder gerade richtig?“
Sie sah ihm in die Augen und erneut sprühten die Funken zwischen ihnen. Es hatte bereits zu knistern begonnen, als sie sich das erste Mal angesehen hatten.
Endlich gab sie zu: „Es hat Spaß gemacht.“ Ihre Worte klangen etwas rauchiger, als sie erwartet hatte.
Vor ihnen näherte sich Jeremy hüpfend dem Auto. Er sah so glücklich aus. Und das wiederum machte Harper glücklich, wie Will zu seiner Freude feststellte.
Als das Auto zum Stehen kam, sagte er: „Warte, ich helfe dir.“
Doch sie wartete seine ritterliche Geste nicht ab, sondern schnallte sich einfach ab und sagte: „Alles okay, Danke.“ Dann drehte sie sich herum und griff nach dem Überrollbügel, um sich daran hochzuziehen.
Jeremy rannte hinüber zu ihnen.“ War das nicht super cool, Harper?“
„Ja, es hat Spaß gemacht.“
Ihre Antwort hielt mit ihren Gefühlen hinter dem Berg, aber Will wusste, dass sie für wenige Momente auf der Strecke eins mit dem Auto war und den Geschwindigkeitsrausch genossen hatte. Genauso wie er.
„Aber einmal reicht mir“, fügte sie hinzu und strich ihren Blazer, Rock und schließlich ihre Haare glatt.
„Einmal reicht niemals aus“, sagte er sanft.
Ganz gleich, wie sehr sie versuchte, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten, er hatte bemerkt, dass ihr in Anbetracht seines leicht sinnlichen Untertons der Atem ein wenig gestockt hatte. Will wusste, dass er, wenn ihr Bruder nicht hier gewesen wäre, etwas Verrücktes getan hätte – zum Beispiel sie zu schnappen und zu küssen.
Nein, er war einfach nicht gut genug für sie. Aber auch dieses Wissen hielt ihn nicht davon ab, sie zu wollen. Tatsächlich zog ihn wahrscheinlich das Gute in ihr noch stärker an, die liebevolle und warme Verbindung, die sie mit ihrem Bruder hatte.
„Ich habe noch ein paar Stunden Zeit. Ich kann euch gerne den Aston Martin bei mir zuhause zeigen.“
Tatsächlich hatte Will Dutzende wichtige Dinge, die er heute erledigen sollte. Aber Jeremy war für ihn wie eine magische Glaskugel, die ihn anzog. Er spürte etwas Reines in ihm und dadurch fühlte er sich jung, nicht abgestumpft wie sonst.
Und dann war da noch Harper.
Die wunderschöne, einzigartige Harper mit der sorgfältig verschnürten Leidenschaft in sich, die geradewegs darauf wartete, befreit zu werden …
„Das können wir wirklich nicht“, gab sie dagegen und im exakt gleichen Moment sagte Jeremy: „Das wäre so unglaublich cool.“
Die Spuren der wilden Frau, die mit hochgestreckten Armen in seinem Auto mitgefahren war, verschwanden schnell. Viel zu schnell, als sie sagte: „Wir haben schon viel zu viel deiner Zeit in Anspruch genommen. Das war wirklich schon viel mehr, als wir erwartet hatten.“
„Mit euch Zeit zu verbringen, war mir eine große Freude.“ Er grinste Jeremy an. „Bisher hat noch nie jemand so viel Freude an meinen Autos gehabt wie du. Und wenn ich ehrlich bin, gebe ich gerne mit ihnen an.“
„Können wir, Harper? Bitte!“ Ihr Bruder wippte auf seinen Füßen hin und her, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, in den Händen hielt er fest sein Notizbuch.
„Ihr könnt mir mit deinem Wagen hinterherfahren und dann gehen, wann ihr wollt“, fügte Will hinzu.
„Wo wohnst du?“ Ihr Ton war vorsichtig, aber immerhin hatte sie seine Einladung noch nicht ganz ausgeschlagen.
„Portola Valley.“
Jeremy hatte sein Notizbuch nun unter den Arm geklemmt und die Hände wie im Gebet aufeinandergepresst. Er stand direkt vor Harper und formte mit den Lippen bitte, bitte, bitte.
Will wusste, dass es ein bisschen link von ihm war, Jeremy die Überzeugungsarbeit zu überlassen, aber der Junge wollte es genauso sehr wie er. Er bemerkte den Moment, in dem Harper nachgab, sofort. Sie atmete stoßartig aus und schüttelte kurz den Kopf, als ob sie sich sagen wollte, dass sie bescheuert wäre – oder ein zu weiches Herz hatte.
„Na gut. Aber wir können nicht lange bleiben, Jeremy. Mr. Franconi ist ein schwer beschäftigter Mann.“
„Ich dachte, wir sind schon beim ,du‘.“
„Entschuldigung, hab’ ich vergessen.“
Er wusste, dass das gelogen war. Sie vergaß nichts, das merkte er ihr an. Sie versuchte nur, etwas Abstand zu der schnellen Autofahrt zu gewinnen. Und natürlich auch zu ihm.
„Wir fahren dir hinterher“, sagte sie. „Aber bitte, fahr nicht zu schnell, sonst verliere ich dich möglicherweise.“
Er würde dafür sorgen, dass sie ihn keinesfalls verlieren würde. Genauso wie er nicht vorhatte, sie zu verlieren. „Keine schnellen Fahrten auf dem Weg zu mir“, versprach er.
Sie würde schnell lernen, dass er seine Versprechen immer hielt. Will war in seiner Jugend alles andere als ehrlich gewesen – er hatte seinen Pflegeeltern Susan und Bob so manches graue Haar verpasst – aber von ihnen hatte er gelernt, dass Worte Macht haben. Seit seinem achtzehnten Geburtstag hatte er kein einziges Versprechen mehr gebrochen. Das Tattoo auf seinem Arm erinnerte ihn stets daran, was er getan und dass er andere verletzt hatte.
„Kann ich mit Will mitfahren?“, fragte ihr Bruder.
„Jeremy“, mahnte sie ihn sanft. „Du kannst dich nicht einfach so selbst einladen.“
„Aber ich habe mich doch schon bei ihm eingeladen, um seine anderen Autos zu sehen“, sagte Jeremy logisch. „Und dazu hat er doch ja gesagt.“
Jeremy hatte wirklich eine ganze eigene Art, dachte Will schmunzelnd. Seine innere Einstellung war einfach ansteckend. „Na klar doch, Kumpel, du fährst bei mir mit.“
Er würde auch dafür sorgen, dass Harper noch einmal mit ihm mitfuhr. Aber beim nächsten Mal würde er so weit und so schnell mit ihr fahren, ihr so viel Freude bereiten, dass sie nicht einmal im Traum daran denken würde, ihn zu bitten, langsamer zu machen.
Wills Haus war nicht einfach ein Haus, es war ein Anwesen. Die Privatstraße, die dorthin führte, war knapp einen Kilometer lang und wand sich durch Hügel, vorbei an Wiesen, Büschen, Bäumen und anderer natürlicher Vegetation. Harper folgte Will mit ihrem Wagen in die runde Einfahrt, die sich um einen Felsbrunnen schmiegte.
Das Haus sah aus, als hätte es Stararchitekt Frank Lloyd Wright designt. Der Eingangsbereich bestand aus einer breiten Treppe mit flachen Stufen, die gesäumt waren von sorgfältig angelegten blühenden Büschen und künstlerischen Felsformationen. Das Haus schien sich über zwei Stockwerke zu erstrecken, wovon eines etwas weiter zurückgesetzt war, fast so als wären beide Gebäudeteile voneinander völlig getrennt. An der Vorderseite des Hauses befand sich eine große Fensterfront, die sich auch fließend um die Ecken zog. Vom hinteren Teil des Hauses hatte man einen weiten Blick über das Tal. Etwas weiter entfernt sah sie einen Infinity-Pool, über dessen Rand das kühle Nass wasserfallartig floss. Etwas weiter hinten konnte sie ein kleines Übungsgrün entdecken.
Sie folgte nach wie vor Will und steuerte ihren Wagen eine weitere, ansteigende Einfahrt entlang, an deren Rand sich ein Steingarten mit Kakteen und Sukkulenten befand. Die Garage, die er erwähnt hatte, bestand tatsächlich aus zwei gegenüberliegenden Gebäuden. In jeder Garage zählte sie acht Tore, während sie Will auf dem Asphaltweg zwischen den Garagen folgte. Eines der Tore öffnete sich lautlos und Will fuhr den Challenger hinein.
Harper stieg aus ihrem bescheidenen Wagen, eine reguläre Stufenhecklimousine, für die sie sich vor einigen Jahren nur aufgrund der hervorragenden Sicherheitsbewertung entschieden hatte. Ihre Absätze klackten auf dem Asphalt, als sie hinüber zur offenen Garagentür ging. Innen wurde die Beleuchtung eingeschaltet, wodurch sie einen Blick auf mehrere teure Autos erhaschen konnte, deren Wert sie nur schätzen konnte. Wahrscheinlich eine Million Dollar in glänzendem Chrom – mindestens.
Will machte mit dem Arm eine einladende Geste. „Herzlich willkommen auf meinem Spielplatz.“
Jeremy rannte bereits die Reihe der Autos entlang. „Er steht da drüben.“ Will zeigte mit dem Finger in eine Richtung. Ihr Bruder war schon auf dem Weg hin zu dem silbernen Aston Martin, von dem er bereits seit langer Zeit total hingerissen war.
„Er macht wohl alles mit hoher Geschwindigkeit“, stellte Will fest.
„Nach dem Unfall“, sagte sie sanft, „musste er Sprechen und Gehen neu erlernen. Jetzt denkt er, dass er sich einfach bewegen muss, damit seine Gelenke nicht komplett steif werden wie bei einem Zinnsoldaten.“ So hatte Jeremy sich ausgedrückt und die Worte zauberten immer ein Lächeln auf ihre Lippen.
Will sah von Jeremy hinüber zu ihr.“ Was ist passiert?“
Harper schluckte, sie hatte einen Kloß im Hals. Alles war so lange her, Wills liebevoller Gesichtsausdruck berührte sie jedoch. „Er hatte einen Autounfall, als er sieben war. Ein Teenager hat ihn mit zu hoher Geschwindigkeit im Sportwagen seines Vaters angefahren.“ Ein Teenager aus einer Familie, die nicht annähernd so viel Geld hatte wie Will. „Jeremy war auf seinem Fahrrad unterwegs.“
„Das tut mir leid, Harper.“ Er sah traurig aus und auch wütend. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwierig das gewesen sein muss.“
„Er lag mehrere Wochen im Koma und hat langfristige Gehirnschäden erlitten. In vielerlei Hinsicht ist es so, als wäre er nie älter als sieben geworden.“ Jeremy würde für immer ein Kind bleiben. Aber er war am Leben. Und dafür war sie einfach dankbar. „Er ist ein recht fröhlicher Junge. Und es geht ihm gut. Ich hab’ ihn lieb, so wie er ist.“
„Er ist ein guter Junge. Deine Eltern haben ja sicherlich auch Berge für ihn versetzt.“
„Ja, das haben sie“, stimmte sie zu und sah Jeremy dabei zu, wie er um den Aston Martin hüpfte und jedes noch so kleine Detail begutachtete. Sie hatte Will schon recht viel erzählt, also konnte sie auch den Rest noch erzählen. Auch wenn es ihr manchmal so vorkam, als gäbe es nichts zu berichten außer den zwei Unfällen. „Unsere Eltern kamen vor einigen Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seitdem kümmere ich mich um ihn.“
Will hatte sich ihr genähert, während sie sprach. Sie war durchschnittlich groß, aber er war so groß und stark, dass sie sich neben ihm zart und klein fühlte. „Das muss wirklich schlimm für dich gewesen sein.“
Er hatte Recht, es war schrecklich gewesen. Aber sie hatte sich auf Jeremy konzentriert, darauf, alles für ihn zu tun und schließlich wurde der Schmerz von Tag zu Tag kleiner. „Ich vermisse meine Eltern sehr. Meine Mutter hatte immer einen guten Ratschlag parat und mein Vater war stets die Ruhe selbst.“ Sie hätte alles dafür gegeben, sie jetzt hier bei sich zu haben.
Will nahm ihre Hand und drückte sie. „Sie wären beide sehr stolz auf das, was du erreicht hast, Harper.“
Seine Berührung durchfuhr sie heiß. Plötzlich war sie sich jedes Atemzuges bewusst, bemerkte den kleinen Satz, den ihr Herz gemacht hatte und seine Körperwärme. Er war einfach eine so starke Präsenz. Er führte sie langsamen Schrittes entlang der Autos hinüber zu Jeremy.
„Deine Garage ist beeindruckend.“ Ihre Aussage war höflich und diente gleichzeitig dazu, ihre Gedanken über den Verlust ihrer Eltern zu vertreiben und sich von Wills Hand in ihrer abzulenken. Fast.
Die Garage war blitzblank, nirgends waren Ölflecken zu sehen. Zwischen den Autos und an der Wand entlang lagen Matten aus Vinyl. Die Werkzeugschränke glänzten rot und alle Werkzeuge waren säuberlich verstaut oder hingen an der Wand über den Werkbänken. Von der Decke hingen Stromanschlusskabel. In dieser Garage herrschte Ordnung, ganz im Gegensatz zu Harpers Garage, die im Chaos versank.
Sie ging ihm ein paar Schritte voraus, sodass er ihre Hand losließ. Ohne die Berührung fühlte sie sich schon beinahe wieder normal, nur ein kleines Kribbeln war noch zu spüren. Jedoch konnte sie nicht abstreiten, dass ihr das Gefühl, ihn zu spüren, ein wenig fehlte.
„Du hast wirklich viel Platz hier“, stellte sie fest. „Könntest du nicht die Autos aus dem Hangar hier unterbringen?“
„Der Hangar gehört Leland. Er wollte schon seit längerem Teile davon vermieten und ich bin froh, dass ich dort einen guten Platz gefunden habe.“
Sie erinnerte sich daran, dass Leland sein Mechaniker war. „Also hast du einen Mechaniker und reparierst die Autos auch selbst?“ Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf die vielen Werkzeugkisten. „Und dann baust du auch noch welche selbst.“
„Leland kümmert sich um die regelmäßige Wartung und ich mache das, was Spaß macht. Er hilft mir auch dabei, wenn ich bei einem Projekt mehr Hilfe brauche.“ Wills Augen verdunkelten sich und sahen sie intensiv an. „Außerdem lege ich gerne selbst Hand an.“
Harper dachte daran, wie er ihr den Gurt angelegt und sie dabei beinahe gestreichelt hatte. Sie wurde rot. Sie mochte es ganz und gar nicht, dass dieser Mann so spürbar war. Ein Mann, mit dem sie nie im Leben zusammen sein könnte. Ihre Sehnsüchte nach einem Rausch, dem Vergnügen, hatte sie tief in sich verborgen. Seine hingegen lagen ganz weit offen. Sie hatte Dutzende Fotos von ihm im Internet gesehen, jedes mit einer anderen Frau im Arm. Alle hatten verführerische Kurven und trugen sexy Designerkleider, die vermutlich mehr gekostet hatten als ihr Auto. Er war eindeutig ein Player.
Dennoch war er so lieb zu Jeremy und war eindeutig stolz darauf, dass er Dinge selbst baute, statt nur einen seiner Helferlein damit zu beauftragen.
Harper konnte das Rätsel um Will Franconi einfach nicht lösen, die Puzzleteile passten jedenfalls nicht zusammen. Vielleicht würden sich einige Sachen aufklären, wenn sie ihn besser kannte, so wie er bereits mehr über sie wusste. Aber da sie daran zweifelte, dass sie oder Jeremy Will Franconi je wiedersehen würden, musste sie sich damit abfinden, dass er ein Mysterium bleiben würde.
Sie musste sich erneut von der Hitze ablenken, die in ihr aufstieg. Also zeigte sie auf die ölverschmierten Overalls, die an der Wand hingen. „Sieht aus, als hättest du in letzter Zeit viel an deinen Autos geschraubt.“
„Wie gesagt, Autos sind meine Leidenschaft. Das war schon immer so, seit ich ein Kind war. Wenn ich jetzt Lust auf etwas Aufregung habe, kann ich mich auf meine Autos verlassen.“
„Kann ich mich in das Auto setzen, Will?“, rief Jeremy von der anderen Seite der Garage.
„Klar doch.“ Will lehnte sich gegen die Werkbank, verschränkte die Arme und zog so ihre Aufmerksamkeit auf seine breite Brust. „Lebt Jeremy also bei dir?“
Sie zwang sich dazu, sich auf seine Worte zu konzentrieren und nicht auf seine beeindruckenden Muskeln. „Ja, wir leben in unserem Elternhaus in Palo Alto. Es geht ihm besser, wenn er in einer gewohnten Umgebung ist.“
„Und was machst du beruflich?“
„Ich bin Recruiterin für große Unternehmen.“ Sie hatte das Bedürfnis zu erklären, warum sie ein Kostüm trug. „Ich hatte heute Morgen ein Vorstellungsgespräch.“
„Samstags?“ Er war sichtlich beeindruckt. „Das nenne ich mal Engagement.“
„Ich mache meinen Job gerne.“ Sie liebte es, Leuten den genau passenden Job zu vermitteln.
„Keine weiteren Geschwister?“
„Nur Jeremy und ich. Auch keine Cousins oder Cousinen.“
„Also kümmerst du dich ganz allein um ihn?“
„Ja und es klappt wirklich gut.“
Glücklicherweise entschloss sich Jeremy in genau diesem Moment, wieder zu ihnen zu rennen. Sie hatte das Gefühl, unter Wills Mikroskop zu liegen. Er war sogar noch besser darin, Fragen zu stellen, als sie. Das war schon außergewöhnlich, denn sie verdiente sich immerhin ihren Lebensunterhalt mit dem Stellen von Fragen.
Sie fragte sich erneut, warum Will sich so für sie und Jeremy interessierte, wo sie sich doch nie wiedersehen würden. Vielleicht sollte sie weniger misstrauisch sein, immerhin war er bisher wirklich nur nett zu ihnen gewesen. Aber nach den Erfahrungen mit den letzten zwei Männern, die sie an sich herangelassen hatte – und nachdem sie mit ansehen musste, wie der Vater des Teenagers, der Jeremy überfahren hatte, sich und seinen Sohn mit Geld freigekauft hatte – konnte sie niemandem mehr blind vertrauen.
„Können wir jetzt die andere Garage ansehen, Will?“ Jeremy sprühte vor Energie, mehr als üblich. Als wollte er die Welt von Will mit dem großen Löffel essen, bevor plötzlich alles vorbei war.
„Sicher doch“, sagte Will und kramte eine Fernbedienung aus seiner Tasche. „Aber da drüben steht kein Maserati Birdcage.“
„Ich weiß“, sagte Jeremy bedrückt. „Wenn ich meine Augen ganz fest schließe und es mir nur doll genug wünsche, steht da eines Tages einer“, sagte er und kniff die Augen zusammen.