Heunes Garage - Michael Giersch - E-Book

Heunes Garage E-Book

Michael Giersch

0,0

Beschreibung

Heunes Garage ist das berühmteste Bauwerk im Kreis Unna, speziell im Fröndenberger Westen. Ich habe in dieser Jarage, wie man das Behältnis für Kraftfahrzeuge auch nennt, noch nie ein Auto stehen sehen. Das Behältnis für Kraftfahrzeuge war Materiallager, Tagungsraum, Saufbude, Stauraum, Baustellenpausenraum und vieles mehr. Kurzum, sie war einzigartig, diese Garage.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 638

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



″Wer es wagt, bei meiner Beerdigung zu weinen, mit dem rede ich kein Wort mehr!″ (Stan Laurel, 16. Juni 1890 - 23. Februar 1965)

″Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen.″ (Blaise Pascal, 1632 - 1662)

″Die Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende.″ (Woody Allen)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Komisch Dreieck (Vorlack brummt)

Reiniger (Lass doch mal die Luft raus)

Flitzkacke (Eine verkehrte Tür findet auch mal ein Klo)

Garagentor (Lieber rosarot als tot)

Schräpe (Spalierlattendecken sind wunderschön)

Holz und Beton (Es fährt ein Zuch nach nirgendwo)

Vattatach (Werner hoch fünf)

Eine blonde Frau findet auch mal Blau (When A Blind Woman Cries)

Eine Decke findet auch mal Latex (Urlaub ist auch ganz schön)

Jutta kämmt (Ruckzuck war die Pelle ab)

Lünern oder Mühlhausen (Wir mussten oft hinsausen)

Iserlohn (Ein guter Türke hat auch guten Senf)

Lünen (Scheiße, der Kiosk hat zu)

Gattenlaube (Drei Zentner Regen machen fünfzig Euro)

Hände hoch! Es knistert, knallt und knirscht (Fraun Wallach wird erschossen)

Hubbitz und Uwe (Wo kein Schnee liegt, kann geschoben werden)

Dreimal Winter (Aber zwei Sommer, Durchzuch und Terroranschlag)

Weißte noch? (Garagenerinnerungen)

Wolli erzählt (Diesmal ohne Anhängsel)

Epilog

Heunes Sprüche

Dank

Bildnachweise

Vorwort

Tach Leute! Dies ist ein ganz besonderes Schriftwerk; ich berichte nur über Tatsachen, die ich selbst mit Heune und anderen Leuten erlebt habe. Allerdings war ich (wie auch alle anderen Protagonisten der Geschichten) des Öfteren ganz schön schicker, da könnte ich auch mal etwas verwechselt haben, besonders in der Reihenfolge oder bei den Jahresdaten. Ach was … ich habe mit Sicherheit etwas verwechselt. Es kam nämlich Schlag auf Schlag. Auch manche Dia- und Monologe stimmen mit Sicherheit nicht hundertprozentig, da einige Brocken schon so um die dreißig Jahre her sind. Aber der Kern der Sache ist stets richtig. Außerdem soll man alles nicht ständig allzu ernst nehmen. Manche Leute – Bertha zum Beispiel – nehmen ständig alles ernst. Heune (manche nannten ihn auch manchmal Heine) hat das nie getan, er sah alles immer ein wenig locker. Ich setze mal voraus, dass alle Personen, die ich in diesem Buch erwähne, ihre Einwilligung ob der Namensnennung geben. Ich habe nämlich keinen Bock, Pseudonyme – in Wahrheit heiße ich nicht Derrick – zu erfinden, wahrscheinlich sogar auszudenken. Das fehlt mir auch noch. Außerdem sind die Leute, die ich erwähne, weltweit bekannt, es bedarf eigentlich keiner Verschleierung wie eine Schleiereule. Allerdings werde ich einige Klarnamen nicht nennen, dies hat verschiedene Gründe, die ich hier nicht verbreiten werde. Manchmal verändere ich Namen und Orte etwas. Hinzu ist zu erwähnen, dass die Leute eh im Internet ihre sämtlichen Daten verraten oder beichten. Oder berichten. Ich natürlich nicht, ich bin nicht in den asozialen Netzwerken vertreten, ich habe kein P-pal, oder wie diese Scheiße heißt, keine Kundenkarte und auch sonst verschenke ich meine Daten nicht. Außer vielleicht die versteckten Geschenke, die wir Durchschnittsbürger nicht bemerken. Ach so: Das dämliche Zeichen droben nach dem achten Wort verwende ich nicht so oft; ich weiß gar nicht so recht, was das Ding ; bedeutet. Im Duden steht, dass es Semikolon heißt. Im Duden ist ebenfalls dokumentiert, dass man oder frau nach einem Doppelpunkt klein oder groß weiterschreiben kann, wenn frau auch ein Komma setzen kann. Ebenso verhält es sich mit dem Wort frau: Im feministischen Sprachgebrauch wird es klein geschrieben. Jetzt ist aber gut mit der Klugscheißerei. Ich kenne viel zu viele Klugscheißer, ich habe schon angst und bange, dass ich selbst einer werde! Hier also proklamiere ich nun diese wertvollen (ob sie jetzt gehaltvoll sind, weiß ich nicht) Geschichten:

Es fing etwa im Jahre 1990, kurz, nachdem mein Kumpel Uwe Scheffler starb, an. Ich war gerade bei Nick – Firma Nick, morgens müde, abends dick, haben wir stets gesagt – in Dortmund angefangen. Die friedliche Revolution war zugange, Deutschland stand kurz vor der Wiedervereinigung. Falls es einige Zeitlosen verpennt haben: Deutschland war seit August 1961 – genau sechs Tage nach meiner Geburt, ein Schelm, der Böses dabei denkt – durch Stacheldraht, Mauern, Sprengfallen und alles getrennt. Mit einem Schießbefehl und so ’ner Scheiße.

Da wird die Stasi wohl zu Ulbricht gesagt haben: ›Hömma, Walli, mein Junge! Derrick ist geboren! Bau mal lieber wacker ´ne dicke Mauer! Mit Stacheldraht und Unkraut und so etwas!‹

Woraufhin Ulbricht vor versammelter Mannschaft gesagt haben soll: ›Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!‹

›Nehme ich mal so an!‹, würde Heune sagen. Drüben war Sozialismus und gegenüber war Kapitaldiktatur, die noch immer in Deutschland, wie auch auf der ganzen Welt, herrscht. Politiker sind ja nur Handlanger des Kapitals, wie wir alle wissen, aber verdrängen. Vor allem die verhauene FDP ist dem Kapital verfallen, die habe ich besonders gefressen, diese Kapitalarschlöcher. Aber die Herrschaft des Kapitals (laut Duden heißt es Plutokratie }Geldherrschaft; Geldmacht{) will ich hier nicht allzu oft vertiefen. Aber immer wieder werde ich es erwähnen, dies ist meine Natur. FDP bedeutet Finanzen Doppelreibach Plutokratie, wird aber auch in bestimmten Kreisen als Folge Den Piepen tituliert. Oder einfach Fick Die Plutokraten.

Heune (den Klarnamen verrate ich nicht, da dessen Garage sonst zur Pilgerstädte werden würde) rief mich an. Ich hatte noch Festnetz, ich wunderte mich allerdings, woher er meine Nummer hatte. Ich hatte mit Heinz Helmut vorher eigentlich nicht allzu viel zu tun gehabt. Wie das so ist, mal auf dem Sportplatz oder in der Lottobude gesehen, guten Tach gesagt und so weiter. Und nachher in der Kneipe – als es in unserem Dorf noch Kneipen gab, wir hatten mal fünf oder sechs, jetzt ist alles dicht – haben wir uns gesehen, aber eigentlich nicht so richtig unterhalten. Man sah sich und Tritratrullala und Trallala. ›Tach!‹, sagte ich, da ich den Anrufer nicht kannte. Damals gab es noch nicht diese Bildschirme, heute nennt man es Displays, welche die Adressaten anzeigen. Übrigens: Das Telefon hatte ich damals bei Schnückel gekauft. Es war das erste Tastentelefon, was ich hatte oder in meinem Besitztum verewigen konnte. Es war dunkelblau und mit Strippe. Irgendetwas mit 79,98 Mark hat es damals gekostet. Wenn jemand einen Taschenrechner zur Hand hat, kann er ja mal ausrechnen, was dies in Euro wäre. Man muss die oben genannte Summe nur durch 1,95583 teilen. Man konnte sogar Nummern darin speichern, aber ich hatte keine Ahnung, wie es funktioniert. Acht Nummern, um genau zu sein. Ich bin jetzt nicht so der Technik-Freak, falls dies jemanden interessiert. Ich glaube, eher nicht, ich wollte es nur mal erwähnen.

Jetzt muss ich aber dazwischenschieben, dass in Heunes Garage, soweit, wie ich mich erinnern kann, nicht ein einziges Mal ein Auto oder Fahrzeug gestanden hätte. Wenn es jemand besser weiß, dann soll er mich an den Pranger stellen. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Wie an dem auch sei, ich muss kurz Heunes Garage beschreiben: Das Garagentor stand grundsätzlich auf, außer, als ich es mal gestrichen habe. Oder hat er ganz am Anfang das Tor doch ab und an geschlossen? Müsste mal recherchieren. Vielleicht weiß es Wolli. Aber dazu später. Dann kommt die Story mit der roten Farbe, vielmehr des roten Pinsels. Der von Henschen. Aber dazu wie gesagt, später.

Heunes Garage war wunderbar. Rechts stand eigentlich gar nichts, es hingen Rollen und Pinsel an der Wand. Abklebeband und so was. Und irgendwelche Spraydosen. Auch ein paar Schraubzwingen. Und was-weiß-ich-nicht-noch-alles. Ach doch: das kleine Radio, was ständig lief oder sendete. Es bekam den Strom von einer Dreifachsteckdose, die irgendwo aus einer Ecke kam. Hauptsächlich WDR4 dudelte das alte Gerät, Heunes Lieblingssender, diese Jallerei. Es hing so seltsam an der Wand. Auf den Baustellen hatten wir auch ständig ein Radio anbei, dazu aber später mehr. Rechter Hand stand aber auch zeitweise so eine Art Werkbank, oder wie man es sonst nennen soll. Dort haben wir immer die Plürren (Gurkenglas, Brötchen, Fleischwurst, Senf und so weiter) bei unseren Treffen am Vattatach draufgestellt.

Apropos Vattatach: den haben Wolli, Heune und ich (manchmal waren auch ein paar andere Leute dabei, aber dazu später) jedes Jahr inne Garage gefeiert. Naja, manchmal auch hinterm Haus, auf der Terrasse. Oder wenn richtig Sauwetter war, inne Gattenhütte, die Heune, Wolli und sein Jaust Lars irgendwann in den Gatten montiert hatten. Und das, obwohl ich gar kein Vatta bin (ich bin unfruchtbar, die Frauen haben nicht schuld), war ich trotzdem dabei. Wenn es um eine Kalte geht, bin ich nicht weit entfernt.

Dieses muss ich erklären: Ich war irgendwann mal pleite (wann war ich eigentlich mal nicht pleite?), da habe ich beschlossen, Samenspender zu werden. So ein feines Kerlchen muss es doch öfter geben, habe ich gedacht. ›Er ist doch so ein hübsches Kind‹, hat meine Tante Steffi mal zu meiner Muddern gesagt, als ich noch ein lütter Junge war. Wie sie damals auf das Gerücht gekommen ist, weiß ich bis heute nicht.

Wo war ich stehen geblieben? Ach so: Ich hatte mal eine Anzeige bezüglich der Samenspende in einer Tageszeitung gesehen. Da kann man richtig Moos mit verdienen, hatte ich mal gehört. Ich also ab mit dem Zuch nach Münster, in die, ich glaube, es war die Universitätsklinik. Ich kann mich aber auch irren. Ich also da rein (ich habe mich selbstredend vorher telefonisch angemeldet) und zu Frau Oberärztin, deren Namen habe ich vergessen habe. Frau Namen-hasse-vergessen erklärte mir den Ablauf und führte mich in einen Raum, in dem auf einem Tisch mehrere Pornomagazine lagen. Und ein Fernseher stand in der Ecke, auf der Mattscheibe lief ein Heimatfilm. Intakte Wälder, saubere Flüsse, leckere Meere ohne Plastikscheiße, Heidi und Alpöhi. Ich fragte mich, weshalb bei so einer pikanten Begebenheit ein Heimatfilm lief.

Verarscht, es lief natürlich ein Pornofilm. Ich müsse erstmal eine Probe abgeben, sie muss erstmal gucken, ob ich überhaupt spenden könnte. Sie drückte mir ein längliches Glasröhrchen in die Hand und wünschte mir viel Erfolg.

Das ging dann ganz fix, ich gab die Probe im Labor ab. Dazu musste ich aber erst eine Treppe, die ich vorher erklommen hatte, wieder runter. Es dauerte keine zehn oder elfeinhalb Minuten und Fraun Namen-hasse-vergessen kehrte mit strengem Blick retour. Sie eröffnete mir, dass ich mit tausendprozentiger Sicherheit niemals Vatta werden würde. So etwas hätte sie in den über zweiundzwanzig Jahren, in denen sie im Beruf verweilte, noch nie gesehen, wie sie mir glaubhaft versicherte. Das sähe ja aus, als wenn ein Topf Graupensuppe drei Tage in der prallen Sonne gestanden hätte. Nix gegen ´ner ordentlichen Graupensuppe, aber so schlimm ist mein Zeugs? Sie drückte mir einen Zettel in die Hand und erklärte mir, dass alles in meinen Eiern Müll ist. Auf dem Zettel waren irgendwelche Werte verewigt. Soll- und Istwerte. Bei mir war alles Quark; wie lustig: Quark! Ich glaube, ein oder zwei Werte standen sogar bei Null. Das war´s dann mit meinem Nachwuchs, nicht ein Klon von mir würde in absehbarerer Zeit das Tageslicht erblicken. Ich hatte die Garantie auf ´nem weißen Zettel verewigt. Ich verabschiedete mich ohne Aufwandsentschädigung und fuhr mit Bus und Bahn nach Hause. Umgekehrt, erst verspätete Bahn, dann pünktlicher Bus.

Jetzt werden viele Leute denken: ›Hilfe! Der Junge ist unfruchtbar! Er muss dringend zum Psychiater, er muss sich Hilfe erholen! Er ist gegen Kinder gefeit, er hat doch sicher Kummer und Leid! Und seine Frau ist es leid!‹

Scheißdreck! Ich bin gar nicht verheiratet. Wenn die Eier scheiße sind, dann kann ich es auch nicht ändern. Außerdem sind wir eh zu viele auf dieser Welt. Wir Menschen, meine ich. Wir machen doch alles kaputt! Kein Lebewesen dieser Welt sägt auf dem Ast, auf dem es sitzt! Dies macht nur der Homo sapiens, und das mit sehendem Auge! Und mit einer Gründlichkeit, die sich gewaschen hat. Und was ich von Psychiatern halte, werde ich am Ende dieses Buches erzählen.

Wo war ich eigentlich stehen geblieben? Ach so. So richtig Werkbank war das Gerät nun mal auch nicht, ich kann es aber auch nicht anders erklären. Also weiter: Hintenan war eine Bruchecke, dort standen hauptsächlich Bierkisten. Manchmal leer, meistens voll. Ich will jetzt die Marke nicht verraten, aber erst war es Warsteiner und nachher Krombacher. Von Warsteiner hatte Heine irgendwann die Faxen dicke. Er hatte recht, die Sauerländer hatten mal irgendetwas an der Rezeptur verändert, das Bier schmeckte mit einem Mal seltsam. Also ist Heune umgestiegen zum Konkurrenten.

Aber weiter: An der Frontwand stand auch so eine Art Werkbank, die mit allerlei Zeugs (Farbpötte und so was, Lackierpinseln in Gläsern, die schon völlig dröge waren, da das Wasser schon lange verdunstet war) vollgestellt war. Darunter standen leere Farbeimer, in denen Glättspan, Kellen verschiedener Größen, Japanspachtel und Stielspachtel in verschiedenen Größen verstaut waren. Linkerhand befand sich noch so eine Art Werkbank, auf der auch allerhand Zeugs rumlag. Schleifpapier, Behälter für Kronenkorken und alles. Und eine alte Uhr, solch eine Küchenuhr, hing dort irgendwo rum. Unter der Decke hatte er eine Vorrichtung moniert, damit er die Wasserwaagen verstauen konnte. Unter den Wasserwaagen hingen an einem schwarzen Brett Spitzzangen, Seitenschneider, Schraubenzieher und Kombizangen, die man oder frau ja ständig irgendwo brauchte. Dort stand des Öfteren eine vierstufige Alu-Treppenleiter, die natürlich über und über mit Farbklecksen versaut war. Jetzt weiter Richtung Osten kam – nicht kam … erschien – dann ein Lichtschalter, eine Steckdose, und allen möglichen Zeugs, was man so in einer Garage braucht. An einem weißen Brett hingen Schraubenzieher, Schraubenschlüssel, Verlängerungskabel und so etwas. Und ein längliches Holzgerät, in dem unter einem Glasdeckel eine Temperaturanzeige integriert war. Oder war’s eine Uhr? Das Ding kam mir immer irgendwie auf Seefahrt getrimmt vor. Oder auf altdeutsch designt.

Wenn man oder frau vor der Garage stand, befand sich links vorne Heunes Campingstuhl, auf dem er ständig, wenn er am qualmen war, saß. Über der Rückenlehne hing stets seine rote Weste, die schwarze Ellbogenschoner und wie ich glaube, auch schwarze Schulterstücke intus hatte. Oder war’s eine Jacke? Die brauchte er, wenn er in kälteren Jahreszeiten seine Reval am schmöken war, draußen. Dazu stand ständig ein Aschenbecher auf der Feder des Garagentors. Da das Tor eh nie geschlossen wurde, stand der Aschenbecher dort vor Ort (das reimt sich sogar), seit ich mich erinnern kann. Und das ist schon eine ganze Weile.

Egal. Jetzt kommt das Wichtigste: Der Kühlschrank, der König oder Kaiser … ach was … die Hoheit der Garage, über welchem wir in Zukunft noch des Öfteren hören werden sollen oder wollen. Er thronte ganz hinten rechts in der Ecke auf einem (was war das eigentlich?) Ding. Vielleicht ein alter Reifenstapel? Vielleicht war es aber auch die Werkbank. Ich habe jedenfalls nur rausgezogen und nachgefüllt, aus dem Kühlschrank. An der Tür des Kühlgeräts war ständig mit Magneten ein Kalender befestigt. Ich weiß gar nicht, ob der jedes Jahr erneuert wurde. Ich habe nie drauf geachtet, ist auch nicht wichtig. Dann lagen über dem grauen Fußboden überall Plürren rum. Und alles, jedenfalls war kein Platz für ein Auto, auch wegen der Farbpötte und Farbeimer. Dort hätte vielleicht eine Schubkarre reingepasst. Heunes Karren standen jedenfalls immer unter dem Carport, soweit wie ich mich erinnern kann. Vielleicht weiß es Wolli besser, muss mal nachhaken.

Der Erste, den ich kannte, war ein gelber oder beigefarbener Benz, der mich immer an eine Taxe erinnerte. War er im Sinne auch, da ich (die Hucken des Gesetzes haben die Promillegrenze zu niedrig angesetzt) keinen Führerschein habe. Hernach kam, so glaube ich, ein blauer Opel Kombi, aber darauf dürft ihr mich nicht festlegen. Hernach wieder ein (ich will ja wirklich keine Schleichwerbung betreiben) Daimler. Vielleicht war noch etwas dazwischen, irgendeine Karre, und wenn, dann habe ich es vergessen. Wir sind zwar immer mit seinen Karren zur Baustelle gefahren, aber für mich sehen alle Autos gleich aus.

Nachts sind alle Katzen grau. Was ja eigentlich nicht stimmt, diese weißen Tiere kann man trotzdem ausmachen, wenn man genau hinschaut.

Vor der Garage, links unterm Carport, hat Heine eine Konstruktion gebaut. Durch diese konnte er allerhand Plürren unter der Decke verstauen: Besenstiele, irgendwelche alte Fußleisten, die mal irgendwo über waren, und noch so andere Dinge, die sonst irgendwo im Weg gestanden hätten. Ich glaube zu wissen, dass auch eine kleine Treppenleiter dort oben verstaut war. Eine Aluleiter, um genau zu sein. Aber das Wichtigste waren die Herrmänner.

Wisst ihr nicht, was Herrmänner sind? Herrmänner sind Teleskopstangen, mit denen man die Decken streichen kann. Und natürlich auch hohe Wände, also alles, was nicht gerade unten ist. Irgendwann hat sich mal bei uns der Begriff Herrmann eingebürgert. Ich weiß gar nicht, wer darauf gekommen ist.

Und diese seltsamen, braunen Schiebedinger, die man oder frau in die Plastikrollläden stecken kann, befanden sich droben. Damit kann man die Rollläden beliebig verlängern oder verkürzen, so glaube ich jedenfalls. Man kann die Elemente – ich glaube, man nennt sie so – entweder einstecken oder rausziehen. Anders kann ich es nicht erklären, aber ihr wisst schon, was ich meine.

Wo war ich eigentlich stehen geblieben? Muss mal eben hochscrollen. Auch so ein dämliches Denglisch. Ach so, Heune rief mich an. Ob ich nicht Bock hätte, eine Bude zu machen, schließlich hätte ich auch Anstreicher gelernt. Vorher hatte er immer mal was mit Schefflers Uwe gemacht, das ging aber jetzt nicht mehr, da Uwe viel zu früh verstorben war. Heune behauptete ständig, dass unsere erste Baustelle eine Bude war. Ich aber bin noch immer der Ansicht, dass unsere erste Baustelle bei Brigitte und Peter M. war, deren Haus sollten wir durchstreichen. Aber da gehen (und gingen) die Meinungen auseinander. Ist ja auch egal jetzt. Wir vollzogen diese Baustelle und hatten nachher ein Date in Heunes Garage. Damals gab’s noch Warsteiner, ich will aber jetzt, wie gesagt, keine Werbung machen. Jedenfalls wusste ich nachher nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin. Heune sagte mir Tage später, dass ich zu Fuß gegangen wäre, aber null Ahnung. Ich möchte nicht wissen, wie ich mit meinen Schlappen daher pasamatuckelt bin. Zum Glück hat mich kein Mensch gesehen. Ich war bestimmt ganz schön dicke.

Und jetzt geht dat los:

Komisch Dreieck (Vorlack brummt)

Jedenfalls war es die erste Baustelle, an die ich mich erinnern (wie gesagt, Heine meinte, dass wir schon vorher welche hatten, aber ich habe null Ahnung) kann. Das war wie gesagt, so Anfang der Neunzigerjahre, ein Sturm (er hieß vielleicht Vivien oder Wibke) hatte gewütet. Überall flogen Dächer, Kamine, Flacheisen, halbe Bäume, Zeitungen und was-weiß-ich-nicht-noch durch die Gegend. Das muss so etwa Anfang März gewesen sein. Wie gesagt, alle Daten in diesem Buch müssen nicht immer so stimmen, ich könnte mich auch um ein paar Monate vertun. Auch die Reihenfolgen der Ereignisse müssen nicht immer stimmen. Ach was … sie stimmen mit Sicherheit nicht. Die ganze Sore ist ja auch schon einige Jahrzehnte her. Jedenfalls hatten die Gerüstbauer bei Brigitte und Peter (ich nenne mit Absicht Brigitte zuerst, da die Hütte deren Elternhaus war) ein Gerüst montiert, da der Sturm den alteingesessenen Dachpfannen das Fliegen beigebracht hatte. Den Dachrinnen hatte der Sturm auch den Garaus gemacht. Die Dachdecker von Nick, eine Firma, die ihren Stammsitz in Dortmund hatte, und bei der ich seit Kurzem angestellt war, hat die Sturmschäden beseitigt. Ich glaube, Pille, der nicht Pille heißt, hat die Rinne gemacht. Aber es könnte auch eine Erinnerungslücke sein. Vielleicht hat die Zinkarbeiten auch Schacher, der natürlich ganz anders heißt, oder Frank Goeke, der leider schon verstorben (er war echt ein Guter) ist, gemacht. Ist ja auch egal jetzt. Jedenfalls hatten wir den Auftrag, da das Gerüst schon mal stand, die Bude, die über und über mit Rissen beglückt war, des Paares zu streichen. Er – Peter, der vollständige Name ist der Redaktion bekannt – hatte die Farbe besorgt. Irgendwo, er hatte Beziehungen. Eine völlig neu entwickelte Farbe von Meisterpreis. Sie konnte spielend auch größere Risse überbrücken, wie der Bauherr uns versicherte. Ein Scheißzeug, das beim Rollen schmierte, wie sich nachher herausstellte. Als wenn Sand mit im Bottich drin wäre, oder als wenn ich über eine Glasscheibe streiche. Weiß der Geier, wo er diesen Mist herhatte. Wahrscheinlich im Ramsch gekauft hatte er die Kübel. Damals gab es noch Ramschläden, die heute niemand mehr kennt.

Aber bevor wir die Hütte streichen konnten, mussten wir sie erstmal mit ´nem Kärcher bearbeiten. Ihr wisst schon, solch ein elektrisches Gerät, mit dem man oder frau Fassaden mit Reinigungsmitteln und Wasser reinigen kann. Die Süd- und die Westseite hatten ganz schön Moos angesetzt. Aber die Ost- und die Nordseiten hatten es auch nötig, da sie direkt an einer viel befahrenen Straße standen. Deshalb betitelt man Häuser auch als Immobilien, da man sie nicht mal eben an die Seite packen kann. Bevor man oder frau aber loskärchern konnte, musste man die Fassade mit ´nem stinkenden Mittel, welches das Moos killen sollte, einstreichen. Ich möchte nicht wissen, was da drin war. Obwohl wir das Mittelchen eins zu drei verdünnen mussten, stank es noch ganz schön ätzend. Heutzutage würde man das Zeugs mit Sicherheit verbieten.

Wie die Krähe, ein Abbeizer aus den Sechziger- Siebziger- und Achtzigerjahren. Vielleicht auch die Fünfziger. Wenn du davon einen Tropfen auf die Hand oder ins Gesicht bekommen hast, dann war aber Holland in Not, das Zeug brannte wie die Hölle. Schutzanzüge kannten, wie auch Schutzhandschuhe, vor allem Schutzbrillen, kannten wir damals nicht. Ein kannten oben kann aber wech. ›Stell dich nicht so an‹, sagte der Lehrmeister stets. Die Krähe wurde dann irgendwann verboten. Ich tippe mal, dass die EU ihre schnodderigen Finger da drin hatte, die mischt sich ja in alles ein.

Wie auch immer, ich suppte die Fassade obenrum ein, aber mit einer Rolle. Vormals hat man einen Quast genommen, aber das dauerte uns bei der Fläche zu lange. Heune arbeitete untenrum, da er Höhenangst hatte. Und das als Anstreicher! Alles, was höher als eine Fußbank war, war zu hoch für ihn. Ja nun, so schlimm war´s auch nicht, wir haben nur immer so gespottet. Er traute sich schon auf die erste Gerüstlage, und wenn es unbedingt sein musste, auch auf das zweite Brett. Alles, was höher war, war nix für Heune. Und natürlich auf eine Treppenleiter traute er sich. Alles andere war mein Hoheitsbereich, mir macht Höhe nichts aus. Als wir so am Malochen sind, fiel uns auf, dass das Reinigungsmittel nicht reichen würde. Heune meinte, dass er noch einen halben Kanister inne Garage hätte. Er setzte sich in den Benz und jagte los. Er wohnte nicht weit entfernt, deshalb war er schnell wieder vor Ort. Er brachte außer dem Kanister, der bestimmt schon ein paar Jahre in der Ecke gestanden hatte, da er sehr verstaubt war, vier Kalte ausse Garage mit. Für jeden zwei kleine Flaschen. Heune trank nur die Kleinen. ›Trink dir erstmal einen, mein Junge! Ich ließ mich natürlich nicht zweimal bitten, ich krabbelte vom Gerüst. Wir setzten uns auf Kallis – Peter hat den Spitznamen Kalli – Treppe und rauchten erstmal eine. Dazu tranken wir die Kalten. Damals habe ich noch geraucht, mal so ganz nebenbei erwähnt.

Nachdem die Kalten leer waren, kärcherten wir weiter. Bei Feierabend waren die Fassade und auch der Sockel blitzblank. Heune meinte, dass wir erstmal ein Feierabendbier inne Garage trinken müssten, nach diesem Stress. Was ich natürlich nicht ablehnen konnte oder sollte.

Am nächsten Tach ging es weiter, erstmal musste eine spezielle Grundierung auf die Fassade aufgebracht – wie es im Fachdeutschen heißt – werden. Ich war natürlich ganz oben und Heune streichelte untenrum. Natürlich versetzt, einer rechts und einer links, damit wir und nicht gegenseitig vollsauen. Vielmehr, damit ich Heune nicht vollsaue, denn ich war ja obenan.

Lacht nicht, es gab in diesem Metier Arschlöcher, denen es Spaß gemacht hat, andere von oben vollzusauen. Die waren auch dementsprechend beliebt in der Firma. Ob es heute noch solche Kloppmänner gibt, weiß ich nicht. Ich würde aber mal vermuten, ja. Vollidioten – siehe Trump und Putin – sterben nie aus. Wobei mich mal interessieren würde, wo das Wort Kloppmann herstammt. Vermutlich aus dem Kloppischen.

Aber weiter: Nachdem wir die erste Seite, die Ost-Giebelseite fertig hatten, gab Heune einer Reval Zunder und meinte, dass er noch inne Garage müsse, um Plürren zum Abdecken zu holen, wir hätten nicht genug anbei. Ich meinte, dann müsse er wohl erstmal losjagen. Wobei das mit dem Losjagen nicht so ganz ernst gemeint ist, hinter Heunes Fahrzeug bildeten sich stets Schlangen. Er schaute nicht so oft auf das Tachometer.

Er kam mit diesen Filzmatten, die du in jedem Baumarkt erwerben kannst, retour. Eigentlich bestehen diese Matten aus zerschredderter Altkleidung und Zeitungen und Altpapier, die dann irgendwie wieder zusammengesetzt werden, sie heißen Filz teilte Heine mir beflissen mit.

Sie heißen zwar Vlies, aber egal. Ich bückte mich und schaute auf eine Matte. Ich teilte ihm mit, dass es an dem tatsächlich so wäre, man könnte ja noch ein paar Sätze aus der Blödzeitung von vergangener Woche lesen. Er bückte sich ebenfalls und schaute nach. Dann schaute er mich von unten her an. ›Ich tret dir gleich in den Arsch!‹ Ich glaube, das war der Zeitpunkt, als das Eis gebrochen war, wir wurden so eine Art Freunde oder Kumpel, trotz des Altersunterschieds.

Aber weiter, er hatte aber auch vier Kalte Warsteiner anbei. ›Komm, mein Junge, trink dir erstmal einen!‹ Da durfte ich nicht Nein sagen. Wir setzten uns auf Brigittes Treppe, rauchten, tranken und unterhielten uns über Fußball. Er war Schalker, ich bin Gladbacher, was aber kein Problem darstellte. Auf welchem Tabellenplatz diese beiden Vereine damals in der Bundesliga standen, weiß ich nicht mehr. Es ist ja auch nicht so fürchterlich wichtig.

Nachdem wir die komplette Bude grundiert hatten, meinte Heune, dass wir unbedingt noch inne Garage müssten, da wir beim Malochen viel Flüssigkeit verloren hätten. Da war was dran, wir jagten sofort los. Inne Garage angekommen, mussten wir vor lauter Erschöpfung erstmal den Kühlschrank, der einige leckere Sachen beinhaltete, plündern.

Am nächsten Tach der erste Anstrich, der spezielle Anstrich, der Riss überbrückend sein sollte. Wie gesagt, die Suppe schmierte wie verrückt, Heune und ich fluchten um die Wette. Als wir die Ostseite fertig hatten, ging ich noch mal hoch, um etwas zu holen. Was dort oben war, weiß ich nicht mehr. Aber ich glaube, dass ich in der letzten Etage einen Pinsel vergessen hatte. Oder meinen Tabak hatte ich vergessen.

Bevor wir weitermachen, muss ich die Ostseite erklären: Es war eine Giebelwand, die etwa elfeinhalb oder zwölf Meter hoch ist. Wie natürlich die Westseite auch. Etwa oben im letzten Drittel bestand diese Wand noch aus Fachwerk, genau fünfzehn Felder. Ich war diesbezüglich extra vor Ort und habe nachgezählt. Das oberste Feld war ein Dreieck, welches vielleicht einen halben Quadratmeter maß. Und dieses Dreieck war der Dämon oder der Ketzer unter den Dreiecken. Ach, was … der Deixel war´s.

Ich rief zu Heune runter, dass er sich das mal ansehen sollte. Er lehnte ab, da er wie gesagt, auf das Gerüst nicht so hoch steigen konnte. Er ging aber – nicht, ohne sich vorher eine Reval anzustecken – auf die Ruhrbrücke, die gegenüber des Giebels immobil stand. Er rief rüber, was das denn dort oben so schwatt sei. Ich meinte, dass er es doch wissen müsse, er sei doch vierzehn Jahre länger im Beruf. Er rief zurück, dass er es auch nicht wüsste, ich solle noch mal drüberpinseln. Was ich auch tat, aber vorher musste ich noch runter, um den Farbeimer zu holen. Ich rauchte unten erst mit Heune eine, wir diskutierten, was das denn sein könnte. Warum es durchschlägt, wie der Fachmann sagt.

Jetzt werdet ihr euch fragen: was, zum Teufel war denn jetzt dort oben? Sach es doch endlich! Okay, das war so: Nach dem ersten Anstrich erschien in der Mitte des Feldes ein Kreis, wie mit dem Zirkel gezogen, der etwa so groß wie ein Suppenteller war. Dieser Kreis war pechschwarz, wie die Hölle in der hintersten Ecke und ganz tief in der untersten Etage. Vorher, beim Reinemachen und beim Grundieren hat man (habe ich) davon nichts gesehen. Nachdem ich noch mal drübergestrichen habe, war der Kreis am nächsten Tach schon wieder anbei. So, als hätte ich nichts getan. Ein wunderschöner Kreis, wie gesagt, mit einem Zirkel gezogen. Ich hätte mich glatt darin verlieben können.

Heune meinte, dass er erstmal inne Garage müsste, er hätte da noch etwas Spezielles in einer Ecke stehen. Er steckte eine Reval an und jagte los. Ich rauchte eine und schaute den Dachdeckern zu. Ich unterhielt mich natürlich auch mit den neuen Kollegen. Aber so neu waren die meisten gar nicht, einige kannte ich schon länger, unter anderem aus der Thekenmannschaft, die es damals noch gab. Heutzutage gibt es ja kaum noch Kneipen, geschweige denn Thekenmannschaften. Die Kultur schwindet.

Unsere Stammkneipe hieß damals Zum Sängerheim, deshalb hieß unsere Thekenmannschaft auch Sängerhelm. So haben die anderen Mannschaften uns betitelt, da die Leute, die die Trikots beflockt haben, über dem i den Punkt vergessen hatten. Dies nur mal am Rande, wenn´s denn jemanden interessieren sollte.

Heune kam schon nach etwa einundzwanzig Minuten zurück. Die Schranken waren zu, er musste auch etwas suchen und erstmal eine rauchen. Er hatte vier Kalte und einen Kanister, der etwa so alt war wie er höchstselbst, anbei. Ich entkorkte zwei Kalte, gab Heune eine und schaute den verstaubten Plastikkanister an. Vorne und hinten klebten zwei Zettel, auf denen Verarbeitungshinweise, Gefahrenhinweise und andere Sachen draufstanden. Nur, auf den Zetteln war nichts mehr zu erkennen. Auf meine Frage, wo er den denn ausgegraben hätte, meine Heine, dass er das Zeug mal irgendwann irgendwo gebraucht hätte, es wäre schon eine Weile her. Das Zeug wäre aber gut, dann käme der böse Fleck nicht mehr durch. Ich fragte, von welchem Jahrhundert er denn reden würde. Er zündete eine Reval an und antwortete sein obligatorisches ›ich tret dir gleich in den Arsch!‹ Das sagte er manchmal, wenn er sich verarscht fühlte. Ich verstehe gar nicht, warum er sich verarscht gefühlt hatte. Ich trank die Kalte aus, kippte die Suppe in einen kleinen Eimer, nahm einen Heizer – so nennen die Maler und Lackierer die Heizkörperpinsel – und ging hoch.

Das komische Zeugs roch irgendwie seltsam und sauer und scharf. Wie Chili mit uralten Turnschuhen und Flitzkacke gemischt. Es sah auch aus wie vergorene, braune Milch. Wie auch immer, jedenfalls kam der höllische Tellerfleck am nächsten Tach zurück, als wenn nichts gewesen wäre. Unsere Aktionen gingen dem bösen Fleck wahrscheinlich am Arsch vorbei.

Da hatte ich die Faxen aber dicke! Ich ging (ich wohne nicht weit entfernt) zu Fuß nach Hause, krabbelte in den Keller und suchte nach dem Vorlack von Henschen. Den guten CWS-Vorlack, ich hatte da noch so einen Rest. Wenn Vorlack nicht hilft, dann ist die Tellerwelt verloren. Und siehe da, der dämonische Suppenteller war am nächsten Tach brutal vernichtet. Das wurde aber auch Zeit, denn es sollte dieser Tage das Gerüst abgebaut werden, wegen des Sturms. Es würden Gerüste gebraucht, bis der Arzt kommt, sagte Lothar, mein damaliger Chef.

Heune und ich beeilten uns, wir suppten die Fassade und die oberen Fensternischen – welche Dunkelgrau abgesetzt werden sollten – hurtig durch. Und natürlich das Fachwerk der Ostwand im oberen Drittel. Ob sich an der Westwand ebenfalls im oberen Drittel Fachwerk befand, weiß ich nicht mehr. Ebenso, wie an der Westfassade. Ganz nebenbei gesagt, schmierte der Schlussanstrich nicht mehr, die Fassade ließ sich wunderbar durchrollen. Die unteren Nischen und den Sockel ließen wir zurück, die konnten wir auch noch bearbeiten, wenn das Gerüst demontiert war.

Das war sogar günstiger, dann stolpert man nicht ständig über die Stellrahmen und legt sich womöglich noch auf die Schnauze. Und der Farbeimer fällt um und versaut das ganze wunderschöne Pflaster. Heine kommt gerade um die Ecke, rutscht in der Farbpfütze aus und haut sich den Schädel auf, da er ebenfalls auf die Schnauze gefallen ist. Und ein Beinbruch wird er auch erleiden. Wer soll dann zur Garage fahren? Hä? Ich? Ohne Karte? Ne, ne. So weit wollen wir es dann doch nicht kommen lassen.

Als wir nach einem oder zwei Tagen die Restarbeiten – Sockel, die Fummelei an der Eingangstreppe, Nischen und Haustür – ausführten, meinte Heune, dass wir zu wenig Abklebeband anbei hätten. Dies brauchten wir, um die Steinzeugstufen der Eingangstreppen abzukleben. Er müsse mal eben inne Garage fahren. Ich meinte daraufhin, dass er wohl mal schnell losjagen müsse. Mein Junge gab einer Reval Zündstoff, sprang in den Daimler, und fuhr los. Er kehrte, da die Schranken diesmal nicht geschlossen waren, für seine Verhältnisse ziemlich hurtig zurück.

Ganz nebenbei gesagt, hätte er von oben in die Gattenstraße fahren können, auf dieser Strecke gibt es keine Schranken. Aber das wollen wir doch mal nicht so eng sehen.

Er hatte vier Kalte anbei, aber kein Tesa. Auf meine Frage hin, wo er die Rolle Tesa gelassen hatte, steckte Heine sich erstmal eine an. Hernach meinte er, dass er es auf den Kofferraumdeckel gelegt hätte, als er mal kurz in den Keller zum Klo gehuscht wäre. ›Jetzt isses wech‹, meinte er dann. Egal, Hauptsache die Kalten waren vor dem lieben Ort.

Ich ging zum Kofferraum und wühlte in seiner braunen, ledernen Arbeitstasche. Das braune Ding mutete an wie die Schultornister, welche die Grundschüler damals immer anbei hatten. Vielleicht war´s ja sein Grundschulranzen von damals (ich tippe mal, er wurde 1954 oder ´55 eingeschult), wer weiß das schon? Dieses wusste er wahrscheinlich selbst nicht.

Ich fand in den untersten Sphären noch eine uralte angebrochene Rolle Tesa. Diese war zwar etwas furchtbar verklebt, aber sie musste reichen.

Kann es sein, dass er nur wegen der Kalten inne Garage gefahren ist? Heine grinste mich an, als ich ihn fragend ansah.

Wir setzten uns auf die Treppe, rauchten und tranken die Kalten. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Heine niemals seine Flasche leer trank. Er ließ die Mehrwertsteuer drin, wie er es nannte. Dies war immer etwa ein Fingerbreit Bier. Die Märchensteuer schüttete er stets, egal wo er war, aus. Ich habe ihn irgendwann mal gefragt, weshalb er dies tat. Er meinte, dass er es schon immer macht, weshalb, weiß er nicht. Das hätte sich irgendwann mal bei ihm eingebürgert. Heutzutage müsste er ein Viertel drinlassen, bei dem Mehrwertsteuersatz.

Als wir alles fertig und den Benz mit unseren Materialien (Pinsel, Rollen, Abdeckmaterial, ein paar leere Eimer und alles andere, natürlich die Herrmänner) eingeräumt hatten, mussten wir noch inne Garage, alles auspacken. Vor Ort angekommen, meinte Heune, dass wir zuerst aber erstmal eine Kalte trinken und eine rauchen müssten. Er bereitete auch gleich einer Reval eine heiße Spitze und wir schritten eiligst zur Tat.

Reiniger (Lass doch mal die Luft raus)

Ein Fußboden war angesagt. Das muss so in etwa in dem Jahr gewesen sein, als die Schalker Zehnter und Borussia Mönchengladbach Neunter geworden sind. Heune meinte, als wir in der Kneipe an der Theke saßen, dass wir dieser Tage mal eben nach Iserlohn müssten, um Tapeten abzureißen. Er gab einer Reval einen heißen Arsch. Und wir müssten auch einen Fußboden, auf dem so seltsame Platten verklebt sind, bearbeiten. Diesen Boden müssten wir rausreißen und die Kleberreste entfernen.

Hans A. – auch ein Schalker, der vollständige Name ist dieser Redaktion bekannt – würde dort arbeiten. Er hätte den Job besorgt. Dort sollten Büroräume rein, vorher waren auch schon welche drin. Büroräume, meine ich. Hans A. ist schon lange verstorben, er war auch ein Guter.

Ich fragte mich, weshalb dort Büroräume rein sollten, wenn da doch vorher schon welche intus waren. Ich hätte die Buden – ich glaube, es waren drei oder vier Zimmer – durchgesuppt und gut ist es. Wozu dieser Heckmeck?

Wir sollten den Ursprungszustand wiederherstellen. Heißt es überhaupt Ursprungszustand? Wer denkt sich denn so ein Wort aus? Warum heißt es nicht ″mach´, wie es beim Neubau war″, oder so ähnlich. Egal. Die anderen Arbeiten würden die neuen Büro-Heinis selbst machen, fuhr Heune fort, als wenn er meine Gedanken erraten hätte. Hat er aber nicht, er hat nur seine Reval im Ascher ausgedrückt. Tapezieren, neuen Boden verlegen und alles andere. Und die Fenster wollten sie pinseln. Er hätte inne Garage noch einen Kanister Nitroverdünnung, um die Kleberreste zu entfernen. Die kriegen wir dann mit der Verdünnung wech. Das könnten wir doch mal eben dazwischenschieben, er hätte da noch mehr. Mal eben! Seitdem hasse ich diese beiden Wörter.

Hätte ich (und er mit Sicherheit auch) dies vorher gewusst, hätten wir die LiSuKe-Route zur überstürzten Flucht nach Tansania genutzt. LiSuKe bedeuten Libyen, Sudan und Kenia. Dann kommt dann schon Tansania, wenn du von Norden mit ´nem Geländewagen rein fährst.

Oder wir wären im Kraulstil durch die Nordsee nach Island geflüchtet, es sind nur ein paar Seemeilen. Ich habe zwar nur den Fahrtenschwimmer, aber diesen Schwimmspurt hätten wir garantiert auf uns genommen. Wobei ich gar nicht weiß, ob Heune schwimmen konnte, ich nehme es einfach mal an. Damals waren die Schulen noch nicht so verrottet, noch nicht so kaputtgespart wie heute. Damals hielten die Lehrschwimmbecken das Wasser noch ohne Windeln, es versickerte nicht irgendwo im Erdreich. Und die Kinder haben noch richtig schwimmen gelernt.

Jedenfalls war am Anfang in Iserlohn (oder war´s in Menden?) alles easy, wir strichen die Wände mit Wasser, in dem sich Spülmittel befand, ein. Das Baustellen-Radio jallerte WDR4 und Heine summte – manchmal pfiff er sogar – die Lieder, die schöne Wälder, klare Seen ohne Plastikmüll und ewige Liebe versprachen, mit. Nur, wenn Nachrichten kamen, dann hörte er nicht mehr hin. Wenn ich ihn nach einer Nachricht fragte: ›Hast du das gehört?‹, kam meistens die Antwort: ›Was? Ich hör doch da nicht hin.‹ Damals nannte man diesen Sender den Hausfrauensender. Ob er heute noch so genannt wird, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich wegen irgendwelcher Diskriminierung nicht. Vorteilhaft war, dass wir den Fußboden nicht abdecken mussten, da er eh rauskam. Auf jedem Vorteil folgt ein Nachteil: Durch das Spülmittel (siehe unten) wurde der Fußboden an einigen Stellen ganz schön glatt und rutschig. Man musste aufpassen, dass man nicht auf die Schnauze fällt. Es ist aber zum Glück nichts passiert.

Wir taten immer Spülmittel ins Wasser, da das Zeugs das Wasser schön weich macht, es kann dann besser einziehen, sagt der Fachmann. Wer im Baumarkt Tapetenablöser kauft, ist nicht ganz dicht in der Birne. Das Zeug taugt nichts, es ist nur Geldmacherei. Und natürlich muss das Wasser warm sein. Und am besten wird es mit einer Obstbaumspritze aufgetragen, es ist besser als mit dem Quast. Und vor allem nass machen, nass machen, nass machen. Wenn die Buden durch sind, sofort wieder von vorne anfangen, das Wasser muss die Wände runterlaufen. Am besten dreimal hintereinander. Dann fallen die Tapeten fast von alleine runter. Ich hatte mal ein Fall, ach was … mehrere. Die – Laien – strichen einen Quadratmeter ein und fingen sofort mit ´nem Spachtel an zu kratzen. Ich habe gepredigt, dass sie erst die Bude rundum und dann noch zweimal einstreichen müssten, dann ginge es einfacher. Die haben mich dann nur dumm angeschaut und weitergemacht, als wenn ich mich mit ´nem Schrank oder ´ner Kalten unterhalten hätte. Daraufhin habe ich sie machen lassen. ›Wer nicht will, der hat schon‹, hat meine Omma immer gesagt. Nachher haben die sich beschwert, dass sie Blasen an den Händen von der ewigen Kratzerei hatten. Selbst schuld, wer nicht auf den Fachmann hört, hat am anderen Tach Blasen. Außer Blasen nix gewasen.

Hinter Fachmann wollte ich ein Wort einfügen, was sich auf Blasen reimt, mir fiel aber nichts ein.

Dieses Szenarium habe ich oft erlebt. Irgendwann habe ich es aufgegeben, es hatte keinen Sinn. Klugscheißer, die nicht auf Fachkräfte hören, sterben aber auch niemals aus.

Jedenfalls hatten wir die Tapeten dank unserer Verfahrensweise (sie waren aber auch nicht besonders gut geklebt) schnell runter, wir packten alles in schwarze Müllsäcke und warfen sie in den Container, der vor einem Fenster stand. Ich meine natürlich, außenan stand er, der Container. Vor dem Fenster auf dem Bordstein. Er stand also hinter dem Fenster, wenn man in der Wohnung verweilt. Alles verstanden?

Container sind diese Behälter eigentlich nicht, man nennt sie Mulde. Container nennt man die riesigen Metallkästen, die auf den Weltmeeren schippern. Auf riesigen Schiffen, welche die schlimmsten Umweltschweine sind, meine ich. Die – die Motoren natürlich – verbrennen für unser Luxusleben den dreckigsten Umweltscheiß. Wobei die Motoren nix dafürkönnen, die Spezies Homo sapiens ist schuld. Sie sägt mit einer Geschwindigkeit, die einen Formel-1-Rennwagen erblassen lässt, an dem Ast, auf dem sie sitzt. Dies habe ich aber schon erwähnt. Und wir machen einfach immer so weiter. Wenn dies so weitergeht, dann gebe ich der Menschheit keine zweihundert Jahre mehr.

Deshalb muss ich mich jetzt beeilen; dieses Buch muss, bevor alles zusammenkracht, noch erscheinen.

Wo waren wir stehen geblieben?

Ach so, dann fuhren wir inne Garage, plünderten den Kühlschrank und planten unser weiteres Vorgehen.

Am nächsten Tach ging es weiter, das Radio dudelte und wir schwitzten um die Wette, da der Fußboden (ich meine, es war ein grünes Filzzeugs) mörderisch fest saß. Wir hatten extra breite Spachtel, Glättspan, Terpentin, Nitroverdünnung und andere brutale Hilfsmittel ausse Garage mitgebracht. ›Ein Handwerker braucht nur eine Pumpenzange, ein Schraubenzieher, einen Hammer und ein bisschen Geduld.‹ Hat mal irgendjemand zu mir gesagt. Wer, weiß ich nicht mehr. Er hat sich aber auch verhauen, ein Schraubenzieher heißt eigentlich laut Duden Schraubendreher. Logisch, ich drehe die Schrauben ja auch rein oder raus, ich ziehe sie nicht.

Jetzt aber genug klug geschissen. Wir kamen nicht voran, das ging uns tierisch auf den Sack. Wir setzten uns in eine Ecke, schmökten eine, tranken eine Flasche Wasser und berieten uns.

Hans kam hinzu, er hatte gesehen, dass wir uns den Arsch aufreißen. Glaubt man ja nicht, dass er mit angepackt hätte. Er war aber auch zum Malochen nicht geboren, er war ein Schreibtischtäter gewesen, wenn ich mich nicht irre. Er meinte, dass er zuhause noch so ein Schieber hätte, mit dem es dann auch leichter ginge. Er würde mal eben losfahren und das Gerät holen.

In der Zwischenzeit machten wir Pause, da die Maloche mit Spatel und alles viel zu anstrengend war. Wir hatten aber keine Kalte anbei, wir mussten uns mit Mineralwasser begnügen. Wenigstens war Bölke in den Flaschen. Manch einer nennt Bölke auch Kohlensäure.

Als wir so am quatschen und rauchen waren, kamen wir auf das Thema Lehre. Also die Lehrzeit. Ich teilte ihm mit, dass unser Alte – Garren Ernst –, wenn er in Rage war, Hammer, Zange und was-weiß-ich-nicht-noch-was, durch die Gegend warf. Dann mussten wir Lehrlinge – damals nannte man uns noch Stifte –, je nachdem, wo die Baustelle war, ins Nachbarzimmer oder vom Gerüst flüchten. Dabei war es ihm scheißegal, ob er jemanden mit den Waffen traf oder nicht. Oder ob der Putz nach einem Hammertreffer Löcher zeigte. Zur Strafe mussten wir hernach wieder die Löcher zuschmieren und ausspachteln.

Oder er warf in Rage seinen braunen Meisterhut auf den Boden und trampelte darauf herum. Nachher bereute er es, er strich den Hut wieder glatt und setzte ihn auf sein spärliches Haupt.

Einmal, wir hatten in einem Neubau in Ardey – wo jetzt noch immer die Frittenbude drin beheimatet ist – zu tun, flippte er völlig aus, musste ich Heine mitteilen. Damals war das Heizkörperfluten noch ganz neu. Zumindest wir kannten diese Technik noch nicht. Und dies funktionierte so: Der Heizkörper wurde in eine spezielle Flutwanne gestellt. Dann wurde das Gerät mit so einer Art Obstbaumspritze mit einem speziellen Lack überflutet. Die Düse vorne in der Spritze war natürlich größer als bei einer Obstbaumspritze, da der Lack zäher oder dicker war als das Gift, was die Menschen durch die Obstbaumspritzen stets versprühen. Durch den speziellen Lack gab es keine Läufer oder Gardinen, es tropfte unten in die Wanne ab. Von dort wurde das Flutmaterial, wie es sich nannte, per Schlauch wieder als ewiger Kreislauf in die Spritze geleitet. Eine Supertechnik, man oder frau ersparte sich die Fummelei mit einem Heizkörperpinsel, den wir Heizer nannten. Als der Heizkörper fertig war, wurde er mit zwei Holzstücken rausgehoben und auf zwei oder drei Bretter gestellt, damit der Restlack abtropfen konnte. Dann konnte er auch in Ruhe trocknen. Diese Gerätschaften hatte Garren Ernst bei Henschen ausgeliehen, kaufen wäre aber auch zu teuer gewesen. Für Garre war alles zu teuer.

Jedenfalls kam die Katastrophe so: Jürgen und ich hatten vor dem Fluten einen Dreckhaufen zusammengekehrt. Da der Alte Druck machte, hatten wir keine Zeit, den Haufen zu entsorgen. Jürgen und ich stellten den frisch gefluteten Heizkörper auf die Bretter, wir hatten noch eine andere Aufgabe, wir drehten uns um. Mit einem Mal hörten wir ein furchtbares Gebrüll vom Alten. Der frische Heizkörper war in den Dreckhaufen gefallen. Irgendwie war er ins Wackeln gekommen und umgefallen. Der Alte warf seinen Meisterhut auf den Boden, schnappte sich den Heizkörper mit beiden Armen und warf ihn gegen die Wand, die wir gestern erst makulatiert hatten. Der Heizkörper war bestimmt zwei Meter lang und einen halben Meter hoch, ein Rippenheizkörper. Aber der Alte hatte Kraft wie ein Bulle, er war zwar recht klein, aber sehr kräftig. In dem Augenblick wog der Heizkörper vielleicht nur so viel wie eine Flaumfeder und die Hände des Alten waren mit schönem Heizkörperlack verschmiert. Schutzhandschuhe kannten wir nicht. Jürgen und ich mussten zur Strafe die demolierte Wand am nächsten Tach neu verspachteln.

Auf dieser Baustelle ist auch eine lustige Anekdote passiert. Ich hoffe zumindest, dass es diese Baustelle war, wir hatten ja viele. Wenn wir auswärts eine Baustelle hatten, und für den Alten war Ardey auswärts, packte seine Hilde ihm immer seine (ich glaube, er nannte sie Arbeitstasche) braune, natürlich braune!, Tasche mit seiner Butterbrotdose, Thermoskanne und dem Henkelmann voll. Da hatte er des Mittachs eine warme Mahlzeit und musste nicht nach Hause fahren. Schließlich waren es bestimmt drei Kilometer, und Sprit war sehr teuer. Außerdem hatte es den Vorteil, dass er uns kontrollieren konnte, damit wir ja keine Minute länger Mittach machen, als es uns gegönnt sei. Er traute ja keinem über den Weg. Wenn er dabei war – und er war immerdabei, wir mussten sogar unseren Urlaub nach ihm richten –, schaute er jede Minute auf die Uhr, damit wir ja keine Sekunde länger auf dem Arsch sitzen.

Einmal hatten wir unsere Pause um zwei Minuten überschritten, da der Alte eingepennt war. Er konnte gut pennen und schnarchen. Ach du scheiße! Er machte ein Theater, als wenn wir seine Hilde gerammelt hätten.

Das hatten wir doch gar nicht vor.

Aber darauf wollte ich doch jetzt gar nicht hinaus. Auf der Baustelle liefen natürlich, da es ein Neubau war, noch zahlreiche andere Handwerker herum. Irgendwann kamen die Stifte der Elektriker oder Klempner, so genau weiß ich das nicht mehr, auf die Idee (der Alte war als Arschloch bekannt), seine wunderschöne braune Arbeitstasche zu verstecken. Vorzugsweise im Keller. Was sie dann auch taten.

Dann hatten wir Mittach. Ich muss dazusagen, dass wir alle unsere Plürren immer in einem Raum geparkt hatten, darunter auch diese wunderschöne Mappe des Garren Ernst. Die, als er sich auf einen Farbeimer (wir saßen in den Pausen immer auf Eimern) setzen wollte, verschwunden war.

Der Alte rastete wie immer komplett aus. Erst warf er seinen Meisterhut gegen die Wand, dann rannte er wie ein Bekloppter durch den Bau und schrie die anderen Handwerker an, wer denn seine Tasche geklaut hätte. Er würde die Pozei (er verschluckte manchmal einige Buchstaben) rufen, und so weiter und so fort.

Die anderen Handwerker lachten sich scheckig. Die Elektriker oder Klempner ließen ihn erstmal eine halbe Stunde zappeln, er stöberte brüllend in allen Ecken herum. Irgendwann gab jemand Oppa Jupp (der natürlich auch anbei war, und zu dem ich später noch kommen werde) einen heißen Tipp. Der ging zu Garren Ernst und gab den Tipp weiter, er solle doch mal im Keller nachschauen. Der rannte daraufhin wie ein Irrer in den Keller.

Der Alte hatte anschließend seine Mappe wieder, er war glücklich und setzte seinen Meisterhut wieder auf. Fortan ließ er die Tasche natürlich stets im Auto, man konnte ja keinem trauen. Dass die ganze Chose ein Scherz gewesen war, begriff er natürlich nicht. Ernst war ein furchtbar ernster Mensch.

Wo war ich denn jetzt stehen geblieben? Ach so, ich musste hinten sitzen, da der Alte mich zum Haupttäter ernannt hatte. Wenn jemand etwas verbockt hatte, dann musste er zur Strafe im Audi 100 des Alten eine oder zwei Wochen hinten sitzen, je nach Schwere des Delikts. Dies stand im Strafgesetzbuch des Meisters – und da stand ´ne Menge drin. Ganz nebenbei gesagt, war er ein alter Nazi, der an der Front gekämpft hatte, wie er es stets stolz betonte. Und er hatte am selben Tach wie Adolf Hitler Geburtstach. Da war er stolz drauf. ›Heute hat der Führer Geburtstach‹, teilte er uns jedes Jahr am 20. April stolz mit, wenn er des Morgens aus seinem Haus runterkam. Der Verbrecher aus Braunau am Inn, der sogar schlimmer als die FDP (und das will was heißen!) war, wurde bekanntlich 1889 geboren. Genau hundert Jahre, bevor ich bei Nick angefangen bin. Und hundert Jahre, bevor die Mauer fiel.

Heine gab einer Reval eine heiße Spitze und lachte sein raues Revallachen. Dann teilte er mir mit, dass er gar nicht wisse, wann Hitler geboren wäre.

Ich drehte mir eine, während ich ihm sagte, dass ich es bis 1989 auch nicht gewusst hätte, aber dann habe ich es irgendwo mal gelesen, und dies wäre dann die Eselsbrücke zu dem Datum, als ich bei Nick angefangen bin. Das wäre jetzt ein wenig kompliziert, aber er wisse schon, wie ich es meine.

Heune trank einen Schluck Wasser und begann seinerseits zu erzählen. Als er in der Anstreicherlehre war, bei Brinkmann – die Bude war übrigens in der Hauptstraße, ein Haus vor unserem entfernt; die Firma gibt´s aber schon lange nicht mehr –, durften der Meister und die Gesellen die Stifte noch in den Arsch treten, wie er es nannte. Ich nenne es aber auch so, weil es stimmt. Und den Stiften eine knallen, sprich eine Ohrfeige geben, durften sie. Davon hätten die Meister aber selten bis nie Gebrauch gemacht. Wie gesagt, Heune war 48er Baujahr und ich bin 61er. Fast eineinhalb Jahrzehnte vor mir waren die Sitten noch rauer.

Garren Ernst hatte es manchmal bereut, dass die Züchtigung der Lehrlinge irgendwann verboten wurde. Siehe oben Richtung Heizkörper. Und bei Adolf war auch nicht alles falsch, der hatte ja die Autobahnen gebaut.

Solch einen Scheißdreck gab er von sich.

Heune gab einer Fluppe Zunder und berichtete weiter. Er und Peter Elbers waren also bei Brinkmann in der Lehre. Peter Elbers (der Sohn des Hans – Okay – Elbers) war ein Jahr über ihm. Damals wurden die Farben noch selbst vom Meister gemischt, mit Trockenfarben (Grüne Umbra, Englisch Rot, Titanweiß etc. pp.) und Wasser. Oder bei Lacken mit Leinöl, Sikkativ und Terpentin, wurde gemischt.

Ich gab einer Selbstgedrehten Zunder teilte ihm mit, dass ich mich noch gut daran erinnern konnte. Er fragte verwundert, warum. Weil mein Bruder und ich damals als junge Bengel immer an der Werkstatt vorbeilaufen mussten. Anno dazumal wohnten wir noch in der Neuen Siedlung. Am Ufer. Unser alter Herr schickte uns ständig zum Kornhaus Dellwig, das gab es damals noch. Wenn du am Bahnhof, den es damals in Langschede auch noch gab, links gehst, dann vielleicht noch 389 Schritte auf der rechten Seite. Wir mussten Pressfutter für die Kaninchen besorgen, kaufen. Da kamen wir automatisch an der Werkstatt des Herrn Brinkmann vorbei. Werkstatt war gut … es war, man höre und staune, eine Garage, die es noch heute gibt. Wir lugten dann immer vorsichtig hinein, wenn er nicht da war. Manchmal war er aber auch vor Ort, er mixte in seinen Farbpötten herum. Er trug stets weiße Hose und Jacke (logisch als Malermeister) und einen braunen Meisterhut. Und er hatte immer einen Stumpen im Mund.

Jau, meinte Heine. Hinter der Garage befand sich noch ein zweites Gebäude, das war aber so eine Art Lagerraum. Für Gerüstbretter und Leitern und solche Sachen, diese Jarage konnte man aber von der Straße aus nicht so gut sehen. Eigentlich nicht.

Jedenfalls mussten er und Peter mit der Holzkarre, in der sich Farbpötte, Pinsel, Schleifpapier, etc. pp. befanden, irgendwo in Dellwig irgendetwas streichen. Der Alte Brinkmann hatte die Farbe exklusiv gemischt. Ich glaube, mich zu erinnern, es war im Ohlweg. Dellwig liegt gleich nebenan, da kann man oder frau zu Fuß hingehen. Außerdem hatte der alte Brinkmann keinen Führerschein. Wenn ich mich recht entsinne, erledigte er all seine Plürren, die er zu erledigen hatte, mit dem Fahrrad. Dies hat mir Heune mal bei einer Kola (verarscht) erzählt, ich habe zur Sicherheit auch Wolli angerufen, er bestätigte diese Tatsache.

Sie zogen also die Holzkarre, quatschten und rauchten heimlich. Aber einer der Pötte, die damals noch aus Eisen und nicht aus Plastikscheiße bestanden, musste wohl ein Löchelchen, ein kleines nur, aber immerhin ein Loch, gehabt haben. Und die wunderbare Farbe, die Meister Brinkmann gemixt hatte, tröpfelte Tröpfchen für Tröpfchen Qualität auf das Kopfsteinpflaster. Die beiden Stifte bemerkten natürlich nichts, weil sie qualmten, sie zogen eine wunderschöne Farbspur von der Werkstätte des Herrn Brinkmann bis zur Baustelle.

Der Alte sah die Fährte natürlich irgendwann und flippte aus. Hernach mussten die beiden – natürlich nach Feierabend – die Straße mit ´ner Wurzelbürste schrubben, erzählte Heinz Helmut.

Und dann hatten sie mal eine Baustelle Auf der Kisse, vier Mehrfamilienhäuser, Neubauten. Wenn du draufkommst, sofort die grauen Buden rechts, da konnte Heine zu Fuß hingehen. Er war allein tätig, er strich die Decken.

Damals wurden die Decken noch total umständlich gestrichen. Mit zwei Böcken oder Leitern, dazwischen eine Gerüstbohle, auf der Gerüstbohle wurde dann der Farbeimer gestellt. Dann konnte man auf die Bohle steigen. Man musste erst ein Stück streichen, soweit, wie man kam. Dann den Farbpott runternehmen, von der Bohle. Hernach das Gerüst weiterrücken, um wieder raufzukrabbeln – und dann konnte man endlich weiterstreichen. Total umständlicher Scheißdreck.

In einem Neubau ging es ja noch, aber wenn du bei Omma Hassenichtgesehen, die ihr Wohnzimmer komplett vollgestellt hatte, warst, dann war´s Mist. Weil du ja den Boden, der mit etwa einem halben Meter Teppich ausgelegt war, abgedeckt hast. Da blieben die vier Leiterfüße beim Weiterrücken ständig irgendwo hängen. Das war echt nervig.

Auf jeden Fall hat Heune sich Gedanken gemacht und einen Besenstiel besorgt, sagte er. Herrmänner gab´s damals noch nicht. Durch den Besenstiel, den man einfach nur auf den Griff der Rolle stecken musste, kam er natürlich viel besser und schneller voran, da die blöde Kletterei ausfiel.

Wie es dann immer so ist, kommt der Alte im ungünstigsten Zeitpunkt um die Ecke; immer dann, wenn man ihn partout nicht braucht. Er flippte natürlich sofort aus, sagte Heune. Wie er denn die Decke von unten streichen könne, da würde er doch nicht sehen, wo man streicht! Man sollte ihn in den Arsch treten, er solle den Mist sofort sein lassen!

Was natürlich völliger Blödsinn ist, von unten kann man viel besser sehen, wo man schon gestrichen hat und wo nicht. Denn wenn man auf der Bohle steht, hat man die Decke etwa dreißig Zentimeter über der Nase. Das ist doch völlig logisch. Aber wenn du in der Lehre bist, dann etwas noch so logisch sein, dann bist immer der Bekloppte. So war es damals, heutzutage hat sich das hoffentlich gebessert. Jedenfalls musste er wieder das alte System anwenden. Der Alte hat es überwacht, und Heunes Besenstiel geklaut, erzählte Heine mir. Dadurch dauerte die ganze Sore natürlich viel länger, aber das war egal. Hauptsache, der Alte hatte recht und es wurde nichts Neues ausprobiert.

Der Witz an der Sache war, sagte Heinz Helmut, dass sie etwas später mal eine Baustelle kurz hinter der Ruhrbrücke hatten. Dort sollten sie eine Decke streichen, die viel zu hoch war, sie kamen nicht dran. Da ist der Alte Heine in den Arsch gekrochen, ob er nicht doch mal die Technik mit dem Besenstiel anwenden könne. Heune hat sich seinen Teil gedacht (er hat wahrscheinlich gedacht, dass der Alte nicht mehr alle Indianer im Tipi hätte) und die Decke mit dem Stiel durchgesuppt.

Dann kam irgendwann die Gesellenprüfung. Damals musste man bei wildfremden Leuten noch ein komplettes Zimmer machen, erzählte mir Heine. Also Tapeten abreißen, Decke streichen, tapezieren, das Holzwerk bearbeiten und was-weiß-ich-nicht-noch-alles. Wie lange man Zeit für das Zimmer hatte, hat er mir mal gesagt, ich habe es aber vergessen, da er mir die Daten nach der siebenten Kalten mitgeteilt hatte. Ich glaube, es waren drei Tage. Heines Glück war, dass er das Wohnzimmer seines Lehrmeisters machen musste. Er hat auch sofort bestanden (theoretisch mit Ach und Krach) und hernach sofort in den Sack gehauen, wie man das Kündigen anno Tobak nannte. Zuerst hat er sich gar nicht getraut. ›Du willst doch bestimmt zu Kacka Becker gehen!‹, war der Kommentar des Herrn Brinkmann. Kacka Becker, der eigentlich Karl hieß – ich möchte mal wissen, weshalb die Leute damals auf Kacka gekommen sind –, zahlte, man höre und staune, 5 Mark (das waren etwa 2,44 Euro) die Stunde. Bei Brinkmann hätte er nur etwa die Hälfte bekommen. Da hätte jeder in den Sack gehauen. Becker war anno dazumal der Mogul in Dellwig, er hatte ein paar Gesellen und Stifte an der Maloche, steckte mir Heune, sodass ich es glaubte.

Endlich kam Hans retour. Er hatte ein Gerät, welches einem Spaten glich, anbei. Nur war die Metallfläche nicht abgerundet wie bei einem Spaten, sondern gerade und breiter. Es hatte auch einen längeren und dickeren Stiel. Wie soll man diese Gerätschaften nennen? Schaber? Hans nannte das Ding jedenfalls so, damit sollte es besser gehen. Zur Sicherheit hatte er aber auch einen echten Spaten mitgebracht.

Hans musste wacker wech, er hatte irgendwo noch etwas Wichtiges zu tun. Wir machten uns an die Arbeit. Einer zog und einer stieß mit dem Schaber zwischen Untergrund und Teppich. Dabei wechselten wir uns ständig ab, da es echt eine super Saumaloche war.

Heine meinte nach einer Weile, dass ich des Öfteren als er stoßen müsse, es ginge furchtbar auf die Schultergelenke, diese ewige Stoßerei. Er müsse des Abends noch seine Frau Birgit stoßen, dann könne er jetzt nicht so viel ackern. Und außerdem wäre ich 13 Jahre, einen Monat und zwei Tage jünger.

Ich ließ das jetzt einfach mal so stehen, ich hatte nicht den Verdacht, dass er es ausgerechnet hatte.

Ganz nebenbei, hatte er auch nicht, das habe ich eben getan. Aber er hat gesagt, dass ich ´ne Ecke jünger wäre, so um die vierzehn Jahre. Das stimmte dann ja auch so ungefähr. Heune ist 1963 in die Lehre gegangen und ich 1977. Es war das Jahr, in dem Borussia Mönchengladbach zum letzten Mal Deutscher Fußballmeister geworden ist. Wenn das mal kein schlechtes Omen war.

Unter dem Teppich hatte man oder frau ein Linoleumbelag verklebt. Wenn ich mich recht erinnere, 30 × 30er Platten, die erhalten bleiben sollten. Vielleicht waren sie aber auch größer, die Platten. Das ist aber auch egal jetzt. Jedenfalls wunderten wir uns, dass die Ursprungsplatten nicht mit abrissen. Sie waren damals offenbar super von einem Fachmann verklebt worden. Nicht eine einzige – naja, vielleicht die eine oder andere – Platte kam hoch und ging kaputt.

Irgendwann waren wir fertig, wir entsorgten den alten Teppich in einem anderen Container, da er Sondermüll war. Diese Entsorgungsmethode gab´s damals schon.

Am nächsten Tach ging es weiter. Aber nicht lange. Die Kleberreste, die zum Glück punktuell aufgetragen worden waren, mussten ja noch – wegen des Originalzustandes – runter. Wir bearbeiteten den Untergrund mit Terpentin, Verdünnung und sogar Nitroverdünnung, zwischendurch kratzten wir mit breitem Spatel und sogar mit einem Japanspachtel. Aber der alte Kleber war zäh wie (hoffentlich ist das kein Rassismus) ein alter Indianerhäuptling. Wir kamen nicht so richtig voran. Und das konnten wir ja gar nicht ab, wenn wir nicht vorankommen.

Der Spaten und der Schaber waren schon verschwunden, Hans A. (es war nicht der Typ aus der uralten Bierreklame der 70- oder 80er Jahre) hatte die Brocken offenbar wieder mit nach Hause genommen. Irgendwann hatten wir die Faxen dicke, wir machten Feierabend und fuhren zwecks Beratung inne Garage. Heune meinte, dass ich mal im Kühlschrank nachschauen sollte, vielleicht ist ja noch ´ne Pulle Bier drin. Unser liebstes Elektrogerät war natürlich voll besetzt. Ich setzte ihn in Kenntnis, dass ich morgen einen Kanister Reiniger