Highland Hope 2 - Ein Pub für Kirkby - Charlotte McGregor - E-Book
SONDERANGEBOT

Highland Hope 2 - Ein Pub für Kirkby E-Book

Charlotte McGregor

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Liebe geht durch den Magen ... besonders, wenn man Essen so liebt wie Isla!

Isla Fraser ist leidenschaftliche Sterneköchin. Als der Gernegroß Rodney Swinton in der Nähe von Kirkby ein angesagtes Bistro eröffnet, muss sie um ihr Restaurant fürchten. Denn Rodney hat eine Rechnung mit ihr offen. Dann gerät sie auch noch mit dem eigentlich sehr charmanten Jon Grant aneinander, der das Pub des Örtchens zu neuem Leben erwecken möchte. Da Jon mit seiner Neufundländerhündin Polly ins Bed & Breakfast von Islas Bruder zieht, können sich die beiden unmöglich aus dem Weg gehen … und fühlen sich bald unwiderstehlich zueinander hingezogen. Aber Jon ist ein alter Bekannter von Rodney und Isla muss sich fragen, auf wessen Seite er wirklich steht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 513

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS BUCH

Der Hund ließ sich begeistert auf die Vorderbeine fallen und streckte das Hinterteil in die Luft, der puschelige Schwanz rotierte wie ein Propeller. Isla hätte fast gelacht, weil es tatsächlich ziemlich drollig aussah, doch dann dachte sie wieder an ihr ruiniertes Beet. Der Hund schnappte sich blitzschnell seine Beute und flitzte aus dem Garten. Isla folgte ihm dicht auf den Fersen.

Die wilde Hatz endete abrupt vor einem der Cottages, die zum Bed & Breakfast gehörten. Na toll, dann war der Besitzer des Tieres auch noch ein Gast ihres Bruders. Vermutlich sollte sie dringend ihr Temperament zügeln. Doch noch ehe sie sich auch nur einen halbwegs verbindlichen Satz zurechtlegen konnte, öffnete sich die Tür des Cottages, und heraus trat Mister Yuppie! Was zur Hölle?

»Sie?«, platzte es aus ihr heraus. In ihrem Kopf ratterte es wie verrückt. Isla hatte angenommen, der Mann mit dem aufreizenden Gang und dem grässlichen Auto sei nur auf der Durchreise gewesen und nicht etwa der neue Wirt des Pubs. »Ich«, entgegnete er trocken und lächelte sie an. »Schön, Sie wiederzusehen.«

Isla kann es nicht fassen, dass sich Jon, der neue Pub-Besitzer von Kirkby, als ein Yuppie-Unternehmer entpuppt, der keine Ahnung vom Leben auf dem Land hat. Doch seine Hündin Polly erobert rasch Islas Herz – und ihre Kochkünste locken Jon regelmäßig in ihr Restaurant. Als Showkoch Rodney Swinton in der Nähe von Kirkby ein Bistro eröffnet, in dem just Islas Spezialitäten angeboten werden, und zur selben Zeit in Islas Restaurant mysteriöse Vorfälle passieren, muss sich die Sterneköchin fragen, wem sie noch vertrauen kann.

DIE AUTORIN

Mit Sehnsuchtsorten kennt sich Charlotte McGregor aus. Schon in frühester Kindheit fühlte sie sich zu Städten und Ländern hingezogen, die sie nur aus Büchern oder Filmen kannte. Kein Wunder, dass sie aus ihrem Fernweh einen Beruf gemacht hat. Die Journalistin schrieb jahrelang Reiseberichte für Zeitungen und Magazine, ehe sie ihre Lieblingsorte auch in Romanen verewigte. Derzeit schlägt ihr Herz für Schottland, wo sie regelmäßig mit ihrem Mann durch Städte, Dörfer und die Highlands streift und sich voller Enthusiasmus auf Whisky, Haggis und Kilts stürzt. Mehr über die Autorin erfahren Sie auf www.charlottemcgregor.de

CHARLOTTE McGREGOR

EIN PUB

FÜR KIRKBY

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 by Charlotte McGregor.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

literarische Agentur Michael Gaeb

Copyright © 2021 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Julia Funcke

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München,

unter Verwendung von © FinePic®, München

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-26750-6V002

www.heyne.de

Für Laura

»Ein Hauch von Schokolade«

Inhalt

Ein Königreich für einen Schokoriegel

Zwei Stunden Honeymoon

Und dann kam Polly

Freischwimmer

Singen und Trinken

Die Weisheit der Pelikane

Etappensiege

Vier Jahreszeiten in drei Minuten

Keine halben Sachen

Löwenherzen

Winkekatzen und …

Prophezeiungen

Von Sandwichkindern und Reisevögeln

Frühlingsgefühle

Nessie im Klee

Disteln am Gaumen

Familienbande

Klare An- und Aus- und Absagen

Eskalationsstufen

Bis in die Knochen

Die Austern sind perfekt

Figurenregister

Schokosünde

Kulinarische Abenteuer in Schottland

Danke

EIN KÖNIGREICH FÜR EINEN SCHOKORIEGEL

»Stimmt was nicht mit den Austern?«

Isla Fraser hob den Blick und starrte in ein Paar gelangweilt dreinschauender blauer Augen. Die gehörten einer Kellnerin, deren ganze Körpersprache von Lustlosigkeit zeugte. Isla merkte, wie sie noch wütender wurde. Würde jemand aus ihrer Servicecrew in einem derartigen Tonfall mit den Gästen sprechen, könnte er sich umgehend einen neuen Job suchen.

Dabei war die Frage durchaus berechtigt. Die Trilogie aus frischen, geräucherten und gratinierten Austern stand seit etwa zehn Minuten unberührt vor ihr. Doch dass sie keinen Bissen herunterbrachte, lag nicht an der Qualität der Vorspeise, die sie ja noch gar nicht beurteilen konnte, sondern an der Tatsache, dass sie Rodney Swinton am anderen Ende des Gastraums erspäht hatte. Ihre persönliche Nemesis war in Begleitung zweier Frauen und eines Mannes hier, und zwar offensichtlich mit der gleichen Mission wie sie selbst: das brandneue Restaurant Oyster Club zu testen, das seit seiner Eröffnung vor drei Wochen für Furore sorgte. Dafür war Isla heute Morgen – an ihrem freien Tag – knappe drei Stunden durch den schottischen Regen nach Perth gefahren. Sie war gespannt darauf gewesen, was Dave Hutton in seinem neuesten Laden zu bieten hatte. Doch bei Rodneys Anblick war ihr spontan der Appetit vergangen.

Swinton hatte letzten Juni in Fort Augustus, am Südzipfel des Loch Ness, unter riesigem medialem Tamtam ein Bistro eröffnet, dessen exotischer Küchenzauber die Foodblogger auf Instagram derart begeisterte, dass sie ihm fast von Tag eins an einen wahren Sterneregen prophezeit hatten. Die Tester des Guide Michelin waren allerdings anderer Meinung und hatten diesen Kochlöffel-Hipster ignoriert.

Sie selbst jedoch leider auch. Islas eigenes Restaurant The Scottish Thistle lag nur etwa fünfundzwanzig Meilen von Fort Augustus entfernt im beschaulichen Kirkby und war bereits vor zwei Jahren mit einem Stern ausgezeichnet worden. Isla war sich so sicher gewesen, dass sie es zu einem zweiten bringen würde, hatte monatelang ihr Konzept verfeinert und ihre Küchenmannschaft zu noch besserer Leistung motiviert. Doch offensichtlich war es nicht genug gewesen. Das war streng genommen kein Beinbruch, denn ihr Restaurant lief trotzdem grandios, aber ihr Ehrgeiz hatte einen Knacks bekommen. Einen massiven. Und sie konnte nicht verstehen, warum die immer einflussreicher werdenden Influencer so auf das artifizielle Getöse von Rodney und dessen substanzlose Showeffekte abfuhren, bei denen vergoldete Steaks nur die Spitze des geschmacklosen Eisbergs darstellten. Sie selbst setzte vorwiegend auf regionale und saisonale Produkte in überraschenden Kombinationen, was in den vergleichsweise kargen schottischen Highlands eine echte Herausforderung war. Aus diesem Grund war sie heute nach Perth gefahren, um sich von den Austern inspirieren zu lassen.

Sie blickte von der Kellnerin, die immer noch auf ihre Antwort wartete, zu ihrem unberührten Teller und schüttelte den Kopf. »Die Rechnung, bitte«, verlangte sie knapp.

»Aber Sie haben doch das ganze Menü bestellt«, erwiderte die Kellnerin irritiert.

»Und jetzt möchte ich bezahlen und nicht diskutieren.« Isla zog ihr Portemonnaie aus der Handtasche und zählte innerlich langsam bis drei. Falls noch eine Replik käme, würde sie unangemessen reagieren. Und auch wenn die junge Frau keine Serviceleuchte war und dringend eine intensive Schulung brauchte, konnte sie nichts für Islas miese Laune. Die hatte sie allein Rodney Swinton zu verdanken. Sie wusste, dass sie darüberstehen sollte, und an einem guten Tag wäre das auch so. Nur war heute kein guter Tag, und sie stand kurz vor der Explosion.

»Das macht dann fünfzig Pfund für das Mittagsmenü.«

Isla zog wortlos einen Geldschein hervor und legte ihn neben den Teller. Dann stand sie auf, schnappte sich Jacke und Handtasche und verließ grußlos das Restaurant.

Zweieinhalb Stunden später war der akute Ärger verraucht und etwas Schlimmerem gewichen: Scham wegen ihres dämlichen und vollkommen unprofessionellen Auftritts! Ob sie in einem anderen Restaurant etwas aß oder nicht, änderte schließlich nichts an der Konkurrenzsituation mit Rodney Swinton. Nun wusste sie immer noch nicht, ob die Austern im Oyster Club so sagenhaft lecker schmeckten, wie alle raunten, und außerdem schob sie inzwischen einen mörderischen Kohldampf. Mist, Mist, Mist!

Verzweifelte Situationen erfordern beherzte Reaktionen, dachte Isla und hielt in Inverness an einer großen Tankstelle. Während sie ihren uralten, verbeulten grünen Mini volltankte, malte sie sich bereits aus, wie gleich der zuckersüße Schmelz von Schokolade und Karamell ihre Sinne betäuben und ihr seelisches Gleichgewicht wiederherstellen würde.

Seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie eine unstillbare Leidenschaft für billige Industrieschokolade, die sie aus professionellen Gründen natürlich vehement hätte ablehnen müssen. Niemals würde sie offiziell und außerhalb ihrer Familie zugeben, dass ihr persönliches Schokoladen-Highlight nicht etwa die handgeschöpfte dunkle Bioschokolade mit fünfundachtzig Prozent Kakaoanteil war, die sie ab und zu für ihre Desserts verwendete, sondern ein Karamell-Schokoriegel von Cadbury. Wenn das herauskäme, würde sie auf einem kulinarischen Scheiterhaufen aus Spott und Entsetzen als bigotte Küchenhexe verbrannt werden, da war sie sich ganz sicher. Ihre Mitarbeiter wären schockiert und würden sie nicht mehr ernst nehmen, und ihre Konkurrenz würde sich hämisch die Hände reiben.

Zehn Jahre lang war sie durch die ganze Welt gereist und hatte bei den unterschiedlichsten Meisterköchen ihr Handwerk und größten Respekt vor möglichst naturbelassenen Zutaten gelernt. Ihre eigene Philosophie verbat ihr den Einsatz von Konservierungsstoffen und Geschmacksverstärkern, und dennoch hatte nichts ihre Liebe zu »böser« Schokolade schmälern können. Eine Liebe, die heimlich ausgelebt werden musste und doch voll ungezügelter Leidenschaft war – fast wie eine verbotene Affäre.

Während sich der Tank des Minis füllte, dachte sie an die Schokoriegel, die neben der Kasse auf sie warteten, und sehnte sich wie eine Drogenabhängige den Zuckerrausch herbei, der sie gleich fluten würde. Als sie den Tank verschloss, nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, wie ein monströser, hochglänzend schwarzer Pick-up-Truck auf den Parkplatz fuhr und der Fahrer gleich darauf in das Tankstellengebäude federte. Tatsächlich, der Typ ging nicht einfach, seine Schritte hatten etwas nervtötend Gutgelaunt-Dynamisches an sich. »Ich komm gleich wieder, Polly«, hörte sie den Mann rufen, als jämmerliches Geheul aus dem schwarzen Riesenfahrzeug tönte. Isla verdrehte die Augen und beschloss, keinen weiteren Gedanken mehr an heulende Autos und federnde Dynamiker zu verschwenden. Jetzt zählte nur noch Schokolade!

• • •

An sich war dieser Stopp vollkommen sinnlos, dachte Jon Grant, als er das Verkaufsgebäude der großen Tankstelle betrat. Sein Tank war noch gut gefüllt, und er brauchte weder Zigaretten noch eine der vielen Zeitschriften und Zeitungen, die einen Großteil des Warenangebots ausmachten. Neben den unterschiedlichen Sorten von Treibstoff für Fahrzeuge und Fahrer. Ihm ging es nie in den Kopf, dass ausgerechnet Tankstellen so gern hochprozentigen Alkohol verkauften. Das war doch eigentlich total widersinnig, oder?

Genau wie seine Impulskäufe der vergangenen Wochen! Er kratzte sich den Kopf, während er mit leerem Blick das Cover eines »Happy-Country-Life«-Magazins anstarrte. Hätte man ihm letztes Jahr prophezeit, dass er aufs Land ziehen und seinen Lebenstraum verwirklichen würde, hätte er nur freudlos gelacht. Zusammen mit seinem älteren Bruder Robert hatte er damals noch die Londoner Niederlassung der Werbeagentur geleitet, die seine Eltern vor über dreißig Jahren gegründet hatten. Er war smart gewesen, erfolgreich, wohlhabend – und komplett ausgebrannt. Dann hatte er seinen Job an den Nagel gehängt und war nach Edinburgh zurückgekehrt, wo er entweder frustriert in der kleinen Wohnung saß, die er auf die Schnelle gemietet hatte, oder sich von seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester Carla »ablenken« ließ.

Diese Ablenkung hatte vor allem so ausgesehen, dass sie ihn zu irgendwelchen Events und Partys überredeten, auf die er keine Lust hatte, oder zu Familien-Sonntagsbrunchs einluden, wo dann doch wieder vorwiegend über Kunden der Agentur und deren Events und Partys gesprochen wurde. Sämtliche Familienmitglieder waren Werber mit Leib und Seele – inklusive der Partner seiner Geschwister. Der Ehemann seines Bruders leitete die Filmabteilung in London, der Freund seiner Schwester – Kreativdirektorin der Hauptniederlassung in Edinburgh – galt als bester Texter unter der Sonne. Er selbst war jahrelang mit Emma, der Londoner Art-Direktorin, zusammen gewesen, aber diese Beziehung war am Ende genauso ausgefranst wie seine Leidenschaft für Werbung. Wenn er ehrlich sein wollte, war beides auch nie besonders ausgeprägt gewesen. Doch hatte es in seinem Leben schlicht nie eine andere Option gegeben. Ein Grant, der etwas anderes machte als Werbung? Ausgeschlossen!

Allerdings hatte dieser Zwang wohl nur in seinem Kopf existiert, wie er zugeben musste. Seine Eltern hätten ihn sicher auch bei jeder anderen Berufswahl unterstützt. Aber irgendwie hatte sich die Frage nie gestellt. Da ihm jede künstlerische oder kreative Ader fehlte, hatte er Psychologie mit den Schwerpunkten Marketing und Wirtschaft studiert und war wie von selbst in den Job des Strategen hineingerutscht. Oder, wie er selbst es nannte: in den Job des Chef-Manipulators! Es war tatsächlich lächerlich einfach, Menschen mit einigen gezielten Triggerwörtern und geschickt eingesetzten Narrativen zu Kunden zu machen. Ein paar Jahre lang hatte es ihm auch Spaß gemacht, Kampagnen immer weiter zu verfeinern, aber zuletzt war er sich nur noch wie ein verlogener Rattenfänger vorgekommen, der sich endlos weit von seinen Träumen und Wertvorstellungen entfernt hatte.

Auch die »Auszeit« in Edinburgh hatte nicht den gewünschten Effekt für sein Seelenheil gehabt – doch dann hatte ihn vor fünf Wochen sein alter College-Kumpel Collum McDonald angerufen. Sie hatten ewig nichts mehr voneinander gehört, und Jon war mehr als überrascht gewesen, dass Collum, mit dem er die BWL-Kurse an der Uni absolviert hatte, nicht etwa Controller in einem Großkonzern war, sondern seit einigen Jahren Bürgermeister in einem winzigen Nest in den Highlands. Aber Collum hatte derart von dem Örtchen Kirkby geschwärmt, dass sich in Jon eine alte, verschüttete Sehnsucht gemeldet hatte – eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit, nach guter Luft, nach freundlichen Menschen und einem vermeintlich ehrlicheren, einfacheren Leben. Als Collum schließlich den alten, leer stehenden Dorf-Pub erwähnte, den er gerne zu neuem Leben erwecken wollte, war es um Jon geschehen gewesen. Schon als Kind hatte er den Traum gehabt, Kneipenwirt zu werden. Diese Fantasie hatte immer für größte Lacherfolge gesorgt, wenn er sie ausgesprochen hatte – nicht nur bei seiner Familie, auch bei seinen Mitschülern und später den Kommilitonen –, doch ganz vergessen hatte er den Wunsch nie.

Als Collum einen lächerlich niedrigen Preis für die Immobilie aufrief, die zwar dringend aufgemöbelt werden müsse, deren Bausubstanz aber top sei, hatte Jon nicht lang gezögert. Ohne sich selbst ein Bild von The Scary Hound zu machen und nur aufgrund einer Handvoll Fotos und Collums Wort darauf, dass er es nicht bereuen würde, hatte er das Gebäude gekauft. Seit einer Woche war er also offiziell Eigentümer eines Highland-Pubs. Nach der Unterschrift beim Notar hatte er zwei weitere irrationale Impulskäufe getätigt: den glänzenden schwarzen Pick-up und Polly, seine neue Gefährtin, die es offensichtlich blöd fand, allein im Auto auf ihn zu warten.

Er schüttelte den Kopf und riss sich entschlossen von den Zeitschriften los. Es hatte keinen Sinn. Er hatte sich für dieses neue Leben entschieden und würde sich furchtlos allen Herausforderungen stellen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er in einer Stunde mit Collum verabredet war, und er schätzte, dass er nur noch dreißig Minuten Fahrt vor sich hatte. Zeit genug also, sich noch einen Kaffee und etwas Nervennahrung zu gönnen. Er ging in Richtung Kasse, um sich mit Schokolade einzudecken. Vor dem Süßkramregal stand bereits eine rothaarige Frau und scannte mit gerunzelter Stirn die Auswahl. Gleichzeitig griffen sie beide zum letzten Cadbury-Karamell-Riegel.

»Das ist jetzt nicht Ihr Ernst«, herrschte sie ihn in einem Tonfall an, der halb entsetzt, halb empört klang.

»Doch, ich liebe Karamell«, entgegnete er mit einem Lächeln und hielt sein Ende des Riegels fest.

»Aber das geht nicht!«, beharrte sie und zog fester, offensichtlich unwillig, auf ihre Beute zu verzichten.

»Warum?«

»Was warum?« Sie sah ihn irritiert an, und in ihren blaugrauen Augen funkelte etwas Wildes, Unbeherrschtes.

»Warum geht es nicht? Es ist doch sehr gut möglich, dass zwei Menschen eine vergleichbare Begeisterung für Karamell-Schokoriegel an den Tag legen. Wir sind der beste Beweis dafür.« Er sprach ruhig und sachlich mit ihr, genau wie er es jahrelang mit schwierigen Kunden und temperamentvollen Kollegen getan hatte, aber insgeheim fand er diesen kleinen Zusammenstoß recht amüsant. Er schätzte die Frau auf Anfang dreißig. Optisch erinnerte sie ihn an die junge Katharine Hepburn: schmal, fast hager, und burschikos, doch mit einem sehr ausdrucksstarken Gesicht, auf dem sich in rascher Folge reichlich Emotionen spiegelten. Irritiertes Stirnrunzeln wurde von ungläubig aufgerissenen Augen abgelöst, gefolgt von einer wütend aufgeworfenen Zornesfalte und gleich darauf von einem entschlossenen Zug um die wohlgeformten Lippen.

»Sparen Sie sich die Wortklauberei!«, rief sie und zerrte noch einmal kräftig. »Suchen Sie sich einen anderen Schokoriegel. Denn wenn ich den hier jetzt nicht auf der Stelle bekomme, dann passiert ein Unglück!«

Jon musste lachen und war kurz geneigt, das lustige Spiel auf die Spitze zu treiben. Doch der verzweifelt-flehende Unterton in ihrer markigen Drohung war ihm nicht entgangen. »Ein Unglück kann und will ich natürlich nicht riskieren«, sagte er und ließ den Riegel los. »Guten Appetit!«

Sie brummte etwas Unverständliches, aus dem nur ein extrem wohlwollendes Ohr ein »Danke« hätte heraushören können, griff sich wahllos eine Handvoll weiterer Schokoriegel und bezahlte dann rasch und ohne ihn noch einmal anzusehen. Wenig später beobachtete Jon, wie sie mit einem schrottreifen dunkelgrünen Mini davonbrauste. Grinsend kaufte er sich eine Tafel Karamell-Schokolade, die sie offensichtlich übersehen hatte, und ging zu seinem Wagen, mit einem Mal deutlich entspannter und fröhlicher. Warum auch immer – aber jetzt fühlte er sich bereit für das Abenteuer seines neuen Lebensabschnitts.

ZWEI STUNDEN HONEYMOON

So ein Schokoriegel wirkte manchmal Wunder. Mit dem vielen Zucker in ihrem Blut hob sich Islas Stimmung deutlich, und kaum war sie zu Hause angekommen, traute sich auch die Sonne zwischen den dunklen Wolken hervor und lockte sie in ihren heiß geliebten Kräutergarten. Jetzt im März gab es noch nichts zu ernten, aber angesichts der ersten zarten Triebe an ihren Küchenpflanzen und der kecken Krokusse, die sich ihre Frühlingsgefühle auch von Stürmen und Regengüssen nicht verderben ließen, kam Isla wieder zur Ruhe. Langsam fiel alle Spannung von ihr ab, und eine Grundzufriedenheit stellte sich ein, die sie immer dann fühlte, wenn sie entweder am Herd stand oder mit den Händen im Dreck wühlte.

»Schon zurück von deinem Ausflug?«

Isla erhob sich lächelnd und schüttelte Erde von ihren Fingern. Ihr gegenüber stand Colleen, die Verlobte ihres älteren Bruders Alex, und musterte sie mehr als erfreut. Isla wusste, warum. Colleen war absolut kaffeesüchtig, und das Gebräu, das die Maschine im brüderlichen Bed & Breakfast ausspuckte, fand ihre zukünftige Schwägerin genauso indiskutabel wie Isla selbst. Sie antwortete deshalb nicht direkt, sondern fragte ihrerseits: »Lust auf einen Cappuccino?« Ohne auf eine Bestätigung zu warten, ging sie voran in ihre Restaurantküche, schaltete die chromglänzende italienische Espressomaschine an und wusch sich die Hände. Während sich die Maschine aufheizte und dabei lustige blubbernde und zischende Geräusche von sich gab, arrangierte sie auf einem Teller einige Shortbread-Kekse in Distelform, die ihre Cousine Kristie exklusiv für das Restaurant buk, und mahlte dann die Kaffeebohnen.

»Ich liebe diesen Duft«, schwärmte Colleen und schloss verzückt die Augen.

»Du bist wirklich ein Junkie«, lachte Isla. »Und du solltest Alex endlich dazu überreden, eine vernünftige Kaffeemaschine anzuschaffen.«

»Aber dann hätte ich keinen Grund mehr, regelmäßig bei dir vorbeizuschauen«, widersprach Colleen. »Zumal wir im Rathaus ja auch einen ziemlich ordentlichen Vollautomaten haben. Nein, das ist schon okay so. Stell dir mal vor, wenn im Bed & Breakfast auch noch der Kaffee top wäre, dann hätten die Gäste ja gar nichts mehr zu meckern.« Sie grinste.

»Ich mag deinen völlig verdrehten Sinn für Humor«, entgegnete Isla und begann die Milch aufzuschäumen, während der Kaffee heiß zischend in die Tassen floss. »Wollen wir die fünf Minuten Sonne nutzen und wieder in den Garten gehen?«

Colleen nickte nur, schnappte sich den Keksteller und verschwand nach draußen. Als Isla ihr wenig später mit den beiden Kaffeetassen folgte, hatte sie es sich bereits auf der geschützten Bank bequem gemacht und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Konnte es etwas Besseres geben als die warme Frühlingssonne und den besten Cappuccino jenseits von Italien?

Kurz darauf jedoch brachte ein tiefes, sonores Rumpeln die beiden Frauen dazu, aufzuspringen und Richtung Straße zu schauen. Isla nahm gerade noch wahr, wie ein großer, schwarz glänzender Pick-up langsam die Dorfstraße entlangfuhr. Gleich darauf war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Der monströse Wagen kam ihr vage bekannt vor.

»Was macht der denn hier?«, rief sie und starrte auf das Stück Fahrbahn, das sie von ihrem Garten aus einsehen konnte.

»Kennst du den Fahrer etwa?«, fragte Colleen verwundert.

»Ich hab ihn vor ungefähr einer Stunde an einer Tankstelle in Inverness getroffen«, sagte Isla und verschwieg wohlweislich den Schokoriegel-Zwischenfall. »Also, falls er es war. Aber wie viele schwarze Angeber-Trucks wird es hier in der Gegend schon geben?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich frag mich, was der hier will.«

»Das könnte der neue Pub-Besitzer sein«, mutmaßte Colleen aufgeregt. »Collum hat letzten Freitag erzählt, dass er heute kommt.« Colleen arbeitete seit ein paar Wochen als Event-Koordinatorin im Rathaus von Kirkby. »Doof, dass ich heute meinen freien Tag habe.«

»Wie ein Wirt wirkte der Typ eigentlich nicht«, murmelte Isla stirnrunzelnd.

»Wie wirkt denn ein Wirt?«, konterte Colleen mit einem Grinsen. »Falls es da überhaupt irgendwelche Standards gibt.«

Isla verdrehte die Augen. »Ja, ja, schon gut. Natürlich ist das ein blödes Vorurteil, aber …«, sie zögerte. »Jedenfalls sehen Wirte in der Regel nicht so … ähm … yuppiemäßig aus.« Um ein Haar hätte sie »heiß« gesagt und fragte sich, wie diese völlig absurde Bezeichnung für den Schokoriegeldieb in ihre Gehirnwindungen gekommen sein mochte. Also, den Beinahe-Schokoriegeldieb, denn er hatte ihr die Beute ja letztlich überlassen. Und sie dabei ausgelacht. Eindeutig hatte er sich über sie lustig gemacht. Wenn sie länger darüber nachdachte, fand sie ihn gar nicht mehr heiß, sondern einfach nur unverschämt. Sie konnte ihn nicht leiden. Punkt. »Er federt!«, platzte es noch aus ihr hervor, ehe sie sich die Hand vor den Mund schlagen konnte.

Colleen kicherte. »Ein federnder Yuppie also?« Sie schien das Ganze wirklich unglaublich witzig zu finden.

»Na, du weißt schon, so ein Typ, der nicht normal geht, sondern betont dynamisch, schwungvoll und gut gelaunt dahinfedert«, versuchte sie sich an einer Erklärung, merkte aber selbst, wie seltsam sie sich anhörte. »Ich kann es nicht besser beschreiben, aber es macht mich schon aggressiv, allein seinen Gang zu sehen.« Sie verschränkte genervt die Arme vor der Brust und fühlte sich auf unangenehme Art ertappt.

»Du bist echt der Knaller«, behauptete Colleen und grinste immer noch. »Ich weiß ja, dass die Reizschwelle bei etlichen Mitgliedern der Familie Fraser sehr niedrig liegt, aber dass dich schon die Gangart eines Mannes wild macht …«

»Er macht mich nicht wild, er macht mich … Ach, vergiss es!«

Colleen hatte nun tatsächlich den Nerv, ihren Kopf in den Nacken zu werfen und schallend zu lachen. Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich so weit wieder gefangen hatte, dass sie sprechen konnte. Dann sagte sie: »Ich glaube schon jetzt, dass Mr. Feder-Yuppie eine echte Bereicherung für Kirkby sein wird, und ich kann es kaum erwarten, ihn endlich kennenzulernen.«

»Ich hatte mir für den Pub halt etwas anderes vorgestellt. Dad wird ihn hassen«, brummte Isla düster.

»Euer Vater hasst ihn ja jetzt schon aus Prinzip. Weil der neue Pub-Besitzer ein Freund von Collum ist. Weil die Kneipe nach etlichen Jahren wiedereröffnet wird. Weil sich Dinge in Kirkby ändern. Euer Dad ist einfach ein schrulliger Kauz, der immer erst motzt, dann aber doch einlenkt.«

»Du hast Marlin Fraser noch nicht in Hochform erlebt«, sagte Isla und war froh, dass sie von ihren Vorbehalten abgekommen und stattdessen auf sicheres Terrain gewechselt waren. »Du kennst ihn doch erst … wie lange? Seit fünf Monaten?«

»Zeit genug, ihn zu durchschauen«, behauptete Colleen schulterzuckend.

»Dann wärst du die Erste …«

»Ich wette mit dir, dass er ziemlich schnell begreift, wie gut ein Pub für Kirkby ist.«

Isla winkte ab. »Spielt ja auch keine Rolle, was Dad denkt. Ich bin grundsätzlich sehr dafür. Wenn wir hier eine Kneipe haben, dann muss ich nicht ständig Tagestouristen abwimmeln, die bei mir nach Fish and Chips fragen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Mr. Feder-Yuppie der richtige Mann für diese Herausforderung ist. Falls er überhaupt der neue Pub-Besitzer ist und wir nicht bescheuert über irgendwelche Dinge spekulieren, nur weil vor zehn Minuten ein schwarzes Riesenauto die Dorfstraße entlanggefahren ist. Vermutlich ist er nur auf der Durchreise.« Isla spürte ihren Worten nach. Klang total einleuchtend. Fast glaubte sie es selbst.

»Oder aber wir werden hier demnächst reichlich Spaß haben«, zerstörte Colleen vergnügt das kleine bisschen Seelenfrieden, das sich Isla gerade zusammengereimt hatte. Dann stand sie auf. »Danke für den Kaffee. Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch was erledigen wollte.« Mit blitzenden Augen umarmte sie Isla, schwang sich unternehmungslustig auf ihr Fahrrad und war kurz darauf verschwunden – zweifellos, um der Sache mit dem ominösen Pub-Besitzer auf den Grund zu gehen.

Die dunkle Wolke, die sich wenig später wieder vor die Sonne schob, war aber bestimmt nur eine typische Kapriole des schottischen Wetters und kein düsteres Omen. Oder?

• • •

Es war ein gutes, fast erhebendes Gefühl, von Inverness aus dem Westufer des Loch Ness in Richtung Süden zu folgen, dann bei Drumnadrochit rechts abzubiegen und noch ein paar Meilen auf einer schmalen Straße durch die Landschaft zu fahren. Durch sehr viel Landschaft. Eine Landschaft, die ab sofort Jons neue Heimat sein würde. Sein Weg führte ihn auf einer kurvigen, hügeligen Strecke durch ein Waldstück. Nach einer weiteren lang gezogenen Rechtskurve erspähte er eine Kirchturmspitze, und hinter einer sanften Kuppe lag Kirkby in seiner ganzen Pracht vor ihm. Knapp sechshundert Einwohner, so groß – oder vielmehr klein – war sein neuer Lebensmittelpunkt. Langsam fuhr er am Ortsschild vorbei, passierte erst den Zufahrtsweg zum ortseigenen Sternerestaurant The Scottish Thistle, von dem Collum ihm so vorgeschwärmt hatte, und anschließend die Abzweigung zum luxuriösen Bed & Breakfast The Cosy Thistle. Zu diesen beiden Einrichtungen sollte sein Pub nach Collums Willen künftig eine günstige Alternative bieten.

Wenig später hatte Jon den Dorfplatz erreicht, der im Wesentlichen von drei Gebäuden dominiert wurde: der Kirche, dem Rathaus und einem großen Gebäude, dessen vernagelte Fenster einen eher abweisenden Eindruck vermittelten. Er parkte seinen Wagen vor dem schmuck renovierten Rathaus und stieg aus, was zu einer weiteren Runde empörten Geheuls von Polly führte. Irgendwie hatte er sich die neue Frau in seinem Leben etwas gechillter und weniger fordernd vorgestellt. Resigniert ging er um das Fahrzeug herum, öffnete die Beifahrertür und half dem schwarzmähnigen, langbeinigen, aber ziemlich tollpatschigen Geschöpf beim Aussteigen.

»Ich glaub’s nicht!«, hörte er gleich darauf die vertraute Stimme seines alten Uni-Freundes Collum, der aus seinem Rathaus gekommen war und nun von einem Lachanfall geschüttelt wurde.

»Was glaubst du nicht?«, wollte Jon wissen und hob leicht befremdet eine Braue. Seine Irritation galt gleichermaßen Collums etwas überraschender Begrüßung und Polly, die sich ungeniert direkt neben seinem Pick-up erleichterte.

»Dass du mit so einem Gefährt hier ankommst«, japste Collum, von einer weiteren Lachsalve gebeutelt, und fuchtelte in Richtung Auto und Polly.

»Stimmt mit meinem Auto was nicht? Oder meinst du meine Gefährtin?« Er sah zu Polly, die den um Fassung ringenden Bürgermeister mit ihren großen braunen Augen fixierte. Anscheinend war sie sich noch nicht sicher, was sie von ihm halten sollte.

»Deine ›Gefährtin‹ ist zauberhaft«, prustete Collum. »Wenn auch nicht ganz stubenrein.« Er deutete auf die unübersehbare Pfütze, die gerade zwischen den Pflastersteinen versickerte. Wo war der Regen, wenn man ihn brauchte?

»Streng genommen ist das hier ja auch keine Stube«, entgegnete Jon, musste schließlich aber selbst lachen. Es war eine wirklich absurde Situation. Er räusperte sich und sagte dann förmlich: »Darf ich vorstellen? Polly, das ist Collum, der Bürgermeister von Kirkby. Collum, das ist Polly, meine … ähm …«

»Gefährtin, ich weiß«, unterbrach ihn Collum und deutete eine Verbeugung an. Er hielt Polly seine Rechte hin und freute sich, als sie einschlug. »Sehr angenehm, Polly.« Anschließend breitete er die Arme aus, zog Jon in eine etwas ungelenke Männerumarmung und klopfte ihm auf den Rücken. »Schön, dass du hier bist!«

»Danke, ich freu mich auch.« Jon sah sich um. An einem Fenster des Rathauses erspähte er dunkle Dauerwellenlöckchen, und auch bei zwei anderen Häusern bewegten sich Gestalten hinter den Gardinen. Offensichtlich hatte sein Auftritt nicht nur für Erheiterung beim Bürgermeister, sondern auch für Aufmerksamkeit bei den Dorfbewohnern gesorgt.

»Kann ich dir einen Kaffee im Rathaus anbieten, oder willst du gleich dein neues Reich inspizieren?«, wollte Collum wissen.

»Allein die Tatsache, dass man zum Kaffeetrinken ins Rathaus muss, beantwortet deine Frage schon«, grinste Jon. »Wird Zeit, dass Kirkby wieder einen Pub bekommt!« In seinem Bauch kribbelte es vor Unternehmungsgeist, Vorfreude und Nervosität. Fast als wäre er frisch verliebt oder kurz vorm Traualtar. Gleich würde er seine Braut also zum ersten Mal sehen.

»Meine Rede«, sagte Collum und ging voraus.

Bis zum Pub waren es zwar nur wenige Meter über den Marktplatz, und es waren keine anderen Menschen auf der Straße, doch Jon fühlte sich beobachtet.

»Kann es sein, dass der halbe Ort auf der Lauer liegt und uns ausspäht?«, fragte er halb scherzend, halb im Ernst.

»Klar, was denkst du denn? Sie wissen, dass der neue Pub-Besitzer heute kommt – und dein Auftritt war ja nun nicht gerade dezent.« Collum deutete über seine Schulter auf den schwarzen Pick-up.

»Was hast du nur mit meinem Wagen? In derart unwirtlichen Gegenden braucht man doch ein angemessenes Fortbewegungsmittel. Ich hab Allradantrieb und so viel Ladekapazität, dass ich Lebensmittel und Getränke transportieren kann. Außerdem war es ein Schnäppchen.«

»Ja, weil kein Mensch mehr so eine spritfressende Dreckschleuder haben möchte«, stellte Collum mit einem gutmütigen Augenzwinkern fest. »Kann es sein, dass du heute zum allerersten Mal in deinem schon fortgeschrittenen Leben in den Highlands bist?« Jon antwortete nicht, sondern nickte nur leicht. Was bitte sollte diese Unterstellung? Doch Collum fuhr fort: »Wir mögen zwar Hinterwäldler sein, aber unsere Straßen sind geteert, und die Lieferservices der Brauereien und Destillerien trauen sich sogar bis zu uns. Aber vielleicht kannst du ja mal eine Schafherde transportieren. Oder ein paar Rinder …«

Jon beschloss, den Spott zu ignorieren. Er hatte sich innerhalb weniger Tage zu mehr verrückten Handlungen hinreißen lassen als in seinem ganzen sechsunddreißigjährigen Leben davor. Himmel, er hatte praktisch fast seine kompletten Ersparnisse für den Pub und dieses Auto ausgegeben – da sollte er sich doch ein wenig darüber freuen dürfen, oder?

Collum reichte ihm einen Bund altertümlicher Schlüssel und trat einen Schritt zur Seite. »Willkommen zu Hause!«

Jons Anspannung wuchs. Von außen machte The Scary Hound seinem Namen wirklich alle Ehre. Auch Polly schien nervös zu werden, jedenfalls presste sie sich eng an ihn und zitterte leicht. Jon steckte einen Schlüssel ins Schloss, drehte ihn, und mit einem erfreulich satten Klacken öffnete sich die massive Holztür. Er holte tief Luft und betrat den schummrigen Schankraum, an dessen anderem Ende er einen langen Tresen erkennen konnte. Etliche Tische und Stühle standen, vergleichsweise unkonventionell aufgetürmt, in einer Ecke. »Gibt’s hier Strom?«, fragte er.

»Auch fließend kaltes und warmes Wasser«, entgegnete Collum amüsiert und betätigte den Lichtschalter.

Alte Deckenlampen erwachten zum Leben und tauchten den großen Raum in ein warmes Licht. Staubflocken tanzten, aufgewirbelt von dem plötzlichen Luftzug, und unter dem Möbelturm in der Ecke huschte ein Schatten in die Dunkelheit. Polly gab ein aufgeregtes Japsen von sich und drückte sich bebend an Jon.

»Hier hausen doch nicht etwa Ratten?«, fragte Jon leicht angewidert. Er hatte keine Angst vor den Nagern, aber sie würden zweifellos ein Problem darstellen.

»Das wäre dann eine ziemliche Riesenratte«, befand Collum. »Und das wollen wir wirklich nicht hoffen.«

Im nächsten Moment bewegte sich der Schatten erneut unter dem Haufen aus Tischen und Stühlen, und Polly stürzte sich mit einem markerschütternden Laut in seine Richtung. Was dann folgte, war eine Kakofonie aus Jaulen, Fauchen und polternden Möbelstücken.

»Polly! Komm sofort hierher!«, rief Jon, doch die Hündin dachte nicht im Traum daran, auf ihn zu hören. Voller Begeisterung versuchte sie, den Schatten zu fangen, der sich mit einem eleganten Satz auf einen wackeligen Tisch rettete – und sich bei näherer Betrachtung als Katze entpuppte. Als gigantische, grau getigerte Riesenkatze, um genau zu sein.

»Ach, das ist nur Elvis«, sagte Collum, als sei dies eine schlüssige Erklärung.

»Da bin ich ja erleichtert«, gab Jon trocken zurück. Langsam wunderte er sich über gar nichts mehr. »Und was macht Elvis in meinem Pub?«

»Spuken?«, schlug Collum lachend vor.

»Aufgeräumt hat er jedenfalls nicht.« Jon schüttelte grinsend den Kopf.

»Hier bist du also, du böser Junge!« Eine hübsche, blond gelockte Frau war eingetreten, und Jon fragte sich verwirrt, wem ihr Ausruf galt. Collum womöglich?

»Hallo, Anna«, begrüßte der die Frau vergnügt. Offensichtlich fühlte er sich nicht angesprochen. »Darf ich dir den neuen Pub-Betreiber von Kirkby vorstellen? Anna, das ist Jon Grant. Jon, das ist Annabel Campbell, unsere Dorfärztin.«

Die blonde Frau streckte Jon eine Hand entgegen und lächelte ihn strahlend an. »Wie schön, ich freu mich sehr.«

»Ich mich auch, Dr. Campbell.« Er schüttelte ihr die Hand und wunderte sich über den erstaunlich kräftigen Händedruck der zarten Ärztin.

»Anna, bitte«, lachte sie. »Auf Förmlichkeiten legt hier in Kirkby keiner Wert. Außerdem bin ich auch erst seit ein paar Wochen hier, und Neuankömmlinge müssen doch zusammenhalten, oder?«

Jon lächelte nur, aber Anna schien auch keine Antwort zu erwarten. Stattdessen ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern, runzelte die Stirn, als er die Riesenkatze streifte, und lächelte verzückt, als er schließlich an Polly hängen blieb. »Wer ist denn das Zauberhaftes?«, fragte sie mit einer Stimme, die plötzlich mindestens eine Oktave höher klang. Sie hockte sich hin und streckte erneut die Hand aus.

Mehr Aufforderung brauchte Polly nicht. Sie gab ihr Versteck unter dem Tisch auf, ließ noch einen Stuhl zur Seite rumpeln und rannte zu der Ärztin.

»Das ist Polly«, sagte Jon.

»Du bist ja eine Schönheit«, lobte Anna. »Hat dich der böse Kater erschreckt?«

»Mau!«, kam es indigniert von dem Angesprochenen. Mit einem großen Satz verließ er seinen Zufluchtsort und stolzierte mit hoch aufgerichtetem buschigem Schwanz und einem reichlich misstrauischen Blick in Richtung Anna und Polly. Etwa einen Meter vor den beiden setzte er sich und musterte sie durchdringend.

»Das ist mein Kater Elvis«, erklärte Anna, an Jon gewandt. »Er interpretiert die Bezeichnung ›Hauskatze‹ recht frei, stattdessen ist er gerne und viel unterwegs.« Sie seufzte leicht und schüttelte den Kopf.

»Und wie kommt er in den Pub?«

»Keine Ahnung. Ich schätze mal, dass er ein Fenster gefunden hat, das nicht richtig verschlossen war, oder eine nicht abgesperrte Tür. Er ist ziemlich geschickt. Und du musst dich nicht sorgen, er ist freundlich zu allen Menschen und den meisten Tieren. Mit Hunden hat es noch nie ein Problem gegeben. Ist Polly ein Neufundländer?«, wollte sie dann noch wissen, während sie liebevoll das glänzende schwarze Fell kraulte.

»Ähm, ja. Und ich nehme an, dass sie noch eher unerfahren ist, was Katzen betrifft. Aber die Rasse gilt ja als sehr umgänglich. Hab ich jedenfalls gelesen.«

»Wie alt ist sie?«

»Knapp vier Monate, aber ich hab sie erst seit einer Woche. Es war eine etwas … ähm … spontane Entscheidung. Ich dachte, dass es schön wäre, hier in der Einsamkeit einen Hund zu haben.« Warum nur kam er sich gerade so unsagbar dämlich vor? »Die Frau des Autohändlers züchtet Neufundländer, und Polly war der letzte Welpe aus dem Wurf. Niemand hat sich für sie interessiert und …« Warum erzählte er diese bescheuerte Geschichte?

»Das erklärt wirklich einiges«, schaltete sich nun auch Collum wieder ins Gespräch ein und schien schon wieder mit einer Lachattacke zu kämpfen. Glücklicherweise behielt er so seine zweifellos eindrucksvolle These darüber, was genau das erklärte, für sich.

»Na ja, so einsam ist es hier auch wieder nicht«, beteuerte Anna und ließ ein glockenhelles Lachen folgen. Offensichtlich fand sie die Situation auch ungeheuer witzig. »Aber tierische Freunde sind gut für die Seele, und ich bin mir sicher, dass Polly dich sehr glücklich machen wird.«

»Wenn ich herausgefunden habe, wie man mit Hunden richtig umgeht, bestimmt«, murmelte Jon. Die Entscheidung, sich Polly anzuschaffen, war tatsächlich völlig spontan gewesen. Als er sein neues Auto abgeholt hatte, war ihm die imposante Neufundländer-Hündin des Händlers aufgefallen. Er konnte sich nicht mehr so recht erinnern, wie es dann weitergegangen war. Auf jeden Fall war er anderthalb Stunden später mit seinem Wagen, einem großen Sack Futter und Polly losgefahren – und einer Liste von Dingen, die er unbedingt noch für das Tier besorgen musste. Irgendwie war er sich übertölpelt vorgekommen und hatte den Eindruck nicht loswerden können, dass das Autohändlerpaar verdammt erleichtert gewirkt hatte, als nicht nur der große Pick-up, sondern auch der tapsige Welpe aus ihrer beider Leben verschwunden war. Jon hatte jedoch beschlossen, nicht weiter darüber nachzudenken. Auch weil er kaum dazu gekommen war, denn Polly forderte seine volle Aufmerksamkeit. Das junge Tier war unglaublich anhänglich und verspielt, hatte sonst aber nur Unsinn im Kopf und nagte mit seinen nadelspitzen Milchzähnchen wirklich alles an. Was die Stubenreinheit betraf, hatten die Züchter auch schamlos übertrieben … Sein von außen glänzender Neuwagen war innen jedenfalls schon recht rustikal.

»Das wird schon«, behauptete Anna fröhlich. »Und wenn nicht … es soll hier im Ort einen Hundeflüsterer geben. Colleen hat so was erzählt.« Sie sah fragend zu Collum.

»Ja, der alte Fraser hat ein Händchen für Hunde – sagt man«, erklärte Collum, an Jon gewandt. »Allerdings kann er mich nicht leiden und dich damit zwangsläufig ebenfalls nicht.« Er zuckte die Schultern, anscheinend nicht sonderlich betroffen wegen dieser Abneigung.

»Was hab ich ihm getan?«

»Nichts. Aber du bist ein Freund von mir, und das bedeutet in Marlin Frasers Weltbild schon mal Sippenhaft. Außerdem hast du den Pub gekauft, und er weiß nicht, was du daraus machen wirst. Und alles, was er nicht kontrollieren kann, ist potenziell eine Bedrohung und wird mit Verachtung bestraft, bis er zu einer anderen Einschätzung der Lage kommt. Aber mach dir keine Sorgen, das ist normal.«

»Wenn du das sagst …«, entgegnete Jon gedehnt. Kirkby war offenbar nicht das einfachste Pflaster. Andererseits kam er eigentlich mit allen Menschen gut klar und war in der Agentur als Problemlöser und »Feuerlöscher« bei besonders schwierigen Fällen eingesetzt worden. Er würde mit den störrischen Einwohnern schon zurechtkommen.

»Ach, Marlin ist eigentlich ganz süß«, meinte Anna. »Letzte Woche war er bei mir in der Praxis. Nicht weil ihm was fehlte, sondern um sich zu vergewissern, dass ich eine echte Ärztin bin, falls er doch mal krank werden sollte. Erst war er knurrig, aber schließlich ganz zahm.« Sie lachte erneut und stand dann auf, was Polly dazu brachte, protestierend nach ihrem Hosenbein zu schnappen.

»Polly!«, rief Jon tadelnd, und die Hündin sah ihn verwundert an. »Das darfst du nicht!« Sie wuffte und machte übermütig einen Satz in Richtung Elvis, der die ganze Zeit in majestätischer Pose dagesessen und misstrauisch beobachtet hatte, wie sich sein Frauchen mit dem jungen Hund abgab. Statt zu fliehen, blieb er stehen und plusterte fauchend sein Fell auf, sodass er noch größer wirkte als zuvor. Das schien auch Polly zu beeindrucken, die abrupt stoppte und leise fiepend zwischen dem Kater und Jon hin- und herschaute.

»Tja, Prinzessin, das hast du dir selbst eingebrockt«, sagte Jon mitleidslos. »Ich sehe nur zwei Optionen: Geordneter Rückzug, oder du freundest dich mit ihm an.«

»Sei lieb zu ihr, Elvis«, bat Anna den Kater mit deutlich mehr Mitgefühl. »Polly hat hier noch keine Freunde.« Dann blickte sie auf die Uhr. »Oh weh, schon so spät. Ich fürchte, ich muss los. Das Projekt ›Hund und Katz‹ müssen wir wohl verschieben.« Sie sah bedauernd zu den Männern und den Tieren, dann stieß sie einen kleinen Pfiff aus, und der Kater lief ihr wie ein Hund hinterher, als sie den staubigen Gastraum verließ. Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um und winkte Jon und Collum zum Abschied.

»Ich schätze, du musst dich nicht mit Marlin Fraser gut stellen, wenn du Erziehungstipps für deine Polly brauchst«, bemerkte Collum amüsiert. »Wende dich einfach an Frau Doktor Campbell.« Er zwinkerte seinem Freund zweideutig zu. »Sie ist übrigens Single«, fügte er noch hinzu.

Jon schüttelte grinsend den Kopf. Er war noch nicht mal eine Stunde in Kirkby, und schon sollte er verkuppelt werden. Die Ärztin war zweifellos eine sehr attraktive und nette Frau, doch nichts für ihn. Da hatte die rothaarige Kratzbürste vorhin an der Tankstelle mehr Interesse ausgelöst. Aber wenn Anna ihm beibringen konnte, wie er Polly dazu brachte, ihm auf ein simples Pfeifsignal hin zu folgen, dann wäre das garantiert ein weiteres Treffen wert. »Gut zu wissen, aber momentan bin ich mit der vierbeinigen Frau in meinem Leben wirklich gut ausgelastet – und wie es aussieht, auch mit dieser Bruchbude hier.«

»Bruchbude?«, rief Collum mit gespielter Empörung. »Das ist ein Juwel. Da muss man nur mal gründlich sauber machen, dann sieht alles aus wie neu.«

»Mhmm. Dann lass uns mal ein wenig unter die Staubschicht schauen, und vor allem interessieren mich die beiden oberen Etagen.«

»Ja, lass uns hochgehen. Im ersten Stock gibt es fünf Fremdenzimmer, die womöglich ein bisschen mehr Zuwendung brauchen als die Kneipe, und oben unterm Dach hat der frühere Besitzer in zwei Zimmern gewohnt. Du kannst aber alles ausbauen, sodass du eine richtig schöne große Wohnung hast. Ein Garten gehört übrigens auch dazu, was sicher ideal ist für deine junge Dame.« Collum sah zu Polly, die gerade hingebungsvoll an einem Stuhlbein nagte. »Hat sie einen Biber im Stammbaum?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Jon. Das Stuhlbein war definitiv nicht seine größte Sorge. Er schätzte, dass eine Menge Zeit und Geld für die Renovierung draufgehen würden, bevor er seinen Pub eröffnen konnte. »Auf jeden Fall muss ich die Kneipe umbenennen. The Scary Hound hört sich in meinen Ohren nach selbsterfüllender Prophezeiung an. Ich möchte nicht, dass Polly zum unheimlichen Hund wird!« Er straffte die Schultern und sagte dann entschlossen: »Lass uns nach oben gehen! Komm, Prinzessin, schauen wir uns dein neues Reich an.«

Eine Stunde später sah Jon deutlich klarer – und war reichlich ernüchtert. »Wow, das war vermutlich der kürzeste Honeymoon der Geschichte«, sagte er zu Collum, als sie das Haus verließen und er die Tür hinter sich absperrte. Es war vollkommen ausgeschlossen, dass er, wie geplant, während der Renovierungsphase hier leben konnte. Sowohl die Gästezimmer als auch die kleine Wohnung unterm Dach waren völlig unbewohnbar und verlangten nach einer intensiven Generalüberholung.

»Honeymoon?«, fragte Collum leicht verwirrt.

»Als wir vorhin zum Pub gelaufen sind, habe ich mich gefühlt wie ein Bräutigam, der gleich seine Braut sieht«, erklärte Jon seinem alten Kumpel.

»Verstehe. Aber die Braut war vorher weder bei der Kosmetikerin, noch hat sie sich die Mühe gemacht, ein hübsches Hochzeitskleid zu tragen«, spann Collum die etwas schräge Analogie weiter.

»So ungefähr.« Jon seufzte. Irgendwie war ihm während der letzten Monate sein klarer Verstand abhandengekommen, sonst hätte er sich wohl auf keinen Teil dieses Irrsinns eingelassen. Weder darauf, unbesehen ein heruntergekommenes Haus im Nirgendwo zu kaufen, noch auf das überdimensionierte Auto und schon gar nicht auf Polly. Er schloss kurz die Augen. Ja, das war alles ziemlich überwältigend, und ja, er fühlte sich auch vollkommen überfordert. Aber gleichzeitig machte sich eine unglaubliche Vorfreude in ihm breit. Das war das bislang größte Abenteuer seines Lebens, und er würde jede verdammte Minute davon genießen. »Aber das macht nichts. Vielleicht ist es sogar viel spaßiger, wenn ich der Braut bei ihrem Schönheitsprogramm helfe?«

»Möglich. So als Grundlage einer glücklichen Ehe.« Collum klopfte ihm auf die Schultern. »Ich maile dir nachher eine Liste mit Handwerkern aus dem Ort und der Region, die dir beim Aufhübschen helfen können.«

»Danke. Jetzt brauch ich nur noch ein Ausweichquartier.«

»Du kannst gerne bei mir pennen«, bot Collum an, doch er klang nicht übermäßig enthusiastisch. Sein Stirnrunzeln und ein Seitenblick auf Polly zeigten Jon den Grund für die etwas gezwungene Gastfreundschaft. »Oder …« Collums Gesicht erhellte sich merklich, als er eine Frau entdeckte, die vom Rathaus her zu ihnen geschlendert kam. »Oder wir fragen Colleen.«

»Wir fragen Colleen was?«, wollte die Frau mit den kastanienbraunen Haaren und dem amerikanischen Akzent wissen, die Collums letzten Satz noch gehört hatte.

»Ob ihr derzeit ein Cottage frei habt, in dem Jon und Polly unterschlüpfen können, bis zumindest die Wirtswohnung so weit renoviert ist, dass sie dort einziehen können.«

»Das sollte kein Problem sein«, sagte Colleen und musterte Jon mit einem neugierigen Lächeln. »Für federnde Yuppies haben wir immer ein Plätzchen frei.«

»Bitte?«, fragten Jon und Collum gleichzeitig.

»Ach nichts«, winkte Colleen ab und reichte Jon die Hand. »Herzlich willkommen in Kirkby!«

UND DANN KAM POLLY

Es schien tatsächlich die Sonne. Schon seit dem frühen Morgen, und Isla juckte es in den Fingern, ein paar Stunden in ihrem Garten zu wühlen. Stattdessen stand sie am geöffneten Fenster in der Küche und ging die Bestellungen für ihren Lieferanten durch. Die Specials für die nächsten drei Wochen standen zwar eigentlich schon fest, aber sie hatte Lust, noch etwas Neues einzubauen. Das hatte rein gar nichts mit den Postings von Rodney Swinton zu tun, der seit gestern in mehreren Instagram-Beiträgen von seinem tollen Restaurantbesuch im Oyster Club schwärmte. Angeblich war er wahnsinnig inspiriert, und das würde sich auch umgehend auf seiner eigenen Speisekarte widerspiegeln. Dämlicher Angeber, dachte sie verärgert.

Ihr Blick fiel wieder auf den Garten. Seit gestern zeigten sich noch mehr frische grüne Triebe, und Isla konnte es kaum erwarten, endlich wieder ihre eigenen Kräuter ernten zu können. In den geschützten Beeten an der Mauer gediehen auch sensible und exotischere Pflänzchen, die es im rauen schottischen Klima normalerweise schwer hatten. Sie setzte zwar weitgehend auf lokale und regionale Spezialitäten, aber wenn in ihrem Garten Thaibasilikum, Chilis und Zitronengras wuchsen, dann konnte sie diese Kräuter und Gewürze ja auch einsetzen. Sie liebte die asiatische Küche und war kurz nach Weihnachten fünf Wochen lang in Thailand und Vietnam unterwegs gewesen. Ihrer Meinung nach vertrugen sich asiatische Aromen ganz hervorragend mit den eher erdigen schottischen Zutaten. Doch bis sie frisches Grünzeug aus dem eigenen Garten nutzen konnte, würde es noch ein wenig dauern. Sie seufzte und wandte sich wieder dem Tablet zu, auf dem sie ihre Orderliste bearbeitete. In spätestens einer halben Stunde musste sie die Bestellung abschicken, damit sie die Ware morgen pünktlich geliefert bekäme.

Plötzlich nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung in ihrem Garten wahr. Sie richtete sich auf, und dann traf sie fast der Schlag. In ihrem Exotenbeet stand ein etwa kniehoher schwarzer Hund und buddelte in abartiger Geschwindigkeit ein Loch. Isla stieß einen fassungslosen Schrei aus, der den Hund jedoch nur kurz innehalten ließ. Kopfüber tauchte das Tier nun in die frische Kuhle hinein und fing an, sich zu wälzen. Außer sich vor Entsetzen griff Isla nach dem nächstbesten Gegenstand und warf ihn nach dem schwarzen Biest. Es war eine alberne Funko-Pop-Puppe, die ihr Jungkoch ihr vor ein paar Monaten geschenkt hatte. Der Name der Figur – ein rothaariger, leicht geschürzter Kerl mit einer Tabasco-Flasche in der Hand – lautete »Zorn with hot sauce«, und wie sich herausstellte, eignete sie sich erstklassig als Wurfgeschoss. Sie traf das Biest irgendwo am Bauch, und es japste erschrocken auf und sprang zurück auf alle viere. Dann schnappte es sich die Puppe und begann seelenruhig darauf herumzukauen.

Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Wutentbrannt stürzte Isla in den Garten und rannte wild gestikulierend und üble Flüche ausstoßend auf das Tier zu. Der Hund – bei näherer Betrachtung stellte sie fest, dass er noch ziemlich jung war – schien das aber besonders witzig zu finden. Er legte den Kopf schräg und wedelte heftig mit dem Schwanz. »Verschwinde sofort aus meinem Garten!«, rief Isla, während sie näher kam.

Der Hund ließ sich begeistert auf die Vorderbeine fallen und streckte das Hinterteil in die Luft, der puschelige Schwanz rotierte wie ein Propeller – die klassische Aufforderung zum Spielen. Isla hätte fast gelacht, weil es tatsächlich ziemlich drollig aussah, doch dann dachte sie wieder an ihr ruiniertes Beet. »Du sollst verschwinden, habe ich gesagt«, grollte sie und wollte nach der Puppe greifen. Aber der Hund schnappte sich blitzschnell seine Beute und flitzte aus dem Garten. Isla folgte ihm dicht auf den Fersen.

Die wilde Hatz endete abrupt vor einem der Cottages, die zum Bed & Breakfast gehörten. Na toll, dann war der Besitzer des Tieres auch noch ein Gast ihres Bruders – und womöglich ein potenzieller Besucher ihres Restaurants. Vermutlich sollte sie dringend ihr Temperament zügeln. Doch noch ehe sie sich auch nur einen halbwegs verbindlichen Satz zurechtlegen konnte, öffnete sich die Tür des Cottages, und heraus trat Mister Feder-Yuppie! Was zur Hölle?

»Sie?«, platzte es aus ihr heraus. In ihrem Kopf ratterte es wie verrückt. War der Typ am Ende ein Gast? Colleen hatte gestern nicht mehr Bescheid gegeben, sodass Isla angenommen hatte, der Mann mit dem aufreizenden Gang und dem grässlichen Auto sei tatsächlich nur auf der Durchreise gewesen und nicht etwa der neue Wirt des Pubs. Genau genommen hatte sie bis eben überhaupt keinen weiteren Gedanken mehr an ihn verschwendet.

»Ich«, entgegnete er trocken und lächelte sie an. »Schön, Sie wiederzusehen. Ich hoffe, der Karamell-Riegel hat das drohende Unglück abgewendet.«

Welches Unglück? Wovon sprach der Kerl bloß? Sie sah ihn verständnislos an.

»Nun, Sie sagten, es würde ein Unglück geben, wenn ich Ihnen die Schokolade nicht überlasse«, half er ihr auf die Sprünge.

Isla merkte, wie sie rot wurde. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen«, behauptete sie. Es war schließlich nicht besonders nett, sie auf ihren ziemlich peinlichen Auftritt in der Tankstelle hinzuweisen. Außerdem ging es jetzt um etwas ganz anderes, nämlich um den Akt der Zerstörung in ihrem Garten. »Aber wenn wir schon von Unglücken reden: Ist das Ihr Hund?« Sie deutete auf das wuschelige schwarze Tier, das sich neben den Mann gesetzt hatte und auf ihrem Küchenmaskottchen herumkaute.

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Ich fürchte ja. Hat Polly etwas angestellt?« Er betrachtete den Hund. »Polly, du bist ja total verdreckt. Was hast du gemacht? Und was hast du da für ein Spielzeug?« Er rang dem Welpen die Figur ab, die nun nicht nur voller Sabber, sondern auch von etlichen Bissspuren verunziert war. »Ich hoffe, das ist kein Familienerbstück«, sagte er halb amüsiert, halb bedauernd.

»Ehe ich darauf antworte, muss ich wissen, wer Sie sind«, entgegnete sie und hätte sich am liebsten direkt auf die Zunge gebissen, denn dieser Satz klang viel blöder, als sie es gemeint hatte. Aber sie konnte einen Gast ihres Bruders und potenziellen Restaurantbesucher nicht anbrüllen, auch wenn sie im Augenblick nichts lieber getan hätte. Oh Gott, was, wenn er ein Gastrotester war?

Prompt wurde aus seinem Lächeln ein extrem breites Grinsen. »Das müssen Sie mir ein bisschen genauer erklären. Inwieweit hat Ihre Antwort etwas mit meiner Identität zu tun? Das impliziert ja, dass es mehrere Wahrheiten geben könnte.«

Ein Klugscheißer war er also auch noch! »Nein, es gibt nur eine Wahrheit, aber bei der Präsentation kommen mehrere Eskalationsstufen infrage«, fauchte sie. Jetzt war es ihr auch egal, dass er ein zahlender Gast ihres Bruders war und ein möglicher Restauranttester – es ging schließlich wirklich nur um eine Tatsache, und die wollte sie auch nicht länger schönreden. »Ihr Hund hat vorhin das Exotenbeet in meinem Küchengarten verwüstet, und um ihn zu verscheuchen, habe ich die Puppe nach ihm geworfen. Die natürlich kein Erbstück ist, sondern nur … Ach, vergessen Sie’s!« Sie riss ihm die Figur aus der Hand.

»Also, nicht dass ich es gutheiße, wenn fremde Menschen meinen Hund mit Gegenständen bewerfen, aber es tut mir aufrichtig leid, dass Polly Ihr Beet zerstört hat. Ich werde selbstverständlich für den Schaden aufkommen. Ich bin übrigens Jon Grant. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Isla. Isla Fraser«, entgegnete sie knapp. Sollte ihr der Name Jon Grant irgendetwas sagen?

Er schien jedenfalls zu wissen, wer sie war, denn seine Miene hellte sich noch weiter auf. Wenn er nicht aufpasste, würde er bald zu leuchten anfangen. Seine dunkelbraunen Augen strahlten mit der Sonne um die Wette und funkelten vergnügt. »Isla Fraser? Dann sind Sie die Besitzerin von The Scottish Thistle?«, rief er höchst erfreut. »Das ist ja toll! Ich habe gerade den Pub gekauft. Dann sind wir ja praktisch Kollegen.«

Kollegen? Tickte er noch richtig? Wie konnte er ihr Sternerestaurant mit einem Dorfpub gleichsetzen? Sie schüttelte ungläubig den Kopf, verkniff es sich aber, diesen Gedanken auszusprechen. »Wie auch immer«, brummte sie. Dann zuckte sie zusammen und sah panisch auf ihre Uhr. Gerade war ihr die Bestellung wieder eingefallen. »Verdammt, wenn ich nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten meine Bestellung abschicke, kann ich meinen Gästen morgen auch nur Fish and Chips und Haggis vorsetzen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte sie zurück zu ihrem Restaurant.

• • •

Jon blieb kopfschüttelnd in der Tür seines Cottages stehen und schaute der rothaarigen Furie hinterher. Das war ja nicht ganz so super gelaufen. Er hatte vorhin mit einigen der Handwerker telefoniert, die ihm Collum gestern empfohlen hatte. Polly musste die offene Terrassentür ausgenutzt haben, um auf eine kleine Erkundungstour zu gehen. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sein Hund verschwunden war, bis er, alarmiert durch das aufgeregte Geschrei von Isla Fraser, ans Fenster getreten war und den jungen Neufundländer in vollem Galopp auf sein Cottage hatte zurennen sehen – dicht gefolgt von der Sterneköchin.

»Was hast du dir denn da für eine Schote geleistet?«, schimpfte er leise mit dem Tier, das aber kein bisschen schuldbewusst wirkte, sondern einfach nur unglaublich niedlich war. Er setzte sich auf die Stufe vor der Tür, und Polly kletterte auf seinen Schoß und rieb ihre erdverkrustete Schnauze an seinem Bauch. Dann drehte sie sich zweimal um die eigene Achse und rollte sich zufrieden zusammen. »Lange wird das nicht mehr klappen, Schätzchen«, sagte und kraulte ihr den weichen Kopf. Mit ihren knapp vier Monaten wog sie schon fast zwanzig Kilo und war gar nicht mal mehr so handlich. Ausgewachsen würde sie es bestimmt locker auf fünfundfünfzig Kilo bringen – das hatte ihm zumindest der Tierarzt in Edinburgh prophezeit, bei dem er kurz vor seiner Abreise noch mit Polly gewesen war.

Vielleicht sollte er langsam mal anfangen, sie an ein sozialverträgliches Verhalten zu gewöhnen? Daran, dass es nicht okay war, einfach abzuhauen und die Gärten anderer Menschen umzugraben? Dass es ebenso wenig okay war, fremdes Mobiliar anzuknabbern – auch kein eigenes und auch keine Ledersitze im Auto? Dass es zwar aktuell noch niedlich war, aber sicher bald sehr unpraktisch sein würde, dass sie am liebsten auf seinem Schoß saß? Dass sie sich komplett rasseuntypisch verhielt, wenn sie nachts in seinem Bett schlief? Laut Tierarzt sollte ihr das viel zu warm sein, aber Polly sah das anders. Jon seufzte. Ein Problem nach dem anderen. Es stand nicht zu befürchten, dass irgendeine Frau in nächster Zeit Pollys Platz im Bett einnehmen wollte, und wichtiger als die Erziehung dieses Hundes war die Renovierung seines Pubs.

Colleen hatte ihn gestern wirklich sehr herzlich im Bed & Breakfast willkommen geheißen, und Alex Fraser, ihr Verlobter und der Besitzer von The Cosy Thistle, hatte ihm einen guten Preis für die Dauermiete des Cottages gemacht. Aber die Zeit war begrenzt. Er konnte maximal fünf Wochen bleiben, denn danach begann allmählich die Saison, und alle Häuschen waren ausgebucht. In spätestens fünf Wochen also sollte zumindest seine Wohnung so weit hergerichtet sein, dass er darin leben konnte. Idealerweise wäre der Rest dann auch schon fertig.

Jon musste zugeben, dass er etwas blauäugig an die ganze Geschichte herangegangen war. Vor seinem inneren Auge hatten sich zwar problemlos Bilder davon eingestellt, wie er hinter dem polierten Tresen stand und für seine zahlreichen Besucher Bier zapfte oder Whisky eingoss. Ja, er hatte sich sogar ausgemalt, wie er in der Küche höchstpersönlich Fischfilets briet und Pommes frittierte. Den Weg dorthin hatte er allerdings großzügig ignoriert. Aber war das in der Werbeagentur nicht auch sein Job gewesen? Visionär zu sein? Für Kunden Szenarien zu entwerfen, die erst nach vielen Zwischenschritten Realität wurden? Er hatte eine absolut präzise Vorstellung davon, wie die Eröffnungsparty ablaufen sollte, und spürte regelrecht, wie es sich anfühlen würde, seine Übernachtungsgäste zum Frühstück zu begrüßen. Nur hatte er nicht die leiseste Ahnung, wie aus der Bruchbude, die er gestern gesehen hatte, ein einladender Pub mit Fremdenzimmern und einer gemütlichen Wohnung für ihn werden sollte.

Für morgen Vormittag hatte er einen Termin mit einem Bauunternehmer aus dem Nachbarort vereinbart, der auf die Sanierung der historischen Gebäude in der Region spezialisiert war, aber bis dahin brauchte er eine Strategie. Und einen neuen Namen. The Scary Hound war endgültig Geschichte. Jon nahm die schlafende Polly auf den Arm, stand auf und betrat das Cottage. Dort legte er das flauschige schwarze Riesenknäuel auf das bislang weitgehend ignorierte Hundebett und öffnete sein Laptop. Kurz überlegte er, ob er seine Schwester Carla anrufen sollte. Sie war spitzenmäßig darin, sich irgendwelche Produktnamen auszudenken, und hätte bestimmt ruckzuck eine Handvoll cooler Vorschläge für ihn. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Seine Familie hatte sich nämlich kaum eingekriegt vor Lachen, als er von seinen neuen Plänen erzählt hatte. Ein Pub in den Highlands überstieg die Vorstellungskraft der kreativen Familie Grant. Nun ja, er würde es ihnen schon zeigen.

Als er klein gewesen war, hatte er mal ein Buch gelesen, in dem ein Pub mit dem Namen The Fierce Badger vorkam. Ein grimmiger Dachs war ihm damals als das ultimative coole Wappentier für eine Kneipe erschienen, und in der Rückschau war es wohl diese Geschichte, die die Saat für seinen heimlichen Berufswunsch gelegt hatte. Er grinste. Ein Tier würde es wohl werden, aber weder ein Gruselköter noch ein schlecht gelaunter Dachs. Es sollte positiv und einladend klingen, aber auch abgedreht genug, dass die Leute darüber sprachen.

Jon grübelte ein Weilchen über betrunkene Einhörner und verrückte Eichhörnchen nach, bis ihn wie aus dem Nichts ein Geistesblitz traf: Der perfekte Name für seinen Pub hatte sich in seinem Kopf eingenistet! Wie so oft bewahrheitete sich auch in diesem Fall die alte Weisheit, dass selbst der längste und schwierigste Weg mit einem ersten Schritt beginnt. Der Name war gefunden, und erfreulicherweise hatte er auch gleich ein paar Ideen für die optische Umsetzung im Gepäck. Jon klickte die Website mit dem »Kneipennamen-Generator« weg. Die hatte er nicht gebraucht. Stattdessen suchte er nun nach einem Schildermaler in der Umgebung, denn ein standesgemäßes Signet musste sein. Und je eher er das Design dazu hatte, desto schneller konnte er auch mit der Website und dem Social-Media-Auftritt beginnen. Der Werbeprofi in ihm meldete sich ebenfalls zu Wort und flüsterte ihm ein, den neuen Namen auch gleich als Marke zu sichern. Man könne schließlich nie wissen …

Tatsächlich gab es in Inverness einen Schildermaler, der sich am Telefon sogar zu einem spontanen Treffen in einer Stunde überreden ließ. Das passte insofern gut, als Jon ohnehin noch ein paar Dinge in der Stadt besorgen wollte – für den nächsten und den übernächsten Schritt auf seinem Weg zum Highland-Kneipenglück.

»So, Madame, jetzt müssen wir uns nur noch bei Ms. Fraser entschuldigen!«, kündigte Jon, an seinen Hund gewandt, am nächsten Tag an. Er hatte gerade drei Stunden mit dem Bauunternehmer verbracht. Gemeinsam waren sie durch das ganze Haus gegangen und hatten festgelegt, was alles gerichtet werden musste. Robert »Bob« Robertson war so gründlich, wie Collum ihn beschrieben hatte, und Jon fühlte sich nun ziemlich zuversichtlich, dass sein Gemäuer tatsächlich zu retten war und einem erfolgreichen Gastbetrieb nichts im Wege stand. Auch der Zeitplan schien zu klappen – was an ein mittleres Wunder grenzte. Das war ihm erst so richtig bewusst geworden, als Bob die unterschiedlichsten Aufgaben aufgezählt hatte, die erledigt werden mussten und für die er kurzfristig Handwerker aller Branchen organisieren konnte. Manchmal ist Ignoranz auch ein Vorteil, dachte Jon und beschloss, einfach mit dem Flow zu gehen.

Der hatte schon gestern in Inverness begonnen, der Termin mit Killian Craigsmuir war nämlich extrem produktiv verlaufen. Der junge Schildermaler, der die Werkstatt erst vor Kurzem von seinem Onkel übernommen hatte, hatte Jon verschiedenste Muster seiner Arbeit gezeigt. Darunter waren traditionelle Schilder, wie sie schon seit Jahrhunderten für britische Gasthäuser verwendet wurden, und ganz moderne. Jon fand sie alle ziemlich cool. Obwohl er grundsätzlich ein großer Freund zeitgemäßer Gestaltung war, hatte er sich letztlich für ein handbemaltes Metallschild im altehrwürdigen Stil entschieden statt für die LED-beleuchtete Plexiglas-Variante, die ebenfalls in der engeren Auswahl gewesen war. Mit schneller, sicherer Hand hatte Killian ein paar erste Skizzen angefertigt, und gemeinsam hatten sie sich auf ein Farbschema auf Basis der Grün- und Blautöne des historischen Grant-Jagd-Tartans festgelegt.

Dass es nun eine Farbskala gab, hatte vorhin auch die Besprechung mit Bob beschleunigt, denn so musste sich Jon keine Gedanken mehr über Grund- und Akzentfarben machen. Kurz entschlossen hatte er nach dem Termin mit Killian auch noch den Traditionsladen Highland House of Fraser