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Eine heitere Geschichte aus dem bayerischen Voralpenland Nach Jahren in den aufregendsten Metropolen der Welt kehrt die Karrierefrau Bettina Rehrl ungewollt in ihr oberbayerisches Heimatdorf zurück, das sie vor Jahren fluchtartig verlassen hat. Nun soll sie ihr Elternhaus erben. Für sie steht fest, dass sie es umgehend verkaufen will, da sie nichts mehr mit dem Ort und mit ihrer Vergangenheit zu tun haben will. Doch wenn die Rückkehr in ihre alten Heimat nicht genug wäre, um alte Wunden wieder aufzureißen, trifft sie auch noch ihre Jugendliebe Felix wieder. Werden die Eisberge in ihrem Herzen schmelzen? Eine bewegende und zugleich heitere Geschichte über Zugehörigkeit und innige Liebe. Der Roman war kurze Zeit unter dem Titel "Bei Dir" erhältlich!!!
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Annabelle Benn
Himmelblau und rosarot
Eine zweite Chance für die Liebe
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- gekürzte Vorschau -
Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhalt
1 Rückkehr
2 Wiedersehen
Impressum tolino
Bei der vorliegenden Novelle handelt es sich um eine vollständige Überarbeitung des im August 2015 erschienenen Titels "Himmelblau und rosarot".
Vorbemerkung
Blumenau und Rennen sind zwei fiktive Orte im Berchtesgadener Land, zwischen Schönram und Oberndorf bei Salzburg und zwischen Kirchanschöring und Freilassing. Da alle Personen und Handlungen frei erfunden sind, bietet es sich an, auch die Ortsnamen zu verfremden.
Es war warm, still und dunkel. Die Scheinwerfer des Taxis entfernten sich und verschwanden schließlich hinter der Kurve. In weiter Ferne leuchteten am Himmel der Mond und noch weiter weg die Sterne, und sogar die sahen hier anders aus.
Erschöpft zog Bettina ihren Koffer die leicht ansteigende Auffahrt zu dem großen, alleinstehenden Haus am Rosenweg 3 hinauf. Laut ratterte er über die Pflasterfugen, ansonsten war nach wie vor nichts zu hören. Sie blieb stehen. Es war, als nähme die Stille einen eigenen Klang an. Schließlich machte sie den nächsten Schritt Richtung Haustür. Da sprang der Bewegungsmelder an, durchbrach den Zauber der Dunkelheit und gab den Blick frei auf ihr früheres Zuhause. Nun sah sie die zahlreichen Blumentöpfe, in denen blaue, weiße und rosarote Hortensien in ihrer ganzen Pracht blühten, um die sich nach Omas Tod jemand gekümmert haben musste. Wahrscheinlich Tante Toni, vermutete Bettina. Denn sie war es auch, die ihr per Email von dem Nachhausegang ihrer Mutter berichtet und sie gebeten hatte, kurz heimzukommen. Außerdem hatte sie ihr geschrieben, dass unter einem dieser Töpfe mit einer blauen Blume der Schlüssel liegen sollte. Das ist bestimmt der Schlüssel meiner Oma, dachte sie, denn ihren eigenen hatte sie vor fünfzehn Jahren mit dem Schwur, nie wieder hierher zu kommen, in die Isar geworfen. Ein Schwur, den sie nun gebrochen hatte, weil es die Umstände erforderten.
Zwar hatte die Tante darauf bestanden, bis zu Bettinas Ankunft aufzubleiben, doch die Nichte hatte sich vehement dagegen gesträubt und schließlich gewonnen.
Leider waren die Blumen frisch gegossen. Die Töpfe waren schwer wie Elefantenfüße und Bettina brauchte all ihre Kraft zum Anheben. Sie war sportlich und gut trainiert, aber nach der über 32-stündigen Reise war sie am Rande der Erschöpfung. Doch das Glück war ihr hold, denn schon unter dem zweiten Topf mit blauen Blüten fand sie den Schlüssel. Als sie ihn in der Hand hielt, schluckte sie schwer, doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Wo sollte sie schließlich um diese Uhrzeit hin! Und nur weil viele Menschen an Geister glaubten, hieß das nicht, dass es sie gab, dass sie in diesem Haus spukten und dass sie, Bettina, ihnen nichts entgegenzusetzen hätte. Dennoch war ihr unheimlich zumute, denn soweit sie wusste, stand das Haus seit dem Unglück leer. Seit dem Tag, an dem ihre gewohnte Welt endgültig in unzählige Stücke und Splitter zerbrach und niemand die Kraft, Zeit, Geduld oder Liebe hatte, um sie wieder zusammenzusetzen. Nun ja … bis auf die Oma, aber auf die hatte niemand mehr gehört. Und jetzt war es zu spät; auch zum Darüber-nachdenken und Darüber-traurig-sein. Und es war spät in der Nacht.
Sie würde den Schlüssel ins Schloss stecken, ihn umdrehen und das Haus betreten.
Hoffentlich roch es nicht modrig! Und war nicht alles von einer dicken Staubschicht bedeckt. Vielleicht hatte die Oma jahrelang einen so großen Bogen darum gemacht, wie sie es vo Zuhaus aus nur konnte.
Noch immer ließ etwas Bettina zögern.
Der Bewegungsmelder ging wieder aus und alles war wieder in silbriges Licht getaucht. Wie von Geisterhand geführt schaute sie langsam nach rechts, obwohl sie innerlich dagegen ankämpfte. Ein Schauer lief über ihren Rücken und ließ sie erst frösteln, bevor sie schwitzte.
Schnell sah sie wieder zu der massiven Eichentür, öffnete sie und trat in den Flur, der das große, bei Tageslicht helle, Haus von der angrenzenden Garage trennte. Andernorts hätte man es vielleicht als Villa bezeichnet, hier jedoch war es einfach ein großes Haus mit Garten. Sie schnupperte. Es roch herrlich frisch und rein nach Lavendel, ganz und gar nicht muffig. Ohne nachdenken zu müssen, streckte sie die Hand nach links, schaltete das Licht an und erschrak. An einem Haken hing noch immer Cäsars Hundeleine, der, wie als Auftakt zur richtigen Tragödie, am Tag vor der Festnahme ihres Vaters eingeschläfert werden musste.
Mit einem wehmütigen Seufzen sperrte sie die Tür zum Wohnbereich auf, ließ ihren Rollkoffer los und die schwere Ledertasche von ihrer Schulter gleiten. Sie ließ alles dort stehen und liegen, holte nur ihren Kulturbeutel, Pyjama und handgroßen Teddy heraus. Dann machte sie sich, ohne das Licht anzuschalten, auf den Weg in den ersten Stock, wo sich ihr Mädchenzimmer befand. Sie wusste, dass im Treppenhaus noch die Fotos und Bilder aus der anderen, heilen Zeit hingen. Früh genug würde sie sie bei Tageslicht sehen; jetzt genügten die Umrisse des Mondlichts, um sie gegen die Tränen ankämpfen zu lassen.
Entschlossen ging sie daran vorbei. Doch sie konnte den Erinnerungen nicht entkommen; nirgends, nicht solange sie hier war. Nicht im Badezimmer, in dem frische Handtücher und ein neues Stück nach Rosen duftender Schafseife für sie bereit lagen. So, als hätte das Haus nur auf ihre Rückkehr gewartet.
Ein müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Wasserhahn aufdrehte. Auch daran musste die gute Tante Toni gedacht haben, denn das Wasser lief sofort klar. Man kann das hier trinken, dachte sie.. Zumindest theoretisch; wenn die Leitungen nicht so alt wären. Wann hatte sie zuletzt an einem Ort gelebt, wo das möglich war?
Der Wasserhahn war mit rotem Kunststoff überzogen. Sie ließ ihre Finger über die Unterseite gleiten. Ihr Lächeln wurde für einen Moment triumphierend, als sie über das verschmorte Plastik glitten, so, als wolle sie sagen: „Wusste ich’s doch“, bevor sie die Mundwinkel hängen ließ. Diese Narbe war ihre Narbe. Hier hatte sie in ihrem Jähzorn einen Brief verbrannt und die hoch aufsteigenden Flammen panisch mit Wasser gelöscht. Stumme Worte auf Papier waren das gewesen, die ihr Herz viel zu spät erreichten und die doch seine Liebe zu ihr erklären sollten und sie um Geduld baten. Der Brief war die Verheißung einer gemeinsamen Zukunft in Freiheit, die niemals eintrat.
Unweigerlich wanderte ihr Blick wieder nach rechts, zu dem Bauernhof, den sie von hier zwar nicht sehen konnte, von dem sie aber wusste, dass er da war. Nein, jetzt nicht daran denken! Nicht jetzt und nie mehr. Man musste die Vergangenheit ruhen lassen, sonst fand man selbst keine Ruhe.
Sie wusch sich und schleppte sich in ihr altes Mädchenzimmer. Sie erstarrte. An den Wänden hingen noch immer Poster von U2, Guns’n’Roses und River Phoenix. Helden ihrer Jugend. River Phoenix war inzwischen tot, U2 machten mittlerweile grässliche Musik und G’n’R waren zwar Kult, aber wohl nicht mehr richtig am Leben. Unter Axl Roses Hinterteil-in-Radlerhose konnte sie beim besten Willen nicht schlafen und so riss sie kurzerhand die verblichenen, vergilbten und welligen Bilder von der Wand. Dann fiel sie erschöpft in ihr Bett. Dort erwartete sie jedoch schon das nächste Relikt der 90er-Jahre: Eine Zudecke, auf der hinter einem Palmenstrand blutrot die Sonne im Meer unterging. Doch das war egal, denn sie duftete herrlich nach Tannen. Beim Einschlafen dachte sie noch, dass beides so wenig zusammenpasste wie sie hierher.
Als Bettina am nächsten Morgen erwachte, tastete sie automatisch links nach dem Lichtschalter, fand ihn jedoch nicht. Verwundert und ein wenig verärgert richtete sie sich auf. Wo war sie? Warum war es so dunkel?
Da fiel es ihr wieder ein. Sie seufzte und ließ sich zurück ins Bett fallen, rollte zur anderen Seite und fand den Schalter der Nachttischlampe, auf deren Fuß ein Herz-Aufkleber glitzerte.
Sie war zu Hause, daheim, weil ihre Oma vor rund zwei Wochen gestorben war und sie in ihrem Testament erwähnt wurde. Nachdem das große Projekt zur Markteinführung eines Blutdrucksenkers vorgestern erfolgreich abgeschlossen worden war, war sie der Nachricht gefolgt und nach Deutschland geflogen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde nämlich sie das große Haus mitsamt den Ländereien erben. Für Bettina stand fest, dass sie nichts davon behalten, sondern sofort alles verkaufen würde. Mit dem Geld würde sie dann … oh, sie hatte viele Ideen und Wünsche! Auch sinnvoll anlegen und investieren war immer eine gute Option. Die Welt war groß und es gab viele reizende Orte, an denen sie Urlaub machen oder leben wollte. Der letzte, an dem sie leben wollte, war dieser hier.
Der Notartermin war für den nächsten Tag um 10:00 Uhr angesetzt. Manchmal tauchten leise Zweifel in ihr auf, wie viel sie tatsächlich erben würde und ob sie die Reise möglicherweise umsonst gemacht hätte.
Das käme einer mittleren Katastrophe gleich, denn sie verlor wegen der Angelegenheit mindestens eine ganze Arbeitswoche. Eine Woche, in der ihre Kollegen und Konkurrenten, denn das waren sie trotz all des Getues und Geredes von Teamwork, einen erheblichen Vorsprung erreichen konnten. Seit Jahren hatte sie deswegen keinen Urlaub genommen und von den Ländern, in denen sie bislang für ihre Firma gearbeitet hatte, hatte sie selten wenig mehr als ihren Arbeitsweg, die angesagten Locations und die wichtigsten Ausflugsziele gesehen.
Aber das störte sie nicht. Sie lebte, seitdem alles so war, wie es jetztwar, nur noch für die Arbeit und ihren beruflichen Erfolg. Darüber hatte sie wenigstens Kontrolle.
Also, los! Sie musste sich gleich in ihren geschäftlichen Email-Account einloggen und nachsehen, was es in der Arbeit Neues gab.
Entschlossen schwang sie die Beine aus dem Bett, öffnete die Fensterläden und blickte direkt auf den Kern-Bauernhof, in den sie nie einen Fuß gesetzt hatte und das, obwohl alle Dorfkinder in jedem Bauernhof und Haus ein- und ausgingen, wie es ihnen nur so passte. Nur nicht bei den Kerns, oder Kerneis. So nah und doch so fern, dachte sie wehmütig. Felix.
Sie wollte nicht an Felix denken.
Felix: Der, mit dem alles begann und alles endete.
In all den Jahren hatte sie ihn weitgehend aus ihrem Bewusstsein verdrängt. Doch jetzt und hier drohten alle Mauern einzustürzen. Wie es ihm wohl ging? Wo er jetzt wohl war? Sicher war auch er nicht hier auf dem Land geblieben. Nicht bei den Zielen und Träumen, die sie zusammen gehabt hatten. Bis sie ihn alleine ließ. Wovon hatte er dann geträumt? Ach, das war zu lange her. Wie jung und unerfahren sie damals waren! Ach, Felix …
Das helle, beinahe grelle Licht der Sonne, die schon hoch an einem fast wolkenlosen Himmel stand, blendete sie. Sie kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, riss sich los und vergaß die Emails.
Nach einer langen Dusche betrat sie zunächst die Südterrasse. Wie herrlich frisch es hier roch! Und wann hatte sie zuletzt so viel klares Sonnenlicht und so einen tiefblauen Himmel gesehen? Nicht in Shanghai, nicht in São Paulo und schon gar nicht in Mexiko Stadt, wo sie für ein großes Pharmaunternehmen jeweils vier Jahre lang tätig war. Zuletzt in München, wo sie in Höchstgeschwindigkeit studiert hatte. Aber schon damals hatte sie keine Zeit und keine Ruhe mehr gehabt, sich an der Natur oder generell an etwas Nicht-Materiellem zu erfreuen.
Sie ging in den Garten und bemerkte nicht, dass das Gras erst vor Kurzem gemäht worden war. Bienen und Schmetterlinge flogen fröhlich umher, ein paar Vöglein zwitscherten munter ihr Lied, am Nachbarhof krähte der Hahn und ein Schaf blökte. In der Ferne zog ein Mähdrescher seine Runden. Es roch nach Sommer. Nach Gras, nach Blumen, nach Erde. Tief sog sie den satten, würzigen Duft ein und schloss die Augen.
Wie früher … Wie damals, als noch alles gut und meine Welt noch heil war. Als wir noch eine Familie und Felix und ich zusammen waren …
Eine tiefe Traurigkeit breitete sich in ihr aus. Diese Leere kannte sie gut; sie störte sie nicht, denn sie war mit Arbeit, Verabredungen und den vielzähligen Unterhaltungsmöglichkeiten und Zerstreuungsangeboten der Metropolen leicht zu füllen. Oder zumindest zu bedecken. Meist zumindest. Man musste nur genügend tun und immer schön auf der Hut sein, dann wurde man von dem schwarzen Nichts in Ruhe gelassen.
Die Kirchturmglocke schlug. Auch dass sie das letzte Mal Glockengeläut gehört hatte, war lange her. Es klang schön und vertraut. Leise zählte sie mit. Hatte sie wirklich so lange geschlafen? Schon zwölf Uhr!
So hastig, als müsse sie dringend zu einem Termin, drehte sie sich um und ging in die große, helle Küche, deren Boden mattblau gefliest war. Die Möbel waren aus Eiche und die Geräte noch dieselben wie bei ihrem Auszug.
Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben, dachte sie und strich mit dem Zeigefinger nachdenklich über die braune automatische Orangenpresse.
In der Hoffnung, dass die gute Fee, die die Blumen gegossen und das Haus geputzt hatte, auch an ihr Frühstück gedacht hätte, öffnete sie den Kühlschrank. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, als sie ihre Hoffnung erfüllt sah. Tante Toni war wirklich fantastisch. Aber was war das? Der Kasten war zwar gut gefüllt, jedoch nur mit Milchprodukten, Eiern, Schinken, Wurst, Käse und Marmelade. Wer aß denn heutzutage noch so etwas? Kein Soja oder zumindest laktosefrei, nichts auf Magerstufe, kein glutenfreies Brot? Nicht dass sie Unverträglichkeiten oder Allergien hatte, aber man wusste ja nie, wie schädlich das normale Essen nicht letztendlich doch für einen war! Immerhin stand ein Schälchen mit frischen Himbeeren dabei; aber ob das reichen würde?
Ihr Magen knurrte laut bei dem Anblick der verbotenen Köstlichkeiten. Verboten war zwar verboten, aber sie ging nicht davon aus, dass in diesem verschlafenen Dorf inzwischen ein veganer Coffeeshop eröffnet hatte. So nahm sie einen blau verpackten Himbeerjoghurt auf Rahmstufe und die in einer unbeschrifteten Flasche abgefüllte Bauernmilch sowie die frischen Himbeeren und schaltete den uralten, aber funktionstüchtigen Kaffeevollautomaten ein. Während das braune Monstrum aufheizte, sah sie sich um. Erst da fiel ihr Blick auf einen ordentlich beschriebenen himmelblauen Zettel, der gegen eine Vase mit Wiesenblumen lehnte:
Liebe Betty,
willkommen daheim!
Ich hoffe, Du findest alles, was Du brauchst und fühlst Dich wohl.
Komm einfach vorbei, wenn Du ausgeschlafen hast und gefrühstückt hast.
Herzliche Grüße,
Deine Tante Toni
Die liebe Tante Toni … Bettina seufzte bei den Gedanken an die gute Seele. Was sie wohl von ihr dachte? Ob sie sie verstehen und ihr verzeihen könnte? Mit einem Mal schämte sie sich entsetzlich dafür, dass sie sich nie bei ihr oder sonst jemandem gemeldet hatte. Auch nicht bei der Oma. Doch dafür war es jetzt zu spät, und über verschüttete Milch sollte man nicht weinen. Das hatte ihre Oma selbst immer gesagt!
Sie stellte ihr Frühstück auf ein Tablett und setzte sich auf die große Terrasse, die von einem prächtigen Blumengarten umgeben war. Hinter dem Zaun verlief die kleine Straße, die zum Kern-Hof führte, und auf der anderen Seite der Straße begannen die Getreidefelder. Im Garten befand sich, jetzt von hohem Schilf umringt, auch ein kleiner Weiher, in den just ein Frosch mit einem lauten Platsch hüpfte.
Eine milde Brise wehte und über den Sommerhimmel flog leise ein Sportflugzeug. Die friedliche Ruhe legte sich um ihre Seele und ließ sie für einen Augenblick alle Anstrengung und Anspannung der vergangenen Jahre vergessen. Wie lange hatte sie keinen so tiefen Frieden mehr gespürt? Ihr war, als wäre sie keinen einzigen Tag und doch ein ganzes Leben fortgewesen. Alles war bis ins kleinste Detail vertraut und gleichzeitig so fremd.
Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle und ihre Augen wurden feucht. Schnell sprang sie auf und lief zum Weiher, um nachzusehen, ob noch Fische darin herumschwammen. Das taten sie, aber dabei musste sie erst recht an ihre Oma denken und wie sie zusammen die ersten zwei Goldfischerl in den Weiher geschüttet hatten. Der Plastikeimer war gelb-orange mit großen roten Blüten und hatte einen weißen gewellten Henkel. Eigenartig, welche Details man sich merkt. Warum nur hatte sie mit der Oma keinen Kontakt mehr gehabt? Sie kniff die Augen und Lippen zusammen und hielt die Luft an. Sie kannte die Antwort, und sich diese einzugestehen, war nicht leicht. Bequemlichkeit. Faulheit. Die Ausrede vor sich selbst, die Oma würde ihr Leben ohnehin nicht verstehen. Und vor allem: keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit.
Es war nicht nur Scham, oder das schlechte Gewissen, sondern Traurigkeit, die sie ergriff. Denn nun war es für immer zu spät. Nie mehr konnte sie ihre Oma in die Arme nehmen und an sich drücken. Nun war es zu spät, um all das zu sagen, was ihr insgeheim auf der Seele brannte. Zu spät für das Bitten um Verständnis und Verzeihung, zu spät, um sie jeden Sonntag anzurufen und sie wenigstens ein oder zwei Mal im Jahr zu besuchen.
Ein Auto kam näher. Es beschleunigte zunächst stark, bremste dann jedoch direkt vor dem Garten ab; wahrscheinlich, um sich zu vergewissern, dass von links nicht gerade ein Traktor des Weges kam, dachte Bettina. Neugierig drehte sie sich zu dem Ort des Geschehens. Zu ihrer Überraschung wurde der Motor abgestellt, die Tür aufgerissen und eine tiefe, warme Männerstimme rief: „Hallo?“
Ihr Herz setzte drei Schläge aus. Fassungslos starrte sie den beinahe zwei Meter großen Mann mit den braunen Locken und dem mitreißenden Lächeln, das bis zu seinen Augen reichte, an.
Felix.
Sein Haar war kürzer, sein Gesicht markanter, seine Stimme tiefer.
„Jaaaa?“ Ihre Stimme kratzte. Ihre Arme kribbelten, ihr Magen hob sich und ihr wurde schwindelig.
Felix.
„Betty?“
Betty? Wie lange hatte sie niemand mehr Betty genannt? Wie weich und melodisch das klang!
„Ja?“ Er trug ein hellblaues T-Shirt zu einer dunkelblauen Shorts. Seine Brust und seine Schultern waren ebenso kräftig wie seine Arme und Beine, auf denen feine goldblonde Haare im Sonnenlicht schimmerten.
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