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Gibt es ein Berufsrisiko für Hochzeitsplaner? Offenbar ja, muss Sarah Cox feststellen, nachdem sie ihren Verlobten Gavin mit einer Brautjungfer im Bett erwischt. Nun muss sie plötzlich allein die nächsten fünf Hochzeiten auf dem sommerlichen Château Bellevue ausrichten. Aber wie macht man das mit gebrochenem Herzen? Sie ahnt nicht, dass jemand ganz in ihrer Nähe nur darauf wartet, zu ihrem persönlichen Retter in der Not zu werden ...
Der perfekte Sommerroman mit französischem Charme, viel Herz und einer starken Heldin, die inmitten der Weinberge von Bordeaux ihre Zukunft findet.
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Seitenzahl: 281
Cover
Titel der Autorin bei beHEARTBEAT
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Zitat
1. Kapitel: Das Ende
2. Kapitel: Der Morgen nach der Nacht davor
3. Kapitel: Niamh & Keiran
4. Kapitel: Etwas Neues
5. Kapitel: Matthew & Hamish
6. Kapitel: Patti & Thorne
7. Kapitel: Etwas Blaues
8. Kapitel: Etwas Altes
9. Kapitel: Christa & Bill
10. Kapitel: Ein Antrag
11. Kapitel: Pippa & JOSH
12. Kapitel: Der Anfang
Danksagung (und eine kleine Bitte)
Hochzeitssommer
Der Duft des Sommerwindes
Gibt es ein Berufsrisiko für Hochzeitsplaner? Offenbar ja, muss Sarah Cox feststellen, nachdem sie ihren Verlobten Gavin mit einer Brautjungfer im Bett erwischt. Nun muss sie plötzlich allein die nächsten fünf Hochzeiten auf dem sommerlichen Château Bellevue ausrichten. Aber wie macht man das mit gebrochenem Herzen? Sie ahnt nicht, dass jemand ganz in ihrer Nähe nur darauf wartet, zu ihrem persönlichen Retter in der Not zu werden …
Der perfekte Sommerroman mit französischem Charme, viel Herz und einer starken Heldin, die inmitten der Weinberge von Bordeaux ihre Zukunft findet.
Die Bücher von Fiona Valpy, einer der meistverkauften Kindle-Autoren, wurden weltweit in ein Dutzend Sprachen übersetzt.
Fiona lebte sieben Jahre in Frankreich, nachdem sie 2007 aus Großbritannien hierher gezogen war. Ihre Liebe zu Land, Leuten und Geschichte hat Eingang in die Bücher gefunden, die sie geschrieben hat. Sie lässt sich vor allem in den Jahren des Zweiten Weltkriegs von den Geschichten starker Frauen inspirieren, und ihre sorgfältige historische Recherche bereichert ihr Schreiben mit einem anregenden Gefühl für Zeit und Ort.
Fiona lebt heute in Schottland, besucht aber regelmäßig Frankreich auf der Suche nach der Sonne.
Fiona Valpy
HochzeitsSOMMER
Roman
Aus dem britischen Englisch vonFreya Gehrke
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:Copyright © 2014 by Fiona ValpyTitel der englischen Originalausgabe: »The French for Always«Originalverlag: Bookouture
Für diese Ausgabe:Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Stefanie Kruschandl, HamburgCovergestaltung: © Julia Röck, Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © clodio/GettyImages; © Miiicha/GettyImages
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0896-8
be-ebooks.de
lesejury.de
Für Aline Wood,eine äußerst elegante und versierte Brautmutter,
Tanze, als würde niemand dir zusehen;Liebe, als wüsstest du nicht um den Schmerz.Sing, als könne niemand dich hören;Lebe, als seist du im Himmel auf Erden.
Vor gar nicht allzu langer Zeit in einem nicht so fernen Land stand ein ehrwürdiges Château auf der Kuppe eines Weinbergs, hoch über einem goldenen Fluss.
Es war eine heiße Sommernacht, und mit einem Seufzer der Erleichterung sank Sara aufs Bett und streckte die schmerzenden Beine über die glatte Kühle der Decke. In jeder Zelle ihres Körpers pochte die Müdigkeit. Sie griff zum Nachttisch, um den Wecker für morgen früh zu stellen – beziehungsweise heute früh; die Uhr zeigte bereits ein Uhr siebenundvierzig. Mittlerweile war sie seit – sie zählte es an den Fingern ab – über achtzehn Stunden mehr oder weniger ununterbrochen auf den Beinen, und in fünf Stunden würde es weitergehen.
Doch morgen würde es leichter werden, jetzt, da die Hochzeit selbst vorüber war. Sie musste nur noch den Sonntagsbrunch überstehen, für den aber größtenteils das Catering zuständig war, und dann würden langsam einige Gäste abreisen, wenn sie erst das Brautpaar in die Flitterwochen verabschiedet hatten. Brittany und Gary würden klappernd die Einfahrt hinab verschwinden, der Mietwagen vollgesprüht mit Rasierschaum und geschmückt mit Blechdosen und aufgeblasenen Kondomen, auf dem Weg zum Flughafen von Bordeaux für eine Woche an einem Strand in Thailand.
Die Hälfte ihrer ersten Saison auf Château Bellevue de Coulliac war geschafft, und langsam gewann Sara eine gewisse Sicherheit, was ihr neues Unternehmen betraf. Sie genoss es, Teil der Magie zu sein und Traumhochzeiten wahr werden zu lassen, hier in ihrem uralten steinernen Schloss auf einem Hügel über dem tiefen Tal der Dordogne. Es war wie aus dem Bilderbuch, ihr neues Leben hier in Frankreich mit Gavin, wie sie gemeinsam ihr Geschäft aufbauten und ihren Traum verwirklichten …
Aber woher kam dann dieses Gefühl zu ersticken, das sie in den ruhigeren Momenten überkam? Ein Gefühl, das sich noch dazu ständig zu steigern schien.
Es lag nicht nur an der drückenden Hitze und dem unablässigen Kreislauf von Ankunft, Hochzeit, Abreise und dann, direkt im Anschluss, Vorbereitungen für die nächste Veranstaltung. Wenn sie innehielt und nachdachte – was in den letzten hektischen Monaten zugegebenermaßen nicht besonders oft geschehen war –, beschlich sie der furchtbare, nagende Verdacht, einen riesigen Fehler begangen zu haben. Vielleicht den größten Fehler ihres Lebens, zumindest bis dato. Denn mit dem Umzug hierher hatte Sara alle Brücken hinter sich abgebrochen. Sie hatte ihre winzige Londoner Wohnung verkauft und sich von ihrem aufkeimenden Erfolg als selbstständige Landschaftsgärtnerin verabschiedet. Ohne einen Blick zurück war sie gegangen, die Augen fest auf das verführerische Versprechen einer sonnigen Zukunft in Frankreich gerichtet, auf das Eheleben mit Gavin, auf ein Zuhause, eine Familie …
Bisher hatte sie sich immer für vorsichtig und fähig gehalten. Doch diese Gewissheit wankte, und Zweifel fraßen sich wie Trockenfäule geradewegs in ihre Substanz und erschütterten ihr Selbstvertrauen. Es war eine impulsive Entscheidung gewesen, das sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich. Wer wusste, was für schreckliche Katastrophen sie noch anrichten würde in den Jahren, die ihr bevorstanden?
Es lag auch nicht am Arbeitsaufwand, obwohl das hier härter war als alles andere, was sie in ihrem Leben gemacht hatte – und als Landschaftsgärtnerin mit einem eigenen kleinen Unternehmen hatte sie schon vorher das ein oder andere über harte Arbeit gewusst. Tatsächlich hatte sie es herrlich gefunden, sich in die praktischen Aufgaben zu stürzen: der Wirbel von Aktivitäten um die Renovierung, Inneneinrichtung und Instandhaltung der Gebäude, das Anlegen und die Umgestaltung der Gärten, um atemberaubende Kulissen für Hochzeitsfotos zu schaffen, während sie zugleich ihre Website und den Marketingplan ins Rollen brachten. Der Stolz über das Erreichte war jede Mühe wert.
Und nichts hatte in all der Aufregung eine vollkommenere Konzentration garantiert als die unverrückbare, beängstigende, in Stein gemauerte Deadline der ersten Hochzeit der Saison, die im Terminkalender auf sie gewartet hatte.
Sie rief sich in Erinnerung, dass ihr Aufbruch in dieses Abenteuer – die Möglichkeit, mit dem Mann, den sie liebte, auf diesem wundervollen Fleckchen Erde gemeinsam etwas zu erschaffen – eine einmalige, berauschende, erfüllende Gelegenheit war. Und absolut Furcht einflößend, wäre Gavin nicht an ihrer Seite gewesen. In den teilweise entmutigenden Tagen jenes ersten kalten, feuchten Winters, als jede Pore ihrer Körper von Baustaub verstopft und ihre Hände mit Blasen übersät und vernarbt von der ungewohnten Arbeit gewesen waren, hatten sie einander unermüdlich unterstützt und ermuntert.
Doch während sie sich das in Erinnerung rief, hob Sara unbewusst eine Hand an ihre Kehle, wie um die erstickende Panik zu lindern, die sich dort festgesetzt zu haben schien.
Erst nach Beginn ihrer ersten Hochzeitssaison hatte sie bemerkt, dass Gavin offenbar sein Ego streicheln musste, indem er Hunderte kleine Dinge an ihr auszusetzen fand, ihre Anstrengungen kritisierte und ihre Entscheidungen widerrief. Anfangs war es ihr unbedeutend erschienen, doch mit der Zeit – und zwar schon seit ihrem Umzug hierher vor zwei Jahren – hatte er ihr Selbstwertgefühl ebenso subtil wie unerbittlich untergraben. Es war nichts Auffälliges, nichts, was sie hätte benennen können, doch Stück für Stück hatte Gavin die Führung übernommen und ihre Partnerschaft in eine Diktatur verwandelt. Er traf einseitige Entscheidungen, überging ihre Vorschläge, verwarf ihre Pläne.
Natürlich traf sie eine Mitschuld. Hätte sie ihm das nicht zu Beginn durchgehen lassen, aus Respekt vor seinem überlegenen Wissen über die Eventbranche, würde sie jetzt vielleicht nicht daliegen und sich fühlen, als wäre ihre Stimme ihr völlig abhandengekommen.
Denn genau so fühlte es sich an, wenn sie es ehrlich betrachtete: Als würde, sobald sie das Wort ergriff, niemand mehr zuhören. Mittlerweile war es leichter, sich im Hinblick auf das Château einfach Gavins Anordnungen zu fügen und ihre kreative Energie stattdessen in den Garten fließen zu lassen. Dem schleichenden Verdacht, das Fundament ihrer Beziehung sei womöglich nicht ganz so fest wie gedacht, ging sie sorgsam aus dem Weg.
Davon abgesehen hatten sie ohnehin die meiste Zeit über so viel zu tun, dass zum Nachdenken kein Raum blieb. Nur in diesen sehr seltenen, kostbaren Momenten des Alleinseins kam die alte, fähige, selbstsichere Sara wieder an die Oberfläche und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
Das Problem war nur, dass dieser Tage nur noch Sara selbst ihr zuhörte.
Vielleicht war es also besser so, dass sie meistens zu beschäftigt war, um diese panischen Gedanken überhaupt von der Leine zu lassen. Sie musste ihre Energie auf die Gäste verwenden und dafür sorgen, dass jede Hochzeit perfekt verlief. Jede der Veranstaltungen hatte ihren ganz eigenen Charakter, durchdrungen von den Persönlichkeiten der einzelnen Teilnehmer, und es bereitete Sara echte Freude zu sehen, wie jedes Paar den Geschehnissen seinen eigenen Stempel aufdrückte. Sie alle ließen ihr persönliches Märchen wahr werden.
Die heutige Hochzeit allerdings war ein besonders hartes Stück Arbeit gewesen. Die Mutter der Braut, Mrs Nolan, war eine Glucke, die nicht fähig war, Sara und Gavin in Ruhe ihre Aufgaben erledigen zu lassen. Ständig tauchte sie hinter Sara auf und ergänzte die ohnehin schon lange Liste von Sonderwünschen ihrer Tochter um weitere Anforderungen.
»Entschuldigen Sie bitte vielmals, aber haben Sie vielleicht etwas pinkes Schleifenband? Es ist so, Brittany will, dass Melanie ihre Bitsy mit durch den Mittelgang führt, aber wir haben nur die gelbe Leine dabei. Und Gelb würde sich ganz fürchterlich mit den Kleidern der Brautjungfern beißen. Nein, nicht so ein Blassrosa, eher in Richtung Cerise … Oh, nun ja, wenn das alles ist, was Sie haben, dann werden wir uns wohl damit abfinden müssen. Aber gefallen wird Brittany das nicht.« Letztendlich war es Sara doch noch gelungen, in einer Schublade voller Geschenkpapier ein Stück leuchtend pinkes Schleifenband auszugraben, und Brittanys persönliche Sonne war zumindest hinter dieser dräuenden schwarzen Wolke wieder hervorgetreten.
In der Kapelle hatte es einen nervenzerreißenden Augenblick gegeben, als der Trauzeugin Melanie der pinke Stoffstreifen aus der Hand gerutscht war, den sie am Paillettenhalsband von Brittanys handtaschengroßem Chihuahua Bitsy befestigt hatten. Der kleine Hund hatte die Flucht ergriffen und es beinahe durch die Tür nach draußen geschafft. Zum Glück war Gavin mit seinen schnellen Reflexen zur Stelle gewesen und hatte Bitsy zurück in die wartenden Arme von Melanie mit ihrem üppig zur Schau gestellten Dekolleté befördert, begleitet von einem leisen Murren: »Man sollte nie mit Kindern oder Tieren arbeiten …«
Mrs Nolan war nicht nur eine Glucke, sie war auch ein Plappermaul. Sara klingelten immer noch die Ohren von dem wahllosen Wortschwall, der sie über einen Großteil des Tages begleitet hatte. »Wir wollten natürlich nach Colchester, aber Brittany hat gesagt: ›Nein, Mum, das ist mein großer Tag, das muss an einem besonders exklusiven Ort sein.‹ Und mit einem Namen wie ihrem musste es natürlich Frankreich sein. Wir haben sie nach dem Ort benannt, an dem sie gezeugt wurde, wissen Sie.«
»Wie schön«, hatte Sara höflich geantwortet, die nur halb zugehört hatte, während sie Teller in den Geschirrspüler geräumt hatte. »Sie haben Brittany also nach der Region benannt.«
Verständnislos hatte Mrs Nolan sie angeblickt.
»Nein, Liebes – nach der Fährgesellschaft. Die erste Nacht unserer Flitterwochen, die Überfahrt von Portsmouth nach Santander, und dann sind wir für zwei Wochen runter an die Costa Blanca gefahren. Damals gab es noch nicht all diese Billigflüge, und das war natürlich, bevor Dereks Firma groß geworden ist, deshalb hatten wir nicht wirklich viel Geld übrig. Unsere kleine Prinzessin weiß gar nicht, was für ein Glück sie hat, dass sie in ihren Flitterwochen bis nach Bangkok und weiß Gott wohin fliegen kann.«
Dann hoffen wir lieber, dass ihr erstes Kind nicht ebenfalls in der ersten Nacht gezeugt wird, hatte Sara gedacht und war nach draußen gegangen, um die Floristin zu empfangen und die Blumenarrangements in der Kapelle zu überwachen, genau nach Mrs Nolans detaillierten Anweisungen.
Im Gegensatz zu seiner geschwätzigen Frau war Mr Nolan kein Mann vieler Worte. Er hatte in der Logistikbranche ein Vermögen gemacht, das seine Frau und seine Tochter nun nach Kräften verpulverten. Den Morgen hatte er in einem Liegestuhl im Schatten einer Zeder verbracht, mit der verzweifelten Miene eines Mannes, der dazu verdonnert worden war, für seine Tochter eine Hochzeitsansprache zu halten, während er viel lieber mit seinen Kumpels bei einem Bierchen in der Dorfkneipe gesessen hätte. Doch er hatte sich der Situation gewachsen gezeigt und eine liebevolle und witzige Ansprache gehalten. Nur ein einziges Mal hatte er auf das düstere Schicksal (bestehend aus einem verschlossenen Raum und einem Gewehr) angespielt, das Gary erwarten würde, sollte er sich nicht so um Brittany kümmern, wie sie es gewohnt war.
Sara streckte ihre schmerzenden Beine und ließ die Füße kreisen, in der Hoffnung, ihre Gelenke etwas zu lockern. Diese Hitze brachte sie noch um. Aber natürlich war das perfektes Hochzeitswetter, und auch das war es, wofür die Leute bezahlten, wenn sie sich für eine Hochzeit in einem französischen Château entschieden. Hier waren die Chancen auf einen wunderschönen Sonnentag einfach wesentlich größer als in England. Bei Temperaturen um die dreißig Grad zu arbeiten, war allerdings kräftezehrend.
Als sie vorletztes Jahr mit Gavin hierher gezogen war, hatten sie die Sonne bei jeder Gelegenheit gesucht. Die ungewohnte Empfindung von Wärme auf der Haut war purer Genuss gewesen, und sie hatten sich eine gesunde, strahlende Bräune zugelegt bei ihrem Projekt, das Château in die perfekte Hochzeitskulisse zu verwandeln. Die Begeisterung war groß gewesen: Wer hätte je gedacht, dass sie sich diesen wunderschönen Ort leisten könnten? Doch sie hatten es geschafft, mit jedem Penny ihrer gesammelten Ersparnisse, Gavins Erbschaft und dem Geld aus dem Verkauf von Saras Wohnung – und harten Preisverhandlungen.
Wie Gavin schadenfroh angemerkt hatte, bot selbst eine weltweite Finanzkrise einigen Glücklichen erstklassige Gelegenheiten. Es war ein Käufermarkt, und der Eigentümer des Châteaus hatte es verzweifelt abstoßen wollen. Nachdem er die Hälfte der so dringend benötigten Renovierungsarbeiten durchgeführt hatte, war ihm klar geworden, dass er sich mit diesem Projekt übernommen hatte. Und so gehörte Château Bellevue de Coulliac nun auf wundersame Weise ihnen, und sie waren auf bestem Wege, hier draußen ein erfolgreiches Veranstaltungsunternehmen aufzubauen.
Und nächstes Jahr, zum Abschluss ihrer hoffentlich gelungenen zweiten Saison, würden sie ihre persönliche Märchenhochzeit in ihrem eigenen französischen Schloss feiern, umringt von einigen der besten Weinberge der Welt …
Eigentlich hätte Sara also übersprudeln sollen vor glückseliger Vorfreude, genau wie all die anderen Bräute, die sie diesen Sommer hatte kommen und gehen sehen. Doch stattdessen erfüllte sie diese düstere Vorahnung, dieses Gefühl, ungehört zu ersticken. Ganz zu schweigen von ihrer Sehnsucht nach körperlicher Zuneigung, die sich schmerzhaft in ihrem Brustkorb festgesetzt hatte.
Natürlich war es wenig überraschend, dass Gavin nicht mehr die Energie hatte, mit ihr zu schlafen – so hart und so lange, wie er arbeitete. In den Anfangstagen, berauscht vom Sonnenschein und der allumfassenden Abenteuerstimmung, hatte sie sich ihm näher gefühlt als je zuvor. Als wäre es ihr gelungen, den Schatten ihrer Vergangenheit davonzulaufen – ihrer unglücklichen Kindheit, den gescheiterten Beziehungen – und gemeinsam mit ihm in eine neue Welt zu entfliehen. Eine Welt, in der Liebe und Freude schlichte Geschenke waren, die einem in dieser atemberaubend schönen Kulisse Tag für Tag zuteilwurden. Sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie zuletzt so beieinandergelegen hatten. Wie seine sonnenwarme Haut sich auf ihrer angefühlt hatte, wie seine Arme, kräftig und tief gebräunt nach tagelanger Arbeit im Freien, sie hielten …
Vielleicht würde es wieder anders werden, wenn sie ihre erste Saison erfolgreich hinter sich gebracht hatten.
Sie setzte sich auf und begann, etwas Handcreme in ihre von der Arbeit rauen Hände einzumassieren. Vorsichtig schob sie ihren Verlobungsring hin und her, der in der Hitze etwas eng auf ihrem geschwollenen Finger saß. Dann schaltete sie die Nachttischlampe neben sich aus. Die auf Gavins Seite würde sie brennen lassen, bis er es auch endlich ins Cottage schaffte. Für die Dauer der Saison waren sie in dieses einfache kleine Steinhaus gezogen. Mit seinem beengten Schlafzimmer und dem dazugehörigen Wohn-Esszimmer samt Küchenzeile schmiegte es sich hinter dem Château an die Mauern des Gemüsegartens. Im Augenblick waren die Beete ein einziger Unkrautdschungel, der sich fest in den schweren, von der Sonne zementhart gebackenen Lehmboden krallte. Hier wuchs außer dem altehrwürdigen, flechtenüberzogenen Birnbaum in der Ecke und einigen Kräutern, die sie in einen alten Steintrog gepflanzt hatte, nichts Brauchbares. Doch im kommenden Winter plante Sara, sich an die Arbeit zu machen und einen richtigen kleinen potager anzulegen, mit Obstbäumen und ordentlichen Hochbeeten voller Gemüse, pünktlich zur nächsten Saison.
Während sie so dalag und darauf wartete, endlich einzuschlafen, schien die Hitze sie von allen Seiten zusammenzupressen. In der heißen Nachtluft hing ein schwefliger Hauch französischer Abwässer, eine Erinnerung daran, dass das Waschbecken im winzigen Bad des Cottages schon wieder verstopft war. Ihre oberste Priorität waren die Gästeunterkünfte gewesen, die schnellstmöglich perfekt instand gesetzt werden sollten. Ihr eigenes Sommerlager hatte daher warten müssen, und so gab es im Cottage nur das Nötigste. Morgen würde sie wieder mal die Verstopfung beseitigen müssen – eine weitere Aufgabe auf ihrer ohnehin schon langen Liste.
Die Disco in der Scheune, bei der Gavin den DJ gegeben hatte, war vor einer halben Stunde verstummt, also würde er hoffentlich bald zu ihr ins Bett kommen. Außer, er machte es sich mit einigen der hartgesotteneren Hochzeitsgäste gemütlich und blieb an einer weiteren Flasche Whiskey hängen. Das war schon ein paarmal passiert. Doch als Sara angemerkt hatte, ob das denn so klug sei – immerhin mussten sie am nächsten Morgen früh wieder raus und sich ihren Pflichten widmen –, hatte er nur gelacht. Er hatte ihr erklärt, sich unter die Gäste zu mischen sei ein unerlässlicher Teil des Geschäfts, gut für die Öffentlichkeitswirkung, das alles gehöre zu seinem Job. Morgen würde sie als Erste aufstehen, um den Frühstückstisch für eventuelle Frühaufsteher unter den Gästen zu decken. Gavin würde sie ein oder zwei kostbare zusätzliche Stunden Schlaf gönnen.
Mit einem leisen Seufzer der Erleichterung schloss Sara die Augen und schob die Beine auf eine kühlere Stelle des Baumwolllakens. Sie ließ die Müdigkeit aus ihrem Nacken und ihren Schultern hinabsickern, und langsam kamen ihre wirbelnden Gedanken zur Ruhe.
Doch dann seufzte sie gleich noch einmal, diesmal genervt, als jemand an die Tür des Cottages klopfte.
Sie atmete tief durch, hievte ihre schweren Beine wieder aus dem Bett und zog sich einen Morgenmantel über.
»Gav? Sara? Ich bin’s, Brittany.«
Sara öffnete die Tür und sah sich der Braut gegenüber, angetan mit einem knappen Negligé für die Hochzeitsnacht, aus pfirsichfarbenem Satin mit schwarzen Spitzenapplikationen. »Tut mir leid, dass ich so spät noch störe, aber ich hab gesehen, dass bei euch noch Licht brennt. Es ist wegen Bitsy. Sie musste mal Pipi machen, deshalb hab ich sie kurz rausgebracht, aber jetzt ist sie weggelaufen. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist, das macht sie zu Hause nie. Könnte Gavin mir vielleicht helfen, sie zu suchen?«
»Er ist noch nicht wieder hier, wahrscheinlich räumt er noch in der Scheune auf. Na komm, ich helfe dir bei der Suche. Keine Sorge, sie ist bestimmt nicht weit.« Sara holte eine Taschenlampe aus der Kommode und band sich den Gürtel ihres Morgenmantels (weiße Baumwolle, nicht annähernd so exotisch wie Brittanys Outfit) fest um die Taille.
Vorsichtig machten sie sich auf den Weg, den Pfad entlang und dann über die Wiese, während Sara mit der Lampe unter Büsche und Bäume leuchtete.
»Bitsy! Hier, Itsy-Bitsy!«, rief Brittany.
»Psst, ruf lieber leiser nach ihr.« Sara hielt einen Finger vor die Lippen. »Die meisten schlafen mittlerweile wahrscheinlich.«
Auf Zehenspitzen suchten sie weiter, bis sie unvermittelt ein leises Kläffen aus der Gegend des Swimmingpools hörten.
»Das ist sie!« Brittanys besorgte Miene verwandelte sich in einen freudigen Gesichtsausdruck.
»Na dann los, aber ganz leise jetzt. Wir wollen ja nicht, dass sie wieder wegläuft.«
Sie schlichen sich über den Schotterpfad, und sachte hob Sara den Riegel des Tors in der Absperrung rund um den Pool.
Doch als sie den Strahl der Taschenlampe über das Pflaster sandte, erstarrte sie vor Entsetzen. Sie blieb so abrupt stehen, dass Brittany von hinten gegen sie stieß. Denn auf einem der Liegestühle war ein Pärchen in einer äußerst intimen Position zu sehen, das gerade stoßend und keuchend zum Höhepunkt kam. Das Licht fing eine verlassene Champagnerflasche ein, die umgekippt dalag, die achtlos zerknüllte kirschrote Seide eines Brautjungfernkleids und dann Bitsys fröhlich glitzerndes Paillettenhalsband.
Der winzige Hund rammelte eifrig den Fuß des Mannes, der auf Melanie lag. Einen Fuß, der in einem markanten Sebago-Schuh steckte. Rosa, blaues und lavendelfarbenes Leder. Und weil er dieses Modell als seine Discotreter bezeichnete, wusste Sara sehr genau, dass der Schuh ihrem eigenen Verlobten gehörte – der nun plötzlich ihr Exverlobter war.
Was Etikette betraf, gab es nicht viel, was Sara nicht wusste. Über dieses Thema besaß sie einen ganzen Stapel Bücher. Sie wusste, wie man eine Hochzeitseinladung formulierte, wie man eine Sitzordnung erstellte, auf welcher Seite der Kirche man die Familie der Braut und auf welcher die des Bräutigams zu platzieren hatte. Sie wusste auch bei den kompliziertesten Gedecken, welches Besteck und welche Gläser zu verwenden waren, und sie wusste (nur für den Fall!), wie man einen Herzog oder eine Herzogin korrekt ansprach.
Aber was sahen die Anstandsregeln für die Betreuung eines Nach-Hochzeitsbrunchs vor, wenn man gerade seinen Verlobten dabei erwischt hatte, wie er eine der Brautjungfern vögelte? Sie hatte den Verdacht, dass die angemessene Verhaltensweise in dieser Situation nichts war, das sie in einem ihrer Bücher nachschlagen könnte.
Doch selbst Sara war klar, wie die oberste Regel in diesem Geschäft lautete: Die Show muss weitergehen. Heute waren nicht Gavin und sie wichtig, sondern nur, dass die Nolans bekamen, wofür sie bezahlt hatten, und dass Brittany und Gary freudestrahlend in die Flitterwochen geschickt wurden. Also goss sie sich mit zittriger Hand einen Kaffee ein und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
Albtraum! Albtraum! Albtraum! Sie presste beide Hände gegen die Schläfen und wusste genau, wie die Gestalt in diesem Gemälde »Der Schrei« von Munch sich fühlte.
Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie erneut, sich in den Griff zu kriegen. Sie musste die Flut der Gedanken aussperren, die in Wogen der Abscheu und Panik immer wieder über sie hereinbrach: die Bilder von Gavin und Melanie auf dem Liegestuhl letzte Nacht, bei denen ihr körperlich schlecht wurde; der weißglühende Zorn auf ihn, dass er sie in diese Situation gebracht hatte; die Erniedrigung – oh, die Erniedrigung! – und das schiere blinde Entsetzen bei der Frage, was das für ihre Zukunft, ihre Karriere, ihr Leben bedeutete … Eine Mischung aus Erschöpfung und koffeinbefeuertem Adrenalin ließ ihre Finger beben, als sie ihren Kaffeebecher umfasste und einen weiteren Schluck nahm.
Es kostete sie jedes Fünkchen ihrer verbliebenen Kraft, aber sie schob ihre Emotionen beiseite und versuchte, klar zu denken. Schließlich waren sie und Brittany die Einzigen, die Bescheid wussten (obwohl sie es höchstwahrscheinlich Gary erzählt hatte, der es dann seinen Kumpels berichten würde, prustend vor Lachen … Nein, schieb diesen Gedanken beiseite!), also war es wohl die beste Taktik, Ruhe zu bewahren und weiterzumachen, getreu dem bewährten britischen Motto Keep calm and carry on. Sie würde einfach hoch erhobenen Hauptes die Getränke für den Brunch abklären und danach mit dem Kaffee die Runde machen (während jeder im Raum sich ins Fäustchen lachte oder, womöglich noch schlimmer, sie bemitleidete …).
Verzweifelt ließ sie wieder den Kopf in die Hände sinken. Es war unmöglich. Das konnte sie nicht allein durchstehen. Es wurde Zeit, einen ihrer Rettungsanker zu werfen und eine Freundin anzurufen.
Sie griff nach dem Telefon und wählte. »Karen? Ja, ich bin’s. Hör mal, tut mir wirklich leid, dass ich dich zu so nachtschlafender Zeit anrufe. Ich weiß, heute ist dein freier Tag, aber ich habe mich gefragt, ob du mir vielleicht einen Riesengefallen tun könntest …«
»Hinsetzen. Trink was. Iss was. Und wenn du so weit bist, erzähl.« Nie war Sara dankbarer gewesen für Karens hemdsärmelige, unverblümte australische Sachlichkeit als in diesem Augenblick. Gehorsam zog sie sich auf der Terrasse vor dem Cottage einen Stuhl an den Tisch und nahm den Becher Tee in die Hände, den Karen vor sie hingestellt hatte.
»Entschuldige, könnte sein, dass ich erst mal heulen muss.« Sara fummelte nach einem Taschentuch und tupfte die Tränen fort, die plötzlich überzulaufen drohten. »Bitte sei nicht nett zu mir, sonst kann ich nicht wieder aufhören.«
Karen war fantastisch gewesen. Sie hatte keinerlei Erklärung verlangt, warum Sara sie zu einer so gottlosen Zeit an einem Sonntagmorgen anrief. Mittlerweile kannte sie ihre Chefin gut genug, um zu wissen, dass es ein echter Notfall sein musste, und man brauchte kein Genie zu sein, um zu erraten, dass es etwas mit Gavin zu tun hatte. Schätzungsweise war Karen schon längst klar gewesen, dass die Beziehung nicht mehr so idyllisch verlief, wie es den Anschein haben mochte. Eine Stunde später war sie da gewesen und hatte die Organisation des Brunchs übernommen. Und als Mrs Nolan verlangt hatte, mit Sara über den ungeklärten Verbleib der Transportschachtel für die restliche Hochzeitstorte zu sprechen, hatte Karen ihr bestimmt mitgeteilt: »Tut mir leid, Sara hat gerade ein paar Stunden Pause. Lassen Sie mich sehen, was ich auftreiben kann.«
Gavin war Sara komplett aus dem Weg gegangen, aber im Grunde war sie dafür dankbar. Es würde ein Showdown stattfinden müssen, aber es war unendlich viel besser, damit zu warten, bis die Gäste abgereist waren. Vorhin hatte sie ihn aus der Ferne gesehen, wie er den Pool gereinigt hatte (und vermutlich die Liegestühle wieder ordentlich hingestellt und die leere Champagnerflasche mit Dutzenden anderen in die Altglastonne gebracht). Ganz locker hatte er mit ein, zwei Gästen geplaudert, die gekommen waren, um sich eine erfrischende Runde im Wasser zu gönnen. Tatsächlich legte er eine ziemlich gute Show hin, scheinbar völlig unbekümmert, ob irgendjemand über seine nächtlichen Aktivitäten Bescheid wusste. Und als sie ihm so aus dem Küchenfenster zugesehen hatte, war die schreckliche Erkenntnis in Sara aufgekeimt, dass er in dieser Angelegenheit wahrscheinlich einige Übung besaß … Sein regelmäßiges Verschwinden nach den bisherigen Hochzeiten hatte womöglich mehr beinhaltet als bloß einen Schlummertrunk in der Scheune mit den letzten verbliebenen Gästen.
Dank Karen hatte Sara zwei ruhige Stunden gehabt, um zu versuchen zu begreifen, was geschehen war. Als sie hierhergezogen waren, hatte sie geglaubt, ihre Beziehung mit Gavin sei so solide wie der Gesteinssockel, auf den das Château gebaut war. Aber war sie das wirklich gewesen? Die leisen Zweifel in Saras Hinterkopf hatten sich zu einem ohrenbetäubenden Getöse verstärkt, während sie ihre Verlobung im Licht der schrecklichen Entdeckung von letzter Nacht betrachtete. Ein Licht, das so unvorteilhaft war wie die Spots in einer Topshop-Gemeinschaftsumkleide.
Sie und Gavin hatten sich gut ein Jahr gekannt, bevor sie den Schritt nach Frankreich gewagt hatten. Begegnet waren sie sich, als Sara ein Landschaftsbauprojekt auf dem Gelände einer imposanten Villa geplant hatte, in der seine Firma die Veranstaltung für eine Produkteinführung betreute. Ihr Geschäft kam gerade immer mehr in Gang, mit einer soliden Kundenbasis, deren elegante Londoner Gärten sie regelmäßig pflegte, und ab und an einem größeren Projekt obendrauf. Gavin hingegen spürte eine wachsende Frustration darüber, für andere Leute zu arbeiten. Außerdem fürchtete er, für seinen Job könnte bald die Stunde schlagen, da die Wirtschaftskrise zu greifen begann. Überall wurden die Veranstaltungsbudgets gekürzt, und die Londoner Unternehmen warfen nicht mehr so mit dem Geld um sich.
Er war derjenige, der es kaum erwarten konnte, aus der Stadt wegzukommen, und er überredete sie zu dem Umzug. Mit seinem Heiratsantrag zerstreute er auch die letzten Zweifel, die sie noch gehabt hatte, was die Entscheidung anging, ihr Unternehmen in diesem Stadium aufzugeben. (»Die Verlobungszeit wird wohl etwas länger sein müssen«, erklärte er, »aber dafür kannst du am Ende deine persönliche Hochzeit in dem Château feiern, das wir mit eigenen Händen erschaffen haben. Stell dir das mal vor!«) Und ihr Widerstand schmolz dahin.
Denn trotz der Tatsache, dass sie kurz zuvor »Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus« gelesen hatte – was höchst erhellend im Hinblick auf die grundsätzlich männliche Angewohnheit gewesen war, sich von Zeit zu Zeit in eine Höhle zurückzuziehen –, war ihr eins entgangen. Während der Satz »Lass uns heiraten« auf Venusianisch bedeutete: »Du bist die schönste Frau der Welt; ich will dich, ich brauche dich, ich will mein Leben mit dir verbringen«, hieß er auf Marsianisch grob übersetzt nichts anderes als: »Du scheinst ein Arbeitstier zu sein; ich will deine Wohnung, ich brauche dein Geld, für ein Jahr oder so bin ich dabei.«
Sie hatte geglaubt, diesmal jemanden gefunden zu haben, dem sie wirklich vertrauen konnte. Einen Mann, der anders war als diejenigen, denen sie bisher begegnet war. Einen, der sich nicht vor Verbindlichkeit fürchtete (diesem verbotensten aller Worte). Doch jetzt, im grellen Schein der französischen Sonne, das Bild der vergangenen Nacht unwiderruflich in ihr Gedächtnis gebrannt, gestand Sara sich widerstrebend ein, dass in ihrer Beziehung tatsächlich schon seit einiger Zeit nicht mehr alles in Ordnung gewesen war.
Hätten sie nicht die monumentale Ablenkung des Umzugs hierher gehabt, wären sie dann in London überhaupt zusammengeblieben? Ihr kam der unangenehme Verdacht, dass der Reiz des Neuen für Gavin bereits damals zu verfliegen begonnen hatte … Das war doch ein klassischer Beziehungsfehler, oder? Aber während andere in einer solchen Situation versuchten, die Beziehung durch paradoxe Maßnahmen wie Heirat oder Kinderkriegen zu kitten, hatte sie ihr gesamtes Erspartes in ein Furcht einflößendes Mammutprojekt in einem fremden Land gesteckt.
Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, so waghalsig zu handeln. Normalerweise war sie übervorsichtig, sowohl bei der Arbeit als auch in Beziehungen. Aber vielleicht, gestand sie sich zögernd ein, hatte auch ihr dreißigster Geburtstag sein Scherflein dazu beigetragen, dass sie den Sprung ins kalte Wasser mit Gavin gewagt hatte.
Und sie hatte sich immer danach gesehnt – mehr als nach allem anderen –, sich ein eigenes Zuhause aufzubauen. Eine ihrer lebhaftesten Kindheitserinnerungen war, wie sie am Schultor stand, lange nachdem die letzten Eltern ihre Kinder eingesammelt hatten. Während ein leichter Nieselregen einsetzte, wurde ihr klar, dass sie vergessen worden war. Nach der Scheidung ihrer Eltern waren immer noch alle dabei, sich an die neue Routine zu gewöhnen, und Sara wechselte zwischen den beiden Wohnungen hin und her, von denen sich für sie keine wie ein Zuhause anfühlte. Es war der erste Freitag nach den Ferien, und eigentlich hätte sie von ihrer Stiefmutter abgeholt werden sollen. Als Lissy also nicht auftauchte, beugte die elfjährige Sara sich hinunter, zog sich die Schulsocken hoch, warf sich die schwere Tasche voller Wochenend-Hausaufgaben über die Schulter und marschierte los.
Sie hatte kein Geld, und das Sekretariat war bereits geschlossen, sodass sie auch von dort nirgends anrufen konnte. Also lief sie durch die Straßen von Südlondon, den Kopf gegen die mit jeder Minute dicker und kälter werdenden Tropfen gesenkt. Unermüdlich stapfte sie voran, während ihre Tasche beinahe so schwer auf ihren Schultern lastete wie das Gefühl auf ihrem Herzen, durch die Löcher im Netz ihrer Familie gerutscht zu sein.
Sie duckte sich in einen Ladeneingang, um einer Rotte von Jungen auszuweichen, die laut und ungestüm die Freiheit des Freitagabends feierten. Busse rauschten an ihr vorbei und spritzten schlammiges Wasser aus dem Rinnstein auf ihre durchnässten Schuhe, hell erleuchtet in der Dämmerung. Noch einmal fasste sie in ihre Taschen, nur für den Fall, dass sich dort doch noch ein oder zwei wundersame Münzen verbargen, um den Fahrpreis zu bezahlen, obwohl sie bereits wusste, dass es hoffnungslos war. Unauffällig schlängelte sie sich zwischen anderen Passanten entlang, die zielgerichtet ihren Weg nach Hause verfolgten, wo es warm war und das Abendessen auf sie wartete und Menschen, denen sie gefehlt hatten.
Sicherheitshalber machte sie einen Abstecher zur neuen Wohnung ihrer Mutter, nur für den Fall, dass sie zu Hause war, auch wenn Sara heute nicht bei ihr eingeplant war. Leer hörte sie die Klingel durch die Wohnung hallen, blieb aber trotzdem ein paar Minuten stehen, tief in den Schutz des Türrahmens gedrückt. Mittlerweile regnete es in Strömen, und sie war nass bis auf die Haut. Auf ihren Wangen mischten sich warme Tränen in die kalten Regentropfen.
Als sie sich wieder auf den Weg machte, schmatzten ihre Schuhe mit jedem Schritt die Treppe hinab. Weiter ging es durch die Straßen, die letzten zwei Meilen unter dem Licht der Straßenlaternen bis zu dem Haus, in dem Dad jetzt mit Lissy und ihrer Tochter Hannah lebte, die noch im Kindergartenalter war. Und mit jedem Schritt schwor Sara sich, dass sie in der Schule hart arbeiten und sich so bald wie möglich eine Arbeit besorgen würde, damit sie sich ein eigenes Zuhause schaffen konnte und sich nie, nie mehr in einer solchen Situation wiederfinden musste.
Während ihres Marschs beschloss sie, dass sie einen Haustürschlüssel verlangen würde. Außerdem würde sie um ein Handy betteln und sich von ihrem Taschengeld einen Notgroschen für ein Busticket zurücklegen, den sie immer bei sich tragen würde. Ihre eiserne Entschlossenheit, unabhängig zu sein, und die Sehnsucht nach einem Zuhause, das nur ihr gehörte, rührten von jenem einen schrecklich einsamen Abend her.
Noch heute erinnerte sie sich an den Ausdruck des Schocks auf Lissys Gesicht, als sie schließlich die Tür geöffnet und Sara dort vorgefunden hatte, tropfnass und völlig verstört. »O Gott, das hab ich ja völlig vergessen. Ich sollte dich abholen. Sag deinem Dad nichts davon, ja? Er hat schon genug um die Ohren mit allem, was da auf der Arbeit gerade los ist, und dann stellt deine Mum sich auch noch so an wegen der Alimente. Geh nach oben und zieh dich um. Ich hole dir den Fön. Hannah, lass Sara in Frieden.« Mühsam hatte sie Hannahs pummelige Ärmchen von Sara gelöst, die mittlerweile äußerst ungelegen auf den Flurteppich tropfte. »Na komm, du musst noch dein Abendessen aufessen.«
»Lissy, könnte ich ab und zu Hannah für dich babysitten? So als bezahlten Nebenjob, meine ich?«