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Raine, seine Raine, mit einem Baby? Max kann es nicht fassen. Seit sie ihm vor Jahren den Laufpass gegeben hat, hat er doch alles versucht, um sie zu vergessen. Warum bringt ihn also der Gedanke, dass sie sich einem anderen Mann hingegeben hat, so auf die Palme?
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Seitenzahl: 207
IMPRESSUM
Ich kann dich einfach nicht vergessen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2014 by Jules Bennett Originaltitel: „Snowbound With a Billionaire“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA SAISONBand 23 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Mara Deters
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733739447
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Max Ford steuerte seinen Mietwagen vorsichtig durch den schmutzigen Schneematsch. Der war zwar jetzt im Februar völlig normal für Lenox, Massachusetts, aber doch ein ziemlicher Kulturschock nach den palmengesäumten Straßen, die er aus Los Angeles gewohnt war.
Er war seit Jahren nicht mehr in Lenox gewesen, und noch länger war es her, seit er das letzte Mal bei Schnee gefahren war. Er bremste den Wagen vorsichtig ab, und plötzlich wurde ihm klar, wie sehr er den Winter vermisst hatte. Es war etwas völlig anderes, eine Filmszene im Schnee zu drehen, als die schneebedeckte Landschaft in Ruhe zu genießen. Außerdem kam der Filmschnee meist aus Schneemaschinen und fiel nicht vom Himmel.
Max hatte eine sentimentale Schwäche für Lenox, schließlich war er hier aufgewachsen. Der Ort mochte klein sein, dafür waren die Bankkonten der Einwohner umso größer. Jahrzehntealte, stattliche Anwesen erstreckten sich entlang der beiden gewundenen Straßen, etliche davon wurden nur als Zweitwohnsitz genutzt.
Als Max um die letzte Kurve bog, sah er das Heck eines Autos aus dem Straßengraben ragen. Die Warnblinker waren an, die hintere Tür wurde aufgestoßen. Eine Frau stieg aus. Sie trug eine gestrickte Bommelmütze und hatte einen dicken Schal um Hals und Mund gewickelt.
Vorsichtig lenkte Max seinen Wagen an den Straßenrand und brachte ihn kurz vor dem anderen Fahrzeug zum Stehen. Er ließ den Motor laufen und trat in den eisigen Nachmittag hinaus. Verdammt, diese beißende Kälte gehörte definitiv nicht zu den Dingen, die er vermisste.
Da er direkt aus L. A. kam, waren seine Schuhe nicht unbedingt ideal für einen Schneespaziergang, aber sollte er die Frau da etwa einfach am Straßenrand stehen lassen? Klar, er hätte auch einfach weiterfahren und dann jemanden schicken können, schließlich war er so gut wie am Ziel, aber so war er nun mal nicht erzogen worden.
„Alles in Ordnung?“, rief er der Frau zu. „Ist Ihnen was passiert?“
Er war nicht sicher, ob sie ihn durch das Peitschen des Windes hindurch überhaupt hören konnte, aber dann drehte sie sich zu ihm um. Sie trug einen langen, bauschigen grauen Mantel. Max konnte nur ihre Augen sehen, aber das war genug. Diese Augen würde er überall wiedererkennen. Sie waren leuchtend smaragdgrün und konnten mit Leichtigkeit in das Herz eines Mannes dringen. Vor langer Zeit hatten sie mal seins durchbohrt.
„Raine?“
Sie hob eine behandschuhte Hand und schob ihren Schal nach unten. „Max, was um alles in der Welt machst du hier?“
Es war viel zu kalt für tiefergehende Diskussionen, daher wiederholte er nur seine Frage. „Alles in Ordnung?“
Sie schaute über die Schulter, dann wieder zu ihm. „Mir geht’s gut, aber das Auto steckt fest.“
„Ich kann dich mitnehmen. Wo willst du hin?“
„Ähm, ich kann auch einen Freund anrufen.“
Fast hätte er gelacht. Es konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein, jetzt deswegen ein Fass aufzumachen. Es war eisig, er hatte sie seit … egal, jedenfalls seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, und er wollte wirklich dringend zu seiner Mutter, die sich gerade von einer schweren Operation erholte.
„Steig einfach ein, ich bringe dich wohin du willst. Schnapp dir deine Sachen, und dann los.“
Raine zögerte, als überlege sie tatsächlich, ob es nicht besser wäre, noch ein bisschen hier im Schnee herumzustehen. Gut, zugegeben, sie waren nicht gerade liebevoll auseinandergegangen … Oder, genau genommen, sehr liebevoll und zärtlich. Erst nachdem er sie an jenem Tag verlassen hatte, musste irgendwas passiert sein, auch wenn er bis heute keine Ahnung hatte, was das gewesen sein könnte. Denn bei ihrer letzten Begegnung waren sie beide noch schwer verliebt gewesen und hatten Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet.
Sein Herz tat immer noch weh, wenn er daran dachte.
Aber jetzt war wahrhaftig nicht der richtige Moment, sich mit solchen Dingen zu befassen. Raine musste ins Warme, er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier draußen festsaß. Und sie musste den Pannenservice anrufen.
„Na gut“, gab sie nach. „Ich brauche aber noch ein paar Sachen.“
Sie beugte sich durch die hintere Wagentür und hob etwas vom Rücksitz. Dann drehte sie sich wieder zu ihm um, mit einer … Babytrage?
Wow. Damit hätte er nun wirklich nicht gerechnet. Nicht, dass er überhaupt damit gerechnet hätte, hier über sie zu stolpern, trotzdem …
„Halt das mal.“ Sie drückte ihm die Trage in die Arme. „Ich muss den Sockel abmontieren und dann in deinem Auto festmachen.“
Was um alles in der Welt war ein Sockel? Max packte den Griff der Trage und war verblüfft, wie schwer das Ding war. Das Baby konnte er nicht sehen, es war unter einer Art Decke verborgen, die in der Mitte eine Art Reißverschluss hatte, der bis obenhin zugezogen war. Keine schlechte Maßnahme bei dem eisigen Wind, dachte er.
Was ihn wirklich aus dem Konzept brachte, war die Tatsache, dass Raine ein Baby hatte. Sie musste verheiratet sein, denn sie war nicht der Typ, der sich vor der Ehe ein Kind anhängen ließ. Allein der Gedanke war wie ein Tritt in den Magen. Es schmerzte noch immer höllisch, sie sich mit einem anderen Mann vorzustellen. Wahrscheinlich nur deshalb, weil ihre Beziehung nie offiziell beendet worden war, redete er sich ein. Immer noch besser, als einzugestehen, dass er nach all den Jahren immer noch etwas für diese grünäugige Schönheit empfand.
Sie holte so etwas wie einen grauen Plastiktopf vom Rücksitz und ging damit zu seinem Wagen. Max nahm das als Aufforderung, ihr zu folgen. Er umklammerte die Trage mit beiden Händen, da er keinesfalls vorhatte, ein schlafendes Baby in den Schnee fallen zu lassen. Zumindest nahm er an, dass es sich um ein schlafendes Baby handelte. Aus dem Tragedings kam kein Laut.
Nachdem Raine den Sockel auf dem Rücksitz befestigt hatte, reichte Max ihr vorsichtig die Trage. Ein Klick, und das Baby war sicher im Warmen.
„Ich muss noch die Windeltasche holen und das Geschenk, das ich überbringen wollte. Steig schon mal ein. Ich bin gleich wieder da.“
Er trat ihr in den Weg. „Ich hole deine Sachen. Es ist eiskalt, und du warst länger draußen als ich. Hast du alles auf dem Vordersitz?“
Sie nickte. Sie sah so verflixt süß aus mit Schneeflocken an den Wimpern und ungeschminktem Gesicht … ganz so, wie er sie in Erinnerung hatte.
Bevor sie antworten konnte, drehte er sich um und marschierte leise fluchend zu ihrem Auto. Süß? Er fand sie jetzt süß? War er plötzlich fünf, oder was? Immerhin hatte er eine Vergangenheit mit dieser Frau, eine sehr intime, sehr intensive Vergangenheit. Allerdings konnte er zu seiner Entschuldigung ins Feld führen, dass er sie fast fünfzehn Jahre lang nicht gesehen hatte. Verständlich, dass da alte Gefühle wieder hochkochten. Das hieß jedoch nicht, dass er sich davon den Verstand vernebeln ließ.
Er riss ihre Beifahrertür auf, schnappte sich die pinkfarbene Windeltasche und eine kleine geblümte Geschenktüte. Wer zum Teufel überbrachte Geschenke, wenn alle Straßen vereist waren? Und dann noch mit einem Baby im Schlepptau?
Max setzte sich wieder ans Steuer seines Mietwagens und drehte die Heizung so hoch es ging. „Wohin willst du?“
„Äh … ich war auf dem Weg zu deiner Mutter.“
Max drehte sich ruckartig zu ihr. „Meine Mutter?“
Raine sah nur flüchtig in seine Richtung, um sich sofort wieder ganz auf die Straße zu konzentrieren, was ja eigentlich seine Aufgabe war.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du heute hier bist, ich schwöre“, sagte sie hastig. „Ich meine, ich wusste, dass du irgendwann kommst, aber nicht, wann. Wenn es dir lieber ist, dass ich sie nicht … Ich kann ein andermal wiederkommen.“
Sie wollte seine Mutter besuchen? Das waren ja ganz neue Töne. Was hatten er und Raine damals darum kämpfen müssen, zusammen sein zu können, gegen beide Elternpaare … Und letztlich war alles umsonst gewesen.
Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Sie fummelte am ausgefransten Saum ihres Mantels und starrte entweder in ihren Schoß oder aus dem Fenster. Warum war sie bloß so nervös? Lag es an ihm? Lief vor ihrem geistigen Auge gerade jeder einzelne Moment ab, den sie miteinander hatten, so wie bei ihm? Dachte sie an ihre letzte gemeinsame Nacht, an die Versprechungen, die sie einander damals machten? Versprechungen, die er vorhatte zu halten, nicht ahnend, dass sie bereits ganz andere Absichten hegte? War sie deshalb so angespannt?
„Warum besuchst du meine Mutter?“
Sie lachte leise. „Es hat sich in Lenox so einiges geändert, seit du hier warst, Max.“
Sah ganz danach aus. Und da sie seiner Frage so nachdrücklich ausgewichen war, nahm er an, dass „einiges geändert“ heißen sollte: Das geht dich nichts an. Womit sie natürlich recht hatte. Was auch immer sie hier tat, war nicht seine Angelegenheit. Es hatte eine Zeit gegeben, da wussten sie alles übereinander, aber dieses Kapitel in ihrer beider Leben war abgeschlossen. Sie waren praktisch Fremde.
„Ich wusste nicht, dass du ein Baby hast.“ Er wollte nur die unbehagliche Stille brechen, aber sobald die Worte über seine Lippen kamen, wurde ihm klar, dass er sich anhörte wie ein Trottel. „Ich meine, natürlich hattest du dein eigenes Leben. Ich dachte nur nie … Wie viele Kinder hast du denn?“
„Nur Abby. Sie ist drei Monate alt.“
„Willst du deinen Mann anrufen?“
Na super, Max. Sehr elegant gelöst. Ging’s vielleicht noch ein bisschen trampeliger?
„Nein. Ich sage einem Freund Bescheid, wenn wir bei deiner Mutter sind. Er kann mich abholen.“
Wie bitte? Sie rief einen Freund anstatt ihren Mann? Max schüttelte fast unmerklich den Kopf und rief sich innerlich zur Ordnung. Auch das ging ihn nichts an.
Er bog in die langgestreckte schmale Auffahrt ein, an deren Ende sein Elternhaus aufragte, das nun als Zweitwohnsitz genutzt wurde. Seine Mutter erholte sich dort von ihrer Krebsoperation und würde bald mit ihrer Strahlenbehandlung beginnen. Zum Glück hatten die Ärzte den Knoten so früh entdeckt, dass keine Chemotherapie nötig war.
Auch wenn die unerwartete Begegnung mit Raine ihn ziemlich durcheinandergebracht hatte, wusste Max doch, dass er jetzt stark sein musste. Seine Mutter hatte im Augenblick die höchste Priorität, und sein Dad war der Situation weiß Gott nicht gewachsen.
Max hatte in dem zweistöckigen, im Kolonialstil errichteten Gebäude eine schöne Kindheit verbracht. Er konnte sich glücklich schätzen, dass Thomas und Elise Ford ihn adoptiert hatten. Seine leiblichen Eltern hatte er nie gekannt, und auch wenn er sich mit seinem Vater nie wirklich gut verstand, so war er sich doch stets bewusst, dass ein verwaistes Baby es sehr viel schlechter hätte treffen können.
Er fuhr vor und stellte den Motor aus. „Wenn’s recht ist, nehme ich die Windeln und das Geschenk. Dieses Tragedings ist mir nicht geheuer. Es sei denn, du kriegst es nicht durch den Schnee bugsiert …“
Raine lachte trocken auf. „Ich bin in den letzten Monaten prima zurechtgekommen, Max. Und auch schon lange davor, bevor Abby da war.“
Sie stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. Ihr kleiner Seitenhieb war Max nicht entgangen, aber er hatte wirklich keine Ahnung, warum sie bittere Gefühle gegen ihn hegen sollte. Schließlich hatte sie ihn abgeschossen, als er damals nach Kalifornien ging, und damit jede Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft vernichtet. Als er begriff, dass sie ihn nicht mehr wollte, rastete er regelrecht aus vor Wut – was ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
Er stieg ebenfalls aus. Sie war bereits dabei, die Babytrage von der Rückbank zu lösen. An ihrem linken Arm baumelten die Geschenktüte und die Windeltasche. Offenbar war diese neue Raine nicht nur unabhängiger, sondern auch sturer als die von früher.
Er erhob keinen Einspruch, blieb aber auf den Stufen dicht hinter ihr, um sie notfalls stützen zu können. Als sie oben waren und sich den Schnee von den Schuhen stampften, ließ er es sich jedoch nicht nehmen, die Haustür für sie zu öffnen und ihr mit einer höflichen Geste den Vortritt zu lassen.
Die große Eingangshalle sah noch genauso aus wie früher. Er war achtzehn gewesen, als er nach L. A. zog, und es hatte für ihn nie eine Notwendigkeit bestanden, hierher zurückzukehren. Denn sobald er weg war, hatten seine Eltern nichts Eiligeres zu tun gehabt, als nach Boston zu ziehen. Sein Vater hatte die große Stadt immer gemocht und dachte, es sei eine gute Geschäftsidee, dort eine zweite Kneipe zu eröffnen, zusätzlich zu der in Lenox. Mittlerweile besaß er eine ganze Restaurantkette, aber Max hatte noch immer keine Lust, ins florierende Familienunternehmen einzusteigen.
Während Raine sich noch mit der Decken-Reißverschluss-Konstruktion der Babytrage abmühte, kam seine Mutter in die Halle. Max hatte nicht so genau gewusst, was ihn erwarten würde, wenn er sie nach dieser großen, lebensverändernden Operation zum ersten Mal wiedersah, und war erleichtert, als Elise Ford auf ihn zulief und sich mit der ganzen Kraft ihres zierlichen Körpers in seine Arme warf.
„Ich bin so froh, dass du da bist, Max.“ Ihre schönen blauen Augen leuchteten, als sie zu ihm aufsah. „Aber ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich von deiner Arbeit losreiße.“
Er erwiderte ihre Umarmung vorsichtig. „Für dich lasse ich jederzeit alles stehen und liegen, Mom. Außerdem fange ich erst in ein paar Monaten wieder an zu drehen, stehe also voll und ganz zu deiner Verfügung.“ Er lächelte sie an. „Ich kann gar nicht glauben, wie gut du aussiehst.“
Sie versetzte ihm lachend einen Klaps auf die Brust. „Was dachtest du denn? Ich habe schon noch Schmerzen, und natürlich bin ich manchmal erschöpft und kraftlos, aber heute ist ein guter Tag. Nicht nur, dass mein Sohn endlich mal wieder hier ist, er hat auch noch ein hübsches Mädchen und ein Baby mitgebracht.“
Max drehte sich um. Raine stand hinter ihm. Obwohl seine Augen unwillkürlich ihr Gesicht suchten, warf er einen neugierigen Blick auf das schlafende Kind auf ihrem Arm und fragte sich, was für ein Leben seine Ex jetzt wohl führte. Offenbar hatte sie ja nun alles, was sie sich damals von der Zukunft wünschte: Ehemann, Baby, vermutlich auch den Bauernhof ihrer Großmutter, den sie so liebte.
„Oh, wie niedlich sie ist!“ Elise seufzte. „Es gibt doch nichts Süßeres als ein schlafendes Baby.“
Warum drehten bloß alle Frauen durch, sobald in ihrem Gesichtskreis ein Baby auftauchte? Was um alles in der Welt fanden sie so unwiderstehlich? Babypuder? Sabber? Oder was?
Als er die unendliche Liebe in Raines Augen sah und ihre zärtliche Miene, konnte Max nicht anders: Er war eifersüchtig auf das Baby. Vielleicht, weil er selbst in diesem zarten Alter keine derartige Zuwendung erfahren durfte? Nein, daran lag es eher nicht. Der wahre Grund war wohl, dass diese bedingungslose Liebe einmal ihm gehört hatte – jedenfalls so lange, bis Raine ihm das Herz brach. Aber warum war er dann jetzt so aufgewühlt? Hatte er seine Lektion etwa nicht beim ersten Mal gelernt?
„Darf ich sie mal halten?“, bat seine Mutter.
„Bist du sicher?“, fragte Raine. „Ich will nicht, dass du dir wehtust.“
Mit der ihr eigenen Eleganz hob seine Mutter abwehrend die Hände. „Ich bin sehr wohl imstande, ein kleines Baby zu halten. Der Eingriff ist schon zwei Wochen her. Jetzt leg erst mal ab und bleib ein bisschen da. Es ist viel zu kalt, um sich draußen rumzutreiben.“
Raine reichte ihr die Kleine und fing an, ihren Mantel aufzuknöpfen. Max sollte wohl besser ihrem Beispiel folgen, war aber viel zu sehr damit beschäftigt, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich ihrer diversen Hüllen entledigte. Als sie die violette Mütze abgestreift hatte, fuhr sie mit einer Hand über ihre kastanienbraunen Locken, als könnte sie ihre Mähne dadurch zähmen. Wie hatte er dieses Haar vermisst! Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie es sich anfühlte, mit den Fingern durch die seidige Masse zu kämmen. Bis zu diesem Moment hatte er nicht geahnt, wie sehr er sich nach solchen winzigen intimen Momenten mit ihr sehnte.
„Ich muss meinen Freund anrufen, damit er mich abholt“, sagte Raine zu seiner Mutter. „Ich habe mein Auto in den Graben gefahren.“
Elise schnappte entsetzt nach Luft. „Oh, Raine. Ist dir auch nichts passiert?“
„Ich bin heil und ganz. Abby auch. Natürlich habe ich einen Heidenschrecken bekommen, aber ich war schon drauf und dran, jemanden anzurufen, als Max vorbeikam.“
Seine Mutter drehte sich zu ihm um. „Gutes Timing.“
Ja, nicht wahr? Das Schicksal musste ihn wirklich hassen. Ansonsten wäre er jetzt nicht hier, in seinem Elternhaus, zusammen mit seinem High-School-Schatz und seiner Mutter, die damals zwar nicht alles Menschenmögliche getan hatte, um sie auseinanderzubringen, aber keineswegs mit ihrer Meinung hinter dem Berg hielt, dass diese Teenager-Liebe keine gute Idee war.
Offenbar war es im Laufe der Jahre irgendwie zu einer Versöhnung zwischen den beiden Frauen gekommen. Zum Teufel, er hatte nicht den leisesten Schimmer, was da abging. Nach seinen ersten paar Besuchen in Boston hatte seine Mutter Raine nie wieder erwähnt.
Max zog endlich seinen Mantel aus, hängte ihn neben die Tür und ging zu Raine. Zwar war das Letzte, was er jetzt wollte, ihr so nahe zu kommen, dass er ihr blumiges Parfüm riechen oder sie gar berühren konnte. Aber da seine Mutter ihn nun mal zur Höflichkeit erzogen hatte, half er seiner Ex aus dem schäbigen Mantel und bückte sich dann nach ihrer Tasche.
„Danke“, murmelte sie und vermied seinen Blick. „Ich mache dann mal diesen Anruf, wenn ihr mich einen Moment entschuldigt.“
Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und ging ins Nebenzimmer. Max schaute seine Mutter an, die Grimassen schnitt und alberne Geräusche machte, um das Baby zu amüsieren.
„Was um alles in der Welt ist hier los?“, flüsterte er.
Elise sah auf und lächelte. „Ich halte ein Baby und habe Besuch von meinem Sohn.“
„Mom, du weißt genau, was ich meine. Warum ist Raine hier auf einmal so willkommen, und warum hältst du ihre Tochter im Arm, als wäre sie so was wie deine Enkelin?“
Okay, das war jetzt nicht die beste Wortwahl, aber, verdammt noch mal, er war total durcheinander.
„Raine hat mich angerufen und gefragt, ob sie etwas vorbeibringen kann“, erklärte seine Mutter. „Ich wusste natürlich, dass sie ein Baby hat, und ich habe sie im Laufe der Jahre öfters besucht, wenn dein Vater und ich in Lenox waren. Glaub mir, Max, sie ist nicht mehr das Mädchen, das sie mal war.“
Aber er hatte das Mädchen gemocht, das sie mal war. So sehr, dass er sie heiraten und sein ganzes Leben mit ihr verbringen wollte.
„Und jetzt seid ihr beste Freundinnen, oder was?“
Raine kam zurück und streckte die Arme nach dem Baby aus. „Danke, dass du auf sie aufgepasst hast.“
„Oh, es war mir ein Vergnügen, sie ist ja so ein niedliches Kind. Hast du deinen Freund erreicht?“
„Er war nicht da.“
Oh ja, das Schicksal hasste ihn wirklich. Er war kaum zehn Minuten zu Hause, und schon hatte er das Gefühl, dass er in seine Vergangenheit zurückkatapultiert und mit Gefühlen konfrontiert wurde, auf die er absolut nicht vorbereitet war.
„Ich kann dich zurückbringen, falls du den Pannendienst bestellen willst, um dein Auto aus dem Graben zu ziehen“, sagte er, bevor er es sich wieder anders überlegen konnte.
Raine sah ihm direkt in die Augen. „Danke, ich komme schon klar. Ich rufe jemand anderen an. Aber jetzt will ich Elise erst mal ihr Geschenk geben.“
„Ein Geschenk?“ Seine Mutter verschränkte erwartungsvoll ihre Hände. „Oh, wenn es diese wundervolle Honig-Lavendel-Lotion ist, dann muss ich dich einfach küssen.“
Was zum Teufel ging hier eigentlich ab? Damals waren seine Mutter und Raine wie Feuer und Wasser gewesen, und er war in der Mitte gefangen. Und jetzt war er in einer völlig neuen Welt gelandet, in der die beiden Frauen sich offenbar super verstanden.
„Ich weiß doch, dass das dein Lieblingsduft ist.“ Raine hielt die geblümte Tüte in einer Hand, während sie mit der anderen das Baby sanft an ihre Schulter drückte. „Und ich finde, du solltest jetzt ein bisschen verwöhnt werden.“
Seine Mutter nahm die Tüte und spähte hinein. „Oh, das sind ja die großen Flaschen. Vielen Dank, Raine. Ich hole nur eben mein Portemonnaie.“
„Nein, nein.“ Raine schüttelte den Kopf. „Die gehen aufs Haus. Ich wollte dir eigentlich auch etwas zu essen vorbeibringen, aber Abby hat mich die ganze Nacht wachgehalten, deshalb haben wir beide ein ausgiebiges Mittagsschläfchen gemacht, und ich bin nicht zum Kochen gekommen.“
Das alles war zu viel für Max. Das Baby, die merkwürdige Vertrautheit zwischen seiner Mutter und seiner Ex und die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden ihn ignorierten. Er war seit Jahren in Hollywood erfolgreich, umschwärmt von den Produktionsfirmen und den Medien. Wo immer er auftauchte, war er der Star. Nur hier, in seinem eigenen Elternhaus, blieb er plötzlich außen vor.
„Ach, meine Süße, das ist wirklich nicht nötig“, sagte Elise jetzt. „Du hast sowieso schon genug um die Ohren. Und jetzt, wo Max hier ist, habe ich ja jemanden, der mich versorgt. Er kann nämlich richtig gut kochen. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass die Pflegerin ein paar vorbereitete Mahlzeiten hier gelassen hat.“
Max war froh, dass seine Mutter eine Pflegerin angeheuert hatte und dass die Frau tatsächlich bis zu seiner Ankunft jeden Tag kommen konnte. Sein Vater glänzte ja offenbar wieder mal gerade dann durch Abwesenheit, wenn er am meisten gebraucht wurde.
„Ich fahre dich nach Hause, Raine“, beharrte er. „Wann immer du los willst.“
Sie seufzte ergeben. „Na schön. Ich hatte sowieso nicht vor, lange zu bleiben. Abby ist hungrig, und ich habe vergessen, ihr Fläschchen einzustecken. Außerdem wird es immer glatter draußen.“
Seine Mutter legte ihr begütigend eine Hand auf den Arm. „Raine, Süße, fühl dich nicht verpflichtet, etwas für mich zu tun. Max und ich schaffen das schon. Komm mich gern besuchen, wann immer du möchtest, und bring die Kleine unbedingt mit, aber mach dir meinetwegen bitte keine Umstände.“
Raine lächelte beinahe unschuldig, doch ihre grünen Augen glitzerten mutwillig. „Elise, du bist eine meiner besten Kundinnen. Da helfe ich doch gern …“
„Kümmere dich lieber um deine anderen Kunden und um dieses kleine Mädchen. Mir geht es gut, ehrlich. In zwei Wochen fängt meine Strahlenbehandlung an, und was immer ich brauche, kann Max erledigen.“
Die alte Raine hätte für jeden alles getan. An sich dachte sie immer erst zuletzt. Und daran zumindest hatte sich anscheinend nichts geändert. Es wärmte sein Herz zu sehen, dass sie so hilfsbereit und selbstlos wie immer war. Noch mehr freute ihn, dass sie trotz allem, was seine Eltern damals getan hatten, diese besondere Beziehung zu Elise aufgebaut hatte.
Raine umarmte seine Mutter und verstaute ihr Kind wieder in dem Tragedings. Als alle warm eingepackt waren, führte er seine Exfreundin zum Auto. Er achtete darauf, sie nicht zu berühren, hielt eine Hand aber einsatzbereit neben ihren Arm, für den Fall, dass sie ausrutschte.
Als sie die Trage auf dem Rücksitz befestigte, fing das Baby an zu quengeln. Raine zog den Reißverschluss ein Stück auf, suchte zwischen den Decken nach dem Schnuller und schob ihn Abby in den Mund. Sofort herrschte wieder Ruhe.
Woher wusste sie so genau, was der Kleinen fehlte? Für Max war alles, was mit Babys zu tun hatte, ein Buch mit sieben Siegeln. In den Kreisen, in denen sich sein soziales Leben seit einem Jahrzehnt abspielte, waren Kinder dankenswerterweise kein Thema. Es gab nun mal Menschen, die dafür geschaffen schienen, andere zu umsorgen, wie Raine und seine Mutter. Und dann gab es Menschen wie seinen Vater, die eindeutig nicht dafür geschaffen waren. Obwohl sie nicht blutsverwandt waren, hatte Max diesen Charakterzug irgendwie von ihm geerbt.
Er schaute kurz zu Raine hin. Ihre prachtvolle Mähne quoll unter der Mütze hervor und fiel ihr bis in den Rücken.
„Wo wohnst du?“, erkundigte er sich. Bei ihren Eltern ja wohl nicht mehr.
„Auf dem Bauernhof meiner Großmutter.“
Max musste unwillkürlich lächeln. Ihre Großmutter war eine sehr ungewöhnliche Frau gewesen, und es überraschte ihn kein bisschen, dass Raine in das historische Bauernhaus gezogen war. Vermutlich hielt sie dort Ziegen, Hühner, Pferde und bepflanzte einen riesigen Garten – so, wie sie es sich immer erträumt hatte.