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Gustave Flaubert war zeit seines Lebens ein extensiver Briefeschreiber. Cornelia Hasting, seit Jahrzehnten intensiv mit dem Werk Flauberts befasst, hat eine kluge Auswahl getroffen, dank der wir Flaubert in den wichtigsten Momenten seines Lebens über die Schulter schauen dürfen. Flauberts Briefe erzählen vom Tod der geliebten Schwester, von seinen Krankheiten, von den Reisen nach Ägypten und Karthago, vom Skandal um Madame Bovary; sie zeugen von der Freundschaft zwischen Flaubert und Turgenjew, George Sand und Guy de Maupassant, an den er den letzten Brief vier Tage vor seinem Tod am 8. Mai 1880 schreibt.
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Seitenzahl: 330
Gustave Flaubert
»Ich schreibe gerade eine kleine Albernheit«
Ausgewählte Briefe 1832–1880
Zusammengestellt und aus dem Französischen übersetzt von Cornelia Hasting
Mit einem Nachwort von Rainer Moritz
DÖRLEMANN
Die Übersetzung folgt der Ausgabe Gustave Flaubert: Correspondance. Tome I–V. Bibliothèque de la Pléiade, Éditions Gallimard, Paris 1973–1998. eBook-Ausgabe 2021Neuübersetzung Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2021 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung einer Fotografie von Gustave Flaubert (1865), Nadar, Bibliothèque Nationale Estampes Porträts von Gustave Flaubert: Flaubert als Kind, ca. 1830. Langlois, photo Ellebé, Rouen; Flaubert als junger Mann, 1835. Delaunay, Bibliothèque Municipale de Rouen; Flaubert als alter Mann, 1880. La Vie moderne, 15.5.1880, Bibliothèque Nationale Imprimés Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-84-4www.doerlemann.com
Inhalt
Gustave Flaubert
»Nein, wir sind nicht gut; aber diese Fähigkeit, sich alle Nöte zu eigen zu machen und zu meinen, sie zu haben, ist vielleicht die wahre menschliche Nächstenliebe.«
6. Juni 1853 an Louise Colet
An Ernest Chevalier
[15. Januar 1832]
Mein lieber Freund,
Deinem guten Papa geht es etwas besser das Mittel das Papa ihm gegeben hat hat ihm geholfen und wir hoffen dass er bald geheilt sein wird. Ich mache Notizen von don quichotte und Mr. Mignot sagt dass sie gut sind. Meine Lobrede auf Corneille hat man drucken lassen ich glaube das war amédée und ich schicke Dir ein Exemplar davon. Das Billard ist allein geblieben, ich spiele nicht mehr Komödie, weil Du nicht da bist der Sonntag an dem Du abgereist bist kam mir zehnmal länger vor als die anderen ich habe vergessen Dir zu sagen dass ich ein anderes Stück anfangen werde, das den Titel Der geizige Liebhaber haben wird das wird ein geiziger Liebhaber sein, aber er will seiner Mätresse kein Geschenk machen und sein Freund verführt sie. Richte Deiner Familie viele Grüße von mir aus ich sage Dir den Schluss meines Stücks in einem anderen Brief den ich schreiben werde bring Deine Eltern dazu mit Dir zum Karneval zu kommen spiel den Artigen arbeite an Deiner Geographie. Ich werde auch eine Geschichte über Henri 4 über Louis 13 und Louis 14 anfangen, ich muss arbeiten, antworte mir vergiss Mathieu nicht und auch nicht den betrogenen Geizigen. Adieu mein bester Freund bis in den Tod verdammt.
Guten Abend
Dein alter Freund
G. FLAUBERT
Rouen den 15. Januar im Jahre 1832
unseres Herrn Jesus Chirt
Antwort
An seine Schwester Caroline
[Paris, 2. Juni 1843]
Hätte ich nicht gewusst, dass der große Dubuc Euch von mir berichten würde, hättet Ihr gestern einen Brief von mir erhalten, und ich kann mir vorstellen, die Mutter findet, dass ich dennoch gut daran getan hätte, denn dieser erreicht Euch wahrscheinlich erst Sonntagmorgen. Freund Florimont hat den Auftrag, ihn zu überbringen. Er reist nicht ohne Furcht nach Neustrien ab, weil da Beautot ist, das ihm droht und weil er schreckliche Angst hat genötigt zu sein, einen ganzen Tag dort auszuhalten. Wie es scheint, ist das Juliette und Maman Ati ein wenig beschwerlich, und vor allem Letztere hat wohl gerade genug davon. Ich dagegen würde mit dem größten Vergnügen sogar nach Beautot reisen, so sehr geht mir der Ort, wo ich bin, auf die Nerven. Das Universum ist groß, und der Reisende ist sein wahrer König. Warum bin ich nur kein Reisender! Es gibt auf Erden gewaltige Meere und Urwälder, Wüsten, um den Huf der Pferde erlahmen zu lassen, grenzenlose Horizonte, tiefe Täler, Ebenen ohne Ende, man kann dort überall hinfahren, aber nein! Es gibt auf Erden auch einen kleinen beschränkten Fleck, der sich Paris nennt und an diesem Fleck einen anderen, verschwindend kleinen, welcher die juristische Fakultät ist. Und genau da muss ich leben, da muss ich mir auf den Holzbänken Schwielen am Hintern holen und einen Professor ertragen, der einem seine bleiernen Worte auf die Schultern fallen lässt, – oder seine ehernen, meinetwegen. Ich gehe zwar noch zu den Vorlesungen, aber ich höre nicht mehr zu, das ist verlorene Zeit. Ich habe genug davon, ich habe es satt. Ich bewundere die Burschen, die dort geduldig sitzen, um Notizen zu machen und nicht spüren, wie ihnen die aufwallende Wut und Langeweile zu Kopfe steigt. Wenn ich zwei Vorlesungen nacheinander geschluckt habe, was mir oft widerfährt, kannst Du dir ausmalen, in welchem Zustand ich sein muss. Der Hass, den ich auf die Wissenschaft habe, rührt, glaube ich, von denen her, die sie lehren, wenn es nicht andersherum ist; und hätte ich absolute Macht, würde ich mit Sicherheit Monsieur Oudot und Kompagnons, verstärkt durch gehörige Arschtritte, zur Fron in den Festungsanlagen schicken. Bis dahin arbeite ich wie ein Besessener, um mein Examen so früh und so erfolgreich wie möglich zu schaffen. Aber wer mich sehen könnte, wenn ich mir da allein das Bürgerliche Gesetzbuch ins Hirn impfe und die Poesie des Prozessrechts genieße, der könnte sich rühmen, etwas jämmerlich Groteskes gesehen zu haben. Verdammt! ich spielte wahrhaft lieber den Journalisten aus Nevers oder den alten Couyère, Ehrenwort!
Wenn ich an Euch denke, lässt mich wenigstens etwas Gutes und Liebliches wieder aufleben und zu Kräften kommen, tausend ausgelassene Zärtlichkeiten fallen mir wieder ein, und ich gehe vom einen zum anderen, während ich Euch von hier aus kommen, gehen, mit dem Klang Eurer Stimme sprechen, in den Kleidern, die ich an Euch kenne, aufstehen und Euch setzen sehe. Von Dir zum Beispiel, meine liebe Maus, habe ich Dein schallendes und süßes Lachen im Ohr, jenes Lachen, für das ich mich mit Possenreißen umbringen könnte, für das ich meinen letzten Schwank, meinen letzten Speicheltropfen gäbe. Und so ziehe ich denn manchmal allein in meinem Zimmer Grimassen vor dem Spiegel oder stoße den Schrei des Garçon aus, als wärst Du da, um mich zu sehen und zu bewundern. Denn ich sehne mich sehr nach meinem Publikum. Heute war ich beim Hôtel de Motte; ich habe gefragt, ob man nicht einen Schirmhändler und seine Frau gesehen hat. Sie waren beide ausgegangen. – Morgen diniere ich mit den üblichen Freunden beim Professor und vorher gehe ich zum Rond-Point. Da hast Du alle Neuigkeiten, die ich Dir geben kann, liebes Zicklein. Außerdem ist sehr schlechtes Wetter, und wenn Rouen es Paris nachmacht, wird mein Freund Fessard nicht froh sein. Im Übrigen denke ich kaum an Badeplätze, die von Lutetia sind so schmutzig, dass ich nie wieder meine Haut hineintauchen werde. Man könnte doch jeden Tag zum Schwimmen nach Rouen fahren, wenn man wollte, man führe morgens los und käme um 2 Uhr mit der Bahn zurück, jetzt wo die Verbindungen so einfach sind. Rouen ist ein Vorort von Paris etc. etc.!!
Adieu, meine liebe Maus, ich umarme Dich, umarme Dich abermals und umarme Dich über alle Maßen. Dein Boun.
Warst Du zufrieden mit Rachel? Schreib mir einen langen Brief. Viele Grüße an Mimiss.
Sag dem lieben Vater vielen Dank für seinen Brief und umarme ihn von mir zum Dank.
An Ernest Chevalier
[Rouen, 1. Februar 1844]
Mein alter Ernest, ohne es zu ahnen, hättest Du fast den ehrbaren Mann betrauern müssen, der Dir diese Zeilen schreibt. Ja den Verblichenen, ja junger Mann, um ein Haar hätte ich Pluto, Rhadamantes und Minos besucht. Ich liege noch zu Bett, mit einem Haarseil im Nacken, welches ein noch steiferer Stehkragen ist als der eines Offiziers der Nationalgarde, dazu starke Tabletten, Kräutertees und vor allem das Gespenst, welches tausendmal schlimmer ist als alle Krankheiten der Welt und das sich Diät nennt. Du sollst also wissen, lieber Freund, dass ich einen Blutstau im Gehirn hatte, so etwas wie einen Schlaganfall im Kleinen, verbunden mit nervösen Störungen, die ich noch beibehalte, weil es vornehm ist. Unter den Händen meiner Familie (in der ich 2 oder 3 Tage verbringen wollte, um mich von den schrecklichen Szenen zu erholen, deren Zeuge ich bei Hamard gewesen war) hätte ich fast den Geist aufgegeben. Man hat mich an 3 Stellen zugleich zur Ader gelassen und schließlich habe ich die Augen wieder aufgeschlagen. Mein Vater will mich lange hierbehalten und mich sorgfältig behandeln, dabei bin ich guter Stimmung, weil ich gar nicht weiß, was das ist, besorgt zu sein. Ich bin in einem verdammt üblen Zustand, bei dem geringsten Gefühl beben meine Nerven wie die Saiten einer Geige, zittern meine Knie, meine Schultern und mein Bauch wie Espenlaub. Nun ja, so ist das Leben, sic est vita, such is life. Wahrscheinlich kehre ich nicht so bald zurück nach Paris, außer vielleicht 2 oder 3 Tage im April, um meinem Hauswirt zu kündigen und ein paar Kleinigkeiten zu regeln. Dieses Jahr wird man mich frühzeitig die frische Meeresluft atmen lassen, man wird mich viel trainieren und vor allem viel Ruhe halten lassen. Ich werde Dir ordentlich auf die Nerven gehen mit dem Bericht meiner Leiden, nicht wahr, aber was kann ich dagegen tun? wenn ich schon die Krankheiten alter Männer habe, darf ich wohl auch daherschwatzen wie sie. Und Du, was treibst Du? Wie geht’s? Was stellst Du an im neuen Athen? Schreib mir. Versäume nicht, bis Rouen vorzudringen, wenn Du nach Andelys kommst. Adieu, tausend Grüße an die Freunde, an die Herren Dumont und Coutil.
Adieu, Alter.
Donnerstagmorgen.
An Alfred Le Poittevin
Mailand, 13. Mai [1845]
Ein weiteres Mal habe ich das arme Mittelmeer verlassen!! Mit einer seltsamen Beklommenheit habe ich ihm Adieu gesagt. An dem Morgen, an dem wir aus Genua abreisen sollten, bin ich um 6 Uhr wie zu einem Spaziergang aus dem Hotel gegangen. Ich habe ein Boot genommen und war bis am Anfang der Reede, um ein letztes Mal diese blauen Fluten zu sehen, die ich so liebe. – Das Meer war bewegt. Ich ließ mich in der Schaluppe wiegen und dachte dabei an Dich und vermisste Dich. Als ich dann spürte, dass ich seekrank werden könnte, bin ich an Land zurückgekehrt, und wir sind abgefahren. Ich war darüber drei Tage lang so traurig, dass ich mehrmals meinte, davon zu krepieren. Wie sehr ich mich auch bemühte, ich konnte kein Wort herausbringen. – Ich beginne wahrhaft zu glauben, dass Kummer einen nicht umbringt, denn ich lebe.
Ich habe das Schlachtfeld von Marengo, das von Novi und das von Vercelli gesehen, aber ich war in einer so erbärmlichen Stimmung, dass mich das alles kaum bewegt hat. Ich dachte immerzu an die hohen Decken der Paläste von Genua, unter denen man mit so viel Stolz vögeln würde. Tief in mir trage ich die Liebe der Antike. Bis ins Innerste meines Wesens bin ich berührt, wenn ich an die römischen Schiffskiele denke, die durch die gleichbleibend und ewig dahinwogenden Wellen dieses immer noch jungen Meeres furchten. Der Ozean ist vielleicht schöner. Doch die Abwesenheit von Ebbe und Flut, welche die Zeit in gleiche Abschnitte teilt, scheint einen vergessen zu lassen, dass die Vergangenheit lange her ist und zwischen Kleopatra und einem selbst Jahrhunderte liegen. Ach! lieber Alter! wann werden wir uns bäuchlings auf den Sand von Alexandria legen oder im Schatten unter den Platanen des Hellesponts schlafen?
Du vergehst vor Ärger, Du krepierst vor Wut, Du stirbst vor Traurigkeit, Du erstickst … hab Geduld, oh Löwe der Wüste! Auch ich habe lange um Luft gerungen. Die Wände meines Zimmers in der Rue de l’Est erinnern sich noch an die schrecklichen Flüche, das Aufstampfen und die Verzweiflungsschreie, die ich allein ausstieß. Wie ich dort abwechselnd gebrüllt und gegähnt habe! Bring Deiner Brust bei, mit wenig Luft auszukommen, mit umso gewaltigerer Freude wird sie sich öffnen, wenn Du auf den hohen Gipfeln stehst und es Stürme zu atmen gilt. Denke, arbeite, schreibe, krempel die Hemdsärmel hoch bis unter die Achsel und behaue Deinen Marmor wie der gute Arbeiter, der den Kopf nicht abwendet und lachend über seiner Aufgabe schwitzt: Reisen sind in der zweiten Periode des Künstlerlebens gut; aber in der ersten ist es besser, alles, was man an wahrhaft Intimem, Ursprünglichem, Individuellem hat, rauszuschmeißen. Überleg Dir also, was eine große Orientreise in ein paar Jahren für Dich bedeuten kann. – Lass die Muse laufen, ohne Dich um den Mann zu sorgen, und Du wirst merken, wie Dein Verstand täglich in einer Weise wächst, über die Du staunen wirst. Das einzige Mittel, nicht unglücklich zu werden, ist in der Kunst, in Klausur zu gehen und auf alles Übrige nichts zu geben. – Der Stolz ersetzt alles, wenn er auf einer breiten Basis ruht. Mir geht es jedenfalls ziemlich gut, seit ich mich damit abgefunden habe, dass es mir immer schlecht geht. Meinst Du nicht, dass es vieles gibt, das mir fehlt, und dass ich nicht genauso großmütig gewesen wäre wie die Reichsten, ganz genauso zärtlich wie die Verliebten, ganz genauso sinnlich wie die Hemmungslosesten? Und doch vermisse ich weder den Reichtum noch die Liebe noch die Fleischeslust, und man wundert sich, mich so brav zu sehen. Der Praxis des Lebens habe ich unwiderruflich Adieu gesagt. Meine Nervenkrankheit war der Übergang zwischen diesen beiden Zuständen. Von nun an erbitte ich mir auf lange bloß fünf oder sechs Stunden Ruhe in meinem Zimmer, im Winter ein großes Feuer und jeden Abend zwei Kerzen, um mir zu leuchten. Du betrübst mich tief, lieber und süßer Freund (hier müsste ein anders Wort stehen, denn für mich bist Du kein Freund, wie man so sagt, selbst wie die besten nicht), Du betrübst mich tief, wenn Du mir von Deinem Tod sprichst. Denk nur, was dann aus mir würde. – Als umherirrende Seele wie ein Vogel über der Sintflut hätte ich nicht die kleinste Klippe, kein Fleckchen Erde, wo ich mich in meiner Erschöpfung ausruhen könnte. – Warum fährst Du für einen Monat nach Paris? Du wirst Dich dort noch mehr grämen als in Rouen. Du wirst noch überdrüssiger von dort zurückkehren. – Bist Du übrigens sicher, dass die Dampfbäder Deinem Moechuskopf guttun?
Ich habe große Lust zu sehen, was Du gemacht hast, seitdem wir uns getrennt haben. In vier oder fünf Wochen werden wir das gemeinsam lesen, unter uns, zu Hause, fern der Gesellschaft und der Bourgeois, versteckt wie Bären und brummend unter unserem dreifachen Pelz. Ich brüte immer noch über meiner Orienterzählung, die ich im nächsten Winter schreiben werde. – Seit ein paar Tagen ist mir die Idee eines ziemlich spröden Dramas über eine Episode des korsischen Krieges gekommen, die ich in einer Geschichte Genuas las. Ich habe ein Bild von Breughel gesehen, das Die Versuchung des Heiligen Antonius darstellt und mich auf den Gedanken gebracht hat, La Tentation de saint Antoine für die Bühne zu bearbeiten. Aber das bräuchte einen anderen Kerl als mich. Ich gäbe mit Freuden die ganze Sammlung des Moniteur, wenn ich sie hätte, und noch 1000 Francs dazu, um dieses Bild zu kaufen, das die Mehrzahl der Leute, die es mustern, sicher schlecht findet.
Ach, verdammt, wie ich es bedauere, nicht in Rouen zu sein, um Baudrys Hochzeit zu erleben. Das sind doch prachtvolle Szenen. – Komme ich noch rechtzeitig? Antworte mir gleich nach Genf und vergiss nicht, mir zu sagen, wann unser Freund sich mit rechtmäßigen Banden bindet. Richte ihm meine Glückwünsche aus. Eine gute Sache, die er da macht, der Kerl. Und dieser tüchtige Delporte, wann sehen wir ihn vereint mit der Tochter von einem der vornehmsten Geschäftsleute unserer Stadt?
Wie Du es mir empfiehlst und ich es versprochen habe, werde ich mit der guten Madame Pradier déjeunieren, aber es ist fraglich, ob ich mehr tue, wenn nicht sie mich offensichtlich dazu einlädt. Das Vögeln sagt mir nichts mehr. Mein Begehren ist zu universell, zu anhaltend und zu intensiv, als dass ich Gelüste hätte. Ich nutze keine Frauen, ich mache es wie der Dichter Deines Romans, ich verbrauche sie mit dem Blick.
Adieu, ich umarme Dich. Schreib mir nach Genf. Denk an mich. Adieu.
An seine Schwester Caroline
[Croisset,] Donnerstag, 5 Uhr abends. [10. Juli 1845]
Maman hat gerade einen Brief von Hamard erhalten, liebe Caro, aber ich weiß nicht, wie es Dir geht, denn als sie dabei war, ihn zu lesen, erschien Madame Delamarre du Nid-de-Chien. Ich möchte Dir heute schreiben, und so habe ich nicht das Ende des Besuches abgewartet, um ein Blatt Papier zu nehmen und es für Dich vollzukritzeln. Du fragst mich, was es Neues gibt, nun ja, das erzähle ich Dir! Von dem alten Dumée weiß ich gar nichts, seit wir zurück sind, haben wir ihn weder gesehen noch von ihm gehört. Aber bei meiner ersten Fahrt nach Rouen zeige ich mich im Atelier. Mosieu Orlowski wohnt jetzt in der Rue de Lecat gegenüber von Monsieur Parains Friseur bei einem Kneipier, wo er ein Zimmer hat. Das ist eine Art. Nach Croisset ist er noch nicht gekommen, weil er uns zu stören fürchtete, sagte er gestern zu Papa in einem Haus, wo sie sich begegnet sind, aber sobald er von Deiner Ankunft hört, kommt er bestimmt angelaufen, denn Du weißt ja, dass er in Dich vernarrt ist, und ich glaube, die wichtigste Person der Familie bist Du für ihn (was ja richtig ist, »das steht Ihnen zu, Mam’zelle Flaubert, das steht Ihnen zu«). Als wir neulich nach dem Diner eine kleine Bootstour machten, sind wir an dem Pavillon von Papa Lequesne vorbeigekommen …, wir sahen ihn da mit seiner Familie …, wir sind hingebraust …, das Boot flitzte über die Wellen, und wir legen an. Ah! guten Tag Monsieur, guten Tag Madame, kommen Sie doch herein, ja, mein Gott, etc. Ich, der ich nahezu nackt war, bloß in Hemd und Hose, bin wie ein Proletarier als Wache bei meinem Boot geblieben, was mir nicht missfallen hat. Dieser gute Lequesne hat immer noch dieselbe Birne, dieselbe Tabaksdose, dieselbe Stimme, dieselben schönen Augen. Seine Gattin immer noch die geschäftige Hausfrau. Mademoiselle nimmt immer noch Stunden beim alten Leroy (Ah! ah! Ja, ja, ha, ha, ha). Den göttlichen Löwenkopf habe ich dagegen den ganzen Sommer nicht gesehen. Wir warten auf Dich, damit wir seinem doppelten Dekaliter unsere Ehrerbietung und Du Deine Begeisterung zeigen können. Ach, liebe Maus! Wie ich Dich vorgestern vermisst habe und was für eine komische Szene Du hättest erleben können. Madame Barette ist niedergekommen, mit einem Kind, das bei der Niederkunft gestorben ist, so schwer wie dieses Geschäft war, der junge Védie hat den Kopf verloren und nach der Hebamme vom Hôtel-Dieu geschickt. Louise hat schrecklich gelitten, aber jetzt geht es ihr gut. Bis dahin siehst Du darin nichts Komisches, wenn nicht vielleicht das Gesicht, das Védie gezogen hat. Aber weißt Du, Maus, als Louise von Schmerzen überwältigt war und man wohl zugeben musste, dass das Kind das Licht der Welt zu erblicken verlangte, wurde Alexandre köstlich verschämt, er wagte nicht, uns anzuschauen, er war weiß wie Papier, seine Frau weinte; sie waren beide in einer wunderbaren Bestürzung. Louise fürchtete, dass Maman sie entlassen würde, Alexandre brachte kein Wort heraus etc., und all das aus Angst vor dem Gerede der Leute, Angst vor Scherzen, Angst vor Witzeleien. – In drei Tagen ist der arme Junge davon ganz abgemagert.
Heute haben wir Narcisse und seinen Vater, Julie und Achille bei uns zum Diner. Ich glaube, dass seine Geschäfte in Neuville vorankommen. Im Übrigen weiß der alte Parain das besser als ich, weil er sich darum kümmert und ihm das auch Spaß macht. Jetzt höre ich schon drei Wochen nichts von Du Camp. Seit ich Paris verlassen habe, habe ich vier Zeilen von ihm bekommen, ich erwarte ihn von Woche zu Woche, von Tag zu Tag; ab und zu schreiben mir Du oder Hamard: er kommt Dienstag, Mittwoch. Noch gestern habe ich ihn erwartet, so wie Du es Maman angekündigt hattest; weit und breit kein Du Camp. Nicht einmal eine kurze Nachricht, dieser junge Mann muss also sehr beschäftigt sein! – Vor 4 oder 5 Tagen habe ich Pitcheff geschrieben, ich warte auf eine Antwort. Vor Deiner Abreise aus Paris wirst Du Gertrude oder Henriette sehen, denke ich. Sag ihnen tausend Grüße von mir und sag Gertrude, dass ich an ihre Zeichnung denke, die sie mir versprochen hat, um mein Zimmer zu schmücken, dass ich darauf warte. Werden sie nicht auf dem Weg nach Le Havre nach Rouen kommen?
Wie nett Dein Brief war, liebe Schwester, nett und schlicht wie Du, gute Maus. Mir war, als sähe ich Dich darin mit Deinem zerzausten Kraushaar und Deinem Grübchen in der Wange; apropos, ich rechne damit, Dich mit Papillotten wiederzusehen. Ich habe niemanden mehr, um ihn mit meinen beiden Händen zu erwürgen und dabei zu sagen: alte Maus! alte Maus! oder »ich habe schon bessere Leute erwürgt als dich«. Ich denke oft an unser armes Arbeitszimmer, an Deine um schick zu sein absichtlich beschmutzte schwarze Bluse; die arme Miss Jane, die da war und lachte! wie lang das alles her ist, mein Gott! – Ich mache morgens keinen Shakespeare, weil ich gar nicht an ihm arbeite, das ist dumm, ich weiß wohl, aber ich werde mich ernsthaft daran setzen, wenn ich mit meinen griechischen Verben fertig bin. Wir können aber, wenn Du hier bist und wenn Du magst, mit einem Stück anfangen. Du wälzt Dich dann noch mal wie der Hund auf meinem Bett und ich spiele den Schwarzen: »ja, ich liebe Herrin, ich Herrin lieben«. – Ich begreife nicht, dass ich nicht traurig bin, dass Du nicht mehr bei mir bist, ich war so daran gewöhnt! Manchmal spüre ich im Mund das Bedürfnis, Deine lieben Wangen zu küssen, die frisch und fest sind wie Muscheln. Von Dir könnte ich wirklich behaupten, was ein Klassiker aus dem XVII. Jahrhundert über ich weiß nicht was gesagt hat: »ein als Augenweide geschaffenes Wunschbild«. Erinnerst Du Dich an meine Geschichtsstunden? an meinen Heimweg um 4 Uhr vom Collège, wenn ich Dich in Deinem Pensionat abholte mit Deinem kleinen grünen Samthut? und unsere Ausflüge mit Ernest nach Mailleraie oder nach Saint-Wandrille und an dieses arme Landhäuschen! … all das sehe ich wieder vor mir, wenn ich an Dich denke, armes Kind … ich höre Deine Stimme und sehe Deine Augen lächeln. Wenn Du mich sehr lieb hast, ist das nur gerecht, denn ich habe Dich sehr lieb gehabt. Ja, wenn ich daran zurückdenke und merke, dass meine Verlassenheit nicht so groß ist, wie man sie sich vorstellen würde, muss ich schon ziemlich großherzig sein oder diesen guten Émile recht gern mögen. Ich bin ein komischer Kerl, wie Chéruel sagte, früher glaubte ich mich zu kennen, doch durch mein Mich-selbst-Analysieren weiß ich gar nicht mehr, wer ich bin; ich habe auch den dummen Anspruch aufgegeben, in dieser dunklen Herzkammer umherzutasten, die ab und zu ein flüchtiger Blitz erhellt, der zwar alles aufdeckt, einen aber für lange Zeit blind macht. Man sagt sich: ich habe dies und das gesehen, oh! ich sehe dann schon genau, wo ich lang muss, und man geht los und stößt sich an allen Ecken, verletzt sich an allen Kanten. Wenn ich wüsste, wie ich auf diesen Vergleich gekommen bin, soll mich der Teufel holen. Ich habe eben sehr lange nichts geschrieben und von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, mich ein wenig schriftlich auszudrücken, so wie man das Bedürfnis nach frischer Luft hat, nach gutem Wein, so wie all die überflüssigen Bedürfnisse, die die echtesten und drängendsten sind. Adieu, mein Papier ist voll, das ist Dein Glück, denn ich bin in Fahrt. Adieu, carissima.
Wir erwarten morgen einen Brief von Hamard.
Maman bittet Deinen Mann, (vor seiner Abreise) auf dem Quai de la Mégisserie, genannt de la Ferraille Nr. 30 vorbeizugehen, bei Monsieur Vilmorin-Andrieux, königliche Samenhändler, Floristen und Baumschulgärtner, und ihm oder ihnen die Summe von 16 Fr. 90 c. zu zahlen oder zu erstatten, mit der Bitte um eine Empfangsbescheinigung oder Quittung.
An Maxime Du Camp
[Croisset,] Mittwochmorgen [25. März 1846]
Mein lieber Alter, ich wollte nicht, dass Du hierher kommst. Ich fürchtete Deine Ergriffenheit. Ich hatte schon genug von Hamards Anblick ohne den Deinen. Vielleicht hättest Du noch weniger als wir die Fassung bewahrt. In einiger Zeit werde ich Dich herbitten, und ich zähle auf Dich. Gestern um 11 Uhr haben wir es begraben, das arme Mädchen. Man hat ihr ihr Hochzeitskleid angezogen, dazu Sträuße von Rosen, Immortellen, Veilchen. Ich habe die ganze Nacht bei ihr gewacht. Sie lag lang ausgestreckt auf ihrem Bett, in dem Zimmer, wo Du sie hast musizieren sehen. Sie wirkte viel größer und viel schöner als im Leben mit diesem langen weißen Schleier, der ihr bis zu den Füßen reichte. – Morgens, als alles getan war, habe ich ihr in ihrem Sarg einen langen und letzten Abschiedskuss gegeben. Ich habe mich darüber gebeugt, ich habe den Kopf hineingesteckt, ich spürte, wie das Blei unter meinen Fingern nachgab. Ich war es, der eine Totenmaske von ihr hat nehmen lassen. – Ich sah, wie die Pranken dieser Grobiane sie packten und mit Gips bedeckten. Ich bekomme ihre Hand und ihr Gesicht. Ich werde Pradier bitten, mir eine Büste von ihr zu machen, und sie in mein Zimmer stellen. Ich habe ihr großes buntes Umschlagtuch bei mir, eine Haarsträhne, den Tisch und das Pult, auf dem sie schrieb. Das ist alles, das ist alles, was bleibt von denen, die man geliebt hat!
Hamard wollte mit uns kommen. Als wir dort oben angelangt waren (auf diesem Friedhof, hinter dessen Mauern ich mit den Schulfreunden entlangspaziert bin und wo Hamard mich zum ersten Mal gesehen hat), ist er am Rand der Grube niedergekniet und hat ihr weinend Küsse zugeworfen. – Die Grube war zu schmal, der Sarg passte nicht hinein. Man hat an ihm gerüttelt, gezogen, ihn auf alle mögliche Art gekippt, man hat eine Schaufel genommen, Brechstangen, und schließlich ist ein Totengräber darauf gestiegen (es war das Kopfende), um ihn hineinzustoßen. – Ich stand daneben, meinen Hut in den Händen, ich habe ihn schreiend auf die Erde geworfen.
Den Rest sage ich Dir mündlich, denn ich würde zu schlecht über das alles schreiben. Ich war fühllos wie ein Grabstein, aber schrecklich aufgewühlt. Das Vorige wollte ich Dir erzählen, weil ich dachte, dass es Dir Freude macht. Du bist klug genug und liebst mich genug, um das Wort »Freude« zu verstehen, das den Bourgeois zum Lachen brächte.
Seit Sonntag sind wir nun wieder in Croisset. (Was für eine Reise, allein mit meiner Mutter und dem schreienden Kind!) Das letzte Mal bin ich mit Dir dort weggefahren; Du wirst Dich erinnern. Von den Vieren, die dort lebten, bleiben noch zwei. – Die Bäume haben noch keine Blätter, der Wind bläst, der Fluss ist angeschwollen, die Zimmer sind kalt und leer.
Meiner Mutter geht es besser, als es ihr gehen könnte. Sie kümmert sich um das Kind ihrer Tochter, schläft in seinem Zimmer, wiegt es, versorgt es so gut sie kann. Sie versucht, noch einmal Mutter zu sein. Wird es ihr gelingen? – Die Reaktion ist noch nicht eingetreten, und ich habe große Angst davor.
Wir werden gewaltige Unannehmlichkeiten bekommen wegen der minderjährigen Waise. Die gütliche Regelung ist nicht mehr möglich. Das Gericht muss sich damit befassen. Selbst wenn es sehr schnell geht, werden wir das nicht vor drei Monaten hinter uns haben. – Wir müssen auch, und das ist der dringendste Plan, eine Wohnung in Rouen finden. –
Ich bin zerschlagen, betäubt, ich müsste unbedingt wieder ein ruhiges Leben aufnehmen, denn ich ersticke vor Schmerz und Ärger. Wann werde ich es wiederfinden, mein armes Leben von stiller Kunst und langer Meditation! Ich lache vor Mitleid mit der Vergeblichkeit des menschlichen Willens, wenn ich daran denke, dass ich seit nunmehr sechs Jahren Griechisch lernen möchte und die Umstände so beschaffen sind, dass ich nicht einmal bei den Verben angelangt bin.
Adieu, lieber Maxime. Ich umarme Dich zärtlich.
Es versteht sich von selbst, dass dieser Brief nur für Dich bestimmt ist und dass alles, was darin steht, unter Verschluss bleiben muss.
An Louise Colet
[Croisset,] Nacht von Samstag auf Sonntag, Mitternacht. [8./9. August 1846]
Der Himmel ist klar, der Mond scheint, ich höre Matrosen singen, sie lichten den Anker, um mit der kommenden Flut auszulaufen. – Keine Wolke, kein Wind. Der Fluss ist hell im Mondschein, dunkel im Schatten. Die Falter tanzen um meine Kerze, und der Duft der Nacht strömt durch die offenen Fenster zu mir herein. Und Du, schläfst Du? – Sitzt Du an deinem Fenster? Denkst Du an den, der an Dich denkt? Träumst Du? Welche Farbe hat Dein Traum? – Vor acht Tagen machten wir unsere schöne Ausfahrt in den Bois de Boulogne, was für eine Ewigkeit seitdem vergangen ist! Diese zauberischen Stunden sind für andere sicher verstrichen wie die vorherigen und die darauf folgenden, doch für uns war es ein strahlender Moment, dessen Schein unsere Herzen für immer erleuchten wird. Das war schön durch die Freude und die Zärtlichkeit, nicht wahr, meine arme Seele? Wenn ich reich wäre, würde ich diese Kutsche kaufen und sie in meine Remise stellen, ohne sie je wieder zu benutzen. – Ja, ich komme wieder, und zwar bald. Denn ich denke immerzu an Dich, immer träume ich von Deinem Gesicht, von Deinen Schultern, von Deinem weißen Hals, von Deinem Lächeln, von Deiner leidenschaftlichen Stimme, stark und sanft zugleich, wie ein Liebesschrei. Ich glaube, ich habe Dir gesagt, dass es vor allem Deine Stimme ist, die ich liebe.
Heute Morgen habe ich eine geschlagene Stunde an der Uferpromenade auf den Briefträger gewartet. Er hatte heute Verspätung. Wie viele Herzen er zum Klopfen bringt, ohne es zu wissen, dieser Dummkopf mit seinem roten Kragen! Danke für Deinen guten Brief. Aber liebe mich nicht so sehr, liebe mich nicht so sehr. Du tust mir weh! Lass mich Dich lieben. – Weißt Du denn nicht, dass es beiden Unglück bringt, zu sehr zu lieben. Das ist wie mit den Kindern, die man zu sehr liebkost hat, als sie klein waren. Sie sterben jung. Das Leben ist nicht dafür gemacht. Das Glück ist etwas Monströses! Die, die es suchen, werden bestraft.
Meine Mutter war gestern und vorgestern in einem furchtbaren Zustand. Sie hatte grauenhafte Halluzinationen. Ich habe die ganze Zeit bei ihr verbracht. Du weißt nicht, was es heißt, die Bürde einer solchen Verzweiflung allein zu tragen. Denk an diese Zeile, wenn Du Dich mal für die unglücklichste aller Frauen hältst. Da ist eine, die es mehr ist, als man es sein kann, die nächste Stufe ist der Tod oder rasender Wahnsinn. Bevor ich Dich kennenlernte, war ich ruhig, war ruhig geworden. Ich kam ins Mannesalter seelischer Gesundheit. Meine Jugend ist vorüber. Die Nervenkrankheit, die zwei Jahre dauerte, war ihr Ergebnis, ihr Abschluss, ihre logische Folge. Um zu bekommen, was ich hatte, muss früher in meinem Gehirnkasten etwas auf ziemlich tragische Weise vorgegangen sein. – Dann kam alles wieder ins Lot. Ich habe klargesehen, in den Dingen und in mir selbst, was noch seltener ist. Ich funktionierte mit der Präzision eines für einen besonderen Fall vorgesehenen Systems. Ich hatte alles in mir verstanden, geordnet, sortiert, so dass es in meinem Leben bis dahin keine Zeit gegeben hatte, in der ich ruhiger gewesen wäre, obgleich alle anderen fanden, jetzt sei ich am meisten zu bedauern. Du hast nun alles mit den Fingerspitzen wieder aufgewühlt. Der Bodensatz ist wieder hochgeschwappt, der See meines Herzens hat gebebt. Aber Sturm ist für den Ozean gedacht! – Aus Teichen steigen nur ungesunde Ausdünstungen, wenn man sie in Aufruhr bringt. Ich muss Dich wohl lieben, um Dir das schreiben zu können. Vergiss mich, wenn Du kannst, reiß Dir mit beiden Händen die Seele heraus und tritt darauf, um die Spur auszulöschen, die ich darauf hinterlassen habe. – Komm, werde nicht wütend. – Nein, ich umarme Dich, ich küsse Dich, ich bin wahnsinnig. Wenn Du hier wärst, würde ich Dich beißen. Ich habe Lust darauf, ich, über dessen Kälte sich die Frauen lustig machen und dem man netterweise nachsagt, nicht mit ihnen umgehen zu können, so wenig Umgang wie ich mit ihnen hatte. Ja, jetzt spüre ich in mir die Gier wilder Tiere, blutrünstige, heiße Liebesinstinkte, ich weiß nicht, ob das Liebe ist. Es ist vielleicht das Gegenteil. Vielleicht ist es bei mir das Herz, das impotent ist. Die jämmerliche Manie des Analysierens macht mich fertig. Ich zweifle an allem, selbst an meinem Zweifel. Du hast mich für jung gehalten, und ich bin alt. Ich habe oft mit Greisen über die Freuden dieser Welt geplaudert. Und immer war ich überrascht von der Begeisterung, die ihre erloschenen Augen dann wiederbelebte, so wie sie gar nicht aus dem Staunen herauskamen über meine Lebensweise und mir immer wieder sagten: in Ihrem Alter! In Ihrem Alter! Sie! Sie! Wenn man von der nervösen Überspanntheit, von der Einbildungskraft, von den momentanen Emotionen absieht, bleibt mir wenig. Da hast Du den Mann von innen. Zum Genießen bin ich nicht geschaffen. Diesen Satz darf man nicht in seiner platten Bedeutung verstehen, sondern muss seine metaphysische Heftigkeit erfassen. – Immer sage ich mir, dass ich Dein Unglück sein werde, dass Dein Leben ohne mich ungetrübt gewesen wäre, dass der Tag kommt, an dem wir uns trennen (ich bin schon im Voraus darüber aufgebracht), und ich empfinde einen ungeheueren Abscheu vor mir selbst und für Dich eine ganz und gar christliche, zärtliche Liebe.
In anderen Momenten, gestern zum Beispiel, als ich meinen Brief geschlossen hatte, singt der Gedanke an Dich, lächelt, nimmt Farbe an und tanzt vor mir wie ein fröhliches Feuer, das einem Farbigkeit und durchdringende Wärme spendet. Die Bewegung Deines Mundes beim Sprechen wiederholt sich in meiner Erinnerung, voller Anmut und Verlockung, unwiderstehlich, provozierend; Dein Mund, ganz rosig und frisch, der nach dem Kuss ruft, der ihn mit einem unvergleichlichen Sog anzieht. – Wie gut war meine Idee, Deine Pantoffeln mitzunehmen! Wenn Du wüßtest, wie ich sie betrachte! Die Blutflecken werden bräunlich, sie verblassen, was können sie dafür? wir werden das Gleiche tun: ein Jahr, zwei Jahre, sechs, was ist das schon! Alles, was sich messen lässt, vergeht, alles, was sich zählen lässt, hat ein Ende. Unendlich ist wahrhaft nur der Himmel, und der ist es wegen seiner Sterne, das Meer wegen seiner Wassertropfen und das Herz wegen seiner Tränen. Nur dadurch ist es groß. Alles übrige ist klein. – Lüge ich denn? Überlege mal, versuche, ruhig zu sein. Ein Glück oder zwei erfüllen es, doch alle Nöte der Welt kommen dort zusammen. Sie werden darin leben wie Gäste. –
Du sprichst von Arbeit, ja, arbeite, liebe die Kunst. Von allen Lügen ist sie noch die am wenigsten verlogene. Versuche sie mit ausschließlicher, glühender, hingebungsvoller Liebe zu lieben. Das wird Dich nicht enttäuschen. Nur die Idee ist ewig und nötig. Es gibt sie nicht mehr, diese Künstler von einst, deren Leben und Geist das blinde Werkzeug des Hungers nach Schönheit waren, Organe Gottes, durch die er sich selbst bewies. Für sie war die Welt nicht vorhanden. Niemand hat um ihre Schmerzen gewusst. Jeden Abend legten sie sich traurig nieder und warfen auf das menschliche Leben einen verwunderten Blick, so wie wir Ameisenhaufen betrachten.