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Sie fürchtet um ihr Herz – er verliert seins …
In der Nacht zu ihrem 17. Geburtstag lernt die eigenwillige Frieda jemanden kennen, den sie einfach nicht vergessen kann: Jeffer, einen gut aussehenden, rebellischen Jungen und – wenn sie den warnenden Stimmen glauben will – Herzensbrecher. Als ihre Eltern verreisen, schlägt Frieda all die wohlmeinenden, vernünftigen Ratschläge in den Wind und zieht kurzerhand bei Jeffer ein. Gemeinsam feiern sie, hören Musik, reden bis tief in die Nacht – nicht mehr. Beide spüren, dass sie etwas wirklich Besonderes verbindet, doch genau das macht ihnen Angst, zumal Frieda nicht versteht, was dieser besondere Junge an ihr findet. Frieda und Jeffer brechen den Kontakt zur Außenwelt völlig ab und fahren ans Meer, um endlich herauszufinden, was das zwischen ihnen ist. Doch es ist genau ein Kuss, der schließlich alles verändert …
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Seitenzahl: 292
Patrycja Spychalski
ICH WÜRDE DICH SO GERNE KÜSSEN
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cbt ist der Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage
Erstmals als cbt Taschenbuch März 2012
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
© 2012 cbt/cbj Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Hanna Hörl Designbüro, München unter Verwendung eines Motivs von © Gettyimages, Erin Patrice O’Brien
im · Herstellung: ChB
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-06733-5V002
www.cbt-jugendbuch.de
© Gerlind Clemens
DIE AUTORIN
Patrycja Spychalski, geboren 1979 in Starogard, Polen, zog im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern nach Berlin. Nach dem Abitur absolvierte sie eine Schauspielausbildung, wandte sich dann aber einem ganz anderen Bereich zu: Seit 2002 arbeitet sie in vielfältigen sozial-kulturellen Projekten mit Kindern und Jugendlichen. Sie schrieb schon mehrere Kurzgeschichten für Anthologien, bevor sie ihren ersten Roman »Ich würde dich so gerne küssen« verfasste. Spätestens nachdem man dieses Buch gelesen hat, merkt man, dass ihre große Liebe der Rockmusik gilt – selbstverständlich neben ihrem Freund, ihrem kleinen Sohn Juri und ihren beiden neurotischen Katzen, mit denen sie in Berlin lebt.
HEUTE IST MEIN GEBURTSTAG, der siebzehnte, und Maja hat mich mit ein paar Jungs von zu Hause abgeholt. Maja treibt irgendwoher immer irgendwelche Jungs auf, an die sie sich zwei Tage später nicht mehr erinnert.
Wir fahren nach Kreuzberg. Heute ist 1. Mai.
»Da spielen paar coole Bands!«, schreit Maja und schiebt mich durch die Menschenmassen. Ein bisschen Schiss hab ich schon, ich weiß ja, wie das am 1. Mai in zwei Stunden hier aussehen wird. Vielleicht war das keine so gute Idee.
»Wollen wir nicht erstmal was trinken gehen? Ich lade euch ein. Geburtstagsrunde«, schlage ich vor.
Maja rollt mit den Augen und wir gehen ins Golden Trash rein.
»Du bist eine Spielverderberin, Frieda, echt«, stöhnt sie, als wir am einzigen freien Tisch Platz nehmen.
»Lass sie, es ist schließlich ihr Geburtstag.«
»Ach ja! Jeffer! Der Freund und Retter aller weiblichen Wesen, mit Ausnahme von mir«, stellt Maja mir den Typ vor, dessen Namen ich schon die ganze Zeit gerne gewusst hätte. Er sieht wirklich überdurchschnittlich gut aus. Jeffer also. Klingt nach einem Künstlernamen oder aber nach besonders kreativen Eltern. Jeffer ist groß, hat dunkle, locker nach hinten gestrichene Haare und haselnussbraune Augen. Sein Lächeln wirkt irgendwie ironisch.
Wir bekommen unsere Getränke und prosten uns zu. Maja zieht am Strohhalm ihres Mojitos. Sie trinkt gerne überzuckerte Cocktails. Ich nehme lieber ein Ginger Ale und die Jungs trinken Budweiser.
»Frieda, Herzchen, mit siebzehn hat man noch Träume, weißt du doch, also genieß dein letztes schönes Jahr. Hörst du!? Genieß es!«, ruft Maja so, dass die halbe Kneipe es mitkriegt.
»Was redest du da?«, fragt Jeffer. »Bist selber gerade mal neunzehn, oder?«
»Neunzehn und siebzehn ist ein feiner Unterschied, mein Lieber. Ich weiß, wovon ich rede, glaub mir.« Sie klimpert mit ihren Wimpern.
»Jungs! Maja möchte eine Ansprache halten!«, ruft Jeffer grinsend und kneift Maja freundschaftlich in die Seite.
Die Jungs nippen nur an ihrem Budweiser und sehen gelangweilt aus dem Fenster.
Ich verschwinde kurz auf die Toilette. Vor dem Spiegel zerzause ich mir meine Haare. Die roten Locken stehen mir gut. Die Pickel auf der Stirn machen allerdings alles kaputt. Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass Pickel der Makel introvertierter Menschen seien. Die versteckten Gefühle wollen nach draußen. Warum in Form von hässlichen roten Pickeln, hat allerdings niemand verraten. Ich finde das eine gemeine Art, Menschen, die sowieso schon in sich gekehrt sind, das Leben noch schwerer zu machen.
Ich habe mir für das neue Lebensjahr vorgenommen, ein bisschen weniger introvertiert zu sein. Vielleicht hilft das. Vorerst allerdings versuche ich, mir die Haare vor die Stirn zu schieben, ein bisschen wenigstens.
Maja stößt die Toilettentür auf. »Näschen pudern nicht vergessen!«
»Was sind das für Typen? Wo hast du die wieder aufgetan?«
»Gestern aufm Südstaatenrockkonzert«, antwortet sie, so als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt und ich nur ein bisschen zu doof, um das zu kapieren.
»Südstaatenrock? Mein Gott, du überraschst mich immer wieder.«
»Südstaatenrock ist geil!« Maja ist schnell von etwas begeistert, das kenne ich schon.
Ich zucke mit den Schultern. »Von mir aus.«
»Nein wirklich. Wenn so junge Leute wie wir versuchen, so alte Musik zu spielen wie unsere Opas – na gut, Papas –, das ist echt spaßig.«
»Spießig vielleicht.«
»Nein, spaßig. Obwohl spaßig ein blödes Wort ist. Ach, na, ist ja auch egal.« Maja frischt ihr Lipgloss auf und betrachtet sich zufrieden im Spiegel.
»Und was fangen wir mit diesen Südstaatenrockern jetzt an? Nach so viel Spaß sehen die nämlich nicht aus.«
»Ach, vergiss die! Spätestens draußen haben wir die abgehängt, dann kommen die Autonomen und die sind sowieso viel interessanter.«
»Mein Gott, Maja, was ist eigentlich dein Problem?« Manchmal frage ich mich, ob Maja eine Störung hat oder so was, zu wenig Zuwendung in der Kindheit, und deshalb rennt sie jetzt ungefähr jedem zweiten Typen hinterher, der ihr so über den Weg läuft.
»Ich hab kein Problem. Du bist einfach nur prüde.«
»Na toll.« Ich tue beleidigt.
»Tja, meine Liebe, ist ja nicht so, dass das ein Geheimnis wäre. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch!« Sie stupst mich mit dem Finger an die Nase.
Ja, Maja ist in der Tat meine beste Freundin. Ja, manchmal frage ich mich wirklich, wieso.
Dann sind wir draußen und ich werde von allen Seiten angerempelt. Hunderte von Menschen auf der Straße. Es dämmert und die Stimmung wird langsam herausfordernd. Die Polizei steht in voller Montur am Straßenrand, mit finsterem Blick. Ein paar kleine Jungs zeigen den Mittelfinger. Ein paar Punks singen: »Macht kaputt, was euch kaputt macht.« Von Ton Steine Scherben. Das kenne ich auch. In den Häusern werden die Jalousien runtergelassen. Ladenbesitzer stehen vor ihren Geschäften und wissen nicht, ob sie lachen sollen oder schimpfen. Wenn meine Mutter erfährt, wo ich mich rumtreibe, kriegt sie einen Anfall und ich eine Predigt. Mit achtzehn ziehe ich von zu Hause aus.
Plötzlich ein Schrei, dann etwas Dumpfes und dann Rauch. Ich drehe mich nach Maja um, aber die ist nicht mehr da. Meine Augen brennen, Megafone, »Hier spricht die Polizei«, und ich fange an zu husten. Ein paar Vermummte neben mir zünden einen Papierkorb an. Steine, Bierflaschen und Eier fliegen in Richtung der Polizisten. Noch mehr Rauch und Tränengas. Ich versuche, durch das Gedränge von der Straße wegzukommen. Neben mir stimmt ein Chor an: »Bullen sind böse, ab in die Friteuse!« Das ist witzig, irgendwie, aber mir sitzt gerade das Tränengas im Hals, deshalb kann ich nur innerlich ein wenig lachen. Noch mehr Steine. Ein alter Herr am Straßenrand schüttelt ungläubig den Kopf und droht mit der Faust, ich kann bloß nicht ausmachen, wem eigentlich. Hunde bellen überall. Ich schiebe mich weiter in Richtung Seitenstraße, stolpere und reiße mir dabei meine Jeans am Knie auf.
Jemand packt mich am Arm und zieht mich in einen Hauseingang.
»Mann, ich hasse solche pseudolinke Scheiße!« Jeffer versucht, wieder zu Atem zu kommen.
»Was machst du dann hier am 1. Mai?« Ich tupfe mir mit einem Taschentuch Blut vom Knie.
»Deinen Geburtstag feiern«, antwortet er und sieht mir herausfordernd in die Augen.
»Wo sind die anderen?«
»Maja wirft Steine und meine Jungs haben sich aus dem Staub gemacht.«
»Waren sowieso Langweiler.«
»Oha, da vergibt aber jemand schnell seine Stempel. Komm mit, ich lotse uns hier raus.« Er zieht mich etwas unsanft am Arm.
Im Hinterhof stehen wir vor einer Mauer.
»Wir sind das Volk …«, lacht Jeffer.
»Du bist dann wohl mehr so der Witzbold, was?«
»Kommst du heute mit zu mir?«
Hat er das jetzt wirklich gesagt? Und vor allem – hat er das tatsächlich so gemeint? Er lächelt nämlich so unverschämt dabei, dass ich nicht sicher bin, ob das so ein Spaß ist, den ich wieder mal nicht verstehe, oder ob er mich möglicherweise in Verlegenheit bringen will. Vielleicht soll das auch ein Test sein? Und langsam sollte ich auch mal darauf antworten, wenn ich mich nicht ganz lächerlich machen will. Ich kann ja schlecht so tun, als hätte ich nichts gehört.
»Hol uns erst hier raus.« Ich glaube, das ist für den Anfang nicht das Blödeste, was mir einfallen konnte.
Jeffer macht eine Räuberleiter für mich und kommt dann hinterhergeklettert.
Hinter der Mauer schaut uns eine türkische Großfamilie erstaunt an. Sie sind gerade beim Grillen. Sucuk, Zwiebeln und Mais.
»Komm, komm runter, hier sicher«, sagt der Mann mit der Grillzange, so als wäre es das Normalste von der Welt, dass zwei Gestalten über seine Mauer klettern.
Unten angekommen verschnaufen wir erstmal auf der Bierbank.
»Ich bin Burak.« Er streckt uns die Hand entgegen. »Immer so, immer hier zu erste Mai. Wir nur hier wohnen, und die draußen Lärm machen, die ganze Nacht. Die Alis nicht können schlafen und Frau Ayten haben Angst. Scheiße Polizei. Bitte essen Sie mit uns. Hier ist sicher. Nicht gut, kommen nach Kreuzberg, wenn erste Mai.«
Frau Ayten holt Sucuk für alle, wir lächeln uns höflich an.
»Happy Birthday«, flüstert Jeffer mir ins Ohr und legt seine Hand auf meinen Arm.
Satt sitzen wir in der S-Bahn Richtung Erkner und mit jeder Station sieht es weniger nach Berlin aus.
»Wo bist du bloß hingezogen?«, frage ich Jeffer.
»Dahin, wo es noch nach Osten riecht.«
»Mann, das ist doch Ewigkeiten her, das mit dem Osten!«
»Für dich vielleicht, aber meine Mutter kommt heute noch nicht drauf klar.«
»Und was heißt das für dich?«
»Dass ich sie immer sonntags zum Kaffee weinen sehe.«
»Oh Mann.«
Wir sehen zum Fenster und finden dort unser Spiegelbild.
»Schau mal, sind wir nicht ein schönes Paar?«, sagt Jeffer.
»Aber wir sind keins.« Ich lache etwas nervös.
Was bildet er sich eigentlich ein?
»Maja hat schon gesagt, dass du widerborstig bist.«
Großartig! Da haben Maja und Jeffer mich schon schön hinter meinem Rücken durchanalysiert.
»Maja weiß gar nichts«, entgegne ich.
»Ja, den Eindruck habe ich allerdings auch.«
Wir fahren in Berlin-Karlshorst ein. Es ist schon zehn durch, ich rufe vom Handy aus meine Eltern an und erzähle ihnen, dass ich heute bei Maja übernachte.
Jeffer grüßt im Vorbeigehen einige Leute, die in einer großen Gruppe unterwegs sind. Die Mädels unter ihnen sehen mich feindselig an. Hab ich irgendwas angestellt? Jeffer zwinkert mir aufmunternd zu. Er nimmt mich an der Hand und zieht mich bei roter Ampel über die Straße, links abgebogen, durch ein verbeultes Tor getreten, eine knarrende Treppe hoch und schon sind wir in seiner Wohnung. Er setzt Teewasser auf. Ich setze mich an den Küchentisch und sehe mir die Fotos an der Wand an. Musiker. Jimmy Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin. In goldenen Lettern die 27. Dann eine Reihe Schwarz-Weiß-Bilder, Gitarren, Mikros, Jeffer am Strand mit Gitarre, Gitarre am Strand ohne Jeffer.
»Seit wann wohnst du allein?« Ich fahre mit meinem Finger über die staubigen Bilderrahmen.
»Drei Jahre, mit sechzehn raus aus dem Familienhaus.«
»So schlimm?«
»Meine Mutter hat mich als schwulen Hund beschimpft.«
»Oh Gott.«
»Ja, mir fiel darauf nicht mehr ein, als mich einfach aus dem Staub zu machen.«
»Und trotzdem tröstest du sie sonntags beim Kaffee«, stelle ich fest und bin wieder mal erstaunt, wie einige Eltern mit ihren Kindern umgehen.
»Sie ist halt meine Mutter.«
Jeffer streicht liebevoll über seine Platten und legt Pink Floyd auf.
»Du stehst auf das alte Zeug, was?«
»Auf das neue zu stehen, ist unmöglich!«
Wir sitzen uns eine Weile gegenüber und keiner sagt ein Wort. Wir lauschen der Musik und ich nehme die Atmosphäre der Wohnung in mich auf. Alte Musik, alte Fotografien, alte verschnörkelte Möbelstücke. Draußen fahren die Autos vorbei und werfen mit ihren Scheinwerfern Schatten an die Küchendecke. Ich trinke meinen schwarzen Tee. Jeffer raucht und sieht aus dem Fenster. Ich werde plötzlich unsicher. Was mache ich eigentlich hier?
Es ist schön, so schweigend am Tisch zu sitzen, aber was soll dann noch kommen? Ich kenne diesen Jeffer gar nicht. Ich gehe eigentlich nicht einfach so mit irgendwelchen Typen mit.
Wahrscheinlich hält er mich für ein Flittchen. Wer weiß, was Maja ihm erzählt hat?
»Sag mal, Frieda, wenn du einen Wunsch frei hättest …«, unterbricht er die Stille.
»Einen Wunsch?«
»Heute, zum Geburtstag zum Beispiel.«
»Puh, ein Wunsch … mein Gott … weiß nicht, man wünscht sich doch so viel.«
»EIN Wunsch.«
»Mann, keine Ahnung, die Weltrevolution, vielleicht, oder dass ich mit George Clooney ins Bett kann. Haha.« Oh Mann, das war vielleicht doof!
»Haha, ja.«
In Wirklichkeit wünsche ich mir nichts mehr, als einfach nur schön zu sein. Richtig schön. Ich bin nicht hässlich, nein, wirklich nicht, eher Durchschnitt. Aber ich hätte gerne eine Porzellanhaut, eine kleine Nase und Hände, deren Nägel es wert wären, mit dunkelroter Farbe lackiert zu werden.
Schöne Menschen können lässig sein, entspannt. Ihnen fallen die guten Dinge einfach in den Schoß. Freunde, Verehrer, gute Noten, alle Blicke auf der Party. Sie müssen sich nicht darum kümmern, dass sie in einer bestimmten Sitzhaltung ein ungünstiges Profil haben oder dass sich ihnen kleine Speckfalten durch das T-Shirt abzeichnen. Sie können einfach nur sein. Laut lachen, damit alle die weißen Zähne sehen, wild tanzen, damit alle die tolle Figur bewundern.
Und dann können sie noch die abgefucktesten Klamotten tragen und sehen damit richtig cool aus.
Ich wäre gerne schön. Aber das sage ich Jeffer natürlich nicht. Das sage ich niemandem. Damit muss ich selber klarkommen.
»Und du? Was wäre dein Wunsch?«, versuche ich, von mir abzulenken.
Jeffer grinst verschmitzt. »Das verrate ich dir ein anderes Mal.«
Er setzt neues Teewasser auf, dann wechselt er die Platte, Led Zeppelin.
»Lass mich raten, du wärst doch gerne Rockstar!«
»Jeder wäre gerne Rockstar«, sagt er, und seine Augen glänzen.
»Ich nicht.«
»Was wärst du denn gerne?«
»Ich würde gerne Filme über Rockstars machen.«
»Ein Groupie also«, witzelt er.
»Vielleicht auch das.« An der Stelle könnte ich ihm eigentlich zuzwinkern, aber schließlich traue ich mich doch nicht.
»Warum treibst du dich eigentlich mit dieser Maja rum?« Er gießt den Tee auf.
»Maja ist okay. Vielleicht ein bisschen durchgeknallt, aber okay.«
»Sie baggert mich an«, stellt er fest und versucht, meinen Blick einzufangen.
»Warum erzählst du mir das?« Ich sehe verwirrt zu Boden.
»Vielleicht redest du mal paar Takte mit ihr?« Er nimmt meine Tasse und trinkt den letzten Schluck aus, um mir dann frischen Tee einzugießen.
»Du bist groß genug, dich um deinen Scheiß selber zu kümmern«, antworte ich schon selbstbewusster.
»Oha.«
Ich grinse ihn an.
Wir hören noch eine Weile Musik. Jeffer ist stolz auf seine Plattensammlung, die er wöchentlich, von Flohmarkt zu Flohmarkt ziehend, erweitert. Fleetwood Mac, Jefferson Airplane, John Lee Hooker, John Martyn, The Zombies. Nicht gerade der modernste Musikgeschmack.
»Das Einzige, wofür ich richtig viel Geld ausgebe«, sagt er stolz.
»Und der andere alte Schnickschnack hier?«
»Den sammle ich auf den Hinterhöfen auf.«
Ein Überlebenskünstler in Schlaghosen und Boots. Wie aus einer anderen Zeit hergebeamt.
Natürlich bin ich beeindruckt. Natürlich werde ich ihm das nicht sagen. Natürlich ist da wieder dieses Ding zwischen Jungs und Mädels, zwischen Männern und Frauen, dieses Spiel, sich interessanter machen zu müssen, als man ist. Abgebrühter. Cooler.
Also zünde ich mir lässig eine Zigarette an und blicke aus dem Fenster in die Ferne.
Wirklich komisch irgendwie, dass ich jetzt hier bei diesem hübschen Kerl in seiner hübschen Küche sitze. Ich riskiere noch einen Blick und sehe, wie er sich durch die Haare streicht und an seiner Zigarette zieht. Seine Jeans sieht so aus, als wäre sie extra für ihn geschneidert, und sein Shirt schmiegt sich lässig an seinen Oberkörper. Seine Wangenknochen treten ein wenig hervor, und da ist ein Grübchen links, oberhalb der Lippen. Plötzlich sieht er zu mir, erwischt mich beim Beobachten und lächelt. Ich versuche, den Blick zu halten.
Am nächsten Morgen wache ich in Jeffers Bett auf. Er hat im Nebenzimmer auf dem Sofa geschlafen. Auf einmal, ganz unerwartet, sagte er, er sei müde und müsse ins Bett. Ich solle mich wie zu Hause fühlen. Ich fühlte mich schon längst zu Hause, aber in seinem Bett zu liegen, war trotzdem befremdlich. Seine Bettwäsche riecht nach Deo, männlicher Haut und Rauch. Ein bisschen muffig vielleicht. Ich konnte lange nicht einschlafen. Ich dachte darüber nach, ob Jeffer wohl vorhatte, mich abzuschleppen, und warum er es dann doch nicht getan hat. Gleichzeitig war ich froh darüber. Das mit dem Sex ist keine leichte Sache, und alle romantischen Komödien, die versuchen, einen vom Gegenteil zu überzeugen, lügen.
Es gibt da jede Menge Hürden zu überwinden. Die eigene Unsicherheit. Die Erwartungen des anderen. Und dann noch diese hässliche Unterwäsche, die man trägt, weil alles andere so schrecklich sexy ist, dass man davon einen roten Kopf bekommt. Ja, ich war wirklich froh, dass Jeffer sich zurückgezogen hatte, wenn auch etwas irritiert.
Jetzt liege ich hier und lausche auf die Geräusche der Wohnung. Eine Uhr tickt, leise, unaufdringlich. Etwas weiter weg läuft Wasser in den Rohren. Durch das Fenster hört man das Vorbeirauschen von Autos. Hupen. Kein Hinweis darauf, dass Jeffer schon wach ist.
Ich drehe mich auf die andere Seite, schließe die Augen und sauge diesen muffigen Männerduft ein. Ich habe bisher mit zwei Jungs geschlafen, nur, andere aus meinem Jahrgang haben wesentlich mehr vorzuweisen. Das erste Mal war schön, harmlos. Er hieß Martin und war wohl so etwas wie die erste große Liebe. Martin war schüchtern und ich auch, und deshalb machten wir es so, wie wir es in der Bravo gelesen hatten, beide, unabhängig voneinander. Ich hatte geblutet, ein wenig, und die schlimmste Vorstellung war, dass seine Mutter das Laken waschen würde. Seitdem konnte ich ihr nicht in die Augen sehen und sie mir glaube ich auch nicht. Dass das mit den Müttern von Söhnen keine einfache Sache ist, hatte ich auch irgendwo gelesen.
Das zweite Mal war weniger schön und auch nicht harmlos. Der Typ war mal wieder so einer, den Maja irgendwo aufgegabelt hatte. Wir hatten getrunken. Er hatte beim Tanzen mit mir einen Steifen bekommen und schob mir die Hand in die Unterhose. Ich schämte mich vor den anderen und zog ihn in den Flur. Wir wollten es so machen wie in den leidenschaftlichen Szenen aller Hollywoodfilme, im Stehen. Ich an die Wand gepresst. Es klappte nicht gut, erst nach mehreren Versuchen, und ich wollte schon eher aufgeben, aber der Typ sagte: »Auf keinen Fall jetzt.« Dann klappte es doch irgendwie, für ihn, für mich nicht, und als es schon zu spät war, fiel mir ein, dass wir nicht verhütet hatten. Ich hatte Schiss. Ich betete zu Gott, dass er meine Tage kommen lässt, und versprach als Gegenleistung, nie mehr mit einem Jungen zu schlafen. Tat ich dann auch nicht mehr. Aber natürlich nicht wegen Gott – ich war überzeugt, er hatte es nicht so ernst genommen –, sondern weil sich keine Gelegenheit ergab und ich auch vorsichtiger geworden war. Bis gestern Nacht.
Ich stehe aus dem Bett auf, ziehe meine Jeans an und gehe in die Küche. Erst als ich mir Teewasser aufsetze, bemerke ich den Zettel auf dem Tisch: Schau mal in den Backofen!
Im Backofen liegen zwei Croissants und ein weiterer Zettel: Lass es dir schmecken. Ich bin unterwegs. Mama. Du weißt schon. Bye. J.
Ich bestreiche meine Croissants mit Butter und Marmelade und trinke dazu schwarzen Tee. In der Spüle steht meine Tasse von gestern, einsam. Bye. J. Tja, das war’s dann wohl. Mein siebzehnter Geburtstag endete alleine, im Bett eines fast fremden Jungen. Alleine mit zwei Croissants. Ich fühle mich plötzlich fehl am Platz, packe meine Tasche zusammen, kann meine Neugierde dann doch nicht zähmen und schaue in zwei Schubladen. Jede Menge Krimskrams, Batterien, Kleingeld, Blättchen, ein Füller. In der zweiten dann Fotos, von Frauen. Natürlich. Ich verschwinde, ziehe die Tür hinter mir zu und werfe in den Briefkasten einen Zettel: Danke!
In der S-Bahn fahren gut gelaunte Familien mit ihren Rädern zu einem Ausflug ins Grüne.
Meine Eltern machen auch diese Ausflüge, zu zweit. Sie haben es schon vor drei Jahren aufgegeben, mich dazu überreden zu wollen. Ich mag meine Eltern, wirklich, aber in diesen albernen Fahrradhelmen möchte ich einfach nicht mit ihnen gesehen werden. Mein Vater sagt gerne Sätze wie: »Mein Gott, mein kleines Mädchen ist groß geworden.« Aber darauf läuft es doch hinaus. Mich wundert, dass ihn das wirklich erstaunt.
Jetzt allerdings habe ich gerade Sehnsucht nach den beiden und hoffe insgeheim, dass sie heute keinen Ausflug machen, sondern zu Hause sind, Mama ihre besonderen Kohlrouladen macht und wir uns dann einen von diesen Hollywoodfilmen ansehen, mit ihren Lieblingsschauspielern, Robert DeNiro und Meryl Streep.
Aber so läuft es leider nicht. Als ich die Haustür aufschließe, steht schon mein Vater in der Tür und sieht mich wütend an. Meine Mutter kommt dazu, trocknet sich noch ihre Hände am Geschirrtuch ab. Dann bekomme ich von ihr eine Ohrfeige. Die erste in meinem Leben.
»Wo warst du?«, fragt sie mit zittriger Stimme.
»Bei Maja.« Ich halte mir die Wange, es brennt ein wenig.
»Ich frage zum letzten Mal: Wo warst du?« Sie ist wirklich wütend.
»Wir haben meinen Geburtstag gefeiert.«
»Die ganze Nacht?«
»Irgendwie schon.« Ich versuche, den Blickkontakt zu halten, weil ich irgendwo gelesen habe, dass man Lügner schnell daran erkennt, dass sie einem nicht in die Augen sehen.
»Irgendwie schon? Was soll das für eine Antwort sein?«
»Maja und ich …«
»Maja war heute Nacht zu Hause!«, mischt sich mein Vater ein.
Ich schweige. Wahrscheinlich haben sie Majas Vater beim Morgenspaziergang getroffen. Es hat keinen Sinn, sich da rauszureden.
»Wir haben gefeiert und dann war Maja weg und dann …«, probiere ich noch, aber weiß selber schon, dass es nur klägliche Versuche sind.
»Du hast nach zehn hier angerufen, dass du bei ihr schläfst«, unterbricht mich meine Mutter.
»Ja.«
»Und?«
»Das war eine Lüge.«
»Frieda, verdammt noch mal!« Jetzt ist auch mein Vater voll in Fahrt.
»Es tut mir leid.« Ich werde weinerlich. Das will ich immer nicht, aber es passiert trotzdem irgendwie.
»Das reicht nicht! Wo warst du heute Nacht?« Meine Mutter ist an ihrer Toleranzgrenze angelangt, das sieht man an ihren Lippen, die zu einem Strich zusammengepresst sind.
»Bei einem Jungen.«
»Bei wem?« Papas Gesicht wird rot.
»Jeffer.«
»Wer soll das sein?«
»Ich habe ihn gestern erst kennengelernt.«
»Ich fasse es nicht!« Mein Vater fährt sich nervös durch das Haar.
»Wir haben geredet, Musik gehört …«, erkläre ich.
»Frieda! Ich war auch mal ein junger Mann!«
»Und ich bin eine junge Frau und das ist ein großer Unterschied!«
Ich dränge mich an ihnen vorbei und knalle die Tür zu meinem Zimmer zu.
Das haben sie nicht verdient. Im Grunde weiß ich, dass sie sich Sorgen machen und so, aber ich bin wirklich die Letzte in meiner Klasse, die noch ihren Eltern Rede und Antwort stehen muss. Das ist nicht nur peinlich, sondern auch schrecklich nervig.
Als alle sich dann eine Runde beruhigt haben, sitzt Mama auf der Bettkante in meinem Zimmer.
»Lügen sind keine gute Basis für diese schwierige Eltern-Teenager-Beziehung.« Sie spricht leise und sanft, die Wut ist verflogen.
»Ja, ich weiß«, gebe ich zu.
»Und ich weiß, dass du glaubst, jetzt erwachsen zu sein. Von mir aus. Noch ein Jahr und dann ziehst du vielleicht sogar aus. Aber Sorgen machen wir uns trotzdem. Und wenn du lügst, müssen wir doch glauben, dass etwas Ernstes dahintersteckt.«
»Nichts Ernstes. Wirklich nicht. Das war nur so im Eifer des Gefechts … vielleicht hat das Tränengas mein Denken behindert.«
»Welches Tränengas?«
»Shit.« Ich beiße mir auf die Zunge.
»Du warst doch wohl nicht in Kreuzberg gestern?«
»Hm. Wie sage ich das jetzt, ohne zu lügen?«
»Frieda!«
Nein, heute wird das mit der heilen Familie und den Kohlrouladen wohl nichts mehr.
Montag, erste Stunde, Französisch. Ich kann diese Sprache nicht leiden, sie ist übertrieben, künstlich, nervig. Frau Azzouni lässt uns irgend so einen Text von Sabine et Pierre lesen. Ich verstehe kein Wort. Pierre et Sabine interessieren mich wirklich einen Dreck. Wenn ich in diesem Fach mit einer Vier minus davonkomme, kann ich von Glück reden. Frau Azzouni hat vielleicht Mitleid mit mir, obwohl sie mich nicht leiden kann, wie alle Lehrer, die Schüler nicht leiden können, welche ihre Fächer nicht mögen. Ich persönlich finde das sehr kleinlich.
Ich mag Schule sowieso nicht besonders. Die Lehrer sind alt, riechen nach Eau de Cologne und behandeln meistens wirklich überflüssige Themen. Der einzige Hoffnungsschimmer ist meine Deutschlehrerin, Frau Obst. Sie ist scharfzüngig und geht mit uns ins Theater. Sie behandelt mit uns unanständige Literatur und schimpft auf die Politiker. Manchmal dürfen wir vorschlagen, welches Thema wir als Nächstes durchnehmen. Außerdem sieht sie auch mal über eine schlechte Note hinweg. Sie gibt sich Mühe mit ihren Schülern und nimmt sie ernst. Außerdem kann sie, wenn nötig, eine richtige Ansage machen, ohne gleich loszubrüllen.
»Frieda? Où sont Sabine et Pierre dans les vacances?«
»Äh … ich … je … ne sais pas. A Paris?«
»Non!«
Mist.
Das mit der Vier minus kann ich wohl voll vergessen.
In der großen Pause schmeißt sich Maja mir an den Hals. Sie ist einen Jahrgang über mir und auch schon mal sitzen geblieben.
»Frieda, Frieda … Wo warst du am Samstag plötzlich?« Sie kneift mich in die Wange, so wie das eigentlich die Aufgabe alter Tanten ist.
»Du hast mich doch sitzen lassen!«, antworte ich, noch genervt von dieser Französischstunde.
»Ach was! Ich würde dich nie irgendwo sitzen lassen. Ich musste nur schnell mal was erledigen. Hast du mal ’ne Zigarette?«
»Nee, kein Geld momentan.«
»Bist du einfach nach Hause abgehauen?« Sie klopft ihre Jackentaschen ab in der Hoffnung, doch noch eine Zigarette zu finden.
»Ich war noch bei Jeffer«, sage ich gespielt unbeeindruckt.
»Was?« Maja reißt die Augen auf, als hätte ich ihr erzählt, dass ich mir die Brüste operieren lasse oder sonst was.
»Hast du was an den Ohren?«
»Du bist ein Flittchen!«, brüllt sie über den ganzen Schulhof, damit es ja alle mitbekommen.
»Reg dich nicht auf, wir haben nur Musik gehört.«
»Ich glaube dir kein Wort!«
»Was hast du in der nächsten Stunde?«, frage ich sie, denn eigentlich würde ich mich ganz gerne ein bisschen mit ihr unterhalten.
»Bio. Du?«
»Mathe. Schwänzen?«, schlage ich vor.
»Schwänzen!«
Wir gehen in eine Eckkneipe in der Nähe der Schule, weil es hier sonst nichts gibt, und weil man draußen Gefahr läuft, einem Lehrer zu begegnen, der gerade Freistunde hat. Die Kneipe heißt Durchhänger und in der Tat hängen hier schon um zehn die ersten ziemlich durch und trinken Korn oder Bier. Die Barfrau lächelt uns an, weil sie uns schon kennt, es ist nicht das erste Mal, dass Maja und ich die Schule schwänzen. Wir bestellen Cola und Erdnüsse.
»Also schieß los, Frieda!« Sie kaut an den Fingernägeln vor lauter Aufregung.
»Ehrlich. Total uninteressant. Es war ein netter Abend, mehr nicht.«
»Mann, ich wäre gerne an deiner Stelle gewesen, dann wäre es mit Sicherheit mehr als nur ein netter Abend geworden.«
»Davon bin ich überzeugt.« Hatte Jeffer recht, als er sagte, dass Maja ihn anbaggert?
»Wie sieht es bei ihm aus?«
»Wie soll es schon aussehen? Eine kleine Wohnung mit alten Möbeln und Fotos an den Wänden. Nichts Besonderes.«
Das stimmt natürlich nicht. Jeffers Wohnung war gemütlich, warm, anders als Jungszimmer sonst aussehen, sie hatte Charakter, aber das erzähle ich Maja nicht, weil sie nicht alles wissen muss. Außerdem will ich gar nicht so viel über Jeffer reden, weil er mir einen Korb gegeben hat, wenn auch einen indirekten, und weil mich das wurmt. Und wenn Maja das mitkriegt, wird sie mich noch Ewigkeiten damit aufziehen.
»Egal, ich kann ihn ja heute selber fragen«, sagt sie und wirft ihr Haar nach hinten.
»Du siehst ihn heute?« Mein Herz macht einen Aussetzer.
»Ha, reingefallen! Natürlich sehe ich ihn nicht, aber dein Gesicht hättest du gerade sehen sollen. Von wegen: Da war nichts.«
»Ach, Majka.«
»Mensch Frieda, ich steh auf diesen Typen. Ich hatte ihn für mich mitgebracht.«
Also doch!
»Aber du kennst ihn doch gar nicht richtig.« Ein kläglicher Versuch, ihr das auszureden.
»Na und? Er sieht einfach mal scheiße gut aus.«
»Keine Sorge, ich werde ihn dir bestimmt nicht wegschnappen.« Ich tue, als ob es mir egal wäre. In Wirklichkeit könnte ich losbrüllen. Das ist wieder so typisch! Gegen Maja habe ich keine Chance, selbst wenn ich wollte. Maja ist einer von den schönen Menschen, kleine Nase, markante Lippen, schwarze lange Haare. Außerdem ist sie offen und direkt, hat eine tiefe Stimme und kleidet sich stilvoll mit allen möglichen Accessoires.
»Was machst du heute Abend?«, fragt sie mich.
»Referat.« Ich muss sie mir doch vom Leib halten, sonst schwärmt sie mir den ganzen Abend von Jeffer vor.
»Worüber?«
»Pawlow’sche Hunde.«
»Oh Gott, wer hat bloß die Schule erfunden?«
Maja und ich sind uns einig, dass die Schule eine ganz überflüssige Angelegenheit ist. Bis auf die Pausen. Und Wandertag. Klassenfahrt. Freistunden. Und Frau Obst natürlich.
Zu Hause stöbere ich die CD-Sammlung meines Vaters durch. Tatsächlich finde ich Pink Floyd. Ich wusste, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Ich schließe mein Zimmer ab, schalte »Wish you were here« auf repeat und überlasse mich den Träumereien. Ich habe noch das mit Pawlow zu erledigen, aber erst mal richte ich in Gedanken meine erste eigene Wohnung ein. Dunkelgrüne Wände im Wohnzimmer. Ein großer, schwerer Schreibtisch, dunkelbraun. Kakteen. Unbedingt Dielenfußboden. Die Küche wird amerikanisch, türkiser Kühlschrank, Schauspielerbilder an der Wand, in Schwarz-Weiß. Im Bad wird ein bequemer Sessel stehen, damit es auch zu zweit dort gemütlich ist. Ich gebe eine Party, jede Woche eine. Die Leute kommen und finden meine Wohnung schön und wollen gerne bleiben. Einer bringt Zigaretten mit, ein anderer Baguette und Käse und noch ein dritter Weißwein. Dann gucken wir einen alten Film, machen uns über die Dialoge lustig und fangen selber an, welche zu schreiben. Um zwei Uhr nachts gehen die Ersten nach Hause. Um drei trinke ich einen Chai, rauche die letzte Zigarette am Fenster und falle müde ins Bett. Zufrieden und traumlos. Vielleicht lade ich Jeffer mal ein.
DANN IST SAMSTAG und ich liege in der Badewanne. Es ist schon drei. Mama und Papa sind mit Freunden beim Brunch. Das kann dauern, also habe ich bis zum Abend die Wohnung für mich allein. Die Anlage bis zum Anschlag aufgedreht, höre ich Janis Joplin. Mein Vater wundert sich über mein plötzliches Interesse für alte Musik, dabei mochte ich die schon immer, ich habe sie bloß nicht gehört. Ich steige kurz aus der Wanne, um mir eine Cola mit Eis und Zitrone zu holen. Janis singt von Sommer.
An der Tür klingelt es plötzlich Sturm. Ich wickle mich in ein großes Handtuch und drücke den Türöffner. Wahrscheinlich nur ein Prospektverteiler.
Aber dann höre ich jemanden die Treppe hochlaufen. Ich werfe mir noch schnell Papas alten, gestreiften Bademantel über. Dann klopft es. Vor der Tür steht Jeffer.
»Mann, ich dachte, ich müsste heute vor der Tür übernachten!«
Ich merke, wie ich rot werde, und das allein ist mir schon furchtbar peinlich.
»Schönes Outfit. Hast du dich für mich rausgeputzt?« Er lehnt sich lässig an den Türrahmen, so als wäre er James Dean oder sonst einer von der coolen Garde.
Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren!
»Kommst du jetzt rein oder willst du noch ein paar Sprüche klopfen?« Ich tue unbeeindruckt.
Puh! Das ist noch mal glattgegangen.
Jeffer schließt die Tür und sieht sich in der Wohnung um.
»Ich ziehe mir mal was an und bin gleich wieder da.«
»Kein Problem.«
Ich verschwinde in meinem Zimmer, atme tief ein, zähle bis zehn und atme dann wieder aus.
Ich hole eine Jeans aus dem Schrank und ein ausgewaschenes blaues Shirt, das schon viel zu alt ist, aber trotzdem mein liebstes Kleidungsstück. Dann wiederhole ich die Atemübung und trete aus dem Zimmer.
Jeffer sitzt in der Küche und trinkt meine Cola. Das ist wirklich dreist. Er hat die Musik leiser gedreht.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Du hast redselige Freunde.«
Maja. Natürlich, wer sonst?
»Ich will dich heute mitnehmen.« Er blättert in einer Gartenzeitschrift meiner Mutter.
»Wohin?«
»Wir machen Straßenmusik, an der Oberbaumbrücke.«
»Mit Geld im Hut sammeln und so?«
»Genau.«
»Ich weiß nicht recht.«
Natürlich komme ich mit, aber ein bisschen Zieren kann nicht schaden.
»Frieda, komm schon, das wird ein Privatkonzert, nur für dich.«
»Und wie komme ich zu der Ehre?« Ich tue immer noch skeptisch, bin es aber natürlich längst nicht mehr.
»Na ja, es werden auch noch ein paar andere da sein, aber du kannst sie ignorieren, wenn du willst«, sagt Jeffer und grinst mich frech an.
»Wir werden sehen.«
Wir sitzen noch einen Moment in der Küche rum. Jeffer trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Unangenehme Stille. Ich tue so, als würde ich einen Fleck von der Jeans wischen. Schließlich halte ich es nicht mehr aus, springe auf. »Na gut, gehen wir eben!«
Ich packe meine Ledertasche, Geld, Blistex, Deo, Fotoapparat. Jeffer sieht sich mein Zimmer an.
»So wohnen also Mädchen.«
»Ich ziehe bald aus.«
»Wo sind deine Eltern?«
»Brunchen.«
»Brunchen. Meine Güte. Ist dir mal aufgefallen, dass Leute ab einem bestimmten Alter ständig brunchen? Brunch, Raclette, Sushi und Fondue.«
»Ist das schlimm?«
»Nein, aber es könnte die dicken Oberschenkel und Bäuche erklären.«
Ich schreibe meinen Eltern einen kurzen Zettel, diesmal ganz ohne Lügen.
Wir verlassen die Wohnung. Im Treppenhaus steht Frau Weber am Briefkasten und sortiert ihre Werbung aus. Sie wirft einen Blick auf Jeffer, lächelt und sagt: »Ach, ihr jungen Leute!«
Sonst sagt sie nichts und Jeffer verbeugt sich vor ihr zum Abschied. Frau Weber seufzt begeistert.
Draußen scheint die Sonne. Angenehme, frühlingshafte Wärme. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie mir über die Schulter. Jeffer stolziert neben mir wie ein Hahn, und ich wünschte, meine Eltern könnten uns so sehen, nur von Weitem, aber eben doch sehen.
Das Gefühl des bevorstehenden Abends ist erhebend. Man glaubt, dass alles passieren könnte. Musik, neue Menschen, vielleicht irgendeine Verrücktheit. Ich war bisher immer sehr brav gewesen. Es ergab sich einfach nichts Aufregendes, aber jetzt habe ich Lust, einen draufzumachen, etwas Dummes anzustellen. Ich will glauben, dass die Welt nur mir gehört!