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Die »Falken«-Reihe wird mit einem neuen Abenteuer fortgesetzt: Tobias und seine beiden Freunde Sadik und Jana sind mittlerweile in England angekommen, aber immer noch auf der Flucht vor Graf von Zeppenfeld. Hinter ihnen liegt eine gefährliche Fahrt über den Ärmelkanal, und die Suche nach dem Geheimnis des Tals des Falken ist noch immer nicht zu Ende. Eigentlich könnte Mullbery Hall, der Landsitz von Lord Burlington, die letzte Station für die drei Freunde auf ihrem Weg nach Ägypten sein. Wenn sie doch nur wüssten, was es mit dem kostbaren Gebetsteppich auf sich hat, der sich im Besitz des Lords befindet … Band 3 der »Falken«-Reihe von Rainer M. Schröder. Europa in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Es ist die Zeit der Restauration und der Geheimbünde, die Zeit von aufregenden Erfindungen und abenteuerlichen Entdeckungsreisen. Tobias Heller, der Sohn eines Forschers und Entdeckers, wächst in der Obhut seines Onkels auf und besitzt einen Ebenholzstock mit einem Silberknauf in Form eines Falkenkopfes. Was Tobias nicht ahnt: Der Knauf birgt ein Geheimnis und ist der Auslöser eines so aufregenden wie gefährlichen Abenteuers, das Tobias und seine Freunde, den Beduinen Sadik und die Landfahrerin Jana, durch ganz Europa führen wird.
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Seitenzahl: 369
Rainer M. Schröder
Roman
Für Lukas Wiemer Möge dein Lebeneine aufregende Reisedurch blühende Oasen sein.
August 1830
Funken flogen in die Nacht, als Sadik Talib einen trockenen Ast ins Feuer warf. Im selben Augenblick wusste er, dass sie sich in Gefahr befanden. Doch um welche Gefahr handelte es sich? Und aus welcher Richtung kam sie?
Der schmächtige, sehnige Araber beugte sich vor und hängte den Wasserkessel an den Haken des eisernen Dreibeins. Jeder Muskel war angespannt, doch weder Jana noch Gaspard und Tobias merkten etwas davon. Auch seinem Gesicht mit der leicht getönten Haut, den ausgeprägten Wangenknochen, der scharfen Nase und den buschigen schwarzen Brauen, unter denen hellblaue Augen von der Klarheit und Schärfe eines Falken lagen, war nicht die geringste Veränderung anzusehen.
Sadik war ein bàdawi, ein Beduine von Geburt, und hatte in den mehr als vierzig Jahren seines wechselvollen Lebens mehr Gefahren ins Auge sehen müssen, als ein guter Feigenbaum zur Erntezeit Früchte trägt.
Angst war ihm fremd, denn sein Glaube an den Koran und das Himmelreich nach dem Tod war so unerschütterlich wie das Wissen um die eigene Schnelligkeit und Erfahrung als Kämpfer. Er wünschte nur, sie säßen nicht auf dieser kleinen kieferbestandenen Lichtung im Westen Frankreichs um ein Lagerfeuer, sondern irgendwo in den Dünen der Wüste. Die Geräusche der Wüstennacht wusste er so sicher zu deuten wie ein Astronom das Meer der Sterne, die in dieser Augustnacht den Himmel so dicht bevölkerten, als hätte ein Riese mit schwungvoller Hand einen Sack mit Brillanten und Diamantenstaub über ein schwarzes Samttuch ausgeschüttet.
Er konzentrierte all seine Sinne auf die Dunkelheit jenseits des hellen Lichtkreises, den das Lagerfeuer warf. Das vertraute Rupfen der beiden ausgespannten Grauschimmel, die sich an dem Grün gütlich taten, trat dabei genauso in den Hintergrund seiner Wahrnehmung wie das Gespräch zwischen Tobias und Gaspard. Und plötzlich wusste er, was ihn alarmiert hatte: Nicht nur das Zirpen der Grillen war in seinem Rücken verstummt, sondern auch das Käuzchen, das hoch oben in einem der Bäume saß, hatte seine Rufe eingestellt. Und er war sicher, dass es nicht davongeflogen war. Der Flügelschlag des abstreichenden Vogels wäre ihm nicht entgangen.
Sadik wandte den Kopf vom Feuer und tat so, als würde er in der Provianttasche, die seitlich hinter ihm im trockenen Gras lag, etwas suchen. In Wirklichkeit spähte er zu den Büschen und Bäumen hinüber, aus denen ihnen die Gefahr drohte.
Jana und Tobias lachten unbeschwert über eine von Gaspards haarsträubenden Geschichten, von denen der Pariser Gassenjunge viele zu erzählen wusste. Unsinn, das kleine Makak-Äffchen mit dem weißen Schwanz, hob in Janas Schoß bei dem Gelächter kurz den Kopf, legte sich aber gleich wieder hin und ließ sich weiter kraulen.
Sadik wandte sich erneut um und unterdrückte den Impuls, die Wurfmesser zu lockern, die er unter der Lammfelljacke am breiten Gürtel trug und mit denen er geschickter umzugehen verstand als ein messerwerfender Zirkusartist. Im Augenblick waren sie ihm keine Hilfe. Die Schwärze zwischen den Kiefern und Sträuchern in seinem Rücken war zu tief, als dass er ein genaues Ziel hätte ausmachen können. Zudem warf er seine Messer niemals auf den bloßen Verdacht einer Gefahr hin.
Vielleicht zogen sie sich ja auch wieder zurück, wer immer sich da in seinem Rücken anschlich. Es konnte alles ganz harmlos sein. Nicht jede Wolke bringt Regen, hieß eine Redensart in seiner Heimat. Doch es war gut, auf ein Gewitter vorbereitet zu sein, wenn sich dunkle Wolken näherten.
›Nur der Esel fällt nach der Warnung!‹, dachte Sadik Talib.
Mit einer scheinbar erschöpften Geste fuhr er sich über die Augen und reckte ein wenig seinen Körper, während er sich eine Strähne seines krausen, blauschwarzen Haars, in das sich hier und da schon etwas Grau mischte, aus der Stirn strich.
»Soll ich noch mehr Holz holen, Sadik?«, fragte Jana, die seinen besorgten Blick falsch deutete.
»La, nein! Es genügt. Schade nur, dass wir keinen getrockneten Kameldung zur Verfügung haben. Damit brennt ein Feuer länger und gleichmäßiger, wenn auch nicht so heiß. Aber wegen mangelnder Hitze hat sich noch keiner in der Wüste beklagt«, antwortete der Araber und überdachte blitzschnell ihre Situation. Wenn die Gruppe, die sich da in den Sträuchern verbarg, nicht zu groß war, würden sie mit ihr schon fertig werden.
Jana würde die Nerven bewahren, sollte es gleich hart auf hart kommen. Das hatte sie in den letzten Wochen ihrer abenteuerlichen Reise durch die Länder des südlichen Deutschlands nach Frankreich und ganz besonders in den Tagen der blutigen Revolution in Paris unter Beweis gestellt. Dabei ging die junge Landfahrerin und Kartenlegerin mit dem langen schwarzen Haar und den flaschengrünen Augen wie Tobias erst auf die siebzehn zu. Aber das Alter war noch nie allein ein Maßstab für Reife gewesen.
Wem Allah einen Kochlöffel beschert, dem schenkt er nicht unbedingt auch das Geschick für schmackhafte Speise, und wenn dieser auch sein halbes Leben an den Töpfen steht und rührt!
Nicht so Jana. Die Jahre des rastlosen Herumziehens durch halb Europa hatten ihr die Erfahrungen und die Reife gebracht, die über ihr wahres Alter weit hinausgingen.
Dasselbe traf auf Gaspard zu. Er war erst zwölf, doch was Härte und Sich-Bewähren angesichts von Lebensgefahr betraf, war er fast schon ein Veteran wie Sadik. Denn der unbarmherzige Kampf ums Überleben in den Elendsvierteln von Paris, wo sie ihn kennengelernt und als unbezahlbaren Helfer gewonnen hatten, hatte ihn geformt. Die Not und Brutalität seines Alltags hatten ihm nicht nur die Sorglosigkeit der Kindheit geraubt, die für Tobias bis vor ein paar Monaten auf Gut Falkenhof so selbstverständlich gewesen war, sondern ihn auch die linke Hand und das rechte Auge gekostet. Eine Augenklappe aus braunem, speckigem Leder verdeckte die leere Höhle und am linken Arm trug Gaspard eine Holzprothese, aus der ein gekrümmter Eisenhaken und eine Art Gabel mit zwei Zinken herausragten. Diese Prothese war sein ganzer Stolz. Er hatte sie sich selbst verdient und mit Blei bezahlt, und zwar mit dem Blei von Dachverkleidungen, die er nachts von den Dächern der Wohnhäuser in Schwindel erregender Höhe gestohlen hatte. Schon mit zwei gesunden Armen war das für einen wieselflinken Jungen eine lebensgefährliche Angelegenheit. Fast ein Jahr hatte er gebraucht, um das Geld für die Prothese aufzubringen – und den Hausbesitzern zu entkommen, die mit obdachlosen Gassenjungen wie ihm kurzen Prozess machten und sie in die Tiefe stürzten, wenn sie ihrer habhaft wurden. Ja, auf Gaspard war Verlass.
Und Tobias?
Sadik lächelte unwillkürlich voller Stolz. Tobias war das jugendliche Ebenbild seines Vaters Siegbert Heller, der sein Leben der Entdeckung und Erforschung noch unbekannter Länder gewidmet hatte und dem er, Sadik Talib, in Arabien viele Jahre als Dolmetscher, Reiseführer und Freund gedient hatte. Und wenn er letztes Jahr auf Falkenhof nicht so schwer erkrankt wäre, wäre er jetzt nicht hier in Frankreich auf dem Weg zur Kanalküste, sondern mit Sihdi Heller auf dessen neuer Expedition irgendwo in Afrika auf der Suche nach den Nilquellen. Ob es ihm wohl doch noch gelingen würde, Sihdi Heller im kommenden Winter in Chartoum zu treffen?
Tobias hatte mit seiner schlanken, durchtrainierten Gestalt, dem sandbraunen Haar und den markanten Gesichtszügen nicht nur das gute Aussehen seines Vaters geerbt, sondern auch dessen wachen Geist. Was seine Sprachbegabung und seine Fechtkünste anging, so übertraf Tobias ihn und jeden anderen, den Sadik kannte. Arabisch sprach er wie ein Einheimischer und die Klinge wusste er so vortrefflich zu führen, dass sein letzter Lehrer, ein berühmter französischer Fechtmeister, ihm nichts mehr hatte beibringen können. Dem ehemaligen Schüler, dessen meisterlicher Klingenführung er sich hatte unterwerfen müssen, hatte er zum Abschied einen kostbaren Degen vermacht. Er stammte aus Spanien und wurde schon seit Generationen von einem Meister an den nächsten Schüler weitergereicht, wenn dieser ihn überflügelte.
Vor einigen Monaten, es war im Mai gewesen, waren sie der Belagerung von Gut Falkenhof, das eine Kutschenstunde südlich von Mainz lag, bei Nacht und Nebel in einem Heißluftballon mit knapper Not entkommen. Seitdem befanden sie sich vor ihrem Verfolger Armin Graf von Zeppenfeld und seinen gedungenen Schurken, den ehemaligen Söldnern Stenz und Tillmann, auf der Flucht. In diesen vergangenen Monaten hatte Tobias mehr als einmal Gelegenheit erhalten, nicht nur seine Intelligenz und Geistesgegenwart unter Beweis zu stellen, sondern auch seine Fechtkünste. Und wenn er manchmal auch ein hitziges, übersprudelndes Temperament an den Tag legte, so hatte er doch mit der Klinge in der Hand stets die Mahnung beherzigt, die in den Toledostahl des spanischen Degens eingraviert war: Mögen sich Tapferkeit und Fechtkunst stets mit Ehrgefühl und Großmut die Waage halten! Bei Allah und seinem Propheten, auf Tobias konnte er sich blind verlassen!
Unter einigermaßen günstigen Umständen konnten sie also mit Wegelagerern und bourbonentreuen Soldaten, die nach dem Sturz von König Charles vor nicht ganz einer Woche überall im Land die Straßen unsicher machten, ganz gut fertig werden. Nur hier auf der Lichtung bei Nacht und am Lagerfeuer waren die Umstände alles andere als günstig. Und dummerweise hatten sie Flinte und Musketen in der Kutsche gelassen.
All dies schoss dem Beduinen in wenigen Sekunden durch den Kopf. Es war nun an der Zeit, die anderen zu warnen und die nötigen Absprachen zu treffen.
»Niemand ist sich seines Schicksals sicher, als bis er ins Grab kommt«, begann er und zeigte einmal mehr, wie sehr er es liebte, eine arabische Spruchweisheit in seine Rede mit einzuflechten. »Und mir scheint, dass die Nacht ein paar Gestalten für uns bereithält, die uns zu einem solch sicheren Schicksal verhelfen möchten.«
Jana stutzte.
Tobias begriff sofort. Seine Augen nahmen einen wachsamen Ausdruck an und sein Körper straffte sich. Doch er war klug genug, nicht zu seinem Degen zu fassen und sich dadurch zu verraten.
Sadik fuhr schnell, aber mit völlig normaler Stimme fort: »Es dürfte unserer Gesundheit sehr zuträglich sein, wenn wir uns nichts anmerken lassen! Also schaut euch nicht um und macht auch sonst keine verräterischen Bewegungen.« Und zu Jana gewandt, fuhr er scheinbar im Plauderton fort: »Es dürfte das Gesindel in meinem Rücken in Sicherheit wiegen, wenn du jetzt den Tee ins Wasser gibst, während Gaspard irgendetwas sagt, worauf wir alle lachen werden.«
Gaspard verzog leicht das Gesicht. »Ich wünschte, ich hätte statt des blöden Grashalms jetzt die Flinte mit der doppelten Ladung grobem Schrot in der Hand!«
Tobias und Sadik lachten und auch Jana schaffte es, sich belustigt zu geben, während sie eine Handvoll Tee ins Wasser warf.
»Zeppenfeld?«, fragte Tobias leise in Sadiks Lachen hinein und hatte einen trockenen Mund, während sein Herz zu jagen anfing.
Der Beduine schüttelte den Kopf. »La, nein. Unmöglich. Er muss mindestens noch zwei, drei Tagesreisen hinter uns sein.« Zeppenfeld hatte sich in Paris schwere Verbrennungen zugezogen, nachdem er Jana entführt und versucht hatte in den Besitz der wichtigen Karte zu kommen, die ihm jedes Verbrechen wert war, weil sie den Weg zum sagenhaften verschollenen Tal in der nubischen Wüste verriet.
»Dann also Gesindel der Landstraße?«
»Aiwa, ja, vermutlich«, bestätigte Sadik und schob dabei zwei lange, dicke Äste tiefer ins Feuer.
»Weißt du auch, wie viele es sind?«, fragte Jana, die sich angesichts der Gefahr genauso bewundernswert unter Kontrolle hatte wie Tobias und Gaspard.
»Schwer zu sagen. Das Reisig wird erst im Bündel zum Besen und der Feige liebt die Meute«, antwortete Sadik äußerlich völlig gelassen. »Drei Schatten habe ich mit Sicherheit ausmachen können. Es können aber auch mehr sein. Und deshalb müssen wir, wenn der Augenblick gekommen ist, gleich blitzschnell handeln.«
»Die Musketen …«, setzte Gaspard an.
»Zu weit!«, schnitt Sadik ihm das Wort ab und lachte kurz, als hätte der Junge eine scherzhafte Bemerkung gemacht. »Aber es wird deine Aufgabe sein, auf mein Kommando hin zur Kutsche zu laufen! Unter dem Kutschbock liegt, eingewickelt in eine Decke, die geladene Flinte. Aber pass auf, wohin du schießt! Es gibt zwar keine Töpferei ohne Scherben. Doch achte darauf, dass die anderen den Schaden haben und nicht einer von uns.«
Gaspard grinste und sah mit seiner speckigen Augenklappe noch um eine Spur verwegener aus als sonst schon. »Werd den Bleiregen schon auf die Richtigen niedergehen lassen!«, versicherte er.
»Jana, du siehst ebenfalls zu, dass du so schnell wie möglich in den Schutz der Kutsche kommst«, fuhr Sadik schnell fort. »Die Musketen …«
»Ich weiß, wo sie sind. Ich bin bereit«, sagte Jana und hakte zwei Finger hinter das lederne Halsband von Unsinn, der mittlerweile aufrecht in ihrem Schoß hockte, als spüre er die veränderte Situation.
Sadik nickte knapp und sah Tobias an. »Wenn ich gleich das Zeichen gebe, müssen wir vom Feuer wegspringen wie die Heuschrecken von glühenden Kohlen – und zwar in die verschiedensten Richtungen, um nicht ein einheitliches Ziel zu bieten, sollten sie mit Feuerwaffen bewaffnet sein. Jana und Gaspard rennen vom Feuer weg nach rechts zur Kutsche, während du dich so schnell wie möglich nach links aus dem Lichtkreis bringst, Tobias.«
»Verstanden. Und du?«
»Wer mit dem Löwen gerungen hat, der flieht nicht vor dem Schakal«, antwortete Sadik trocken und gab damit seiner Verachtung für derlei Wegelagerer Ausdruck, die aus dem Hinterhalt angriffen. »Ich gehe sie direkt an. Denn wer einen Schlag austeilen will, soll sich nicht wundern, wenn er dessen zornigen Bruder empfängt!«
Ein flüchtiges Lächeln der Belustigung huschte über Tobias' Gesicht. Dann jedoch wandte er ernsthaft besorgt ein: »Aber wenn sie Musketen haben …«
Jeder andere hätte es wohl nicht wahrgenommen, doch Sadiks feinem Gehör entging das leise, metallische Klicken zwischen den Sträuchern in seinem Rücken nicht. Ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Da wurden die Hähne von mindestens zwei Feuerwaffen gespannt! Diese Wolke zog nicht ereignislos vorbei, sondern sie brachte Regen! Nun gab es nicht mehr eine Sekunde zu verlieren.
»Es klingt so, als wäre das der Fall. Haltet euch bereit. Jetzt müssen wir handeln. Das Kommando heißt Hasib!«, fiel er Tobias in die Rede, was im Arabischen Pass auf! bedeutet, und beugte sich vor. Wieder packte er die beiden dicken Äste, deren obere Hälften hell loderten. »Allah gebe es, dass wir so schnell sind wie der Wüstenwind!« Sadik machte eine Pause, die nicht länger dauerte als ein Wimpernschlag. Sein Blick erfasste seine Freunde.
Jana packte ihren geliebten Affen fester.
Gaspard stemmte seine Prothese gegen einen großen, flachen Stein, der neben ihm aus dem Boden ragte, um sich gleich davon abstoßen zu können, wenn Sadik das verabredete Zeichen gab.
Tobias verlagerte das Gleichgewicht seines Körpers ein wenig, damit auch er so rasch wie möglich aufspringen konnte und aus dem Lichtschein kam. Wie zufällig ruhte seine linke Hand schon in der Nähe seines Degens.
Die Nacht hielt den Atem an.
»Hasib!«
Sadiks gellender Schrei, der bei ihren unbekannten Gegnern eine Schrecksekunde auslösen und für zusätzliche Verwirrung sorgen sollte, zerriss die trügerische Stille der Nacht und ließ Freund wie Feind zusammenzucken. Tobias sprang nach links. Mit einem wahren Hechtsprung brachte er sich vom Lagerfeuer weg ins Halbdunkel. Er rollte über die Schulter ab, während er den Degen mit der linken Hand auf der Höhe seines Unterschenkels hielt. Er hörte, wie die Scheide gegen einen Stein stieß, spürte einen Schlag gegen die Hüfte und sprang auf. Der Degen flog förmlich aus der Scheide und ihm in die Hand.
Gaspard und Jana hatten genauso blitzschnell reagiert und rannten auf die schwarz lackierte Kutsche zu. Jana hielt Unsinn an die Brust gepresst, der von dem Tumult erschrak und in schrilles Gekreische ausbrach.
Sadik war ihnen allen um den Bruchteil einer Sekunde voraus. Noch im Schrei war er, wie vom Katapult geschossen, hochgeschnellt. Mit den beiden brennenden Ästen in den Händen wirbelte er herum und schleuderte diese Fackeln nun in die Richtung, in der er die Männer, die sich an ihren Lagerplatz angeschlichen hatten, vermutete. Der Flammenschein der auf sie zufliegenden Äste würde sie irritieren und vielleicht sogar blenden.
Er erzielte mit dieser Aktion den erhofften Erfolg. Aus dem Dickicht der Sträucher kamen erschrockene Rufe. Der eine Ast prallte gegen einen Baumstamm, dass die Funken wie ein Regen rot glühender Sterne nach allen Seiten wegstoben. Der andere brach in Brusthöhe durch die Zweige eines Brombeerstrauches. Fast im selben Augenblick krachte ein Schuss, gefolgt von einem lästerlichen Fluch. Ein Kugelhagel, der nach feinem Vogelschrot klang, prasselte hoch oben durch das Blattwerk eines Baumes. Da hatte einer vor Schreck abgedrückt, während der Lauf noch nach oben zeigte.
Ein zweiter Schuss blitzte mit grellem Mündungsfeuer aus den Büschen auf, zwischen denen nun am Boden Flammen züngelten. Sadik sah mit Bestürzung, wie Jana getroffen aufschrie und zu Boden stürzte, keine zwei Schritte von der Kutsche entfernt. Wie hingezaubert lag im nächsten Moment eines seiner Wurfmesser in der Hand.
»Jana ist getroffen!«, schrie Tobias mit vor Entsetzen schriller Stimme und rannte fünf Schritte links von seinem beduinischen Freund und Mentor auf das Versteck zu.
Sadik sah einen Schatten und schleuderte das Messer aus zehn, zwölf Metern Entfernung. Es fand sein Ziel. Ein Schrei gellte aus der Dunkelheit vor ihnen, die von den noch brennenden Ästen etwas aufgehellt wurde. Die Umrisse von vier Gestalten waren zu erkennen. Einer von ihnen taumelte mit Sadiks Messer in der Schulter rückwärts aus dem Flammenschein und suchte Schutz zwischen den Bäumen. Augenblicke später jagte Gaspard vom Kutschbock aus die beiden Ladungen der doppelläufigen Schrotflinte zwischen die Bäume und Büsche. Einige der Schrotkugeln hatten getroffen, wie das augenblicklich einsetzende Geschrei und Gefluche unmissverständlich bewies. Und statt zum Gegenangriff überzugehen und aus dem Wald auf die Lichtung hinauszustürmen, ergriffen die Männer die Flucht.
Tobias hieb mit der Klinge auf die Sträucher ein und wollte ihnen nachsetzen, doch Sadik hielt ihn zurück. »Lass es gut sein! Wir haben sie vertrieben. Das soll uns genügen.«
»Sie haben Jana getroffen!«
»So schlimm scheint es nicht zu sein. Sie steht schon wieder auf«, erwiderte Sadik und sah, wie Jana sich den linken Oberarm mit der rechten Hand hielt. Doch sie stand sicher auf den Beinen. »Vermutlich nur ein Streifschuss. Sie hat noch mal Glück gehabt.«
»Trotzdem …«
Sadik legte ihm seine Hand schwer auf die Schulter und hielt ihn zurück. »Wenn man auf der Durchreise ist, steckt man nicht die Hand in den Bau des Schakals, nachdem man ihn dorthin vertrieben hat!«
Tobias verzog das Gesicht. »Du mit deinen sinnigen Sprüchen! Dieses hinterhältige Pack ist viel zu billig davongekommen!«, brummte er, ließ die Klinge jedoch sinken und stieß sie dann mit einer heftigen Bewegung zurück in die Scheide.
»Sehen wir, wie es Jana geht«, sagte Sadik.
Gaspard hatte, als beide Läufe abgefeuert waren, die Flinte fallen lassen, sprang vom Bock und riss den Kutschenschlag auf, um sich nun mit einer Muskete zu bewaffnen.
»Das hast du gut gemacht Gaspard!« rief Sadik ihm anerkennend zu. »Ich glaube nicht, dass wir von denen noch etwas zu befürchten haben. Nimm eine Decke und schlag die Flammen aus. Es scheint hier lange nicht geregnet zu haben und wir wollen keinen Waldbrand verursachen.«
Gaspard tat, wie ihm geheißen, und vertauschte die Muskete gegen eine der Pferdedecken.
Tobias lief zu Jana hinüber, die sich gegen das hintere Rad der Kutsche lehnte. »Wie geht es dir?«, rief er besorgt. »Ist es schlimm?«
»Es brennt ganz schön«, antwortete sie mit leicht schmerzverzerrten Zügen. »Aber ich habe viel Glück gehabt. Ich glaube, die Kugel steckt nicht. Sie hat wohl nur eine Wunde gerissen.«
»Lass mich mal sehen«, sagte Sadik und drehte ihre linke Schulter ins Licht des Lagerfeuers. Sie nahm die Hand vom Oberarm und er zog aus der kunstvoll gearbeiteten Scheide aus gehämmertem Silber sein kostbarstes Messer. Das Griffstück bestand aus Elfenbein und in die gut zwei Finger breite Klinge waren arabische Schriftzüge eingraviert. Von Weitem ähnelten sie Feuerzungen. Die Kugel hatte Janas bunt kariertes Hemd aus grobem Kattun auf der Höhe der Achsel aufgefetzt. Sadik führte die rasiermesserscharfe Klinge blitzschnell einmal nach links und nach rechts durch den Stoff, dass das Auge den Bewegungen kaum zu folgen vermochte, und im Hemd klaffte eine breite Öffnung. Er besah sich die Wunde.
»Und? Wie sieht es aus? Ist etwas verletzt? Sehnen? Muskeln?«, fragte Tobias mit einer Besorgnis, die der sichtlichen Geringfügigkeit ihrer Verletzung kaum angemessen war – dafür jedoch umso mehr seinen tiefen Gefühlen für sie. »Mein Gott, nun sag schon!«
Sadik warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Zu viel Flattern zerbricht die Flügel, Tobias!«, mahnte er ihn zu mehr Ruhe und Gelassenheit. »Und was Janas Arm betrifft, so wird sie ihren Enkelkindern noch erzählen können, wo sie sich diese Narbe geholt hat. Denn mehr wird davon in ein, zwei Wochen nicht mehr zu sehen sein.«
Tobias atmete erleichtert auf. »Gott sei Dank!«
Jana warf ihm ob seiner Sorge um ihr Wohlergehen einen ebenso verlegenen wie dankbaren Blick zu. »Zum Glück ist nicht jeder so ein Meisterschütze wie Sadik.«
Dieser schmunzelte. »Setz dich auf die Trittstufe. Ich werde die Wunde säubern, ein Mittel auftragen, das einer bösartigen Entzündung vorbeugen wird, und einen Verband anlegen. Morgen wird das Brennen gerade noch ein Ziehen sein.«
»Bleiben wir?«, fragte Tobias mit zweifelndem Unterton.
Sadik schüttelte den Kopf. »Diese Gegend scheint doch unsicherer zu sein als gedacht. Wer weiß, wer sich hier noch alles herumtreibt. Es sind unsichere Zeiten. Wir fahren besser weiter, bis wir auf eine Ortschaft mit einem anständigen Gasthof stoßen.«
»Ist mir recht«, sagte Tobias. »Dann kümmere ich mich um unsere Sachen und lösche schon mal das Feuer.«
Sadik nickte. »Aber vorher zünde die Kutscherlampen an. Ich brauche Licht.«
Gaspard hatte indessen die Flammen am Fuße des Baumes und zwischen den Büschen mit der Pferdedecke ausgeschlagen und kehrte zur Kutsche zurück, als Tobias die beiden Außenlaternen rechts und links vom Kutschbock und die kleine Öllampe im Wageninnern entzündet hatte. Fasziniert sah er, wie Sadik ein längliches Sandelholzkästchen auf das Fußbord des Kutschbocks stellte und aufklappte. Es war in viele verschiedene Fächer unterteilt und enthielt Arzneien.
Sadik säuberte die Wunde mit einem sauberen, alkoholgetränkten Tuch und rieb dann ein graugrünliches Pulver, das wie Schimmel aussah, in die Fleischwunde. Jana hielt sich tapfer. Die Berührung verursachte ihr Schmerzen, doch sie verbiss sich jeden Laut.
»Die Hirse wächst nicht schneller, wenn zwei einem Dritten beim Wässern des Feldes zuschauen«, brummte Sadik. »Holt besser die Pferde und spannt sie schon mal ein, damit wir gleich zurück auf die Landstraße können! Ich bin hier noch etwas beschäftigt. Wer sich mit der Bearbeitung von Perlen beschäftigt, muss Sorge tragen, dass er ihre Schönheit nicht zerstört.«
»Von welcher Perle spricht er?«, fragte Gaspard spöttisch an Tobias gewandt.
»Der menschliche Leib ist die edelste Schöpfung der irdischen Welt«, belehrte Sadik ihn ernst, »und wer ihn heilen will, muss behutsam und liebevoll mit ihm umgehen. Aber dazu brauche ich euch gewiss nicht.«
Tobias wäre gern bei Jana geblieben, sah jedoch ein, dass die Zeit mit untätigem Herumstehen wirklich vertan war und besser genutzt werden konnte.
»Woher kann der Araber so etwas bloß? Hast du nicht gesagt, er wäre der Führer und Dolmetscher deines Vaters gewesen?«, wollte Gaspard wissen, als er mit Tobias zu den Grauschimmeln hinüberging, die sich von dem Kampflärm kaum hatten stören lassen. »Das sah ja richtig gekonnt aus! Die Wundärzte, die mich damals versorgt haben, als ich mein Auge und meine Hand verlor, haben sich nicht mal halb so viel Mühe gemacht.«
Tobias lachte. »Sadik ist genauso gut ein hakim wie ein Führer und Dolmetscher, auch wenn er das abstreitet und nur von einigem nützlichen Wissen spricht, das er in diesen Dingen besitzt.«
»Hakim?«, fragte Gaspard verständnislos.
»Auf Arabisch heißt das Arzt«, erklärte Tobias und packte einen der Grauschimmel am Zaumzeug. »Sadik stand als junger Mann acht Jahre lang in den Diensten von hakim Ibn Al-Amid, der ein berühmter Arzt und Gelehrter war. Mit ihm ist er viele Jahre zwischen Cairo, Damaskus und Bagdad gereist, wo Ibn Al-Amid nicht nur Studenten, sondern sogar auch ausgebildete Ärzte unterrichtet hat. Die ärztliche Kunst des Morgenlandes ist der unseren überhaupt um einige Jahrhunderte voraus.«
Gaspard sah ihn ein wenig zweifelnd an, als traute er den ›Heiden‹ so eine Leistung nicht zu, und fragte gedehnt: »Wirklich?« Es klang nicht anders, als hätte er geantwortet: ›Das glaube ich nicht!‹
Tobias nickte nachdrücklich. »Das weiß ich auch von meinem Onkel Heinrich. Der ist ein Universalgelehrter, und außerdem habe ich selbst gesehen, was Sadik auf diesem Gebiet alles kann. Jana war nach einem schweren Unfall mit ihrem Kastenwagen, mit dem sie allein durch die Lande zog, einmal schon so gut wie tot. Wir fanden sie im Schnee. Ich hätte nicht einen Kreuzer darauf gewettet, dass sie ihre Verletzungen überleben würde. Doch Sadik hat sie mit seinen arabischen Heilmitteln gesund gemacht. Das war im Winter bei uns auf Falkenhof.«
»Du hast auf einem richtigen Landgut gelebt?«, fragte Gaspard, den dies mehr als die Heilkunst des Morgenlandes interessierte.
Tobias nickte. »Ja, südlich von Mainz. Auf Gut Falkenhof, das meinem Onkel gehört, bin ich aufgewachsen. Meine Mutter ist schon früh gestorben und eigentlich war Onkel Heinrich mein Vater. Denn mein leiblicher Vater war ja kaum einmal zu Hause, sondern immer auf Entdeckungs- und Forschungsreisen. Und zwischen seinen oftmals jahrelangen Expeditionen hielt es ihn nie länger als ein paar Monate auf dem Gut.«
Gaspard, der nie aus seiner Welt der Pariser Elendsviertel herausgekommen war, sah ihn bewundernd und auch ein wenig neidisch an. »Aber wenn du es da so gut gehabt hast, warum bist du dann von dort weg?«
»Ach, das hat mit Zeppenfeld und einem geheimnisumwobenen Tal in Ägypten zu tun – und mit einem Koran, einem Gebetsteppich und einem Spazierstock mit einem silbernen Falkenkopf.«
Gaspards Augen leuchteten auf. »Kannst du mir mehr darüber erzählen?«
Tobias zuckte mit den Schultern. »Sicher, wenn es dich interessiert. Es ist aber eine lange Geschichte.«
Gaspard grinste. »Wir haben doch gleich Zeit genug. Denn bis zur nächsten Ortschaft ist es noch ganz schön weit, wie uns der fahrende Händler ja gesagt hat, den wir vor Einbruch der Dunkelheit getroffen haben. Und ich mag Geschichten, vor allem, wenn sie so spannend und geheimnisvoll sind, dass Leute wie du ihr herrschaftliches Gut verlassen und sich nicht scheuen, in Paris in die Barrikadenkämpfe zwischen den Aufständischen und den Königstreuen zu geraten, nur um in den Besitz eines Korans zu kommen, der bei einem unbedeutenden Antiquitätenhändler im Fenster steht.«
»Spannend und voller Rätsel und Geheimnisse ist die Angelegenheit, die uns vom Falkenhof vertrieben hat, ganz bestimmt«, versicherte Tobias, führte den Lederriemen durch die Schnalle und zog den Bauchgurt fest an.
»Dann musst du sie mir erzählen!«
Tobias lächelte. »Also gut, gleich in der Kutsche wirst du erfahren, was es mit dem Spazierstock, dem Koran und dem Gebetsteppich auf sich hat – und warum Zeppenfeld hinter uns her ist und uns unweigerlich auch nach England folgen wird.«
Sie hatten die samtenen Vorhänge zugezogen und die Öllampe brannte mit kleiner Flamme. Ihr gelblicher Schein entlockte dem braunen, lackierten Holz über den gepolsterten Sitzbänken einen warmen Schimmer, der an dunklen Honig erinnerte. Sadik saß auf dem Kutschbock und lenkte die Grauschimmel im ruhigen Trab über die nächtliche Landstraße in Richtung Kanalküste. Sie hatten ihn erst gar nicht darum bitten müssen, denn er dachte nicht einen Moment daran, einem von ihnen die Zügel zu überlassen, jedenfalls nicht bei Nacht. Die doppelläufige Schrotflinte lag wieder geladen und griffbereit unter seinem Sitz.
Jana hatte es sich mit ihrem verbundenen Oberarm auf der vorderen Sitzbank bequem gemacht. Sie hatte die Beine halb angezogen und lehnte mit dem Rücken an der Wand neben dem Kutschenschlag. Unsinn kauerte zwischen ihren Beinen und machte sich genüsslich über die Trockenfrüchte her. Seine zierlichen Pfoten, die sich kaum von menschlichen Händen unterschieden, hielten ein verschrumpeltes Stück Apfel und führten es zum winzigen Mund. Hell und wachsam leuchteten seine Augen.
»Möchtest du noch eine Decke haben, damit du nicht jeden Stoß mitbekommst?«, fragte Tobias, als die Kutsche auf einem sehr holprigen Teilstück der Landstraße hin und her schwankte wie ein Schiff in unruhiger See.
»Nein, nein, es ist wirklich alles bestens«, wehrte Jana lächelnd ab. »Sadik hat das ganz wunderbar hingekriegt. Es pocht bloß noch.«
»Na wunderbar«, sagte Gaspard und erinnerte Tobias mit unüberhörbarer Ungeduld: »Du wolltest doch erzählen, worum es bei diesem Koran, dem Gebetsteppich und dem Spazierstock mit dem Falkenkopf geht! Und warum dieser Schurke Zeppenfeld hinter euch her ist.«
Jana nickte Tobias zu. »Erzähl es ihm. Es ist eine tolle Geschichte, die ich gern auch noch einmal höre!«, forderte sie ihn auf. Tobias setzte sich etwas schräg zu Gaspard.
»Vor ein paar Jahren nahm alles seinen Anfang«, begann er, nachdem er sich geräuspert hatte. »Während ich von Onkel Heinrich und Privatlehrern auf Falkenhof unterrichtet wurde, brach mein Vater zu einer neuen Expedition auf. Eines seiner großen Forscherziele ist es, die Quellen des Nils zu entdecken. Ihm schlossen sich bei jener verhängnisvollen Reise vier Freunde an, die ihm mehr aus Abenteuerlust folgten und noch nie an solch einer Expedition in unbekannte Gebiete teilgenommen hatten, die auf den Landkarten als weiße, unerforschte Flecken eingezeichnet sind. Da war der Zeitungsverleger Jean Roland aus Paris …«
»Bei dem ihr die letzten Wochen gewohnt habt«, warf Gaspard ein.
Tobias nickte. »Und als zweiter Ausländer kam der Engländer Rupert Burlington mit, ein sehr vermögender, reiseerfahrener Mann, wie Sadik mir erzählt hat, der südwestlich von London auf einem Schloss namens Mulberry Hall lebt.«
»Und zu dem ihr jetzt wollt, nicht wahr?«, warf Gaspard ein.
»Ja, weil Wattendorf ihm vermutlich den Gebetsteppich geschickt hat«, sagte Jana.
»Was für einen Gebetsteppich?«
Tobias hob die Hand. »Alles der Reihe nach! Wir sind erst noch bei der Nilquellen-Expedition, an der auch ein gewisser Eduard Wattendorf und Armin Graf von Zeppenfeld teilnahmen, beides Jugendfreunde meines Vaters.«
Gaspard machte eine verblüffte Miene. »Zeppenfeld ist ein Freund deines Vaters – und trachtet dir nach dem Leben?«
Tobias verzog verächtlich das Gesicht. »Mein Vater glaubte damals, Zeppenfeld wäre sein Freund und ein Mann, auf den er sich auch in kritischen Situationen verlassen könne. Das hat sich leider als folgenschwerer Irrtum herausgestellt.«
»Was ist das überhaupt für ein Mann?«, wollte Gaspard wissen.
»Sadik konnte mir über ihn auch nicht viel berichten. Er soll früher einmal Offizier beim Militär gewesen sein und so zackig und forsch wie ein Offizier auf dem Paradeplatz spricht er auch. Er soll wegen eines Skandals seinen Abschied genommen haben, aber das ist nur ein Gerücht. Sicher ist nur, dass er recht wohlhabend ist – und ein skrupelloser Ehrgeizling, der von Ruhm und Ehre ohne viel Arbeit träumt!«
»Und was ist mit diesem Eduard Wattendorf?«
»Er war, wie es hieß, der Spaßmacher der Gruppe. Ein Lyriker und Schriftsteller mit viel Begeisterung, aber wenig Talent. Sadik hat ihn mal als einen Mann der großen Worte bezeichnet, der sich zu großen Taten berufen fühlte und dann erkennen musste, dass er seinen Träumen in der Wirklichkeit nicht gewachsen war. Wattendorf hat meinen Vater nicht weniger bitter enttäuscht als Zeppenfeld, während Roland und Burlington unverbrüchlich zu ihm gestanden und gemeinsam mit ihm alle Gefahren gemeistert haben, was ihre Freundschaft noch vertieft hat. Aber darauf komme ich gleich.«
»Sadik hat an dieser Expedition auch teilgenommen?«
Tobias nickte. »Sadik war damals schon seit Jahren der treue Begleiter meines Vaters. Begleitet von ihm, Wattendorf, Zeppenfeld, Roland und Burlington brach er also zu seiner zweiten Nilquellen-Expedition auf. Sie kamen jedoch nicht über Chartoum hinaus, weil sich die Stämme in dem Gebiet im Krieg befanden. Zudem waren die vier von den Strapazen der vergangenen Monate geschwächt und fieberkrank. Die Expedition stand unter einem schlechten Stern, wie Sadik erzählte. Jedenfalls mussten sie umkehren. Sie wollten nach Omsurman, einer größeren Handelsniederlassung an der Küste. Sie blieben auch weiterhin vom Unglück verfolgt, starben doch unterwegs mehrere Kamele. Zudem verloren sie durch die Unachtsamkeit eines Teilnehmers den Inhalt von mehreren Wasserschläuchen. Es kam nie heraus, wer daran schuld war, aber alles deutete auf Wattendorf hin. So konnten sie von Glück reden, dass sie auf halber Strecke nach Omsurman auf eine große Karawane stießen, die wie sie zum Roten Meer wollte und der sie sich anschließen durften. Der Führer, Scheich Abdul Batuta, nahm sie mit großer Gastfreundschaft auf, und so zogen sie gemeinsam durch die Wüste. Bis dann jene Nacht kam, in der Zeppenfeld das Unglück heraufbeschwor.«
Gaspard beugte sich gespannt vor. »Was geschah in dieser Nacht?«
»Im Gefolge des Scheichs befand sich eine bildhübsche junge Frau, die einem Mann in Omsurman versprochen war«, berichtete Tobias. »Ihr Name war Tarik, was übersetzt ›Nachtstern‹ bedeutet. Der Himmel allein mag wissen, was in Zeppenfeld gefahren sein mochte, aber er beging als Gast der Beduinen eine unverzeihliche Todsünde: Er stellte dieser Frau nach und drang in ihr Zelt ein, während alle anderen um das Lagerfeuer saßen und sich die Geschichten um das ›Verschollene Tal‹ anhörten, das sich in jenem Gebiet, in dem sie sich gerade aufhielten, der Legende nach befinden sollte. Zeppenfeld war jedoch allein an Tarik interessiert, die laut um Hilfe schrie, als er sich zu ihr ins Zelt schlich und zudringlich wurde, ohne auch nur im Geringsten von ihr dazu ermutigt worden zu sein.
Das Lager befand sich sofort in größtem Aufruhr. Die Beduinen, deren Gastfreundschaft er so schändlich missbraucht hatte, verlangten seinen Tod. Und sie hätten Zeppenfeld auch getötet, wenn mein Vater, obwohl er voller Abscheu für die Tat seines Freundes war, sie nicht beschworen hätte, sein Leben zu verschonen.«
Jana lachte bitter auf. »Er hätte es besser nicht getan – nun ja, wer weiß«, setzte sie gleich einschränkend hinzu.
»Ja, der Meinung war Sadik auch«, meinte Tobias. »Aber für meinen Vater war es eine Frage der Ehre, in dieser Situation trotz allem zu Zeppenfeld zu halten. Normalerweise hätte er nichts dagegen ausrichten können. Doch mein Vater genoss die Hochachtung des Scheichs. Dieser stellte ihnen deshalb die Wahl: Entweder starb Zeppenfeld vor ihren Augen – oder aber sie würden alle verstoßen werden, und zwar nur mit dem Wenigen, was sie gehabt hatten, als sie auf die Karawane gestoßen waren. Wattendorf war ohne Zögern dafür, Zeppenfelds Leben zu opfern. Doch mein Vater setzte sich durch. Beim Morgengrauen blieben Sadik, mein Vater und die vier anderen Männer nur mit einem Kamel, wenig Proviant und ein paar Schläuchen Wasser in der Wüste zurück, während die Karawane weiterzog.«
»Kam das denn nicht einem Todesurteil gleich?«, fragte Gaspard bestürzt.
»Doch, denn das eine Kamel und die paar Wasserschläuche reichten natürlich niemals aus, um zur nächsten Oase zu gelangen, geschweige denn nach Omsurman. Da der Scheich meinen Vater aber sehr schätzte und ihn wegen seiner ehrenhaften Entscheidung noch mehr respektierte, schenkte er ihm zum Abschied einen kostbaren Dolch, von dem er sich seit jenem Tag nicht mehr getrennt hat.«
»Einen Dolch? Aber wofür?«
»Damit sie ihrem Leben ein gnädiges und standesgemäßes Ende von eigener Hand bereiten könnten, bevor der Todeskampf zu qualvoll würde.«
Gaspard verzog das Gesicht. »Eine merkwürdige Art, jemandem seinen Respekt zu zeigen!«, meinte er sarkastisch.
»Nicht nach dem Ehrenkodex der Beduinen, wie Sadik mir versichert hat«, erwiderte Tobias. »Auf jeden Fall waren sie nun auf sich allein gestellt. Wie Sadik erzählte, kamen sie natürlich nur sehr langsam voran und ihr Wasservorrat schmolz immer mehr dahin, obwohl sie es rationierten und jeder gerade noch einen Becher pro Tag erhielt. Es muss grausam gewesen sein. Ihnen war der Tod in der Wüste gewiss, wenn nicht ein Wunder passierte. Und auf ein Wunder wollte vor allem Wattendorf nicht warten.«
»Aha!«, rief Gaspard ahnungsvoll.
»Wattendorf machte Zeppenfeld und alle anderen dafür verantwortlich, dass man sie in der Wüste ausgesetzt und damit dem sicheren Tod preisgegeben hatte. Er allein hatte Zeppenfelds Hinrichtung gutgeheißen. Und deshalb glaubte er wohl auch, als Einziger das Recht zu überleben zu haben. Eines Nachts hat er sich deshalb mit dem Kamel und allen Wasserschläuchen aus dem Staub gemacht – bis auf den einen, den Rupert Burlington sich zufällig unter den Kopf gelegt hatte, um etwas weicher zu liegen.«
Gaspards Miene zeigte tiefe Verachtung. »So ein Verräter würde bei uns in der Sickergrube ertränkt!«, stieß er hervor und hätte fast ausgespuckt, um seinem Abscheu Ausdruck zu geben.
Tobias glaubte ihm das. »Ein paar Tage schleppten sie sich noch weiter, und wie Sadik einmal erzählte, waren diese Tage eine Qual, die reinste Hölle. Der Durst machte sie fast wahnsinnig und ließ sie halluzinieren. Zeppenfeld drehte durch und wollte sich das Leben nehmen, weil er meinte, es nicht länger ertragen zu können. Mein Vater musste ihn niederschlagen. Und dann, als sie nicht mehr weiterkonnten und sich am Ende wähnten, geschah tatsächlich das Wunder: Eine kleine Karawane aus dem Norden stieß auf die fast Verdursteten!«
Gaspard atmete vor Erleichterung hörbar aus, so intensiv, als wäre er in Gedanken bei diesen Männern in der Wüste gewesen und hätte um ihr Schicksal gebangt.
»Und was sein Vater dann getan hat, wirst du bestimmt genauso wenig verstehen wie ich, als ich es damals hörte«, bemerkte Jana.
»So, was hat er denn getan?«
Tobias lachte kurz auf. »Er hat den Beduinen einen hübschen Batzen Goldmünzen gezahlt, damit sie Zeit und kostbares Wasser opferten und mit ihnen nach Wattendorf suchten, der ziellos durch die Wüste irrte, weil er weder Kompass noch ausreichende Erfahrungen hatte, um sich am Stand der Sonne und der Sterne zu orientieren.«
Gaspard sah ihn ungläubig an. »Er hat diesen Lumpen auch noch suchen lassen, nachdem er sie verraten und betrogen und dem Tod ausgeliefert hatte? Das ist ja …«
»… die besondere Art von Ehre, der sich mein Vater nun mal verpflichtet fühlt«, beendete Tobias den Satz. »Er verabscheute Wattendorf, doch er fühlte sich an sein Versprechen gebunden, das er Wattendorfs Familie gegeben hatte – nämlich dass er ihn nie im Stich lassen und lebend nach Hause bringen würde.«
Gaspard schüttelte den Kopf. »Was Wattendorf getan hat, hat deinen Vater doch zehnmal von diesem Versprechen entbunden. Aber was soll's. Haben sie ihn gefunden?«
»Ja, nach mehr als einer Woche Suche stießen sie drei Tagesritte westlich der Oase Al Kariah auf ihn. Sein Kamel war verendet und seine Wasserschläuche waren leer. Wie sich später herausstellte, muss er sehr nachlässig mit ihnen umgegangen sein und die Verschlüsse nicht sachgerecht behandelt haben – wie es ihm schon einmal passiert war, auch wenn er es geleugnet hatte. Auf jeden Fall war er mehr tot als lebendig. Er war von Sinnen und phantasierte. Die Wüste hatte ihn zerbrochen, wie Sadik es ausdrückte. Erst in Omsurman fand er einigermaßen aus seinen wirren Phantasien in die Wirklichkeit zurück. Dort trennten sich mein Vater, Roland und Burlington von Wattendorf und Zeppenfeld. Sie gaben ihnen unmissverständlich zu verstehen, dass sie mit ihnen nie mehr etwas zu tun haben wollten. Gemeinsam segelten Zeppenfeld und Wattendorf dann nach Cairo. Von dort kehrte Zeppenfeld nach Europa zurück. Mein Vater war der festen Überzeugung, dass er nie wieder etwas von den beiden hören oder sehen würde. Doch das stellte sich als Irrtum heraus.«
»Das ist wirklich eine unglaubliche Geschichte«, sagte Gaspard fasziniert, aber auch ein wenig verwirrt. »Doch ich kapiere nicht, was das alles mit dem Verschollenen Tal zu tun haben soll, das du vorhin erwähnt hast, und mit dem Koran und dem Spazierstock und so.«
Tobias hob die Augenbrauen. »Habe ich vielleicht behauptet, ich wollte dir eine simple Geschichte erzählen?«, zog er ihn auf.
»Nein, das nicht«, gab Gaspard zu.
»Ich sage dir, jetzt wird es erst richtig spannend und rätselhaft«, bemerkte Jana mit leuchtenden Augen, »und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Dann erzähl bloß weiter!«, forderte Gaspard Tobias auf.
Die Kutsche schaukelte durch eine scharfe Kurve, sodass sie sich abstützen mussten, während Sadiks Stimme vom Kutschbock zu ihnen drang, als er die Grauschimmel beruhigte.
»All das, was damals in der nubischen Wüste geschah, sollte Folgen haben«, nahm Tobias den Erzählfaden wieder auf. »Es dauerte jedoch ein Jahr, bis sich etwas ereignete, was in Zusammenhang mit jener verunglückten Nilquellen-Expedition zu sehen war. Eines Tages erhielt mein Vater nämlich ein Paket von Wattendorf – es kam aus Cairo. Wie wir später erfuhren, war er dort geblieben, an Geist und Körper schwer erkrankt, wie es hieß. Das Paket enthielt den Spazierstock aus Ebenholz mit einem Knauf in Form eines silbernen Falkenkopfes, dessen Maul weit aufgerissen ist. Du kennst ihn ja.«
Gaspard nickte. Er hatte den seltsamen Stock, der wegen seines sperrigen und scharfkantigen Falkenkopfes als Knauf zum Spazierengehen völlig ungeeignet war, bereits gesehen. Es war mehr ein Stück für einen Sammler von Kuriositäten.
»Wattendorfs Geschenk enthielt auch noch ein merkwürdiges Begleitschreiben sowie ein rätselhaftes Gedicht um diesen Falkenstock. Wie ich von Onkel Heinrich erfuhr, war mein Vater wütend, dass Wattendorf es wagte, mit ihm in Kontakt zu treten. Er hatte ihn und Zeppenfeld aus seinem Leben gestrichen. Mein Vater wollte den Stock deshalb sofort zurückschicken, weil er mit Wattendorf nichts mehr zu tun haben und natürlich schon gar kein Geschenk von ihm annehmen wollte.
Doch dieser hatte keinen Absender angegeben. Und nach einigem Hin und Her bekam ich ihn schließlich, weil er mir so gut gefiel. Er stand dann fast ein Vierteljahr bei mir in einer Zimmerecke, ohne dass einer von uns ahnte, was es mit diesem Stock auf sich hatte. Und dann fuhr eines Abends Zeppenfeld vor!« Tobias legte eine kurze Pause ein.
Gaspard wartete gespannt, was nun kommen würde.
»Wenige Monate zuvor hatte mein Vater Falkenhof wieder verlassen und war zu einer neuen Expedition zu den Nilquellen aufgebrochen. Zu der Zeit hielt Jana sich schon auf dem Gutshof meines Onkels auf und erholte sich gerade von den lebensgefährlichen Verletzungen ihres schweren Sturzes.«
»Sadik hat mir wirklich das Leben gerettet«, sagte Jana leise und mit ernster Miene.
»Aber wieso hat Sadik denn diesmal deinen Vater nicht begleitet?«, fragte Gaspard verwundert.
»Sadik hatte eine schwere Erkältung, weil er das raue Wetter nicht gewohnt war, und war nicht reisefähig. Doch mein Vater konnte nicht länger warten, weil er schon ein Schiff gebucht und alle Vorbereitungen getroffen hatte. Er wurde in Madagaskar erwartet. Sie machten deshalb aus, dass Sadik ihm nachreisen und in Chartoum zu ihm stoßen sollte«, erklärte Tobias. »Doch dazu kam es nicht, eben weil Armin Graf von Zeppenfeld uns seine Aufwartung machte.«
»Wegen des Spazierstockes?«, mutmaßte Gaspard.
»Genau!«, sagte Tobias mit grimmiger Stimme. »Er erhob Anspruch auf den Stock, tischte uns Lügen auf und versuchte sich bei uns einzuschmeicheln. Doch Sadik schöpfte Verdacht und wir rückten den Falkenstock auch nicht heraus, als Zeppenfeld viel Geld für ihn bot. Daraufhin nahm er zwei ehemalige Söldner in seine Dienste, nämlich Stenz und Tillmann, später auch noch einen Mann namens Valdek, und ließ bei uns einbrechen, um den Stock durch Diebstahl in seinen Besitz zu bringen. Doch Jana konnte das gerade noch vereiteln. Sie hatte Tillmann in die Flucht geschlagen.«
»Du hast dich mit diesem Galgengesicht angelegt?«, fragte Gaspard erstaunt und blickte zu Jana hinüber.
Diese lächelte ein wenig stolz. »Ich habe den Kerl im Dunkeln auf dem Flur gerade noch rechtzeitig mit dem Schüreisen erwischt. Er ist uns zwar entkommen, aber den Stock musste er zurücklassen.«
Tobias rechnete es ihr hoch an, dass sie dabei unerwähnt ließ, welch wenig rühmliche Figur er in jener Nacht mit seinem Florett abgegeben hatte.
»Jana hat das wirklich toll gemacht. Nun wussten wir, dass der Stock wertvoll war und vielleicht ein Geheimnis barg. Stundenlang, aber letztlich doch vergeblich, suchte ich nach Wattendorfs Begleitschreiben, das uns über die Bewandtnis des Stockes Auskunft geben konnte. Denn dass er ein Geheimnis barg, lag ja nun auf der Hand.«
»Und dann kam Xaver Pizalla ins Spiel«, sagte Jana düster.
»Wer ist Xaver Pizalla?«, wollte Gaspard natürlich sofort wissen.
»Ein Spitzel im Dienst einer tyrannischen Obrigkeit!«, antwortete Tobias. »Du musst wissen, dass mein Onkel Heinrich Heller nicht nur ein außergewöhnlicher Universalgelehrter ist, dessen Experimentierstätten gut die Hälfte von Gut Falkenhof einnahmen, sondern er war in Mainz auch Mitglied eines verbotenen Geheimbundes.«
Gaspards Augen leuchteten begeistert auf und er beugte sich vor, um ja kein Wort zu verpassen. »Dein Onkel ist ein Verschwörer?«
»Nein, ganz so dramatisch ist Onkel Heinrich nicht veranlagt. Die Mitglieder dieses Bundes kämpften nicht mit dem Schwert, sondern mit der Schreibfeder gegen die Willkür der Fürsten, forderten in illegalen Druckschriften die Pressefreiheit und mehr Bürgerrechte und setzten sich für eine geeinte deutsche Nation ein«, erklärte Tobias. »Ihr Franzosen habt eine Nation. Dagegen ist Deutschland in mehrere Dutzend Fürsten- und Herzogtümer und in einige kleine Königreiche zerstückelt. Und jeder Fürst wacht eifersüchtig darüber, dass niemand seine Rechte antastet. Dagegen und gegen die Unterdrückung des Volkes haben sich mein Onkel und seine Freunde eingesetzt.«
»Und dieser Pizalla war ein Spitzel im Auftrag eures Fürsten, der Angst um seine Macht hat«, folgerte Gaspard.
»Richtig«, sagte Tobias. »Zeppenfeld muss sich gut in Mainz umgehört und erfahren haben, dass mein Onkel schon seit Langem bei Pizalla im Verdacht stand, zu einem dieser Geheimbünde zu gehören. Er hat sich mit Pizalla verbündet und dann gelang es ihm, ein in finanzielle Schwierigkeiten geratenes Mitglied durch Bestechung zum Verrat zu bewegen. Der Geheimbund flog auf und Onkel Heinrich wurde dabei von einer Kugel in die Schulter getroffen. Sadik konnte ihn gerade noch aus Mainz nach Falkenhof