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Als er sieben Jahre alt ist, läuft Rainer Maria Schießler mit einem Freund von der Trambahnstation zum Fußballstadion. Das Spiel, das die beiden sich zusammen ansehen, vergisst er nie. Seit diesem Tag ist der deutschlandweit bekannte Münchner Pfarrer begeisterter Fußballfan. Lange Zeit war er Kolumnist für die Münchner Abendzeitung und auch geschätzter Kommentator in Fußballfragen; viele Sportler kennt er auch persönlich. In diesem Buch erzählt er seine schönsten Geschichten rings um den »Heiligen Rasen« und denkt darüber nach, was für ihn Glaube und Spiel miteinander zu tun haben. Er schreibt über Fangesänge, Gemeinschaftsgefühl, bengalische Lichter und Fahnen, Glückstaumel und Ernüchterung, Siege und Niederlagen.
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Seitenzahl: 116
Pfarrer Rainer M. Schießler
Meine schönsten Geschichten vom Heiligen Rasen
Knaur eBooks
Auf sehr persönliche Art und Weise teile ich mit Ihnen meine schönsten Geschichten vom »Heiligen Rasen«. Wie ich schon als Kind vom Fußball begeistert war, meinen ersten Stadion-besuch und vieles mehr. Warum ich später als Pfarrer FIFA-Funktionäre mit dem Taxi ins MünchnerStadion chauffiert habe. Und welche Erkenntnisse ich im Laufe der Zeit gewonnen habe.
Allein die äußeren Ähnlichkeiten von Fußball- Ereignissen und Glaubensfesten sind bemerkenswert: besondere Kleidung, bewegende Gesänge, festliche Hymnen und eine kraftvolle Sprache. Ob beim Aufstieg in ein »neues Leben« in der Champions League oder beim Abstieg in die Unterwelt der Zweitklassigkeit: Freude und Frust – das alles gibt es in den Religionen und im Sport gleichermaßen.
Es gibt so viel zu entdecken!
Rainer M. Schießler
Weitere Informationen finden Sie unter: www.bene-verlag.de
Widmung
Prolog Sehnsucht nach dem Fußballhimmel
Auf dem Bolzplatz
Ab ins Stadion
Gebt jedem einen Ball
Tor!!!
Das Kreuz mit der Auswahl
Gemeinsam
Fußball-Liturgie
Weltmeisterschaft – Fußball im XXL-Format
Fußballgötter ganz nah
Einmal Löwe, immer Löwe
Finale
Epilog Ein Plädoyer für den wahren Fußball
Ich widme dieses Buch allen wahren Fans, die konsequent friedlich und trotzdem voller Begeisterung ihren geliebten Fußball immer wieder so herrlich ansteckend und leidenschaftlich genießen. Ihr seid das Vorbild, das unsere Jugend dringend braucht!
© Klaus Haag
»Der Herr gebe dir, was du von Herzen wünschst, was du dir vorgenommen hast, lasse er gelingen!« (Ps 20,5)
Völlig verzückt reckt Franck Ribéry auf der Ludwigstraße die Meisterschale in den Münchner Himmel. Tausende Fans in roten Trikots, viele mit Fahnen in den Händen, jubeln ihm und seinen Teamkollegen frenetisch zu. Die Begeisterung ist schier grenzenlos.
Ich stehe mit all den anderen, die gekommen sind, in der Menge und denke kurz daran, dass hier an dieser Stelle schon in wenigen Tagen die große Münchner Fronleichnamsprozession vorbeikommen wird. Fußball und Glaube – beides hat für mich einen guten Klang. Auch deshalb teile ich in diesem Buch mit Ihnen – durchaus mit einem Augenzwinkern – die schönsten Geschichten vom »Heiligen Rasen«.
Bereits die äußeren Ähnlichkeiten von Fußballereignissen und Glaubensfesten sind bemerkenswert: unverzichtbare Rituale vom Einzug der Spieler ins Stadion bis hin zur Siegerehrung und dem anschließenden Autokorso. Besondere Kleidung, bewegende, mitreißende Gesänge, durchaus auch festliche Hymnen und eine kraftvolle Sprache. Mit tiefer innerer Leidenschaft und Hingabe werden Pokale präsentiert. Fans und Spieler, sie alle jubeln oder leiden immer gemeinsam. Ob der Aufstieg in ein »neues Leben« in der Champions League oder beim Abstieg in die Unterwelt der Zweitklassigkeit: Freude und Frust – das alles gibt es in den Religionen und im Sport gleichermaßen. Ohne jeden Zweifel hat der Sport durchaus etwas tief Religiöses an sich – denken Sie beispielsweise an die Fußball-Hymne »You’ll Never Walk Alone « –, und doch steht er nicht in Konkurrenz zur Religion.
Deutschland ist ein Fußball-Land. Zum Deutschen Fußball-Bund (DFB), dem Dach von 26 Fußballverbänden in der Bundesrepublik, gehören rund 24 000 Vereine mit fast 7,4 Millionen Mitgliedern. Auch viele andere Länder dieser Erde betrachten den Fußballsport mit nationalem Stolz. In England singen die Fans mit Tränen in den Augen »Football is coming home«, in Italien besteht die Squadra Azzurra, die Nationalmannschaft, ohnehin aus der Sicht der Fans nur aus Volkshelden. Frankreich lebt mit Würde und Erhabenheit die Perfektion des Fußballs und lässt dies auch jeden Gegner und Zuschauer spüren. Die Spanier, so hat man den Eindruck, würden ihren letzten Heller geben, nur um fußballerisch, national wie international, erfolgreich zu sein. Und die Bilder, wie die isländische Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft mit kehligem Schlachtruf die Engländer besiegte, haben sich tief in unser Gedächtnis eingegraben. DIE WELT titelte damals »Als Amateure angereist, als Legenden nach Hause«.
Bei uns in Deutschland gibt es eine ganz besondere Mischung von sportlichem Eifer und nationalem Stolz, gepaart mit einer diesem Land eigenen Distanz. Natürlich wollen wir Welt- und Europameister werden, erfreuen uns wie alle Nationen an einem schönen, spritzigen Fußball. Unzählige ehrenamtliche Mitarbeiter engagieren sich, um bereits die ganz Kleinen an den Fußballsport heranzuführen. Samstags sind die Stadien voll, die Begeisterung ist ungebrochen, Fanclubs verzeichnen gegen den Trend bei anderen Vereinen und Organisationen anhaltendes Interesse – und niemand würde bestreiten, dass Fußball der Nationalsport der Deutschen ist. Trotzdem ist die deutsche Begeisterung immer auch eine andere als die der übrigen europäischer Länder. Ganz zu schweigen von der Euphorie südamerikanischer Fanclubs. Und wenn’s sportlich gerade mal schlecht läuft, ist man mit Kritik und gut gemeinten Tipps, was jetzt unbedingt getan werden sollte, schnell bei der Hand.
Nun kommt mit der Europameisterschaft 2024 der Fußball wieder nach Deutschland. Viele erinnern sich mit glänzenden Augen an die Weltmeisterschaft 2006 in unserem Land – das Sommermärchen – und hoffen nun natürlich auf eine Wiederholung, sowohl mit Blick auf den möglichen sportlichen Erfolg als auch auf die Stimmung im Land. Wie gut könnten wir gerade positive Meldungen und mitreißende Ereignisse gebrauchen. Beides ist natürlich nicht »machbar«, es ereignet sich, oder eben auch nicht. Selbst »gesetzte« Teams haben keinen automatischen Anspruch auf Erfolg.
Das Phänomen Fußball verdient es allemal, von mehreren Seiten beleuchtet zu werden. Mit diesem kleinen Büchlein möchte ich dies auf eine sehr persönliche Art und Weise tun, weder sport- oder medienwissenschaftlich noch psychologisch. Ich erzähle zum einen, wie ich als ganz normaler deutscher Fußballkonsument zu dieser Sportart gekommen bin, mich angenähert habe und dann fürs ganze Leben »infiziert« wurde. Welche Erkenntnisse ich im Laufe der Zeit gewonnen habe. Beispielsweise, welche Gemeinsamkeiten dieser faszinierende Sport mit unserem religiösen Empfinden hat. Was es da alles zu entdecken gibt!
Der Fußballhimmel soll sich weit über uns ausbreiten dürfen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Buches und beim Betrachten der Lieblingssportart vieler Menschen.
Rainer Maria Schießler
© AQ-taro Images/stock.adobe.com
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»Macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.« (Phil 2,2–3)
Keine große Fußballerin, großer Fußballspieler kommt als solche(r) auf die Welt. Entscheidend ist das Milieu, das uns prägt; die Lebenswelt, in der wir aufwachsen. Viele große Fußballstars betonen immer wieder, dass es auch die Bolzplätze ihrer Kindheit waren, die sie letzten Endes zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Bei mir war es ein Hinterhof im Münchner Stadtteil Laim, auf dem ich zu kicken begann – bekanntermaßen wuchs ich dennoch nicht zu einem Profifußballer heran. Aber manches ist mir später dennoch gelungen. Und ich erinnere mich gerne an die Kindheitstage in Laim. Wir waren damals viele Kinder, die dort im Hinterhof spielten, besonders viele Jungs; und wir spielten mit allem, was man kicken konnte. Eine besondere Ausrüstung ist für das Fußballspiel zum Glück ja auch nicht notwendig, zwei improvisierte Tore und die vier Eckpunkte des Spielfeldes sind im Handumdrehen eingerichtet.
Was mich im Rückblick am meisten an diesem oft stundenlangen Gekicke fasziniert, ist das ausdrückliche Fehlen einer bestimmten Qualifikation. Du durftest da einfach mitmachen! Egal, wie gut du fußballerisch drauf warst. Niemand wurde ausgeschlossen. Es war natürlich zunächst mehr ein Durcheinander und ein ›Alle-gehen-auf-einen-Ball-drauflos-Spiel‹, aber jeder war irgendwie wichtig dabei. Es ging um nichts und doch um alles. Die erzielten Tore zählte jeder im Geiste mit, und dennoch war es ziemlich unwichtig, wer am Ende gewann.
Manchmal erinnerte man sich an einen hohen Sieg oder eine Niederlage beim letzten Spiel und zog daraus die Konsequenzen – wusste dann, wie zukünftige Mannschaften besser nicht zusammengestellt werden sollten, um eine weitere Pleite zu vermeiden. Aber wir lernten vor allem bereits als Kinder etwas über die unglaublich befreiende Wirkung dieses Mannschaftsports: Jeder gehört dazu, der Teamgedanke ist wichtig. Und: Im Spiel zählt der volle Einsatz, er lohnt sich, so oder so. In diesem Sinne erweist sich der Sport als ein unersetzbares Element, das eine stabile Gemeinschaft, eine ganze Gesellschaft positiv prägen kann und will.
Natürlich kann das einzelne Spiel immer auch hochdramatisch sein. Wenn die eine Mannschaft kurz vor dem Abpfiff noch ein Tor erzielt und dann in Führung geht. Wird es noch gelingen, den Ausgleich zu erzielen? Kommt es zu einer Verlängerung oder gar zum Elfmeterschießen?
Es war damals laut im Hinterhof, im Laufen schrien wir uns Kommandos zu: »Los, gib ab!« Oder: »Jetzt alle schnell nach vorne!« Stundenlang konnten wir uns damit beschäftigen, dem anderen den Ball vor der Nase wegzuschießen oder dem Gegner wieder abzujagen. Geschützt im Hinterhof, waren wir weg von der Straße, wie man gerne sagt. Das war unseren Eltern natürlich sehr lieb. Aber wir waren auch akustisch mit ihnen zu Hause verbunden, sie hörten aus dem Hof unser Schreien und Lärmen und wussten: »Die spielen noch, die sind noch da.« Auch ohne Handyverbindung (gab’s ja noch lange nicht …) war der Kontakt da.
Leider ist die ganz besondere, positive Bedeutung des Spielens auf dem Bolzplatz in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten. Und manchmal ist es auch schlicht nicht mehr gewollt, dass da eine Horde über die Wiese hinter dem Haus tobt. Da gibt es in Wohnsiedlungen Ruhe- und Spielverordnungen, die Kinder in die Schranken weisen.
Kinderlärm war in unserer Jugendzeit jedenfalls kein Grund dafür, dass sich Anwohner irgendwie und irgendwo darüber beschweren mussten. Die Generation meiner Eltern hatte gerade den Zweiten Weltkrieg überstanden und wusste um ihren Auftrag, ein Land, das in Trümmern liegt, wieder aufzubauen. Kinderlachen, fröhliches Herumgerenne und freudiges Spiel gehörten dazu, waren ein Zeichen, dass es weitergeht. Eine neue Toleranz, die das Vergangene heilen, die Gegenwart segnen und der Zukunft eine neue Ausrichtung geben wollte, war unausgesprochen vielerorts Programm. Ja, Kinder sind willkommen!
Nach so vielen Jahren der Zertrümmerung menschlichen Lebens war jedes Kind ein Geschenk und wurde als solches behandelt. Aus dieser Toleranz erwuchs die Freiheit, die es uns ermöglichte, alle Spielmöglichkeiten zu nutzen. Man schaffte Wohn- und Lebensräume für die Menschen – den Bolzplatz haben wir genau so empfunden.
Diese Toleranz, diese Weite und Offenheit mit Blick auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern in unseren Städten darf nicht noch mehr verloren gehen, als sie uns ohnehin schon an vielen Stellen abhandengekommen ist. Ist in unseren modernen Städten eigentlich überhaupt noch Platz für einen Hinterhof? Alles wird ja zugebaut, jeder Quadratmeter als Wohnraum genutzt. Spielplätze und »Entdeckerräume« sind leider oftmals Mangelware.
Wenn die Rede davon ist, dass der Fußballsport unbedingt auf jedwede Art gefördert werden muss, beginnt dies mit ebenjener Toleranz spielenden Kindern gegenüber.
Auf dem Bolzplatz, mitten im Getümmel© Privat
Ganz unschätzbar wertvoll ist auch die soziale Kompetenz, die das Fußballspiel fördert. Es beginnt beim Kicken im Freundeskreis und setzt sich später in Vereinen fort. Auch Hinterhofmannschaften besitzen im Übrigen bereits ihre eigene Struktur, die sich selbst dann bildet, wenn Kinder eine Dose hin und her kicken. Schnell stellt sich dabei heraus, wer die talentierten und versierten Spielerinnen und Spieler sind und wer eine Führungsrolle einnimmt. Man spürt beim Zuschauen, die oder der kann das!
Denke ich an meine Jugend, sind es meistens gerade die eher Schweigsamen unter uns gewesen, die sich dann als echte Talente herausstellten und sehr bald den Sprung in einen Fußballverein schafften. Auch auf unserem Hinterhof in München-Laim bildete sich im Laufe der Zeit eine Rangfolge heraus, es zeigte sich relativ schnell, wer die besten Spieler waren. Und auch, wer eine natürliche Autorität besaß, die natürlich oft auch sportlich begründet war. Der Bessere wurde anerkannt und respektiert. Er hatte das Sagen, übte mit uns erste taktische Schritte, heizte die Stimmung an, motivierte uns souverän. Als kleiner Indianer – wie ich – war man stolz, in dessen Mannschaft spielen zu dürfen, vom »Kapitän« einen Platz in Team zugewiesen zu bekommen. Und vor allem, wenn man gelobt wurde, weil man etwas besonders gut gemacht, sich voll eingesetzt hatte, ganz einfach ein Held war. Und wir hatten alle keine Schwierigkeiten damit, uns in diesem System ein- und unterzuordnen.
Was sich damals rudimentär auf dem Bolzplatz entwickelte, hat uns, hat mich zu mündigen, gewissenhaften und verantwortungsbewussten Staatsbürgern gemacht. Zu dem, was wir heute sind. Allein deswegen bin ich ein unglaublicher Fan dieser ersten Schritte, die Kinder und Jugendliche in solchen Situationen machen. Ob sie nun dabeibleiben, den Sport später amateur- oder vereinsmäßig weiter betreiben oder gar ins obere Segment des Spitzensports hineinkommen oder nicht. Die Anfänge müssen gemacht werden. Die Motivation, die in Kinder- und Jugendtagen unter Gleichaltrigen entsteht, ist unersetzlich.
Das erste Kicken auf dem Bolzplatz ist für mich beinahe so wichtig wie der erste Schritt beim Laufenlernen. Verbunden mit der nie verloren gegangenen Erfahrung unbeschwertester Jugendstunden, sind mir meine Mitkicker von damals alle noch in bester Erinnerung: die Könner und Profis ebenso wie die Schwächeren, die alles andere als Loser waren. Im Gegenteil: Gerade sie machten das Spiel erst unbeschwert, weil sie mitspielten, auch wenn sie (noch) nicht die erforderliche Fertigkeit besaßen. Die Besten unter uns konnten wir uneingeschränkt bewundern und in ihrem Glanz auch unsere eigene Teilnahme am Spiel in der Mannschaft krönen.
»Wenn die Sonne tief steht, werfen auch kleine Tiere große Schatten«, sagt ein Sprichwort. Es zielt auf diejenigen ab, die sich in der Nähe bedeutender Menschen unheimlich stark fühlen. Diese Erfahrung konnten wir als Kinder tatsächlich genau so machen. In so einer Truppe von begabten und auch weniger begabten Spielern hatte jeder seinen berechtigten Platz. Wenn wir Bolzplatzkicker von damals uns heute gelegentlich wiedersehen, stimmen alle ein in diese wunderbaren Erinnerungen an eine schöne Zeit.
Nein, wir waren nicht besser und auch nicht frömmer als andere Kinder unserer Zeit. Ja, es stimmt, die meisten von uns haben sich auch sonntags in der Kirche getroffen. Beides gehörte zusammen, das Katholischsein und das Kicken im Hinterhof. Wir spürten vielleicht insgeheim: »Da wächst etwas ganz Wesentliches für unser Leben zusammen!«