Im Reich des silbernen Löwen II - Karl May - E-Book

Im Reich des silbernen Löwen II E-Book

Karl May

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Beschreibung

Die Reise von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef geht weiter, bis sie im Turm zu Babel, dem Birs Nimrud, eingesperrt werden. Dort steht alles auf Messers Schneide, denn in 6 Stunden will der Säfir wiederkommen und Kara Ben Nemsi langsam zum Tode quälen. Werden sie diesmal dem Tod entgehen?

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Karl May

 

Im Reiche des silbernen Löwen II

 

 

 

(Dies ist keine Ausgabe des Karl May Verlags)

 

Basel, 2016

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Beim Turm von Babel

Vor Gericht

Osman Pascha

Wieder im Turm

Frohe Heimkehr

Ein Rätsel

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Beim Turm von Babel

Am Tage nach dem am Schlusse des vorigen Bandes beschriebenen Abende unternahmen wir den geplanten Ritt nach dem Turm von Babylon, jetzt von den dortigen Beduinen Birs Nimrud genannt. Man rechnet von Bagdad nach Hilla oder Hilleh drei kurze Tagereisen. Mit unsern schnellen Pferden brauchten wir nicht so lange Zeit, und darum fiel es uns nicht ein, den Ritt schon am Vormittag zu beginnen; wir ließen vielmehr grad wie damals die größte Tageshitze vorüber und ritten, nachdem wir uns von unserem Wirte und seinem dicken Onbaschi verabschiedet hatten, den Fluß hinauf und über die Brücke nach dem rechten Tigrisufer.

Als wir von dort aus einen Blick zurücksandten, lag die Stadt, grad wie damals, in hellem Sonnenglanz vor unsern Augen. Links sahen wir den Volksgarten, die von Midhat Pascha angelegte Pferdebahn und die Quarantäneanstalt, hierauf das Kastell und hart am Wasser das Gouvernementgebäude; rechts lag die Vorstadt mit der alten Mostansir. Dann dehnte sich die von Minarehs und Moscheekuppeln überragte Häusermasse aus, über die sich der Dunst- und Staubschleier breitete, welcher Bagdad eigen ist.

Von hier aus wendeten wir uns nach dem Oschach-Kanal, und als wir diesen hinter uns hatten, sahen wir vor uns die freie – – Wüste. Ja, es ist Wüste. Da, wo vor nicht gar langer Zeit Garten an Garten sich reihte, wo Tausende von Palmen winkten, Blumen dufteten und herrliche Früchte glänzten, da dehnt sich eine unabsehbare, trostlose Wüste westwärts bis an das Ufer des Euphrat aus.

Durch diese Einöde führte unser Weg erst nach dem Khan Assad und dann nach dem Khan Bir Nust, den wir kurz vor Abend erreichte. Im Khane selbst zu übernachten, fiel uns wegen des dortigen Ungeziefers nicht ein; wir suchten ihn nur auf, um unsere Pferde zu tränken, und ritten dann noch ein Stück in der Richtung nach dem Khan Iskenderijeh weiter, wo wir abstiegen, die Tiere anpflockten und unsere Decken zum Lager ausbreiteten.

Wir hatten bis hierher keinen einzigen schiitischen Pilger und keinen einzigen Leichentransport gesehen; dennoch sagte Halef, als wir uns nebeneinander niedergesetzt hatten:

»Sihdi, riechst du nichts? Mir ist ganz so, als ob wir uns im Pesthauche der Todeskarawane befänden. Geht es dir nicht auch so?«

»Ja, ganz genau wie dir,« antwortete ich. »Die Erinnerung wirkt auf unsere Geruchsnerven. Ich sehe die Todeskarawane nicht bloß an mir vorüberziehen, sondern ich rieche sie auch. Es war entsetzlich damals, ganz entsetzlich, und es ist kein Wunder, daß unsere Nasen den Leichenduft, welcher ihnen damals so grausam mitspielte, heut noch nicht vergessen haben.«

Todeskarawane, Karwan el Amwat, wie der Beduine sagt, was ist das?

Ich glaube, diese Frage am besten und kürzesten mit einer bereits schon früher gegebenen Antwort zu erledigen:

Der Muhammedaner schiitischen Glaubens ist überzeugt, daß ein jeder Moslem dieser Sekte, dessen Leiche in Kerbela oder Nedschef Ali begraben wird, ohne alle weiteren Hindernisse sofort in das Paradies komme. Bekanntlich zerfallen die Anhänger des Islam in die beiden Abteilungen der Sunniten und Schiiten. Das Wort Sunna, zu deutsch »Weg« oder »Richtung«, bezeichnet alle auf eine Tat oder einen Ausspruch Muhammeds bezüglichen Traditionen, welche für solche Fälle, in denen der Kuran sich entweder gar nicht oder undeutlich ausspricht, als Gesetze Geltung haben. Die Sunna bildet also für den Anhänger derselben neben dem Kuran die hauptsächlichste Quelle der Religions- und Lebensvorschriften. Nebenbei, doch ebenso hauptsächlicherweise unterscheiden sich die Sunniten von den andersgläubigen Muhammedanern auch dadurch, daß sie die drei Kalifen Abu Bekr, Omar und Othman als rechtmäßige Nachfolger des Propheten anerkennen. Zu ihnen gehören fast alle Moslemin in Afrika, auch Ägypten, in der Türkei, in Syrien, Arabien und in der Tatarei. – Schia heißt soviel wie Partei. Die Schiiten verwerfen die genannten drei Kalifen und behaupten, nur Ali und seinen Nachkommen habe die Kalifenwürde gebührt. Sie sind meist über Persien und Indien verbreitet, während sie in andern Ländern nur vereinzelt vorkommen. Man schätzt sie zu zwanzig Millionen, während es über zweihundert Millionen Sunniten gibt.

Die Schiiten widmen Ali und seinen Nachkommen, besonders aber seinen Söhnen Hassan und Hussein, eine so übertriebene und dabei leidenschaftliche Verehrung, daß er und alle zu seiner Nachfolge berechtigten Nachkömmlinge von einigen extremen Parteien sogar für Inkarnationen Gottes gehalten werden. Sie haben, obgleich sie das nicht zugeben, die ursprüngliche Lehre durch mystische und pantheistische Hineinlegungen verfälscht und stellen die Behauptung auf, daß die Sunniten zu vernichten oder doch noch viel mehr als die Juden, Christen und Heiden zu hassen und zu verfolgen seien. Daher die Jahrhunderte alten, erbitterten und blutigen Kämpfe zwischen diesen beiden Richtungen. Es ist Blut, sehr viel Blut geflossen; es sind Grausamkeiten verübt worden, welche niederzuschreiben sich die Feder sträubt, und noch heut ist dieser Haß nicht verlöscht. Er glimmt fort und fort und bricht bei jeder Veranlassung in helle, vernichtende Flammen aus. Es versteht sich ganz von selbst, daß diese Erbitterung ihre meisten Opfer in den Gegenden sucht und findet, wo Sunniten und Schiiten vermischt wohnen oder aber öfters aufeinander stoßen, und das findet ganz besonders statt in der Grenzprovinz Irak Arabi mit den beiden nicht weit von Bagdad liegenden heiligen schiitischen Städten Nedschef Ali und Kerbela.

Die erstere Stadt hat ihren Namen von dem in der Nähe liegenden Nedschef-See erhalten und wird auch Meschhed Ali, d. h. Grabmal Alis, genannt, weil dieser da begraben worden ist. Sie ist ungefähr fünfzig Kilometer südlich von den Ruinen von Babylon gelegen, auf welchem Wege man auch über das Dorf Kefil kommt, wo sich die Ruhestätte des Propheten Hesekiel befindet. Kerbela, auch Meschhed Husseïn, d. i. Grabmal Husseïns, genannt, ist die Hauptstadt eines Sandschäk, zählt über sechzigtausend Einwohner und soll an Reichtum Bagdad weit übertreffen. Sie wird durch einen Kanal mit dem rechten Euphratufer verbunden und bildet den hervorragendsten Wallfahrtsort der Schiiten, von denen es noch heiliger als Nedschef Ali gehalten wird.

Es ist nicht meine Absicht, auf die ersten Kämpfe zwischen den Sunniten und Schiiten und den Tod Alis und seiner Söhne Hassan und Hussein einzugehen. Es genügt, zu sagen, daß, wie wir auch noch sehen werden, die Gedenkzeit an Husseins Tod von den Schiiten mit größter Leidenschaft begangen wird, und zu wiederholen, daß die Bekenner der Schia die Überzeugung hegen, ein jeder ihrer Anhänger gehe sofort in den Himmel ein, falls er in einer der beiden Städte begraben werde.

Aus diesem Grunde ist es der heißeste Wunsch eines jeden Schiiten, in dieser heiligen Erde ruhen zu dürfen; aber da die meisten Schiiten in Persien und gar Indien leben und der weite Transport der Leichen also ein außerordentlich kostspieliger ist, so ist es nur dem Reichen möglich, nach seinem Tode nach Kerbela oder Nedschef Ali geschafft und dort beerdigt zu werden; der Arme aber muß sich selbst transportieren, d. h. er nimmt von seinen Angehörigen für immer Abschied und bettelt sich unter allen möglichen Anstrengungen und Leiden durch die weiten Länderstrecken nach dem fernen Ziele seiner Wanderungen und seines Lebens, um dort dann seinen Tod zu erwarten.

Diese Wanderungen kommen zu jeder Jahreszeit vor und erstrecken sich meist auf ganz bestimmte Wege, weiche gebräuchlich geworden sind, weil sie sich als die besten und kürzesten erwiesen haben; auch sind gewisse Strecken, Richtungen oder Abweichungen von den Behörden vorgeschrieben. Diese Wege gleichen einem Flußsysteme: Das Gebiet der Quellen, Bäche und einzelnen Wasserläufe ist weit ausgebreitet; dann nähern sich die Zuflüsse einander nach und nach, um die Nebenarme zu bilden, welche sich später zu dem Hauptstrome vereinigen. je weiter entfernt, desto unbedeutender, aber zahlreicher sind die Wasser, je näher dem Ziele, desto geringer wird zwar ihre Zahl, aber desto bedeutender sind sie geworden, bis sie endlich, alle vereinigt, im Hauptbette als mächtiger Fluß der Mündung entgegenrauschen. Ebenso ist es auch mit dem Menschenstrome, den diese Pilgerwanderungen bilden: Die einzelnen schiitischen Wanderer, denen man in den fernliegenden Gegenden begegnet, finden sich an gewissen Vereinigungspunkten zusammen und bilden da Gesellschaften, die sich an weiterliegenden Knotenpunkten vereinigen, um dann von rechts und links immer neue Zuflüsse aufzunehmen, bis sie zu bedeutenden Zügen anwachsen und schließlich die großen, gefürchteten Todeskarawanen ergeben, gefürchtet deshalb, weil sie nicht nur aus dem verkommensten, zu allen Schandtaten fähigen Menschenmateriale, sondern auch aus den zahlreichen Leichentransporten bestehen, die sich ihnen angeschlossen haben. Man denke sich Hunderte und Hunderte von toten Menschenkörpern, welche nur in dünne Decken gewickelt sind oder in längst zerbrochenen Särgen liegen; seit Monaten unterwegs, sind sie dem glühenden Sonnenbrande und allen Einwirkungen der langen Reise und des Wetters ausgesetzt gewesen; sie befinden sich also in allen möglichen Graden der Verwesung und verbreiten einen Gestank, den jeder Windhauch stundenweit verbreitet. Da ist es wahrlich kein Wunder, daß das hohl- und triefäugige Gespenst der Pest diesen Karawanen auf dem Fuße folgt! Diese Pilgerzüge führen zahllose Leichen mit sich und den Tod hinter sich; darum wird jeder solche Zug mit dem sehr bezeichneten Namen Karwan el Amwat, d. i. Todeskarawane, benannt.

Diese Zuzüge der Pilger und Leichentransporteure werden am stärksten, wenn der zehnte Muharrem, der Todestag Husseins, nahe ist. Da kommen die Karawanen der Inder, Afghanen, Beludschen und Perser vom iranischen Tafellande herab; von allen Seiten nahen sie, und sogar auf Schiffen werden Pilger und Leichen herbeigeschleppt, denn von Indien her ist der Seeweg kürzer als der beschwerliche Weg über Land. Man versuche es aber einmal, ein solches den Schatt el Arab heraufkommendes Schiff zu besteigen! Wegen des von ihm verbreiteten Gestankes weicht ihm jedes andere Fahrzeug schon von weitem aus, und einer europäischen Nase würde es vollständig unmöglich sein, sich ihm ohne ein eisernes Muß bis auf Kiellänge zu nähern. Und dabei behaupten die Menschen, welche die Leichen zu begleiten und zu bewachen haben, diese methodischen Ausdünstungen seien nicht Gestank, sondern Hawa es Sema und Rawaji ed Dschani!

Wenn ein Schiit gestorben ist und nach der heiligen Begräbnisstätte geschafft werden soll, so bleibt seine Leiche vielleicht monatelang liegen, ehe die Reise beginnen kann. Hat dann der Aufbruch endlich stattgefunden, so ist ein weiter, weiter Weg in qualhaft langsamer Weise zurückzulegen. Die Hitze des Südens brütet mit entsetzlicher Glut auf die Strecken hernieder, welche zurückgelegt werden müssen; die Särge zerplatzen, und die Decken, in denen die Leichen sich befinden, werden von Produkten der Zersetzung durchdrungen oder gar zerstört. Der ehrliche Mann, welcher den Zug kommen sieht, weicht entsetzt zur Seite aus, und nur der Schakal und der räuberische Beduine schleichen sich herbei, der eine, angezogen von dem Geruche der Verwesung, und der andere, herbeigelockt von den Schätzen, welche die Karawane mit sich führt, um sie am Ende der Wallfahrt den Hütern des heiligen Grabes zu übergeben. Da werden diamantenbesetzte Gefäße, perlenbesäte Stoffe, kostbare Waffen und Geräte, gewaltige Mengen vollwichtiger Gold- und Silberstücke, unschätzbare Amulette, aus edlem Metall hergestellte und mit herrlichen Steinen geschmückte Nachbildungen kranker Gliedmaßen, für welche der Spender Heilung sucht, kurz, alle möglichen Gaben und Schätze nach Kerbela und Nedschef Ali gebracht, wo sie in den unterirdischen Kellern verschwinden. Diese Gegenstände werden, um die Räuber zu täuschen, in sargähnlichen Verpackungen verborgen; aber die durch die Erfahrung klug gewordenen Beduinen lassen sich durch diese Vorsicht schon längst nicht mehr täuschen. Sie kommen ganz sicher zu den gesuchten Schätzen, indem sie bei ihren Überfällen alle Särge öffnen. Später bietet dann der Kampfplatz ein wüstes Durcheinander von gefällten Tieren, ermordeten Menschen, umhergeworfenen Leichenresten und zerstreuten Sargtrümmern, und der einsame Reiter, welcher zufälligerweise an diese Stätte des Todes und der Zerstörung kommt, lenkt sein Pferd von ihr ab, um dem Hauche der Pest und Ansteckung zu entgehen, und ruft aus: »Allah ia Allah, schi bikab'bib schar irrahs – Gott, o Gott, da steigen einem die Haare zu Berge!«

Und auf dem Wasserwege befinden sich die Pilger und Transporteure in ganz derselben Gefahr. Die Pilgerschiffe kommen aus dem Schatt el Arab in den Euphrat, dann durch den Arm von Semawat und durch den Arm von Bahr-i-Nedschef herauf, oft zu Flotten vereinigt. Auf den Decks und in den Unterräumen lagern Lebende und Tote bunt durch- und nebeneinander, und sogar die Schiffsränder sind oft nach außen und innen mit Särgen behangen. Welch eine infernalische Luft da herrschen muß, kann man sich denken! An dem erwähnten Kanale lauern die Beduinen vom mächtigen Stamme der Elbu-Thefir, um die Schiffe abzufangen; jedes muß ihnen den Wert von tausend und noch mehr Mark bezahlen, sonst wird es ausgeplündert und jeder Lebende niedergemetzelt.

Man denke aber ja nicht, daß mit der Ankunft an den heiligen Stätten alle Widerwärtigkeiten zu Ende seien! Nun beginnen die ebenso schwierigen wie langwierigen Unterhandlungen mit der bei der Moschee angestellten Geistlichkeit, welche die höchstmöglichen Forderungen stellt und das Wort Nachgiebigkeit weder im Herzen noch auf der Zunge kennt. Je reicher der Tote war und je näher dem Heiligtume er begraben werden soll, desto höher steigt die Summe, welche dafür gefordert wird, und man muß schließlich jeden Betrag zahlen, um nur die Leiche endlich einmal loszuwerden. Auch den armen Pilgern wird es nicht leicht gemacht, in heiliger Erde Ruhe zu finden. Was sie noch besitzen, wird ihnen abgepreßt. Körperlich und geistig und nicht zum wenigsten auch moralisch ganz heruntergekommen, an allen möglichen Krankheiten leidend, irren sie hungernd und dürstend umher, und nur wenigen gelingt es, in einer der zwar viel gelobten, aber doch fast gar nichts leistenden Wohltätigkeitsanstalten für kurze Zeit Aufnahme zu finden. Da kann es freilich nicht ausbleiben, daß folgt, was Schiller, wenn auch aus anderer Veranlassung, sagt: »Da werden Weiber zu Hyänen.« Von allem entblößt und mit dem Tode des Verschmachtens kämpfend, sind sie auch zu allem fähig, um diesem Tode zu entgehen oder ihn doch so weit wie möglich hinauszuschieben. Diebstahl und Erpressung, Raub und Mord müssen ihnen liefern, was ihnen die Gerechtigkeit oder Menschlichkeit versagt, und so kommt es, daß die heiligen Städte und ihre Umgebungen sich keineswegs der Sicherheit erfreuen, welche ihrer Berühmtheit angemessen wäre. Und wer sich vor diesen Verzweifelten sicher fühlen darf, den muß schon der Anblick der Kranken und Sterbenden empören, welche allerorts herumliegen und auf ihr Ende warten, weil es niemand gibt, der sich ihrer erbarmen will. Wenn von den Abertausenden der herbeigekommenen Pilger nur ein Viertel stirbt, so nennt man das ein ausnahmsweise sehr gesundes Jahr. Das ist jedenfalls mehr als genug gesagt!

Zufolge der großartigen Spenden und der ebenso großen Erpressungen besitzen Nedschef Ali und Kerbela mehr Reichtümer als wohl irgend eine andere Stadt des Orientes. Die Kuppel über Alis Grabmoschee wird Kuh-i-Sär genannt; der Boden des Innern soll aus reingoldenen Platten bestehen, und wenn man der Beschreibung der unterirdischen Gewölbe traut, so müssen diese Schätze enthalten, gegen welche alle Reichtümer von Golkonda keines Vergleiches würdig sind.

In Kerbela sollen noch mehr Reichtümer als in Nedschef Ali liegen. Ein mit gediegenem Golde gedeckter Dom leuchtet den nahenden Pilgern entgegen. Wer dort ein Grab findet, dem werden selbst die schwersten Sünden vergeben und alle Tore des Himmels, selbst das siebente, sofort geöffnet. Es werden also wohl nicht die tugendhaftesten Schiiten sein, welche die größten irdischen Opfer bringen, um nach ihrem Tode hierhergebracht zu werden. Aber Kerbela wird auch von lebenden Missetätern aufgesucht. Vornehme Sünder geistlichen und weltlichen Standes fliehen, um der Hinrichtung zu entgehen, nach dieser Stätte, deren Asylrecht sie vor allen Verfolgungen schützt, und bleiben, nachdem sie sich die Erlaubnis dazu mit dem größten Teile ihres Vermögens erkauft haben, bis zu ihrem Ende da. Irdische Schätze und moralische Verworfenheit sind hier an einer und derselben Stelle aufgehäuft; man hat die »heiligen« Orte zu Ansammlungsstätten für körperlich und ethisch Tote gemacht, und nicht der große, Pestgestank verbreitende Pilgerzug allein, sondern auch jeder kleine Reisetrupp, welcher solche moralische Leichen nach dem ihnen einzig nur noch offenen Asyl bringt, müßte eigentlich als »Todeskarawane« bezeichnet werden.

In neuerer Zeit ist es der Karwan el Amwat verboten, ihren Weg durch eng bewohnte Ortschaften zu nehmen; früher aber durfte sie mitten durch Bagdad ziehen. Sie kam durch Schedt Omer, das östliche Tor, herein und verließ, die Schiffbrücke benützend, die Stadt auf demselben Wege, den auch ich mit Halef damals und jetzt geritten war. Kaum war sie verschwunden, so ging der Pesthauch über die Kalifenstadt; die Seuche begann zu wüten, und Tausende fielen der muhammedanischen Gleichgültigkeit zum Opfer, welche sich mit der Ausrede behilft, daß »alles im Buche des Lebens verzeichnet stehe«.

Im Jahre 1831 hatte die Stadt weit über hunderttausend Einwohner. Als die große Schiiten-Karawane sich näherte, welche diesmal weit größer und also auch gefährlicher als gewöhnlich war, begaben sich die hervorragendsten der dort wohnenden Europäer zum Pascha, um ihn zu bitten, ihr den Durchzug zu verweigern; aber alle ihre Bemühungen und Vorstellungen waren vergeblich. Das einzige, was sie erreichen konnten, war, daß die Mullahs gefragt werden sollten. Diese entschieden: »Das Verlangen der Christen ist eine Versündigung gegen den Kuran. Wenn die Pest diese Ungläubigen tötet, so geschieht ihnen recht, weil sie die heilige Lehre des Islam verwerfen. Sollten aber auch Gläubige sterben, so hat es Allah gewollt, welcher die Todesstunde jedes seiner Anbeter kennt, und sie gehen alle in den Himmel ein. Es darf also der Karawane nicht verboten werden, durch die Stadt zu ziehen.« Nach dieser Entscheidung wurde gehandelt, und die Folge war, daß die Seuche sich in einer noch nie dagewesenen Weise über die Stadt verbreitete. Es fielen ihr täglich Tausende zum Opfer; es half nichts, daß man sich vollständig abschloß und verkroch. Die Leichen konnten schließlich nicht mehr begraben werden; sie lagen verwesend auf den Gassen und in den Häuserwinkeln und verbreiteten Miasmen, welche durch die Mauern zu dringen schienen und täglich neue Opfer forderten. Die Stille des Grabes lag auf der unglücklichen Stadt; es gab sogar keinen Mueddin mehr, dessen Ruf zum Gebete vom Minareh herniederklang. Es gab weder Handel noch Wandel, weder Kauf noch Verkauf. Die Bäcker waren verschwunden, die Sakka'in dahingerafft; man konnte selbst für viel Geld nichts Eßbares erhalten – das Gespenst des Hungers ging von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, um hinter der Seuche grausige Nachlese zu halten. Unglücklicherweise gesellte sich zu diesem Unheile eine beispiellose Überschwemmung des Tigris, welcher die aus Erde bestehenden Mauern durchweichte und die ganze Stadt überflutet. In einer einzigen Nacht versanken fünftausend Häuser in seinen gierigen Wogen. Als sich die Wasser zurückgezogen hatten, bildete der durchtränkte Boden einen einzigen, großen Seuchenherd, das Sterben dauerte noch lange fort, und als es endlich, endlich vorüber war, hatten zwei Drittel der Einwohnerschaft den Bescheid der Mullahs mit dem Tode bezahlt.

Später ist das anders geworden. Besonders hat der so viel gepriesene und ebensoviel angefochtene Midhat Pascha unter den alten, unglücklichen Vorurteilen und Gepflogenheiten aufgeräumt. Die Leichenkarawane darf nur die Grenze des nördlichen Stadtbezirkes berühren, um mit möglichster Schnelligkeit über die Brücke zu gehen.

Gewöhnlich wird ihr eine hohe Fahne mit dem persischen Wappen, ein Löwe, hinter dem die Sonne aufsteigt, vorangetragen. Dann folgen diejenigen Pilger, welche noch gut bei Kräften sind, hagere Gestalten mit sonnverbrannten Gesichtern, aus deren dunklen Augen die stolzeste religiöse Selbstüberschätzung spricht, Reiter auf Kamelen und Pferden, deren Sättel und Decken mit allerlei gleißendem Schmuck behangen sind, Fußgänger mit eingelegten Waffen, eintönige Gebetsformeln vor sich hinschnarrend und dabei mit haßerfüllten Blicken unter den Zuschauern nach Andersgläubigen suchend, um sie anzuspucken oder mit Schimpfworten zu bewerfen. Schwerbeladene Maultiere oder Esel tragen die Särge, in denen die »Gäste des siebenten Himmels« der islamischen Seligkeit entgegengetragen werden, einstweilen aber eine faulende Gallerte bilden, deren fürchterlicher Duft das Holz durchdringt und nichts weniger als himmlisch ist. Meist sind die kräftigeren Maultiere in der Weise beladen, daß rechts und links je ein Sarg hängt und der Reiter mit hoch emporgezogenen Beinen auf dem Sattel hockt. Die schwächeren Esel pflegen nur eine Leiche zu tragen, die sich entweder in einem Sarge befindet oder in eine Decke geschnürt ist. Man erblickt Fußgänger, welche zu zweien eine Leiche tragen, dazwischen oft auch einen einzelnen, der einen Toten mühsam auf dem Rücken schleppt. Indem man für die übermäßig bepackten, unbarmherzig geschlagenen und mißhandelten, wund und blutig geriebenen oder gedrückten Tiere tiefes Mitleid hegt, fragt man sich, ob diese vom fanatischen Übermute aufgeblähten, im Vorüberpassieren auf uns schimpfenden und fluchenden Menschen eines ähnlichen Gefühls wert seien. Sie sind geradezu in Verachtung alles dessen, was nicht schiitisch ist, eingehüllt, und jede Miene ihres Gesichtes, jede Bewegung ihres Körpers oder auch nur ihrer Hand ist eine Beleidigung für den, den sie für andersgläubig halten.

Je weiter der Zug vorübergeht, desto fragwürdiger werden die Figuren, die ihn bilden. Es kommen die Ärmeren, die ganz Armen, die Bettler und schließlich die Marodeure, das Gesindel. Sie gehen barfuß; ihre Kleidung ist zerrissen; oft besitzen sie nur einen einzigen Fetzen, um ihre größte Blöße zu verhüllen; an Stöcken und Knütteln, alten Gewehrschäften und Lanzenstücken humpeln oder schwanken sie vorbei; aber ihre Augen blicken stolz, und Verachtung wohnt selbst zwischen den häßlichen Runzeln ihrer Gesichter. Sie sind die von Allah allein Begnadeten, die von ihm für die Seligkeit Auserwählten, die bevorzugten Besitzer des Himmels, und wer nicht mit ihnen humpelt, nicht mit ihnen höhnt und speit, der ist ein verdammter Sohn des Teufels, ein verfluchter Erbe der tiefsten Höllenqualen. Sie haben sich wie indische Fakirs verunstaltet, sich Wunden beigebracht, mit Kamel-, Pferde- und noch anderem Mist beschmiert, als ob der Gestank der Leichen noch keine genügende Wonne für sie sei, und aus diesem Unflate heraus lassen sie für Allah ihre Gebete und für die Menschen, an denen sie als Scheusale vorüberschwanken, ihre spott- und hohnvollen Schimpfreden schallen.

Als ich bei unserer ersten Anwesenheit in Bagdad mich mit Halef unter den Zuschauern befand, bedeckte dieser infolge des Gestankes die Nase mit dem Zipfel seines Turbantuches. Einer der Perser bemerkte dies und trat herbei.

»Sak – Hund,« rief er; »warum verhüllst du dir die Nase?«

Halef verstand das Persische noch nicht; darum antwortete ich für ihn:

»Glaubst du denn wirklich, daß die Ausdünstung dieser Leichen ein Geruch des Paradieses sei?«

Er sah mich verächtlich von der Seite an und meinte:

»Weißt du nicht, was der Kuran sagt? Er sagt, daß die Gebeine der Gläubigen nach Amber, Gul, Semen, Musch, Naschew und Nardjin duften.«

»Diese Worte stehen nicht im Kuran, sondern in Ferid Eddin Attars Pendnameh; merke dir das! Warum übrigens habt ihr euch denn selbst die Nase und den Mund verhüllt?«

»Das sind die andern; ich bin es nicht!«

»So beklage dich zunächst über die Deinen, und dann magst du zu uns kommen! Jetzt haben wir nichts mit dir zu schaffen!«

»Mann, deine Rede ist stolz! Du bist ein Sunnit. Ihr habt Herzeleid gebracht über den echten Kalifen und seine Söhne. Allah verdamme euch bis in die finsterste Tiefe der Hölle hinab!«

Er wendete sich mit einer drohenden Handbewegung von uns ab, und wir hatten da gleich ein Beispiel des unversöhnlichen Hasses, welcher – je länger, desto heller – zwischen Sunna und Schia lodert. Dieser Mensch wagte es, uns in der unmittelbaren Nähe einer Bevölkerung von Tausenden von Sunniten zu beschimpfen; wie erst muß es da einem Manne ergehen, den man in Nedschef Ali oder gar in Kerbela als Nichtschiit entdeckt!

Ich will noch ein zweites Beispiel dieses fanatischen Hasses erwähnen. Wir, nämlich der Engländer Lindsay, der persische Prinz Hassan Ardschir Mirza, Halef und ich, folgten nebst noch anderen Personen damals der uns vorangezogenen Todeskarawane, deren Gestank noch auf dem Wege lag, obgleich inzwischen ein Tag vergangen war. Es schien uns ganz so, als ob wir uns in einem ungelüfteten, mit Pockenkranken angefüllten Spital befänden. Zuweilen überholten wir einen Pilger, welcher sich in Kerbela begraben lassen wollte, oder eine Gruppe von Schiiten, welche einem armen, abgetriebenen Tiere mehrere Leichen aufgebürdet hatten, die es schwitzend, keuchend und vielfach strauchelnd weiterschleppte, während hinter ihm die Luft durch den Todeshauch der Verwesung so verschlechtert wurde, daß sie fast nicht zu atmen war.

Da saß am Wege ein Bettler, vollständig nackt, bis auf einen schmalen, um seine Lenden gegürteten Schurz. Er hatte seinem Schmerze um den ermordeten Hussein in folgender, höchst widerlichen Weise Ausdruck gegeben: die Oberarme und Schenkel waren mit spitzigen Messern durchstochen, und in die Unterarme, die Waden, in den Hals, durch die Nase, das Kinn und die Lippen hatte er von Zoll zu Zoll lange Nägel getrieben; im Unterleibe und in den Hüften hingen, in das Fleisch eingebohrt, eiserne Haken, an denen schwere Gewichte befestigt waren; alle anderen Teile seines Körpers waren mit Nadeln gespickt, und in die nackt rasierte Kopfhaut hatte er lange Streifen geschnitten. Durch jede Zehe und jeden Finger war ein Holzpflock getrieben, und es gab an seinem ganzen Körper keine Stelle, welche nicht eine dieser schmerzhaften Verwundungen aufzuweisen hatte.

Ich selbst bin ein durch und durch gesunder, überaus kräftiger Mann, dessen Natur – eine wahre Hippopotamusnatur – weder durch Hunger und Durst, Hitze und Kälte, Nachtwachen oder andere Anstrengungen so leicht angegriffen wird, aber einer solchen Mißhandlung meines Körpers würde ich wohl sehr bald erliegen. Zwar habe ich bei indischen Fakirs oft noch größere Verwundungen gesehen und weiß wohl, daß der religiöse Fanatismus über manchen Schmerz hinweghilft und daß ein Anhänger dieser neuen Lehren hier von Suggestion oder Hypnose sprechen würde, muß aber mein Erstaunen darüber ausdrücken, daß dieser Mensch so und überhaupt noch leben konnte. Es kam mir nicht bei, hier irgend einen Heroismus zu bewundern, sondern ich fühlte mich im Gegenteile und im höchsten Grade angewidert. Gern wäre ich mit abgewendeten Augen an dem blutrünstigen, von einem ganzen Schwarm von Fliegen und Mücken bedeckten Kerl vorübergeritten; aber er erhob sich bei unserem Nahen, streckte uns die Hände entgegen und rief uns an:

»Dirigha Allah, waj Mohammed! Dirigha Hassan, Hosseïn!«

Er war entsetzlich anzusehen; aber ich fühlte von Mitleid keine Spur in mir, sondern hätte ihm lieber eine Ohrfeige anstatt eines Almosens gegeben. Welch eine Dummheit, welch ein Unverstand, sich wegen des Todes eines Menschen – denn etwas anderes ist Hussein doch nicht gewesen – so scheußliche Martern zuzufügen! Und dabei hielt sich dieser ekelhafte Kerl für einen Heiligen, dem nach dem Tode der oberste Rang des Paradieses sicher ist und der auch bereits hier auf der Erde neben reichlichen Almosen die demütigste Verehrung aller Menschen zu beanspruchen hat!

Der Prinz, als reicher Perser und Schiit, warf ihm einen goldenen Tuman zu.

»Hasgadag Allah – Gott segne dich!« belohnte ihn der Bettler für diese reiche Gabe.

Lindsay griff in die Tasche und gab ihm einen Gersch zu zehn Piastern.

»Subhalan Allah – gnädiger Gott!« erklang es jetzt schon weit weniger belobend, denn nicht Lindsay, sondern Allah wurde als Geber bezeichnet.

Ich gab nur einen Piaster. Der »Heilige« machte erst ein höchst erstauntes, dann aber ein sehr zorniges Gesicht und schrie mich an:

»Azdar – Geizhals!« Dann fuhr er mit der Gebärde des Abscheues und immer steigender Schnelligkeit fort: »Azdari, pendsch Azdarani, deh Azdarani, hezar Azdarani, lek Azdarani – du bist ein Geizhals, du bist fünf Geizhälse, du bist zehn Geizhälse, du bist hundert Geizhälse, du bist tausend Geizhälse, du bist hunderttausend Geizhälse!«

Er trat meinen Piaster unter die Füße, spie darauf und zeigte eine Wut, von welcher man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich vor ihr fürchten solle. Das war meinem kleinen, wackeren Halef denn doch zuviel; er duldete niemals eine Beleidigung, mochte sie nun gegen ihn oder gegen mich gerichtet sein; darum fragte er mich:

»Sihdi, ich verstehe ihn nicht. Was heißt Azdar?«

»Geizhals,« antwortete ich ihm.

»Allah'l Allah! Und wie heißt ein recht dummer, alberner Mensch auf persisch?«

»Bisaman.«

»Und ein recht grober Flegel?«

»Dschaf.«

»Ich danke dir, Sihdi!«

Dann drehte er sich dem Schiiten zu, hielt ihm die flache Hand emporgerichtet entgegen, wischte sie am Beine ab, welche Gebärde als größte Beleidigung gilt, und rief:

»Bisaman, Bisaman, Dschaf, Dschaf, Dschaf!«

Was hierauf erfolgte, spottet jeder Beschreibung. Der »heilige Märtyrer« öffnete die Schleusen seiner Beredsamkeit und zeigte sich im Besitze von Schimpfwörtern und Drastika, welche unmöglich wiederzugeben sind. Wir beugten uns vor seiner Überlegenheit in dieser Beziehung, verzichteten auf die Fortsetzung dieser interessanten Unterhaltung mit ihm und ritten weiter.

Was wir dann bei und mit der Todeskarawane erlebten, ist bereits erzählt worden und bedarf der Wiederholung nicht; es ging aber an unserem geistigen Auge vorüber, als wir nun jetzt nach Jahren in tiefer, nächtlicher Einsamkeit an demselben Wege saßen, den wir damals geritten waren. Das Gedächtnis brachte uns die damaligen Begebenheiten mit vollster Deutlichkeit und Schärfe zurück, und so kam es, daß wir auch jene entsetzlichen »Wohlgerüche des Paradieses« in unseren Nasen zu spüren schienen. Wir wußten, daß dies nur Täuschung war; die Luft drang mit balsamischem Hauche in unsere Lungen und verhieß uns einen stärkenden Schlaf. Nachdem wir unser einfaches Mahl verzehrt und auch für die Pferde gesorgt hatten, wickelten wir uns samt unseren Gewehren in die Decken und schlossen die Augen.

Wir konnten dies tun, denn ich durfte mich auf meinen außerordentlich leisen Schlaf verlassen, und unsere beiden Pferde waren darauf abgerichtet, uns jede Annäherung durch Schnauben zu verraten. An meinen Hengst geschmiegt, dem ich selbstverständlicherweise seine gewohnte Sure in das Ohr gesagt hatte, schlief ich bald ein und erwachte nicht eher, als bis ich von der jetzt im Frühjahre sehr fühlbaren Morgenkühle geweckt wurde.

Da es hier am Wege kein Wasser gab, konnten wir die Pferde erst im Khan Iskenderijeh tränken; wir stiegen also auf und ritten zunächst diesem Ziele zu.

Unter einem Khan versteht man hier das, was man im Abendlande nicht ganz richtigerweise ein Karawanenserai nennt. Die Khans oder Hans zwischen Bagdad und den Ruinen von Babylon sind von fast gleicher Bauart. Sie wurden von Persien aus zum Besten der Pilgerzüge gestiftet und bilden kleine, mit Mauern umgebene Festungen, welche genügenden Schutz gegen etwaige Überfälle der Beduinen bieten sollen. Unter einem Turme, der eine weite Umschau über die Wüste gestattet, tritt man durch ein starkes Tor in den Hof, welcher von gewölbten Gemächern umgeben ist. In der Mitte erhebt sich eine Plattform, auf welcher man des Nachts schläft und am Tage sich zum Abhalten der Gebete vereinigt. Hinten befinden sich die Unterkünfte für die Pferde und Kamele. Die Aufnahme in diese Khans braucht nicht bezahlt zu werden, doch kommt sie dem an Reinlichkeit gewöhnten Reisenden durch das vorhandene Ungeziefer teuer genug zu stehen und wird noch widerwärtiger für ihn, wenn ihn während seiner Anwesenheit das Unglück trifft, eine Leichenkarawane hereinziehen zu sehen, deren stinkende Särge vor ihm aufgestapelt werden. Und wenn er sofort die Flucht ergriff und erst am Nordpol einhielt, er könnte doch sicher sein, den Leichenduft noch dort auf dem ewigen Eise in seiner gequälten Nase zu spüren!

Wir langten nach zwei Stunden bei dem Khane an und ritten durch das Tor. Dieser Ort ist groß genug, Hunderte von Menschen und Tieren zu fassen, war aber heut nicht sehr in Anspruch genommen. Die Anwesenden schenkten uns eine nicht gewöhnliche Aufmerksamkeit, worauf wir freilich uns persönlich gar nichts einzubilden brauchten, denn sie galt nicht uns, sondern unsern Pferden, zu denen man sich drängte, um sie unter Ausrufen der Bewunderung zu betrachten. Da uns dies lästig wurde, wendete ich mich an den Aufseher, welcher uns gegen ein Bakschisch von den Zudringlichen befreite.

Als wir an dem Brunnen abstiegen, befanden sich schon zwei Männer dort, welche dasselbe taten, was wir auch tun wollten; sie tränkten ihre Pferde. Wir wollten sie nicht stören, sondern warteten, bis sie fertig waren. Indem wir ihnen zusahen, bemerkte ich an dem Finger des einen einen silbernen Ring, der mir auffiel. Schärfer hinblickend, erkannte ich, daß die Platte desselben nicht rund oder quadratisch, sondern achteckig war. Ich trat rasch hin und gab mir den Anschein, als ob ich hinunter in das Wasser sehen wolle, ob auch für uns noch genug vorhanden sei, nahm dabei aber seine Hand in die Augen. Ja, es war der Ring der Sillan. Die Inschrift bestand aus einem Sâ, welches mit einem Lâm verbunden war, und darüber stand ein Teschdid, welches ich trotz seiner Kleinheit deutlich erkannte. Ein verstohlener Blick nach der Hand des andern zeigte mir, daß dieser auch einen genau solchen Ring an dem gleichen Finger trug. Diese zwei Männer waren Sillan.

Indem ich mir dies sagte, stieg in mir der Gedanke auf, ob das nicht eine gute Gelegenheit sei, die Wirkung unserer Ringe einer Probe zu unterwerfen. Jetzt, indem ich dies erzähle und die späteren Ereignisse alle kenne, weiß ich freilich, daß die Ausführung dieses Gedankens eine große Unvorsichtigkeit war; damals aber schien sie es nicht zu sein. Was konnte es uns schaden, wenn auch wir für Sillan gehalten wurden! So fragte ich mich. Es konnte gar nichts Schlimmes, sondern höchstens eine Befriedigung unserer Wißbegierde darauf erfolgen, und das war doch jedenfalls nicht bös, sondern im Gegenteile angenehm. Was hätten wir von diesen zwei einfachen, gewöhnlichen Menschen fürchten können! Und wenn doch, so waren wir ja Männer, denen so kleine Unannehmlichkeiten nichts anzuhaben vermochten.

Wieder zu Halef zurückgekehrt, zog ich die dem Pädär-i-Baharat und seinen Begleitern abgenommenen Ringe aus der Tasche, steckte mir den goldenen an, gab ihm einen der zwei silbernen und sagte:

»Schieb schnell und unbemerkt diesen Ring an den Finger! Diese Männer sind Sillan. Ich bin neugierig, was sie tun oder sagen werden, wenn sie unsere Ringe sehen.«

»Maschallah, das ist ein guter Gedanke!« lachte er leise, wobei seine Augen freudig aufleuchteten. »Vielleicht bringt uns diese Begegnung ein Abenteuer, von welchem wir später erzählen können. Wenn sie mich fragen, werde ich ihnen sagen, daß –«

»Nichts wirst du ihnen sagen,« unterbrach ich ihn. »Das Sprechen überlässest du mir. Wir können nicht wissen, was wir erfahren und was geschieht, und müssen also vorsichtig sein.«

»Aber Sihdi, ich muß doch wohl auch etwas sagen oder tun?!«

»Du hast mir in allem, was ich sage oder tue, beizustimmen; das ist es, was ich von dir verlange, weiter nichts! Und nun paß auf, und betrag dich ja nicht ungeschickt!«

»Ich? Ungeschickt?« fragte er im Tone des Beleidigten. »Sihdi, hast du mich, deinen Freund und Beschützer, jemals ungeschickt gesehen? Hätte meine Hanneh, die holdeste der herrlichsten Rosen und Reseden der Mädchenparadiese, mich jemals als Mann ihres Herzens angenommen, wenn ich ein ungeschickter –--«

Weiter hörte ich seine Worte nicht, denn ich hatte schnell meinen Tschibuk gestopft, ging wieder zu den Männern hin und bat den einen von ihnen, welcher rauchte:

»Der Tabak ist die Speise der Seele, und sein Rauch trägt die Gedanken von der Erde empor. Ich habe kein Feuer und bitte dich, mein Herz zu erfreuen.«

Eine so höfliche Bitte war nicht abzuschlagen. Ich hatte angenommen, daß er sich des gewöhnlichen, hier gebräuchlichen Feuerzeuges bedienen werde; er zog aber Zündhölzer aus dem Gürtel und brannte eins derselben an. Dieser an und für sich so geringfügige Umstand war für mich doch nicht ohne Bedeutung, denn er gab mir Anhalt zu Schlüssen, welche ich sonst nicht hätte ziehen können. Er war so höflich, das Feuer mir nicht in die Hand, sondern auf den Tabak zu geben. Dies benutzte ich, den Tschibuk so zu halten, daß sein Auge auf den Ring an meinem Finger fallen mußte. Was ich beabsichtigte, geschah; er bemerkte ihn, ließ vor Überraschung das noch brennende Hölzchen fallen und rief aus:

»Abahraka'Ilah – gesegnet sei Gott! Was muß ich sehen an deiner Hand!«

Ich hob die Hand warnend empor und warf einen forschenden Blick rundumher. Da fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu:

»Verzeih, o Herr! Meine Überraschung, dich schon hier zu finden, war so groß, daß ich die gebotene Vorsicht fast vergessen hätte!«

Er hielt mich also für jemanden, der eigentlich nicht hier, sondern anderswo, vielleicht weit von hier, zu suchen war. Ich mußte sehr geschickt verfahren und fragte ihn also:

»Wo vermutetest du mich?«

»In Bagdad, wo du nicht eher als gestern erst angekommen sein kannst.«

»Du hast das Richtige getroffen; ich habe mich aber dort nicht aufgehalten.«

»Ist dir die Weisung des Säfir dort sogleich ausgehändigt worden?«

»Ja.«

Des Säfir! Dieses Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag auf mich. Der Säfir war da! War das derselbe Säfir, von welchem der Bimbaschi erzählt hatte? Wo befand er sich? Welchen Zweck verfolgte er? Auf was bezog sich seine Weisung? Wer und was war ich? Oder, deutlicher gesagt, wer und was war der Mann, für den ich jetzt gehalten wurde? Diese und noch andere Fragen gingen mir durch den Kopf. Vielleicht war es möglich, die betreffenden Antworten herauszulocken.

Der Mann sah jetzt meinen Halef forschend an, gewahrte den silbernen Ring an dessen Hand und richtete dann in sehr devotem Tone die Frage an mich:

»Sei gütig, und verzeih, o Herr, wenn ich zu fragen wage, ob dieser Mann vielleicht Astab ist, von dem mir der Säfir sagte, daß er dich begleite!«

»Er ist es,« nickte ich, indem mir die Ahnung aufging, daß ich für den Pädär-i-Baharat gehalten wurde. Diese Ahnung verwandelte sich in Gewißheit, als der Mann weiterfragte:

»Du hast dich während dieser Reise Kaßim Mirza zu nennen?«

»Kaßim Mirza ist mein jetziger Name,« stimmte ich bei.

Der Pädär-i-Baharat hatte sich mir gegenüber ganz desselben Namens bedient. Er bekleidete die Stelle eines nicht gewöhnlichen Sill, deshalb nahm ich eine würdevolle Haltung und den Ton eines Vorgesetzten an. Wie neugierig ich war und mein kleiner Hadschi erst, das läßt sich wohl leicht denken! Um nicht lange in Ungewißheit zu bleiben, hing ich meiner Antwort die Frage an:

»Der Säfir hat dich also nach Bagdad geschickt, um mich dort aufzusuchen?«

»Ja, o Herr.«

»Er hat dir eine Botschaft an mich aufgetragen?«

»Ja, o Herr.«

Dieses »Ja, o Herr« konnte mir leicht gefährlich werden, wenn ich immer nur der Fragende sein und von ihm stets nur so kurze Antworten bekommen sollte. Darum fuhr ich in dringenderem Tone fort:

»Welche Botschaft ist es? Sprich! Ich liebe es nicht, überflüssige Fragen zu tun.«

»Verzeih, o Herr! Der Säfir ist sehr streng mit uns. Wir dürfen nur antworten, wenn wir gefragt werden, und müssen dann so kurz wie möglich sein. Ich habe dir zu sagen, daß du nicht in Bagdad bleiben, sondern sofort kommen sollst.«

»Warum?«

»Die ›Leichen‹ müssen bald eintreffen; sie werden nicht auf dem Karawanenwege gebracht, sondern sind der größeren Sicherheit wegen auf dem Nahr Sersar nach dem Euphrat geschafft worden, wo sie auf Kelleks abwärts kommen.«

»Wohin?«

Er warf mir einen Blick halben Erstaunens zu und antwortete:

»Das mußt du doch besser wissen als ich, o Herr!«

Da hatte ich mich also beinahe verdächtig gemacht! Ich lenkte also schnell ein:

»Natürlich kenne ich die gewöhnliche Stelle; ich dachte aber, der Säfir habe für diesmal, weil du von einer größeren Sicherheit sprachst, eine andere bestimmt.«

»Die bisherige Stelle ist die beste, die es gibt; es ist also kein Grund vorhanden, eine andere zu wählen.«

Ich fragte mich im stillen, um welchen Transport es sich eigentlich handle. Um »Leichen«! Er hatte diesem Worte eine eigentümliche Betonung gegeben. Eigentliche, wirkliche Leichen waren wohl nicht gemeint, was aber sonst? Bedienten sich die Sillan etwa einer Geheimsprache, etwa in der Weise, wie unsere Verbrecher untereinander in der Kochemer Loschen sprechen? Ich wollte das gern wissen und fragte darum, obgleich ich dabei riskierte, nun einen wirklichen Fehler zu begehen:

»Weißt du, was es diesesmal für ›Leichen‹ sind?«

Ich betonte dabei das Wort »Leichen« genau so wie vorhin er. Er faßte keinen Verdacht und antwortete in gutem Vertrauen:

»Wenn du es nicht weißt, so weiß es der Säfir jedenfalls auch noch nicht. Der Absender wird Gründe gehabt haben, es geheim zu halten. Aber diese ›Leichen‹ sind nur das Eine, wovon ich dir sagen soll; es gibt noch etwas Anderes, was viel wichtiger zu sein scheint.«

»Was?«

»Die Karwan.«

»Welche?«

»Das mußt du doch am besten wissen!«

Es schien, als ob er wieder Argwohn fassen wolle; darum nahm ich einen strengeren Ton an und sagte:

»Drücke dich höflicher aus, sonst zeige ich dir, wie du mit mir zu sprechen hast! Wohl weiß ich es am besten; aber du redest von einer Karwan im allgemeinen, und da wir es oft mit Karawanen zu tun haben, so kannst du in diesem Falle eine ganz gewöhnliche meinen und nicht die, auf welche wir es besonders abgesehen haben. Wenn du etwa nicht klug genug bist, dies einzusehen, und auch ferner nicht deutlicher reden kannst, werde ich für ähnliche Fälle vom Säfir andere Boten verlangen, die weniger dumm und höflicher sind als du!«

Da hauchte er vor Schreck förmlich zusammen und sagte in flehendem Tone:

»Tue das nicht, o Herr, nur das nicht! Du weißt ja, was es mich kosten würde! Verzeihe mir, verzeihe mir! Ich habe natürlich keine andere, als die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi gemeint, von deren Aufbruch du den Säfir unterrichtet hast.«

»Khudaya schukr – Gott sei Dank! jetzt wirst du deutlicher! Ich rate dir, es stets zu sein, denn ein Bote, der in Rätseln spricht und den Mund nicht öffnen kann, ist nicht zu brauchen. ja, ich habe ihn von ihr benachrichtigt. Was läßt er mir nun sagen?«

»Er hat Späher nach ihr ausgesandt, die ihn benachrichtigt haben, daß sie heut oder morgen in Bagdad eintreffen wird. Du könntest ihr zufällig begegnen und dabei erkannt werden, Darum mußt du schnell von Bagdad fort und zu ihm kommen. Dies war es, was ich dir noch zu sagen hatte.«

»Was noch?«

»Weiter nichts.«

»Da du mich glücklicherweise schon hier getroffen hast, brauchst du nun nicht nach Bagdad zu reiten. Das wird euch wohl willkommen sein. Ihr reitet also mit mir zu ihm zurück!«

Ich sagte das in befehlendem Tone, obwohl ich die Kerle im stillen nun dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst und zwar alle beiden Arten, der schwarze und der weiße. Wenn ich sie mitnehmen mußte, setzte ich mich und Halef Widerwärtigkeiten aus, die uns zwar nicht gefährlich zu werden brauchten, uns aber sehr unangenehm werden konnten. Zu meiner Freude aber fiel er schnell ein:

»Verzeih, o Herr, daß wir nicht mit dir reiten können, weil wir auch hinüber oder vielmehr hinauf nach Madaïn müssen!«

»Nach Madaïn? Also nicht nur hinauf nach Bagdad zu mir?«

»Nein. Wir sollten zunächst dich aufsuchen und dann den Tigris abwärts nach Madaïn gehen. Das würde uns erst hier aufwärts und dann drüben wieder abwärts geführt haben, ein sehr langer Weg, den wir uns nun dadurch kürzen können, daß wir von hier aus gleich direkt hinüberreiten.«

»Dann kommt ihr wieder zum Säfir?«

»O nein. Wir haben dann noch, ehe wir zurückkehren können, eine wichtige Botschaft von ihm nach Kut el Amara zu bringen.«

Dieser Säfir schien sehr ausgebreitete Verbindungen zu unterhalten! Dies ging mich aber weiter nichts an, als daß es mir in diesem Augenblicke sehr lieb sein mußte. Der Weg von hier nach Madaïn betrug acht Stunden, von da nach Kut el Amara zwölf und von dort nach den Ruinen von Babylon, wo ich den Säfir vermutete, wieder vierzehn Stunden. Selbst wenn die beiden Sillan sich mit ihren nicht sehr kräftig aussehenden Pferden noch so sehr beeilten, mußten sie sich doch Zeit zum Essen und Schlafen nehmen und konnten also, wie ich ihre Leistungen nach ihrem Äußeren schätzte, unter zwei und einem halben Tag nicht bei dem Säfir eintreffen. Indessen waren wir, da wir ja bloß einige Punkte kurz besuchen wollten, längst wieder auf dem Rückwege und hatten also keine zweite, uns in Verlegenheit setzende Begegnung mit ihnen zu erwarten. Dies beruhigte mich so, daß ich die freilich etwas zudringliche Frage wagte:

»Welche Botschaften habt ihr nach Madaïn und Kut el Amara zu bringen?«

»Nimm es nicht übel, O Herr, das sollen wir verschweigen!«

»Auch gegen mich?«

»Gegen jedermann, und da der Säfir dich nicht als Ausnahme genannt hat, müssen wir dich als mitinbegriffen halten.«

»Recht so! Das gefällt mir von dir! Man darf selbst einem Vorgesetzten zuliebe nicht von seiner Pflicht abgehen. Hat der Säfir euch vielleicht eine gewisse Stelle angegeben, wo ich ihn treffen soll?«

»Du kennst sie ja, o Herr!«

»Gewiß! Aber er hält sich doch nicht stets dort auf und könnte euch gesagt haben, wo er dann anderwärts zu finden ist.«

»Wenn er nicht da ist, wirst du auf ihn warten sollen. Das Tamariskengestrüpp so weit oberhalb von Hilleh ist groß und dicht genug, dich und alle, die du dort findest, zu verbergen. Selbst heut noch kommt kein Mensch mehr hin, seitdem die große Mordtat dort begangen wurde. Man hätte doch fast zwei Stunden weit über heißen Sand zu gehen, und die Geister der Erschlagenen gehen Tag und Nacht umher, wie die Bewohner von Hilleh alle glauben. Du bist, o Herr, dort noch sicherer als im Schoße Ibrahims!«

»Gut! Ihr habt mir also wirklich gar nichts mehr zu sagen?«

»Gar nichts; aber – –oh doch! Da fällt mir noch ein: Er sagte, etwas wissest du noch nicht, und diese Unkenntnis könnte dich unterwegs vielleicht zu einem Fehler verleiten. Er ist nämlich wegen der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi mit den Ghasai-Beduinen eine Verbindung eingegangen; ein Trupp von ihnen hat sich hier zerstreut und gibt sich, um keinen Verdacht zu erregen, für Solaib-Araber aus. Das sollen wir dir sagen, weil du es wissen mußt. Und nun haben wir dir wirklich gar nichts mehr mitzuteilen, o Herr!«

»Gut! Ich bin mit euch zufrieden, und ihr habt ein Bakschisch verdient; das werdet ihr von mir erhalten, wenn wir uns in Hilleh wiedersehen. Wann seid ihr von dort aufgebrochen?«

»Gestern Abend.«

»So werdet ihr in Madaïn euch tüchtig ausschlafen müssen. Säumt also nicht hier, sondern macht, daß ihr hinüberkommt!«

»Wir werden sofort aufbrechen, denn unsere Pferde sind satt geworden; wir haben hier nichts mehr zu suchen. Allah sei mit dir! Dour-i sär-ät bigär-där, Agha – ich will dein Haupt umkreisen, o Agha!«

Sie stiegen auf und ritten zum Tore hinaus. Halef führte nun unsere Pferde an das Wasser, und während er ihnen zutrinken gab, blinzelte er mich pfiffig-lustig an und sagte:

»Allah macht Köpfe hell und Köpfe dunkel; der deinige strahlte wie die Sonne am Himmel; die ihrigen aber waren umnachtet mit der Finsternis des Unverstandes, sodaß ich in die Tiefen ihrer Klugheit wie in einen dunklen Brunnen schaute, in dem kein Tropfen Wasser zu finden ist. Dein Auge hat sie durchschaut, wie die Sonne durch die Scheiben des Glases blickt; sie hingegen halten dich für einen andern Menschen, von dem wir mit Überzeugung sagen können, daß er weder er ist noch du bist. Sie haben sich einer so albernen Vermischung dreier Persönlichkeiten schuldig gemacht, daß selbst ich sie kaum wieder auseinander bringe, der ich doch Hadschi Halef Omar, der berühmte Oberscheik der Haddedihn bin vom großen Stamme der Schammar!«

»Wird. dir dieses Auseinanderbringen denn wirklich gar so schwer?« fragte ich lachend.

»Leicht ist es nicht, Sihdi, denn ich habe nicht alles verstanden, weil von drei Personen und vier Ortschaften die Rede war, die ich wieder vermischte. Während von diesen Personen gesprochen wurde, ritt meine Seele zwischen Bagdad, Madaïn, Kut el Amara und Hilleh immer hin und her, ohne Einsicht in die Tiefen der Weisheit zu finden, welche über deine Lippen floß.«

»Es handelt sich nicht um drei, sondern nur um zwei Personen.«

»Nein, um drei. Du, der Säfir und der Pädär-i-Baharat; ihr seid doch drei Personen; das wirst du mir nicht bestreiten wollen. Diese Leute wurden so durch- und ineinander gemengt, daß ich jetzt nicht weiß, ob du der Pädär oder dieser der Säfir oder der Säfir du oder du der Säfir oder aber der Säfir der Pädär sein soll. Mit wem bist du denn eigentlich verwechselt worden, und wie muß ich es anfangen, dich mit ihm, und euch dann mit dem dritten auseinanderzubringen?«

»Der Sill hat mich für den Pädär-i-Baharat gehalten; das mußt du doch verstanden haben!«

»Mit dem Pädär-i-Baharat? Wenn er das getan hat, so konnte es nicht verstanden werden, denn es war ja gar kein Verstand dabei! Wer dich, den berühmten Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, für diesen Schurken hält, der verdient durchgepeitscht zu werden. Hätte ich diese Frechheit des Sill durchschaut, so wäre meiner Kurbadsch eine Arbeit geworden, von welcher der Rücken dieses Menschen noch lange hätte erzählen können! Aber nun du mir das gesagt hast, begreife ich alles andere: Der Säfir, dieser Feind unseres guten Bimbaschi, befindet sich in Hilleh?«

»In der Nähe von Hilleh. Sein Versteck liegt in einem Tamariskengebüsch zwei Stunden oberhalb der Stadt. Er ist dort wohlgeborgen, weil man außer der Beschwerlichkeit des Weges auch die Geister der Erschlagenen scheut, welche dort umgehen.«

»Gut, sehr gut! Das gefällt mir außerordentlich! Ich werde auch dort umgehen und ihm als Geist erscheinen! Und ich werde einen andern Geist mitnehmen, der aus der Haut eines Nilpferdes gefertigt worden ist! Und dieser Geist wird auch umgehen, sehr umgehen, außerordentlich kräftig umgehen, aber nicht im Wasser oder am Ufer, sondern auf seinem Rücken! Er wird so lange auf diesem Rücken umgehen, bis der Säfir selbst auch ein Geist geworden ist, nämlich ein Geist der Wehmut und der Klage über die Hiebe, die er von mir bekommen hat, weil er unsern lieben Bimbaschi um sein Geld und seine Stellung brachte! Was wird der Schurke dort in seinem Versteck wohl treiben?«

»Du hast ja gehört, daß er auf Leichen wartet.«

»Die gönne ich ihm; ich wünsche, daß er sie bekommt! Mag er sie verzehren in jeder Weise, die ihm beliebt, gekocht, gebacken, gebraten oder gleich frisch aus dem Sarg heraus! Aber war nicht auch von einer anderen Karawane die Rede?«

»Ja, von der Karwan-i-Pischkhidmit Baschi.«

»Das verstehe ich nicht. Ich spreche jetzt doch ziemlich gut persisch, aber was ein Pischkhidmät Baschi ist, das weiß ich nicht.«

»Dieses Wort bedeutet einen Farrasch-Baschi oder wenigstens so etwas ähnliches, also einen Hofbeamten des Schah-in-Schah.«

»Also einen hohen Angestellten, der sich jetzt unterwegs bei einer Karawane zu befinden scheint?«

»Ja.«

»Was hat der Säfir mit diesem vor?«

»Das weiß ich nicht.«

»Du weißt es nicht? O Sihdi, wie tief betrübst du meine Seele! Dein Auge ist doch sonst so scharf, und dein Ohr pflegt alle Töne zu vernehmen, vom Brausen des Sturmes und dem Schlage des Donners herab bis zum lieblichen Gesange der Ssaraßur. Und die Absichten dieses Säfir, der doch tausendmal größer als eine Grille ist, sind dir verborgen geblieben!«

»Hast etwa du sie durchschaut?«

»Nein. Warum fragst du denn mich? Ich bin nur da, um dein Beschützer, Behüter und Bewahrer zu sein; weiter habe ich nichts zu tun; aber wenn es sich um geheime Absichten handelt, welche durchschaut und entdeckt werden sollen, so bist du es, der nachzusuchen und nachzuforschen hat, bis er die im Säfir steckende Grille findet.«

»Eine Grille zirpen zu hören und die geheimen Absichten eines voller Arglist steckenden Verbrechers zu durchschauen, daß sind zwei sehr verschiedene Dinge; zu dem einen gehört nur ein offenes Ohr, zu dem andern aber mehr, viel mehr.«

»Dieses ›Mehr‹ solltest du aber doch besitzen, Sihdi!«

»Du ebenso!«

»Ich bitte dich, verlange dies jetzt nicht von mir! Du weißt, daß mir alle Gaben des Verstandes und der Weisheit verliehen worden sind; aber seit ich diesen Ring des Sill am Finger habe, ist es mir, als ob ich vor den Kopf geschlagen worden sei. Ich habe dich aus der Verwechslung mit dem Pädär und diesen aus der Vermischung mit dem Säfir befreit; mehr kann ich heut nicht tun. Denke nach, so wirst du es finden!«

»Das habe ich schon getan; du aber verstandest meine Antwort nicht. Was der Säfir mit der Karawane des Kammerherrn will, das kann ich nicht wissen, aber doch vermuten.«

»Nun, und was vermutest du?«

»Daß er sie mit Hilfe der von ihm angeworbenen Ghasai-Beduinen überfallen will. Aus dieser Verbindung mit den Ghasai ziehe ich übrigens den für uns vielleicht wichtigen Schluß, daß er entweder nicht genug Sillan bei sich hat, oder daß diese sich zum Überfalle einer Karawane nicht hergeben würden, weil sie keine Räuber und Mörder sind, sondern weniger verbrecherische Aufgaben verfolgen.«

»Aber der Pädär-i-Baharat war auch ein Sill und wollte uns doch morden!«

»Das kann eine Ausnahme gewesen sein. Du hattest ihn geschlagen, und wir wissen, daß Schläge nur mit dem Blut abgewaschen werden können.«

»Ich glaube nicht an eine Ausnahme, Sihdi. Nun denke ich, wenn der Säfir die Karawane des Kammerherrn überfallen will, muß er sich doch gute Beute von ihr versprechen?«

»Allerdings. Daß er dies tut, ist leicht begreiflich, obgleich ich auch da keine Gewißheit, sondern nur eine Vermutung hege. Diese Vermutung hängt mit der Majdana koma in Paris zusammen.«

»Paris, die Hauptstadt der Franken? Eine Majdana koma, wo alles gezeigt wird, was ein Volk geschafft und gearbeitet hat? Wie hängt diese mit dem Säfir und dem geplanten Überfalle zusammen?« fragte er erstaunt. »Sihdi, du bist der klügste Mann unter allen, die ich kenne; deine Gedanken sind so scharf und zutreffend, daß ich oft, sehr oft mit Bewunderung geglaubt habe, daß dir nichts verborgen bleiben könne, aber den Säfir kannst du unmöglich mit Paris und der Majdana koma zusammenbringen!«

»Ich werde es wenigstens versuchen. Der Schah hat nämlich die Absicht, nach Paris zu reisen, um diese Majdana koma zu sehen; alle seine Beamten sind damit einverstanden; aber die Geistlichkeit ist dagegen; er jedoch weiß ebensogut wie jeder andere Moslem, wie man diese frommen Leute zur bessern Einsicht bringen kann: man muß sie kaufen. Diese schiitischen Geistlichen sind alle für Gold zu haben, vom obersten Imam-Dschuma bis herunter zum niedrigsten Mullah. Man beschenkt einige Moscheen, gibt einigen einflußeichen Imams einen klingenden Händedruck, und wenn das noch nicht hilft, so greift man zum untrüglichsten und wirksamsten Mittel, welches noch nie vergeblich angewendet worden ist, nämlich man sendet eine Karwan-i-Raschwa nach den heiligen Städten und kann dann sicher sein, daß der Erfolg nicht auf sich warten läßt. Die Priesterschaft von Meschhed Ali und Kerbela hat auf die Anhänger der Schia einen Einfluß, mit welchem sich derjenige aller hohen und niederen Imams nicht vergleichen läßt.«

»Weiter, Sihdi! Ich beginne jetzt zu begreifen. Du stehst im Begriff, meinen vorhin ausgesprochenen Zweifel zu besiegen.«

»Eine solche Karwan-i-Raschwa vertraut man nur einem treuen und wohlgeprüften Manne an, den man genau kennt, von dem man weiß, daß man sich auf ihn verlassen kann. Und wen kennt der Schah bei den an seinem Hofe herrschenden Verhältnissen wohl genauer als seine Kammerherren? Unter diesen Vertrauten sucht er sich den vertrautesten und zuverlässigsten heraus, um ihm die reichen Gaben mit den ebenso wichtigen, wie geheimen Aufträgen zu übergeben, und wenn der Transport dann aufgebrochen ist, kann er ebensogut eine Karwan-i-Raschwa wie eine Karwan-i-Pischkhidmät Baschi genannt werden, weil ein Pischkhidmät Baschi, ein Kammerherr, sich an ihrer Spitze befindet.«

»Das klingt freilich so einfach,« gestand der Hadschi, »daß ich mich darüber wundere, es nicht selbst erdacht zu haben.«

»Ich werde noch weiter denken, lieber Halef. Warum wird der betreffende Reisezug die Karawane des Kammerherrn genannt? Würde sich ein Kammerherr irgend einer Karawane zufällig anschließen, so gäbe es keinen Grund, sie nach ihm zu benennen; sie würde die Hauptsache sein, und er befände sich bloß als Mitglied wie jedes andere bei ihr. Die Bezeichnung als seine Karawane gibt aber Grund zu dem Schlusse, daß er das Haupt und sie von ihm abhängig sei; er ist nicht zufällig gekommen, sondern er hat sie gebildet; er ist ihr Unternehmer und Gebieter. Wenn ich hiermit das Richtige treffe, so muß ich fragen, welchen Grund ein Kammerherr haben kann, eine Karawane zu bilden? Gewiß nicht aus eigenen Mitteln und zu eigenem Zwecke; er handelt jedenfalls im Auftrage eines andern und dieser andere wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nur der sein, dessen Kammerherr er ist. Ich bin dabei der Ansicht, daß die Bezeichnung &Karawane des Kammerherrn‹ keine öffentliche, amtliche oder von dem Unternehmer beabsichtigte ist; ich denke vielmehr, daß sie nur von dem Pädär-i-Baharat und dem Säfir in dieser Weise bezeichnet wird. Und das bringt mich auf einen ferneren Beweis dafür, daß ich nicht falsch geraten habe.«

»Es sollte noch einen Beweis geben?« fragte Halef. »Ich fände keinen!«

»Es gibt noch mehrere, doch dieser eine genügt zum Schluß. Du hast gehört, daß der Pädär-i-Baharat den Säfir über die Karawane unterrichtet hat; er ist in Persien, wahrscheinlich in der Hauptstadt, gewesen und hat das Vorhaben des Kammerherrn erlauscht. Eine auf Befehl des Herrschers unternommene Reise zum Zwecke der Überbringung wertvoller Geschenke wird gewiß möglichst geheim gehalten, zumal die von ihr verfolgte Absicht gegen die bisherige Stimmung der Geistlichkeit gerichtet ist. Es hat also jedenfalls viel Zeit, viel Aufmerksamkeit und List, viel Geld, um irgend einen oder mehrere Wissende zu bestechen, also ungewöhnliche Opfer gekostet, in dieses Geheimnis einzudringen, und wenn dies alles dem Pädär-i-Baharat nicht zuviel gewesen ist, so muß es sich um eine außerordentlich lohnende Sache handeln. Er hat dann von Persien aus einen Boten hierhergesandt, und der Säfir hat der Karawane Kundschafter entgegengeschickt; auch das sind Umstände, welche darauf schließen lassen, daß diese Karwan-i-Pischkhidmät Baschi von großer Wichtigkeit für diese beiden ist, wahrscheinlich von größerer noch, als die sogenannten ›Leichen‹, welche auf dem Euphrat herabkommen werden.«

»So meinst du wohl, daß sie auch für uns wichtig ist, Effendi?«

»Jetzt noch nicht; sie kann es aber unter Umständen werden. Wir beabsichtigen kein Zusammentreffen weder mit dem Pädär-i-Baharat noch mit dem Säfir; aber wenn es dennoch stattfinden sollte, so müssen wir freilich gewärtig sein, mit in diese geheimnisvolle Angelegenheit gezogen zu werden, denn wir haben den Säfir vor und den Pädär hinter uns, und der Ort, an welchem sie sich treffen wollen, ist zugleich derjenige, den wir beabsichtigen, aufzusuchen. Es gibt wahrscheinlich nur ein Mittel, sie zu vermeiden.«

»Welches?«

»Auf den Besuch der Stätten, welche wir sehen wollen, zu verzichten und nach Bagdad zurückzukehren, wobei wir, um nicht auf den Pädär zu treffen, einen andern Weg einzuschlagen hätten.«

»Das fällt mir nicht ein, Sihdi! Was ich mir einmal vorgenommen habe, das wird ausgeführt; am allerwenigsten würde ich wegen dieser Kerls darauf verzichten; denn das würde grad so aussehen, als ob wir uns vor ihnen fürchteten. Wir haben beschlossen, nach den Ruinen von Babylon zu reiten, und werden es auch tun. Oder bis du etwa anderer Meinung?«

»Nein.«

»So laß uns aufbrechen! Die Pferde haben getrunken, und unser kleiner Wasserschlauch ist bald gefüllt. Mag kommen, wer da will, die Sillan oder andere Halunken, ich bin in jedem Augenblicke bereit, ihnen mit meiner Peitsche zu erklären, daß ihnen die Gefühle meines Herzens mit großer Lebhaftigkeit entgegenschlagen; hörst du wohl, Effendi, entgegen – –schlagen, habe ich gesagt!«

Er zog bei diesen Worten die Kurbadsch aus dem Gürtel und machte mit ihr einige pfeifende Hiebe durch die Luft. Um diese seine Energie auf das richtige Maß zurückzuführen, antwortete ich:

»Laß die Peitsche da, wo sie war! Wir haben uns vor Unbesonnenheiten zu hüten, und du weißt, daß wir deiner Hanneh versprochen haben, alles zu vermeiden, was uns unnötigerweise in Gefahr bringen kann.«

»O, was das betrifft, Sihdi, so kenne ich meine Hanneh, welche dem Sonnenaufgange mit allen seinen Schönheiten und seinen wunderbaren Herrlichkeiten gleicht: Sie ist besorgt um die Gesundheit meines Körpers und um die Sicherheit meines Lebens, doch auch um meinen Ruhm. Sie will mich nur mit ganzen, unverletzten Gliedern haben, aber sie will auch stolz sein dürfen auf die Taten meiner Tapferkeit.

Sie verlangt zwar von mir, vorsichtig zu sein, würde sich aber meiner schämen, wenn sie erführe, daß ihr Halef nicht mehr der mutige Krieger sei, der er stets gewesen ist. Du hast mir einmal von einer wackeren Mutter erzählt, welche zu ihrem in den Kampf ziehenden Sohne sagte, er solle entweder als Sieger oder auf dem Schilde, also als Leiche, die man auf den Schild gebettet hat, zurückkehren; ich will meiner Hanneh beides bieten- ich werde als lebendiger Sieger auf dem Schilde bei ihr einziehen, denn als verstorbene Leiche meine Arme um ihren verwitweten Hals zu schlingen, das fällt mir gar nicht ein, und das habe ich dir auch bereits einmal gesagt. Ist deine Dschanneh vielleicht anders gesinnt als die holde und unvergleichliche Besitzerin meines Frauenzeltes? Hat sie deinen Körper und die Unverletzlichkeit deiner Glieder etwa lieber als deinen Ruhm, als die Ehre, das Weib eines Mannes zu sein, vor dem alle Schurken zittern und den alle Halunken fürchten?«

»Was das betrifft, so kann ich dich beruhigen; meine Dschanneh, mit welcher sich keine Haremsbewohnerin der ganzen Erde vergleichen kann, möchte auch keinen Feigling zum Manne haben.«

»Das freut mich um ihretwillen, doch bitte ich dich, in dem Lobe, welches du ihr jetzt brachtest, eine Ausnahme gelten zu lassen. Wenn du sagst, daß keine sich mit ihr vergleichen könne, so mußt du bedenken, daß mich das sehr betrüben muß, indem du deine Dschanneh über meine Hanneh stellst!«

»Darf ich meine Frau nicht ebenso loben wie du die deinige?«

»Ja; aber es darf nicht so weit gehen, daß meine Hanneh sich vor deiner Dschanneh tief verneigen müßte. Lassen wir es bei dem Übereinkommen, daß sie beide unvergleichlich sind! So, nun habe ich den Wasserschlauch an den Sattel gebunden und wir können fort.«

»Ja, reiten wir weiter! Wollen aber nicht vergessen, die Ringe der Sillan von den Fingern zu ziehen und wieder einzustecken.«

»Warum?«

»Weil wir nur dann, wenn es uns beliebt, wenn es uns Nutzen bringt, für Sillan gelten wollen. Wenn jeder Sill, der uns begegnet, uns für seinesgleichen hält, können wir in unangenehme Lagen kommen.«

»Das ist richtig, Effendi. Stecken wir sie also ein, bis wir sie wieder brauchen, den Sillan zu zeigen, daß unsere List hoch über ihrer Klugheit steht.«

Wir stiegen wieder auf und verließen den Khan. Die Karawanen pflegen, wenn sie nach Hilleh gehen, von hier aus noch die Khans Nasrijeh und Mohawid aufzusuchen; wir aber unterließen dies, weil wir jede uns nicht willkommene Begegnung vermeiden und gern auch denselben Weg reiten wollten, den wir damals eingeschlagen hatten, um durch das Umbiegen der Todeskarawane ihren Gestank zu vermeiden.

Ich spreche zwar von einem Wege, aber es war keiner vorhanden. Wir ritten über freies Feld oder vielmehr über die offene, ungebahnte Wüste, wobei wir sehr viele alte, längst ausgetrocknete Kanäle und Gräben zu passieren hatten. Zwar hatte ich mich damals schon im Fieberstadium der Pest befunden, in einem traumhaften Zustande, der es mir unmöglich gemacht hatte, mir die Gegend einzuprägen, dennoch aber erkannten wir heut jeden sich nur einigermaßen aus der Öde hervorhebenden Punkt, an welchem wir vorübergekommen waren.

»Hier war es, Sihdi,« sagte Halef, indem er sein Pferd anhielt, »wo wir damals abstiegen, um die größte Tageshitze vorüberzulassen und wo mir dein Aussehen aufzufallen begann. Dein Angesicht war grau, und dunkle Ringe zogen sich um deine lieben Augen. Ich mußte dir Wasser und Essig geben, aber dein Blick blieb dennoch ohne Seele, und ich begann zu ahnen, daß du alle deine Kräfte anstrengtest, um aufrecht zu bleiben, und mir das verschwiegest, um mein Herz nicht zu betrüben.«

»Ja, es war eine schlimme, schlimme Zeit, lieber Halef,« nickte ich. »Ich war kein Mensch mehr, sondern nur ein Schemen. Indem wir über die Wüste jagten, flog sie wie ein trostloses Hirngespinst an mir vorüber, und die Menschen, welche bei mir waren, glichen schattenhaften Phantomen. Wenn es dir recht ist, werden wir uns nach der damaligen Zeiteinteilung richten und heut an derselben Stelle am Birs Nimrud übernachten.«

»Ganz wie du willst, Effendi. Wie lange haben wir noch bis Hilleh zu reiten?«

»In der Richtung, welche wir genommen haben, sind es wohl vier Stunden.«

»So kommen wir in der größten Sonnenglut dort an und können sie vorüberlassen, ehe wir dann weiterreiten.«

Ich hatte mich mit der erwähnten Zeitbestimmung nicht getäuscht. Gegen Mittag erreichten wir die am linken Euphratufer liegenden Palmenpflanzungen. Wir sahen die Ruine El Himmar rechts vor uns liegen, dann die Höhe des Bab el Mudschellibeh und den Hügel Qasr, welcher die Überreste der einstigen Königsburg darstellt, in deren Räumen Alexander der Große starb. Der näher liegende Hügel Amran Ibn Ali trug wahrscheinlich die berühmten hängenden Gärten der Semiramis. Auch links sahen wir eine Menge Ruinen liegen, deren gewaltigste noch heutigen Tages Babel heißt. Die muhammedanische Sage erzählt, daß in ihrem Innern die beiden gefallenen Engel Harut und Marut an den Beinen aufgehängt worden seien und noch jetzt in derselben Stellung dort hängen. Als wir Hilleh erreichten, ritten wir über die Schiffbrücke hinüber und kehrten in einem Menzîl ein, welches wir dem Khan vorzogen, weil es grad heut keine Gäste hatte, dafür aber ein ziemlich großes, unterirdisches Gemach, dessen Kühle eine wahre Wohltat war. Als wir die Pferde unter ein Schutzdach gestellt und mit Futter und Wasser versehen hatten, stiegen wir da hinab, wo Halef sich, während ich mich auf ein Kissen legte, mit Erlaubnis des Wirtes in die Matbach begab, um mit eigenen Händen für uns ein Huhn mit Reis zu bereiten.

Hilleh ist ganz aus den Ziegeln der babylonischen Trümmerhaufen erbaut worden und bildet den Hauptort des Bezirkes Divanijeh. Hier trennen sich für die Karawanen die Wege nach Kerbela und Nedschef Ali. Unter den öffentlichen Gebäuden ist die Moschee Esch Schems das bedeutendste. Die zehntausend Bewohner sind schiitische Perser und Araber und so fanatisch gesinnt, daß ich mich sehr hütete, dem Wirt zu sagen, daß ich ein Christ sei. Er hätte mich keinen Augenblick bei sich geduldet, und alles, was ich berührt hätte, wäre für unrein erklärt und einer priesterlichen Säuberung unterworfen worden, deren nicht geringe Kosten ich hätte tragen müssen. Da ich von Unreinheit und Säuberung spreche, muß ich bemerken, daß die Bewohner Hillehs gar keine Veranlassung haben, auf ihre Reinlichkeit stolz zu sein; soviel ich sah, scheint die Stadt vielmehr eine Ablagerungsstätte alles möglichen orientalischen Schmutzes zu bilden.

Unser Huhn konnten wir zwar mit Appetit verzehren, weil es von Halef selbst gebraten worden war, aber als wir uns hierauf saure Milch bestellten – Hilleh ist nämlich wegen seiner sauren Milch weithin berühmt – mußten wir die obere Schicht abschöpfen, weil sie wegen des daraufliegenden Schmutzes für uns ungenießbar war. Der Wirt, welcher dies sah und es übelnehmen wollte, fragte mit gerunzelter Stirn nach der Ursache. Halef, der in solchen Sachen immer Zungenfertige, antwortete:

»Verzeihe uns, o Vorbild frommer Gastlichkeit! Wir sind Büßer und haben, um uns zu strafen und in der Enthaltung zu üben, ein Gelübde getan, von keiner Speise, welche wir genießen, das Beste zu essen, und du wirst doch zugeben, daß das, was wir abgeschöpft und weggeworfen haben, von deiner Milch das Beste war.«

»Allah sei euch gnädig und gebe euch Kraft, euer Gelübde bei allen Speisen und nicht bloß bei der Milch auszuführen! Ihr hättet von dem Huhn doch auch das Beste übrig lassen sollen, habt es aber ganz verzehrt!«

»Du irrst, denn wir haben es nicht verzehrt.«

»Ich sehe aber doch nichts!«

»Wirklich nicht? Erlaube, daß mir um das Licht deiner Augen bange wird! Was wäre ein Huhn, wenn ihm nicht die Knochen zur Aufrechterhaltung seines körperlichen Wuchses verliehen worden wären? Und wie könnte es bestehen, wenn es nicht die Federn besäße, welche nicht nur seine Kleidung, sondern auch den Schmuck seiner Schönheit bilden? Wenn Allah dich mit der Gabe der Vernunft gesegnet hat, wirst du also einsehen, daß die Knochen und die Federn am Huhn das Beste sind, was es besitzt. Nun schau hierher! Da siehst du die Knochen liegen, und wenn du in die Küche gehst, wirst du auch die Federn entdecken, von denen wir keine einzige mitgegessen haben. Unser Gelübde ist also erfüllt. Wir hätten auch von der Milch die Knochen und Federn übrig gelassen, haben aber leider keine drin gefunden!«

Der Mann wußte nicht, was er dazu sagen sollte, und ging verdrießlich brummend zur Tür hinaus. Halef aber lachte lustig vor sich hin und sagte:

»Das hätte Hanneh, die lieblichste aller Lieblichkeiten, hören sollen! Habe ich mich mit den Knochen und Federn in der Milch nicht vortrefflich ausgedrückt?«