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Das Finale der fantastischen Thriller-Serie »Imperator« Rom in den Swinging Sixties – Blut auf roten Teppichen, eine tanzende Göttin, das Erwachen uralter Kulte und der Kampf gnadenloser Geheimorganisationen Anna Savarese hat den Mörder ihrer Mutter entlarvt – aber damit in ein Wespennest gestochen. In Spanien wird sie von der CIA aufgespürt und muss nach Rom zurückkehren. Dort ist ihr Verbündeter Spartaco auf der Suche nach der Malerin Halinka, die womöglich den Imperatoren zum Opfer fiel. Halinkas Fährte führt Anna und Spartaco in die Elendsviertel der Stadt, wo der grausame Kult der Barbeliten zu neuem Leben erwacht ist. Derweil hat sich Gennaro Palladino der Contessa Amarante angeschlossen, die ohne Rücksicht und Reue um ihre Macht über die wiedergeborenen Kaiser kämpft. Dazu ist ihr jedes Mittel recht – auch ein neuer Brand von Rom. »Bedrohlich und unheimlich.« – Phantastik News Das actionreiche Finale rund um die wiedergeborenen Kaiser Roms exklusiv als Roman! Mit einer bisher unveröffentlichten Kurzgeschichte, in der Detektiv Gennaro Palladino einen unmöglichen Fall lösen muss. Tauche ein ins Rom der Swinging Sixties und in die Welt der wiedergeborenen römischen Kaiser: - Imperator - Imperator II. Caesars Rückkehr - Imperator III. Messalinas Feuer
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Seitenzahl: 402
Kai Meyer / Lisanne Surborg
Messalinas Feuer
RomanBasierend auf einer Hörspielserie von Kai Meyer
Knaur eBooks
Das Finale der fantastischen Thriller-Serie »Imperator«
Rom in den Swinging Sixties – Blut auf roten Teppichen, eine tanzende Göttin, das Erwachen uralter Kulte und der Kampf gnadenloser Geheimorganisationen
Anna Savarese hat den Mörder ihrer Mutter entlarvt – aber damit in ein Wespennest gestochen. In Spanien wird sie von der CIA aufgespürt und muss nach Rom zurückkehren. Dort ist ihr Verbündeter Spartaco auf der Suche nach der Malerin Halinka, die womöglich den Imperatoren zum Opfer fiel. Halinkas Fährte führt Anna und Spartaco in die Elendsviertel der Stadt, wo der grausame Kult der Barbeliten zu neuem Leben erwacht ist. Derweil hat sich Gennaro Palladino der Contessa Amarante angeschlossen, die ohne Rücksicht und Reue um ihre Macht über die wiedergeborenen Kaiser kämpft. Dazu ist ihr jedes Mittel recht – auch ein neuer Brand von Rom.
»Bedrohlich und unheimlich.« – Phantastik News
Das actionreiche Finale rund um die wiedergeborenen Kaiser Roms exklusiv als Roman! Mit einer bisher unveröffentlichten Kurzgeschichte, in der Detektiv Gennaro Palladino einen unmöglichen Fall lösen muss.
Tauche ein ins Rom der Swinging Sixties und in die Welt der wiedergeborenen römischen Kaiser:
Was bisher geschah
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
52. Kapitel
53. Kapitel
54. Kapitel
55. Kapitel
56. Kapitel
57. Kapitel
58. Kapitel
59. Kapitel
60. Kapitel
61. Kapitel
62. Kapitel
63. Kapitel
64. Kapitel
65. Kapitel
66. Kapitel
67. Kapitel
68. Kapitel
69. Kapitel
70. Kapitel
Nachwort
Bonusmaterial
Vorbemerkung
Die Agonie des Bienenstocks
Rom in den Swinging Sixties – eine Stadt zwischen Dolce Vita und politischen Intrigen, in der Paparazzi Filmstars und Adel auflauern, um von den Ausschweifungen und Eskapaden der High Society zu profitieren. Über allem tobt der ewige Kampf zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos.
Auf der Suche nach dem Mörder ihrer Mutter gerät Anna Savarese mit ihrem Verbündeten Spartaco auf die Spur einflussreicher Mitglieder der besseren Gesellschaft, die sich für wiedergeborene römische Kaiser halten und um jeden Preis erneut über Italien und ganz Europa herrschen wollen: die Imperatoren.
Spartacos Stiefmutter, die Contessa Silvia Amarante, ist eine von ihnen – Messalina. Als der Künstler Fausto, der einst Kaiser Nero war, ermordet wird, engagiert sie den Privatdetektiv Gennaro Palladino, das Verbrechen aufzuklären. Er verfolgt die Hintermänner zurück bis zur Mafia, verschweigt jedoch seine eigene Beteiligung an Faustos Tod – tatsächlich war er selbst der bezahlte Killer.
Mit der Hilfe eines alten Freundes, Commissario Benedetto, stößt auch Palladino auf das Geheimnis der Imperatoren. Nachdem er ihren Anschlag auf Festivitäten nahe dem Colosseum vereitelt hat, trachtet ihm nicht nur die Mafia nach dem Leben, sondern auch die CIA und die Contessa Amarante sind hinter ihm her. Gleichzeitig bedrängt ihn in Visionen die Stimme des Chaos: Der Fabelhafte Fratelli, die fleischgewordene Erinnerung an einen Bühnenzauberer aus seiner Kindheit, fordert Palladino auf, endlich gegen die Diener der Ordnung vorzugehen.
Eine dieser Dienerinnen, die Contessa, stellt Palladino vor die Wahl: entweder, er tötet seinen Freund Benedetto, oder seine Frau Laura wird von einer Episode aus seiner Vergangenheit erfahren, einem Massaker in der Kirche zu den Heiligen Zwölf Aposteln während des Zweiten Weltkriegs. Palladino lehnt ab und erinnert sich: 1944, während des Krieges gegen die Faschisten, versteckte er sich mit seinem Partisanenfreund Ugo in der Kapelle vor Soldaten. Deren Befehlshaber Laudeo, der einstmals Julius Caesar war, ermordete dort kaltblütig vier Kinder. Palladino musste tatenlos zusehen und schwor, eines Tages Rache an Laudeo zu nehmen.
In der Gegenwart – 1965 – verbündet sich die Contessa nun ausgerechnet mit Laudeo, der es auf 157000geheime Dokumente abgesehen hat, um sämtliche Mitglieder der italienischen Elite zu erpressen und zu lenken. Auf sein Geheiß bemüht sich die Contessa, ihre einstige Affäre mit dem US-Botschafter Thomas Jeffreys aufzufrischen.
Anderswo in Rom hat Anna sich ein neues Leben aufgebaut. Sie hat sich einen Namen als Fotografin gemacht, dabei den neuen Chefredakteur des Espresso,DomenicoVenturi, kennengelernt und dank des Schauspielers Paul Campbell einen Job als Standfotografin beim Film gefunden. Als Campbell ihr eine Freundin, die gealterte Filmdiva Olimpia De Vivo, vorstellen will, wird er vor Annas Augen von einer Gestalt in Schwarz erstochen. Annas mysteriöser Hund führt sie zu Olimpias antikem Schachautomaten, der zu ihr spricht und Spartaco und sie zum Kampf gegen die Ordnung aufruft.
Spartacos Ex-Freundin Halinka ist währenddessen aus der Villa der Martino-Zwillinge geflohen, die sich gemeinsam für eine Reinkarnation des brutalen Kaisers Tiberius halten. Doch die geheimnisumwitterte Tänzerin Barbelo scheint Halinka auf Schritt und Tritt zu verfolgen und hat sich längst in ihren Gedanken eingenistet.
Auch andere hören geheime Botschaften: Nacht für Nacht veröffentlicht ein Piratensender Teile jenes Manuskripts, das der Journalist Tulio Gallo in seinem Versteck geschrieben hat, um eines Tages die Wahrheit über die gemeinsame Vergangenheit der Imperatoren im Clara-Wunderwald-Institut ans Licht zu bringen. Anna und Spartaco folgen der Frequenz bis zu einem stillgelegten Vergnügungspark am Meer, wo sie auf den Einsiedler Callisto stoßen. Er berichtet ihnen vom Kampf zwischen Ordnung und Chaos – und von Gladio, der CIA-gesteuerten Geheimarmee in Italien, die offiziell von GeneralDe Lorenzo befehligt wird.
Kurz darauf wird Rom von zwei Anschlägen erschüttert. Der erste trifft den Hauptbahnhof, der zweite ein Nobelrestaurant. Die Contessa überlebt dort das Attentat, doch ihr Geliebter, der US-Botschafter Thomas Jeffreys, kommt ums Leben. Als sie erkennt, dass Laudeo sie hintergangen hat, verbündet sie sich erneut mit Palladino. Gemeinsam mit einem weiteren Imperator, dem Kardinal Saponara, töten sie Laudeo in den Kellern des Vatikans. Die Contessa beansprucht die dort versteckten 157000 Geheimakten für sich.
Nach den Anschlägen ruft Anna ihren Chefredakteur Venturi an, um mit ihrem Wissen über die Imperatoren an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch Venturi ist über die Contessa und Barbelo bereits bestens informiert. In einer ausgedienten Kulisse der Via Veneto offenbart er ihr, dass er nicht nur selbst einer der Imperatoren und Annas leiblicher Vater sei, sondern auch der Mörder ihrer Mutter und Paul Campbells. Anna und Spartaco gelingt es, Venturi zu töten. Spartaco trägt dabei eine Schussverletzung davon.
Derweil stellt die Contessa Palladino als Leibwächter ein, obwohl er ihren Auftrag, die Tänzerin Barbelo zu töten, ablehnt. Er werde die Contessa beschützen, aber nicht für sie morden.
Anna wird überraschend in die Klinik gerufen, in der ihr Vater behandelt wird. Obwohl Tigano Savarese nach wie vor im Koma liegt, spricht aus seinem Mund die Stimme einer alten Frau. Immerzu wiederholt sie denselben Namen: Gennaro Palladino.
Gladius –
Kurzschwert im antiken Rom. Die Standardwaffe der römischen Infanterie.
Gladio –
Geheime Untergrundarmee, die im Fall einer Invasion Westeuropas durch Truppen des Warschauer Pakts einen Guerillakrieg gegen die Angreifer führen sollte. Ausgerüstet von CIA und MI6, existierten Gladio-Einheiten in vielen westlichen Staaten. Hervorgegangen aus dem italienischen Militärgeheimdienst, wurde Gladio ab 1964 in die NATO integriert.
Ein Schwall blutroter Farbe ergoss sich über die Wand. Mit einer hektischen Bewegung riss Halinka den Pinsel über die Mauer und stieß ihn zurück in den Eimer. Die Farbe schwappte über und besudelte das Unkraut, das aus den Fugen des Bürgersteigs spross. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und zog den Pinsel hoch, verlor das Gleichgewicht, schwankte und hätte beinahe den Eimer umgestoßen.
Ihre Arme zitterten. Sie waren rot bis zu den Ellbogen. Die Farbe hatte längst die Vorderseite ihres Hemdes durchtränkt. Das Haar hing ihr in verklebten Strähnen auf die Schultern. Obwohl ihr Schweiß sie frösteln ließ, wenn der Wind in ihren Nacken blies, schien sie innerlich in Flammen zu stehen wie die stilisierten Figuren auf der Mauer. Sie musste weitermalen. Nichts sonst war noch wichtig.
Mit groben Pinselstrichen schuf sie immer mehr schmerzverzerrte Gesichter und brennende Glieder. Sie spürte die Hitze des Feuers, das an ihnen leckte. Sie hörte das Knistern, die qualvollen Schreie. Und da war noch eine andere Stimme, die befehlsgewohnt ihren Namen flüsterte.
Halinka!
Sie schüttelte den Kopf, bis die Flammen auf der Mauer zu flackern schienen. Als sie sich daran abstützen wollte, sprang sie mit einem Aufschrei zurück, weil der Stein ihr die Handfläche verbrannte.
Halinka!
»Lass mich.«
Du musst dich schonen, sagte Barbelo in ihren Gedanken. Sanft und lauernd. Ich brauche dich noch.
Halinka tauchte den Pinsel ein und malte einen weiteren Schemen auf die Mauer. »Das Bild muss größer werden. Viel größer. Mehr Menschen in Flammen, brennende Menschen. Überall ist Feuer …«
Barbelos Stimme war Verführung und Bedrohung zugleich. Du kannst meine Träume lesen. Du kannst sehen, was sein wird.
Halinka blickte an der Mauer hinauf, ohne den Pinsel abzusetzen. Was sie sah, waren nicht länger Putz und Farbe.
Sie sah Rom brennen. Die ganze Stadt brannte lichterloh, und Barbelo tanzte im Feuer. Ihre Glieder zuckten im unberechenbaren Takt der Flammen, und die Menschen würden ihr zusehen, bis alle nur noch Asche waren.
Halinka blinzelte. Rauch stieg ihr in die Nase, und ihre Augen begannen zu brennen. Um sie gellten die Schreie Tausender. Durch den Tränenschleier sah sie das Gewirr aus brennenden Leibern, ihre Todesgrimassen.
Eine Wand aus Hitze schlug ihr ins Gesicht. Über das Gebrüll, über das Prasseln und Röhren des Feuers erhob sich Barbelos Lachen.
Halinka stützte sich an der glühenden Mauer ab, als der Rauch in ihrer Kehle kratzte und der Gestank von verkohlendem Fleisch ihr die Sinne vernebelte. Sie hustete erbärmlich. »Du bist die Göttin Barbelo! Die Große Mutter Barbelo! Du bist das Inferno!«
Ich bin, was die Welt braucht. Ich bin die Säuberung. Ich bin das Feuer und die Wut.
Halinka richtete sich auf, schloss beide Hände fest um den Pinselstiel. Sie malte, obwohl sie am ganzen Leib zitterte. »Du bist das Feuer.« Sie schnappte nach Luft, während die Tränen von ihrem Gesicht tropften. »Du bist das Feuer …«
Die Flammen schlugen höher, fraßen sich auf Halinka zu und übertönten Barbelos Stimme.
Drei Schüsse weckten Palladino aus einem Albtraum.
Er riss die Augen auf und starrte ins Dunkel. Im Schlaf hatte er seine Decke ans Bettende getreten und das Laken durchgeschwitzt. Mit rasendem Puls wandte er den Kopf zur Seite, um mit seinem gesunden Ohr zu horchen. Den größten Teil des anderen hatte er vor einigen Monaten bei der Explosion auf dem Forum Romanum verloren. Was davon übrig war, war so gut wie nutzlos.
Irgendwo in der Nacht verklang das Bellen eines Hundes. Unten auf der Piazza Mincio schloss jemand eine Autotür und fuhr gemächlich davon.
»Palladino!« Schläge gegen die Zimmertür. Die Stimme der Contessa Amarante. Da erst begriff er, dass niemand geschossen hatte.
Die Kugeln, deren Echo er in seinem Traum gehört hatte, waren schon vor zwanzig Jahren abgefeuert worden. An jenem Tag hatte er in einer Kirche in den Bergen die Ermordung von vier Jungen beobachtet. Obwohl er ihrem Mörder, Oberst Aristide Laudeo, vor wenigen Wochen die Kehle durchgeschnitten hatte, hörte er das Flehen und Weinen der Kinder fast jede Nacht.
»Wachen Sie auf!« Die Contessa klang ungeduldig. Eine Reflexion des schwachen Mondscheins zeigte ihm, wie die Klinke der verschlossenen Tür mehrfach hinuntergedrückt wurde.
Palladino rollte sich schwerfällig über die Bettkante auf die Füße. Noch während sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnten, tastete er nach dem Stuhl, auf dem seine Kleidung von gestern lag. »Ich bin ja schon wach.«
Für ihn war die neue Umgebung noch fremd. Der Stuhl stand vor einem schlichten Schreibtisch unter dem Fenster. Die anderen Möbel waren ebenso schmucklos, wenn auch von guter Qualität. In den Dachkammern des Palazzo Amarante hatte früher die Dienerschaft gewohnt. Er fragte sich, ob er das jetzt war: ein Diener.
»Nun machen Sie schon die Tür auf!«
Palladino richtete sich mit einem Ächzen auf. In Unterhose und Unterhemd drehte er den Schlüssel und zog die Tür nach innen. »Contessa … wie schön.«
»Tut mir leid, dass ich Sie wecke.«
»Tut es nicht.«
Sie trug einen Mantel mit goldenen Ziernähten, der ihr bis zur Wade reichte. Ihr schwarzes Haar hatte sie hochgesteckt, und ihr Parfum wehte süßlich ins Zimmer. »Ich möchte spazieren gehen.«
»Jetzt? Um –« Er drehte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. Das Licht, das vom Flur hereinfiel, reichte gerade aus, um die Zeiger auf der Uhr zu erkennen. »Zwei Uhr nachts?«
»Ich habe schlecht geschlafen«, sagte sie.
»Ja, das kenn ich.« Schon hatte er wieder die Schreie der Kinder im Ohr. Laudeos schneidende Befehle und die Schüsse. »Ich zieh mir was an.«
Sie schob beide Hände in die Manteltaschen und machte keine Anstalten, den Raum zu verlassen. »Ich warte.«
»Wenn Kriegsnarben Sie nicht abschrecken …« Er riss die Hose vom Stuhl und stieg hinein. Das durchgeschwitzte Unterhemd zog er sich über den Kopf und ließ es auf den Schreibtisch fallen.
»Da hat man Ihnen ja übel mitgespielt.« Ihr Blick wanderte ungeniert über seinen nackten Oberkörper.
Da war die lange Furche, die sich über seine Brust zog. Ein Streifschuss, der den Partisanen neben ihm auf der Stelle getötet hatte. Am Bauch hatte er eine Verbrennung und auf dem Rücken eine Narbe von dem Schrapnellsplitter, der sich bei einer Explosion durch die Uniform gebohrt hatte.
Er zog seinen Pullover an und legte sich den Mantel über den Unterarm. »Das ist alles lange her. Bis auf das Ohr. Das waren Sie.«
Die Contessa nickte langsam, das Gesicht ungewohnt offen. »Und ich bedaure das. Ehrlich.«
»Wo wollen Sie um diese Zeit hingehen?«
Ihre dunkel geschminkten Lippen deuteten ein Lächeln an. »Einfach ein bisschen durch die Nacht laufen. Den Kopf freibekommen. Manchmal brauche ich das.«
Palladino zog die Schreibtischschublade auf, nahm die Automatikpistole heraus und lud sie durch.
Die Contessa hob die Brauen und bedachte die Waffe in seiner Hand mit einem skeptischen Blick. »Ist die wirklich nötig?«
Er zuckte die Achseln. »Sie haben mich angeheuert, damit ich Sie beschütze. Also beschütze ich Sie.« Er trat an ihr vorbei über die Schwelle. »Gehen wir.«
Das silberne Zigarettenetui glänzte im Schein der Straßenlaterne, bevor es in der Manteltasche verschwand. Etwas klickte metallisch, gleich darauf kräuselte sich eine Rauchfahne in die Höhe und verlor sich in der Nacht. Die Contessa stolzierte mit ihren hohen Absätzen auf der Mitte der Straße, als gäbe es weder Bürgersteige noch Autos.
Es war eine ruhige Nacht in einer ruhigen Gegend. Die Leute im Quartiere Coppedè waren nach außen hin altmodisch wie die Villen, in denen sie wohnten, und lebten meist zurückgezogen. Nur aus einem gekippten Fenster im dritten Stock drang klassische Musik von einer Schallplatte zu ihnen herab auf die Straße. Noch jemand, der keinen Schlaf fand.
Die Contessa wurde langsamer, bis sie schließlich stehen blieb. »Wollen Sie wirklich die ganze Zeit drei Schritte hinter mir gehen?«
»Ich bin Ihr Leibwächter.«
»Könnten Sie mich vielleicht bewachen und mir Gesellschaft leisten?«
»Mir war nicht klar, dass Sie darauf Wert legen.«
Sie führte die Zigarette an ihre Lippen und blies den Rauch an seinem Gesicht vorbei. »Es sind jetzt … was? Fünf Wochen? Ich dachte, die kleinen Animositäten lägen hinter uns.«
Palladino erwiderte ihren Blick. »Wie Sie wünschen, Contessa.«
»Zigarette?« Sie zog das Etui halb aus der Manteltasche.
»Nicht während der Arbeit.«
»Ich fand Sie interessanter, als Sie mir noch den Hals umdrehen wollten.«
Er lächelte. »Würden Sie mich auch dafür bezahlen?«
»Kann ich mir stattdessen Ihre Freundschaft erkaufen? Nur ein klitzekleines bisschen davon?«
»Sie haben versucht, mich in die Luft zu sprengen, einen Freund zu ermorden, ganz zu schweigen von meiner Frau, außerdem –«
Sie unterbrach ihn. »Das war nie meine Absicht. Sie mögen sie noch immer … Laura, oder?«
Palladino setzte sich wieder in Bewegung. »Das ist vorbei. Lassen Sie’s.« Er fühlte sich beobachtet und blickte flüchtig an den Fassaden hinauf, von denen Steinengel und Tierwesen zu ihnen herabstarrten.
»Verzeihen Sie. Ich wollte nicht in alten Wunden bohren.« Ihre Absätze knallten auf den Asphalt, als sie neben ihm herging. »Also – worüber reden wir?«
»Machen Sie das oft? Mitten in der Nacht durch Rom laufen?«
»Ich mag die Stadt im Dunkeln«, sagte sie. »Nur die ruhigen Ecken, nicht den Trubel an der Via Veneto. Wissen Sie übrigens, wem das alles dort mal gehört hat?«
»Die Via Veneto?«
»Ja. Das ganze Viertel zwischen der alten Stadtmauer und der Piazza Barberini.«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Messalina.«
»Der Hure von Rom?«
»Sie war keine Hure.« Ihr Tonfall war plötzlich kühl. »Nur eine Frau, die gewusst hat, wie man etwas im Leben erreicht. Und manchmal sogar Spaß dabei hat.«
Es fiel ihm schwer, den Gedanken an die Via Veneto mit der Antike zusammenzubringen. Filmstars und Paparazzi, Bars und Jazzclubs – kaum ein Ort in Rom zelebrierte die Gegenwart so sehr wie das Viertel um die Piazza Barberini.
Er warf der Contessa einen Seitenblick zu, jener rätselhaften Frau, die behauptete, schon vor fast zweitausend Jahren durch diese Straßen gewandelt zu sein. »Messalina war die Ehefrau von Nero, oder?«
»Seine dritte – und seine letzte. Sie hat ihn überlebt.« Leiser setzte sie hinzu: »Zweimal sogar.«
Der Schmerz in ihrer Stimme erinnerte ihn an ihre erste Begegnung unter dem Walnussbaum im Innenhof des Palazzo. Als er eingewilligt hatte, den Mord an Fausto aufzuklären. Ausgerechnet er. Palladino arbeitete für sie, schlief unter ihrem Dach und ermahnte sich stets, auf der Hut zu sein. Sie war gefährlich in ihrer Wut, aber noch gefährlicher in ihrer Trauer.
»Ich kenne mich nicht besonders gut aus mit dem antiken Rom.« Er wandte kurz den Kopf, als in der Ferne eine Polizeisirene aufheulte. Doch hinter ihnen näherte sich kein Wagen; der Lärm kam aus einer Parallelstraße und verstummte gleich wieder. Irgendwo schloss jemand ein Fenster, dann kehrte die nächtliche Stille zurück.
»Heutzutage wiederholen sich all die Dinge von damals.« Die Contessa seufzte schwer. Im Licht der Straßenlaternen warfen ihre Wimpern lange Schatten auf ihre Wangenknochen. »Das Chaos in den Straßen, die Aufmärsche des Proletariats und die Brutalität der Polizei, das Blutvergießen. Das alles hat es schon früher gegeben. Jemand, der sich damit auskennt, muss die Ordnung wiederherstellen.«
»Und das wären dann Sie?«
»Wer weiß.«
»Sie sind längst die mächtigste Frau Roms, auch wenn keiner das ahnt. Mit den geheimen Akten unten im Vatikan können Sie und Ihre –«
Sie blickte auf. »Sagen Sie nicht ›Freunde‹!«
»Sie und Ihre Verbündeten können mit diesen Akten halb Rom erpressen. Halb Italien, wahrscheinlich.«
»Es hat bereits begonnen.« Sie hob die Zigarette an die Lippen und atmete tief ein.
Die Worte verklangen, doch ihr Echo spukte ihm durch den Kopf.
Eine zweite Polizeisirene ertönte, diesmal näher. Er musterte dieses schöne, unnahbare Gesicht und nickte stumm.
In den fünf Wochen, die er als Leibwächter für die Contessa arbeitete, hatte sie sich viele Male hinter verschlossenen Türen mit Politikern, Wirtschaftsmagnaten und Intellektuellen getroffen. Und er ahnte, dass bei diesen Begegnungen auf eine Weise große Politik gemacht wurde, die den Herrschaften im Parlament den Angstschweiß auf die Stirn trieb.
157000 geheime Akten über ebenso viele Persönlichkeiten.
157000 Beweise Verfehlungen und gebrochene Tabus, über Sünden und verbotene Gelüste. Diese Dokumente zu besitzen bedeutete, hinter den Kulissen die Fäden ziehen zu können.
»Warum vertrauen Sie mir?«, fragte er.
»Nicht, weil ich Sie bezahle. Geld kauft keine guten Gefolgsleute.«
»Was dann?«
»Gefühle«, sagte sie. »Angst. Hass. Sie und ich, wir haben gemeinsam Aristide Laudeo getötet. An unseren Händen klebt dasselbe Blut.«
»Gemeinsame Feinde machen Menschen nicht zu Freunden.«
»Oh, das weiß ich.« Sie lächelte, und etwas blitzte in ihren Augen auf, das mehr war als ihr üblicher Sarkasmus. »Vielleicht schätze ich einfach Ihre Aufrichtigkeit.«
Bevor er etwas erwidern konnte, bog hinter ihnen ein Wagen in die Straße ein. Palladino packte die Contessa am Arm. Er hatte sie kaum an den Straßenrand geleitet, da jagte das Polizeiauto schon an ihnen vorüber. Einige Häuser weiter bremste es ab.
»Da vorn ist irgendwas los.« Er versperrte ihr den Weg, während er versuchte zu erkennen, was vor sich ging. Blaulicht zuckte über die Fronten der Villen wie ein stummes Gewitter. »Wir sollten besser umdrehen.«
»Nein. Ich will das sehen.« Die Contessa ließ ihre Zigarette fallen und trat sie aus. Sie schritt an ihm vorbei und folgte dem Polizeiwagen. Als Palladino nicht zu ihr aufschloss, warf sie ihm einen Blick über die Schulter zu. »Seien Sie kein Spielverderber.«
In der Straße stand eine Flotte Alfa Romeos mit kreisendem Blaulicht um das Wrack eines offenen Ferraris, der offenbar mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Laternenpfahl geprallt war. Öl und Lacksplitter ließen das Pflaster glitzern. Die Karosserie war zusammengeschoben wie eine zertretene Blechdose.
Uniformierte sperrten den Unfallort ab und hielten ein Dutzend Schaulustige fern. Hinter vielen Fenstern der umliegenden Wohnungen waren die Lichter angegangen, Silhouetten blickten auf das Geschehen herab.
»Ist das nicht faszinierend?« Die Augen der Contessa hatten einen Glanz bekommen, der Palladino beunruhigte.
Er konnte nicht behaupten, sie gut zu kennen, aber bisher war sie nur schwer zu beeindrucken gewesen. »Da hat irgendein Besoffener die Kurve nicht gekriegt.«
»Na, dann schauen Sie mal genauer hin.«
Einige Meter vor ihnen hatte sich eine Handvoll Anwohner an den Polizisten vorbeigedrängt. Eine Frau im Morgenmantel stieß einen Schrei aus. Mit Entsetzen zeigte sie auf das Wrack, doch was sie sagte, ging im Lärm der Sirenen unter.
»Sehen Sie.« Die Mundwinkel der Contessa hoben sich. »Das hab ich gemeint.«
»Da sind zu viele Leute im Weg.«
Ein Mann, der sich zunächst bemüht hatte, die Frau im Morgenmantel zu beruhigen, stolperte rückwärts vom Ferrari fort. Um sie herum bremsten weitere Einsatzwagen ab, und als die Sirenen endlich verstummten, hörte Palladino deutlich, was der Mann brüllte: »Der hat keinen Kopf mehr! Warum hat er keinen Kopf mehr?«
Hundert Meter weiter winkte ein Polizist mit beiden Armen. »Hier hinten! Bringt irgendwas zum Absperren her!«
»Nein, Sie bleiben da weg!« Ein Uniformierter versperrte einem Schaulustigen den Weg.
Die Contessa wandte sich Palladino zu und flüsterte fast verschwörerisch: »Ich möchte wetten, die haben gerade seinen Schädel gefunden.«
Er verengte die Augen ein wenig, um das Geschehen in der Ferne besser erkennen zu können. »Warum liegt der da hinten?«
»Wie schnell beschleunigt so ein Ferrari wohl von null auf hundert?«
»Sie wissen schon, was für ein Wrack ich fahre, oder?«
Sie schmunzelte. »Das da vorn ist jetzt wahrscheinlich preiswert zu haben.«
»Gennaro? Was zum Teufel …«
Palladino drehte sich um und sah, wer aus dem Polizeiwagen stieg, der gerade am Unfallort gehalten hatte. Sein alter Freund Luca Benedetto kam mit großen Schritten auf ihn zu und blieb schlagartig stehen, als er Palladinos Begleiterin erkannte.
»Was will die hier?« Ein Ausdruck zwischen Unglauben und Abscheu zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Ist sie mit dir hier?«
»Guten Morgen, Commissario Benedetto«, sagte die Contessa. »Signor Palladino und ich haben gerade einen Spaziergang unternommen.«
»Ciao, Luca.« Die Situation war ihm unangenehm.
Benedetto schien kaum glauben zu können, dass Palladino, der sein Geld jahrelang vorrangig mit der Bespitzelung untreuer Ehemänner verdient hatte, noch tiefer sinken konnte. Seine Augenringe und die nachlässige Rasur waren Indizien für durchwachte Nächte am Schreibtisch, an die Palladino sich aus seiner eigenen Zeit als Polizist allzu gut erinnern konnte.
Benedetto schien eine Frage stellen zu wollen, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Ich muss arbeiten.«
»Commissario?« Die Contessa klang freundlich, fast respektvoll. »Ich glaube, sein Kopf liegt dahinten, am Ende der Straße.«
Benedettos Blick verdüsterte sich und folgte ihrem Fingerzeig. »Eine Scheißsauerei ist das.« Ohne ein weiteres Wort marschierte er auf den Unfallwagen zu.
»Sie bleiben hier«, sagte Palladino zur Contessa, ehe er eilig zu Benedetto aufschloss. »Seit wann kümmerst du dich um so was?«
Benedetto schnaubte. »Die haben mich versetzt. Eigentlich zur Mordkommission, aber ich war gerade in der Nähe.«
»Wann haben sie dich von der Anti-Mafia abgezogen? Und warum?«
»Frag deine neue Freundin.« Er warf einen verächtlichen Blick über die Schulter. »Ich bin sicher, sie weiß genau, wie es dazu gekommen ist.«
Palladino drehte den Kopf. Die Contessa winkte ihm mit Unschuldsmiene zu. Ein Schauder lief ihm über den Rücken, als er ihr Lächeln sah. Hastig wandte er sich dem Autowrack zu.
Der Fahrer – ein Mann in einem teuren, dunkelblauen Anzug – war bei dem Aufprall halb über Steuer und Windschutzscheibe geschleudert worden. Blut lief aus seinem Halsstumpf über die Motorhaube.
Palladino beugte sich vor. Der Kopf schien sauber abgetrennt. »Wie zur Hölle …?«
Benedetto gab seinen Kollegen Anweisung, die Absperrung zu erweitern, denn inzwischen zog es Menschen aus dem ganzen Viertel zum Wrack. Als ein junger Polizist vorbeieilte, packte er ihn am Arm. »Was wissen wir bisher?«
»Sieht nach Selbstmord aus«, sagte der Mann.
»Die Fakten.«
»Natürlich, Commissario.« Er nickte eifrig. »Offenbar hat er sich das Ende eines Seils um den Hals gebunden, hat das andere an den Baum da hinten geknotet, ist in sein Auto gestiegen und hat dann kräftig Gas gegeben. Bei der Beschleunigung hat’s ihm den Kopf sauber runtergerissen.«
Palladino seufzte und wandte sich von der Leiche ab. »Wer macht so ’ne Scheiße?«
»Und Sie sind?«, fragte der junge Polizist.
»Palladino. Ich war mal bei eurem Verein.«
Benedetto rieb sich die Augenlider und schüttelte langsam den Kopf. »Er hat recht, Gennaro. Du hast hier nichts zu suchen. Geh zurück zu deinem Frauchen und wedel artig mit dem Schwanz.«
Bevor er etwas entgegnen konnte, lenkte ein Mann mit schütterem Haar Benedettos Aufmerksamkeit auf sich. »Entschuldigung?« Mit einer Hand winkte er, mit der anderen hielt er seinen braunen Morgenmantel zusammen. »Das im Auto, das ist der Fernsehdirektor. Signor Bonelli. Er wohnt da drüben, die Straße runter. Der Wagen steht manchmal vor seiner Tür.«
Als Benedetto nachhakte, ließ eine plötzliche Unruhe in der Menge Palladino herumfahren. Hinter der Contessa bahnte sich ein Kleinbus den Weg durch die Schaulustigen. Noch bevor er anhielt, stieß jemand von innen die Schiebetür auf. Drei Männer sprangen heraus. Der erste, spitzes Kinn und schmale Statur, sondierte die Lage in einer pragmatischen Manier, die auf Erfahrung schließen ließ. Der nächste Mann trug eine klobige Kamera, der letzte den grauen Kasten eines Tonbandgeräts.
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Palladino. »Da sind schon seine lieben Kollegen vom Fernsehen.«
»Ercolani.« Benedetto gab ein Ächzen von sich, als sein Blick die drei Männer verfolgte. »Wieso weiß der Wichser schon Bescheid?«
Wieder sah Palladino die Contessa verstohlen lächeln. Sie hatte sich nicht von der Stelle bewegt, stand in ihrem langen Mantel auf dem Bürgersteig und beobachtete die Ereignisse mit ungebrochener Faszination.
»Irgendwer sollte den Kopf zudecken, oder?«
»Herrgott, Gennaro, verpiss dich jetzt, ja?«
»Alles klar.« Palladino hob die Hände und wich einen Schritt zurück. »Ist dein Job. Mach’s gut.«
Benedetto drehte sich um und brüllte einen Polizisten an, der sich mit dem Absperrband abmühte. »Nun decken Sie schon den Kopf zu!«
Palladino eilte zurück zur Contessa.
Trotzdem erreichten die drei Journalisten sie zuerst.
»Contessa Amarante?« Vittorio Ercolani baute sich vor ihr auf, während seine Kollegen ihn mit Kamera und Mikrofon flankierten. »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die Contessa schenkte ihm ein ungewohnt freundliches Lächeln. »Signor Ercolani! Wie schön. Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Sendung.«
»Haben Sie den Fahrer gekannt?«
»Nicht so gut wie Sie.«
»Was?« Palladino konnte Ercolanis Gesicht nicht sehen, aber sein Tonfall klang irritiert.
Die Contessa beugte sich vor. »Das dürfte Ihr Boss sein. Fernsehdirektor Bonelli.«
»Ach, scheiße.« Ercolani fuhr herum und fuchtelte in Richtung seines Kollegen. »Mach die Kamera aus! Die Kamera aus!«
»Ercolani.« Palladino schob sich zwischen ihn und die Contessa. »Verziehen Sie sich! Lassen Sie die Contessa in Frieden.«
Doch Ercolani interessierte sich schon nicht mehr für Silvia Amarante. »Ist das wirklich Bonelli?«
»Sein Kopf liegt da hinten im Rinnstein«, sagte Palladino. »Schau’n Sie nach.«
Die Contessa blickte den Männern versonnen hinterher, als sie sich einen Weg zum abgetrennten Kopf bahnten.
»Sie haben hier wirklich einen Heidenspaß, oder?«, fragte Palladino.
»So was bekommt man nicht jeden Tag geboten«, sagte sie. »Brot und Spiele sind nichts dagegen.«
»Wir sollten jetzt gehen.« Er nahm ihren Arm, ein bisschen grober als nötig, und zog sie mit sich.
»Hey! Lassen Sie das!«
»Nach all diesen Selbstmorden von einflussreichen Leuten in den letzten Wochen … Sie haben gewusst, dass das hier passieren würde, oder? Deshalb der nächtliche Spaziergang. Sie wollten zusehen!«
Gelassen, aber bestimmt löste sie seine Finger von ihrem Ärmel. »War es nun ein netter Spaziergang oder nicht?«
»Wie konnten Sie das wissen?«
»Ich hab den Strick nicht an den Baum gebunden, falls Sie das meinen.«
»Sie haben diesen Bonelli erpresst. Mit den Akten.«
Sie strich sich elegant eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gewunden hatte. »Sagen wir: Man hat ihm nahegelegt, wenn er das hier tut, um diese Uhrzeit und auf diese Weise, dann würden seine Familie und die Presse niemals die Wahrheit erfahren über all seine kleinen Schwächen. Für sehr kleine Mädchen.«
Palladino starrte sie an, war zu gleichen Teilen abgestoßen und fasziniert von ihren Machenschaften. Sie spielte mit den Menschen dieser Stadt wie mit Marionetten, und die meisten ihrer Puppen ahnten es nicht einmal. »Bestimmt kennen Sie schon seinen Nachfolger.«
»Selbstverständlich. Ein ausgezeichneter Mann, überaus integer.« Mit einem Lächeln bedeutete sie ihm, dass es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen. »Und sehr gefällig.«
Stefano Amarante?«
Spartaco löste den Blick von einem Fahndungsplakat mit mehreren Reihen ausdrucksloser Gesichter. Er saß auf einem unbequemen Stuhl im Korridor des Polizeipräsidiums. Obwohl er seit einer halben Stunde wartete, pochte sein Bein noch immer. Er humpelte kaum mehr, aber die Verletzung, die er davongetragen hatte, als Domenico Venturi ihn vor Wochen angeschossen hatte, war noch nicht ganz verheilt. Er atmete tief durch. Wenn er jetzt die Nerven verlor, kam er hier womöglich nicht mehr raus.
Der Polizist, der ihn herbestellt hatte, streckte den Kopf aus einem der Büros und musterte ihn.
Spartaco stand auf. »Commissario Benedetto? Ich war zu früh dran.«
»Kommen Sie rein.«
Luca Benedetto schloss die Tür hinter ihnen. Das Büro war beengter als Spartacos Einzimmerwohnung. In einem vollen Aschenbecher glühte der Rest einer Zigarette.
»Nehmen Sie Platz.« Der Commissario wies auf einen Stuhl, auf dem eine Akte mit Kaffeeflecken lag. »Tun Sie den Ordner einfach … ich weiß nicht, da drüben hin.«
Spartaco hob die Unterlagen herunter, legte sie vorsichtig auf einen wackligen Stapel auf dem Schreibtisch und setzte sich. Am Telefon hatte er nicht erfahren, wieso die Polizei ihn sprechen wollte, aber er konnte sich mehr als einen Grund dafür ausmalen. Als kommunistischer Aktivist rechnete er ständig damit, verhaftet zu werden.
»Danke, dass Sie gekommen sind.« Benedetto setzte sich ihm gegenüber, fand im Chaos auf dem Schreibtisch seine Brille und schob sie sich auf die Nase. »Ihre Freunde nennen Sie Spartaco?«
»Wenn Sie mich aus politischen Gründen herbestellt haben, dann möchte ich dagegen –«
Benedetto unterbrach ihn. »Mir egal, was Sie von der Regierung halten – glauben Sie mir, ich bin selbst kein großer Fan. Ich weiß, dass Sie Kommunist sind oder irgendwas in der Art. Mich interessiert das, mit Verlaub, einen Scheiß.«
Spartaco blieb angespannt. Diese Masche war nichts Neues, und so einfach würde er sich nicht täuschen lassen. »Was wollen Sie dann?«
»Sie fahren doch einen weißen Mercedes aus dem Fuhrpark Ihrer Familie, oder? Der Wagen ist auf eine Firma Ihrer Stiefmutter zugelassen. Aber dort sagte man mir, dass Sie ihn privat nutzen.«
»Ist das so ’ne Steuersache?«
»Wissen Sie, wo der Mercedes jetzt ist?«
»Ich hab ihn schon vor fünf Wochen als gestohlen gemeldet.«
»Stimmt.« Benedetto lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf Protokollen und Ordnern ab. »Und jetzt ist er wiederaufgetaucht. Komplett ausgebrannt, vor einem stillgelegten Vergnügungspark an der Küste.« Er griff nach der Akte, die Spartaco gerade erst von seinem Stuhl geräumt hatte, blätterte darin, tippte mit dem Finger auf eine Stelle und sah hoch. »In der Nähe von Fregene.«
Spartaco seufzte tief. »Das ist ärgerlich. Aber ich hab auch nicht mehr wirklich damit gerechnet, dass ich ihn heil zurückbekomme.«
»Auf dem Gelände des Parks hat es ebenfalls ein Feuer gegeben. Ein paar der alten Buden sind abgebrannt, und in einer lag eine verkohlte Leiche voller Kugeln, die sich nicht zurückverfolgen lassen. Außerdem war da allerlei Zeug, wie man es bei diesen kleinen Piratensendern findet, die gern politische Parolen senden.«
Spartaco hob die Augenbrauen. »So?«
»Es kommt noch besser«, sagte Benedetto. »Ein paar Tage nachdem das Auto ausgebrannt ist, muss jemand die Nummernschilder abmontiert haben. Dummerweise hat er nicht an die Fahrgestellnummer gedacht. Und wegen der Leiche haben wir uns schon ein bisschen mehr Mühe gegeben, um den Besitzer ausfindig zu machen.«
»Das ist sehr beruhigend.«
Der Commissario musterte ihn eindringlich über den Rand der Akte hinweg. »Sie wissen nicht zufällig irgendwas darüber?«
»Wie gesagt, das Auto ist geklaut worden und –«
»Jaja, schon klar. Bestimmt alles Zufall, oder?«
Spartaco stieß ein gekränktes Lachen aus. »Was wollen Sie mir unterstellen, Commissario? Dass ich Vergnügungsparks abbrenne und irgendwelche Leute darin gleich mit? Und dann mein Auto daneben stehen lasse, bis mir einfällt, dass ich vielleicht besser noch die Nummernschilder mitnehme?« So zusammengefasst klang es absurd, dabei entsprach der letzte Teil sogar der Wahrheit. Zusammen mit Anna war er einige Tage nach dem Angriff auf den Piratensender zum Park zurückgekehrt, mitten in der Nacht. Aber sollte der Commissario doch Mutmaßungen anstellen, so viele er wollte. Die Nummernschilder würde er weder bei ihm noch sonst irgendwo finden.
In Benedettos Gesicht rührte sich nichts. »Das haben nun Sie gesagt, nicht ich.«
Spartaco verschränkte die Arme. Wenn er sich nicht irrte, kannte der Mann seine Stiefmutter. Wahrscheinlich konnte es nicht schaden, den verzogenen Adelsspross zu mimen. »Schlimm genug, dass mitten in Italien ausgebrannte Autos fünf Wochen lang neben einer Straße stehen, ohne dass sich irgendwer darum kümmert.«
»Ja, wir leben in schlimmen Zeiten.« Benedettos Mundwinkel zuckte. »Neben einer Straße, sagen Sie?«
»Führen nicht immer Straßen zu Vergnügungsparks?«
»Ja, da haben Sie natürlich recht.« Benedettos Blick blieb auf Spartacos Augen fixiert. »Aber sagen Sie, wie kommen Sie darauf, dass das Auto schon vor fünf Wochen verbrannt ist?«
»Wäre jemand wochenlang damit rumgefahren, hätte unsere tüchtige Polizei ihn doch sicher erwischt, oder?«
»Hier sind Sie im Morddezernat, mein Junge. Die Kollegen von den Eigentumsdelikten sind nicht immer die Allerschnellsten.«
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Mit einem Mal schien Spartaco das Büro noch kleiner als beim Betreten.
»Kann ich nun wieder gehen?«, fragte er.
Benedetto hob einen Finger. »Einen Moment noch. Der Name Anna Savarese ist Ihnen ein Begriff?«
Spartaco zögerte und sah, dass der Commissario es registrierte. Sein Puls beschleunigte sich. »Anna ist eine Freundin von mir. Warum?«
»Ich würde gern mit ihr persönlich sprechen, aber sie ist gerade im Ausland, stimmt’s?«
»In Spanien. Sie macht Standfotos bei einer Filmproduktion in Almería. Schon seit vier Wochen.«
»Sie fährt doch so einen kleinen weißen Fiat, oder?«
Spartaco verzog keine Miene. »Ist der auch verbrannt?«
»Nein. Aber er wurde möglicherweise in der Nähe eines anderen Tatorts gesehen.« Benedetto machte eine bedeutungsschwere Pause. »Und dabei geht es ebenfalls um einen Mordfall.«
»Soweit ich weiß, ist der Wagen seit Annas Abreise nicht von der Stelle bewegt worden. Er steht auf der Straße vor ihrer Wohnung.« Er stockte und fügte etwas ungelenk hinzu: »Ich gieße da die Blumen.«
»Na so was«, sagte Benedetto. »Dieser Mord ist ebenfalls fünf Wochen her. Der Zeuge konnte sich nur an einen Teil des Nummernschilds erinnern, und es hat eine Weile gedauert, ein paar Dutzend passende Fiats zu überprüfen.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Der Mord wurde auf dem Gelände von Cinecittà verübt. Das Opfer war ein Journalist, Chefredakteur einer großen Zeitung, für die Ihre Freundin gelegentlich Fotos macht. Genau wie ein anonymer Fotograf, den dort alle nur Spartaco nennen.«
»Es geht um den Venturi-Mord?« Spartaco gab sich nur gelinde überrascht. »Anna und ich hätten nun wirklich überhaupt keinen –«
Benedetto hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß: keinen Grund, Domenico Venturi den Schädel einzuschlagen. Und, wie gesagt, es gibt viele weiße Fiats.« Der Commissario nahm die Brille ab und seufzte. »Sehen Sie, ich hab den Fall erst kürzlich von einem Kollegen übernommen, als ich neu in die Abteilung gekommen bin. Ich werde mich noch ein bisschen einarbeiten müssen. Aber ich dachte, ich teile Ihnen schon mal mit, dass ich mit Anna sprechen möchte, sobald sie wieder in Rom ist.« Er lächelte Spartaco offen ins Gesicht. »Könnten Sie ihr das ausrichten, wenn Sie mit ihr telefonieren?«
Eine Glasflasche prallte gegen die Tür der Telefonzelle und ließ die Scheibe erzittern. Jemand lachte, laut und aggressiv. Auf den Bürgersteigen zogen Gruppen junger Männer die Straße hinab, brüllten Parolen und traten Mülleimer um, die ihren Inhalt auf dem Asphalt verteilten. Ein Mann schlug gegen die Zellentür, gestikulierte wild und forderte Spartaco auf, sich ihnen anzuschließen. Der drehte ihnen den Rücken zu und konzentrierte sich auf Annas Stimme, die gedämpft aus dem Hörer drang.
»Glaubst du, er hat irgendwelche Beweise?«
»Klang nicht so«, sagte er. »Aber vielleicht war ›einfach abhauen‹ in Cinecittà doch nicht der beste Plan.«
»Und was wäre die Alternative gewesen? Zur Polizei gehen? Wir hätten niemals beweisen können, dass Venturi meine Mutter umgebracht hat.« Sie hielt kurz inne und schien nachzudenken. »Wenigstens hat uns keiner gesehen.«
»Jedenfalls will Benedetto mit dir reden. Aber er schien es nicht besonders eilig zu haben.«
»Ich krieg das schon hin.«
Auf der Straße ging ein Schaufenster zu Bruch, begleitet von vielstimmigem Gelächter. Ein Autofahrer hupte mehrfach, weil einige Männer die Fahrbahn blockierten. Sie antworteten ihm mit wüsten Beschimpfungen. Sirenen heulten auf, und kurz darauf tanzte Blaulicht auf den Innenwänden der Telefonzelle.
»Was ist da eigentlich los bei dir?«, fragte Anna.
Er atmete scharf durch die Nase ein. »Arbeiterproteste. Die Bullen sind auch schon da. Ständig gibt’s hier irgendwelche Straßenschlachten.« Er warf einen Blick nach draußen, wo zwei Polizisten sich gegen die jungen Männer in Arbeitsjacken und Stiefeln behaupteten. Die Beamten waren in der Unterzahl, aber in der Ferne kündigte sich bereits Verstärkung an.
»Es wird von Tag zu Tag schlimmer«, sagte er.
Er hörte, wie Anna ein Lachen unterdrückte. »Du warst es doch, der die Revolution wollte.«
»Ja, wenn sie Aussicht auf Erfolg hat. Und vor allem eine Philosophie. Im Augenblick sind das nur irgendwelche Randalen, die sich immer weiter hochschaukeln.«
»Pass auf dich auf, ja?«
»Zu Not such ich mir ’ne andere Telefonzelle.« Er verlagerte das Gewicht und entlastete sein verletztes Bein. Auf der Straße führten die Polizisten gerade den jungen Mann ab, der an die Kabine gehämmert hatte. Durch die Scheibe grinste er Spartaco an, dann fiel er in den Sprechchor der anderen ein.
Anna stieß scharf die Luft aus. »Glaubst du wirklich, die hören bei dir zu Hause die Leitung ab?« Sie sprach leiser, fast verhalten, als fürchtete sie, dass auch dieses Gespräch gerade belauscht werden könnte.
»Wenn nicht die Polizei, dann vielleicht meine Stiefmutter.« Er stöhnte auf. »Ich hätte den ausgebrannten Mercedes abschleppen lassen sollen, statt nur die Nummernschilder mitzunehmen.«
»Wir sind nicht gerade Profis, oder?« Sie klang, als würde sie lächeln, und die Anspannung, die ihn seit der Begegnung mit Benedetto geplagt hatte, löste sich ein wenig.
»Immerhin wird es Silvia nicht gefallen haben, dass die Spur des Wagens zu ihr führt. Möglicherweise hat sie sich da ein ziemliches Eigentor geschossen.«
»Falls sie es war, die die Killer zu Callisto geschickt hat«, sagte Anna. »Er hat doch von diesen Gladio-Agenten geredet. Und wenn es die wirklich gibt?«
Als sie Callisto vor Wochen in dem stillgelegten Vergnügungspark getroffen hatten, hatte Spartaco ihn als Spinner abgestempelt. Einen verschrobenen Kerl im Tarnanzug, der mit seiner Flinte herumgewedelt und von Verschwörungen gefaselt hatte. Kurz darauf hatten Bewaffnete das Versteck unter Feuer genommen. Callisto war im Kugelhagel gestorben, nachdem er den beiden zur Flucht verholfen hatte. Seitdem hatte Spartaco viel Zeit zum Nachdenken gehabt.
»Callisto hat gesagt, die Imperatoren kontrollieren den italienischen Zweig von Gladio«, sagte er. »Irgendwie hängt das alles zusammen.«
»Jetzt klingst du fast wie er.«
»Ist das ein Wunder? Aber es gibt noch was Neues – das war’s, was ich dir eigentlich erzählen wollte. Dieser Gennaro Palladino arbeitet jetzt für Silvia.«
Das war der Name, den Annas Vater in der Klinik geflüstert hatte – Annas Vater, der eigentlich immer noch im Koma lag. Die Stimme, die aus seinem Mund gekommen war, war nicht seine eigene gewesen, sondern die einer alten Frau. Anna und Spartaco hatten schnell herausgefunden, dass ein Mann namens Gennaro Palladino den Bombenanschlag auf das Forum Romanum vereitelt hatte. Und sie hatten sein Foto in den Zeitungen wiedererkannt: Einmal war Anna ihm vor dem Palazzo Amarante begegnet, ein zweites Mal hatten sie ihn gemeinsam in der Ruine des Clara-Wunderwald-Instituts gesehen.
Spartaco lehnte sich mit der Schulter an die Glaswand der Zelle, während draußen die letzten protestierenden Arbeiter vertrieben wurden. »Ich hab keine Ahnung, was für ein Spiel er spielt. An sich ist er wohl Privatdetektiv. Und plötzlich wird er zum Leibwächter meiner Stiefmutter?«
»Halt dich lieber von ihm fern«, sagte Anna ernst.
»Ich versteh einfach nicht, wie das zusammenpasst. Was hatte er in der Ruine des Instituts zu suchen? Aus welchem Grund hätte Silvia ihn dorthin schicken sollen? Ihr musste doch klar sein, dass dort nach dem Feuer und all den Jahren nichts mehr zu finden sein würde.«
»Glaubst du, er war auf eigene Faust dort?«
»Das würde bedeuten, dass er ihr erst nachgeschnüffelt hätte, um sich dann von ihr anstellen zu lassen.« Seine Hand schwitzte angesichts all der Polizisten auf der Straße, und er wechselte den Hörer in die Linke. »Vielleicht, um möglichst nah an sie ranzukommen.«
»Könnte doch sein, dass er in Wahrheit für Silvias Feinde arbeitet. Für die anderen Imperatoren, diesen Barbelo-Kult um Dionisi und die Martino-Zwillinge.«
Spartaco schüttelte den Kopf. »Silvia wäre nicht so dumm, sich einen von denen ins Haus zu holen. Ich meine, er wohnt sogar im Palazzo und ist rund um die Uhr in ihrer Nähe.«
»Hat sie vielleicht was mit ihm?«
»Silvia könnte jeden stinkreichen Geschäftsmann oder Filmstar vögeln. Da treibt sie’s doch nicht mit ’nem runtergekommenen Schnüffler.«
Anna lachte leise. »Er hat so einen gewissen schäbigen Charme.«
Spartaco grinste. »Ich wusste nicht, dass du so was magst.«
»Gegen meine Cowboys hier in Almería hat er keine Chance. Das sind verdammt harte Kerle mit Bartstoppeln und dreckigen Fingernägeln und Riesenrevolvern.«
»Klingt toll.«
»Dazu dreißig Grad Hitze, miese Verpflegung und ein cholerischer Regisseur. Und ich werd dir nicht sagen, wo ich abends überall Sand finde.« Sie schwieg für einige Sekunden, und er konnte spüren, wie ihre Stimmung umschlug. »Außerdem mache ich mir Sorgen um dich.«
»Ich pass schon auf.« Mit klopfendem Herzen lauschte er dem Knistern in der Leitung, bis sie wieder sprach.
»Suchst du noch nach ihr?«, fragte sie. »Nach Halinka?«
Er seufzte. »Nach mir hat sie keiner mehr gesehen. Vielleicht ist sie doch zurück zu den Martinos.«
»Du machst doch keinen Blödsinn, oder?« Anna klang jetzt wachsam. Vielleicht war es ganz gut, dass sie gerade Tausende Kilometer entfernt war. »Rück ihnen ja nicht auf die Pelle. Schon gar nicht ohne mich. In zwei Wochen bin ich zurück in Rom, dann sehen wir zusammen weiter, okay?«
»Ja, sicher.« Seine Stimme war zu belegt, um überzeugend zu klingen. »So machen wir’s.«
»Spartaco!«
»Die Münzen sind gleich alle, ich muss Schluss machen.«
»Oh, komm schon …«
»Ciao, Anna.«
»Spartaco, warte –«
Er legte auf und sammelte die übrig gebliebenen Münzen ein, die er auf dem Apparat bereitgelegt hatte. Als er auf die Straße trat, waren sowohl die Arbeiter als auch die Polizisten verschwunden. Ein alter Mann kehrte stumm die Scherben seines Schaufensters zusammen.
Durch das Dachgeschoss des Palazzo Amarante zog sich ein langer, enger Korridor. Hinter den Türen zu beiden Seiten lagen die kleinen Kammern, in denen einst die Dienerschaft gewohnt hatte. Heute waren nur noch zwei davon belegt.
Als Palladino gegen Mittag sein Zimmer verließ, stand der Hausdiener Matteo wie zufällig im Gang. Seine Livree war frisch gereinigt und gebügelt, aber wie ihr Träger war sie ein wenig in die Jahre gekommen. Die Schulterpartie warf Falten über dem schmalen Kreuz, das Material hatte an Form und Farbe verloren. Matteos Haltung war kerzengerade, bis auf den dürren Hals, der das Gesicht vorstreckte. Vom vielen Schnüffeln, dachte Palladino.
Als wäre das Klicken des Türschlosses sein Einsatz in einem bizarren Theaterspiel, kam der Diener steifen Schrittes auf ihn zu. »Ist wohl spät geworden letzte Nacht.«
»Haben Sie mir gerade aufgelauert?«
Matteo blieb vor ihm stehen und lächelte herablassend. »Überschätzen Sie nicht Ihre Wichtigkeit in diesem Haushalt, Palladino.«
»Wenn Sie mir was sagen wollen, bringen Sie’s hinter sich, und dann gehen Sie mir aus dem Weg.«
Matteo senkte seine Stimme. »Ich glaube, Sie sind nicht gut für die Contessa.«
Nach der vergangenen Nacht hatte Palladino eher die Befürchtung, dass die Contessa nicht gut für ihn sein könnte. »War’s das dann?«
»Ihre Impertinenz ist schwer zu ertragen«, sagte der Diener. »Zudem ist es schon nach zwölf, und Sie sind gerade erst aufgestanden.«
»Die Contessa war lange auf. Sie hat gesagt, sie braucht mich heute erst ab ein Uhr.«
»Was nicht bedeutet, dass Sie sich nicht schon vorher hätten nützlich machen können. Die Alarmanlage an der Rückseite muss repariert werden. Und einige der Fenstersicherungen schließen nicht mehr.«
»Wahrscheinlich verwechseln Sie mich mit dem Elektriker.«
»Sind Sie nun für die Sicherheit der Contessa zuständig oder nicht?«
Palladino riss der Geduldsfaden. »Hören Sie, Matteo. Ich weiß nicht, welches Problem Sie mit mir haben, aber behalten Sie’s am besten für sich.« Damit drängte er sich an dem Diener vorbei und atmete sein süßliches Rasierwasser ein. Er hatte schon fast die Treppe erreicht, als Matteo hinter ihm abermals die Stimme erhob.
»Ich denke, Sie sollten um Ihre Entlassung ersuchen.«
Palladino blieb stehen. »Wie bitte?«
»Sie haben mich verstanden.« Matteo stand stocksteif da, das Gesicht so unbeweglich wie sein pomadisiertes Haar.
»Herrgott, was ist los mit Ihnen?«, fragte Palladino.
»Ich weiß genau, was Sie sind.«
»So?«
»Sie sind ein Parasit«, sagte Matteo. »Sie haben sich das Vertrauen der Contessa erschlichen. Sandro hatte ebenfalls keine hohe Meinung von Ihnen.«
Palladino war drauf und dran gewesen, den Diener fortan zu ignorieren, doch die Erwähnung des Chauffeurs alarmierte ihn. Er selbst hatte Sandro das Genick gebrochen, um ihn zum Schweigen zu bringen, und seitdem fragte er sich, ob es bereits zu spät gewesen war. Ob Sandro vor seinem Tod jemandem erzählt hatte, dass er Palladino für Faustos Mörder hielt.
Vielleicht stand dieser Jemand gerade vor ihm.
»Was hat Sandro über mich gesagt?«
Als der Diener nicht gleich antwortete, ballte Palladino die Hände zu Fäusten und machte ein paar Schritte auf ihn zu.
Matteo wich zurück. »Kommen Sie mir nicht zu nah!«
»Was hat die Ratte Ihnen erzählt?«
»Er hat gesagt, dass Sie die Nähe der Contessa suchen würden.« Zum ersten Mal wirkte der Diener beunruhigt. Der Blick aus seinen kleinen Augen huschte hin und her, als suche er einen Fluchtweg. Es gab nur den langen Flur, und außer ihnen beiden war niemand hier.
»Was noch?«
»Er hat Sie für einen Kriminellen gehalten.« Matteo hob das Kinn und nahm entschlossen Blickkontakt auf. »Genau wie ich.«
»Ihr Freund Sandro war ein Mann mit dunklen Geheimnissen.«
»Er war ein höflicher Mann. Ein kultivierter Mann.«
Palladino trat noch einen Schritt näher. Das scheußliche Rasierwasser brannte in seiner Nase. »Ist er nicht verschwunden, ohne sich zu verabschieden? Spurlos noch dazu?«
Aus Matteos Augen sprach Verachtung. »Sie sind ein grobschlächtiges, ungehobeltes Subjekt.« Er kniff die Lippen zusammen, seine Augen funkelten zornig.
Palladinos Hand schoss vor und packte Matteo am Kragen seiner Livree. Er zog das Gesicht des Dieners ganz nah an seines und wiederholte die Frage: »Was genau hat Sandro Ihnen erzählt?«
Matteos pfeifender Atem schlug heiß auf seine Fingerknöchel. Seine Züge waren aschfahl.
Palladinos Hand schloss sich fester um den Stoff.
Über ihren Köpfen klingelte ein Glöckchen. Es war Teil eines altmodischen Systems, mit dem die Herrschaft nach den Bediensteten läutete.
»Das ist die Contessa.« Matteo klang heiser und zugleich erleichtert. »Gleich nach dem Aufstehen wünscht sie ihren ersten Kaffee.«
Palladino löste den Griff vom Kragen, rückte jedoch nicht von dem Diener ab. »Besser wär’s, Sie würden die Contessa nicht mit Ihren Mutmaßungen belästigen.«
»Sie gehören einfach nicht hierher«, sagte Matteo in einem letzten Anflug von Kühnheit. »Und ich habe keine Angst vor Ihnen. Ich habe im Krieg für unser Land gekämpft.«