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Dies ist der achte Teil des Werkes "Improvisationstheater als Kunst". Er ist eine Handreichung für Impro-Spieler, die sich für die organisatorischen und finanziellen Belange ihrer Gruppe interessieren. Sowohl Amateure als auch Profis bekommen Hilfestellungen zu den alltäglichen Herausforderungen, mit denen eine Improtheater-Gruppe konfrontiert ist. Das betrifft künstlerische Themen, wie Proben-Arbeit, Feedbacks, Show-Vorbereitungen. Aber auch ganz besonders organisatorische Fragen werden erörtert: Wie baut man eine Impro-Gruppe auf? Wie hält man sie zusammen? Welche internen Konflikte entstehen typischerweise und wie können wir sie lösen? Wie lässt sich mit Improtheater Geld verdienen?
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Seitenzahl: 274
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GRÜNDUNG EINER IMPROTHEATER-GRUPPE
GRUPPENSTRUKTUREN
TRAINING UND PROBEN
AUFFÜHRUNGEN
INTERNE KOMMUNIKATION
GELD
WERBUNG UND SELBSTDARSTELLUNG
LITERATURVERZEICHNIS
IMPROVISATIONSTHEATER. ALLE BÄNDE
DANK
1.
GRÜNDUNG EINER IMPROTHEATER-GRUPPE
1.1 Mitglieder finden
1.1.1 Neu-Gründungen
1.1.2 Mitglieder für bestehende Gruppen finden
1.2 Künstlerische Ziele: Was wollen wir spielen?
1.3 Vision und Mission – Das Warum
1.4 Zeitliches Engagement klären
1.5 Zeitplan
1.6 Zuständigkeiten festlegen
1.7 Finanzielle Grundfragen klären
1.8 Der Gruppen-Name
2.
GRUPPENSTRUKTUREN
2.1 Große und kleine Gruppen
2.1.1 Kleine Gruppen – zwei oder drei Spieler
2.1.2 Mittlere Gruppen – vier bis zehn Spieler
2.1.3 Große Gruppen
2.2 Schön aber anstrengend: Basisdemokratie
2.3 Hierarchisch aber effizient: Gruppen mit künstlerischer Leitung
2.3.1 Die Aufgaben der künstlerischen Leitung
2.3.2 Zusammenarbeit zwischen Gruppe und künstlerischer Leitung
3.
TRAINING UND PROBEN
3.1 Künstlerische Weiterentwicklung
3.1.1 Weiterentwicklung – wozu?
3.1.2 Ziele setzen und neuformulieren
3.1.3 Entwicklungsfähigkeit
3.2 Bedeutung von Training und Proben
3.2.1 Fähigkeiten trainieren und warm halten
3.2.2 Neue Fähigkeiten erlernen und alte verfeinern
3.2.3 Zusammenhalt der Gruppe
3.3 Probenanleitung
3.3.1 Mit künstlerischer Leitung
3.3.2 Ohne künstlerische Leitung
3.3.3 Externe Trainer
3.3.4 Coaching
3.4 Häufigkeit der Proben
3.5 Ablauf der Proben
3.5.1 Probenraum
3.5.2 Probenbeginn
3.5.3 Aufwärmen
3.5.4 Vorübungen
3.5.5 Thematisch arbeiten – Der Hauptteil der Probe
3.5.6 Langformen
3.5.7 Szenen und Formate mit starker Publikumsbeteiligung
3.5.8 Shows
3.6 Szenen besprechen: Das Feedback
3.6.1 Atmosphäre des Feedbacks
3.6.2 Ablauf des Feedbacks
3.6.3 Zwischenfeedback an die Probenleitung
3.7 Abschluss
3.7.1 Rückblick und Ausblick
3.7.2 Feedback an die Leitung
3.7.3 Abschlussritual
3.7.4 Nachbereitung
4.
AUFFÜHRUNGEN
4.1 Der Spielort
4.1.1 Geographische Wahl
4.1.2 Theater, Cafés und andere Bühnen
4.1.3 Die Atmosphäre des Spielortes
4.1.4 Die Ausstattung
4.1.5 Finanzielle Deals
4.2 Auftrittshäufigkeit
4.2.1 Erste Schritte
4.2.2 Regelmäßige Shows
4.3 Welche Art von Show?
4.3.1 Was würden wir selber sehen wollen?
4.3.2 Marketing-Überlegungen
5.
INTERNE KOMMUNIKATION
5.1 Umgang mit neuen Ideen
5.1.1 Wie man mit einer eigenen vagen Idee umgeht
5.1.2 Kollektive Ideenfindung – Vor- und Nachteile des Brainstorming
5.1.3 Offen für und konstruktiv mit Ideen
5.2 Gruppen-Rituale
5.2.1 Positiver Ein- und Ausklang
5.2.2 Die Quartals-Weihnachtsfeier
5.3 Kommunikationskanäle
5.3.1 Gruppendiskussionen
5.3.2 Die Wahl des Mediums
5.3.3 E-Mails
5.3.4 Cloud-Systeme
5.3.5 Messenger-Dienste
5.3.6 Lass uns reden, reden, reden. Wenn weniger Kommunikation mehr ist
5.4 Grüppchenbildung
5.4.1 Künstlerische Interessen
5.4.2 Freundschaften, Cliquen und das Lästerverbot
5.5 Männer und Frauen
5.5.1 Geschlechter-Rollen
5.5.2 Familien-Auszeit und Eltern-Ausstieg
5.6 Gruppen-Konflikte
5.6.1 Erwartungen an Nähe und Distanz
5.6.2 Konflikte auf der Sachebene behandeln
5.6.3 Schwierige Spieler
5.6.4 Supervision und Mediation
5.6.5 Spaltung
5.6.6 Neustart
6.
GELD
6.1 Amateure, Profis und Professionalität
6.1.1 Professionalität als Haltung
6.1.2 Amateure – Improtheater als Hobby
6.1.3 Professionalität als Falle
6.2 Profi-Gruppen und Profi-Spieler
6.2.1 Rechtliches
6.2.2 Versicherungen
6.2.3 Künstler haben’s gut – Die Künstlersozialkasse (KSK)
6.2.4 Amateur oder Profi – Abwägungen
6.2.5 „Kann man davon leben?“ – Lukrative Jobs im Improtheater
6.3 Eine Handvoll Tipps für Profis und solche, die es werden wollen
6.3.1 Berufseinsteiger
6.3.2 Herausforderungen des selbständigen Künstlers
6.4 Geld innerhalb der Gruppe
6.4.1 Höhe des Eintrittsgelds
6.4.2 Ausschüttungen
6.4.3 Geld als Gruppenkitt
6.5 Bezahlung der Techniker, Musiker und externen Spieler
6.5.1 Bezahlung externer Techniker
6.5.2 Musiker
6.5.3 Externe Spieler
6.5.4 Bezahlung externer Leistungen
7.
WERBUNG UND SELBSTDARSTELLUNG
7.1 Outfit
7.1.1 Praktikabilität
7.1.2 Aufputzen oder locker bleiben?
7.1.3 Die Kraft der Gemeinsamkeit – und ihre Schwäche
7.1.4 Back in black
7.2 Internet-Werbung
7.2.1 Soziale Medien
7.2.2 E-Mail-Newsletter
7.2.3 Website
7.3 Flyer und Plakate
7.3.1 Design
7.3.2 Verteilung
7.4 Radio, Presse, Fernsehen
7.5 Merchandising
7.6 Kurz-Auftritte
8.
LITERATURVERZEICHNIS
9.
IMPROVISATIONSTHEATER. ALLE BÄNDE
9.1 Veröffentlichungsplan
9.2 Inhalt der folgenden Bände
10.
DANK
Dies ist der achte Teil des Werkes „Improvisationstheater als Kunst“. Er ist eine Handreichung für Impro-Spieler, die sich für die organisatorischen und finanziellen Belange ihrer Gruppe interessieren.
Sowohl Amateure als auch Profis bekommen hier Hilfestellungen zu den alltäglichen Herausforderungen, mit denen eine Improtheater-Gruppe konfrontiert ist. Das betrifft künstlerische Themen, wie Proben-Arbeit, Feedbacks, Show-Vorbereitungen, aber auch ganz besonders organisatorische Fragen: Wie baut man eine Impro-Gruppe auf? Wie hält man sie zusammen? Welche internen Konflikte entstehen typischerweise und wie können wir sie lösen? Wie lässt sich mit Improtheater Geld verdienen?
Das Buch wendet sich natürlich in erster Linie an Improvisierer. Aber ich hoffe, dass auch andere Künstler davon profitieren können.
Jede Gruppe funktioniert nach ihrer eigenen Logik. Daher sollten die Ratschläge in diesem Buch nicht wie eherne Gesetze aufgefasst werden. Ich sehe sie vielmehr wie Angebote in einem großen Kaufhaus. Man bediene sich bei den Dingen, die einem gefallen. Die anderen kann man getrost stehen lassen.
Um flüssiges Lesen zu erleichtern, wird in diesem Werk überwiegend das generische Maskulinum verwendet.
Ich widme diesen Band allen noch ungegründeten Gruppen, die in den nächsten Jahren erblühen werden.
1.1 Mitglieder finden
1.2 Künstlerische Ziele: Was wollen wir spielen?
1.3 Vision und Mission – Das Warum
1.4 Zeitliches Engagement klären
1.5 Zeitplan
1.6 Zuständigkeiten festlegen
1.7 Finanzielle Grundfragen klären
1.8 Der Gruppen-Name
1.1.1 Neu-Gründungen
Du hast Dutzende Impro-Shows gesehen, du hast vielleicht ein paar Grundlagen-Kurse belegt. Und jetzt juckt es dich in den Fingern, das auch auf die Bühne zu bringen. Wo aber findest du Mitglieder für deine neue Gruppe? Wie findest du Zugang zu bestehenden Impro-Gruppen?
Bevor du verzweifelt herumsuchst, solltest du dich fragen: Was will ich überhaupt?
Möchte ich mit anderen ab und zu improvisieren und alle paar Wochen mal auf der Bühne stehen?
Will ich Anschluss an
irgendeine
Gruppe finden, damit ich einfach so viel Spielpraxis wie möglich gewinne?
Oder möchte ich eine Gruppe aufbauen, die so nahe wie möglich an meinen eigenen künstlerischen Visionen arbeitet?
Wenn es dir um eine der beiden ersten Varianten geht, dann solltest du dich ans Internet, insbesondere Soziale Netzwerke halten. Dort findest du leicht bereits bestehende Gruppen, die in deinem Wohnort oder in der Nähe spielen oder proben. Bei etablierten Gruppen kannst du freilich nicht davon ausgehen, sie hätten jahrelang nur auf dich gewartet. Frage höflich nach, ob du an einer Probe teilnehmen könntest. Einige größere Gruppen bieten auch regelmäßig Castings an.
Der „natürliche“ Weg, den die meisten heute bestehenden Gruppen gewählt haben, führt über Kurse und Workshops. Besuche Trainings und Workshops in deiner Nähe, dort findest du am ehesten Gleichgesinnte. Sprich die Teilnehmer an, mit denen du dich wohlfühlst, ob sie Lust haben, regelmäßig zu improvisieren.
Oft machen sich ganze Workshop-Klassen selbständig. Das fühlt sich zunächst ganz gut an, da man den positiven Schwung aus den Impro-Kursen in die Gruppe mitnimmt. Aber dieser Automatismus verhindert bisweilen, dass einige Annahmen unausgesprochen bleiben, über die sich eine Gruppe aber verständigen sollte. Ein regelmäßig auftretendes Ensemble funktioniert nämlich anders als eine Workshop-Gruppe.
Jede Gruppe, die aus einem Workshop hervorgegangen ist, muss diesen Schritt früher oder später gehen. Zwei Fragen muss man sich hier stellen: 1. Will man mit dieser oder jener Person zusammen auf der Bühne stehen? 2. Kann diese Person das auch dauerhaft leisten? Nur wenn man beide Fragen von Herzen bejahen kann, sollte man die Personen aufnehmen. Die Trennungen, die sich hier vollziehen, sind oft schmerzlich, da man einander mag und gemeinsam in die Geheimnisse der Improvisation eingedrungen ist. Der Schnitt wird aber umso schwieriger, je länger man damit wartet und ihn hinausschiebt auf einen Zeitpunkt zu dem die Gruppe sich schon als Ensemble formiert hat.
Manchmal findet man Gleichgesinnte auch auf Festivals. Ich empfehle diesen Weg, da man hier nicht selten Gleichgesinnte findet, die aus derselben Region kommen und ähnliche Ambitionen haben.
Ein Weg, der meines Erachtens viel zu selten gegangen wird, obwohl er gerade für junge Menschen auf der Hand liegt, ist, mit Freunden eine Improgruppe zu gründen. Ich meine nicht irgendwelche Freunde, sondern Freunde, mit denen man gemeinsam kreativ ist, mit denen man sich zusammen ausspinnen kann, die denselben Humor und dieselbe Energie haben. In anderen Kunstformen findet man diesen Weg immer wieder. Freunde gründen Bands, machen zusammen Kurzfilme und Hörspiele. Warum nicht Improtheater? Freunde verstehen sich oft blind, haben ein ungeheures Vertrauen zueinander und scheinen die Gedanken des anderen lesen zu können.
1.1.2 Mitglieder für bestehende Gruppen finden
Nicht nur Gruppen in Neugründung suchen neue Mitspieler. Auch als gestandene Gruppe braucht man neue Spieler. Aber woher nehmen? Gute Spieler sind rar. Und bei talentiertem Nachwuchs ist oft nicht klar, ob ein vielversprechender Entwicklungsstart auch anhält.
Aus eigenen Kursen und Workshops rekrutieren
Wenn ihr regelmäßig Improtheater unterrichtet, fällt euch sicherlich von Zeit zu Zeit das eine oder andere Naturtalent in die Hände. Einige Schüler hingegen starten als Mauerblümchen und wollten „nur mal ihre Spontaneität verbessern“. Aber plötzlich, nach drei oder vier Monaten, entfalten sie einen ungeahnten schöpferischen Reichtum.
Die meisten Workshop-Teilnehmer wollen nicht einmal auf die Bühne und bringen auch nur wenig handwerkliche Vorbildung mit. Das ist natürlich zu beachten, wenn man sich auf dieses Wagnis einlässt. Nötigenfalls braucht es ein paar Wochen zusätzlichen Schliff auf Spezial-Gebieten, wie Schauspiel und Stimmtraining.
Schauspielschulen
Ich wünschte, ich könnte Schauspielschulen bedingungslos als Pool zur Neurekrutierung von Impro-Spielern empfehlen. Leider wird die Improvisation in den meisten Schauspielschulen vernachlässigt.1 Sie wird oft nur als Mittel zum Zweck gesehen. Durch die Improvisation werden Figuren gebastelt und das Zusammenspiel der Schauspieler trainiert. Aber Improvisation als umfassende Kunst wird dort momentan noch kaum wahrgenommen, allenfalls in ihrer durchs Fernsehen bekannten Entertainment-Form, die den Schauspielschulen und -Schülern suggeriert, davon habe man die Finger zu lassen. Die Folge ist, dass die meisten Schauspielschul-Absolventen zwar davon berichten, während ihres Studiums viel und gern improvisiert zu haben. Aber das hat nur sehr wenig mit dem zu tun, was wir unter szenischer und narrativer Improvisation verstehen. Sie sind ohne gezieltes Improtraining nur selten in der Lage, gemeinschaftlich eine sinnvolle Szene aufzubauen, geschweige denn eine Story zu erschaffen.
Der große Vorteil bei Schauspiel-Studenten ist freilich, dass man ihnen kaum mehr etwas übers Schauspiel sagen muss. Pantomime, Status, Stimme, Charaktere – auf all diese Facetten dürfte man sich, zumindest bei den einigermaßen renommierten Schulen doch verlassen können.
Andere Gruppen
Soll man Schauspieler anderer Gruppen fragen? Das mag sich vielleicht ein bisschen wie Ehebruch anfühlen. Ich halte das aber für durchaus legitim. Viele Spieler fühlen sich in ihren Gruppen nicht ausgelastet. Sie sind froh, wenn sie so oft wie möglich spielen können.
Wenn du selbst ein Spieler bist, der in zwei Gruppen spielt, solltest du dir bewusst sein, dass von dir doppelte Loyalität gefragt ist. Das heißt: Kein Lästern über die andere Gruppe und schon gar nicht über Spieler. Bleib offen und klar in deinen Zusagen. Versuche nicht, eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, weder in künstlerischen noch in persönlichen oder finanziellen Fragen.
Casting
Wenn ihr dermaßen bekannt und beliebt seid, dass viele talentierte Schauspieler mit euch spielen würden, dann lohnt sich unter Umständen ein Casting.
Die Frage ist, ob man das Casting völlig offen hält oder die Bewerberzahl gezielt reduziert. Hat man ganz spezifische Pläne, zum Beispiel die Truppe zu verjüngen oder den Anteil der weiblichen oder männlichen Spieler zu erhöhen, kann man solche Einschränkungen einfügen. Aber soll man Impro-Erfahrung voraussetzen? Und wenn ja, wieviel? Meine Empfehlung: Haltet den Zugang so offen wie möglich. Die Spieler mit langer Impro-Erfahrung kennt ihr wahrscheinlich sowieso schon selber und könnt sie direkt einladen. Interessant wird es, wenn sich Spieler bewerben, die euer Radar nicht sofort aufspürt. Schauspielschul-Absolventen mit enormem Impro-Talent, Impro-Schüler, die bisher nicht auf der Bühne standen, Comedians mit Hang zum Improvisieren und so weiter. Entscheidender als die Frage, wie lange jemand schon improvisiert, ist doch, welche Impulse diese Person eurer Gruppe gibt. Kann sie sich mit euren Zielen identifizieren?
Für ein Casting halte ich deshalb zwei Stufen für nötig. Erstens die Performance, zweitens das Gespräch. Im Performance-Teil des Castings ist es wichtig, dass ihr allen Teilnehmern ein gutes Gefühl gebt. Verschafft den Spielern einen leichten Einstieg, vielleicht ein Gruppen-Spiel oder -Warm Up. Seid bereit, viel zu lachen. Testet weniger die Schwächen, sondern gebt den Kandidaten die Möglichkeit, ihre Stärken zu entfalten. In manchen Impro-Castings werden Spieler aussortiert, weil sie bestimmte Games nicht kennen! Was für eine Verschwendung künstlerischen Potentials!
Ebenso halte ich einige Spezialfähigkeiten für vergleichsweise irrelevant. Soll man zum Beispiel jemanden von der Liste streichen, nur weil er nicht berlinern kann? Fragt euch lieber: Welche künstlerischen Fähigkeiten erwarten wir? Wenn ihr jemanden sucht, der in der Lage ist, aus alltäglichen Situationen Komik zu entwickeln, dann gebt ihm entsprechende Settings an die Hand. Wenn ihr ein Impro-Musik-Team seid und jemanden sucht, der singen kann, dann lasst ihn Songs improvisieren.2
Im Gesprächs-Teil des Casting könnt ihr feststellen, ob ihr künstlerisch auf einer Wellenlänge seid. Lasst die Bewerber von ihren künstlerischen Interessen sprechen, von ihren Vorstellungen und Wünschen. Was macht ihnen an Improtheater Spaß? Was würden sie gern mal ausprobieren? Dabei ist nicht einmal hundertprozentige Deckungsgleichheit mit euren eigenen Interessen und Fähigkeiten nötig. Schließlich wollt ihr ja einen Zuwachs, der eure Gruppe ergänzt.
Impro-Gruppen stellen diese Frage häufig ganz ans Ende des Gründungsprozesses. Sie diskutieren lang und breit, welchen Namen sie sich geben wollen, sie diskutieren das Bühnenoutfit, Sponsoren, Höhe des Eintrittsgeldes. Aber was man spielen will, scheint nebensächlich oder selbstverständlich – eben Impro-Shows.
Was ihr spielen wollt, ist die wichtigste Frage von allen!
Viele Gruppen halten Inhalt und Form des Improtheaters für völlig selbstverständlich. Aber nur weil man gemeinsam ein paar gute Shows gesehen hat oder weil man gemeinsam in Workshops gewachsen ist, heißt das aber nicht, dass man dieselbe Richtung anstreben will.
Wollt ihr lustige temporeiche Kurzform-Shows spielen? Dann klärt, welche Spiele ihr mögt und welche ihr noch lernen wollt. Findet Spiele im Internet, erfindet eure eigenen Spiele. Wie wollt ihr eure Shows aufziehen? Soll es eine klassische Theatersport-Show werden? Oder eine gemischte Show, die auch ein paar freie, etwas längere Szenen beinhaltet?
Wenn ihr euch eher auf Langformen orientieren wollt, dann tauscht euch darüber aus, welche Art von Impro-Stil ihr mögt. Was fasziniert euch genau an Langform-Improvisation? Sind es eher die Storys oder eher die Collagen? Welche Filme und welche Theater-Autoren liebt ihr?
Fragt euch, was genau euch an Improtheater gefällt.3 Die Meinungen können hier durchaus unterschiedlich sein. Wenn einer mehr film-orientiert denkt und der andere eher an schön strukturierten Formaten interessiert ist, kann sich das durchaus gegenseitig befruchten. Schwierig wird es, wenn ihr merkt, dass ihr völlig anders tickt und dass ihr ganz unterschiedliche Dinge von Improtheater erwartet. Wenn sich eine bewegungssüchtige junge Schauspielerin, deren Hintergrund der Tanz ist, mit einem etwas behäbigen fünfzigjährigen Stand Up Comedian als Duo zusammentut, dann kann das gut gehen, wenn die beiden ihre Talente zu kombinieren verstehen. Falls sie aber im Gespräch spüren, dass er Improtheater eher von der verbalen Komik aufziehen möchte und sie eher in Richtung bewegungs- und tanzorientierte Improvisation gehen möchte, so werden sie nur schwer zusammenkommen, wenn sie an ihren Zielen festhalten, ohne sich auf die Poesie des anderen einlassen zu wollen.
Wie weit man hier die Gelegenheit nutzen will, um einander zu entdecken und ob man bereit ist, Kompromisse einzugehen, bleibt letztlich eine rein persönliche Entscheidung. Die Fähigkeit, sich von anderen verändern zu lassen, ist einerseits eine Grundtugend des Improtheaters, andererseits ist auch klar, dass es Grenzen gibt. Grenzen des Geschmacks und Grenzen der körperlichen und geistigen Fähigkeiten.
Ich habe heterogene Gruppen gut zusammenspielen gesehen und habe erlebt, wie relativ homogene Gruppen an Grundsatzfragen zerbrachen. Wenn es ein Element gibt, das über den künstlerischen Zusammenhalt entscheidet, dann ist es der Humor. Ähnlicher Humor lässt euch in die gleiche Richtung segeln. Dann seid ihr auch eher in der Lage, über die eine oder andere Schwäche hinwegzusehen, da ihr ja letztlich dasselbe anstrebt. Es lässt sich leichter scheitern, wenn man ähnliche Ziele verfolgt. Und umgekehrt werden einige Verhaltensweisen auf der Bühne von einem als Schwäche angesehen und vom anderen nicht, wenn man auf völlig unterschiedliche Ziele zusteuert.
Macht euch klar, was eure Mission und eure Vision ist. Warum steht ihr auf der Bühne? Und ich meine wirklich: WARUM?
Die meisten Gruppen fangen mit Improtheater an, weil sie Improtheater irgendwo gesehen haben und sich sagen: „Das möchten wir auch.“ Oder die Spieler wachsen aus Trainings- und Workshop-Gruppen. Sie wissen ungefähr, was sie machen wollen (nämlich Improtheater spielen). Sie wissen hoffentlich, wie sie es machen wollen. Aber selten haben sie eine Vorstellung, warum sie es tun. Was verbindet euch jenseits von Lachern und Applaus, jenseits von Geld, jenseits von „schönen Storys“. All das sind eher Effekte und Ergebnisse.) Gibt es etwas, das noch tiefer liegt, als jede Form, jedes Ergebnis von Improvisation? Etwas, das euch bewegt, überhaupt aufzustehen, das euch antreibt?
Wenn ihr diesen gemeinsamen Antrieb findet, der aus allem, was ihr tut, hervorscheint, dann werdet ihr überzeugen. Ihr werdet einander überzeugen und gegenseitige Loyalität herstellen. Und ihr werdet ein Publikum überzeugen, das euch die Treue hält.
Wenn sich eure Gruppe noch keine Gedanken darüber gemacht hat, müsst ihr nun nicht gleich in Panik verfallen und eine Vision/Mission/Strategie-Konferenz abhalten. Eine aus dem Zwang geborene Vision ist in der Regel dümmer als gar keine Vision. Man kann durchaus, auch ohne die Frage nach dem Warum beantwortet zu haben, jahrzehntelang angenehme Shows improvisieren. Manchmal hängt die Mission auch unausgesprochen in der Luft. Jeder fühlt im Grunde, worum es geht. Aber werdet ihr auch über Durststrecken hinaus zusammenhalten? Wird euch das Publikum treu bleiben, wenn eure Experimente scheitern? Vor allem aber: Werdet ihr euch selber treu bleiben?
Möglicherweise bedarf es auch des Nachdenkens, des längeren Reflektierens, und vielleicht kann man auch mit verschiedenen Gründen und Visionen leben. Das Formulieren von Vision und Mission soll keinesfalls zur Pflichtaufgabe mutieren. Es lohnt sich aber, darüber nachzudenken, was man überhaupt will.
Die Mission kann politisch sein, aber auch rein ästhetisch. Sie kann aus ethischen oder aus künstlerischen Überlegungen erwachsen. Es geht bei der Suche um die Mission nicht so sehr darum, sich etwas Schlaues auszudenken, sondern eher darum, die tieferliegende Motivation aufzuspüren. Selbst wenn die Missions-Suche ohne Ergebnis beendet wird, ist vielleicht der Weg das Ziel – nämlich, sich über die Motivationen verständigt zu haben.
Die künstlerischen Ziele der Gruppenmitglieder mögen gleich sein, und doch wird jeder unterschiedlich viel Zeit für die gemeinsame Sache aufbringen können. Selten gibt es in diesem Punkt komplette Übereinstimmung aller Mitglieder. Manche haben einen Vollzeit-Job, andere wollen Improtheater zu ihrem Hauptberuf ausbauen. Einige sind vielleicht durch soziale Verpflichtungen wie Kinderbetreuung zeitlich gebunden. Ihr werdet also mit Unterschieden leben müssen. Ihr solltet euch zwei Fragen stellen:
1) Wieviel Zeit brauchen wir für unser Projekt, um es umsetzen zu können?
Um eine Improtheater-Gruppe zum Laufen zu bringen und am Leben zu halten, sind zahlreiche Aufgaben zu erfüllen. Da wären zunächst die Shows, die man personell abdecken muss, zum Beispiel auch, wenn einer der Spieler erkrankt. Seid ihr bereit, euren Urlaub aufeinander abzustimmen? Wie oft wollt ihr proben, um euch künstlerisch zu entwickeln? Wer kümmert sich um Werbung? Wer übernimmt die Kommunikation mit Veranstaltern. Wollt ihr an Festivals teilnehmen? Und wenn ja, wie oft?
Wenn ihr diese Frage und die sich daraus ergebenden Teilfragen beantwortet, kann es durchaus sein, dass sich Spieler mit einem größeren Zeitbudget stärker als andere engagieren. Und das ist auch völlig in Ordnung, denn bei hier geht es lediglich um die Machbarkeit des Projekts. Das kann so weit gehen, dass man einen Geschäftsführer ernennt (und bezahlt), der sich um sämtliche Verwaltungsfragen kümmert.
2) Wieviel Zeit sollte jedes Mitglied mindestens in das Projekt einbringen?
Diese Frage mag so wirken, als könne man sie später klären, wenn sich die Gruppe erst mal eingegroovt hat. Das Problem ist nur, dass viele Gruppen zu spät aufwachen und feststellen, dass alle Mitglieder unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was auf sie zukommt. Die später aufkommenden Streitigkeiten sind dann mit Schlagworten wie „Professionalität“, „Spaß“, „Laienhaftigkeit“ verbunden, die einen nicht weiterbringen. Klärt die Zeitfrage wertungsfrei, und ihr erspart euch viele spätere Konflikte.
Eine Gruppe kann durchaus mit unterschiedlichem zeitlichen Engagement ihrer Mitglieder leben. Aber es gibt ein Minimum, unter das der zeitliche Einsatz nicht fallen darf, da sonst die Gruppe früher oder später auseinanderzudriften droht. Das Minimal-Engagement sollte sich auf die Shows, aber mehr noch auf die Proben konzentrieren. Denn Proben und Besprechungen sind die Sphäre, in der die Spieler zusammenfinden und sich als Gruppe formen, erhalten und entwickeln. Wenn also jemand beruflich oder familiär zeitweise stark eingebunden ist, kann man versuchen, es dieser Person zu ermöglichen, wenigstens bei den Proben mitzuspielen und somit an eurer Entwicklung teilzuhaben. Auf Proben ist die Bereitschaft des Ausprobierens und die Toleranz fürs Scheitern in der Regel höher als bei Shows. Natürlich sollte man auch in dieser Minimum-Frage großzügig bleiben, da es auch Extremsituationen wie Geburt, Jobwechsel, Krankheit gibt.
Eine der besten Nachwuchsgruppen, die ich kennengelernt habe, war über zwei Jahre lang mit Proben und Planen beschäftigt. Sie wussten, dass sie einander mögen und dass sie irgendwann auftreten wollen. Sie hatten sich einen Namen gegeben, eine Website erstellt, aber sie traten einfach nicht auf. Einige von ihnen hatten schon über sechs Jahre Impro-Erfahrung in den Knochen, aber sie zierten sich immer noch. Schließlich sollte es ja „richtig gut“ sein. Nach anderthalb Jahren hatten sie dann ihren Auftritt, der mich begeisterte, nur um anschließend wieder monatelang weiterzuproben. Dann bekamen drei Spielerinnen Kinder, zwei Spieler zogen aus der Stadt weg, und die übrigen zwei hatten keine Energie, das Team fortzuführen.
Der erste Auftritt kann furchteinflößend sein. Aber diese Furcht darf nicht dazu führen, dass das Proben zur unbewussten Vermeidungsstrategie wird. Ihr braucht ein konkretes Ziel, auf dass ihr zusteuern könnt – eine Show. Werdet ihr gut genug sein? Ja und nein. Ja, weil ihr einen großartigen improvisierten Abend vor Freunden, Bekannten und Neugierigen gespielt haben werdet. Nein, weil es generell kein „gut genug“ gibt. Aber man muss sich in das Abenteuer stürzen, um die Erfahrung zu machen, wie sich Bühnenspiel wirklich anfühlt. Regelmäßiges Auftreten schweißt die Gruppe zusammen.
Erarbeitet also einen Plan für eure erste Show und schiebt möglichst bald die zweite, dritte, vierte Show hinterher, um Regelmäßigkeit zu etablieren. In dem von mir genannten Beispiel hätten die Frauen, wenn die Gruppe sich einigermaßen etabliert hätte, zwar gewiss nicht ihren Kinderwunsch zurückgestellt und der männliche Spieler hätte sicherlich auch nicht das Job-Angebot ausgeschlagen, aber die verbliebenen Spieler hätten gewiss mehr Energie ins Weiterspielen gesteckt und somit nicht nur die Gruppe erhalten, sondern auch den pausierenden Spielerinnen die Rückkehr ins Ensemble erleichtert.
Wie lange man proben soll, um erstmals öffentlich (das heißt außerhalb des privaten Kreises von Freunden und Verwandten) auftreten zu können, hängt von vielen Faktoren ab, besonders natürlich vom Impro-Talent und den Erfahrungen der Spieler. Aber sie ist auch davon abhängig, wie wohl man sich beim Spielen miteinander fühlt. Es gibt Spieler, die ich nach einem halben Jahr Grundlagen-Training für bühnenreif halte. Andere sind nach fünf Jahren noch nicht so weit (und wollen vielleicht auch gar nicht öffentlich auftreten).
Wenn ihr euch generell auf der Bühne wohlfühlt, sind für den durchschnittlichen Spieler einhundert Stunden Impro-Training und fünfzig Stunden gezielte Proben vor dem Start regulärer Shows. Außerdem rate ich zu kleinen Auftritten vor Freunden oder Kurzauftritten bei Mixed Shows und Open Mikes. Akzeptiert, dass ihr in der ersten Zeit ein paar durchwachsene Shows spielt. Um wirklich besser zu werden, braucht ihr auch Bühnenpraxis. Hier gibt es genügend Formate, die missratene Szenen heiter auffangen (Theatersport, Quintett, Maestro) und das Improvisieren in eine gelungene Show integrieren.
Legt euch einen Zeitplan zurecht, inklusive Werbung und Proben, und dann ab auf die Bühne!
Überlegt euch zu Beginn eurer Unternehmung, wer in eurer Gruppe welche Aufgaben übernimmt. Viele mag das zunächst überfordern, und manche Aufgaben erscheinen auch einfach undankbar. Da will man eigentlich nur Impro spielen, und plötzlich soll man mitentscheiden, wie die Website aussehen soll, wer der Ansprechpartner für die Vermieter der Probe-Bühne sein soll, wem man die Finanzen anvertrauen soll.
Wenn einige Aufgaben unattraktiv oder zeitraubend erscheinen, so ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, diese auszulagern, sofern man es sich leisten kann – Werbung, Verwaltung, Design, Außen-Kommunikation. Wenn die Gruppe groß genug ist und auch professionell agieren soll, kann man sich natürlich sofort ein Büro zulegen mit ein bis zwei Angestellten, die sämtliche Organisation übernehmen.
Möglichst viele Aufgaben auszulagern, scheint zunächst attraktiv, stellt sich aber später oft als umständlich raus. Wenn ihr eine eher kleine Gruppe seid, die ihre Entscheidungen kollektiv und demokratisch trifft, dann sollte man sich zum Beispiel gut überlegen, ob man eine externe Person für sämtliche administrativen Aufgaben anheuert. Denn jede Anfrage und fast jede Entscheidung wird dann durch diese Verwaltungs-Person lediglich gefiltert, ohne dass sie wirklich Arbeit abnimmt, da man dann letztlich das Meiste (Will ich diese Anfrage annehmen? Wollen wir diese Versicherung abschließen? usw.) doch selber entscheiden muss.
In größeren Gruppen kann es sinnvoll sein, die Aufgaben thematisch aufzuteilen. Eine Person kümmert sich um sämtliche Design-Angelegenheiten, eine andere um telefonische Anfragen und Kommunikation, wieder eine andere übernimmt die Kasse, eine vierte die Dispo der Auftritte aller Spieler usw. Der Nachteil ist, dass sich in basisdemokratischen Gruppen mit jeder weiteren Aufsplittung der Aufgaben der Kommunikationsbedarf innerhalb der Gruppe erhöht, wodurch sich die absolute Menge der Arbeit für jeden erhöht. Wenn die Mitglieder sich damit gut fühlen, ist das in Ordnung. Aber es kann eben auch sinnvoll sein, mehrere Aufgaben zusammenzufassen und sie auf ein, zwei Mitglieder zu delegieren und diesen weitgehende Handlungsfreiheit einzuräumen. Und falls die Aufgaben einen Zeitaufwand erfordern, der nicht mehr unter „Hobby“ zu verbuchen ist, sollte man sich überlegen, ob man diesen Aufwand finanziell entschädigt.
Natürlich hat niemand Zeit. Oder anders gesagt: Die eigene Zeit scheint oft wertvoller als die der anderen.
„Du musst doch super viel Zeit haben, du studierst doch!“
„Wenn du sowieso den ganzen Tag nur mit deinem Baby zu Hause bist, kannst doch die Finanzen bequem nebenbei erledigen.“
Respektiert die Zeitbudgets der anderen. Und respektiert im Gegenzug auch den Arbeitsaufwand derer, die sich für die organisatorischen Aufgaben ins Zeug legen.
Um spätere Missverständnisse zu vermeiden, solltet ihr euch darüber frühzeitig aussprechen, aber auch immer wieder neu reflektieren, da sich die Lebensumstände der meisten Spieler alle paar Jahre ändern, und zwar oft durch das Improspielen selbst.
Wenn ihr davor steht, eine Gruppe zu gründen, geht ihr finanzielle Verpflichtungen ein, selbst dann, wenn jeder von euch einen Vollzeit-Job hat, der ihn prima versorgt.4 Ihr werdet zumindest entscheiden müssen, was mit den Einnahmen einer Show geschieht, wie die Flyer, die Miete für Probenräume und die Kosten für die Website bezahlt werden sollen. Nichts davon regelt sich von allein, was ihr spätestens dann merkt, wenn ein Mitglied die Rechnung des Webdesigners präsentiert und jeder etwas anderes unter dem Stichwort „Freundschaftspreis“ verstanden hatte.
Man sagt, Geld verderbe die Freundschaft. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Beteiligten nicht offen aussprechen. Macht einander klar, was ihr zu investieren bereit seid. Und ebenso, was ihr zu verdienen erwartet. Vielleicht tragen sich einige mit dem Gedanken, Improtheater zu ihrem Beruf oder Teilberuf zu machen. Wenn es hier unterschiedliche Erwartungen gibt, muss das noch kein Problem sein. In vielen Gruppen gibt es „Profis“ neben „Amateuren“. Das sagt noch lange nichts über die Qualität der einzelnen Spieler aus und auch nichts über die Qualität der Gruppe. Aber sprecht offen über eure Erwartungen, um zu erkennen, wo es Differenzen gibt und wie ihr Kompromisse schließen könnt.
Über kaum eine Frage wird so hitzig und verzweifelt diskutiert wie über den Gruppen-Namen. Bands sind über dieser Frage zerbrochen, bevor sie ihren ersten Auftritt hatten. Einen Namen für eine Impro-Gruppe zu finden, ist wegen der vielen Beteiligten schwerer als der Name fürs eigene Kind.
Oft zermartern sich die Mitglieder einen Monat lang den Kopf, schreiben dann die Namen auf eine Liste und streichen dann sukzessive die kontroversen raus, um sich schließlich auf das geringste Übel zu einigen.
Die meisten Namen von Impro-Gruppen sind zweifellos extrem uncool. Das fiel mir noch einmal besonders auf, als ich kürzlich in Berlin an einer Mauer vorbeilief, die vollplakatiert war mit Ankündigungen für Hip-Hop- und Techno-Partys. Ich kannte kaum einen der Namen von ihnen auch nur vom Hörensagen, aber jeder einzelne machte neugierig. In Gedanken tauschte ich ein paar von ihnen mit Namen von Impro-Gruppen aus, und schon war der Zauber dahin.5
Hier ein paar Tipps, um ein paar übliche Probleme bei der Namensgebung zu umschiffen.
Seid nicht zu witzig
Der Impuls liegt nahe, mit dem Namen schon zu suggerieren, dass den Zuschauer etwas Lustiges erwartet. Das Problem ist nur, dass sich die Witzigkeit abnutzt, wenn man den Namen ein paar Mal gehört hat. Was beim vierten Bier in der Kneipe wahnsinnig ulkig gewirkt hat, klingt für Außenstehende, die sich überlegen, ob sie ins Improtheater oder doch lieber ins Kino gehen wollen, oft nur albern.
Geht behutsam mit Wortspielen um.
Will man überhaupt Wortspiele für den Namen nutzen, dann am besten subtil. Schlimmer als Wortspiele sind Wortspiele mit „Impro“ im Namen. Ich bitte hiermit all die hundert Gruppen, die das betrifft, um Entschuldigung, aber allein die Tatsache, dass es in Deutschland über hundert sind, sollte neuen Gruppen zu denken geben. Spielt mit Wörtern, die Assoziationen hervorrufen, die nicht zu eindeutig und nicht zu platt sind.
Prüft, ob es euren Namen schon irgendwo gibt.
Es kommt doch tatsächlich vor, dass Gruppen denselben Namen wählen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Oft entstehen Namen, weil eine Gruppe, die es als solche noch gar nicht richtig gibt, für ihren ersten Workshop-Auftritt schnell einen braucht. Hat man sich erst mal provisorisch auf einen geeinigt, wird man ihn schwer wieder los. Fragt euch, ob ihr zu einer Vorstellung einer Gruppe mit diesem Namen gehen würdet. Und wenn ja, wie oft.
1 Momentan verändern einige Schauspiel-Schulen ihr Verhältnis zu Improvisation, etwa wenn externe Improvisationslehrer werden zur Ausbildung herangezogen werden, und ganze Stücke aus der Improvisation entwickelt werden. Aber zurzeit sind das noch Einzelfälle.
2 Ob man aber in einem „normalen“ Improtheater, das musikalische Improvisation nur als ein Feld bedient, Impro-Gesang erwarten soll, muss man auch bezweifeln. Ich habe erlebt, wie eine höchst talentierte Impro-Spielerin in der Testphase aus einer Gruppe ausgeschlossen wurde, weil sie nur mittelmäßig sang, wobei in einer durchschnittlichen Show dieser Gruppe allenfalls zwei Songs zu hören sind. Viele der großen Impro-Genies würden auf diese Weise von der Liste eliminiert werden.
3 Diese Frage sollte man sich alle paar Jahre wieder stellen. Und vielleicht ist die Antwort heute eine andere als in zehn Jahren oder vor zehn Jahren.
4 Ausführlich dazu: Kapitel 6 Geld
5 Ich habe vor einer Weile mal zum Vergleich den Zufalls-Knopf auf der deutschen Wikipedia-Seite genutzt. Dies waren ungefiltert die ersten zehn Treffer: Ulmeneule, Trimble, Ragang, Wortbildung, Carter, Werfenweng, Aalberse, Ukrainische Eishockeyliga 1997/98, Rezaei, DX. Ich behaupte, dass der Anteil an nicht abgedroschen wirkenden Namen in dieser Zufalls-Sammlung deutlich höher ist als der in der gesamten deutschen Impro-Community.
2.1 Große und kleine Gruppen
2.2 Schön aber anstrengend: Basisdemokratie
2.3 Hierarchisch aber effizient: Gruppen mit künstlerischer Leitung
2.1.1 Kleine Gruppen – zwei oder drei Spieler
Der große Vorteil kleiner Gruppen liegt auf der Hand. Man muss nur selten künstlerische Kompromisse schließen. Mit ein oder zwei anderen Spielern, die genauso ticken wie man selbst und deren Fähigkeiten die eigenen wunderbar ergänzen, kommt man inhaltlich und formal ohne größere Debatten schnell auf den Punkt. Enge Freundschaften und ähnliche Interessen treiben das Ziel voran.
Sehr kleine Gruppen haben außerdem den Vorteil, dass sie ziemlich flexibel sind. Man stellt sich aufeinander ein, die Kommunikationswege sind kurz, man braucht auch über organisatorische Fragen nicht lange zu diskutieren.
Auf der Bühne erreichen gute Duos und Trios oft eine ungeheure Intensität. Das Vertrauen und die Intimität übertragen sich fast magisch aufs Publikum. Die Vertrautheit erreicht bisweilen ein Level, auf dem es scheint, sie könnten voneinander die Gedanken lesen. Kleinste Andeutungen werden klar verstanden. Nichts muss mit dem Holzhammer kommuniziert werden.
Die Anforderungen an die Impro-Fähigkeiten (besonders Aufmerksamkeit und physische Energie) sind freilich hoch. Da man kaum im Off ist, hat man nicht den Luxus, die Szene „von außen“ wahrzunehmen.
Als Duo und als Trio ist man auch in einigen formalen und ästhetischen Möglichkeiten stark beschränkt. Auf einen Chor müsst ihr ebenso verzichten wie auf die gewaltige Wirkung von zehn Schauspielern auf der Bühne, die alle das Gleiche tun. Zwar könnt ihr Szenen spielen, in denen mehrere Charaktere gleichzeitig auftauchen, aber das verlangt überdurchschnittlich gute schauspielerische Fähigkeiten.
Als kleines Ensemble habt ihr auch das Problem, dass Spieler nur schwer ersetzbar sind. Wird einer krank, fällt unter Umständen die ganze Show aus.