In den Schluchten des Balkan - Karl May - E-Book + Hörbuch

In den Schluchten des Balkan Hörbuch

Karl May

4,6

Beschreibung

Von Edirne aus reitet Kara Ben Nemsi mit Halef, Osko und Omar Ben Sadek neuen Gefahren entgegen. Abenteuer mit Schmugglern und Halefs groteskes Erlebnis in einem Taubenschlag stehen im Mittelpunkt des Geschehens. In Ostromdscha aber treffen die Freunde auf den "heiligen" Mübarek...

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Zeit:14 Std. 34 min

Sprecher:Peter Sodann
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In den Schluchten des Balkan

Karl May

 Copyright © 2018 by OPU

Inhaltsverzeichnis
In den Schluchten des Balkan
Schimin, der Schmied
Unter Paschern
In Gefahr
Alte Bekanntschaft
Im Taubenschlag
Ein Vampyr
Im Konak von Dabila
Ein Heiliger

Schimin, der Schmied

Noch nicht lange waren wir geritten, als wir Hufschlag hinter uns vernahmen. Wir wendeten uns um und erblickten einen Reiter, welcher uns im Galopp einzuholen trachtete. Wir zügelten also unsere Thiere, um ihn heran zu lassen, und erkannten bald Malhem, den Thürhüter Hulam's. Er ritt ein schwer bepacktes Pferd, von welchem er herabsprang, als er uns erreicht hatte.

»Sallam!« grüßte er kurz.

Wir gaben ihm diesen Gruß zurück, und auf unsere fragend auf ihn gerichteten Blicke erklärte er mir:

»Verzeihe, Effendi, daß ich Euern eiligen Ritt unterbreche! Mein Herr gebot mir, Euch zu folgen.«

»Weßhalb?« fragte ich.

»Um Euch dieses Pferd zu bringen.«

»Was hast Du aufgeladen?«

»Proviant und andere nothwendige Dinge, die Ihr vielleicht nothwendig brauchen werdet.«

»Wir sind bereits für mehrere Tage versehen!«

»Mein Herr glaubte an die Möglichkeit, daß diejenigen, welche Ihr verfolgt, von der Straße abweichen könnten. Wenn sie sich in die Berge schlagen, so findet Ihr nur Futter für die Pferde, für Euch aber nichts.«

»Dein Herr ist sehr gütig; aber dieses schwer bepackte Pferd ist doch nur geeignet, unsern Ritt zu verlangsamen.«

»Ich habe es Euch gebracht; ich muß gehorchen; ich kann nicht anders. Warin saghlik ile Allah jol atschliklighi – bleibt gesund; Allah gebe Euch eine gute Reise!«

Bei diesen Worten warf er dem Pferd die Zügel über den Hals, wendete sich um und rannte eiligen Laufes davon, nach der Stadt zurück.

Sofort drehte Halef sein Pferd herum, der Stadt entgegen und fragte:

»Soll ich ihm nach, Effendi?«

»Wozu?«

»Ihn festnehmen und herbringen, damit er Deinen Willen erfährt?«

»Nein, laß ihn gehen. Wir haben keine Zeit zu versäumen.«

»Was wird da in den Decken und Matten verpackt sein?«

»Das brauchen wir jetzt nicht zu wissen. Wir werden nachsehen, wenn es Abend geworden ist und wir wegen der Dunkelheit nicht weiter reiten können. Nimm Du das Pferd am Zügel. Vorwärts wieder!«

Der unterbrochene Ritt wurde fortgesetzt. Ich ritt voran, und die Andern folgten. Es geschah dies aus dem Grunde, weil ich nach Spuren suchen mußte, obgleich es kaum denkbar war, daß solche zu finden seien.

Der Weg war, obgleich keine Straße zu nennen, doch leidlich belebt. Der kleine Hadschi hatte ganz Recht gehabt, als er sagte, daß hier die Fährte eines Verfolgten nicht so leicht zu entdecken sei, als in der Sahara.

Darum richtete ich mein Augenmerk auch nicht auf den Weg selbst, sondern auf den Rand desselben, welcher dem Flußufer entgegen lag. So lange ich nicht die Spuren fand, daß drei Reiter von der Richtung, welche wir verfolgten, abgewichen seien, konnte ich ziemlich sicher sein, daß wir die Verfolgten vor uns hatten.

Es begegneten uns Reiter, schwerfällige Wagen und Fußgänger, doch richtete ich an Niemand eine Frage. Da die Flüchtigen bereits am vorigen Abend hier geritten waren, konnte Keiner der uns Begegnenden sie getroffen haben.

Auch an den kleinen Häusergruppen, welche wir passirten, hielt ich nicht an, da hier keine Wege abzweigten, welche Barud el Amasat hätte einschlagen können. Aber als wir eine kleine Ortschaft erreichten, Bu-kiöj genannt, von welcher einige Pfade zur Seite liefen, hielt ich an und fragte den Ersten, den ich traf:

»Sallam! Gibt es in diesem Ort, den Allah segnen möge, vielleicht einen Bekdschi?«

Der Gefragte trug einen riesigen Sarras an der Seite, einen fürchterlichen Knüppel in der Rechten, hatte über den Fez ein Tuch geschlagen, welches früher jedenfalls eine Farbe gehabt hatte, jetzt aber nur so vom Schmutz starrte, und ging – barfuß. Er betrachtete mich eine ganze Weile und schickte sich dann an, diese eingehende Beobachtung auch über die Andern ergehen zu lassen.

»Nun?« bemerkte ich ungeduldig.

»Sabr, sabr – Geduld, nur Geduld!« antwortete er.

Er stützte sich auf seinen Stock und begann die Gestalt des kleinen Hadschi einer eingehenden Besichtigung zu unterwerfen. Halef Omar aber langte mit der Hand nach den Sattelösen, zog seine Peitsche hervor und fragte:

»Kennst Du vielleicht dieses Ding hier?«

Der Gefragte warf sich in Positur, griff an den Säbel und antwortete:

»Kennst Du dieses hier, Kleiner?«

Kleiner! Kein anderes Wort hätte Halef Omar so wie dieses beleidigen können. Er holte zum Schlage aus; ich aber drängte rasch mein Pferd zwischen ihn und den Bedrohten und warnte:

»Keine Übereilung, Halef! Dieser Mann wird mir meine Frage schon beantworten.«

Ich zog einige kleine Münze aus der Tasche, zeigte sie dem Sarrasträger und wiederholte:

»Also, gibt es hier einen Bekdschi?«

»Gibst Du mir das Geld?« fragte er.

»Ja.«

»So her damit!«

Er streckte die Hand aus.

»Erst die Antwort!«

»Ja, es gibt einen Bekdschi. Nun aber gib mir das Geld!«

Es waren nur einige kupferne Parastücke.

»Hier hast Du!« sagte ich. »Wo wohnt der Bekdschi?«

Er steckte das Geld ein, zuckte die Achsel und fragte dabei grinsend:

»Bezahlst Du auch diese Frage?«

»Du bist bereits bezahlt!«

»Für die erste, aber nicht für die zweite.«

»Gut, hier hast Du noch zwei Fünfparastücke! Also, wo wohnt der Bekdschi?«

»Dort im letzten Hause,« antwortete der Mann nach einem Bauwerke deutend, welches er zwar Haus nannte, das aber nicht einmal die Bezeichnung Hütte, sondern nur den Namen Stall verdiente.

Wir setzten uns nach der angegebenen Richtung in Bewegung. Als wir die baufällige, einstöckige Wohnung erreichten, stieg ich vom Pferd, um an das Loch zu treten, welches als einziger Ein- und Ausgang diente. In diesem Augenblick aber trat eine Frau heraus, welche durch den Hufschlag unserer Pferde hervorgelockt worden war.

»O jazik! Atsch gözünü – o wehe! Nimm Dich in Acht!« rief sie und trat eiligst zurück.

Ihr Gesicht war nämlich nicht verschleiert gewesen, woran allerdings nicht wir die Schuld trugen. Auch sie war barfuß. Ihr Körper war in ein altes zerfetztes Tuch gehüllt, und ihr Haar hatte ganz das Aussehen, als ob ihr Scheitel eine Filzmanufaktur im Kleinen sei. Wasser war jedenfalls seit Monaten nicht an ihr Gesicht gekommen.

Ich glaubte beinahe, daß sie sich nicht wiedersehen lassen werde; aber nach einigen ungeduldigen Ausrufen meinerseits kam sie doch wieder zum Vorschein. Sie hielt den Boden eines zerbrochenen Korbes vor ihr Gesicht. Durch die Ritzen des alten Weidengeflechtes konnte sie uns sehen, ohne daß es uns möglich war, uns an ihrer Schönheit zu weiden.

»Was wollt Ihr?« fragte sie.

»Hier wohnt der Bekdschi?« mußte ich abermals fragen.

»Ja.«

»Du bist sein Weib?«

»Ich bin sein einziges Weib,« antwortete sie stolz, um anzudeuten, daß sie das Herz ihres mitternächtlichen Pascha's ganz allein besitze.

»Ist er daheim?«

»Nein!«

»Wo befindet er sich?«

»Er ist ausgegangen.«

»Wohin?«

»Auf die Wege seines Amtes.«

»Es ist ja doch jetzt nicht Nacht!«

»Er wacht nicht nur des Nachts, sondern auch am Tage über die Unterthanen des Padischah. Er ist nicht bloß Bekdschi, sondern auch Diener des Kiaja, dessen Befehle er auszuführen hat.«

Kiaja ist Ortsvorsteher. Da fiel mir der Mann ein, mit dem wir vorhin gesprochen hatten. Ich drehte mich um, und richtig, da kam er langsam und stolz auf uns zugeschritten.

Das war mir denn doch zu viel. Ich schnitt die finsterste Miene und trat ihm einige Schritte entgegen.

»Du selbst bist der Bekdschi?« fragte ich ihn.

»Ja,« antwortete er in einem höchst selbstbewußten Tone.

Hadschi Halef Omar bemerkte, daß ich nicht mehr guter Laune sei, und lenkte sein Pferd hart an den Wächter der Nacht und des Tages heran, mich fest dabei im Auge haltend. Ich wußte, was er wollte, und nickte ihm bejahend zu.

»Warum sagtest Du das nicht gleich, als ich vorhin mit Dir sprach?« fragte ich.

»Ich habe es nicht nöthig. Hast Du noch Geld?«

»Genug für Dich. Da, ich will Dich für alle weiteren Fragen gleich vorausbezahlen.«

Ein Wink von mir, und die Peitsche des kleinen Hadschi klatschte auf den Rücken des Wächters der Unterthanen des Padischah hernieder. Er wollte zurückspringen, aber der kleine Hadschi hatte sein Pferd so sicher zwischen den Schenkeln, daß er den Mann an die Wand drängte und immer neue Hiebe fallen ließ.

Der Gezüchtigte dachte gar nicht daran, von seinem Sarras oder Knüttel Gebrauch zu machen. Er schrie in allen möglichen Tonarten und sein >einziges< Weib stimmte ein. Dabei vergaß sie, den Boden des Korbes vor dem Gesicht zu behalten; sie warf vielmehr diesen Bewahrer ihrer weiblichen Würde weit von sich, sprang zum Pferde des Hadschi, faßte dieses am Schwanz, zerrte aus Leibeskräften und schrie dabei:

»Wai baschina, Wai baschina! Wehe Dir, wehe Dir! Wie kannst Du den Diener und Liebling des Padischah beleidigen? Zurück, zurück! Bre bre, he he – zu Hülfe, zu Hülfe!«

Auf diese mit kreischender Stimme ausgestoßenen Rufe wurde es vor den Thüren der Häuser und Hütten lebendig. Männer, Frauen und Kinder eilten heraus und herbei, um nach der Ursache dieses Geschreies zu forschen.

Ich gab Halef einen Wink, abzulassen, und er gehorchte. Der Nachtwächter mochte zehn bis zwölf kräftige Streiche erhalten haben. Er ließ den Knüttel aus der Rechten fallen, zog den Säbel aus der Scheide und rief, indem er sich mit der Linken den Rücken rieb:

»Mensch! Was hast Du gewagt! Soll ich Dich um ein Haupt kürzer machen? Ich werde die ganze Gemeinde gegen Dich hetzen und Dich von ihr zerreißen lassen!«

Halef nickte lachend. Er wollte Etwas antworten, kam aber nicht dazu, denn ein Mann drängte sich durch das Publikum und wendete sich mit der barschen Frage an mich:

»Was geht hier vor? Wer seid Ihr?«

Jedenfalls hatte ich den hohen Herrn Ortsvorsteher vor mir, dennoch fragte ich:

»Wer bist denn Du?«

»Ich bin der Kiaja dieses Dorfes. Wer gibt Euch das Recht, Euch an meinem Khawassen zu vergreifen?«

»Sein Verhalten gibt uns das Recht.«

»Wie so?«

»Ich forderte Auskunft von ihm, und er verweigerte sie mir. Er verlangt, daß ich ihm eine jede Antwort einzeln bezahle.«

»Er kann seine Antworten verkaufen, so theuer er nur immer will.«

»Und ich kann sie bezahlen, so hoch es mir beliebt. Jetzt hat er den Lohn voraus, und nun wird er mir antworten müssen.«

»Kein Wort!« rief der Wächter.

»Kein Wort wird er antworten,« bestätigte der Kiaja. »Ihr habt Euch an meinem Diener vergriffen. Folgt mir augenblicklich! Ich werde die Sache untersuchen, und Ihr sollt Eure Strafe finden!«

Da zeigte der kleine Hadschi die Peitsche und fragte:

»Effendi, soll ich diesem Kiaja von Bu-kiöj diese schöne Haut des Nilpferdes auch zu kosten geben?«

»Jetzt nicht, vielleicht aber später,« antwortete ich.

»Was, Hund, mich willst Du peitschen lassen?« schrie der Ortsvorsteher.

»Vielleicht ja,« antwortete ich ruhig. »Du bist der Kiaja dieses Dorfes; aber weißt Du denn, wer und was ich bin?«

Er antwortete nicht. Meine Frage schien ihm höchst ungelegen zu kommen. Ich fuhr fort:

»Du hast diesen Mann Deinen Khawassen genannt?«

»Ja, er ist es.«

»Nein, er ist es nicht. Wo ist er geboren?«

»Hier.«

»Ah so! Von wem ist er zu Dir abkommandirt worden? Er ist ein Einwohner dieses Ortes, und Du hast ihn zu Deinem Diener gemacht; aber ein Polizeisoldat ist er nicht. Da, siehe Dir einmal diese drei Reiter an, welche die Uniform des Großherrn tragen! Du hast einen Nachtwächter; ich aber habe drei wirkliche Khawassen bei mir. Ahnst Du nun, daß ich ein ganz anderer Mann bin, als Du?«

Um meinen Worten mehr Nachdruck zu geben, fuchtelte Halef ihm so vor dem Gesicht herum, daß er aus Angst zurück wich. Auch die hinter ihm stehenden Personen zogen sich zurück. Ich merkte diesen vielen Gesichtern an, daß sie begannen, mich für einen hohen Herrn zu halten.

»Nun, antworte!« befahl ich.

»Herr, sage zuvor, wer Du bist!« bat er.

Da fuhr Halef ihn an:

»Mensch! Wurm! Wie kannst Du verlangen, daß ein solcher Herr Dir sage, wer er ist? Aber ich will Dir in Gnaden mittheilen, daß Du vor dem hohen und edlen Hadschi Effendi Kara Ben Nemsi Bey stehst, dem Allah noch viele tausend Sommer geben möge, die Winter gar nicht mitgezählt. Ich hoffe, daß Du schon von ihm gehört hast!«

»Nein, nie!« betheuerte der eingeschüchterte Mann sehr der Wahrheit gemäß.

»Was? Nie?« donnerte der Kleine ihn an. »Soll ich etwa Dein Gehirn so lange zusammendrücken lassen, bis der richtige Gedanke hervorgebracht wird. Denke nach!«

»Ja, ich habe von ihm gehört,« bekannte der Kiaja in heller Angst.

»Etwa nur einmal?«

»Nein, sehr viele, viele Male!«

»Das ist Dein Glück, Kiaja! Ich hätte Dich gefangen genommen und nach Stambul geschickt, um Dich im Bosporus ersäufen zu lassen! Nun aber höre, was dieser erhabene Effendi und Emir Dir zu sagen hat!«

Bei diesen Worten drängte er sein Pferd von dem Bedrohten zurück. Seine Augen blitzten noch immer in scheinbarem Zorn, aber um seine Lippen zuckte es verrätherisch. Der brave Hadschi mußte sich alle Mühe geben, um nicht in ein lautes Lachen auszubrechen.

Aller Augen hingen jetzt an meinem Munde. Ich sagte zu dem Kiaja in beruhigendem Tone:

»Ich bin nicht gekommen, Euch Übles zu erweisen; aber ich bin gewöhnt, meine Fragen gehorsam und augenblicklich beantwortet zu sehen. Dieser Mann weigerte sich, mir freiwillig Auskunft zu ertheilen; er wollte Geld erpressen; darum habe ich ihn züchtigen lassen. Es soll auf ihn selbst ankommen, ob er vielleicht gar noch die Bastonnade empfängt!«

Während ich mich dem Nachtwächter zuwendete, gab der Ortsvorsteher diesem ein hastiges Zeichen und raunte ihm zu:

»Um Allah's willen, antworte schnell!«

Der nächtliche Beschützer der Unterthanen des Padischah warf sich in eine so stramme Haltung, als ob er in mir den Beherrscher der Gläubigen vor sich sehe.

»Effendi, frage mich!« sagte er.

»Hast Du während der letzten Nacht gewacht?« fragte ich.

»Ja«

»Wie lange?«

»Vom Abend bis zum Morgen.«

»Kamen Fremde in das Dorf?«

»Nein.«

»Sind keine Fremden durch das Dorf geritten?«

»Nein.«

Aber bevor er diese Antwort gab, glitt aus seinem Auge ein fragender Blick hinüber zu dem Kiaja, dessen Gesicht ich zwar nicht beobachten konnte, aber ich hatte genug gesehen und konnte dieser Antwort keinen Glauben schenken. Darum sagte ich in strengem Tone:

»Du lügst!«

»Herr, ich rede die Wahrheit!«

In diesem Augenblick drehte ich mich schnell nach dem Kiaja um und sah, daß dieser den Finger warnend an den Mund gelegt hatte. Erst hatte er dem Wächter zugeraunt, schnell zu antworten, und nun veranlaßte er ihn, zu schweigen. Das war natürlich auffällig. Ich fragte den Wächter:

»Du hast auch mit keinem Fremden gesprochen?«

»Nein.«

»Gut! Kiaja, wo ist Deine Wohnung?«

»Das Haus da drüben,« antwortete der Gefragte.

»Du und der Bekdschi, Ihr werdet mich dort hinüber begleiten, Ihr Beide allein. Ich habe mit Euch zu sprechen.«

Ohne mich nach ihnen umzusehen, schritt ich nach dem mir bezeichneten Hause und trat in die Thüre.

Es war ganz auf bulgarische Weise gebaut und bestand nur aus einem Raum, der aber durch Weidengeflechte in mehrere Abtheilungen geschieden war. In dem vorderen Raum fand ich eine Art von Stuhl, auf den ich mich setzte.

Die beiden Genannten hatten nicht gewagt, mir zu widerstreben; sie traten daher fast unmittelbar hinter mir ein. Und durch das Mauerloch, welches als Fenster diente, bemerkte ich, daß sich draußen noch immer die Bewohner des Ortes zusammen hielten, jedoch in respektvoller Entfernung von meinen Begleitern.

Sowohl der Kiaja als auch sein Untergebener befand sich sichtlich in einer nicht beneidenswerthen Lage. Beide hatten Angst, und das mußte ich benützen.

»Bekdschi, bleibst Du auch jetzt noch bei dem, was Du mir vorhin gesagt hast?« fragte ich.

»Ja,« antwortete er.

»Trotzdem Du mich belogen hast?«

»Ich habe nicht gelogen!«

»Du hast gelogen, und zwar nur deßhalb, weil es der Kiaja so haben wollte.«

Das Ortsoberhaupt fuhr erschrocken auf:

»Effendi!«

»Was? Was willst Du sagen?«

»Ich habe ja zu diesem Mann kein Wort gesagt!«

»Nein, aber gewinkt hast Du ihm!«

»Nein!«

»Ich sage Euch, daß Ihr Beide lügt. Kennt Ihr das Sprichwort von dem Juden, welcher ertrank, weil er sich in den Brunnen schlafen gelegt hatte?«

»Ja.«

»Wie jenem Juden wird es auch Euch ergehen. Ihr begebt Euch in eine Gefahr, welche wie das Wasser des Brunnens über Euch zusammenfließen und Euch ersticken wird. Ich aber will Euer Unglück nicht; ich will Euch warnen. Ich rede hier mit Euch, damit Eure Untergebenen und Freunde nicht erfahren sollen, daß Ihr dennoch die Unwahrheit gesagt habt. Ihr seht, daß ich mild und freundlich mit Euch bin. Nun aber verlange ich auch, von Euch die Wahrheit zu hören!«

»Wir haben sie bereits gesagt,« betheuerte der Kiaja.

»Es sind also während dieser Nacht nicht Fremde durch diesen Ort geritten?«

»Nein.«

»Drei Reiter?«

»Nein.«

»Auf zwei Schimmeln und einem dunklen Pferd?«

»Nein.«

»Sie haben nicht mit Euch gesprochen?«

»Wie können sie mit uns gesprochen haben, wenn sie gar nicht hier gewesen sind! Wir haben keinen Fremden gesehen.«

»Gut! Ich habe es gut mit Euch gemeint, Ihr aber meint es desto schlimmer mit Euch selbst. Da Ihr mich belügt, so werde ich Euch nach Edreneh schaffen lassen, und zwar zum Weli selbst. Ich habe deßhalb die drei Khawassen mitgebracht. Man wird Euch dort schnell den Prozeß machen. Nehmt also Abschied von den Eurigen!«

Ich sah, daß Beide heftig erschracken.

»Effendi, Du scherzest!« sagte der Ortsvorsteher.

»Was fällt Dir ein?« antwortete ich, von meinem Sitz aufstehend. »Ich habe Euch weiter nichts zu sagen und werde jetzt die Khawassen rufen.«

»Aber wir sind unschuldig!«

»Man wird Euch beweisen, daß Ihr schuldig seid. Dann aber seid Ihr verloren. Ich hatte die Absicht, Euch zu retten. Ihr aber wollt es nicht. Nun möget Ihr auch die Folgen Eures Starrsinnes tragen!«

Ich schritt der Thüre zu, als ob ich die Polizisten rufen wollte; da aber trat der Kiaja mir schnell in den Weg und fragte:

»Effendi, ist's wahr, daß Du uns retten wolltest?«

»Ja.«

»Auch jetzt noch?«

»Hm! Ich weiß es nicht. Ihr habt geleugnet!«

»Aber wenn wir nun gestehen?«

»Dann ist's vielleicht noch Zeit.«

»Du wirst nachsichtig sein?«

»Vielleicht.«

»Und uns nicht gefangen nehmen?«

»Ihr habt nicht zu fragen, sondern zu antworten. Versteht Ihr mich? Was ich dann beschließe, das werdet Ihr erfahren. Grausam aber bin ich nicht.«

Sie blickten einander an. Der Nachtwächter erhob wie in stummer Bitte ein wenig die Hand.

»Und hier wird Niemand erfahren, was wir Dir erzählen, Effendi?« fragte der Kiaja.

»Wohl schwerlich.«

»Nun gut, so sollst Du die Wahrheit hören. Gehe nicht hinaus; bleibe hier und sage uns, was Du wissen willst. Wir werden Dir nun antworten.«

Ich nahm meinen vorigen Platz wieder ein und wendete mich an den Nachtwächter:

»Also es sind Fremde in der Nacht durch das Dorf gekommen?«

»Ja.«

»Wer?«

»Nach Mitternacht ein Ochsenwagen. Später aber diejenigen, nach denen Du zu forschen scheinst.«

»Drei Reiter?«

»Ja.«

»Auf was für Pferden?«

»Auf zwei Schimmeln und einem Braunen.«

»Sprachen sie mit Dir?«

»Ja. Ich stand mitten auf der Straße, und da redeten sie mich an.«

»Sprachen alle Drei mit Dir?«

»Nein, sondern nur der Eine.«

»Was sagte er?«

»Er bat mich, zu verschweigen, daß ich diese drei Reiter gesehen habe, wenn ich gefragt werden sollte. Er gab mir ein Bakschisch.«

»Wie viel?«

»Zwei Piaster.«

»Ah, das ist viel, sehr viel!« lachte ich. »Und für diese zwei Piaster hast Du gegen das Gebot des Propheten gesündigt und mir Lügen gesagt?«

»Effendi, nicht diese Piaster allein haben die Schuld.«

»Was noch?«

»Sie fragten mich, wie unser Kiaja heiße, und als ich den Namen sagte, begehrten sie, zu ihm geführt zu werden.«

»Kanntest Du sie oder einen von ihnen?«

»Nein.«

»Aber sie scheinen den Kiaja gekannt zu haben, da sie wünschten, mit ihm zu sprechen. Hast Du ihren Wunsch erfüllt und sie zu ihm geführt?«

»Ja.«

In Folge dessen wendete ich mich an den Ortsvorsteher, welcher sich offenbar in weit größerer Sorge befand, als sein Untergebener. Der unsichere Blick, welchen ich an ihm beobachtete, ließ leicht errathen, daß er sich nicht im Besitze eines guten Gewissens befand.

»Behauptest Du immer noch, daß Niemand durch das Dorf gekommen sei?« fragte ich ihn.

»Effendi, ich hatte Angst,« antwortete er.

»Wer Angst fühlt, hat Unrecht gethan! Du selbst gibst Dir da ein schlechtes Zeugniß.«

»Herr, ich bin mir keines Unrechtes bewußt!«

»Wozu und woher also die Angst? Sehe ich aus wie ein Mann, vor dem man sich unschuldiger Weise zu ängstigen braucht?«

»O, vor Dir hatte ich keine Furcht.«

»Vor wem denn?«

»Vor Manach el Barscha.«

»Ah, so kennst Du ihn?«

»Ja.«

»Wo hast Du ihn kennen gelernt?«

»In Mastanly und Ismilan.«

»Wie oder wo bist Du da mit ihm zusammen getroffen?«

»Er ist Einnehmer der Kopfsteuer in Uskub und war nach Seres gekommen, um sich mit den dortigen Einwohnern zu besprechen. Er besuchte von da aus den berühmten Jahrmarkt zu Menlik.«

»Wann war das?«

»Vor zwei Jahren. Dann hatte er in Ismilan und Mastanly zu thun, und an beiden Orten habe ich ihn gesehen.«

»Hast Du auch mit ihm gesprochen?«

»Nein. Aber ich hörte kürzlich von ihm, daß er höhere Steuern erhoben hat, als er durfte, und daß er deßhalb geflohen sei. Er ist in die Berge gegangen.«

>In die Berge gehen< heißt, wie bereits bemerkt, unter die Räuber gehen. Darum sagte ich in strengem Tone:

»So hattest Du, sobald er zu Dir kam, die Verpflichtung, ihn fest zu halten!«

»O Effendi, das durfte ich nicht wagen!«

»Warum nicht?«

»Es wäre mein Tod gewesen. Es wohnen so viele Männer in den Bergen; in allen Schluchten stecken sie, und ihre Verbündeten zählen nach vielen Hunderten. Sie kennen sich alle und rächen einander. Hätte ich ihn gefangen genommen, so wären seine Freunde gekommen und hätten mich getödtet!«

»Du bist ein Feigling und fürchtest Dich, Deine Pflicht zu thun. Du solltest keinen Augenblick länger Stareschin bleiben dürfen!«

»O Herr, Du irrst! Es ist mir nicht um mich zu thun; aber sie hätten unser ganzes Dörfchen dem Erdboden gleich gemacht.«

Da öffnete sich die Thüre, und der Kopf des kleinen Hadschi erschien in der Öffnung.

»Sihdi,« sagte er, »li ma' ak kelimet – ich habe ein Wort mit Dir zu sprechen.«

Er sprach das, um von dem Kiaja und Nachtwächter vielleicht nicht verstanden zu werden, in arabischer Sprache, und zwar in dem westsaharischen Dialekt seiner Heimat.

»Schu haßa – was ist es?« fragte ich.

»Ta'a, kkawam, ist a' dschil – komm her; mach geschwind!« antwortete er, ohne sich weiter zu erklären.

Ich ging also zu ihm hin. Er hatte mir jedenfalls etwas nicht Unwichtiges mitzutheilen.

»Nun rede!« flüsterte ich ihm zu.

»Sihdi,« erklärte er leise, so daß die Beiden ihn nicht zu verstehen vermochten. »Einer von den Ehalissi gab mir einen verstohlenen Wink und entfernte sich hinter das Haus. Ich folgte ihm so unauffällig wie möglich, und da sagte er, daß er uns Etwas mittheilen wolle, wenn wir ihm zehn Piaster bezahlen möchten.«

»Wo befindet er sich jetzt?«

»Noch hinter dem Hause.«

»Er hat Dir weiter nichts gesagt?«

»Nein, kein Wort.«

»Ich werde zu ihm gehen. Bleibe einstweilen hier, damit diese zwei Männer sich nicht gegen uns verständigen können.«

Zehn Piaster, ungefähr zwei Mark, das war gar nicht zu viel, um etwas Wichtiges zu erfahren. Ich ging nicht vorn auf die Dorfstraße hinaus, sondern ich verließ den Raum direkt durch den schmalen hinteren Ausgang. Da sah ich ein viereckigesTschaly duwary, innerhalb dessen sich mehrere Pferde befanden. In der Nähe stand ein Mann, welcher augenscheinlich auf mich wartete. Als er mich sah, kam er schnell auf mich zu und sagte leise:

»Willst Du bezahlen, Effendi?«

»Ja.«

»So gib her!«

»Hier!«

Ich zog die kleine Summe hervor. Er steckte sie ein und raunte mir dann zu:

»Sie sind dagewesen!«

»Ich weiß es.«

»Er hat ihnen ein Pferd vertauscht.«

»Welches?«

»Einen Schimmel. Sie wollten drei Schimmel haben und ließen das Andere da. Siehe, dort in der Ecke steht es.«

Ich blickte hin. Die Farbe des Pferdes stimmte mit dem, was man mir gesagt hatte.

»Ist das Alles, was Du mir sagen wolltest?« fragte ich.

»Nein, es kam kurz nach Mittag noch Einer, der sich nach ihnen erkundigt hat.«

»Bei wem?«

»Bei mir. Darum weiß ich es. Ich stand am Wege, als er kam, und er fragte nach drei Reitern, von denen zwei auf weißen Pferden geritten wären. Ich wußte nichts und wies ihn zum Wächter; dieser aber führte ihn dann zu dem Stareschin.«

»Hielt er sich lange auf?«

»Nein. Er schien es sehr eilig zu haben.«

»Kannst Du ihn beschreiben?«

»Ja. Er ritt einen alten Falben, der bereits sehr schwitzte. Auf dem Kopf hatte er ein rothes Fez, und da er sich in ein langes, graues Binisch gehüllt hatte, konnte ich nur noch seine rothen Kundura sehen.«

»Hatte er einen Bart?«

»Er war außer einem kleinen, hellen Byjik vollständig sakalsyz, wie ich bemerkt habe.«

»Wohin ritt er?«

»Nach Mastanly zu. Aber die Hauptsache hast Du noch gar nicht gehört. Nämlich der Kiaja hat in Ismilan eine Schwester, deren Mann der Bruder der Schut-a ist.«

Das war allerdings so wichtig, daß ich vor Überraschung einen Schritt zurück wich.

Dem Räuberunwesen auf der Balkanhalbinsel hat niemals gesteuert werden können; ja, grad in den gegenwärtigen Tagen berichten die Zeitungen fast ununterbrochen von Aufständen, Überfällen, Mordbrennereien und anderen Ereignissen, welche auf die Haltlosigkeit der dortigen Zustände zurückzuführen sind. Da oben nun, in den Bergen des Schar-Dagh, zwischen Prisrendi und Kakandelen, machte ein Skipetar von sich reden, welcher mit den Unzufriedenen, die er um sich versammelt hatte, bis hinüber zum Kurbecska-Planinagebirge und bis herab in die Thäler des Babuna streifte. Man erzählte sich, daß er sogar in den Schluchten des Perin-Dagh gesehen worden sei und in der Einsamkeit des Despoto-Planina seine Anhänger habe.

Seinen eigentlichen Namen wußte Niemand. El Aßfar, Saryk, Schut, so wurde er genannt, je nach der Sprache, deren man sich bediente. Diese drei Wörter bedeuten >der Gelbe<. Vielleicht hat er diese Färbung infolge einer Gelbsucht erhalten. Schut-a ist das serbische Femininum von Schut und bedeutet natürlich >die Gelbe<.

Also diese Schut-a, die Frau dieses Skipetaren, war eine Verwandte meines Kiaja. Das gab mir natürlich sehr zu denken. Doch konnte es mir nicht einfallen, ihm wissen zu lassen, was ich schloß und folgerte.

»Hast Du noch Etwas zu sagen?« fragte ich den Mann.

»Nein. Bist Du nicht zufrieden?«

»O doch. Aber wie kommt es, daß Du Deinen Vorgesetzten gegen mich verräthst?«

»Effendi, er ist kein guter Mensch. Keiner hat ihn lieb, und Alle leiden unter seiner Ungerechtigkeit.«

»Weiß noch Jemand, daß Du mit mir sprichst?«

»Nein. Ich bitte Dich, es Keinem zu sagen.«

»Ich werde schweigen.«

Nach dieser Versicherung wollte ich abbrechen, da aber fiel mir ein, daß ich beinahe etwas sehr Nothwendiges unterlassen hätte.

»Bist Du in Ismilan bekannt?« fragte ich.

»Ja.«

»So kennst Du auch wohl den Schwager des Kiaja, von dem Du behauptest, daß seine Schwester das Weib des Skipetaren sei?«

»Ja, ich kenne ihn.«

»Was ist er?«

»Er ist Silahdschi und hat zugleich ein Kahwehane, wo seine Waffen zum Verkaufe aushängen.«

»Wo wohnt er?«

»In der Gasse, welche nach dem Dorf Tschatak führt.«

»Ich danke Dir! Aber nun schweige auch Du, so wie ich verschwiegen sein werde.«

Jetzt nun ging ich nach dem Innern des Hauses zurück. Den Mienen des Kiaja und des Nachtwächters sah ich es nicht an, ob sie erriethen, daß meine Entfernung eine ihnen feindliche Ursache gehabt habe. Halef zog sich augenblicklich zurück.

»Nun,« fuhr ich in dem unterbrochenen Gespräche fort, »möchte ich gern wissen, was dieser frühere Steuereinnehmer von Uskub bei Dir gewollt hat.«

»Er erkundigte sich nach dem Wege,« antwortete der Kiaja.

»Wohin?«

»Nach Sofala.«

Sofala lag grad gegen Süden, während ich überzeugt war, daß die drei Flüchtigen nach West geritten seien. Dieser brave Kiaja wollte mich also von der richtigen Bahn ablenken. Ich ließ ihm natürlich nicht merken, daß ich seinen Worten keinen Glauben schenkte, doch fragte ich:

»Nicht wahr, Manach el Barscha kam von Edreneh?«

»Ja.«

»So ist er von dort aus über Samanka, Tschingerli und Ortakiöj grad nach West geritten und nun hier ganz plötzlich nach Süd umgebogen. Wenn er nach Sofala wollte, konnte er doch sofort über Tatar, Ada, Schahandscha, Demotika und Mandra südlich reiten. Warum hat er in Folge dieses Winkels, dieser Ecke einen Umweg von mehr als sechzehn Reitstunden vor sich gelegt?«

»Ich habe ihn nicht gefragt.«

»Und ich kann es nicht begreifen.«

»Er darf sich nicht sehen lassen. Man will ihn fangen. Vielleicht hat er die Zabtie irre leiten wollen.«

»Das ist möglich.«

»Du suchst ihn auch? Du willst ihn fangen?«

»Ja.«

»So mußt Du der Richtung folgen, die ich Dir angegeben habe.«

»Es ist sehr gut, daß Du mir das gesagt hast. Wohnt in dieser südlichen Richtung kein Verwandter oder Bekannter von Dir, an den ich mich nöthigen Falls wenden könnte?«

»Nein.«

»Aber Verwandte hast Du doch?«

»Nein.«

»Keine Eltern?«

»Nein.«

»Keinen Bruder, keine Schwester?«

»Auch nicht.«

Das war eine Lüge. Und der Wächter, welcher jedenfalls die Verhältnisse seines Dorfobersten kannte, machte keine Miene, mir die Wahrheit zu verrathen. Diese beiden Menschen sahen mich für einen sehr hohen Herrn an; dennoch täuschten sie mich. Ich, der ich doch nur ein Fremder war, ganz allein auf mich selbst angewiesen, hatte natürlich nicht die mindeste Macht gegen sie in den Händen. List war es allein, die ich anwenden konnte, und diese bestand hier auch nur darin, daß ich mir den Anschein gab, als ob ich den Worten des Kiaja Glauben schenke. Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche, blätterte darin, so thuend, als ob ich Etwas suche, machte dann eine Miene, wie wenn ich das Gesuchte gefunden hätte, und sagte:

»Ja, es ist richtig: der Stareschin von Bu-Kiöj, ein harter, rücksichtsloser und ungerechter Beamter. Dazu kommt, daß Du Flüchtlinge entkommen lässest, anstatt sie fest zu halten. Man wird Dir – –«

»Hart? Rücksichtslos? Ungerecht?« unterbrach er mich. »Effendi, es ist ganz unmöglich, daß ich gemeint bin!«

»Wer anders denn? Ich habe heut keine Zeit, mich länger mit Dir zu befassen; aber Du kannst Dich darauf verlassen, daß eine jede Ungerechtigkeit ihre sichere Strafe findet. Hast Du gehört, was der Prophet von den Jiuhn Allah gesagt hat?«

»Ja, Emir,« antwortete er kleinlaut.

»Sie sind schärfer als das Messer, welches Dir in das Herz dringt, um Dich zu tödten. Sie dringen tiefer; sie dringen in die Seele, und vor ihnen kann kein Leugnen bestehen. Denke immer an diese Augen des Allwissenden, sonst wird es Dir schlimmer ergehen, als einem 'abid elaßnam trotz der Ssalawat, welche Du pünktlich einzuhalten gewohnt bist! Ich gehe. Allah lenke die Gefühle Deines Herzens und die Gedanken Deines Kopfes! Allah jusellimak – Gott behüte Dich!«

Er verneigte sich tief und ehrerbietig und antwortete:

»Nesinin sa'id – Deine Jahre seien gesegnet!«

Der Nachtwächter verbeugte sich so tief, daß sein Gesicht fast den Boden berührte, und sagte türkisch:

»Akibetiniz chajir ola Sultanum – möge Ihr Ende gut sein, mein Herr!«

Er gab mir also jetzt den Plural anstatt den Singular, eine große Höflichkeit; doch als ich durch die Thüre hinaustrat, hörte ich den Kiaja, welcher mir soeben erst gesegnete Jahre gewünscht hatte, leise und ingrimmig murmeln:

»Ingali 'min hon.«

Es bedeutet das so ziemlich dasselbe, was in gebräuchlicherem Arabisch ausgedrückt wird: »ruh lildschehennum – geh' zum Teufel!« Es war also wohl vorauszusehen, daß meine an ihn gerichtete fromme Ermahnung von keinem großen Nutzen sein würde.

Ich stieg wieder auf, und wir ritten zum Dorf hinaus, aber nicht in westlicher, sondern in südlicher Richtung. Erst als wir nicht mehr gesehen werden konnten, bogen wir wieder in den Weg ein, welcher uns nach Geren, einem ungefähr anderthalb Stunden entfernten Dorfe, führen mußte.

Erst jetzt bemerkte ich, daß wir nur noch zwei Khawassen bei uns hatten.

»Wo ist Dein Untergebener?« fragte ich den Khawaß-Baschi.

»Er ist zurück nach Edreneh.«

Das antwortete er so ruhig, als ob es sich um etwas ganz und gar Selbstverständliches handle.

»Warum?«

»Er konnte uns nicht länger folgen.«

»Aber weßhalb denn?«

»Er hatte den basch dömnessi gölin. Er konnte es nicht länger mehr aushalten.«

»Wie kommt er denn zu diesem Schwindel?«

»Weil sein Pferd gelaufen ist,« antwortete er ernsthaft.

»Du sagtest ja, Ihr könntet so fein reiten!«

»Ja; aber man muß das Pferd stehen bleiben lassen. Wenn es läuft, so wankt und wackelt und schaukelt es zum Erbarmen. Das vermag doch nur der Magen eines Kassak russialy auszuhalten. Meine Badschirsak sind verschwunden; sie sind weg; sie sind bis hinunter in diejenigen des Pferdes gerutscht; ich fühle sie nicht mehr; ich fühle nur noch den Schalwar, welcher mir da festklebt, wo ich mir meine gute, eigene Haut hinweggeritten habe. Wäre ich derjenige, der den Teufel zu bestrafen hat, so würde ich ihn verurtheilen, mit Euch nach Menlik zu reiten. Er würde ohne Haut und Knochen dort ankommen und lieber im stärksten Feuer der Hölle sitzen, als auf diesem Pferd.«

Das war eine Klagrede, über welche wir Andern zwar lachen mußten, doch that mir der Mann immerhin leid. Er machte ein gar zu jämmerliches Gesicht. Seine Haut war ihm trotz der kurzen Zeit, während welcher er auf dem Pferde saß, an einigen Stellen abhanden gekommen.

Seinem Kameraden erging es jedenfalls nicht besser, denn er murmelte in den Bart hinein:

»Wallahi, öjle dir – bei Allah, es ist so!«

Mehr als diesen Stoßseufzer ließ er zwar nicht hören, aber seinem Gesicht war es deutlich anzusehen, daß er ganz denselben körperlichen Empfindungen wie sein Vorgesetzter unterworfen war.

»Wer hat ihm denn die Erlaubniß gegeben, umzukehren?« fragte ich den Letzteren.

»Ich,« antwortete er, ganz erstaunt, daß ich überhaupt so fragen könne.

»Ich denke aber, daß ich es bin, den er hätte fragen sollen«

»Du? Effendi, bist Du Khawaß-Baschi, oder bin ich es?«

»Natürlich bist Du es; aber Du weißt doch wohl, wessen Befehle Du jetzt zu vollbringen hast!«

»Die Befehle des Kadi. Dieser aber hat mir nicht befohlen, in den Rücken dieses Pferdes ein solches Loch zu reiten, daß ich schließlich nur noch mit dem Kopf herauszugucken vermag. Ich will singen und lobpreisen wie ein Trub oder Esrafil, wenn ich wieder in Edreneh in meiner Kyschlag liege!«

Da meinte der kleine Hadschi:

»Herif [Fußnote], wie kannst Du so unehrerbietig mit meinem Effendi sprechen! Er ist Dein Herr, so lange es ihm beliebt. Wenn er Dir befiehlt, zu reiten, so hast Du zu reiten, und wenn Dir Deine ganze Uniform an die Haut wachsen sollte. Warum hast Du das große Mundwerk gehabt und behauptet, daß Ihr so ausgezeichnet reiten könntet!«

»Was sagt dieser kleine Mann?« entgegnete der Unteroffizier zornig. »Wie nennt er mich? Einen Kerl nennt er mich? Und doch bin ich ein Onbaschi des Beherrschers aller Gläubigen! Ich werde das nach meiner Rückkehr dem Kadi sagen!«

Der kleine Hadschi wollte antworten, doch Osco kam ihm zuvor. Er nahm das Pferd des Khawassen beim Zügel und sagte lachend in seiner heimatlichen (serbischen) Sprache:

»Kommen Sie, wacsche prewaszchodsztwo! Halten Sie sich fest am Sattel an, wiszoko blagorodni goszpodine! Jetzt geht das Wettrennen an!«

Im nächsten Augenblick sauste er mit dem Khawaß-Baschi im Galopp davon. Zugleich ergriff Omar Ben Sadok dem andern Khawaß in die Zügel und jagte mit ihm den Beiden nach.

»Fyrtyna! Tschapkyn! Chowarda! Oghul schejtani! Böjük oghul dschehennemi! Hala oghlu büjüdschüli! Badschanak fenalyki – Wetter und Donner! Schuft! Schurke! Teufelssohn! Höllenenkel! Hexenvetter! Bosheitsschwager!«

So und noch viel anders hörten wir die beiden Sicherheitsbeamten schreien, indem sie sich mit den Händen an den Sätteln oder Mähnen festklammerten. Wir folgten ihnen schnell nach. Die beiden armen Kerle thaten mir leid; aber sie waren doch bereits vollständig außer Athem, als ich sie eingeholt hatte.

Nun ergingen sie sich in Kraftäußerungen, welche der arabischen, türkischen, persischen, rumänischen und serbischen Sprache entnommen waren. In diesem Genre ist der Orientale, zumal der orientalische Soldat, sprachlich sehr vielseitig bewandert. Ich hatte große Mühe, ihren Zorn zu besänftigen, und es verging eine ganze Weile, ehe wir in ruhiger Stimmung weiter reiten konnten.

Nun gab es auch Zeit, unsere Meinungen über das Erlebniß in Bu-Kiöj auszutauschen.

Halef, dem Scharfsinnigen, fiel ganz ebenso, wie es bei mir der Fall gewesen war, der Umstand auf, daß heute nach Mittag ein Reiter sich nach den drei Flüchtigen erkundigt hatte.

»Er muß sie kennen,« sagte er. »Er muß von ihrer Flucht wissen. Warum aber ist er nicht sogleich mit ihnen geritten, Sihdi?«

»Weil es wohl überhaupt gar nicht in seiner Absicht gelegen hat, mit ihnen zu reiten.«

»Aber warum folgt er ihnen nach?«

»Ich vermuthe, um sie von dem zu unterrichten, was heute noch geschehen ist.«

»Daß Du wieder frei bist?«

»Ja.«

»Daß Du diesen Ali Manach, den Tanzenden, gefangen genommen hast?«

»Ja, und wohl auch, daß der Tanzende nun todt ist.«

»Was wird Barud el Amasat dazu sagen?«

»Schreck und Wuth wird er empfinden, vorausgesetzt, daß es diesem Reiter gelingt, ihn einzuholen und ihm diese Nachricht zu bringen.«

»Warum sollte es ihm nicht gelingen? Er ist ja so schnell geritten, daß sein Pferd geschwitzt hat!«

»Es ist alt. Und eben weil es bereits geschwitzt hat, wird es nicht lang aushalten. Außerdem liegt es auch nicht in meiner Absicht, diesen Mann seine Absicht erreichen zu lassen.«

»Warum nicht?«

»Die Flüchtlinge würden durch ihn erfahren, daß ich frei bin und daß sie verfolgt werden. Das aber kann uns keineswegs lieb sein. Je sicherer sie sich fühlen, desto lässiger werden sie ihre Flucht betreiben, und desto eher und leichter werden wir sie einholen. Darum möchte ich dem Reiter, von welchem die Rede ist, schnell nachsetzen, um seine Absicht zu vereiteln.«

»Er hat einen zu großen Vorsprung.«

»Denkst Du etwa, Rih könne nicht mehr laufen?«

»Der Rappe, Sihdi? O, Rih heißt Wind und fliegt wie der Wind. Er hat lange Zeit keine Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß er stählerne Flechsen besitzt. Wie würde er sich freuen, einmal mit dem Sturm wetten zu können! Aber wir Andern vermögen ja nicht, Schritt zu halten.«

»Das ist auch gar nicht nöthig. Ich werde allein reiten.«

»Allein, Sihdi? Und was thun wir?«

»Ihr kommt so schnell wie möglich nach.«

»Wohin?«

»Ihr bleibt immer auf dem Wege nach Mastanly. Auch ich reite dorthin, schlage aber möglichst eine ganz grade Richtung ein. Da ich nun nicht weiß, wo ich ihn treffe, so kann ich auch nicht sagen, wo ich Euch erwarten werde.«

»Weißt Du denn, ob auch er die grade Richtung eingeschlagen hat?«

»Das hat er jedenfalls nicht gethan. Dieser Weg ist ganz gewiß viel zu beschwerlich für seinen alten Falben.«

»Aber wie nun, wenn Du ihn überholst?«

»So warte ich auf ihn.«

»Wirst Du denn erfahren, ob er vor oder hinter Dir ist?«

»Ich hoffe es.«

»Aber Du kennst diese Gegend nicht. Du kannst also sehr leicht in die Irre reiten; es kann Dir ein Unglück widerfahren. Nimm mich mit, Sihdi!«

»Habe keine Sorge, mein lieber Halef! Ich bin ja gut beritten und ebenso gut bewaffnet. Dich kann ich unmöglich mitnehmen, da Du doch der Anführer der Übrigen sein mußt.«

Das schmeichelte seinem Stolz. Er willigte also in meinen Plan, und so gab ich ihm, Osco und Omar meine Weisungen. Da hierbei alle Möglichkeiten berücksichtigt und besprochen werden mußten, so hatten wir während einiger Zeit keine Acht auf die beiden Khawassen. Als ich mich dann zu diesen umdrehte, sah ich wohl den Reitkünstler-Korporal, nicht aber seinen Kameraden.

»Wo ist Dein Gefährte?« fragte ich erstaunt.

Er wendete sich auch um und rief dann bestürzt:

»Effendi! Er ritt hinter mir!«

Seine Bestürzung war keineswegs erheuchelt. Ich sah seinem Gesichte an, daß er sich wirklich in dem Glauben befunden hatte, den Kameraden hinter sich zu haben.

»Aber wo ist er denn?« fuhr ich fort.

»Nabedid almisch, boghulmisch, kajb etmisch, jog etmisch, bozmisch, sindirmisch – verschwunden, verdunstet, verloren, vernichtet, verwischt, verdaut!« antwortete er in seiner unbeschreiblichen Verblüffung.

»Aber Du mußt doch gemerkt haben, daß er zurückgeblieben ist!«

»Wie soll ich das merken? Hast denn Du es gemerkt? Ich werde sofort zurückeilen, um ihn zu holen!«

Er machte Miene, diesen Vorsatz auszuführen. Auf diese Weise hätte auch er sich vortheilhaft nach rückwärts zu concentriren vermocht.

»Halt!« sagte ich aber. »Du bleibst! Wir haben keine Zeit, diesen Ausreißer zu suchen oder zu warten, bis Du ihn gefunden hast!«

»Aber er soll doch mitreiten!«

»Das mache Du später mit ihm ab, wenn Du wieder in Edreneh bist! Jetzt folgst Du uns! Hadschi Halef Omar, habt, wenn ich fort bin, auf diesen Onbaschi ein wachsames Auge, damit er seine Pflicht erfülle!«

Jetzt ließ ich den Rapphengst laufen und konnte schon nach kurzer Zeit die Andern nicht mehr hinter mir erblicken.

In jener Gegend sind die Flecken nach bulgarischer Weise angelegt. Ein Bulgarendorf oder Celo liegt sehr oft von der Landstraße, oder was man mit diesem Namen zu bezeichnen beliebt, entfernt und folglich unsichtbar für die Mehrzahl der Reisenden. Gewöhnlich dehnt sich der Celo der Länge nach auf einer Prärie am Rande eines Baches aus, der ihm als Graben und natürliches Schutzmittel dient.

Jedes dieser Dörfer, die ziemlich eng auf einander folgen, zählt nur wenige Höfe, welche durch Grasplätze von einander getrennt sind. Sechs bis zehn Hütten bilden einen Hof. Diese Hütten werden entweder in die Erde gegraben und mit einem kegelförmigen Dache von Stroh oder Zweigen versehen, oder man errichtet sie aus Weidengeflecht, in welchem Falle sie das Aussehen von großen Körben besitzen. Jeder und Jedes hat seine abgesonderte Wohnung in diesen Höfen. Es gibt Hütten für die Menschen, für die Pferde, die Rinder, die Schweine, die Schafe und die Hühner. Diese Thiere verlassen beliebig ihre Wohnungen und wandern friedlich zwischen den Höfen umher.

Westeuropäische Chausseen giebt es nicht. Schon das Wort Straße sagt viel zu viel. Will man von einem Celo zum andern, so sucht man sogar meist vergebens nach der Verbindung, welche wir einen Pfad oder Weg zu nennen gewöhnt sind. Wer fremd ist und ein nicht ganz und gar nahes Ziel verfolgt, muß, falls er von dem Ochsenkarrengleis, welches hier als Straße gilt, abweichen will, den Instinkt des Zugvogels besitzen und ist doch schlimmer daran, als dieser, da der Vogel die Luft ungehindert nach jeder Richtung durchstreichen kann, dem Menschen sich hier aber hundert Hindernisse in den Weg legen.

Ich beging wirklich ein Wagniß, als ich von dem nach Adatschaly führenden Wege abwich. Ich wußte nur, daß Mastanlyziemlich genau in südwestlicher Richtung lag, und konnte mich auf unüberbrückte Bäche, unbequeme Thäler und waldige Strecken gefaßt machen.

Zwischen nicht sehr zahlreichen Feldern und Rosengärten und über sonnverbrannte Grasflächen hin gelangte ich an mehreren Dörfern vorüber, bis ich doch endlich das Bedürfniß fühlte, mich zurecht zu fragen.

Hinter einem urwüchsig aus Weidenruthen gezogenen Zaun sah ich einen alten Mann beschäftigt, Rosenblätter einzusammeln. Ich lenkte das Pferd an den Zaun und grüßte. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und erschrack, als er meine Stimme hörte. Ich ersah, daß er mit sich zu Rathe ging, ob er näher kommen oder sich hinter die Rosenbüsche zurückziehen solle, und beeilte mich daher, ihm durch einige Worte Vertrauen einzuflößen. Das wirkte wenigstens so weit, daß er langsam herbeigeschritten kam.

»Was willst Du?« fragte er.

Er musterte mich mit mißtrauischem Blick.

»Ich bin ein Dilendschi,« antworte ich. »Möchtest Du mir nicht eine Gul es Semawat schenken? Dein Garten ist voll dieser herrlichsten der Rosen.«

Da lächelte er mich freundlich an und sagte:

»Reitet ein Bettler solch ein Pferd? Ich habe Dich noch nie gesehen. Du bist fremd?«

»Ja.«

»Und Du liebst die Rosen?«

»Sehr.«

»Ein böser Mensch ist nicht ein Freund der Blumen. Du sollst die schönste meiner Himmelsrosen haben, halb Knospe und halb aufgeblüht; dann ist ihr Duft so süß und entzückend, als komme er direkt von Allah's Thron.«

Er schnitt mir nach längerer Wahl zwei der Blüthen ab und reichte sie mir über den Zaun herüber.

»Hier, Fremdling!« sagte er. »Einen einzigen Duft nur gibt es, welcher über denjenigen dieser Rose geht.«

»Welcher ist das?«

»Der Duft des Tütün dschebeli.«

»Kennst Du denn diesen Duft?«

»Nein; aber ich hörte davon sprechen und ihn rühmen als den herrlichsten der Wohlgerüche. Allah hat uns nicht erlaubt, ihn kennen zu lernen. Wir rauchen hier nur Tütün mysr bughdajy.«

»Hascha! Scheni! – Gott bewahre! Abscheulich!«

Er nickte mit dem Kopfe und erklärte:

»Ja, wir sind arm, sehr arm. Ich bin ein alter Rosenhüter und muß die Blätter des Maises in den Tabak schneiden.«

»Und doch ist Euer Rosenöl so theuer!«

»Sus ol – sei still! Wir wären wohl nicht so arm; aber die Babi humajun, die Babi humajun! Die steht stets offen für das, was hineinfließen soll. Die Paschas und Minister können wohl Dschebeli rauchen. Wenn ich ihn doch nur einmal riechen dürfte, nur riechen!«

»Hast Du denn eine Tabakspfeife?«

»O Allah! Ich werde doch wohl einen Tschibuk haben!«

»Nun, so komm einmal her!«

Ich nahm mein Bast-Etui aus der Satteltasche und öffnete es. Der Alte war so zutraulich gegen mich; ich mußte ihm eine Freude machen. Seine Augen waren mit Begierde auf das Etui gerichtet.

»Ein Dscheb tütünün!« sagte er. »Nicht wahr, es ist Tabak darin?«

»Ja. Du hast mir zwei Deiner köstlichen Rosen geschenkt; ich werde Dir dafür von meinem Tabak geben.«

»O Effendi, wie gütig Du bist!«

Ich hatte zwei oder drei Briefcouverts bei mir. Ich füllte eins davon mit Tabak und gab es ihm. Er hielt es an die Nase, roch daran, zog die Brauen hoch empor und sagte:

»Das ist kein Maistabak!«

»Nein, sondern es ist Dschebeli.«

»Dschebeli!« rief er aus. »Effendi, sagst Du mir auch die Wahrheit?«

»Ja. Ich täusche Dich nicht.«

»So bist Du nicht ein Effendi, sondern ein Pascha oder gar ein Nazyr. Nicht?«

»Nein, mein Freund. Der Dschebeli wird nicht nur an der hohen Pforte geraucht. Ich war da, wo er wächst.«

»Du Glücklicher! Aber ein hoher Herr bist Du doch!«

»Nein. Ich bin ein armer Müellif; aber die hohe Pforte hat mir doch ein wenig Dschebeli gelassen.«

»Und von dem Wenigen gibst Du mir! Allah offenbare Dir ein Jazyssy, für welches Dir Dein Basmadschy die Schätze Indien's bezahlt! Aus welchem Lande bist Du?«

»Aus Nemtsche memleketi.«

»Ist es das, welches wir auch Alemanja nennen?«

»Ja.«

»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen. Sind die Eurigen alle so gut, wie Du?«

»Ich hoffe, daß sie so sind, wie Du und ich.«

»Und was thust Du hier im Osmanly memleketi? Wo willst Du hin?«

»Nach Mastanly.«

»Da bist Du doch vom Wege ab. Du mußt nach Geren, um von da zunächst nach Derekiöj zu kommen.«

»Ich bin mit Absicht von diesem Wege abgewichen. Ich will in möglichst gerader Linie nach Mastanly reiten.«

»Das ist für einen Fremden schwer, sehr schwer.«

»Kannst Du mir nicht vielleicht den Weg beschreiben?«

»Ich werde es versuchen. Da blicke einmal gegen schenubi garb hinüber. Wo jetzt die Sonne auf die Höhen fällt, das sind die Berge von Mastanly. Nun weißt Du die Richtung. Du kommst durch viele Dörfer, auch durch Koschikawak. Dort mußt Du über den Burgasfluß, und dann liegt Mastanly grad im Westen. Deutlicher kann ich es Dir nicht sagen. Morgen Abend wirst Du dort sein.«

Das war spaßhaft. Ich fragte lächelnd:

»Du bist wohl kein Reiter?«

»Nein.«

»Nun, ich will heute auf alle Fälle bis Koschikawak kommen.«

»Unmöglich! Kannst Du hexen?«

»Nein; aber mein Pferd läuft wie der Wind.«

»Ich habe gehört, daß es so schnelle Pferde geben soll. Du willst also diese Nacht in Koschikawak bleiben?«

»Wahrscheinlich.«

»Das freut mich sehr. Du sollst nicht einen Chan aufsuchen, denn am Eingang des Ortes wohnt mein Bruder, Schimin, derDemirdschi, welcher Dich mit Freuden aufnehmen wird.«

Vielleicht konnte dieses Anerbieten mir von Nutzen sein. Darum antwortete ich:

»Ich danke Dir! Ich werde Deinen Bruder wenigstens im Vorüberreiten von Dir grüßen.«

»Nein, nicht so! Du mußt wirklich bei ihm bleiben. Du hast mir von Deinem – w'Allah! Welch ein Duft! Wie aus der Kaaba der heiligen Stadt Mekka!«

Er hatte nämlich, während wir sprachen, eine kurze Pfeife hervorgezogen und sie gestopft. Jetzt sog er den ersten Rauch durch das Rohr und brach dabei in den Ausruf des Entzückens aus.

»Mundet er Dir?« fragte ich.

»Munden? Munden? Er geht durch die Nase wie das Sonnenlicht durch die Röthe des Morgens. So schwebt die Seele des Gerechten in die sieben Himmel ein. Effendi, warte, ich werde Dir Etwas holen!«

Er schien nicht nur ent-, sondern verzückt zu sein. Er rannte, so schnell seine alten Beine es ihm erlaubten, davon, kam aber sehr bald wieder zwischen den Rosensträuchern zum Vorschein.

»Effendi, rathe einmal, was ich hier in meiner Hand halte!« sagte er, noch bevor er den Zaun erreicht hatte.

»Ich sehe nichts.«

»O, es ist klein, aber fast auch so viel werth wie Dein Dschebeli. Willst Du es sehen?«

»Zeige es mir!«

»Hier! Was ist es?«

Er hielt mir ein kleines, wohl verschlossenes Fläschchen entgegen und fragte abermals:

»Was ist in diesem Schischedschick? Sage es, Effendi!«

»Wird es wohl Gülab sein?«

Ich konnte ihm, dem armen Hüter, doch nur dieses zutrauen; er aber antwortete in gekränktem Tone:

»Gülab? O, Effendi, willst Du mich beleidigen? Gül jaghy ist es, ächtes Gül jaghy, so wie Du in Deinem Leben noch keins gesehen hast!«

»Von wem ist es?«

»Von wem? Von mir!«

»Du bist doch nur der Hüter dieses Gartens!«

»Ja, das bin ich, nur der Hüter; Du hast Recht. Aber mein Herr erlaubte mir, die eine Ecke des Gartens zu bepflanzen. Ich suchte mir die beste Sorte aus und habe gespart seit langer, langer Zeit. Zwei solche Fläschchen habe ich zusammengebracht. Das eine wollte ich heute verkaufen; man hat mich darum betrogen. Das andere ist Dein. Ich schenke es Dir.«

»Mann, was sagst Du?«

»Es ist Dein.«

»Höre einmal, wie ist Dein Name?«

»Jafiz heiße ich.«

»Nun, Jafiz, Du bist toll!«

»Warum?«

»Weil Du dieses Öl verschenken willst.«

»Öl? Öl? O, sage nicht dieses Wort! Zad und Chülasse ist's, aber kein gewöhnliches Öl. In diesem kleinen Fläschchen wohnen die Seelen von zehntausend Rosen. Willst Du es verschmähen, Effendi ?«

»Ich kann es nicht annehmen.«

»Warum nicht?«

»Du bist arm; ich darf Dich nicht berauben.«

»Wie kannst Du mich berauben, da ich es Dir ja schenke? Dein Dschebeli ist ebenso kostbar wie diese Essenz.«

Um nur eine Unze gutes Öl zu gewinnen, bedarf man sechshundert Pfund der besten Rosenblätter. Ich wußte das. Darum sagte ich:

»Und dennoch darf ich dieses Geschenk nicht annehmen.«

»Willst Du mich betrüben, Effendi?«

»Nein.«

»Oder beleidigen?«

»Auch nicht.«

»Nun, ich sage Dir: wenn Du es nicht annimmst, so schütte ich das Öl jetzt auf die Erde!«

Ich sah, daß es ihm Ernst war.

»Halt!« bat ich. »Du hast das Öl destillirt, um es zu verkaufen?«

»Ja.«

»Nun gut; ich kaufe es Dir ab.«

Er lächelte mich sehr überlegen an und fragte:

»Wie viel würdest Du mir bieten?«

Ich zog so viel, wie ich nach meinen Kräften zu geben vermochte, hervor und hielt es ihm hin.

»Das gebe ich Dir dafür.«

Er nahm es in die Hand, zählte und sagte, indem er unter einem bezeichnenden Lächeln den Kopf auf die Seite legte:

»Effendi, Deine Güte ist größer als Dein Beutel!«

»Darum bitte ich Dich, Dein Öl zu behalten. Du bist zu arm, um es mir zu schenken, und ich bin nicht reich genug, es zu kaufen.«

Er lachte und antwortete:

»Ich bin reich genug, es zu verschenken, denn ich habe Deinen Tabak, und Du bist arm genug, es von mir annehmen zu können. Hier hast Du das Geld zurück!«

Diese Freigebigkeit war zu groß, als daß ich sie hätte annehmen können. Ich konnte mir denken, daß das Sümmchen, welches ich ihm gegeben hatte, für ihn denn doch nicht ohne Werth sein werde. Ebenso sah ich, daß er das Fläschchen nicht wieder nehmen werde. Darum wies ich das Geld zurück, indem ich in bestimmtem Tone ihm erklärte:

»Wir beide wollen uns beschenken, ohne reich zu sein; darum ist es besser, wir behalten, was wir von einander bekommen haben. Wenn ich mein Watan glücklich erreiche, werde ich den schönen Frauen, die sich an dem Wohlgeruche Deines Öles erfreuen, von dem Rosengärtner Jafiz erzählen, welcher so freundlich gegen mich gewesen ist.«

Dies schien ihn zu erfreuen. Sein Auge begann zu glänzen. Er nickte mir befriedigt zu und fragte:

»Sind die Frauen Deines Landes Freundinnen der Wohlgerüche, Effendi?«

»Ja; sie lieben die Blumen, die ihre Schwestern sind.«

»Und hast Du noch lange Zeit zu reiten, ehe Du zu ihnen kommst?«

»Vielleicht noch wochenlang. Und dann, wenn ich vom Pferde steige, habe ich noch tagelang auf dem Gemi und auf derDemir jol zu fahren.«

»Das ist weit, sehr weit. Kommst Du da vielleicht in gefährliche Gegenden und zu bösen Leuten?«

»Das ist sehr möglich. Ich muß durch das Land derjenigen, die in die Berge gegangen sind.«

Er blickte erst sinnend vor sich nieder; dann musterte er mich aufmerksam und endlich sagte er:

»Effendi, des Menschen Angesicht ist wie die Oberfläche des Wassers. Das eine Wasser ist rein, hell und klar, und seinem leuchtenden Spiegel vertraut sich der Badende gern an. Das andere Wasser aber ist finster, dick und schmutzig; wer es erblickt, der ahnt Gefahr und geht eiligst vorüber. Das erstere gleicht dem Antlitz des guten und das zweite demjenigen des bösen Menschen, des Bösewichtes. Deine Seele ist freundlich und hell; Dein Auge ist klar, und in Deinem Herzen lauert weder Gefahr noch Verrath. Ich möchte Dir Etwas sagen, was ich sehr selten einem Bekannten mitgetheilt habe. Und Du bist doch ein Fremder.«

Diese Worte mußten mich erfreuen, obgleich ich keine Ahnung von der Natur seiner Mittheilung haben konnte. Ich antwortete:

»Deine Worte sind warm und sonnig wie die Strahlen, welche auf das Wasser fallen. Sprich weiter!«

»In welcher Richtung wirst Du von Mastanly aus reiten?«

»Nach Menlik zunächst. Dort aber wird es sich entscheiden, welche Richtung ich einschlage. Vielleicht muß ich nach Uskub und von da hinauf in die Berge von Kostendil.«

»Wullak – wehe Dir!« entfuhr es ihm.

»Hältst Du diesen Weg für schlimm?«

»Für sehr schlimm. Bist Du in Kostendil und willst an das Meer, so mußt Du über den Schar-Dagh nach Perserin, und da haben sich die Skipetars und Katschkyuler versteckt. Sie sind arm; sie haben nur ihre Waffen; sie müssen vom Raube leben. Sie werden Dir Alles, Alles nehmen, was Du hast, vielleicht sogar das Leben!«

»Ich werde mich zu vertheidigen wissen!«

Er schüttelte leise den Kopf und sagte:

»Bir gendsch kan war on bin küstachlück – ein junges Blut hat zehntausend Muth! Und Du bist noch jung. Du hast zwar viele Waffen bei Dir, aber was helfen sie gegen zehn oder zwanzig und gar fünfzig Feinde?«

»Mein Pferd ist schnell!«

»Ich bin kein At agnajan, doch sehe ich, daß Dein Rappe kein At erkek ketschi ist; aber diejenigen, welche in die Berge gehen, besitzen auch nur tschapuk hajwanlar. Sie werden Dich leicht einholen.«

»Mein Hengst ist von reinem Blute; er heißt Wind und läuft wie der Wind.«

»So werden Dich doch ihre Kugeln treffen, denn die Kugel fliegt schneller als das flinkeste Pferd. Die Skipetars sind Pferdekenner; sie werden sofort sehen, daß Dein Pferd den ihrigen überlegen ist, und Dich also nicht offen erwarten, sondern aus dem Hinterhalt auf Dich schießen. Wie willst Du Dich vor ihnen verwahren?«

»Durch Vorsicht.«

»Auch diese wird Dich nicht retten, denn das Sprichwort sagt: Sakinma dir kawl kabahatun. Du bist ein ehrlicher Mann; sie werden zehn Mal vorsichtiger sein als Du! Erlaube mir, daß ich Dich warne!«

»Steht diese Warnung vielleicht in Beziehung zu dem, was Du mir sagen wolltest?«

»Ja.«

»So bin ich sehr wißbegierig, es zu erfahren.«

»Nun, ich will Dir anvertrauen, daß es ein Kiaghad eminlikün gibt, welches die Freunde, Bekannten und Verbündeten der Unheimlichen besitzen.«

»Woher weißt Du das?«

»Das weiß hier Jedermann. Aber nur Wenige kennen die Art und Weise, wie es zu erlangen ist.«

»Und Du aber weißt es?«

»Nein. Ich bleibe in meinem Garten und mache niemals eine Reise. Aber Schimin, mein Bruder, ist ein Bildschi und auch ein Bildirdschi. Ich darf Dir das sagen, weil ich Dir vertraue, und weil Du dieses Land ja bald verlassen wirst.«

»So wäre es mir lieb, wenn er dasselbe Vertrauen zu mir hätte!«

»Er wird es haben, wenn ich Dich schicke.«

»Könntest Du mir nicht einige Zeilen an ihn geben?«

»Ich kann nicht schreiben. Aber zeige ihm Dein Rosenöl. Er kennt das Fläschchen ganz genau; er weiß, daß ich es an keinen Unwürdigen verkaufe oder verschenke. Und dann, wenn Du es ihm zeigest, so sage ihm, daß Dich sein Öje-kardaschoder sein Jary-kardasch sendet. Kein Mensch weiß, daß wir verschiedene Mütter hatten. Sende ich ihm eine vertrauliche Botschaft, so dient das Öje oder Jary stets als Zeichen, daß er dem Boten trauen kann.«

»Ich danke Dir! Du glaubst also, daß er mir Näheres über das Kiaghad eminlikün mittheilen werde?«

»Ich hoffe es. Es sind in dieser Gegend – –«

Er hielt inne und lauschte. Von weit hinten im Garten hatte sich ein lauter Pfiff hören lassen, welcher jetzt wiederholt wurde.

»Mein Herr ruft,« fuhr er fort. »Ich muß zu ihm. Hast Du Dir Alles gemerkt, was ich Dir gesagt habe?«

»Alles.«

»Nun, so vergiß es nicht unterwegs. Allah sei bei Dir und gebe Dir die Erlaubniß, den schönen Frauen Deines Vaterlandes die Düfte meines Gartens zu bringen!«

Noch ehe ich antworten konnte, hatte er sich von dem Zaune entfernt, und im nächsten Augenblick war das Geräusch seiner Schritte nicht mehr zu hören.

Konnte ich das Begegnen mit dem Gartenaufseher ein für mich glückliches nennen? Ein unglückliches jedenfalls nicht. Beruhte das, was er mir von dem Papiere der Sicherheit gesagt hatte, auf Wahrheit? Wie ein Lügner hatte er nicht ausgesehen. Auf alle Fälle war es gut, seinen Bruder aufzusuchen, dessen Schmiede höchst wahrscheinlich an dem Wege lag, den nicht nur meine Begleiter, sondern auch der Reiter, welchem ich die Richtung verlegen wollte, einschlagen mußten.

Ich ritt weiter. Mein Pferd hatte sich während des Gespräches verschnauft und konnte nun desto besser ausgreifen.

Wollte ich mich in gerader Linie halten, so mußte ich über Höhen hinweg, welche jedenfalls große Schwierigkeiten boten. Darum beschloß ich, mich lieber möglichst am Fuße derselben zu halten.

Von dem Plateau Tokatschyk kommend, sucht der Burgasfluß in ziemlich grad nördlicher Richtung die Arda zu gewinnen, welcher er bei Ada seine Wasser zuführt. An diesem kleinen Flusse liegt Koschikawak. Der stumpfe Winkel, welchen er mit der Arda bildet, schließt eine Niederung ein, welche nach Süden zu immer höher emporsteigt und dann in die Hochebene von Taschlyk übergeht. Diese Höhe wollte ich vermeiden.

Es gelang mir dies, obgleich ich die Gegend nicht kannte, keine eigentlichen Wege fand und mehrere Flüßchen, welche der Arda von links her zuströmten, überschreiten oder vielmehr durchschwimmen mußte.

Die Sonne hatte sich immer mehr gesenkt und war sodann hinter den fernen Bergen verschwunden. Ich konnte auf eine nur kurze Dämmerung rechnen und ließ den Rappen galoppiren, bis ich abermals an ein ziemlich breites Wasser kam und da bemerkte ich, daß unterhalb meines Haltortes eine Brücke über dasselbe führte.

Ich ritt zu ihr hin und fand eine Straße. Als ich über die Brücke gekommen war, fand ich – zum ersten Male in der Türkei einen Wegweiser. Er bestand aus einem Felsstück, welches aus der Erde ragte und auf das man mit Kalk zwei Worte geschrieben hatte.

Hätte ich die Bedeutung oder vielmehr den Zweck dieses Steines nicht errathen, so wäre ich von dem ersten der beiden Wörter »Kylawuz« eines Genauen unterrichtet worden, denn dieses Wort heißt eben Wegweiser.

Das andere Wort aber lautete >Dere Kiöj<. Daß dieses ein Dorf bedeute, das wußte ich; wo aber lag es? Der Wegweiser war da; das Wort stand auf demselben; aber leider war der Stein oben abgeplattet, und auf dieser horizontalen Abplattung standen die beiden Worte.

Grad aus führte das Ding, welches ich soeben Straße genannt habe, und nach rechts hin, dem Wasser entlang, führte ein eben solches Ding. Welches dieser beiden >Dinge< aber ging nach Dere Kiöj? Welchen Nutzen also brachte mir dieser >erste< Wegweiser?

Ich überlegte, daß der Wasserlauf, an welchem ich mich befand, der Burgas wohl nicht sein könne, und daß, folgte ich ihm, ich zu weit nördlich kommen würde. Daher beschloß ich, grad aus zu reiten.

Es wurde mittlerweile ganz dunkel. Ich sah gar nicht, ob mein Pferd das >Ding< noch unter den Hufen habe, wußte aber, daß ich mich auf meinen Rappen verlassen konnte.

So war ich wohl gegen eine halbe Stunde weiter getrabt, als das Pferd unter leisem Schnauben den Kopf auf und nieder bewegte.

Ich strengte meine Augen an und bemerkte rechts von mir einen breiten, dunklen Gegenstand, von welchem aus eine Erhöhung gegen den düsteren Himmel strebte. Es war ein Haus mit einem hohen Schornstein.

Sollte dies die gesuchte Schmiede sein? Dann befand ich mich ja ganz in der Nähe von Koschikawak, welches ich suchte.

Ich ritt näher an das Haus heran.

»Bana bak – hört!« rief ich.

Niemand antwortete.

»Sawul, alargha – holla, aufgeschaut!«

Es blieb ruhig. Auch bemerkte ich kein Licht. Sollte das Haus unbewohnt, vielleicht eine Ruine sein?

Ich stieg vom Pferde und führte es ganz an das Mauerwerk heran. Rih begann, wieder zu schnauben. Das kam mir verdächtig vor. Trotzdem er ein Araber war, hatte er doch von mir eine indianische Schulung erhalten. Wenn er in dieser Weise schnaubte, das heißt, wenn er durch die weit geöffneten und vorgestreckten Nüstern die Luft so prüfend einsog und dann in einzelnen, möglichst leisen Absätzen wieder ausstieß, dann war ganz sicher >Etwas nicht richtig im Staate Dänemark<.

Ich zog also die beiden Revolver hervor und begann, das Haus an seiner Außenseite zu untersuchen. Es war einstöckig und lang gestreckt. Die Thüre war verschlossen. Ich klopfte mehrere Male vergebens. Links von ihr fand ich drei ebenfalls verschlossene Fensterläden, in dieser Gegend eine Seltenheit. Rechts von ihr fand ich eine zweite, viel breitere Thüre, welche mit einem Hängschlosse versehen war. Daneben aber standen und lagen verschiedene landwirthschaftliche und andere Gegenstände, welche mir die Gewißheit gaben, daß das Haus eine Schmiede sei.

Ich ging weiter – um die Ecke hinum. Ich fand aufgehäuftes Holzwerk, welches jedenfalls zum Verbrennen bestimmt war. Hinter dem Hause gab es ein kleines Viereck, eingezäunt mit Pfählen, welche in die Erde gestampft waren, so wie man es in deutschen Dörfern für Schweine oder Gänse herzustellen pflegt. Das Viereck schien leer zu sein, denn es war nicht die mindeste Bewegung zu bemerken.

Und dennoch schnaufte grad hier mein Rappe weit mehr und ängstlicher als vorher. Er schien sich zu scheuen, ganz an die Umzäunung heran zu treten.

Ich will nicht sagen, daß dies mir geradezu verdächtig vorgekommen sei, aber es war mir doch eine Veranlassung, meine Vorsicht zu verdoppeln. Das Haus war verschlossen, also bewohnt. Sollte man aber eine Wohnung in solcher Gegend und des Nachts ohne alle Aufsicht lassen? Es war leicht möglich, daß hier wenigstens etwas Ungewöhnliches vorgekommen sei, und ich nahm mir vor, die Sache weiter zu untersuchen.

Da mir das Pferd dabei nur hinderlich war und es auch leicht in eine unvorhergesehene Gefahr kommen konnte, so mußte ich das werthvolle Thier sichern. Ich hatte zum Anhobbeln weder Pflock noch Lasso, weder Strick noch Riemen; darum ließ ich es mit den Vorderbeinen in die Zügel treten. Es war dadurch so gefesselt, daß es sich nicht weit entfernen konnte, selbst wenn es dies ganz gegen seine Gewohnheit hätte thun wollen. Und sollte es ja während meiner Abwesenheit in irgend einer Weise bedroht werden, so war ich überzeugt, daß es sich mit den Hinterhufen auf das Tapferste zur Wehre setzen werde.

Nun erst trat ich ganz an die Umpfählung heran und zog eines der Wachshölzchen hervor, von denen ich mir in einerBakkal-dükkiany in Edreneh einen kleinen Vorrath gekauft hatte. Ich brannte es an und leuchtete über die Umzäunung hinein.

Da lag ein Thier, riesig groß und lang und dicht behaart, grad wie ein Bär. Das Flämmchen erlosch; es war nun wieder dunkel. Welch ein Thier war das? War es lebendig oder todt? Ich nahm die Büchse herab und stieß es an. Es regte sich nicht. Ich stieß kräftiger, und dennoch blieb es unbeweglich. Das war nicht Schlaf, sondern Tod.

Ich stieg, da mir die Sache nun doch verdächtig vorkam, über die ungefähr vier Fuß hohen Pfähle, bückte mich nieder und befühlte das Thier. Es war kalt und steif, also todt. Das Fell war an mehreren Stellen klebrig. War das Blut?

Ich betastete den Körper. Ein Bär war es nicht, denn ich fühlte einen langen, zottigen Schwanz. Man sagt zwar, daß es auf den Höhen des Despodo-Dagh, Schar-Dagh, Kara-Dagh und Perin-Dagh noch vereinzelt Bären gebe. Ich will das nicht in Abrede stellen; aber wie sollte sich ein solcher grad hieher verlaufen haben, um in dieser Verzäunung zu verenden? Und wäre er in dieser Umgegend erlegt worden, so hätte man ihn gewiß nicht hier herein geworfen, ohne ihm vorher das Fell zu nehmen, ganz von dem sehr brauchbaren Fleisch abgesehen.

Um zu sehen, mit welcher Art von Thier ich es zu thun habe, fühlte ich nun nach den Ohren. Sapristi! Der Kopf des Thieres war zerschmettert, und zwar so, daß es eines sehr schweren Instrumentes bedurft hatte!

Ich brannte ein zweites Hölzchen an und sah nun, daß das erschlagene Thier ein allerdings wahrhaft riesiger Hund war, wie ich noch keinen gesehen hatte.

Wer hatte ihn erschlagen, und warum war dies geschehen? Der Besitzer des Thieres hatte es jedenfalls nicht gethan. Und ein Fremder, der so Etwas thut, kann dabei keine andere als nur eine böse Absicht verfolgen.

Ich begann zu ahnen, daß hier ein Verbrechen begangen worden sei. Zwar drängte sich mir die Frage auf, was das grad mich angehe, und warum grad ich mich in Gefahr begeben solle; aber ich hatte Grund, zu vermuthen, daß die Schmiede dem Bruder des Rosengärtners gehöre, und da fühlte ich denn doch die Verpflichtung, die Sache näher zu untersuchen.

Wenn ich dabei an Gefahr dachte, so geschah dies wohl mit vollem Recht. Die Thäter konnten sich ja noch im Hause befinden. Vielleicht verhielten sie sich ruhig, weil sie den Hufschlag meines Pferdes gehört und also meine Ankunft bemerkt hatten.

Wie aber an sie kommen? Sollte ich die Ankunft meiner Gefährten erwarten? Was konnte bis dahin im Innern des Hauses geschehen! Nein, ich mußte handeln.

Ich hatte die vierte Seite, die westliche Giebelseite des Hauses, noch nicht untersucht. Ich schlich mich leise hin und bemerkte dort zwei Läden; der eine war von innen befestigt, der andere aber – – ließ sich öffnen.

Ich überlegte.