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Wie bekommen schwer traumatisierte Menschen ihre inneren Verfolger und Täterintrojekte in den Griff? Das Praxishandbuch bietet eine Fülle von genau erklärten Interventionen zu diesem schwierigsten Part der Traumabehandlung. Es ermöglicht dem Therapeuten ein sicheres Arbeiten mit Persönlichkeitsteilen. Traumatisierte Patienten sind ihren inneren Stimmen meist schutzlos ausgeliefert. Der unbarmherzige innere Kritiker, der rastlose Verfolger oder der Täter im eigenen Kopf beeinträchtigen das Leben noch lange nach der Traumatisierung. Für Psychotherapeuten ist der Umgang mit diesen feindlichen Introjekten der schwierigste Part in einer Traumabehandlung. Im Rahmen seiner »Hypno-analytischen Teilearbeit« legt der Autor hier eine Fülle von ausführlich beschriebenen Interventionen vor, die eine allmähliche Integration der feindlichen Stimmen ermöglichen: - Wie man aus inneren Verfolgern eine Ressource macht - Therapiestrategien zum Täterintrojekt - Integration widersprüchlicher Persönlichkeitsteile - Ein Praxisbuch für die schwierigsten Phasen in der Psychotherapie. Das Buch wendet sich an: PsychotherapeutInnen aller Schulen Fachärzte für Psychotherapie TraumatherapeutInnen »Dem Autor ist es gelungen, ein präzise ausdifferenziertes Verständnis frühkindlicher Beziehungstraumen und ihrer Folgen vorzulegen. In Weiterentwicklung zentraler Konzepte von Luise Reddemann, Gunther Schmidt und anderen Kollegen stellt er darüber hinaus zahlreiche Methoden vor, um das Wirken der malignen Introjekte gemeinsam mit dem Patienten herauszuarbeiten und schließlich konstruktiv zu wandeln ... Dieses Buch ist eine wertvolle Anregung für alle Therapeuten - denn die angetroffenen Phänomene treten ja in allen praktischen Kontexten auf, unabhängig der schulenspezifisch dafür entwickelten Begrifflichkeiten und Verständnisebenen.« Vera Kattermann, Deutsches Ärzteblatt, Oktober 2013
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Seitenzahl: 288
Jochen Peichl
Innere Kritiker, Verfolgerund Zerstörer
Ein Praxishandbuch für die Arbeitmit Täterintrojekten
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Printausgabe: ISBN 978-3-608-89136-2
E-Book: ISBN 978-3-608-10414-1
PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20049-2
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Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.
Franz Kafka
Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.
R. M. Rilke
Das Daimonion (oder Dämonion) bezeichnet in der griechischen Antike einen persönlichen Schutzgeist, der Teil des Ichs ist. Es wacht über das dem Menschen vorherbestimmte Schicksal. Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, das Daimonion könne den Menschen von seiner Schicksalsbestimmung befreien. Das Daimonion wurde von Sokrates als eine innere Stimme von göttlichem Ursprung erklärt. Diese innere Stimme warnte ihn in entscheidenden Augenblicken und hielt ihn von der Ausführung einer gefährlichen Absicht ab. Er verstand es als eine Gegeninstanz zum Logos, die das erkennt, was der Vernunft verborgen bleibt, und vom Falschen abrät, jedoch zu nichts zurät. Sein Daimonion schätzte Sokrates so hoch ein, dass er ihm auch gegen seine rationale Einsicht gehorchte. Da er es auch über die Götter stellte, wurde ihm vorgeworfen, es als einen neuen Gott einführen zu wollen1.
Vermutlich hatten schon die Menschen vor Sokrates auf ihre inneren Stimmen gehört, hatten in ihnen die Mahnungen der Naturgottheiten oder Ahnen gesehen, waren ihnen gefolgt oder hatten sich ihnen verweigert. Diese inneren Dialoge kennen wir alle bis heute, diese freundliche mütterliche Stimme, die uns tröstet, dieses Gequassel der vielen Meinungen, wie Leben richtig geht, oder diese ewigen kritischen bis verurteilenden Töne. Über diese inneren Schlechtredner, Fehlerzähler, Besserwisser und Kritiker soll dieses Buch handeln, aber auch über deren XXL-Version: die Inneren Verfolger, Zerstörer und Täterintrojekte.
Die Metapher des Inneren Kritikers erinnert uns Psychotherapeuten an erster Stelle an die Gewissensinstanz, wie sie von Sigmund Freud in seinem Instanzenmodell mit »Es«, »Ich« und »Über-Ich« in der Schrift »Das Ich und das Es« (1923) erarbeitet wurde. Er bezeichnete damit jene Instanz der Psyche, in der unsere gelebten sozialen Normen, die Werte, der Gehorsam und das Gewissen, angesiedelt seien. Diese Inhalte werden durch »Verinnerlichung« gewonnen. D.h., das Kind übernimmt die ihm angebotenen Rollenbilder der Eltern (Eltern-Imagines) und bildet daraus eigene Wert- und Normenvorstellungen, die nach der Wendung nach innen ein Teil seiner Persönlichkeitsstruktur werden – die Außenwelt schlägt sich so in der Innenwelt nieder.
Diese sachliche und quasi-wissenschaftliche Beschreibung aus dem Fundus der Psychoanalyse kann man glauben oder auch nicht … es ist die eine Seite der Medaille – auf der anderen Seite ist unsere ganz persönliche Beziehung zu unseren »Inneren Kritikern« eine höchst emotionale und komplizierte und erinnert manchmal mehr an eine zerrüttete Ehe als an eine unterstützende, liebevolle Partnerschaft. Wir alle kennen diese »Innen-Teile« und verdanken ihnen die eine oder andere schlaflose Nacht und die Einzahlungen kleiner oder größerer Gewissens-Beträge auf unser Schuldgefühlskonto.
Mit dem Idiom des »Inneren Verfolgers« oder »Inneren Zerstörers« begeben wir uns dann auf inneres Feindesland. Die Vorstellung, etwas in uns habe eine feindselige, sadistische Qualität und sei hinter uns her wie der Teufel hinter der armen Seele, macht nicht gerade froh und erinnert an das Mittelalter und die Auffassung, psychisch Kranke seien vom Satan besessen – der jüdische Volksglaube glaubte an den Dubbuk (auch Dybuk oder Dybbuk genannt) – den bösen Geist, der in den Menschen fährt und sein irrationales Verhalten bewirkt. Und dennoch begegnen wir in der Psychotherapie immer wieder Menschen, vor allem Frauen, die in ihrer Innenwelt von Kräften und Anteilen erzählen, die in eine Art Bürgerkrieg verstrickt scheinen und um nichts Einfacheres als um die Frage kämpfen: »Was ist gut und was ist böse … was ist richtig und was ist falsch.«
Der Begriff des »Täterintrojektes« schließlich stammt aus dem Theoriekanon der modernen, multimodalen Traumatherapie. Er bezeichnet die Verinnerlichung (Internalisierung) des Peinigers in den psychischen Innenraum des Opfers und gilt uns heute als eine Art Überlebensmechanismus in einer Situation von absoluter Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Todesangst. Was im Moment oder in den langen, frühkindlichen Zeiten der Bedrohung überlebenswichtig war, scheint oftmals ein Eigenleben zu entwickeln und zu einer tyrannischen Inneninstanz im erwachsenen Menschen zu werden.
Über all diese Bewohner in unseren Köpfen soll dieses Buch handeln, ausgehend von einem Theorieverständnis, welches ich als hypnoanalytische Teiletheorie bezeichne und an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe (Peichl 2007, 2012). Dieses Buch ist die praktische Anwendung der hypno-analytischen Teilekonzepte auf das jede Therapie von Menschen mit traumaassoziierten Störungen massiv bestimmende Thema: der Umgang mit dem destruktiv Fremden im eigenen Selbst, der unfreiwilligen Verinnerlichung der Opfer-Täter-Beziehung. Dabei werde ich das Grundverständnis der psychoanalytischen Theorie nutzen, um in Kombination mit dem hypno-systemischen Denken von Gunther Schmidt und dem Ego-State-Ansatz von John und Helen Watkins die Möglichkeiten und Grenzen dieses Modells zu erkunden und daraus eine Praxiologie des therapeutischen Handelns abzuleiten.
Auch wenn Innerer Kritiker, Verfolger und Täterintrojekt thematisch und auch theoretisch nach meinem Verständnis zusammengehören, so drücken sie doch einen sehr unterschiedlichen Grund an Leiden und Verzweiflung aus, welche Patienten heimsuchen, die diesen inneren Stimmen schutzlos ausgesetzt sind. Wenn es in der Therapie gelingt, den sadistisch anmutenden Satz »Du bist ein Stück Dreck und verdienst Strafe« unserer oft schwer traumatisierten Patientinnen in eine halbwegs erträgliche Warnung vor Gefahr oder besser noch »Überlebenshilfe« zu verwandeln, ist viel geschafft. Manchmal müssen wir mit kleinen Schritten zufrieden sein. Aus diesem Grund versteckt sich im praktischen Teil des Buches auch keine universale »Kochanleitung« oder Zauberformel, mit der alle schwierigen Phasen in der Therapie von Patienten mit »Komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung« (K-PTBS), Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) und Dissoziativer Identitätsstörung (DIS) im Handstreich gelöst werden können. Es sind Vorschläge, die anzuwenden oft einer Ausbildung in Teiletherapie bedarf und die viel Geduld, Zeit und Kooperation bedürfen und einen Patienten, der zumindest über weite Strecken mithilfe einiger funktionaler Selbst-Anteile in dieser Seite der Welt einigermaßen zurechtkommen kann. Ob dieses Buch auch eine Hilfe für die KollegInnen ist, die Menschen mit der Erfahrung organisiert ritueller Gewalt behandeln, weiß ich nicht – vermute eher nein. Hier ist, wie Gaby Breitenbach (2011) schreibt, die Programmierung und Konditionierung der Gewaltopfer durch die Täter bewusst und heimtückisch an die automatisierten Handlungsoptionen des Stammhirns gekoppelt worden, um eine Parallelwelt zu schaffen, in der diese Frauen und Kinder besser für kommerzielle Zwecke (Pornoindustrie, Prostitution, Snuff-Videos usw.) ausgebeutet werden können. Die von mir in diesem Buch vorgelegten Thesen beziehen sich mehr auf den Mittelhirnbereich, das emotionale Gedächtnis und die Großhirnebene.
Für wen und warum habe ich dieses Buch eigentlich geschrieben? Für »wen« lässt sich leicht beantworten: für alle Kolleginnen und Kollegen, die in schwierigen Therapien mit traumatisierten Menschen um ein Stück Selbstachtung und Distanzierung vom Trauma ringen, und für alle, die diesen inneren Schlechtrednern, Verfolgern und Zerstörern schon selbst begegnet sind. Ich hoffe, dass ihnen dieses Praxishandbuch auf diesem Weg eine Orientierung bietet.
Und es ist für alle geschrieben, die sich nach meinem sehr theorielastigen Buch »Hypno-analytische Teilearbeit. Ego-State-Therapie mit inneren Selbst-Anteilen« (2012) immer wieder gefragt haben: »… und was heißt das für unsere alltägliche Praxis? Wie lässt sich das alles konkret in der Arbeit mit Patienten und Klienten umsetzen?«
Und »warum«? Weil es ein Teil des großen Themas »Selbstakzeptanz« ist, das uns alle gleichermaßen angeht. Mir fiel dazu eine Begebenheit ein, die sich vor fast genau drei Jahren zugetragen hat: Im Verlauf einer Sesshin – einer Periode intensiver Zen-Praxis – auf dem Benediktushof bei Würzburg las uns der Zen-Lehrer Cornelius von Collande das Märchen vom Dornröschen vor und fragte am Ende: »Und wer ist deine 13. Fee, die von dir nicht eingeladen ist und von der du in dir nichts wissen willst? Wie können wir es schaffen, das, was wir von uns und an uns nicht mögen und am liebsten loswerden wollen, anzunehmen? Wie können wir mit unserer 13. und 14. und 15. Fee uns regelmäßig zum Tee verabreden?« Achtsamkeit und radikale Akzeptanz sind zwei Begriffe, die viel miteinander zu tun haben, deshalb werde ich auf das Thema am Ende des Praxisteils ausführlicher eingehen.
Schon bei Freud wird in »Abriss der Psychoanalyse« (1940) zwischen der Innenwelt des Kindes und seiner Außenwelt unterschieden, um die Bildung des Über-Ichs als einer Instanz im Innenraum des psychischen Apparates zu erklären. Diese Zuschreibungen »innen« und »außen« sind rein deskriptiv zu verstehen und folgten der Idee, dass vor der Bildung des Über-Ichs die Objekte für das Kind ausschließlich in der Außenwelt existierten, aber durch Identifikation und Introjektion ins Ich aufgenommen wurden. Hier werden sie zu einer psychischen Instanz, die die Funktion fortführt, welche früher die reale Person der Außenwelt für das Kind hatte – diese Instanz ist nun im deskriptiven Sinn innerlich.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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