Irotas Satori - Nick Manley - E-Book

Irotas Satori E-Book

Nick Manley

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Beschreibung

Der Kryptologe Wagner wird während eines Kinobesuchs mit einem Getränk betäubt und auf eine tropische menschenleere Privat-Insel entführt. Dort soll er für den Visionär Snyder mit dem vom Körper isolierten Gehirn eines Physikers in Kontakt treten. Ehrgeiziges Ziel ist, in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern durch eine angestrebte Verbindung des Gehirns mit einem Rechner einen Super-Computer zu entwickeln. Wagner wird für die Dauer des Projekts von der Hostess Nathalie betreut, in die er sich verliebt. Auf Ausflügen mit ihr auf der Insel entdecken sie, dass auch genmanipulierte Pflanzen in einem Gewächshaus gezüchtet werden. Als riesige Chimären sich aus ihrer Gefangenschaft befreien können und sich gegen die Herrschaft der Menschen auflehnen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Nick Manley

Irotas Satori

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Das Erwachen

Selbst als ich schon wach war, ließ ich die Augen noch eine Weile geschlossen. Schon in diesen ersten Augenblicken fühlte ich mich ungewohnt ausgeruht und unternehmungslustig, wie nach einem erholsamen und tiefen Schlaf. Als ich dann langsam durch die halb geöffneten Lider blinzelte, erkannte ich die vertraute Umgebung um mein Bett. Ich sah meine Bücherregale, meinen riesigen Schreibtisch, der eigentlich aus einer drei Meter langen Bohle besteht, meinen Computer und meine Bücherstapel. Ich bin trotz meiner 40 Jahre noch Junggeselle und habe eigentlich kein Schlafzimmer, obwohl ich in meiner Wohnung über drei Zimmer verfüge. Ich ziehe es vor, in dem Raum, in dem ich lebe und arbeite, auch zu schlafen. Die übrigen Räume sind ähnlich eingerichtet, jedoch ohne Bett. Wenn ich tatsächlich einmal Besuch über Nacht habe, lege ich eine Matratze aus der Abstellkammer auf den Boden in einen der anderen Räume. Ich schloß also zufrieden wieder meine Augen, als mir dann doch Zweifel kamen, ob es sich tatsächlich um mein Zimmer handelte. An irgendeinem Gegenstand im Zimmer hatte mein Blick im Vorbeischweifen etwas Ungewohntes entdeckt und ich versuchte mit geschlossenen Augen mich zu erinnern, welcher Gegenstand es war. Ich öffnete meine Augen erneut, tatsächlich, bei dem Monitor handelte es sich um ein anderes Fabrikat! Der Raum, in dem ich lag, war offenkundig eine sorgfältige Nachbildung meines Arbeitszimmers. Ich entdeckte jetzt auch im Bücherregal einige Unregelmäßigkeiten, eine andere Farbzusammenstellung der Bücherrücken. Ich schloss wiederum die Augen und versuchte mich zu erinnern, wie ich den gestrigen Abend verbracht hatte, aber es wollte mir nicht richtig einfallen. Ich war ratlos, geradeso, als würde man von der Polizei gefragt, was man an dem Dienstag vor drei Wochen am Nachmittag gemacht habe. Ich drehte mich auf die Seite und versuchte in Ruhe zu überlegen. Ich war in einem Raum, der mir mein Zuhause vorgaukeln sollte. Aus einem offenen Nebenraum hörte ich hochhackige, weibliche Schritte und wenig später gerieten die dazugehörigen wohlgeformten Beine in mein Blickfeld. Die Beine blieben vor meinem Bett stehen, ich sah einen roten Rock, dann wandten sich die Knie mir zu und eine melodische Stimme mit einem Anflug von Ironie fragte:

„Wie hätten Sie die Eier gerne zum Frühstück? Nehmen Sie Kaffee oder Tee?"

Zu meiner Überraschung hörte ich mich völlig ruhig und gelassen antworten: „Spiegeleier, von beiden Seiten gebraten. Mit Speck. Und den Kaffee bitte stark!"

 

"Aye, aye, Sir!" antworteten die Knie und stöckelten aus meinem Blickfeld. Wenig später hörte ich das Klappern von Geschirr aus einem anderen Raum. Ich empfand die Situation zwar verwirrend, aber in keiner Weise bedrohlich und schwang weiterhin gutgelaunt meine Beine aus dem Bett. Zu meinen Füßen sah ich Pantoffeln, die meinen stark ähnelten. Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, meine Wohnung und mein Zuhause für mich zu kopieren, aber ohne mich jedoch täuschen zu wollen. Ich sollte mich vermutlich in dieser Umgebung nur wohl fühlen, das war gelungen. Ich schlüpfte in die Pantoffeln und ging aus dem Zimmer in einen Flur, an der Küche vorbei, aus der der appetitliche Geruch von gebratenem Speck und frisch aufgebrühtem Kaffee sich breitmachte. Am Ende des Flurs fand ich die Toilette und das Badezimmer. Ich wunderte mich nicht weiter, als ich dort beim Rasierzeug auch die Marke meiner Rasiercreme fand. Ich putzte mir die Zähne, rasierte mich und ging dann unter die Dusche. Der blaue Bademantel hatte meine Größe. Als ich dann in das Zimmer mit meinem Bett zurück ging, war mein Bett gemacht und auf der Bettdecke lag frisches Zeug für mich. Legere Freizeitkleidung wie ich sie liebte, jedoch alles ein wenig geschmackvoller und teurer als meine eigenen Sachen. Ich kleidete mich an, sogar an die Jogging-Schuhe hatten sie gedacht. Der Geruch der gebratenen Eier und des Specks war jetzt auch im Zimmer, ich drehte mich um, die Eigentümerin der wohlgeformten Beine war wiederum im Zimmer. Eine groß gewachsene, Frau um die Dreißig, mit braunem halblangem Haar. Sie trug eine blaue hochgeschlossenen Bluse, die geschmackvoll auf den roten Rock abgestimmt war. Ihre blauen Augen strahlten vor Schalk und Lebensfreude. Bei ihren lebhaften Kopfbewegungen schaukelten ihre silbernen Ohrringe hin und her. In den Winkeln ihres Mundes hockte sprungbereit ein Lächeln. Sie nickte zu dem Tisch am hinteren Fenster des Raumes. Wortlos ging ich voran, und setzte mich. Sie stellte den Teller mit den Eiern und dem Speck vor mich hin, goß mir ein Glas mit Orangensaft ein und wenig später eine Tasse Kaffee.

"Wenn Sie mit dem Frühstück fertig sind, wird Herr Snyder kommen und alles mit Ihnen besprechen. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit. Wenn Sie noch etwas wünschen, dann nehmen Sie die kleine Glocke neben dem Aschenbecher. Ich bin im Nebenraum."

Neben der kleinen Glocke sah ich eine Schachtel meiner Zigarettenmarke und ein Feuerzeug, das meinem ähnelte. Die junge Frau verließ das Zimmer und ich schaute ihr nach. Durch das geöffnete Fenster zu meiner rechten wehte milde, frische Luft herein, die den Duft von Blumen mitbrachte. Die Gardinen bewegten sich leicht. Ich blickte durch die Gardinen in die Kronen von Fächerpalmen, die sich leise im Wind wiegten. Aber wie gesagt, ich war an diesem Morgen schon beim Aufwachen bester Laune und stellte daher keine besorgten Fragen, sondern wandte mich mit Appetit meinem Frühstück zu. Um ehrlich zu sein, alles gefiel mir ausnehmend gut und in keiner Weise mit einem Morgen und einem Frühstück in meiner Wohnung zu vergleichen. Die Eier und der Speck schmeckten mir ausgezeichnet. Als ich nach einer Weile gesättigt den leeren Teller von mir schob, schenkte ich mir eine zweite Tasse Kaffee ein und griff nach den Zigaretten und zündete mir eine an. Mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung tat ich den ersten Zug, rückte meinen Stuhl zurecht, damit ich besser aus dem Fenster zu den Palmen schauen konnte. Es klopfte dezent an der Tür. Ich wandte den Kopf und sah in der offenstehenden Tür einen kurzbeinigen mittelgroßen, bis auf einen dunklen Kranz glatzköpfigen Mittfünfziger von korpulenter Statur. Die starken dunklen Augenbrauen waren gestutzt und seine Koteletten liefen fast bis zu den Kinnbacken hinunter als bemühten sie sich den Mangel an Haaren auf dem Kopf auszugleichen. Er trug einen schlichten blauen Anzug, ein knallgelbes Oberhemd und eine lebhafte rote Krawatte. Snyder vermittelte einen zupackenden und tatkräftigen Eindruck. Er lächelte mir gutmütig und aufmunternd zu.

„Gestatten, Snyder! Darf ich eintreten?"

Ich nickte: „Immer herein!"

Snyder kam in einem wiegenden, musikalischen Gang auf mich zu, der den guten Tänzer verriet, eine Eigenschaft, die ich schon öfters an fülligen Menschen beiderlei Geschlechts beobachtet und beneidet hatte.

„Wir werden uns gut verstehen, Wagner", strahlte er mich an, „das merke ich jetzt schon."

Er setzte sich mir gegenüber, schenkte mir Kaffee und dann sich auch eine Tasse ein. Er schaufelte die erforderlichen zwei Löffel Zucker in meine Tasse, goss einen Schuss Milch nach und rührte dann um, ehe er sich seinem Kaffee zuwandte.

„Sie sehen, ich bin mit Ihren Gewohnheiten vertraut." meinte er und holte aus Tasche seines Jacketts ein silbernes Zigarettenetui, entnahm ihm einen dünnen Zigarillo, entzündete ihn mit einem kostbar aussehenden Feuerzeug und schaute liebevoll dem ersten Rauch hinterher.

„Ich habe Sie vorgestern zu mir eingeladen. Allerdings, ohne Sie lange zu fragen, muss ich gestehen. Ich habe Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Das letzte, an das Sie sich erinnern sollten, müsste die Kinovorstellung gewesen sein. Sie hatten sich einen Becher Limonade mit in die Vorstellung genommen. Ich habe dafür gesorgt, dass der Inhalt Sie ein wenig schläfrig gemacht hat. Der Rest war ein Kinderspiel, zusammen haben wir am gleichen Abend noch Deutschland verlassen. Sie werden sicherlich schon festgestellt haben, dass wir im Süden sind!"

 

Wie zur Erklärung wandte er seinen Blick zum Fenster, wo sich die Palmen sachte wiegten. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Ich weiß, dass Sie ein tüchtiger Mann auf Ihrem Gebiet sind. Sie sind Sprachwissenschaftler. Sie beherrschen mehrere Sprachen. Sie sind ein Codierfachmann, der auf dem Computer Mitteilungen verschlüsseln und entschlüsseln kann. Sie sind Deutscher und stammen aus Norddeutschland."

Ich nickte stumm.

„Und Sie sind alleinstehend. Es wird sich keine Frau mit Kindern um Sie Sorgen machen!" Ich nickte wiederum, obwohl ich diesen Zustand bedauerlich fand. Ich musste unwillkürlich an Yvonne denken, die vor kurzem unsere Beziehung beendet hatte, da es ihr in drei Jahren nicht gelungen war, mich auf Grünkernbratlinge und Norweger-Pullover umzustellen. Sie hatte sich von ihrer besten Freundin die Tarot-Karten legen lassen. Beide waren zu dem Entschluss gekommen, dass es besser für Yvonne sei, sich von mir zu trennen. Eine Woche später sah ich sie Arm in Arm mit einem langmähnigen jungen Mann in roter Latzhose.

 

„Übrigens, Nathalie, so heißt die junge Dame, die Ihnen das Frühstück gebracht hat, wird Sie während Ihres Aufenthalts hier betreuen. Sie wird es Ihnen so angenehm wie möglich bei uns machen. Sie wird Tag und Nacht für Sie da sein. Ich selbst hoffe, dass Sie an Ihrer Arbeit hier Gefallen finden und anschließend freiwillig länger bleiben. Wenn Sie allerdings darauf bestehen, nach dem erfolgreichen Abschluss Ihrer Arbeit hier wieder gehen zu wollen, werde ich dem nichts in den Weg stellen und Sie werden in Ihre Heimatstadt zurückkehren. Allerdings unter völlig anderen finanziellen Voraussetzungen: Sie werden ein gemachter Mann sein!"

Ich drückte meine Zigarette aus und nippte an meinem Kaffee.

„Ich schlage vor, wir trinken jetzt unseren Kaffee aus, dann zeige ich Ihnen Ihre Arbeit. Ich bin sicher, anschließend werden Sie mir für meine Einladung dankbar sein."

Wir tranken schweigend unseren Kaffee aus, dann erhob Snyder sich und ich folgte ihm. Im Flur öffnete sich eine Zimmertür, Nathalie steckte den Kopf heraus, sie blickte mich schmunzelnd an: "Kann ich abräumen, mein Herr und Gebieter?" Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln, obwohl mir meine Lage ziemlich undurchsichtig war. Ganz im Gegensatz zu meinem doch sonst sehr überschaubaren langweiligen Leben. Der Flur mündete durch eine Tür in einen kleinen Vorraum mit einer Fahrstuhltür. Snyder öffnete mir einladend die Fahrstuhltür und drückte in der Kabine den untersten Knopf.

 

„So viel möchte ich Ihnen noch verraten. Sie befinden sich hier auf einer Privatinsel, weit ab vom Verkehr und Festland. Ich hoffe, dass Sie keine Dummheiten versuchen wollen. Wir müssen einige Zeit zusammen bleiben und sollten uns diese Zeit so angenehm wie möglich machen. Sie können auch gerne die Anlage verlassen und die Insel erkundigen. Nathalie wird Sie gerne begleiten und auch dafür sorgen, dass Sie zurück finden!"

 

Der Fahrstuhl fuhr langsam mehrere Geschosse nach unten. Snyder öffnete die Tür und wir betraten einen penibel sauberen Raum, der an ein Labor erinnerte. Wir durchschritten wiederum einen langen Flur, gingen an mehreren geschlossenen Türen vorbei und blieben dann vor der letzten Tür stehen.

„Legen Sie bitte Ihre Hand auf das Sichtfenster." Ich kam der Aufforderung nach und die Tür öffnete sich mit einem metallischen Klicken. „Sie sehen, ich habe von Anfang an Vertrauen zu Ihnen, alle Türen stehen für Sie offen!"

Snyder ging voran und beim Betreten des Raumes flammte Licht auf. Es war ein geräumiger rechteckiger und fensterloser Raum. An der rechten Stirnseite ging von Wand zu Wand ein etwa sechs Meter langer Tisch, auf dem mehrere Monitore mit Tastaturen standen. In der Mitte des Raumes standen drei Schränke von der Größe der Gefriertruhen in den Supermärkten. Für mich unschwer als leistungsstarke Computer der neuesten Generation zu erkennen. Snyder schaltete die ersten sechs Monitore an der Stirnwand an. Nach einer Weile zeigte der erste Monitor Ausschläge, die an ein Elektrodiagramm erinnerten. Die anderen fünf Monitore blieben dunkel bis auf den blinkenden Cursor.

„Na, ist Ihr Interesse geweckt?" wandte er sich mit einem Lächeln an mich. Ich konnte es nicht leugnen, ich war interessiert und gespannt. „Kommen Sie, jetzt kommt das wichtigste. Wahrscheinlich haben Sie schon eine ähnliche Anlage gesehen, aber nicht so leistungsstark, stimmt’s?" Er hatte recht, alles war hier vom feinsten.

Ich folgte ihm an die andere etwa zehn Meter entfernte Rückseite am Ende des Raums. Wir standen vor einer mit einem dunklen Tuch verhüllten Säule. Mit einer feierlichen Geste zog Snyder das Tuch beiseite und legte eine mannshohe gläserne Säule frei, in deren oberem Teil von der Größe eines Eimers in einem durchsichtigen Gelee ein walnussartiges Gebilde vom Umfang eines Handballs schwamm. Mir stockte der Atem. Ich erkannte auf Anhieb, dass es sich um ein Gehirn handelte, dessen Strang, der normalerweise in das Rückgrat übergeht, innerhalb des Gelees in einen Plastikstutzen führte. Die grafischen Darstellungen auf dem Monitor waren die elektrischen Wellen dieses Gehirns. Das Gehirn lebte isoliert in diesem Glaszylinder.

„Fragen Sie mich nicht nach den Einzelheiten, wie wir es geschafft haben." meinte Snyder. "Wir haben die besten und fortschrittlichsten Techniker und Mediziner geholt und keine Kosten gescheut. Es hat ein paar Jahre gedauert, aber wir haben es erreicht. Das Gehirn wird durch eine komplizierte Apparatur aus einem der Nebenräume mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Auch hier könnte ich keine detaillierten Fragen beantworten. Aber das Wesentlichste haben wir noch nicht erreicht. Dafür haben wir Sie geholt. Sie sollen entschlüsseln, was das Gehirn denkt!"

Ich stand da mit offenem Mund. Wissenschaftliches Staunen und Neugier mit gleichzeitigem Entsetzen überwältigten mich.

„Dieses Gehirn ist deutsch und ist in ihrer Heimatstadt geboren. Wir wissen nicht, ob es in Deutsch oder in Englisch denkt. Wir wissen nur, dass es beide Sprachen gleich perfekt beherrscht."

„Warum haben Sie das dem armen Kerl angetan?" fragte ich, wobei ich vom Gefühl davon ausging, dass es sich um das Gehirn eines Mannes handelte.

„Wir haben es auch schon anders versucht. Zu Anfang mit dem gesamten Körper. Sie können sich gut vorstellen, dass es nicht geklappt hat. Man kann keinen Menschen so lange festbinden und ruhig stellen, wie es die Verbindung an eine Maschine notwendig macht. Außerdem war der Körper unterhalb der Verbindung natürlich gelähmt. Es war eine Quälerei für beide Seiten. Dann haben wir es bis zum Hals versucht, mehrmals. Sämtliche Gehirne sind innerhalb kürzester Zeit verrückt geworden, sie sind regelrecht explodiert. Sie konnten ihre Situation erkennen und haben darüber den Verstand verloren. Dies ist der erste Versuch in dieser Art. Wir reden ja in der westlichen Welt von den fünf Sinnen. Diese haben wir ausgeblendet durch die Freilegung des Gehirns. In der indischen Philosophie spricht man jedoch von sechs Sinnen. Das Denken betrachtet man dort als eigenständigen sechsten Sinn. Was Sie auf dem Monitor sehen, sind die Aktivitäten dieses Denkens. Ihre Aufgabe wird es sein, es zu entschlüsseln und einen Kontakt und eine Verständigung herzustellen. Diese Informationen spielen wir dann in den Rechner ein und in Zusammenarbeit mit einem angeschlossenen Roboter eine Etage tiefer, wird dieser Rechner dann einen neuen Computer erstellen, der eine hardwaremäßige Kopie aus der Verbindung von Rechner und diesem Gehirn ist. Wir werden hier einen Traum der Menschheit verwirklichen. Es fehlt nur noch der letzte Schritt! Wie Sie sich denken können, haben wir es auch immer wieder alleine versucht, sind aber gescheitert."

Snyder ging wieder zu den Monitoren und ich folgte ihm. Er zeigte auf ein kleines Gerät neben dem ersten Monitor. „Auf dieses Gerät sind wir sehr stolz. Wir haben es kurzfristig entwickelt. Wir nennen es Wandler. Wie der Name schon sagt, kann man mit diesem Gerät die grafischen Darstellungen des Gehirns auf dem Monitor abspeichern, wieder in elektrische Impulse umwandeln und an das Gehirn zurückgeben. Wir stellen uns vor, dass Sie auf diese Art einen Kontakt und die Verständigung aufnehmen werden."

In einer plötzlich einsetzenden Erschöpfung setzte mich auf einen der Stühle und schlug die Hände vor das Gesicht.

„Nun, gut", meinte Snyder im beruhigenden Ton, „das ist vielleicht zu Anfang ein wenig viel für Sie. Ich hätte Sie vielleicht schonender darauf vorbereiten sollen. Aber Sie werden sich erholen, da bin ich sicher. Diese Chance ist einmalig für Sie. Sagen Sie mir, haben Sie nicht immer von solch einer Möglichkeit geträumt? Und welcher Wissenschaftler in den westlichen Labors hat diese Möglichkeit? Der Rest der Welt, der nicht kontrolliert wird, wer von denen hat diese technischen Möglichkeiten? Sie werden auf Dauer nicht richtig widerstehen können. Machen Sie heute einen Tag frei, gehen Sie mit Nathalie ein wenig spazieren. Lassen Sie sich von ihr die Insel zeigen. Morgen kommen Sie von alleine wieder, da bin ich mir sicher."

Snyder hatte recht. Er wußte es und ich wußte es auch. Ich nickte. Schneider legte wieder das Tuch um den Zylinder, schaltete die Monitore aus und öffnete die Tür. Ich ging vorweg und hinter mir schloß er mit einem Klicken die Tür.

„Wir lassen das Gehirn nicht immer denken. Alle paar Stunden führen wir ein leichtes Schlafmittel zu, damit es sich erholen kann."

„Und wer ist es?" hakte ich nach und war mir in dem Augenblick meiner Frage nicht mehr sicher, ob diese Formulierung noch richtig war. „War das Gehirn noch eine Person? Empfand es sich selbst noch als Person?“ dachte ich.

„Professor Dr. Hermann Wolff!"

„Der Wolff?!"

„Ja, der Wolff!!"

Wolff war der Leiter eines privaten physikalischen Instituts meiner Heimatstadt und war in den letzten Jahren mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Er war Ende Vierzig und ein unscheinbarer Mensch, den man auch für einen Lehrer halten konnte. Mir war nie ganz klar geworden, auf welchem Gebiert er forschte. Physik war nicht meine Richtung. Aber in Fachkreisen war er hoch angesehen. Dann war er vor einem viertel Jahr plötzlich über Nacht verschwunden. Ein Gerücht nach dem anderen machte die Runde, aber Wolff meldete sich nicht und war unauffindbar. Die Medien vergaßen ihn rasch und konzentrierten sich wieder auf die Fußballergebnisse. Im Institut und an der Universität war einige Zeit von einer geheimnisvollen, reichen Geliebten von Wolff die Rede, dann von einem großen Konzern, der seinen Sitz in Südamerika haben sollte. Das war das Letzte, was ich von Wolff gehört hatte.

 

Wir waren wieder am Fahrstuhl und Schneider drückte den Knopf zu meiner Wohnung im 2. Stock. Er ging wieder vorweg und nahm dann am Frühstückstisch Platz. Er war inzwischen abgeräumt, aber es stand drei Tassen bereit. Nathalie kam aus dem Nebenraum mit einer Kanne frischen Kaffees. Sie lächelte mich zielstrebig an und schenkte den Kaffee ein. Mit leicht zittrigen Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Nathalie rührte meinen Kaffee um und Snyder holte sich einen Zigarillo aus seinem Etui. Er war die Gelassenheit in Person.

„Unser Gast steht im Augenblick noch etwas unter Schock", wandte er sich an Nathalie. „Seien Sie doch bitte so lieb und zeigen Sie ihm das Anwesen und die Insel ein wenig. Und besorgen Sie ihm in der Küche sein Lieblingsgericht, damit er wieder auf die Füße kommt. Wir können keinen depressiven Wissenschaftler gebrauchen. Ich zähle auf Sie, Nathalie!"

Nathalie tätschelte tröstend meine Hand und lächelte mir zu.

Snyder drückte seinen Zigarillo aus und erhob sich.

„Wir sehen uns spätestens morgen Abend beim gemeinsamen Abendessen, das wir immer in der Halle gegen 20.00 Uhr einnehmen. Dann können Sie mich immer von Ihren Fortschritten oder Schwierigkeiten unterrichten. Wenn Sie mich zwischendurch sprechen wollen, benutzen Sie das gelbe Telefon neben ihrem Computer hier. Mein Name steht auf der Taste. Und morgen sieht die Welt wieder anders aus!" lächelte er mir zu, klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Dann ging er in seinem tänzelnden Schritt aus dem Zimmer hinaus den Flur entlang zum Fahrstuhl.

 

 

 

 

Die Insel

“Ich habe von Ihrer Arbeit hier zwar keine Ahnung, aber die Vorführung scheint Sie doch sehr mitgenommen zu haben", meinte Nathalie.

"Ja, schon. Ich war nicht darauf vorbereitet. Es ist auch eine andere Sache, wenn man sich mit Dingen theoretisch beschäftigt, darüber spekuliert und diskutiert. Und dann auf einen Schlag plötzlich mit der Verwirklichung konfrontiert wird. Aber ich denke, ich werde mich davon erholen. Ich würde mir gerne von Ihnen die Insel zeigen lassen. Und mein Lieblingsgericht sind Bratkartoffeln mit sauer eingelegten Fischen."

"Sehr ungewöhnlich für diese Gegend hier, vielleicht nehmen Sie heute mit etwas gängigerem vorlieb. Dann kann ich mich nebenbei darum bemühen, dass Sie Ihr Lieblingsgericht in den nächsten Tagen bekommen. Ist das recht so?"

Ich nickte. Ich trank meinen Kaffee aus.

"Können wir jetzt gehen", fragte Nathalie, "ich stelle eben nur das Geschirr in die Küche. Nehmen Sie die Sonnenbrille von Ihrem Schreibtisch mit und den Strohhut vom Kleiderständer im Flur.“

Ich holte mir die Brille vom Schreibtisch; die Gläser waren grün getönt wie ich es mag. Der Strohhut am Kleiderständer hatte meine Größe. Nathalie kam aus der Küche und wir gingen gemeinsam zum Fahrstuhl. Wir fuhren ins Erdgeschoß. Unten im Flur legte Nathalie ihre Hand auf ein Sichtfenster und eine Tür zu einem Saal öffnete sich.

"Könnte ich diese Tür auch öffnen?" fragte ich

"Ja, sicher! Wie Snyder schon richtig sagte, er kann keinen depressiven Wissenschaftler gebrauchen, es würde nichts bringen, Sie einzusperren und wie einen Gefangenen zu halten. Er rechnet sicher damit, dass Sie Ihre Arbeit bald so faszinieren wird und Sie freiwillig wie ein Wellensittich in den Käfig zurückfliegen werden. Auch ich bin zu Ihrer Unterstützung da, damit Sie sich nicht so einsam fühlen. Übrigens, möchten Sie, dass ich Sie auch in Ihrer Freizeit betreue? In Ihrer Wohnung gibt es ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett." Sie schaute mich dabei offen und gleichzeitig belustigt an.

Für einen Augenblick dachte ich Yvonne, die Grünkernbratlinge, die Tarot-Karten und den jungen Mann in der roten Latzhose an ihrer Seite: "Ja, ich denke schon. Wenn es Sie nicht zu viel Überwindung kostet."

"Keineswegs, ich finde Sie sehr sympathisch", meinte sie lachend, "dann werde ich heute Nachmittag einziehen?"

"Ja, das wäre sehr nett", versuchte ich möglichst sachlich zu bleiben. Nun, ich sah ja auch nicht gerade umwerfend aus: ein schlanker, etwas zu schlanker, großer Mittvierziger mit bereits lichten, ehemals blonden Haaren; im Umgang und in der Unterhaltung, wenn sie mein Fachgebiet verließ, reichlich linkisch. Brillenträger. Aber das war nicht der einzige Grund, warum ich Nathalies Angebot annahm. Ich würde mich hier ohne sie noch einsamer und verlorener fühlen als sonst und dankbar für die Zuwendung einer Frau sein. Sei es auch nur, dass sie mir den Kaffee kochte, mir das Essen servierte und mir nachts das Gefühl gab, nicht gefangen zu sein. Ich hatte Vertrauen zu ihr. Von Anfang an, ihr schelmischer Blick und ihre humorvolle Art hatten sie für mich eingenommen.

Nathalie ging voran. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Tisch für etwa 20 Personen, der sowohl als Konferenztisch als auch als Esstisch geeignet war. In der hinteren Ecke des Raumes gab es vor einem rustikalen Kamin eine Sitzecke mit gewaltigen Ledersesseln. Der Raum wirkte durch das Tageslicht, das durch die hohen Fenster einfiel, hell und freundlich. Eine Terrassentür stand offen und es wehte ein leichter Wind angenehm kühl. Nathalie ging voran durch die Terrassentür und ich folgte ihr. Wir traten in einen exotischen Park mit Palmen, Hartlaubgewächsen und farbenprächtigen Blumen.

"Sind wir vielleicht am Mittelmeer?" fragte ich Nathalie, die über die Steinplatten vorweg ging.

"Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, ich weiß es wirklich nicht. Diesen Auftrag habe ich ohne nähere Ortsangaben bekommen. Das ist bei meiner Tätigkeit nichts Außergewöhnliches. Ich werde so gut bezahlt, dass mich die näheren Umstände nicht großartig interessieren."

"Sie wissen also noch nicht einmal, in welchem Erdteil Sie sich jetzt aufhalten?"

"Nein! Ich weiß nur, dass ich in von London aus 12 Stunden mit Flugzeugen unterwegs war. Aber es gab Zwischenstopps und wir stiegen in eine Privatmaschine um. Von der Landschaft her könnten am Mittelmeer sein, aber auch vor der afrikanischen Küste. Oder in der Karibik. Wie gesagt, ich weiß es nicht! Und das stört mich nicht auch sonderlich"

 

Durch ein schmiedeeisernes Tor verließen wir den Garten. Nathalie ging weiterhin voraus, sie kannte sich aus. Sie wählte einen schmalen Trampelpfad, der an Palmen und Büschen mit lederartigen Blättern vorbei führte.

 

"Man hat wohl auch keine Möglichkeit, von hier wegzukommen?" fragte ich sie, als der Weg breit genug wurde, um nebeneinander zu gehen.

"Es sieht nicht so aus. Aber um ehrlich zu sein, ich habe mich damit auch nicht beschäftigt, ich bin hier, um meinen Job zu machen. Danach werde ich diesen Ort wieder verlassen."

Wir hatten jetzt die Steilküste erreicht und sie breitete die Arme aus: "Ach, ist das schön hier, diese wunderbare Seeluft!"