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Die sieben Erzählungen dieses Bandes, entstanden 1946 und 1947, bilden den Anfang von Lems schriftstellerischer Laufbahn: sie legen Zeugnis ab von Lems Suche nach ›seiner‹ Gattung, nach ›seinen‹ Themen. Die erstmals in deutscher Sprache vorliegenden Texte erzählen von Vernichtungsmaschinen verschiedenster Art, vom Einsatz atomarer Waffen, von tödlich wirkenden Bakterienzerstäubern, von Drogen, die feindliche Agenten zur Preisgabe ihrer Information zwingen.
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Seitenzahl: 287
Stanisław Lem wurde am 12. September 1921 im polnischen Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Übersetzer und freier Schriftsteller. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, verfaßte aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zur Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt zu den bekanntesten und meistübersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.
Die sieben Erzählungen dieses Bandes, entstanden 1946 und 1947, bilden den Anfang von Lems schriftstellerischer Laufbahn; sie legen Zeugnis ab von Lems Suche nach ›seiner‹ Gattung, nach ›seinen‹ Themen. Die erstmals in deutscher Sprache vorliegenden Texte erzählen von Vernichtungsmaschinen verschiedenster Art, vom Einsatz atomarer Waffen, von tödlich wirkenden Bakterienzerstäubern, von Drogen, die feindliche Agenten zur Preisgabe ihrer Information zwingen. Schon diese frühen, in Zeitschriften erschienenen Erzählungen sind geprägt von dem, was Lems späteres Werk in höchstem Maß auszeichnet: der kunstvollen Verbindung von wissenschaftlicher Kenntnis und erzählerischer Phantasie. Für den Leser von Lems Werk ist dieser Band eine Entdeckung, die ein Stück Lebensgeschichte Lems preisgibt.
Westfalenpost
Stanisław Lem
Irrläufer
Erzählungen
Mit einem Vorwortvon Stanisław Lem
Aus dem Polnischenvon Hanna Rottensteiner
Phantastische BibliothekBand 285
Suhrkamp
Redaktion und Beratung: Franz Rottensteiner
Originaltitel:
Orgód Ciemności; Obcy; Exodus; Czlowiek z Hiroshimy; D-Day; Miasto atomowe; Plan Anti-V
Umschlagfoto: Per-Andre Hoffmann
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© by Stanisław Lem 1946/1947
© der deutschsprachigen Übersetzung
Insel Verlag Frankfurt am Main 1989,für »Der Fremdling« © Insel Verlag Frankfurt am Main 1988
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Insel Verlags, Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
eISBN 978-3-518-74324-9
www.suhrkamp.de
Vorwort
Der Garten der Dunkelheit
Der Fremdling
Exodus
Unser Mann in Hiroshima
D-Day
Atomstadt
Plan Anti-V
Die Erzählungen dieses Bandes entstanden in den Jahren 1946 und 1947; sie sind nicht nur der Anfang meines schriftstellerischen Weges, sie zeigen auch das Umherirren zwischen den Gattungen, das für einen fünfundzwanzigjährigen Autor fast unvermeidlich ist. Denn ein solcher weiß noch nicht und kann es wohl auch nicht wissen, wo seine Schwächen und wo seine Stärken liegen. »Der Garten der Dunkelheit« und »Der Fremdling« entstanden zuerst und zeigen das hohe Ideal, das hier Pate stand: im Fall der ersten Erzählung wird es unmittelbar durch das Motto von Rilke erklärt. Ich liebte Rilke damals, und vierzig Jahre haben an meiner Bewunderung für diesen Dichter nichts geändert. Bis heute besitze ich seine Gedichtbände, herausgegeben 1942 in Leipzig, also im Trommelfeuer des Krieges.
Eine weitere Erzählung entstand unter der Einwirkung des Schocks der Lektüre von John Herseys »Hiroshima«. An diesen Text wird sich heute wohl kaum noch jemand erinnern. Die Redaktion des New Yorker entschloß sich seinerzeit, das gesamte für die nächste Ausgabe vorbereitete Material wegzuwerfen, als Hersey mit jener berühmten und erschreckenden Reportage aus Japan zurückkam. Sie zeigte, wie sich im Schicksal Einzelner, die die atomare Vernichtung überlebt hatten, diese Tragödie wie in den Scherben eines Spiegels widerspiegelte, denn auf andere Art und Weise kann der Mensch jenseits der Grenzen individuellen Erlebens zur Bedeutung der Worte »in einigen wenigen Augenblicken wurde eine ganze Stadt getötet« nicht vordringen.
Heute hätte ich nicht den Mut, eine Erzählung nach Motiven eines so entsetzlichen Kataklysmus zu schreiben; eher erstarrten mir die Hände. Doch dem Anfänger dünkt es in seiner noch ungebrochenen Naivität, er sei vom Schicksal auserwählt und könne auch zum Sänger einer Katastrophe werden, die mit nichts zuvor Gewesenem vergleichbar ist.
Die Motive der Entstehung literarischer Werke liegen gewöhnlich im dunkeln und sind nicht unbedingt edel und erhaben. Einige Erzählungen habe ich als armer Student der Medizin geschrieben, dem der Krieg Vaterstadt und Heim genommen hatte und der aus Lemberg hinaus einige hundert Kilometer westwärts getrieben wurde. Nur der Zwang zum Broterwerb trug zur Entstehung dieser jugendlichen Versuche bei. Es ist keine vorzügliche Literatur, nicht moralisch geprägt: es handelt sich um Spionagegeschichten mit leicht phantastischem Hintergrund (wie »Plan Anti-V«). Ich versuchte mich an solchen Texten, ohne die leiseste Ahnung zu haben, daß einer der narrativen Pfade versanden und aus einem anderen auf für mich unerklärliche Weise eine über vierzig Jahre währende schriftstellerische Laufbahn entstehen würde.
Außer diesen Erzählungen blieb nur »Der Marsmensch«, ein kleiner Roman, den ich während des Krieges allein zu meiner Erbauung schrieb, vielleicht, um den Krieg, das heißt den rings um mich herrschenden Völkermord im Generalgouvernement, für einige Stunden zu vergessen. An dieses primum iuvenilium erinnere ich mich deshalb, weil mir jetzt, im April 1988, diese von unbekannten Anhängern meiner Werke, illegal, »im Untergrund«, gedruckte Broschüre gezeigt wurde, die mich vor vollendete Tatsachen stellt. Ich erinnere mich an dieses Büchlein, weil ich es mit genau den gleichen Gefühlen las wie die Handvoll Erzählungen, denen diese Worte gelten. Ich las diese Dinge wie etwas völlig Fremdes, gänzlich Vergessenes, zum Teil überrascht von dieser Fremdheit, zum Teil verwundert, daß manche Handlungsfäden und Leitmotive, die in meinem gesamten Erzählen vielfach wiederkehren, schon in diesem bloßen Vorwort zu meiner Literatur und damit auch zu meinem Leben wie kleine, noch unentwickelte Keime erscheinen. Ich erwähne dies, weil sich in der Begegnung des siebenundsechzigjährigen Autors mit dem vierundzwanzigjährigen Studenten – in der vom Willen unabhängigen Wahl bestimmter Themen und Probleme – Grenzen zeigen, die zu überschreiten mir nicht gewährt war.
Ich weiß nicht, ob jeder Schriftsteller seine schöpferische Bestimmung schon von Anfang an in sich trägt, in der Jugend verschlossen, wie die Nuß in der Schale, die sich, wird sie eingepflanzt, zu einem großen Baum entwickeln kann und doch stets ein Nußbaum bleiben muß. Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist. In meinem Fall zumindest war es so, und das ist der Grund oder die Rechtfertigung, warum ich es wage, meine ersten schriftstellerischen Versuche der Druckmaschine des Verlags auszuliefern. Die Stimme war noch nicht ausgebildet, der Stil unsicher, das Schreiben ungelenk, aber etwas in diesen Erzählungen scheint darauf hinzuweisen, daß man das Schreiben lernt, wie das Kind das Gehen: das, was sein wird oder was sich vollziehen kann, ist gleichsam mit dem ganzen Inventar potentieller Fertigkeiten von oben gegeben, im Guten wie im Schlechten, im Kitschigen, Billigen und im irgendwie Wertvollen, und deshalb kann mit dem lateinischen Dichter gesagt werden: »Hoc erat in votis.« In diesem Satz sehe ich die eigentliche Rechtfertigung für dieses! Buch. Mag sein, daß ich einer sentimentalen Illusion anhänge, wenn das einzige, um das ich den Autor der Irrläufer beneiden kann, seine Jugend ist.
Wien, im April 1988
Stanisław Lem
Ich habe keine Geliebte, kein Haus,keine Stelle, auf der ich lebe.Alle Dinge, an die ich mich gebe,werden reich und geben mich aus.
Rainer Maria Rilke, »Der Dichter«
Die letzten Septembertage waren blau, doch mit einem grünen Schattenstreifen, gleichsam in eine Glaskugel eingeschmolzen, die die Sonne klein erscheinen ließ. Die dunklen Nächte zogen lange vor Sonnenaufgang in silbernem Schimmer daher und verteilten ihn bis in die kleinsten Winkel des Parks. Die Georginen schlummerten noch in ihren Beeten. Die Luft brach das Licht in immer dunklere Tönungen; die Bäume, eingetaucht in rotes und braunes Gold, richteten sich höher auf als bisher, ohne dem Lauf der Zeit trotzen zu können. Unsichtbare Insekten zeichneten lange Silberfäden in die Luft. Raupen nagten fieberhaft an den letzten grünen Trieben. Blätter flatterten auf den Zweigen wie zerfetzte Segel. Sie rissen sich los und wurden vom Wind verweht: große verschreckte Falter, die auf breiten Flügeln voll geheimnisvoller Augen schwebten, in Wirbeln getrübter Luft durch die dunklen Alleen rasten und zu Boden stürzten. Kein Gras war zu sehen, nur ein eiliges Geräusch war zu hören, ein leises Rascheln, eine kaum wahrnehmbare Bewegung in den Laubhäufchen, die mit zarten Zeichnungen geädert waren. Aus der schwülen Dunkelheit krabbelten grauglänzende Käfer, die mechanisch die Beine bewegten und alles, was verdorrt, vergilbt und abgestorben war, sammelten, die sich im Untergrund der wachsenden Teppiche verbargen, verirrt in den Korridoren ihrer eiligen Wanderung, die die Blätter in eine unbelebte Erschütterung versetzte. Dann tauchte die Sonne in immer dichtere Luftmassen ein, funkelnd, wie hinter einer dicken Eisschicht, bis sie im Violett erstarrte. Die Dämmerung ist ein ganz besonderer Augenblick, in dem sich die zwischenmenschliche Welt zu spalten beginnt. Die bisher zusammengehörenden Gegenstände und deren Schatten trennen sich, einzeln verfolgt von jedem Augenpaar. Der Horizont, der der Perspektive entschlüpft, die ihn in einem unsichtbaren Gefüge umklammert, verschwindet, und die nahe Umgebung wird frei, vervielfältigt sich und verwandelt und verändert das einheitliche Panorama des Tages in einen Reigen sich durchdringender Bilder. Die Dunkelheit ist nicht die einzige Urheberin dieser Verwandlung: sie treibt nur Keile in die Ritzen der starren Architektur, verteilt die Blicke mit einem Pinsel Sepia, verschiebt die Kulissen so lange, bis der Himmel sich in einzelne Kuppeln spaltet, die so zum Menschen gehören wie das Schneckengehäuse zur Gartenschnecke.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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