Isola Lucretia
Michael Pick
Copyright © 2020 Michael Pick
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[email protected]Das Laternenlicht auf der Via del Pellegrino war in dichten Nebel gehüllt. Sirius Savic schlug den Kragen seines Mantels hoch und hämmerte ein zweites Mal gegen das schwarzlackierte Gitterportal am St.-Anna-Tor. Endlich steckte ein Schweizer Leibgardist sein rundes, übermüdetes Gesicht durch eine der Zinnen.
»Sirius Savic, MSP.«
Der Ermittler schlug die linke Seite seines Mantels zurück, in dessen Innenrevers seine silberne Dienstmarke in Form des Weltglobus’ befestigt war.
Der Wachposten musterte ihn unbeeindruckt. Die aufkommende Dämmerung liftete die Schatten der Nacht über der Straße.
»Besser, Sie verschwinden schleunigst.«
Das Esperanto des Gardisten war stark akzentuiert; Sirius tippte auf eine deutsche Muttersprache.
»Ein ausgezeichneter Rat.«
Der Ermittler tastete die Taschen seines Mantels ab, als suche er etwas.
»Bedauerlicherweise hat ein gewisser …« Sirius schien gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte und zerrte ein nachlässig gefaltetes Papier hervor. Er blätterte es umständlich auseinander, wanderte mit den Augen darüber, bis er den gesuchten Passus gefunden hatte.
»… Kanzler Valgregor … ist Ihnen der Name ein Begriff?«
Der Wachposten verengte die Augenlider zu Schlitzen. Misstrauen war die vorderste Eigenschaft eines Ermittlers. Bezeichnend, dachte Sirius, und fand es unbequem, sich fragen zu müssen, wo sein eigenes Misstrauen war.
»Hier«, er wedelte mit dem Papier in der Hand, »besser, Sie lesen es selbst.«
Ohne den Blick von Sirius zu wenden, nahm der Gardist den Brief. Sirius grub derweil die Hände in die Manteltaschen. An den Rändern der Via del Pellegrino liefen hellgrüne Pipelines wie eine Reihe dicker Raupen. Der Vatikan besaß eine eigene Dampfversorgung. Sie gehörte zu einem System von Selbstversorgungseinrichtungen, denen die Vatikanstadt ihre Selbstständigkeit verdankte.
Der Schweizer Leibgardist verschwand, wahrscheinlich, um seinen Vorgesetzten zu informieren. Im Abstand von zehn Metern befanden sich Druckventile an den Pipelines; zu jedem Haus zweigte ein Versorgungsrohr ab.
»Sie können passieren, Savic.«
Der Gardist war zurück. Drei weitere Soldaten der Vatikanarmee besetzten die inneren Zinnen und den Einlass. Sirius vernahm das Klicken von Ventilen, das Rauschen von Dampf, als er die Leitungen füllte, die Kraft, die er sammelte, um endlich herausgelassen zu werden. Am oberen Ende des Tores regulierten drei Drehventile die Geschwindigkeit, mit der der gusseiserne Einlass im St.-Anna-Portal geöffnet wurde.
Doch noch durfte Sirius die Vatikanstadt nicht betreten. Vier Gardisten schlüpften durch die halb offene Pforte und sicherten die Umgebung. Ein Unteroffizier folgte ihnen, spuckte geflissentlich vor Sirius auf den Gehsteig und musterte den Ermittler von oben bis unten.
»Nehmen Sie die Arme hoch.«
Die kleinen, runden Augen des Unteroffiziers flackerten vor Unruhe, während er andererseits bemüht war, sachliche Routine auszustrahlen. Sirius fragte sich, ob er an seiner Stelle genauso reagieren würde. Langsam, mit der linken Hand, zog Sirius seine Dienstwaffe, eine Kirilenko 13, ließ das Magazin aufschnappen und hielt den leeren Lauf in das Laternenlicht. Zwischen zwei Fingern empfing der Unteroffizier die Waffe und verstaute sie zusammen mit dem Magazin in einem durchsichtigen Beutel, wie sie Sirius zur Beweissicherung kannte.
Kurze Zeit später betrat der Ermittler zum ersten Mal in seinem Leben die Vatikanstadt.
Vom St.-Anna-Tor nehmen zwei Hauptstraßen ihren Ursprung. Der Via del Pellegrino obliegt es, den südlichen Teil der Vatikanstadt zu erschließen, während die Via di Belvedere durch den Norden und Westen der Enklave führt.
Der Unteroffizier und vier Leibgardisten geleiteten Sirius. Genauso gut hätte er ihr Gefangener sein können. Auch an den Ufern der Via di Belvedere liefen grüne Dampfpipelines.
Unmittelbar hinter dem Rohrsystem stießen gewaltige Steinquader aus dem Boden, die die Fundamente noch großartigerer Gebäude bildeten. Wie das Bett eines Flusses, der sich im Laufe der Evolution einen Weg durch die Granitblöcke gefressen hatte, schlängelte sich die Straße an Kirchen, der Banco di Vaticano, einigen kasernenartigen Unterkünften und anderen Gebäuden vorbei und lief zielstrebig auf einen Palazzo zu, zu dessen Eingang breite Marmortreppen führten.
»Palazzo del Cancelliere«, schnorrte der Unteroffizier.
Die rechte Flanke seines Schnurrbartes zitterte, während die aufgehende Sonne Sirius’ Rücken wärmte.
»Worauf warten wir noch?«, rief er dem Schnurrbärtigen zu.
---ENDE DER LESEPROBE---