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Jahrhundertelang wurde das jüdische Volk im sogenannten „christlichen“ Europa diffamiert, verfolgt und beinahe ausgerottet. Von Golgatha bis in die Gegenwart zieht sich eine Blutspur der Vernichtung im Zeichen des Kreuzes. Der Autor deckt die Hintergründe für den weltweiten Hass gegen die Juden auf und beschreibt ihren beispiellosen Leidensweg in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er widerlegt jahrtausendealte theologische Klischees und gesellschaftliche Vorurteile und bietet konkrete Hilfen für den Kampf gegen den Antisemitismus und seine „modernen“ Spielarten. May will nicht anklagen, sondern für die Versöhnung zwischen Christen und Juden, zwischen nichtjüdischen Völkern und Israel werben. Engagiert tritt er für ein besseres Verständnis der einzigartigen Rolle des jüdischen Volkes in der biblischen Heilsgeschichte ein.
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Seitenzahl: 406
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Israel zwischen Blut und Tränen
Der Leidensweg des jüdischen Volkes
Fritz May
© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe
Autor: Fritz May
Cover: Caspar Kaufmann
ISBN: 978-3-95893-039-1
Verlags-Seite: www.folgenverlag.de
Kontakt: [email protected]
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Das eBook Israel zwischen Blut und Tränen ist als Buch erstmals 1987 erschienen. Statistiken und zeitabhängige Angaben beziehen sich daher auf diese Zeit.
Dr. h.c. Fritz May, Pastor und Publizist, ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft CHRISTEN FÜR ISRAEL.
Gott spricht:»Ich habe dich auserwählt im Feuer der Leiden!« (Jesaja 48,10)»In deinem Blute sollst du leben!«(Hesekiel 16,6)
Titelblatt
Impressum
Autorenvorstellung
Widmung
Vorwort
Teil I Einführung in die Thematik und Überblick
1. 2000 Jahre Judenverfolgung – und immer noch kein Ende!
2. Der Antisemitismus – gestern und heute
Teil II Von der Kreuzigung auf Golgatha bis zur Vernichtung in Auschwitz
1. Die jüdische Via Dolorosa beginnt mit Golgatha
2. Die Kinder Israels werden geistlich enterbt
3. Das »Christliche Abendland« führt Krieg gegen die »Mörder des Herrn«
4. Luthers Antisemitismus
5. Die Juden Europas zwischen Anerkennung und erneuter Diskriminierung
6. Hitler erklärt die Juden zum »Weltfeind Nr. 1«
7. In der Hölle der Leiden
8. Die Schuld der Christen am Holocaust
9. Von der »freien Welt« im Stich gelassen
Teil III Von der Vernichtung in Auschwitz bis zum apokalyptischen Krieg um Jerusalem
1. Auschwitz darf nicht vergessen werden
2. Von der Kollektivschuld zur Kollektivverantwortung
3. Christen bekennen sich zur »deutschen Sünde«
4. Wie das Volk Israel seine Leiden bewältigt
5. Antizionismus – die neue Waffe gegen den Lebenswillen Israels
6. Der fanatische Hass der Araber gegen Israel
7. Sowjetischer Antisemitismus und Antizionismus
8. Die Vereinten Nationen verteufeln den jüdischen Staat
9. Europas Juden haben wieder Angst
10. Antisemitismus in Deutschland heute
11. Die juden- und israelfeindliche Haltung des Vatikans und des Ökumenischen Rats der Kirchen
12. »Christen« gegen Israel
13. »Weltärgernis Jerusalem«
14. Der kommende apokalyptische Krieg gegen die Nation Gottes
Teil IV Fragen – Ergebnisse – Ausblicke
1. Warum ist die ganze Welt gegen die Nation Gottes?
2. Warum muss das jüdische Volk so viel leiden?
3. Wer Israel verflucht – wird verflucht!
4. Wer Israel segnet – wird gesegnet!
5. Aufruf zu einem Buß- und Bettag für Christen!
6. Kampf gegen Antisemitismus und Antiisraelismus
7. Israel ist unvergänglich
Unsere Empfehlungen
Kein Volk auf der Welt war in den vergangenen 2000 Jahren so unbeliebt, wurde von vielen Menschen so gehasst und hat darunter so furchtbar gelitten wie das jüdische Volk. Auch heute gibt es kein Volk, das so geschmäht wird wie das jüdische Volk, keinen Menschen, dem man mit soviel Vorurteil und Abneigung begegnet wie einem Juden, keinen Staat, der so verteufelt wird wie der Staat Israel. Und viele Anzeichen deuten darauf hin, dass die Juden auch in Zukunft durch eine Hölle von Hass und unvorstellbaren Leiden hindurch müssen.
Die jüdische Geschichte ist eine Tragödie ohne Beispiel. Sie rüttelt zunehmend am Gewissen der Welt. Sie rüttelt am Gewissen jedes Menschen, ob er Deutscher, Österreicher, Schweizer oder Angehöriger einer anderen Nation ist. Vor allem aber rüttelt sie am Gewissen der Christen und der christlichen Kirchen. Sie mahnt uns, aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.
Es ist deshalb längst an der Zeit, dass sich Alte und Junge zur Aufgabe machen, was einst Mose den Israeliten am Ende ihrer 40jährigen Wüstenwanderung als Mahnung und Verpflichtung hinterließ:
»Denkt an die Tage der Vergangenheit, fragt eure Väter, wie es früher war, und lernt aus der Geschichte« (5. Mose 32,7).
Dieses Buch will dazu einen wichtigen Beitrag leisten! Es berichtet und kommentiert aus der Sicht eines Christen, wie das jüdische Volk im sogenannten »christlichen Europa« diffamiert, verfolgt und vernichtet wurde. Es informiert, wie dieses Volk auch heute unter einem weltweiten Antisemitismus und Antizionismus leidet. Und es beschreibt den Ablauf des letzten Krieges der Menschheit gegen Jerusalem vor dem Hintergrund der biblischen Prophetie.
Dabei wird die Schuld der Christen und der Kirchen, der Päpste und der Reformatoren, des Vatikans und des Weltkirchenrats am Leidensweg Israels ebenso wenig verschwiegen wie die Schuld der Deutschen und der Briten, der Sowjetunion und der arabischen Staaten, der Vereinten Nationen und der Dritten Welt. Doch dies geschieht nicht, um anzuklagen, sondern um für die Versöhnung zwischen Christen und Juden, zwischen nichtjüdischen Völkern und Israel zu werben.
Gleichzeitig werden die Hintergründe für den weltweiten anti-jüdischen Hass und die Leiden der Kinder Israels aufgezeigt, jahrtausendealte theologische Klischees und gesellschaftliche Vorurteile gegen die Juden widerlegt und konkrete Hilfen für den Kampf gegen den Antisemitismus und seine modernen »Spielarten« gegeben.
Das Buch wird viele Leser schockieren und zutiefst betroffen machen, aber auch aufrütteln. Vor allem aber wird es unter Christen und Juden neue Zuversicht und Hoffnung wecken, weil die jüdische Nation nach dem erklärten Willen Gottes trotz aller Schmerzen und Leiden unsterblich ist und eine großartige Zukunft hat.
Fritz May
Hinweis:
Die Bibelzitate wurden aus dem hebräischen und griechischen Grundtext zum besseren Verständnis in die Sprache unserer Zeit übertragen. Es wird empfohlen, Bibeltexte, deren Stelle nur genannt und nicht zitiert wird, zur eigenen Verdeutlichung und Vertiefung nachzulesen.
Ein einzigartiger Leidensweg unter Blut und Tränen
Kein Volk hat jemals so viel gelitten wie das jüdische Volk. Seine Geschichte der letzten zwei Jahrtausende ist ein erschütternder Beweis dafür.
Wenn man den einzigartigen und grauenvollen Leidensweg der Kinder Israels zurückverfolgt, dann war es ein Leidensweg voller Angst und Verzweiflung, unvorstellbarer Schmach und Schande. Es war ein Leidensweg unter Blut und Tränen.
Aus ihrer Heimat vertrieben, wurden die Nachkommen Abrahams und die Erben vom Sinai überall auf der Welt erbarmungslos diskriminiert, geächtet, verstoßen, gequält und geschunden. Als religiöse Minderheit und als »minderwertige Rasse« stießen sie überall auf entschiedene Ablehnung. In welche Länder »Gottes liebste Kinder« auch kamen, unter welchen Völkern sie auch lebten, überall und von allen wurden sie verspottet und verachtet. Nirgendwo wurden sie gern gesehen. Nirgendwo fanden sie eine dauerhafte Bleibe, geschweige denn ein sicheres Zuhause, eine wirkliche Heimat. Wo immer sie sich auch befanden, schwebten sie meist in Lebensgefahr und mussten um ihr Leben bangen.
Von den »Ackerleuten« auf den »Feldern der Welt« (Psalm 129,1-3) – ob sie nun Christen, Nationalsozialisten oder Kommunisten waren – wurden auf Millionen jüdischer Rücken von Kindesbeinen an blutige Furchen gezogen und unauslöschliche Spuren hinterlassen.
Zu Zehntausenden, zu Hunderttausenden, zu Millionen wurden jüdische Männer, Frauen und Kinder durch Feuer und Wasser, Äxte und Schwerter, Mühlsteine und Maschinengewehre, Galgen und Gasöfen verbrannt und vergast, erhängt und erschossen, ertränkt und gevierteilt. Nur weil sie Juden waren!
Vom Ebro bis zur Wolga, von der Themse bis zum Tiber – in allen Strömen Europas floss jüdisches Blut. Das Blut der Nach-kommen all derjenigen Juden, deren Blutsverwandter Jesus war.
Es war das Blut all der Juden, für die der Jude Jesus sein Blut am Kreuz von Golgatha auch vergossen hatte.
Es ist unmöglich, alle Schikanen, Menschenrechtsverletzungen, Torturen, Gräuel und Massenmorde auch nur andeutungsweise zu erwähnen, denen jüdische Menschen hauptsächlich im »Christlichen Abendland« und vor allem im »Reformationsland Deutschland« zum Opfer fielen. Für die »Auserwählten Gottes« wurde bittere Realität, was sowohl im Alten als auch im Neuen Testament schon vor Jahrtausenden angekündigt wurde:
»Ihr werdet keine Bleibe finden, sondern ruhelos umherirren … in Angst, Finsternis und Verzweiflung. Ihr werdet ständig um euer Leben zittern müssen und euch Tag und Nacht keinen Augenblick sicher fühlen. Am Morgen werdet ihr den Abend herbeisehnen und am Abend den Morgen. Denn alles, was ihr erlebt, wird euch immer neue Angst einjagen« (5. Mose 28,65-67).
»Sie wurden verspottet und gefoltert, saßen gefesselt in Gefängnissen. Sie wurden gesteinigt, zersägt und durchs Schwert getötet. Sie sind umhergezogen in Schafspelzen und Ziegenfellen. Sie litten Mangel, wurden verfolgt und misshandelt. Wie Flüchtlinge irrten sie durch Wüsten und Gebirge und lebten in Höhlen und Erdlöchern. Die Welt war es nicht wert, dass solche Menschen in ihr lebten« (Hebräer 11,36-38).
Der jüdische Journalist Alfred Kerr hat die Leiden des jüdischen Volkes kurz nach Kriegsende 1945 in die folgenden Worte gefasst:
»Die Juden haben unbestrittenvon allen Verfolgten das Schlimmste gelitten:Nicht weil sie politisch verschworen sind –nur weil sie halt geboren sind!«
Als 1945 die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit ihrem menschenvernichtenden Terror zusammenbrach, glaubte man in aller Welt, nun sei das Ende des 2000jährigen Leidensweges der Juden gekommen. Die jüdischen Überlebenden aus den KZs und die vielerorts untergetauchten und versteckten Juden in Deutschland und in anderen Ländern Europas schöpften neuen Lebensmut und neue Hoffnung. Doch es wurde ihnen nur eine kurze, sehr kurze Verschnaufpause gegönnt. Denn der Judenhass war keineswegs gebannt.
Die Juden als »Buh-Nation« der Welt
Als die Überlebenden des Holocaust meinten, fortan im Land ihrer Väter zwischen Mittelmeer und Jordan in einem eigenen Staat innerhalb gesicherter und anerkannter Grenzen in Ruhe und Frieden leben und glauben zu können, wurden sie sehr schnell eines anderen belehrt. Noch in der Nacht seiner Gründung (14./15. Mai 1948) wurde der neue jüdische Staat, der Staat Israel, von den übermächtigen Armeen seiner ihm feindlich gesinnten arabischen Nachbarstaaten überfallen. Ihr Ziel war es, möglichst schnell die einige hunderttausend jüdischen Bewohner ins Meer zu werfen und den jungen jüdischen Staat sofort wieder von der Landkarte auszulöschen.
Wenn dies den Feinden Israels damals im Jahre 1948 und in den weiteren Kriegen 1956, 1967 und 1973 nicht gelang, dann nur deshalb nicht, weil der Gott Israels es offensichtlich verhinderte (Josua 10,42).
Was jedoch den Feinden Israels gelang, war, dass sie weitgehend die ganze Weltöffentlichkeit gegen den jüdischen Staat mobilisierten, das jüdische Volk im Lande Israel zur »Buh-Nation« der Welt machten und die Juden überall zur Zielscheibe ihres Hasses. Heute sind – mit wenigen Ausnahmen – fast alle Völker, Staaten und Regierungen gegen Israel eingestellt.
Es ist längst ein offenes Geheimnis: die Mehrheit der Vereinten Nationen ist gegen Israel und die Juden; die Dritte Welt mit den arabischen und blockfreien Staaten ist antijüdisch und anti-israelisch; die Politik der Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) ist – aus welchen Gründen auch immer – alles andere als israelfreundlich. Aber auch die sogenannte »christliche Welt« ist weithin gegen den jüdischen Staat eingestellt. So der Vatikan. So der Weltkirchenrat. So eine Vielzahl von Theologen und Kirchenführern. Und sogar viele Christen aus den verschiedenen christlichen Konfessionen, Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften.
Wozu Hass fähig ist
Feindseliges Verhalten gegen jüdische Menschen und ihren Staat Israel scheint auf der Welt wieder »in« zu sein. Denn wie soll man sich sonst erklären,
dass die meisten der jahrtausendealten theologischen Klischees weiterhin in den Köpfen vieler Christen herumspuken?
dass ein großer Prozentsatz der Bevölkerung Vorurteile gegen die Juden hat und sie nach wie vor aller Schlechtigkeiten für fähig hält und für alles Unglück verantwortlich macht?
dass viele Menschen – auch wieder Deutsche! – durch eine anti-jüdische und antiisraelische Haltung und Redeweise erneut am jüdischen Volk schuldig werden?
dass laut einer Umfrage in der Bundesrepublik Deutschland zwei Drittel aller befragten Christen gegen Israel sind?
dass in der Bundesrepublik Deutschland und vielen anderen Ländern wieder jüdische Friedhöfe geschändet und Synagogen und Gemeindehäuser mit Hakenkreuzen und SS-Symbolen beschmiert werden?
dass die israelische Botschaft in Bonn als »Judenbunker« und die Regierung Israels und ihre Militärs als »Naziregierung« und »Nazimörder im Nahen Osten« bezeichnet werden?
dass Israel von den Vereinten Nationen und der »christlichen Welt« des »Rassismus und Faschismus« beschuldigt wird?
dass auf jüdische bzw. israelische Einrichtungen zunehmend Terroranschläge und auf jüdische Mitbürger und israelische Staatsbürger und Beamte feige Mordanschläge durch fanatisierte Araber, Neonazis und andere Extremisten der Terrorszene verübt werden?
dass arabische Terroristen aus blindem Hass gegen Israel unschuldige Juden und Nichtjuden als Geiseln nehmen, auf Flughäfen Blutbäder anrichten, Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe kapern und den Versuch unternehmen, Israel und andere Staaten zu erpressen?
dass religiöse jüdische und staatliche israelische Einrichtungen überall durch einen aufwendigen Polizeischutz gesichert und ihre Repräsentanten und Besucher geschützt werden müssen?
Woran liegt es, dass das jüdische Volk so unbeliebt ist und der Staat Israel so gehasst wird, und zwar heute genauso wie früher? Und dass die Juden auf der ganzen Welt – wie der christliche Theologe Petrus Abelaard einst schrieb – »außer im Himmel keinen sicheren Zufluchtsort haben«?
Es gibt darauf nur eine Antwort: Es liegt am Antisemitismus!
Was ist Antisemitismus?
Schon vor Beginn der christlichen Zeitrechnung wurden die Juden an der Nahtstelle dreier Kontinente von den unterschiedlichsten Mächten und ihren Machthabern auf brutale Weise missbraucht, ausgeplündert, unterdrückt und drastisch dezimiert. Die mächtigen heidnischen Assyrer und Babylonier vergriffen sich an den Kindern Israels ebenso wie die sieges- und machthungrigen Ägypter und Römer. In zahlreichen Kriegen brachten sie über die Erwählten Gottes unsagbares Elend und Leid.
Aber das alles war noch kein Antisemitismus! Es waren Kriege, wie sie in der Geschichte immer wieder mit unterschiedlicher Grausamkeit zwischen den Völkern geführt wurden und auch in unserer Zeit geführt werden. Dabei ging es um Sieg und Niederlage, um Besetzung und Aufstand, um Unterdrückung und Befreiung. Der Sieger herrschte eine Zeitlang über den Besiegten, bis sich die Machtverhältnisse wieder verschoben. Aber das Ziel des Siegers war nie, den Besiegten – sein Volk, seine Kultur, seine Religion – total und restlos auszurotten. Es ging dabei nie um Völkermord!
Antisemitismus ist etwas wesentlich anderes:
Der Antisemitismus drückt zunächst eine grundsätzlich ablehnende und feindliche Haltung aus, die sich gegen die Semiten richtet. Obwohl zu den Semiten nicht nur die Juden gehören, sondern auch die Araber, hat man damit doch stets nur die Juden gemeint.
Der Antisemitismus ist sodann eine Ideologie, eine geradezu religiöse Weltanschauung, deren Anhänger die Juden aus vielerlei Gründen ablehnen und ausnahmslos abgrundtief hassen.
Der Antisemitismus kennt nur ein Ziel: Völkermord! Das jüdische Volk, die jüdische Religion, die jüdische Kultur, alles Jüdische muss total und radikal vernichtet und ausgerottet werden.
Der Antisemitismus ist eine weltweite Feindschaft gegen die Juden und beschränkt sich nicht nur auf die Juden in einem bestimmten Land, sondern richtet sich gegen alle Juden auf der Welt.
Unter diesem Antisemitismus haben die Juden seit 2000 Jahren furchtbar zu leiden!
Der Begriff »Antisemitismus« ist dagegen erst etwas mehr als 100 Jahre alt. Er stammt von dem deutschen Publizisten Wilhelm Marr, einem erklärten Judenfeind. Er verwendete diesen Begriff erstmals 1879 in seiner antijüdischen Schrift mit dem Titel »Der Sieg des Judenthums gegen das Germanenthum«. Seitdem ist der Begriff »Antisemitismus« zum Inbegriff des größten, längsten und verheerendsten Vernichtungsunternehmens gegen die Juden geworden.
Vom christlichen Antisemitismus zum politischen Antiisraelismus
Im Laufe der Zeit hat der Antisemitismus verschiedene Formen angenommen.
Den Anfang aller Judenfeindschaft bildete ein christlich-theologischer Antisemitismus. Er entstand im 1. Jahrhundert n.Chr. und ist somit die älteste und bis heute langlebigste Form des Antisemitismus. Ursprünglich wurde dafür der Begriff »Antijudaismus« verwendet. Er lehnt das Judentum als geistige und geistliche Größe entschieden und uneingeschränkt ab. Dieser christlich-theologische Antisemitismus bzw. Antijudaismus ist also religiös bedingt und spielte bei den ersten Kirchenvätern wie auch bei den Kreuzzügen des frühen Mittelalters und später bei Luther eine bedeutende Rolle. Auch heute ist diese Form des Antisemitismus unter vielen Christen und christlichen Theologen nach wie vor verbreitet, wenn es um Israel, um die Juden und ihren Staat geht.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich eine neue Art der Judenfeindschaft: der rassistische Antisemitismus, der durch Hitler seine systematische und fast perfekte Anwendung fand. Dabei stand der christlich-theologische Antisemitismus weitgehend Pate und hatte für die Nationalsozialisten eine Art Alibifunktion, wie wir noch sehen werden. Im Vordergrund und Mittelpunkt des rassistischen Antisemitismus steht allerdings nicht die jüdische Religion, sondern die jüdische Rasse. Nach Auffassung der nationalsozialistischen Ideologie war sie im Unterschied zur arischen Rasse, zu der nur reinrassige Deutsche zählten, minderwertig und musste ausgerottet werden.
Als 1948 der neue Staat Israel gegründet wurde, entstand plötzlich eine weitere Form der Judenfeindschaft: der politische Antisemitismus. Er lehnt mit allen Mitteln den Lebenswillen und die Existenz der Juden als Volk in einem eigenen Staat und Land entschieden und kompromisslos ab. Dieser politische Antisemitismus äußert sich heute auf zwei verschiedene Arten:
Der Antizionismus wendet sich gegen die Rückkehr der Juden (Einwanderung) nach Israel sowie gegen das Wohn- und Lebensrecht in ganz Israel, also vor allem auch in den von den Israelis seit 1967 angeblich »besetzten« Gebieten der Westbank (Westjordanland). Zugleich bezichtigt er die israelischen Juden des »Rassismus und Faschismus«.
Der Antiisraelismus verurteilt die Politik der israelischen Regierung und besonders den jüdischen Staat, der ständige Unruhestifter im Nahen Osten und eine permanente Gefahr für den Weltfrieden zu sein.
Sowohl der Antiisraelismus als auch der Antizionismus sind nichts anderes als neue Formen des 2000 Jahre alten Antisemitismus. Auch noch so »scheinheilige« Erklärungen und Beteuerungen, wie etwa: »Wir sind nicht gegen die Juden – wir sind nur gegen den Staat Israel und seine Politik!«, ändern daran nichts. Denn es gibt weder einen Staat Israel noch eine israelische Politik ohne Juden!
Des Teufels wirkungsvollste Waffe
Der Antisemitismus beruht nun nicht auf einem tragischen »Unglücksfall« der Geschichte. Er ist auch letztlich nicht das Werk pervertierter Menschen. Dahinter stehen dämonische Geistesmächte und Gewalten!
Wer den Antisemitismus durchschaut, erkennt, dass sein eigentlicher Urheber und Drahtzieher eine antigöttliche Macht ist, den die Bibel der Juden und der Christen sowohl in ihrem alttestamentlichen als auch in ihrem neutestamentlichen Teil als Teufel, Satan und Böser personifiziert.
Der Teufel ist nach den Aussagen der Bibel der Gegenspieler Gottes – und zwar des Gottes, der als der »Gott Israels«, als »der Heilige in Israel« in aller Welt bekannt geworden ist (2. Mose 5,1; Josua 7,13; 10,42; 2. Samuel 23,3; Psalm 72,18 – Psalm 71,22; Jesaja 41,14.20; 43,3; 54,5). Darum hasst der Teufel auch Gott – und zugleich die Nation Gottes auf Erden: das Volk Israel! Weil Gott dieses Volk für alle Zeiten zu seinem Volk erwählte (Psalm 89,4.5 u.a.). Und weil der Jude Jesus sagte: »Das Heil kommt von den Juden!« (Johannes 4,22).
Mit diesem Hass gegen Gott und sein auserwähltes Volk impft der Teufel seine »Gefolgsleute« und »Befehlsempfänger« auf Erden seit zwei Jahrtausenden und bringt durch sie mit allen Mitteln der Dämonie und Demagogie das Unheil über das Heilsvolk Israel. Sein eigentliches Ziel war und ist dabei stets, Gottes Volk zu vernichten, bevor der Messias kommt. Denn er weiß: wenn er alle Welt gegen Israel aufhetzt, den Staat Israel zerstört und die Kinder Abrahams auslöscht, dann macht er Gott zum Lügner und seinen Welt- und Heilsplan zunichte.
Wenn der Gegenspieler Gottes, der Teufel, bislang auch dieses Ziel nicht erreicht hat und niemals wirklich erreichen wird, so hat er auf dem bisherigen Weg dahin doch beträchtliche »Erfolge« aufzuweisen. Und unzählige Menschen – Christen und Nichtchristen – haben ihm blindlings, unbeirrt und tatkräftig geholfen, den Antisemitismus in Wort und Tat auf der ganzen Welt zu verbreiten, die Menschheit mit diesem teuflischen Gift zu verseuchen und Millionen von Juden auszurotten.
Der Antisemitismus war und ist deshalb eine der wirkungsvollsten und beliebtesten Waffen Satans in den Köpfen und Händen der von ihm missbrauchten Menschen und Mächte gegen Gott und sein Volk Israel. Atheismus und Antisemitismus gehen nämlich seit jeher Hand in Hand. Feindschaft gegen Gott und Feindschaft gegen die Juden haben sich immer wieder verbrüdert. Auch, ja vor allem unter sogenannten christianisierten Völkern und atheistischen Staaten. Daran wird sich wohl auch in naher Zukunft nichts ändern.
Diese Tatsachen machen uns zutiefst betroffen! Sie machen uns um so betroffener, je mehr wir uns mit dem Leidensweg Israels in Vergangenheit und Gegenwart befassen!
Die Erbsünde des traditionellen Christentums
Der Antisemitismus entstand nicht im 20. Jahrhundert, sondern im 2. Jahrhundert n.Chr. Er wurde nicht in Deutschland geboren. Auch nicht in einem arabischen oder kommunistischen Land. Er kam im einstigen römischen Imperium des Mittelmeerraumes zur Welt.
Er ist auch keine Erfindung von Arafat oder Hitler, nicht von Luther oder Mohammed. Auch nicht von Paulus oder Jesus. Er kommt aus den Köpfen prominenter christlicher Theologen, der sogenannten »Kirchenväter« der Frühzeit. Sie haben den christlich-theologischen Antisemitismus als eine »Ausgeburt der Hölle« in die Welt gesetzt, der unvorstellbares Elend über die Kinder Israels brachte.
Der Antisemitismus ist eine Erbsünde des traditionellen Christentums. Sie haftet allen christlichen Kirchen und Völkern des Abendlandes an, ja sogar allen Völkern der Welt.
Golgatha wird den Juden zum Verhängnis
Der christlich-theologische Antisemitismus – auch Antijudaismus genannt – trat in der gerade zur Kirche gewordenen Gemeinde Jesu Christi nicht plötzlich und unmotiviert auf. Er entzündete sich an dem Juden Jesus von Nazareth. An der Person Jesu Christi. An seinem Leiden und Sterben, an seiner Kreuzigung und an seinem Tod auf Golgatha.
Das begann so: Aus der mündlichen Überlieferung, aber vor allem wohl auch aus bereits vorliegenden Schriften des späteren Neuen Testaments, entnahmen die jungen Theologen des Christentums, dass Jesus ein gespanntes, ja feindschaftliches Verhältnis zu den jüdischen Theologen seiner Zeit hatte. Sie wussten, dass die »Pharisäer, Schriftgelehrten und Sadduzäer« sowie der Hohe Rat als oberste jüdische Rechts- und Religionsbehörde Jesus den Prozess gemacht hatten und ihn durch die Römer hatten kreuzigen lassen. Daraus zogen sie den verhängnisvollen Schluss, dass die Juden am Tod Jesu schuldig seien. Aussagen im Matthäus- und Johannesevangelium wie »das Volk«, »das ganze Volk«, »die Juden« u.a. (Matthäus 27,20.25; Johannes 18,31.38; 19,7.12.14) bestärkten sie in ihrer Auffassung. So behaupteten sie alsbald: »Die Juden sind die Christusmörder von Golgatha!«
Und mit diesem Kardinalvorwurf des »Gottesmordes« begann der christlich-theologische Antisemitismus und zugleich der furchtbare Leidensweg Israels, die jüdische Via Dolorosa. Oder wie es ein jüdischer Vertreter einer Synagogengemeinde auf einer christlichen Tagung treffend sagte: »Israels dornenvoller Weg beginnt mit der Dornenkrone und dem Kreuz.«
Denn nachdem der Jude Jesus Christus gekreuzigt worden war, wurden bald alle Juden »gekreuzigt«. Seit sie der Vorwurf des »Gottesmordes« traf, lastet auf dem jüdischen Menschen das »Kreuz« der Diskriminierung, der Verfolgung, der Vernichtung … Und Christen waren es vorwiegend, die jahrhundertelang den Juden dieses Kreuz zimmerten und auferlegten und sie daran unbarmherzig zugrunde gehen ließen. Die Brüder Jesu und ihre Nachkommen leiden also wohlgemerkt nicht durch Jesus, sondern mit Jesus.
Folglich ist der christlich-theologische Antisemitismus auch kein Problem Jesu oder der jüdischen Apostel Jesu Christi. Er ist überhaupt kein jüdisches Problem. Es ist vielmehr ein christliches Problem! Denn Christen waren die Opfernden. Und Juden waren ihre Opfer. Nicht Juden haben wegen der Kreuzigung Jesu die Juden verfolgt, sondern Christen. Oder jedenfalls solche, die sich so nannten. Sie haben im Zeichen des Kreuzes Christi und im Namen des Christentums unauslöschliche Tränen und Blutspuren in der jüdischen Seele und am jüdischen Leib hinterlassen. Und nur deshalb, weil die christlichen Führer der ersten Christenheit und ihre Amtsnachfolger immer und immer wieder lautstark und nachhaltig, oft in wahren Hasstiraden, ihre Gottesmord-Theologie gegen die Kinder Israels verbreiteten.
Die »Christusmörder« auf der Anklagebank
Der erste, der die Juden nachdrücklich des »Gottesmordes« beschuldigte, war der Bischof Meliton von Sardes (gestorben um 190 n.Chr.). In einer Predigt sagte er:
»Gesetzesbrecherisches Israel, warum hast du dieses neue Unrecht begangen, deinen Herrn in unerhörte Qualen zu stürzen … du hast gegen deinen Herrn gestimmt, ihn, vor dem sich die Völker niederwerfen, den die Unbeschnittenen bewunderten, dessentwegen sich sogar Pilatus die Hände wusch, den hast du am Großen Fest getötet … Du hast deinen Herrn inmitten von Jerusalem getötet …«1
Mögen diese Aussagen noch verhältnismäßig milde klingen, so waren sie es bei Justinus (110-165 n.Chr.), einem der bedeutendsten Theologen der jungen Kirche, schon nicht mehr. Gegen den Juden Trypho wetterte er:
»Ihr habt den Gipfel eurer Verderbtheit erreicht, als ihr den Gerechten (= Christus) gehasst und verderbt habt. Ihr habt ihn, den einzig Fehlerlosen und Gerechten, gekreuzigt!«2
Einer der bekanntesten Theologen, Origines (185-254 n.Chr.), bezeichnete sogar die Juden aller Zeiten als »Christusmörder«:
»Die Juden haben Jesus ans Kreuz genagelt … darum fällt das Blut Jesu nicht nur auf die Juden seiner Zeit zurück, sondern auch auf alle Generationen der Juden bis ans Ende der Welt.«3
Aber wie wir heute wissen, war sowohl die Mordanklage als auch die Kollektivschuldzuweisung die Folge einer falschen Schlussfolgerung, die damals die christlichen Theologen aus den Evangelienberichten gezogen haben. Dafür sprechen folgende Tatsachen:
Wenn Matthäus und Johannes in Verbindung mit dem Prozess gegen Jesus und seinen Tod mehrfach »das Volk«, »das ganze Volk«, »die Juden« nennen, dann war das eine damals wie heute übliche pauschalierende Redeweise, ohne die Mehrheit oder gar die Gesamtheit der jüdischen Bevölkerung noch des Weltjudentums zu meinen. Ähnlich wie j a auch heute zumeist pauschal von »den Russen« oder »den Amerikanern« gesprochen wird, ohne sie wirklich alle zu meinen. Das soll an einigen Einzelheiten verdeutlicht werden:
Weder alle Juden auf der Welt noch alle in Palästina lebenden Juden haben damals etwas von Jesus gehört, noch haben sie von einem Prozess gegen Jesus gewusst und waren daran unmittelbar beteiligt.
Die meisten Juden, die Jesus kannten und ihm zuhörten, waren nicht gegen ihn eingestellt. Viele waren um ihn, sympathisierten mit ihm. Manche folgten ihm sogar bewusst nach.
Nicht »das Volk« hatte Jesus den Prozess gemacht und seinen Tod gefordert. Es waren vielmehr vor allem die religiösen Führer des Judentums, die im Volk kaum Resonanz hatten und zudem noch mit den römischen Besatzern kollaborierten. Und die, die in der Burg Antonia vor Pilatus den Tod Jesu forderten, waren maximal 4000 Personen. Denn der Innenhof der Residenz des Pilatus konnte nicht mehr von ihnen aufnehmen. Diese 4000 Personen waren aber nur 2,2 Prozent der zur Passahzeit in Jerusalem weilenden jüdischen Pilger und weniger als 0,1 Prozent aller auf der Welt lebenden Juden.
Nicht Juden verurteilten Jesus zum Tod und kreuzigten ihn. Es war der römische Gouverneur Pilatus, der Jesus zum Tod verurteilte. Und es waren römische Besatzungssoldaten, die den Juden aus Nazareth nach römischer Hinrichtungsart ans Kreuz nagelten.
Darüber hinaus waren auch Christen mitschuldig am Tod Jesu. Es waren jene zwölf Christen, die als Jünger Jesus nachfolgten, von denen einer ihn verriet, ein anderer ihn verleugnete und alle ihn in seiner schwersten Stunde verließen.
Zugleich sind alle diejenigen Christen in besonderer Weise am Tod Jesu schuldig, die die Juden aller Zeiten weiterhin als die »Christusmörder« beschuldigen und verfolgen und dadurch Christus weiterhin kreuzigen.
Diese Fakten erkannten die Theologen damals jedoch nicht. Ihre Mordanklage erwies sich als zählebig, ebenso ihre auf alle Juden aller Zeiten übertragene Kollektivschuld. Denn wie soll man sich sonst erklären, dass sie noch immer in christlichen Predigten, Vorlesungen und Publikationen verbreitet wird und jüdische Menschen weiterhin zutiefst verletzt?
Heftige und deftige Verleumdungen
Der Anklage des »Gottesmordes« folgten bald die absurdesten theologischen Deutungen und moralischen Verunglimpfungen durch die christlichen Theologen, die manchmal sogar in schlimme Beschimpfungen ausarteten. Das Ganze bekam seinen Auftrieb ebenfalls durch missverstandene Aussagen Jesu und seiner Apostel, wie sie in verschiedenen neutestamentlichen Schriften bereits vorlagen.
So hatte Jesus die Elite des Judentums wiederholt mit scharfen Worten angegriffen und sie als »Heuchler«, »Schlangen- und Natternbrut«, »übertünchte Gräber« und »Volksverführer« bezeichnet (Matthäus 23,1-36). Ein anderes Mal sagte er von ihnen: »Ihr seid Kinder des Teufels, der ist euer Vater, und nach seinen Wünschen handelt ihr« (Johannes 8,44).
Paulus nannte die gesetzestreuen Juden »Hunde«, »böse Arbeiter«, »Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist die Verdammnis. Ihr Bauch ist ihr Gott. Sie sind stolz auf das, was ihnen Schande bereitet. Sie haben nur Irdisches im Sinn« (Philipper 3,2.18.19). Ja, Paulus sprach ihnen sogar ihr Judesein ab (Römer 2,28; 9,6-8), und Johannes bezeichnete sie noch drastischer als »Synagoge des Satans« (Offenbarung 2,9).
Aus diesen und anderen Aussagen haben viele Christen, aber auch Juden geschlossen, dass Jesus und seine jüdischen Apostel bereits Antisemiten gewesen sein müssen. Und dass folglich das Neue Testament ein antisemitisches Buch sei. Doch dies ist völlig absurd und falsch!
Jesus und seine jüdischen Apostel waren – trotz wiederholter Behauptungen – niemals Antisemiten. Sie waren so wenig Antisemiten wie Hitler und Eichmann Zionisten waren. Denn Jesus war weder gegen die Juden noch gegen das jüdische Volk an sich. Er war nur gegen die unbarmherzigen religiösen Forderungen und die meist zur Schau gestellte heuchlerische Frömmigkeit vieler jüdischer Repräsentanten jener Zeit, die er deswegen scharf angriff. Aber er war niemals gegen die Juden bzw. gegen das ganze Volk.
Auch der Jude Paulus war (wie die anderen Apostel Jesu Christi) nicht gegen sein Volk oder die Juden schlechthin eingestellt. Er war keinesfalls einem jüdischen Selbsthass verfallen, obwohl es so etwas bei manchen Juden im Laufe der Geschichte durchaus gegeben hat. Paulus war vielmehr – wie Jesus – nur gegen die unerbittliche Gesetzesfrömmigkeit der geistigen Führerschaft des Judentums, die das Heilswerk Jesu Christi durch falsche Lehren zerstören wollte. Aber er war nicht gegen die Juden an sich. Sonst hätte er sich nicht im Römerbrief 9-11 in einer einzigartigen leidenschaftlichen »Liebeserklärung« für seine jüdischen Brüder ausgesprochen und ihre bleibende göttliche Erwählung herausgestellt.
Weil weder Jesus noch seine jüdischen Apostel antisemitisch waren, finden sich im Neuen Testament auch keine antisemitische Aussagen noch Tendenzen. Nur Antisemiten können den Antisemitismus in das Neue Testament hineinlesen, nicht aber herauslesen. Denn das Neue Testament ist kein antisemitisches Buch – es ist ein pro-jüdisches Buch! Es wendet sich nicht gegen Israel – es ist für Israel!
Die »Kirchenväter« erkannten dies jedoch nicht. Die Äußerungen Jesu und seiner Apostel gegen eine verschwindend kleine jüdische Minderheit nahmen sie vielmehr zum Vorbild für immer heftigere Attacken gegen alle Juden, die sie theologisch und moralisch pauschal verleumdeten und verdammten. So verstieg sich der Kirchenhistoriker Eusebius (260-339 n.Chr.) zu der Behauptung: »Die Juden sind bei dem von ihnen begangenen Gottesmord blind und verstockt.«4 Er meinte damit, die Juden zeigten generell keine Reue über den gewaltsamen Tod Jesu und wollten sich nicht bekehren.
Augustinus (354-430 n.Chr.), der wohl bekannteste aller »Kirchenväter« und einer der einflussreichsten Theologen seiner Zeit, sagte:
»Das wahre Bild des Hebräers ist Judas Ischariot, der den Herrn für Silberlinge verkaufte. Der Jude kann die Heilige Schrift niemals verstehen und wird auch ewig die Schuld am Tode von Jesus tragen.«5
Ein Theologe fordert erstmals die »Endlösung«
Einer der populärsten »Prediger« der damaligen Zeit war der Theologe Johannes Chrysostomus (345-420 n.Chr.). In seinen »volkstümlichen« Predigten wetterte er gegen die Juden:
»Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, deshalb gibt es für euch keine Besserung mehr, keine Vergebung und auch keine Entschuldigung.«
In ungezügelter Leidenschaft geht es weiter: »Früher habt ihr Moses, Jesaja und Jeremia angegriffen. Nun habt ihr alle Untaten in den Schatten gestellt durch die Raserei gegen Christus. Deshalb werdet ihr auch jetzt mehr bestraft. Es ist klar, dass ihr durch den Mord an Christus ein viel schlimmeres und größeres Verbrechen begangen habt als Kindesmord und jegliche Gesetzesübertretung.«
Sogar vor den böswilligsten Verleumdungen und schlimmsten Beschimpfungen schreckte dieser Kirchenmann nicht zurück:
»Die Synagoge ist ein Hurenhaus, ein Seelenverderb, eine Lasterstätte, das Teufelsasyl, die Satansburg, die Versammlung der Christusmörder. Gott hasst euch! … Wie ein gemästetes und arbeitsunfähiges Tier taugen die Juden nur noch für den Schlächter.«6
Damit hatte erstmalig ein christlicher Theologe sich für die »Endlösung der Judenfrage« ausgesprochen: Abschlachten und Tod aller Juden!
Dieser verbale Antisemitismus der Väter des Christentums blieb natürlich auf die Christen und die Juden nicht ohne Wirkung. Der ausgestreute »bacillus antisemiticus« breitete sich wie eine Seuche immer mehr unter der »christlichen« Bevölkerung des Abendlandes aus. Angst, Unsicherheit und Schrecken ergriffen die Juden bis ins letzte Dorf. Die jüdische Tragödie nahm ihren Lauf. Bald kündigte sich neues Unheil an: die geistliche Enterbung des jüdischen Volkes!
1 G. Stemberger, 2000 Jahre Christentum, Salzburg 1983, S. 153
2 F. May, Die Wahrheit über Jesus Christus, Moers 1982, S. 144
3 F. May, a.a.O., S. 145
4 F. May, a.a.O., S. 145
5 D. Runes, Die Wurzel der Judenverfolgungen, Darmstadt 1981, S. 60
6 R. Pfister, Von A – Z, Quellen zu Fragen um Juden und Christen, Gladbeck 1971
Eine gefährliche Irrlehre wird verbreitet
Nachdem die kirchlichen Würdenträger die Juden pauschal des »Christusmordes« beschuldigt hatten, begannen sie, die Erben vom Sinai, die von Gott einen großen Reichtum an Heil empfangen hatten und zu Segensträgern für die Welt berufen worden waren, durch eine verheerende »Enterbungstheorie« zu enttheologisieren. So entstand eine der schlimmsten Irrlehren des Christentums.
Die »Enterbungstheorie« bestand in folgenden Überlegungen: Weil die Juden Jesus als Messias verworfen und getötet haben, hat Gott sie verflucht, bestraft und für immer verworfen. Die Heilszeit Israels ist damit endgültig vorbei. Das Volk Israel ist nun nicht mehr Gottes auserwähltes Volk. Zwar hat es noch eine geschichtliche und biblische Bedeutung, aber es ist vom weiteren Welt- und Heilsplan Gottes ausgeschlossen. Niemals wieder wird es eine physische und geistliche Auferstehung bzw. Wiedergeburt erleben. Seit dem Kommen Jesu Christi und seinem Tod am Kreuz ist an die Stelle des alten Bundesvolkes Israel das neutestamentliche Gottesvolk, die Kirche Jesu Christi, getreten. Sie ist seitdem das neue und zugleich einzig wahre und legitime Israel. Nun gibt es nur noch ein Israel ohne Juden. Kinder Abrahams sind allein die Christen, die an Christus glauben.
Bereits um das Jahr 55/56 n.Chr. gab es unter den Christen in Rom Tendenzen, das Heilsvolk Israel geistlich zu enterben. Die Heilszeit Israels wollte man für beendet erklären, und die Gemeinde Jesu sollte die Stelle Israels einnehmen. Paulus hat sich aber in Römer 9 —11 entschieden gegen eine Enttheologisierung Israels ausgesprochen.
Die späteren Kirchenführer und Theologen ließen sich jedoch von ihrer »Enterbungstheorie« nicht abbringen. Vielmehr behauptete zum Beispiel der Kirchenvater Augustinus vermessen und hochmütig: »Die Juden haben kein Recht mehr auf den Titel ,Israel`, nicht einmal auf den Namen ,Juden`.«1
Stellen Sie sich vor, man spräche Ihnen als Christ dauernd und nachhaltig ab, ein Christ zu sein. Ja, man würde Ihnen sogar das Recht verweigern, sich als »Christ« zu bezeichnen. Würde Sie das nicht zutiefst treffen und verletzen?
Wie müssen doch die Juden darunter gelitten haben, dass man ihnen ihre Religion, ihren Glauben, ihre Kultur, j a ihr ganzes geistiges und geistliches Erbe nehmen wollte, das Gott ihnen geschenkt hatte: die Gotteskindschaft, die Herrlichkeit Gottes, die Erwählung zum Volk Gottes (Bund), das Gesetz Gottes, den Gottesdienst, die göttlichen Verheißungen, die Väter des Glaubens und den Juden Jesus (Römer 9,4.5). Wenn man ihnen auch alles zu nehmen versuchte, so hielten sie doch an ihrem Erbe unbeirrt und entschlossen fest: sie beteten weiter zu Gott. Sie lasen weiter in ihrer Bibel. Sie hielten weiter ihre Gottesdienste. Sie vertrauten trotzdem auf die Erfüllung der Verheißungen ihres Gottes. Und daran hat sich bei ihnen bis heute nichts geändert!
Aber die christlichen Enterbungstheoretiker ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie fanden hingegen recht absonderliche »Erklärungen«. So meinte Augustinus:
»Wenn sie (die Juden) als besondere Gemeinschaft bis zu ihrer Bekehrung weiter bestehen, dann nur deshalb, um durch ihre Verkommenheit Zeugnis für die Wahrheit des Christentums abzulegen.«2
Also haben diese Theologen das jüdische Volk systematisch all seiner Heilsgüter beraubt. Und den Raub steckten die Christen ein. Voller Stolz rühmte sich der Kirchenvater Tertullian (150-225 n.Chr.): »Als die durch Christus erlöste Heidenschaft ist die Kirche das neue Jerusalem.«3
Im Laufe der Jahrhunderte taten es ihm im Brustton der Über-zeugung viele andere Kirchenführer – Päpste, Bischöfe und Prediger – nach. Der Reformator Martin Luther sagte:
»Nach dem Neuen Bund sind die Juden nicht mehr Israel. Die Christen sind die rechten Israeliten und neuen Juden.«4
Nicht wenige Theologen und Kirchenchristen vertreten diese Theorie bis heute. Einer der bekanntesten evangelischen Theologen, Paul Althaus, schreibt:
»Die Kirche ist jetzt das Gottesvolk, das Israel Gottes. Israel als das geschichtliche Volk ist seit Christus, in welchem sein heilsgeschichtlicher Beruf sich erfüllt hat, keine theologische, heilsgeschichtliche Größe mehr. Israel hat in der Kirche und für die Kirche keine Sonderstellung und keinen besonderen Heilsberuf mehr.«5
Was dem christlichen Antisemitismus Auftrieb gab
Wie konnte es zu einer solchen schrecklichen Irrlehre kommen? Neben der bekannten »Gottesmord«-Anklage waren es zwei bedeutende Ereignisse, die das traditionelle Christentum und seine Repräsentanten in ihrer »Enterbungstheorie« gegenüber den Juden entscheidend beeinflussten und bestärkten:
Das nationale Ende der jüdischen Eigenstaatlichkeit und die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus ihrer Heimat.
Seit dem Jahre 63 v.Chr. lebten die Juden unter römischer Besatzung. Ihre Heimat war eine Provinz innerhalb des Imperium Romanum und wurde von römischen Gouverneuren verwaltet. Sie überließen den Juden eine gewisse Eigenstaatlichkeit mit einem jüdischen König aus Roms Gnaden an der Spitze. Als oberste Rechts- und Religionsbehörde amtierte ein 70köpfiger Hoher Rat (»Synedrium«) unter Leitung eines Hohenpriesters.
Bestrebungen jüdischer Nationalisten, die römische Herrschaft abzuschütteln und wieder volle Souveränität zu erlangen, führten 66 n. Chr. zum »jüdisch-römischen Krieg«. Nach fast fünfjähriger Dauer wurde der jüdische Aufstand durch den römischen Feldherrn Titus niedergeschlagen. Im Jahre 70 n. Chr. belagerte er die heilige Stadt Jerusalem und legte sie in Schutt und Asche, ebenso das national-religiöse Heiligtum der Juden, den Tempel. Das jüdische Königshaus hatte schon vorher aufgehört zu existieren. Das Hohepriestertum und der Hohe Rat wurden aufgelöst. Die bis dahin verbliebenen Reste der jüdischen Eigenstaatlichkeit wurden beseitigt.
134/35 n.Chr. versuchten die Juden unter ihrem Nationalhelden Simon Bar Kochba noch einmal einen Freiheitskampf gegen die Römer (Bar-Kochba-Aufstand). Aber er wurde von den übermächtigen römischen Legionen sogleich in Blut und Tränen erstickt. Kaiser Hadrian (117-138 n.Chr.) erbaute auf dem riesigen Schutthügel Jerusalem die heidnische Stadt Aelia Capitolina und verbot den Juden bei Todesstrafe, diese Stadt zu betreten.
Die Kirchenführer sahen darin ein Gottesgericht über das alte Gottesvolk. Und sie beriefen sich dabei auf neutestamentliche Texte bzw. Aussagen Jesu:
»Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die Boten, die Gott zu dir schickt. Wie oft wollte ich deine Bewohner um mich scharen, wie eine Henne ihre Küken unter die Flügel nimmt, aber ihr habt nicht gewollt. Darum wird Gott euren Tempel verlassen, und er wird verwüstet daliegen …
Als Jesus den Tempel verlassen wollte, kamen seine Jünger und wollten ihm die ganze Tempelanlage zeigen. Aber Jesus sagte: Ihr bewundert das alles? Ich sage euch, hier wird kein Stein auf dem andern bleiben. Alles wird bis auf den Grund zerstört werden« (Matthäus 23,37.38 u. 24,1.2).
War dies nicht buchstäblich eingetroffen?!
Den Theologen Hieronymus (331-420 n.Chr.) hat dies veranlasst zu schreiben:
»Bis auf den heutigen Tag ist den treubrüchigen Einwohnern (Juden), die die Diener Gottes und namentlich den Gottessohn ermordet haben, der Zutritt zu Jerusalem verwehrt. Sie werden dorthin nur zum Wehklagen eingelassen. Mit Geld müssen sie sich die Erlaubnis erkaufen, die Zerstörung ihres Staates beweinen zu können. «6
Mit der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels und der damit verbundenen Auflösung des jüdischen Staatswesens begann die eigentliche Epoche der Zerstreuung der Juden über die ganze Welt und zugleich ihre fast 2000 Jahre andauernde notvolle Heimatlosigkeit unter den Völkern. Seit 70 n.Chr. verließen teils freiwillig, meist jedoch gezwungen in einem langanhaltenden Exodus immer mehr jüdische Menschen das »Land Israel« (1. Samuel 13,19), das die Römer inzwischen in »Palästina« umbenannt hatten, und gingen ins Exil. Viele von ihnen siedelten sich in den Mittelmeergebieten des römischen Weltreiches an, wo schon seit Jahrhunderten zahlreiche Juden in der Diaspora lebten. Im Laufe der Zeit gelangten sie auch in die entfernten Regionen des römischen Imperiums, so auch nach Deutschland. Hier ließen sie sich hauptsächlich an der Donau und am Rhein nieder. Bereits im Jahre 321 n.Chr. gab es eine jüdische Gemeinde in Köln.
Viele Theologen sahen in der Zerstreuung der Juden die Erfüllung biblischer Droh- und Fluchworte wie etwa: »Der Herr wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Erde bis ans andere …« (5. Mose 28,64).
Augustinus verleitete dies zu der Aussage:
»Die Juden sind unter alle Völker zerstreut als Zeugen ihrer Bosheit und unserer Wahrheit.«7
Niemand ahnte damals, dass die jüdische Niederlage und der Verlust jüdischer Eigenstaatlichkeit kein endgültiges Aus sein und das jüdische Exil in der Diaspora der heidnischen und christlichen Welt nicht ewig dauern würde. Niemand hielt es für möglich oder wagte es sich vorzustellen, dass die Kinder Israels jemals wieder eine physische Auferstehung erleben und einen neuen Staat gründen würden, in dem jeder Jude, der wollte, eine Heimat finden konnte. Selbst 1945, nach dem Holocaust, rechnete zunächst kaum jemand damit. Noch viel weniger wussten oder ahnten es die Repräsentanten der ersten Christenheit, obwohl sie es eigentlich hätten wissen müssen, wenn sie die Heilige Schrift im Blick auf das Volk Israel unvoreingenommen gelesen hätten. Unter der Leitung des Heiligen Geistes hätte ihnen beim Lesen und Studieren der Heiligen Schrift bewusst werden müssen, dass Gott sein Volk nicht verstoßen, sondern den Kindern Israels die Heimkehr in das Land ihrer Väter verheißen hatte sowie ihre gnadenvolle Wiedereinsetzung zur weiteren Durchführung seines Welt- und Heilsplans.
Doch in jener Zeit sah eben die Realität anders aus. Die Nation Gottes hatte ihren Staat und ihre Heimat verloren. Und das gab dem christlichen Antisemitismus einen ungeheuren Auftrieb. Dazu der renommierte jüdische Historiker Alex Bein:
»Hier beim nationalen Zusammenbruch schieden sich endgültig die Wege zwischen Judentum und Christentum, zwischen dem jüdischen Volk, das sich und seine nationalen Zukunftshoffnungen nicht aufgab, und der sich nun vom Judentum endgültig ab-wendenden, ihm feindlich gegenübertretenden Tochterreligion. Rom und Christentum, die beiden Feinde des Judentums, verdrängten … vereint die Juden systematisch aus Palästina und diffamierten sie in der Diaspora. Sie gaben dem jüdischen Begriff ,Galuth`, des Exils, die christliche Prägung als ewige Zerstreuung unter alle Völker als Strafe für den Gottesmord. Sie schufen die Wirklichkeit, die diesem Begriff immer mehr entsprach.«8
Der Sieg der Kirche über das Judentum
Das Christentum hat seinen Ursprung im Judentum. Jesus und seine Jünger, die späteren Apostel, waren Juden. Die erste christliche Gemeinde, die sogenannte »Urgemeinde« in Jerusalem, war eine Gemeinde von Juden, die an Jeshua (Jesus) gläubig geworden waren, weil sie in dem Gekreuzigten den von Gott verheißenen Messias erkannten.
Sowohl Jesus und seine Jünger als auch die Urgemeinde in Jerusalem verstanden sich als ein Teil der jüdischen Gemeinschaft und der jüdischen Religion. Jesus und seine Apostel lebten nach dem jüdischen Gesetz, gingen zum jüdischen Gottesdienst, predigten in den Synagogen. Die Urgemeinde entstand an einem jüdischen Festtag (Schawuot) im Tempel. Neben den Zusammenkünften in den Häusern versammelte sie sich regelmäßig in den Nebenräumen des Tempels. Die missionarische Kraft der Muttergemeinde des Christentums war unter den Juden erheblich: Tausende jüdischer Menschen wurden an Jesus Christus gläubig. Sie alle hielten aber weiterhin fest am jüdischen Gesetz, nicht als eine Heilsnotwendigkeit, sondern im Bewusstsein, eine gemeinsame Glaubenswurzel zu haben, und um ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Judenchristentum und Judentum auszudrücken – trotz gewisser unvermeidlicher innerer und äußerer Spannungen der beiden Bewegungen in der Anfangszeit.
Das Christentum blieb jedoch nicht nur eine innerjüdische Angelegenheit und auf die Urgemeinde in Jerusalem, also auf das Judenchristentum, beschränkt. Durch die »Missionsreisen« des Apostels Paulus, der ebenso wie Jesus ein Sohn des jüdischen Volkes war, gelangte das Evangelium von Jesus Christus auch in die anderen Länder des Mittelmeerraumes. In Kleinasien, Griechenland und Rom entstanden zahlreiche christliche Gemeinden, die nun erstmalig aus Judenchristen und Heidenchristen bestanden.
Doch bald kam es zwischen ihnen zu ersten Konflikten. Die Judenchristen in Jerusalem forderten von den Heidenchristen das verbindliche Einhalten des jüdischen Gesetzes. Die Heidenchristen lehnten dies jedoch ab. Die Folge war das sogenannte »Apostelkonzil« in Jerusalem (Apostelgeschichte 15, Galater 2), das schließlich in der Frage der Verbindlichkeit des jüdischen Gesetzes für beide Seiten mit einem Kompromiss endete.
Der jüdische Einfluss in den christlichen Gemeinden außerhalb Palästinas führte bald zu weiteren Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Wie aus den Schriften des Neuen Testaments hervorgeht, tobte in allen Gemeinden ein hartnäckiger Kampf gegen »judaistische Irrlehren«, die von Judenchristen in die jungen christlichen Gemeinden hineingetragen wurden.
Der Einfluss der Judenchristen nahm jedoch bald spürbar ab, um dann schließlich ganz an Bedeutung zu verlieren. Das geschah so:
Die anfänglich außergewöhnliche missionarische Kraft der Urgemeinde war in relativ kurzer Zeit fast völlig verschwunden. Dann kam der jüdisch-römische Krieg 66-70 n.Chr. Die Urgemeinde war gezwungen, nach Pella im Ostjordanland zu fliehen. Nach dem Krieg kehrte ein Teil davon nach Jerusalem zurück, aber die Gemeinde hatte keine Bedeutung und keinen Einfluss mehr auf die weitere Entwicklung der christlichen Gemeinden im Römischen Reich. Spätestens 134 n.Chr. muss sie sich dann restlos aufgelöst haben. Damit war die jüdische Muttergemeinde des Christentums von der Bildfläche verschwunden. Nun war die Ausschaltung der Judenchristen und damit des Judenchristentums mit ihren jüdischen Tendenzen in den christlichen Gemeinden nur noch eine Frage der Zeit.
Durch die Erlösungssehnsucht der spätantiken Welt bekam das junge Christentum eine außergewöhnliche Anziehungskraft, weil es eine Antwort auf die Sehnsüchte der Menschen zu geben vermochte. Die Folge war, dass einerseits immer mehr Heiden und andererseits immer weniger Juden zum Glauben an Jesus Christus kamen. Bald waren in den christlichen Gemeinden die Heidenchristen in der Mehrheit, die Judenchristen aber in der Minderheit. Nun hatten die Heidenchristen das Sagen. Sie drängten die Judenchristen aus den Gemeinden hinaus. Man wollte sie nicht mehr. Damit war das Judenchristentum am Ende.
Nachdem die junge Kirche sich der Judenchristen und ihres Einflusses entledigt hatte, begann sie auch alle Verbindungen zum Judentum abzubrechen. An die Stelle des gemeinsamen Glaubens von Juden und Christen an den einen wahren Gott trat die Zweiheit von Judentum und Christentum. Juden und Christen begegneten sich fortan als feindliche Brüder.
Das Christentum und seine »Enterbungspraxis«
Das nationale Ende Israels und die Ausschaltung des judenchristlichen Einflusses führten zu einem Überlegenheitsgefühl und zu einem Ausschließlichkeitsdenken des Christentums gegenüber den Juden und ihrem Judentum. Die Heidenchristen traten nun mit dem Anspruch auf, das neue und einzig wahre Israel zu sein.
Um diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen, setzten sie ihre »Enterbungstheorie« alsbald in die Praxis um. Dabei konnten sie sich der Unterstützung der weltlichen Obrigkeit gewiss sein. Einst von den heidnischen Kaisern verfolgt, war nämlich das Christentum inzwischen Staatsreligion geworden. Konstantin d.Gr. (280337 n.Chr.) war zum Christentum konvertiert und hatte die immer stärker werdende Kirche staatlich legitimiert.
Ausgerüstet mit einer großen Machtfülle, drängte nun die Kirche die »christianisierten« Kaiser, entsprechende Gesetze gegen die Juden zu erlassen, um die christliche »Enterbungstheorie« in die Praxis umzusetzen. Kirche und Staat, Altar und Thron holten erstmals gemeinsam zum Schlag gegen die Juden aus; deren Religionsausübung und Bürgerrechte wurden drastisch beschnitten und eingeengt.
So verfügte Kaiser Konstantin d. Gr. auf Druck der kirchlichen Oberherren, dass es neben dem Christentum keine andere Religion geben dürfe. Die kirchlichen und staatlichen Behörden beschlagnahmten daraufhin erstmals Synagogen, wandelten sie in Kirchen um oder brannten sie einfach nieder und verboten den Bau neuer jüdischer Gotteshäuser.
Wenige Jahre später untersagte Konstantins Sohn und Nachfolger, Konstantius (337-362 n.Chr.), unter Androhung der Todesstrafe die Ehe zwischen Juden und Christen.
Im Jahre 418 n.Chr. erließ Kaiser Flavius Honorius (384-423 n.Chr.) ein Gesetz, das die Juden weitgehend vom öffentlichen Dienst ausschloss, weil man fürchtete, sie würden im christlichen Staat einen zu großen Einfluss gewinnen.
20 Jahre danach verschärfte Kaiser Theodosius II. (401-450 n.Chr.) dieses Gesetz und schränkte die öffentliche Tätigkeit der Juden völlig ein mit der Begründung:
»Wir halten es für ein Unrecht, dass die Feinde der höchsten (himmlischen) Majestät und der römischen Gesetze … die Macht haben, gegen Christen und oft sogar gegen die Vorsteher der heiligen Religion (Christentum) … zu richten und zu urteilen, wie sie wollen.«9
»Christianisierte« Kaiser maßten sich also an, die Juden als »Feinde der himmlischen Majestät« zu bezeichnen, weil sie fürchteten, von ihnen beherrscht zu werden.
Diese und eine Vielzahl anderer Gesetze wurden im Jahre 438 n.Chr. im Codex Theodosianus veröffentlicht und fanden strengste Anwendung. Ebenso auch die antijüdischen Gesetze im Codex Justinianus vom Jahre 534, die überall im Römischen Reich den rechtlichen Status der jüdischen Menschen immer stärkeren Einschränkungen unterwarfen und ihr Leben und ihren Glaubensvollzug zunehmend unerträglicher machten.
Hand in Hand mit den antijüdischen Gesetzen der staatlichen Gewalt erließen die Kirchenversammlungen, die sogenannten Konzilien, zahlreiche weitere Verordnungen, die auf eine konsequente Trennung der Christen von der jüdischen Bevölkerung abzielten und die Juden diskriminierten und zutiefst verletzten. So untersagte das Konzil von Elvira (um 306) – lange bevor ein ähnliches Gesetz von dem Kaiser Konstantius erlassen worden war – die Heirat und den Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Christen. Kinder aus einer solchen Verbindung wären nämlich nach jüdischem Religionsgesetz Juden gewesen. Es wurden sogar gemeinsame Mahlzeiten zwischen Juden und Christen verboten. Das Konzil von Laodicea (341) untersagte den Juden die Verbreitung jeglichen jüdischen Brauchtums. Die Synode von Nicäa (325) beschloss, dass das christliche Osterfest nicht mehr am jüdischen Pessach (Passahfest)10 gefeiert werden dürfe. Der Kirchenhistoriker Eusebius begründete diesen Beschluss mit den Worten:
»Unwürdig wäre es, dass wir bei diesem heiligen Feste der Sitte der Juden folgten, die ihre Hände mit den ungeheuerlichsten Verbrechen befleckten und geistlich blind blieben. Fortan wollen wir mit dem uns feindlichen Judenvolk nichts mehr zu tun haben, denn unser Heiland hat uns einen anderen Weg gewiesen.«11
Diese und eine Vielzahl anderer Gesetze engten Leben und Glauben der Juden in Europa immer mehr ein und drängten sie als verhasste und geschmähte Minderheit immer stärker in die Illegalität eines gettoähnlichen Daseins. In vielen Beziehungen haben sie ihre Fortsetzung in den judenfeindlichen Rassegesetzen Hitler-Deutschlands gefunden. Sie lassen den christlichen Anteil am Antisemitismus auch in unserem Jahrhundert deutlich erkennen.