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Jakob Wolff sucht einen Weg, den auf ihm liegenden Fluch wieder zu lösen. Dabei ist er ausgerechnet auf die Hilfe der Menschen angewiesen, die ihn verachten. Gelingt es ihm, seinen alten Zirkel in Speyer zu täuschen, um einen Gegenzauber zu finden? Und wird Lilo ihm eine Hilfe sein, obwohl sie sich in unter der Kontrolle des Gegners befindet? Machtgelüste, Intrigen und Neid zwischen den Hexern droht den kompletten Zirkel auffliegen zu lassen... Der Fortsetzung der "Jakob Wolff - Hexenmeister" Reihe mit dem Kurzroman "Der Täuschung" von Tanja Kummer.
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Seitenzahl: 156
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Jakob Wolff
Die Täuschung
1496
von Tanja Kummer
Ein Roman aus der Jakob Wolff Reihe
Leseratten Verlag
Tanja Kummer
Jakob Wolff - Die Täuschung
ISBN 978-3-945230-09-1
1. Auflage, Backnang 2014
Copyright Leseratten Verlag, Marc Hamacher
71522 Backnang
© Alle Rechte vorbehalten
www.leserattenverlag.de
www.tanjakummer.de
1.
- Frühjahr 1496 in der Nähe von Köln -
Jakob Wolff seufzte und rieb sich den Arm. Wenn das Wetter drastisch umschlug, juckte die alte Bruchstelle gelegentlich. Dann sah er von dem Brief auf und blickte aus dem Fenster. Es hatte zu Schneien begonnen. Er spürte förmlich, wie die zaghafte Frühlingswärme der letzten Tage davongeweht wurde. In einigen Stunden, wenn die Temperaturen weiter gesunken waren, würde das Kribbeln nachlassen.
»Du hattest mal wieder recht!«, rief Lilo, als sie die Wohnungstür aufstieß und wie ein Schneesturm hereingeweht kam.
Jakob schmunzelte über ihr Bekenntnis.
»Draußen ist es so kalt geworden, dass mir die Zähne klappern.«
»Nun, geliebtes Weibsbild, dann komm zu mir«, säuselte er lächelnd. »Ich werde dich wärmen!«
Lieselotte Wagner, eine kleine Frau mit kupferblondem Haar, grünen Augen und einer Stupsnase in ihrem länglichen Gesicht, warf ihm einen giftigen Blick zu. Dann wurden ihre Gesichtszüge weicher und sie lächelte schelmisch.
»Das klingt verlockend. Aber wenn ich uns jetzt etwas am Herd koche, wärmt mich dieser.«
Jakob lachte und rieb sich unbewusst den Unterarm.
»Du wirst es nicht schaffen, dass ich auf die Kochstelle eifersüchtig werde«, frotzelte er. Endlich kam sie heran, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen. Ihr Gesicht war eiskalt. Genau wie ihre Hände, die sie nun unter sein Hemd gleiten ließ.
»Himmel!« Jakob zuckte zurück. »Nimm die Eisklötze weg!«
Lilo lachte und gab ihm einen flüchtigen Kuss.
Mit ein paar Schritten war sie an der Feuerstelle und zog ihren Umhang aus, um ihn zum Trocknen an die warme Kaminmauer zu hängen. Dann widmete sie sich ihrem Korb und nahm einen Kohlkopf und ein kleines Stück Fleisch heraus.
»Bauer Rolf wird jeden Tag dreister«, sagte Lilo nun.
»Es schneit. Grund genug für ihn, die Preise zu erhöhen.«
»Wohl wahr. Aber seine wankelmütigen Tagespreise sind unverschämt. Unsere Nachbarin hatte wieder nicht genügend zum Eintauschen dabei.«
»Du hast ein zu gutes Herz, Lilo!«, seufzte Jakob und schrieb weiter an dem Brief.
»Möglich!«, knurrte Lilo zweifelnd. »Ich kann es eben nicht ertragen, dass die Kinder hungern. Es erinnert mich an meine eigene Kindheit. Das verstehst du vielleicht.«
»Natürlich tue ich das!«, sagte Jakob empört. »Deine Mutter hatte keinen Ehemann und ihr seid arm gewesen. Ich kann mir vorstellen, dass ihr oft gehungert habt.«
»Ja, das stimmt. Darum hasse ich seine herablassende und selbstsüchtige Art. Sie erinnert mich daran, wie es für meine Mutter und mich in Harzenberg gewesen ist. Nirgendwo war es so schlimm wie dort.«
»Es sind schwierige Zeiten«, versuchte Jakob zu erklären und sah erneut von dem Brief auf. Lilo stand neben dem Kamin an der Anrichte und hackte wütend auf das Gemüse ein. »Auch für jene, die mehr haben, ist das Leben nicht einfach. Die Leitsätze der Kirche schüren das Misstrauen der Menschen untereinander. Und obwohl Barmherzigkeit keine Sünde sein sollte, so ist sie es ab dem Moment, wenn du deine Mildtätigkeit einem Schuldigen schenkst.«
»Wie kannst du so was sagen, Jakob? Ich dachte, du würdest an Gott glauben! Wie kann es Sünde sein, denen zu helfen, der Hilfe brauchen. Sagtest du nicht, vor dem Herrn sind wir alle gleich?«, klagte sie an.
»Das tue ich, Lilo. Aber das heißt nicht, dass ich an alles glaube, was Kirche predigt. Ich habe die Bibel gelesen, im Gegensatz zu den einfachen Leuten, die nicht lesen und schreiben können.«
»So wie ich?« Lilo drehte sich um und ihre Katzenaugen blitzten ihn an.
»In der Zwischenzeit hast du es gelernt. Das eröffnet dir eine unerschöpfliche Quelle an Wissen.«
»Ich bin eine Frau, Jakob. Was nützt mir die Kenntnis, wenn ich sie nicht einsetzen kann? Manchmal hasse ich Gott dafür, dass er mich als Frau geschaffen hat. Aber meistens verachte ich nur das einfältige Denken der Männer.«
»Nun, es gehören immer zwei dazu.«
»Willst du mir sagen, dass wir Weibsbilder glücklich über diese Rolle sind? Dass wir uns mit Absicht beugen?«, sagte sie streng und ihre Tonlage wurde schärfer.
»Möchtest du für alle Frauen sprechen? Es würde dich überraschen, Lilo. Deine Worte würden auf viel weniger Verständnis treffen, als du denkst. Andere deines Geschlechts würden diese Worte als ketzerisch betrachten«, erklärte ihr Jakob.
Jakob konnte sehen, wie Lilo mit sich rang. Sie wollte etwas sagen. Etwas, das tief aus dem Innern ihrer Seele heraufdrängte. Dann aber wischte sie es beiseite. Sie tat das nun viel öfter als früher. Lilo hatte sich verändert. Ihre reine, helle Seele hatte nun eine dunkle Seite und Jakob fürchtete sich vor dem Tag, an dem er sie zu Gesicht bekommen würde.
»Jedenfalls bin ich heute auf Bauer Rolf so wütend, dass ich denke, er hätte es verdient, auf meiner Liste zu landen und zu sterben.« Damit kam Lilo zum eigentlichen Thema zurück und widmete sich wieder dem Gemüse.
»Du hast eine Liste?«, keuchte Jakob entsetzt. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts mehr davon hören will, wer deiner Meinung nach den Tod verdient hat! Wir werden den Fluch brechen. Noch in diesem Jahr. Aber dazu brauchen wir einen Hexenzirkel. Einen großen, erfahrenen Zirkel. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass es nur der eine schaffen kann.«
»Ich halte es für zu riskant, dich an den Zirkel deines ermordeten Vaters in Speyer zu wenden.«
Jakob seufzte. »Es gefällt mir genau so wenig wie dir, Lilo. Aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl. Die Alternative wäre, diesen Fluch jedes Jahr zu erfüllen. Doch das bedeutet auch, einen unschuldigen Menschen zu töten, damit ich weiterleben kann. Mit dieser Todsünde will ich nicht leben!«
»Unschuldige Menschen«, wiederholte sie voller Hohn.
»Ja, unschuldig. Nur Gott allein sollte der Richter sein, Lilo.«
»Denkst du das wirklich? Wenn du so gläubig bist, Jakob, wie erträgst du es dann, mit einer Sünderin wie mir unter einem Dach zu leben? Ich habe gemordet, Jakob! Und ich lebe in Unzucht mit dir!«
Jakob seufzte, legte die Feder weg und verschloss das Tintenfässchen sorgfältig. Er stand auf und ging zu der kleinen Anrichte, wo sie wütend auf den Kohl einhackte.
»Ich sagte, dass Gott allein darüber entscheiden sollte. Und das tut er nicht in diesem Leben«, erklärte er sanft und drehte Lilo zu sich. Dann nahm er ihr das Messer aus der Hand und legte es neben das Gemüse. »Und ich lebe ebenfalls in Sünde mit dir, Weiblein. Komm, der Tag ist lang. Du kannst später kochen.«
Er beugte sich herab und küsste sie innig. Doch er fühlte nur den heftigen Zorn, der in ihr brodelte. Enttäuscht seufzte Jakob.
»Halt!«, brüllte Jakob. »Was denkst du, was du da tust?«
»Ich lagere die Schafswolle um. So, wie es mir der Vorarbeiter befohlen hat!«
»Ich bin hier der Vorarbeiter! Und ich kann mich nicht daran erinnern, dir einen solchen Befehl erteilt zu haben.«
»Das habt Ihr auch nicht, Herr!«
»Also? Warum tust du es dann?«, schnauzte Jakob. Hier gibt wirklich nur Dummköpfe!, dachte er ärgerlich. Er war frustriert, weil Lilo ihn nach ihrem kleinen Streit abgewiesen hatte. Jakob aber hätte sich gerne mit ihr versöhnt und ihr gesagt, dass sie etwas Besonderes war. Dass er sie dafür liebte, wie sie die Dinge sah und wie sie sich dafür einsetzte.
»Herr Körner hat es mir befohlen«, verteidigte sich der Mann.
»Heinz ist hier?«, fragte Jakob überrascht.
»Ist vor etwa einer halben Stunde gekommen. Kurz bevor es zu schneien angefangen hat. Er meinte, die Wolle läge nicht trocken genug, ich solle sie näher ans Feuer legen.«
»Aber bestimmt nicht so nah!«, sagte Jakob ein wenig milder. »Ein Funke genügt und die Wolle brennt wie Zunder. Dann ist hier alles verloren.« Jakob sah sich um und zeigte an einen anderen Ort. »Stapel sie besser da drüben.«
Der Mann nickte und machte sich wieder an die Arbeit.
Jakob hingegen eilte zur Anlegestelle, wo ein Kahn vor Anker lag.
»Willkommen, Herr Körner, wie war die Reise?«, begrüßte Jakob ihn förmlich.
Heinz Körner war ein hagerer Mann. Grauhaarig und mit einem vom Wetter gegerbten Gesicht. Kräftig, mit breiten Schultern und derbem Humor.
»Ich werde alt, Jakob!«, sagte dieser mit Wehmut in der Stimme. »Darum bist du hier. Anstatt dich von der Umarmung deiner schönen, jungen Frau wärmen zu lassen, wärest besser du den Rhein hinaufgefahren und hättest dafür mich im Bett liegen lassen.«
Jakob grinste. »Ihr habt recht, mein Herr. Es gibt doch nichts Besseres als ein dralles Weib, das einem im Winter das Bett wärmt«, gestand Jakob. »Wie geht es Eurer lieben Gattin?«
»Herrje, Junge. Dieses derbe Weibsbild eine liebende Gattin zu schimpfen, ist ganz schön vermessen«, lachte Heinz lauthals.
Fast im selben Moment kam Elsbeth um die Ecke. Sie war sicher fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann. Eine schlanke, aber stabile Frau mit blondem Haar, rundem Gesicht und grauen, wachen Augen. Um ihre Augen und Lippen hatte sie tiefe Falten vom Lächeln, denn das tat sie oft.
Jakob wusste, dass die beiden einander innig liebten. Das konnte jeder sehen.
»Machst du schon wieder Pause, alter Mann?«, neckte sie ihn und setzte das Bündel ab, welches sie herangebracht hatte. »Grüß Gott, Herr Wolff«, sagte sie lächelnd. »Ich habe einen Brief von Eurer Schwester.«
»Wie geht es Agnes und Jasper?«
»Gut! Sie freuen sich darauf, dass Ihr bei der nächsten Fahrt Heinz begleiten werdet.«
»Werde ich das?«, fragte Jakob überrascht.
»Sicher, mein Junge. Wir arbeiten seit Monaten zusammen. Wird Zeit, dass ich dich aufs Wasser bringe. Hier im Lager kannst du nichts mehr lernen.«
»Wird Maria Euch begleiten? Agnes würde Eure Frau so gerne kennenlernen«, fragte Elsbeth neugierig.
»Eher nicht!«, sagte Jakob zurückhaltend. »Ich denke, Maria würde sich nur langweilen.«
Elsbeth nickte enttäuscht.
»Du wirst sie nicht ewig vor deinem Schwager verstecken können, Junge«, witzelte Heinz. »Aber es ist ja noch Zeit bis dahin. Kommt, lasst uns ins Büro gehen. Jasper hat uns eine Flasche Likör mitgegeben. Ich denke, unsere sichere Rückkehr ist ein guter Grund, ein Gläschen zu trinken.«
Es war später als üblich, bis Jakob nach Hause kam. Es hatte viel zu besprechen und abzuladen gegeben.
Jakob setzte sich zum Essen an den kleinen Tisch und Lilo schöpfte ihm Kohleintopf in einen Holznapf.
»Danke«, sagte Jakob und nahm einen Löffel. Er war hungrig und durchgefroren. Doch kaum, dass er den Brei im Mund hatte, spuckte er ihn wieder aus. »Lilo!«
»Was? Magst du mein Essen nicht?«, sagte sie wütend. »Dann koch doch du, oder komm früher nach Hause!«
»Was ist los mit dir?«, fragte Jakob kopfschüttelnd. Er bröselte Brot in den angebrannten, bitteren Eintopf. Jakob hoffte, den ekeligen Geschmack damit zu überdecken.
»Irmgard war heute Mittag mit den Kindern da. Die Kleinste hat wieder Schnupfen und hustet ganz fürchterlich. Ich habe ihr dann einen meiner Umhänge geschenkt, weil sie so erbärmlich gefroren hat.«
»Du weißt, dass Irmgard das Tuch bei nächster Gelegenheit gegen Essen tauschen wird, oder?«
»Ja«, sagte Lilo verstimmt.
»Sie nutzt dich aus, Lilo«, seufzte Jakob und probierte erneut vom Eintopf. »Ich weiß, dass du Mitleid mit den Kindern hast, aber wir können ihre Rasselbande nicht durchfüttern. Wie viele hat sie?«
»Fünf«, gestand Lilo.
»Sie braucht einen neuen Mann.«
»Den Dritten?«
»Oder vierten. Spielt es eine Rolle, solange es ihre Kinder warm haben und etwas zum Essen bekommen?«
»Irmgard denkt, die Männer haben Angst vor ihr. Sie hat schon zwei Ehemänner überlebt.«
Jakob schob den Napf zu Lilo zurück. Der Kohleintopf war ungenießbar.
Ja, so etwas in der Art habe ich in der Tat schon mehrfach gehört. Andererseits ist sie eine fleißige und fruchtbare Frau.
»Vielleicht sollte sie eines der Kinder verkaufen. Ich mag das Mädchen«, sagte Lilo leise.
»Schlag dir das aus dem Kopf«, befahl Jakob ihr scharf.
»Warum denn nicht? Die Kleine hätte es hier gut.«
»Sie gehört nicht zu unserem Blut, Lilo. Du kannst sie vielleicht noch täuschen, solange sie klein ist. Aber später würde sie nicht verstehen, wer wir sind und was wir tun. Sie ist nicht so, wie wir sind. Dein Talent, Erze und metallische Zusammensetzungen zu erspüren, könnte sie nicht begreifen. Oder meine Gabe, durch Berührung zu erkennen, dass ein Mensch krank ist und was ihm fehlt.«
Lilo nickte abgehackt.
»Du willst lieber einen Jungen.«
»Herr im Himmel! Darum geht es jetzt nicht. Was ist heute nur los mit dir?«
»Ich habe darüber nachgedacht, dass wir alle belügen, weil wir in einem Eheverhältnis leben, aber nicht Mann und Frau sind. Du bist mit einer Frau verheiratet, deren Identität ich angenommen habe, um alle zu täuschen. Ich hasse das Leben als Maria Wolff und die Lügen. Und dass wir nicht heiraten oder Kinder haben können.«
»Wir führen kein normales Leben, Lilo. Nicht, solange der Fluch nicht gebrochen worden ist, der dich nicht altern lässt und verhindert, dass du Kinder bekommen kannst. Aber es wird uns gelingen. Und dann werden wir heiraten und du wirst neues Leben zur Welt bringen. Ob Mädchen oder Junge ist mir ganz gleich. Hauptsache, sie werden so schön wie ihre Mutter.«
»Hör auf zu träumen und iss, Jakob. Dein Essen wird sonst kalt«, tadelte sie und machte sich daran, die Schmutzwäsche im großen Wäschekessel auszukochen.
Jakob klopfte. Hinter der Tür der kleinen Holzhütte entstand erstaunlich viel Lärm.
Er zog seinen Umhang enger und starrte zurück auf den Weg, den er gekommen war. Seit gestern Morgen schneite es ununterbrochen und sie hatten bereits so viel Neuschnee, dass er bis weit über seine Fußknöchel reichte. Der Winter war zurück.
Endlich ging die Tür auf und Irmgard stand vor ihm. Sie war erstaunlich jung für fünf Kinder, sah aber ausgezehrt und müde aus. Die Bälger kosteten ihr alle Kraft.
»Oh, Herr Wolff!«, sagte sie überrascht und knickste Andeutungsweiße. Dann lächelte sie zaghaft und offenbarte ihm damit, dass einer ihrer Schneidezähne fehlte. Dann strich sie eine ihrer dünnen, haselnussbraunen Haarsträhnen hinter das Ohr.
»Grüß Gott, Irmgard«, sagte er freundlich. Ihm fiel dabei ein, dass er gar nicht wusste, wie ihr Nachname lautete. Doch offenbar störte sie das nicht.
»Ich kommt sicher, um den Umhang zurückzuverlangen. Ich hätte wissen müssen, dass ich ein so teures Geschenk auf keinen Fall annehmen darf.«
»Nein, nein. Deswegen bin ich nicht hier«, wehrte er ab und lächelte sie an. Aus der Wohnung drang nur wenig warme Luft, offenbar war der Familie auch das Brennholz ausgegangen. Im Innern der Hütte roch es nach Schweiß, Urin und Kot. Der Gestank erinnerte Jakob an seine Tage in der Zelle, als man ihn wegen Hexerei angeklagt hatte. Er machte einen kleinen Schritt zurück, um mehr von der frischen Luft einzuatmen und unterdrückte die aufsteigenden Erinnerungen an seine Gefangenschaft im Kerker von Greiz.
»Was kann ich dann für Euch tun, mein Herr?«, fragte Irmgard verwirrt.
»Euer ältester Junge ist acht, oder?«
»Ja.« Die Frau nickte.
»Ich habe Arbeit für ihn.«
»Oh!« Irmgards Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Thomas«, rief sie und verfiel in einen kurzen, aber heftigen Hustenanfall. Gleich darauf stand der Junge an der Tür. Ein schmächtiges Kind, blass und unterernährt.
»Ich bin Jakob Wolff. Du bist Thomas?«
»Ja.« Der Junge nickte eifrig.
»Ich habe Arbeit für dich. Zieh dich warm an.«
»Er hat keinen Umhang«, krächzte Irmgard mit belegter Stimme.
»Meine Frau hat Euch gestern einen gegeben. Den habt ihr doch noch, oder?«
»Natürlich. Ein Moment!« Irmgard schloss die Tür. Jakob hörte, wie sie mit den Kindern schimpfte und dann hustete. Kurz darauf kehrten sie zurück und Irmgard schob Thomas hinaus.
»Ich bringe ihn heute Abend wieder heim«, sagte Jakob. Irmgard nahm es nickend zur Kenntnis, dann schloss sie die Tür.
»Komm mit!«, befahl Jakob und schob den Jungen vor sich her. Er berührte den Stoff des Umhanges an der Schulter des Knaben und stellte überrascht fest, wie warm er sich anfühlte.
»Hat deine kleine Schwester darin geschlafen?«, fragte Jakob daher.
»Doris hatte ihn bis eben an. Aber geschlafen hat sie nicht. Wir haben uns in der Nacht dicht an sie gekuschelt, weil sie so schön warm war. Doch sie hat nur gestöhnt und geweint.«
Das Mädchen hatte Fieber. Sehr hohes Fieber. Und anstatt die anderen Kinder von ihr fernzuhalten, ließ es die Mutter zu, dass sich alle bei der kleinen Doris ansteckten.
Jakob seufzte und überholte den Jungen.
»Beeil dich!«, befahl er barsch.
Als sie im Lager ankamen, sah ihn Heinz fragend an, doch Jakob ignorierte ihn zunächst. Er drückte Thomas einen Besen in die Hand und beauftragte ihn damit, die Gänge zu fegen. Dann erst kam er in das wärmere Büro.
»Guten Morgen, Jakob. Hast du mir was verschwiegen?«, fragte Heinz und deutete auf den Jungen.
»Ist nicht mein Balg. Ist der älteste Sohn meiner Nachbarin. Sie ist in Not und Maria hatte Mitleid mit dem Pack. Aber ich sehe nicht ein, warum wir sie durchfüttern sollen, wenn der Junge arbeiten kann.«
»Der kann arbeiten?«, fragte Heinz zweifelnd und sah dem mageren Kind zu, wie es unsicher den Gang kehrte.
»Wir päppeln ihn schon noch auf.«
Heinz lachte. »Wie heißt dein Streuner?«
»Thomas.«
»Gut! Ich sage den anderen Bescheid, dass sie ihn hart rannehmen sollen«, sagte Heinz grinsend. »Ich hoffe, er mag Elsbeths Essen. Sie ist nicht die beste Köchin.«
»Nichts von dem, was ich hier essen durfte, war jemals nahe dem, was ich gestern Abend auf dem Tisch hatte. Ich hab nen Bärenhunger«, sagte Jakob. »Außerdem glaube ich, wird der Junge froh sein, überhaupt etwas zum Essen zu bekommen. Wie es schmeckt, ist völlig zweitrangig.«
Am Abend brachte Jakob Thomas wie versprochen zur Hütte zurück. Der Knabe war am Ende seiner Kräfte. Müde schlurfte er ins Haus und rollte sich auf einer Ecke des Bettes zusammen und schlief augenblicklich ein.
»Ich hoffe, er war fleißig!«, sagte Irmgard erschöpft. Ihre Augen funkelten im schwachen Licht des Abends leicht fiebrig.
»Das war er. Tüchtiger Junge. Man muss ihn nur etwas fordern«, bestätigte Jakob. »Der Vorarbeiter hat mir das hier für euch mitgegeben. Heiße Suppe und etwas Brennholz für die Nacht. Ist ein Einstandsgeschenk.«
»Oh! Habt dank!«, sagte Irmgard überrascht und nahm den warmen, irdenen Krug und das Holz entgegen.
»Wie geht es der Kleinen?«, fragte Jakob und spähte in die Hütte. Das Kind lag röchelnd und keuchen auf dem Bett.
»Ich weiß es nicht, Herr. Sie isst nicht.«