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Wer hat den Bürgermeister erstochen und gefedert? Wie kam die Murr an ihren Namen? Welche finstere Geschichte steckt hinter dem Gedenkstein im Plattenwald? Wie viele Leichen liegen wirklich im Keller der Stiftskirche? Wer ist die geheimnisvolle junge Dame, die Angst vor der Dunkelheit hat? Wieso bedrohen eine Raumsonde und rebellierende Roboter nicht nur Backnang, sondern die Welt? Sind Postboten die besseren Polizisten? Wie erlebt man Backnang als Fremde? Wo lernt man Schwäbisch? Wieso ist es ein tödlicher Fehler, einer Frau zu sagen, sie sei zu dick? Die 20 besten Backnang Stories bieten Spannung, Humor, Gruseliges, Märchenhaftes und Nachdenkliches. Die Geschichten von gestern, heute und morgen sind bunt, wie die Stadt und ihre Menschen. Der Leseratten Verlag spendet für jedes verkaufte Buch 1 Euro an den Kinder- und Jugendhospizdienst Sternentraum in Backnang. Wir sagen Danke für die Hilfe und wünschen viel Spaß beim Lesen.
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Seitenzahl: 220
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Leseratten Verlag
präsentiert
Backnang Stories 2014
Die 20 besten Geschichten
des Schreibwettbewerbes
aus dem Jahr 2014
Marc Hamacher (Hrsg.)
Backnang Stories 2014
ISBN 978-3-945230-08-4
1. Auflage, Backnang 2014
Alle Rechte und Pflichten der jeweiligen Erzählung liegen beim Autor.
Bild: Stephan Wonczak
Cover: Marc Hamacher
Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher
Lektorat: Carina Bein, Marc Hamacher
Herausgeber: Marc Hamacher
© 2014, Leseratten Verlag, Backnang
www.leserattenverlag.de
Liebe Freundinnen und Freunde von Backnang-Kurzgeschichten,
Backnang ist nicht nur immer eine Reise wert, Backnang ist immer auch eine Kurzgeschichte wert. Die Richtigkeit dieses Satzes zeigt die große Zahl von 56 Einsendungen eines Schreibwettbewerbs mit Autoren aller Altersklassen. Die vorliegende Auswahl enthält davon 20 ideenreiche Geschichten von 16 Autoren im Alter von 11 bis 61 Jahren – von Backnang-Literaten für Backnang-Begeisterte. Dies nimmt nicht wunder, schließlich ist Backnang eine spannende Stadt und bietet deswegen jede Menge »Futter« für prickelnde Geschichten, Erzählungen und Stories. In jedem Fall ist Backnang in diesem Buch immer irgendwie mit von der Partie, denn unsere Stadt steht als Schauplatz im Vorder- oder zumindest im Hintergrund einer jeden Geschichte.
Es ist beeindruckend, dass es Marc Hamacher gleich mit der ersten Auflage der »BK-Stories« gelungen ist, eine solche Vielzahl und Vielfalt von Kurzgeschichten zu präsentieren.
Ich wünsche den Leserinnen und Lesern großes »Backnang-Lesevergnügen« sowie dem Werk viel Erfolg und eine gute Verbreitung in Backnang und weit darüber hinaus.
Dr. Frank Nopper
»In Zeiten von Computerspielen und TV stirbt das Buch, vor allem aber das Schreiben langsam aus.« So heißt es zumindest immer wieder, wenn man sich über die Hobbys junger Menschen unterhält. Doch so ganz stimmt das nicht, denn es gibt sie immer noch: Menschen, die zum Stift oder in die Tasten greifen, um Träume lebendig zu machen, alte Erfahrungen wiederzubeleben, Gefühle zu verarbeiten oder dem Fluss der eigenen Fantasie ein Ventil zu geben. Oft schreiben diese Autorinnen und Autoren zunächst nur für sich selbst, aber viele dieser Geschichten sind es wert, den Weg ins Licht zu finden und nicht einfach in einer finsteren Schublade zu verstauben.
Als wir diesen Schreibwettbewerb rund um die »Backnang Stories« starteten, gab es nicht nur Unterstützung, sondern auch einige pessimistische Stimmen. Literatur gelte als ein wenig angestaubt und man gehe ein Risiko ein. Werden genug Autoren mitmachen? Interessiert Literatur heutzutage noch die Masse der Menschen in Backnang? Man kann diese Fragen nur beantworten, wenn man ins kalte Wasser springt und es versucht.
Im Laufe der ersten Monate des Jahres 2014 erhielten wir 56 Geschichten, sowohl von jungen als auch von älteren Nachwuchsautoren in einer Altersspanne von 11 bis 82 Jahren. Die positive Resonanz auf die Ausschreibung hat uns sehr gutgetan. Es hat uns allen gezeigt, dass es durchaus eine kleine, feine Szene von kreativen Schreiberlingen in Backnang gibt. Und die Geschichten sind so bunt wie die Stadt selbst, von Lebenserinnerungen über Fantasy, Science-Fiction, Märchen und Tierfabeln bis hin zum guten, alten Krimi.
Es hat sich aber auch gezeigt, dass man in Backnang etwas erreichen kann, wenn man nur will. Diese Geschichtensammlung soll zeigen, dass es schreibenden Nachwuchs in der Region gibt, der nur entdeckt und gefördert werden will. Die Autorinnen und Autoren haben hier erstmals eine Chance erhalten, dass ihre Geschichten gedruckt werden.
So sind die »Backnang Stories« irgendwie ein Kind, aber auch ein Spiegel der Stadt. Sie machen neugierig, sie bringen einen zum Lachen, Nachdenken, Gruseln, aber das alles in Bezug zur Heimat.
Nun hoffe ich, dass die »Backnang Stories«, geschrieben von Backnangern für alle Backnanger und Freunde dieser Stadt, langsam ans Laufen kommen, wachsen und gedeihen. Es steht schon jetzt fest, dass es auch 2015 eine Ausgabe des Buches mit einem neuen Wettbewerb geben wird.
Doch nun tauchen Sie ein in die Geschichten rund um Backnang und haben Sie viel Spaß beim Lesen.
Marc Hamacher
Ein solches Projekt wie die »Backnang Stories« kann man nicht alleine stemmen. Es gibt viele Leute im Hintergrund, die an der Idee gearbeitet haben und ohne deren Unterstützung das Buch nicht erschienen wäre. Ich hoffe, dass ich niemanden vergesse – und wenn, dann ist es sicher keine Absicht.
Der größte Dank geht an all die Autorinnen und Autoren, die bei dem Schreibwettbewerb mitgemacht haben. Denn ohne diese vielen Geschichten hätte das Buch keinen Inhalt. Leider hatten wir ein Seitenlimit und konnten nur 20 der 56 Geschichten abdrucken. Das heißt nicht, dass die anderen Geschichten schlecht waren, aber die Gewinner waren halt den kleinen Tick besser. Das kann nächstes Jahr schon wieder anders aussehen.
Danke an die Jury, namentlich Cornelia Floeth, Chantal Gallinat, Claudia Gollar-Knüdeler, Karin Riefert, Hellmut Seiler und Stephan Wonczak. Ihr habt einen tollen Job gemacht und viel Freizeit geopfert, um alle Geschichten zu lesen und zu bewerten, was sicher nicht immer einfach war.
Mein Dank geht ebenso an das Stadtmarketing Backnang, das uns mit dem Gänsemarkt eine Bühne zur Präsentation des Buches gibt und deren Mitglieder uns bei der Verbreitung der Werbung sehr unterstützt haben.
Von der Stadt Backnang möchte ich Frau Marianne Engelhardt von der Stadtbücherei hervorheben, die für uns viele Kontakte knüpfte und eine Lesung zu den »Backnang Stories« veranstalten wird.
Danke an Herrn Schick und Herrn Dr. Nopper für die Unterstützung der Idee und die immer offenen Ohren bei Fragen und Problemen.
Wir fanden auch Partner und Sponsoren für die Preise, welche an die besten Geschichten vergeben werden. Danke an die Buchhandlung Kreutzmann, das Universum Kino, den Schwarzmarkt, das Wonnemar, das Hofgut Hagenbach, die Parfümerie Dorn und Lars Schürer vom Tafelhaus. Wer welchen Preis gestiftet hat, steht dann bei der jeweiligen Geschichte. Die Druckerei Winterwork unterstütze uns mit einem guten Angebot bei den Produktionskosten des Buches.
Der letzte persönliche Dank geht an meine geliebte Frau Tanja, von der die ursprüngliche Idee zu den »Backnang Stories« kam und ohne deren Antrieb und Hilfe das Buch nie entstanden wäre.
Vom Erlös von jedem verkauften Printexemplar der »Backnang Stories 2014« geht 1 Euro an den »Kinder- und Jugendhospizdienst Sternentraum« in Backnang, eine Organisation, die in Backnang und der Region viel Gutes tut, um das Leid von trauernden oder gar sterbenden Kindern ein wenig zu mildern.
Sabine Baumert unterrichtet an der Backnanger Jugendmusikschule, deren zentrales Unterrichtsgebäude im Bandhaus untergebracht ist. Der Blick auf die benachbarte Stiftskirche und die alten Häuser in unmittelbarer Umgebung haben sie zu ihrer Geschichte inspiriert, genauso wie der Bandhauskeller im Untergeschoss des Gebäudes.
Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.
Wenn sie nicht gerade mit Musik oder Schreiben beschäftigt ist, erkundet sie gern per Fahrrad die Umgebung oder macht Handarbeiten. Mit den Kaninchen Maxi und Paulchen lebt sie in Kornwestheim.
Backnang, im Frühjahr 1387
Der kleine, weiße Hund wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz und schaute zu den drei Kindern hinüber. Sie standen neben ihm auf der grünen Wiese, unterhalb der Kirche St. Pankratius, und vergnügten sich damit, Steine in die Murr zu werfen, die unter ihnen in der Sonne glänzte. Dass der zwölfjährige Robert der Cousin der Zwillinge Franz und Fritz war, konnte man gleich sehen. Alle drei hatten die gleich lockigen, braunen Haare. Allerdings waren Roberts Augen braun, die der Zwillinge leuchtend blau. Die beiden waren ein Jahr jünger und noch um einiges kleiner als ihr Cousin. Kein Wunder, dass ihre Steine oft nicht in der Murr, sondern am Ufer oder gar unten am Hang landeten.
Franz und Fritz glichen sich beinahe wie ein Ei dem anderen, was doch etwas erstaunlich war, denn Franz und Fritz hießen richtig Franziska und Friedrich. Franziska wäre auch gern ein Junge gewesen, weshalb alle, die sie kannten, sie Franz nennen mussten. Ihre Mutter tat ihr Möglichstes, Franziska in schöne Mädchenkleider zu stecken, aber meist wusste das Mädchen das geschickt zu umgehen. Heute trug sie zum Beispiel einen schönen weiten Rock. Sie hatte aber heimlich ihrem Vater, der Schuster war, eine seiner großen Nadeln mitsamt dem festen Faden stibitzt und kurzerhand längs in der Mitte eine feste Naht genäht, sodass der Rock jetzt beinahe aussah wie die Beinkleider von Robert und Fritz.
Franz hatte ziemlich schlechte Laune, denn sie hatte nie so weit geworfen wie die beiden Jungen.
Inzwischen war der Hund zu einem Gebüsch gelaufen, stand davor und bellte aus Leibeskräften.
»Beppo! Du bist auch zu überhaupt nichts nütze«, schimpfte Franz mit dem verdutzten Hund, der vor Überraschung aufhörte zu bellen. »Einen Lärm machst du hier. Bald werden die Leute oben aus dem Ort herbeilaufen und schauen, was hier los ist.«
»Hör nicht auf sie, Beppo«, tröstete Fritz und kraulte den Hund hinter dem Ohr. »Sie lässt nur ihren Ärger an dir aus, weil sie nicht so weit werfen kann wie wir.«
»Jetzt hört mal auf zu streiten und kommt lieber her«, rief Robert, der inzwischen zu dem Gebüsch gelaufen war, vor dem Beppo so ausdauernd gebellt hatte. »Seht ihr das? Hinter dem Busch am Hang glänzt etwas. Sieht wie ein Gitter aus!«
»Stimmt«, bestätigte Fritz, der inzwischen neben seinen Cousin getreten war. »Seltsam, das ist mir noch nie aufgefallen. Dabei haben wir schon so oft hier gespielt.«
»Aber halt noch nie, wenn die Sonne schon so niedrig stand«, bemerkte Robert. »Schaut, sie leuchtet direkt auf das Gebüsch. Am besten schauen wir gleich mal nach.«
»Gar nichts werden wir nachschauen«, bemerkte Franz, den Hund im Schlepptau. »Die Sonne wird bald untergehen. Das heißt, wir müssen schleunigst nach Hause. Die warten sicher schon auf uns.«
»Oje! Da steht uns was bevor«, seufzte ihr Bruder.
Obwohl die Eltern ihre Zwillinge heiß und innig liebten, achteten sie doch sehr darauf, dass die beiden nicht allzu übermütig wurden und den Anordnungen ihrer Eltern nicht mehr folgten.
Bei Robert war es nicht so schlimm, wenn er einmal später als vorgesehen nach Hause kam. Er hatte noch zwei ältere und vier jüngere Geschwister, sodass es selbst seiner energischen Mutter manchmal schwerfiel, den Überblick zu behalten. Sein Vater webte die feinen Stoffe für die Kleidung der Chorherren im Stift. Deshalb verdiente er mehr als die anderen Handwerker und konnte auch seine große Familie ernähren. Außerdem hatte er mit seiner Familie das Recht, direkt außerhalb des Stiftsbezirkes zu wohnen, in dem sich nur die Chorherren aufhalten durften.
Die Zwillinge und Beppo hatten es allerdings auch nicht viel weiter, denn ihr Haus stand nur ein Stückchen weiter den Hügel zur Rechten hinunter.
»Wenn es ganz kurz vor Sonnenuntergang ist, treffen wir Jungen uns wieder hier bei der Kirche«, bestimmte Robert. »Dann schauen wir noch mal genau nach, was es mit diesem Gebüsch auf sich hat.«
»Und ich?«, fragte Franz. »Mich wollt ihr wohl nicht mitnehmen?«
»Nein. Mädchen dürfen da nicht mit«, grinste Robert. »Viel zu gefährlich, wenn es fast dunkel ist. Pass auf, wenn du nach Hause kommst, hat deine Mutter sicher schon spannende Aufgaben für dich: Hühner in den Stall bringen, Socken stopfen ...«
Franz blitzte ihn wütend an, pfiff nach dem Hund und marschierte wütend den Hügel hinab nach Hause.
»Du brauchst nicht zu denken, dass du jetzt noch etwas zu essen bekommst, Franziska«, schimpfte ihre Mutter.
Oje, dachte Franz. Wenn ihre Mutter sie bei ihrem vollen Namen nannte, war sie sehr wütend. Aber ich habe es wirklich auch nicht anders verdient, überlegte das Mädchen.
»Du kümmerst dich erst mal um die Hühner. Die müssen ganz schnell ihr Futter bekommen und dann ab in den Stall. Und dann kannst du mir noch beim Flicken der Hemden helfen.«
Zu Fritz war die Mutter etwas gnädiger. Auch wenn sie es nie zugegeben hätte, war doch der Junge ihr Liebling. Ein richtiger Sonnenschein, ganz anders als die trotzige Franziska.
»Du kannst dir schnell etwas zu essen nehmen, aber dann musst du noch beim Vater helfen, die Werkstatt aufzuräumen.«
Während Franz sich mit tatkräftiger Hilfe von Beppo bemühte, die unwilligen Hennen in den Stall zu scheuchen, schlang Fritz schnell etwas zu essen herunter und rannte in die Werkstatt des Vaters, die im Erdgeschoss des Hauses war. Der Vater hatte sein Tagwerk für heute fast beendet und brauchte kaum noch Hilfe beim Aufräumen. Manchmal hat es auch Vorteile, wenn man zu spät dran ist, dann hat sich die Arbeit fast schon von alleine erledigt, dachte Fritz zufrieden.
Er wollte unbedingt mit Robert zusammen nachschauen, was es mit diesem Gebüsch und dem Gitter auf sich hatte. Deshalb verabschiedete er sich ganz schnell von den Eltern und pfiff nach Beppo, der schon auf dem Weg zu seinem Lieblingsknochen war und wenig Lust hatte, abends noch mal wegzugehen. Aber auch er liebte sein Herrchen heiß und innig und hätte Fritz nie allein aus dem Haus gehen lassen.
»Bleib nicht so lange weg!«, rief die Mutter ihm besorgt hinterher.
»Na endlich«, begrüßte ihn Robert am vereinbarten Treffpunkt. »Ich wollte schon wieder nach Hause gehen. Bald sieht man ja gar nichts mehr.«
»So, Beppo! Jetzt zeig uns mal, was du vorhin gefunden hast«, rief Robert, und der Hund rannte so schnell vorneweg, dass die beiden Jungen kaum hinterher kamen. Wieder blieb er vor dem Gebüsch am Hang stehen und bellte.
»Gut, dass wir ihn dabei hatten«, sagte Fritz. »Hier gibt es ja einige Büsche, und ich weiß nicht, ob wir allein den richtigen gefunden hätten.«
»Schau mal! Hier sind ein paar Äste abgeknickt, und es liegen Blätter auf dem Boden. Man kann jetzt ganz gut das Gitter dahinter erkennen«, flüsterte Robert aufgeregt. »Da muss nach uns jemand am Gitter gewesen sein.«
»Und? Wo ist der hin?«, fragte Fritz.
Beppo hatte sich inzwischen durch die stacheligen Zweige gezwängt und zerrte an den Gitterstäben. »Schau mal! Dahinter sieht man Licht. Wir müssen unbedingt herausfinden, was hier los ist!«
Beide schlichen außen am Gebüsch vorbei zum Gitter.
»Es ist einen Spalt weit offen«, flüsterte Robert aufgeregt und zerrte an den Stäben. »Hilf mir mal, es ein bisschen weiter zur Seite zu ziehen. Es geht unheimlich schwer.«
Zu zweit schafften sie es schließlich, das Gitter so weit zur Seite zu schieben, dass sie sich durchquetschen konnten. Beppo war schon vor ihnen auf die andere Seite des Gitters gekrochen und jaulte leise.
»Aus, Beppo! Ab jetzt müssen wir ganz leise sein«, wisperte Fritz. »Ich sehe nämlich wirklich Licht von weiter hinten. Das heißt, es ist schon jemand vor uns hier hineingegangen.«
»Und dieser Jemand führt sicher nichts Gutes im Schilde«, meinte Robert. »Denn wieso sollte man sonst einen Kellereingang hinter einem Busch verstecken? Für Erwachsene ist es doch unheimlich schwierig, da hineinzukriechen«.
Fritz ließ Beppo los, damit er vorneweg laufen und melden konnte, wenn sich jemand näherte.
»Das ist ja ein richtiger Gang«, staunten die Jungen. Während die Öffnung vorne noch so klein gewesen war, dass sie sich hatten bücken müssen, so erweiterte sie sich schnell so weit, dass sie darin aufrecht stehen konnten. Alle paar Meter brannten rechts und links kleine Talglichter, die den Gang erhellten. Vorsichtig schlichen die Kinder weiter, bis es auf einmal ganz dunkel wurde.
»Was ist denn das?«, fragte Fritz ängstlich und hielt sich ganz nahe bei Robert.
»Da macht der Gang nur eine Kurve nach rechts, du Angsthase. Wahrscheinlich, damit man von außen nicht noch mehr helles Licht sieht.«
Beppo war, eifrig schnüffelnd vorneweg gerannt. Wieder lag ein längeres Stück gut beleuchteten Wegs vor ihnen, bis eine Linksbiegung dafür sorgte, dass es wieder dunkel wurde.
»Wo sind wir denn hier?«, fragte Fritz.
»Ich weiß es jetzt«, meinte Robert. »Überleg doch mal! Wir sind geradeaus gegangen, dann nach rechts, dann wieder geradeaus und dann nach links. Das heißt, wir sind eigentlich schnurgerade in den Berg hineingegangen, wo wir sonst immer unten mit Beppo und Franz sind. Und damit kommen wir direkt neben der Stiftskirche im Weinkeller an.«
»Da darf man doch gar nicht hin! Das ist doch der abgesperrte Bezirk, wo nur die Chorherren Zugang haben!«
»Wahrscheinlich genau deshalb, du Schlaumeier. Durch den Geheimgang kommt man eben doch von außen herein. Still! Ich höre Stimmen!«
»Heute kann ich euch einen guten Lohn versprechen«, hörten die Jungen eine Stimme sagen. »Man erwartet von uns eine größere Lieferung. Dafür brauchen wir mehrere Boote, und deshalb habe ich euch schon früher als sonst hierher bestellt. Wir müssen bis zur Mitternachtsmesse fertig sein. Denn wenn ich da fehle, fällt es auf.«
Vorsichtig spähte Robert um die Ecke in den Raum, der sich dahinter erstreckte. Der Sprecher war ein untersetzter, etwa vierzigjähriger Mann, der eher so aussah, wie sich der Junge einen Schmied vorstellte, der schwere körperliche Arbeit verrichtete. Dagegen sprach allerdings, dass der Mann das Gewand der Chorherren trug. Robert wusste genau, wie deren Kleidung aussah, schließlich fertigte sein Vater die Stoffe. Um den Sprecher herum standen Männer in ärmlicher Kleidung. Hinter ihnen einige Weinfässer.
»Ihr kennt eure Aufgabe«, sprach der Chorherr. »Rollt die Fässer nacheinander, so leise es geht, nach vorne bis zum Ausgang. Dann schaut ihr, bis ihr unten an der Murr ein Lichtsignal seht. Dann rollt ihr die Fässer weiter bis zum Ufer und verladet sie auf die Boote. Wenn ihr alle Fässer verladen habt, ist eure Aufgabe für heute erledigt. Ich habe den Bootsführer des letzten Bootes angewiesen, euch euren Lohn auszuzahlen. Jetzt ans Werk!«
»Schmuggler!«, flüsterte Robert. »Die stehlen den guten Wein aus dem Keller der Chorherren und verschiffen ihn auf der Murr. Wahrscheinlich bis zur Mündung im Neckar. Womöglich noch weiter. Das ist sicher ein sehr lohnendes Geschäft, weil die Chorherren nur den allerbesten Wein trinken.«
»Jetzt red nicht, sondern komm lieber schnell wieder mit zurück, bevor uns jemand findet«, forderte Fritz ihn auf und packte Beppo am Halsband, damit der sie nicht durch sein Bellen verraten würde.
Schnell eilten sie durch den Gang, dessen Verlauf sie inzwischen schon etwas besser kannten.
»Schau! Da ist ein Schatten vor dem Eingang«, flüsterte Fritz. »Ist das etwa einer der Bootsführer?«
Beppo riss sich von der Hand des Jungen los und stürzte sich schwanzwedelnd auf den Schatten.
»Wahrscheinlich doch kein Schmuggler«, sagte Robert erleichtert.
»Beppo! Sei still. Du darfst hier auf gar keinen Fall bellen«, hörten die Jungen eine vertraute Stimme sagen.
»Franz, was machst du denn hier? Du solltest doch zu Hause sitzen und Hemden stopfen!«
»Ich habe mich halt unheimlich beeilt«, lachte das Mädchen. »Und sobald Mutter und Vater etwas zu bereden hatten, bin ich ganz schnell rausgeschlichen. Ich wusste ja, wo ihr hinwollt. Und? Was ist jetzt hier los?«
»Wir sind Schmugglern auf der Spur«, flüsterte Robert aufgeregt. »Die wollen Weinfässer runter zur Murr bringen und dort auf Boote verladen. Schnell weg! Ich glaube, da sehe ich schon das Licht als Zeichen, dass das erste Boot angekommen ist.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Franz. »Wir können die doch nicht einfach so davonkommen lassen.«
»Ich habe eine Idee«, meinte Robert. »Einen der Chorherren kenne ich ganz gut, weil ich schon öfter die Stoffe für meinen Vater bei ihm abgeliefert habe. Er heißt Marcus und ist sicher noch wach. Und er wohnt ganz am Rand des Sperrbezirks, da können wir uns sicher bei ihm bemerkbar machen.«
Die Kinder gingen zum zweiten Mal an diesem Tag den Hang hoch. Beppo freudig hechelnd vorneweg. Der Weinkeller der Chorherren rechts neben der Stiftskirche lag im Dunkeln, doch man konnte leises Rumpeln von dort hören, wenn man die Ohren spitzte.
Robert blieb vor einem Haus am Rand des Sperrbezirkes stehen und warf einen kleinen Stein ans Fenster im Erdgeschoss.
»Wer ist denn da?«, fragte eine Stimme aus dem Inneren.
»Mach auf, Marcus. Ich bin’s, Robert. Du kennst mich, ich habe öfter schon Stoffe von meinem Vater bei dir abgegeben. Wir müssen dir unbedingt was sagen. Es geht um einen Chorherrn.«
Das Fenster öffnete sich, und ein etwa dreißigjähriger Mann, mit einem schmalen Gesicht und kurz geschnittenem schwarzem Haar, sah heraus.
»Ja, stimmt. Ich erkenne dich. Aber was willst du mitten in der Nacht hier? Und wer sind die anderen Kinder?«
»Wir sind Fritz und Franz, und wir sind Roberts Cousin und Cousine. Wir sind gerade Schmugglern auf die Spur gekommen, die Wein aus dem Weinkeller stehlen und auf dem Fluss verschiffen. Der Kopf der Bande ist einer der Chorherren, so ein stämmiger Kerl mit vielen Muskeln«, erzähle Fritz von ihren Erlebnissen mit dem Geheimgang.
»Das ist ja eine unglaubliche Geschichte«, staunte Marcus. »Ich weiß, wen ihr meint. Uns ist schon öfter aufgefallen, dass dieser Bruder zu spät zur Mitternachtsmesse gekommen ist. Aber er hatte bis jetzt immer eine gute Entschuldigung. Ihr geht jetzt schön nach Hause und schlaft euch aus. Das ist jetzt keine Sache für Kinder. Und auch nicht für einen Hund, auch wenn der einen noch so treuherzig anschaut.«
»Ach Mensch! Wieso dürfen wir nicht mitkommen?«, maulte Franz. Aber Robert sagte zu ihr:
»Er hat ja recht. Für uns wäre es viel zu gefährlich. Was sollten wir gegen so viele Männer ausrichten?«
»Wir treffen uns morgen bei Sonnenaufgang bei mir vor dem Haus. Dann erzähle ich euch, wie es weiterging.«
Die Kinder hatten, vor lauter Aufregung, kaum schlafen können und rannten in aller Frühe zum Haus von Marcus, dem ungeduldigen Beppo auf den Fersen. Der Chorherr kam bald heraus.
»Ihr hattet völlig recht. Ich habe den Bruder, den ich im Verdacht hatte, zur Rede gestellt. Er hat alles zugegeben. Den Anführer seiner Helfer haben wir auch noch erwischt. Nun wird unser Konvent darüber entscheiden, was mit unserem Schmugglerbruder geschieht. Ich soll euch von unserem Abt seinen Dank ausrichten. Ihr werdet noch eine Belohnung bekommen. Und Beppo kriegt einen großen Knochen aus unserer Küche.«
Die 1996 in Waiblingen geborene Johanna Bechtle ist gerne kreativ und musikalisch. Klavier spielt sie bereits seit zehn Jahren und Trompete, im Posaunenchor Kirchberg, seit ungefähr sieben Jahren. Meistens kommen ihr die Schreib-Ideen während des Musizierens oder wenn sie Musik hört. Plötzlich sieht sie dann ein Leitthema und einen Hauptgedanken vor sich, welchen sie dann noch weiterentwickeln muss – meistens spontan. Bisher hat sie nur für sich selbst geschrieben. Doch dieser Schreibwettbewerb bot ihr endlich die Möglichkeit, auch die Öffentlichkeit an ihrem Geschriebenen teilhaben zu lassen.
Derzeit besucht sie das Wirtschaftsgymnasium der Eduard-Breuninger-Schule in Backnang, welche sie voraussichtlich im Jahr 2015 mit dem Abitur abschließen wird.
Mein Name ist Sidra. Genauer gesagt Sihadra, aber um nicht aufzufallen und keinen schlechten Eindruck zu machen, habe ich meinen Namen europäisiert. Es kommt mir so vor, als wäre es gestern gewesen, als ich hier in diese fremde Stadt kam. Alles ist anders, so geordnet anders. Alles scheint schön zu sein, so oberflächlich schön. Denn die Stadt sieht nur ihre Bewohner und nicht in sie hinein. Wie soll sie auch? Aber wir Menschen, wir sehen die Stadt, ja das tun wir! Häuserfassaden, schöne alte Fachwerkhäuser, die ruhig fließende und an manchen Tagen aufgebrachte Murr. Oft auch viel Verkehr, lautes Hupen und Traurigkeit. Doch viel schöner sind da Menschen, die herzensgut umherirren, sich fast schon im Getümmel der Stadt verlaufen, aber trotzdem immer sichtbar sind. Schau. Dort drüben! Ein Mädchen begleitet einen älteren Herrn auf die andere Straßenseite. Courage macht sich breit und kann durchaus ansteckend sein. Auch die grünen Pflänzchen, die sich mühsam durch den Beton und das Zugepflasterte schlingen, kann man nur bewundern. Ich sage euch: Natur braucht die Stadt! Natürlichkeit wie Liebe und Toleranz. Eine Herzenseinstellung, die wie eine Naturgewalt unkontrollierbar, aber verhaltensbeherrschend in die verstaubten Gemüter der Stadtmenschen einbricht. Vom Prinzip her könnte alles einfach sein … ist es aber nicht. Blicke erhaschen mich schneller, wie Keime sich bilden; unfreundliche und abwertende Blicke. Sehe ich denn so anders aus? Oder stimmt etwas an meinem Verhalten nicht? Ich kann leider nur meinen Namen ändern. Für die Änderung von allem Übrigen benötige ich mehr Zeit. Zeit, die mir gegeben werden muss … ich habe nie behauptet, dass ich mich nicht anpassen möchte.